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{"created":"2022-01-31T16:32:29.324456+00:00","id":"lit33176","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Moskiewicz","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 32: 137-138","fulltext":[{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n137\ngrofs wie bei visuellen. Vergleicht man den monatlichen Wechsel in den qualitativen und formalen Ergebnissen, so erf\u00e4hrt man, dafs die Neigung zu phantasiem\u00e4fsigem Erg\u00e4nzen w\u00e4chst umgekehrt proportional den H\u00f6hen der Aufmerksamkeits- und Ged\u00e4chtnisentwicklung.\nUnd die praktischen Konsequenzen f\u00fcr die P\u00e4dagogik? Eine ihrer elementarsten Aufgaben ist offenbar die: Arbeitskraft des Z\u00f6glings und Arbeitsforderung durch den erziehenden Unterricht so zueinander in Verh\u00e4ltnis zu setzen, dafs sie sich gegenseitig entsprechen. Untersuchungen wie die vorliegenden wTeisen nach, wann man gesteigerte Leistungen zu erwarten berechtigt und verpflichtet ist. Die Hauptarbeitszeit ist die vom Dezember bis zum April. Nach dem April ist eine Erholungszeit n\u00f6tig, wie auch im Juli und im Oktober. In allen Monaten mit abw\u00e4rts gerichteten Kurven sind die Unterrichtspausen zu verl\u00e4ngern, die Anforderungen herabzumindern. Die Untersuchungen \u00fcber die phantasie-m\u00e4fsige Erg\u00e4nzung der Reihen zeigen, wann der Z\u00f6gling besonders aufgelegt scheint zu memorieren, wann er immer wieder abirrt von den gewiesenen Reihenreproduktionen.\nDie Untersuchungen wollen keineswegs diese praktischen Ergebnisse als vollerwiesen hinstellen, sondern nur zu einer umf\u00e4nglichen und sorgf\u00e4ltigen Nachpr\u00fcfung unter mancherlei verschiedenen Verh\u00e4ltnissen anregen.\nLob sien (Kiel).\nPaul Tesdorpf. \u00dcber die Bedeutung einer genauen Definition von Charakter f\u00fcr die Beurteilung der Geisteskranken. IV. Internationaler Kongrefs f\u00fcr Psychologie, Paris 1900.\nEs ist f\u00fcr den Psychiater unbedingt notwendig, sich \u00fcber das Wesen dessen, was wir Charakter nennen, klar zu werden; denn alsdann erst ist es ihm m\u00f6glich, zu einer Reihe wichtiger klinischer Fragen Stellung zu nehmen, ob z. B. krankhafte Symptome durch die Geisteskrankheit selbst erst erworben sind, oder ob sie sich auf bestimmte Charaktereigenschaften des Patienten zur\u00fcckf\u00fchren lassen, ob der Charakter eines Menschen an der Entstehung einer Geisteskrankheit Schuld sein kann, inwieweit sich Krankheit und Charakter gegenseitig beeinflussen u. s. w. Verf. definiert nun Charakter eines Menschen als die Summe seiner psychischen Eigenschaften, soweit diese bewufst oder unbewufst seine inneren oder \u00e4ufseren Leistungen hervorrufen. Durch die Verschiedenheit, in der diese Eigenschaften bei den einzelnen Menschen Vorkommen, entstehen nun die einzelnen Charakterformen. So unterscheidet Verf., je nachdem die Beweggr\u00fcnde dem Menschen mehr oder weniger bewufst werden, einen bewufsten oder unbewufsten Charakter. Nach der Anzahl der Eigenschaften kann man einen einfachen und zusammengesetzten, nach ihrer gegenseitigen \u00dcbereinstimmung einen harmonischen und unharmonischen Charakter unterscheiden.\nSind diese Eigenschaften durch innere oder \u00e4ufsere Einfl\u00fcsse schwer zu beeinflussen, so haben wir einen festen, im umgekehrten Falle einen schwachen Charakter vor uns.\nDie Eigenschaften selbst fallen nun unter die drei grofsen Gruppen psychischer Gebilde: Gef\u00fchl, Wille, Vorstellung, so dafs wir von einem Stimmungs-, Verstandes- und Willenscharakter reden k\u00f6nnen.","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138\nLiteraturberich t.\nVon einem pathologischen Charakter k\u00f6nnen wir dann reden, wenn diese Eigenschaften in ihrer Zahl, St\u00e4rke oder in ihrem Verh\u00e4ltnis zueinander durch die Krankheit irgendwie ver\u00e4ndert sind.\nMoskiewicz (Breslau).\nF. Paulhan. La simulation dans le caract\u00e8re. Le faux impassible. Rev. philos. 52 (12), 600-625. 1901.\nDer Mensch hat oft Interesse daran, dafs sein wahrer Charakter nicht zum Vorschein kommt. Er heuchelt dann mit Willen und Bewufstsein oder nur instinktiv und ohne sich davon Rechenschaft zu geben, Eigenschaften oder Fehler, welche er in Wirklichkeit nicht oder doch nur in geringem Mafse besitzt.\nEs gibt 2 Formen, erstens die Dissimulation, welche Charakterz\u00fcge erscheinen l\u00e4fst, entgegengesetzt der Tendenz, welche man zu verbergen sucht, zweitens die Simulation, bei welcher es sich um die Nachahmung einer Tendenz handelt, welche in Wirklichkeit nicht existiert. Erstere ist vorherrschend defensiver, letztere vorherrschend aggressiver Natur.\nDie erheuchelte Kaltbl\u00fctigkeit d. h. die Verbindung einer sehr lebhaften Empfindlichkeit mit einer scheinbaren K\u00e4lte bildet eine der h\u00e4ufigsten Assoziationen innerhalb des Charakters. Man verheimlicht die innere Erregung, indem man eine ruhige Miene annimmt. Die Affektion w\u00fcrde unsern Feinden eine wunde Stelle verraten.\nOft r\u00fcsten wir uns mit Kaltbl\u00fctigkeit, um die Unbill des Lebens nicht so sehr zu empfinden.\nEin Mensch, bei welchem das innere Leben vorwiegt, neigt zur Kaltbl\u00fctigkeit. Denn das innere Leben schliefst Tendenzen zur Beobachtung, zur Analyse, zur Pr\u00fcfung und zur Kritik in sich, welche sich direkt mit der Gewohnheit zu inhibieren wieder verbinden, sie beg\u00fcnstigen und daher n\u00fctzlich sind f\u00fcr das allgemeine Unterdr\u00fccken der Gef\u00fchlsbezeugung.\nEine besonders ausgebildete Eigenliebe ist der Selbstbeobachtung g\u00fcnstig. Verf. sieht daher in der Verbindung von Empfindsamkeit und Eigenliebe einen g\u00fcnstigen Boden f\u00fcr das Zustandekommen der erheuchelten Kaltbl\u00fctigkeit. Oft verbirgt sich unter der Bescheidenheit ein gut Teil Eigenliebe.\nJeder Mensch hat seine spezielleren \u201eEmpfindlichkeiten\u201c. Bisweilen ist es ein besonderes Gef\u00fchl, welches man zu verhehlen w\u00fcnscht. Die erheuchelte Kaltbl\u00fctigkeit ist dann nur partiell und ist keine allgemeine Richtung des Geistes. Andere Male ist es weniger die Furcht gesch\u00e4digt zu werden, als vielmehr die Scham, unsere Gef\u00fchle zu \u00e4ufsern, da dieselben unserem Alter oder Geschlecht nicht angemessen sind. In andern F\u00e4llen ist es die Furcht des Betreffenden, Personen der Umgebung, welche er sch\u00e4tzt, durch \u00c4ufserungen seiner Gef\u00fchle dem Gesp\u00f6tt oder den Angriffen der Welt preiszugeben.\nDie Furchtsamkeit ist eine der sekund\u00e4ren Eigenschaften der erheuchelten Kaltbl\u00fctigkeit. Sie assoziiert sich letzterer. Oft begegnet man bei der erheuchelten Kaltbl\u00fctigkeit einem guten Mals von Sensibilit\u00e4t, welches aber seltener zum Durchbruch gelangen kann, da die f\u00fcr sein Hervortreten ge\u00f6ffneten Wege an Zahl gering sind. Solche Individuen","page":138}],"identifier":"lit33176","issued":"1903","language":"de","pages":"137-138","startpages":"137","title":"Paul Tesdorpf: \u00dcber die Bedeutung einer genauen Definition von Charakter f\u00fcr die Beurteilung der Geisteskranken. IV. Internationaler Kongre\u00df f\u00fcr Psychologie, Paris 1900","type":"Journal Article","volume":"32"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:32:29.324461+00:00"}