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{"created":"2022-01-31T14:34:26.917389+00:00","id":"lit33181","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 32: 142-143","fulltext":[{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142\nLiteraturbericht.\neinem tieferstehenden, der gesiegt hat \u2014 und nennen dementsprechend den siegenden Willen die Handlung in geringerem Grade uns zugeh\u00f6rig, zurechenbar als den entgegenstehenden. Das veranlafst den Verf., die verschiedenen F\u00e4lle zu betrachten, in denen zwischen h\u00f6herem bezw. niedrigerem Grade der Zugeh\u00f6rigkeit von Handlungen unterschieden wird. Er findet, dafs eine Handlung A bezw. ihre Vorstellung als in h\u00f6herem Grade oder mehr uns zugeh\u00f6rig beurteilt wird, wenn wir sie gegen\u00fcber einer widersprechenden Vorstellung B festzuhalten verm\u00f6gen, weiterhin, wenn A mit R\u00fccksicht auf unser seelisches Ganze uns mehr, dauernder befriedigt als B, wenn A als Ergebnis einer \u00fcberlegenden Wahl erscheint und B nicht, wenn A unter einen allgemeineren, umfassenderen Grundsatz f\u00e4llt als B, endlich wenn A unseren weiterreichenden, allgemeineren Interessen mehr dient als B. Das sind die Gr\u00fcnde, die uns bestimmen, eine Handlung uns in h\u00f6herem Mafse zuzurechnen als eine andere gegen sie streitende.\tM. Offner (Ingolstadt).\nA. Godfernaux. Sur la psychologie du mysticisme. Rev. philos. 53 (2), 158-170. 1902.\nDie vorliegende Abhandlung bietet eine Reihe geistreicher Bemerkungen \u00fcber den Mystizismus. Angeregt durch die Arbeiten von Pacheu und Murisier unterzieht Verf. zun\u00e4chst die letzteren einer Kritik. Es handelt sich dabei um die Fragen, ob das Mystische ein gesunder oder krankhafter seelischer Zustand ist, ob es teilweise oder ganz mit dem religi\u00f6sen Gef\u00fchl zusammenf\u00e4llt und ob man in Mystischen den best\u00e4ndigen Begleiter jedes Gedankens anzunehmen hat.\nPacheu unterscheidet einen wahren und einen falschen Mystizismus, Murisier das individuelle religi\u00f6se Gef\u00fchl, dessen krankhafter Typus die Ekstase bildet, von dem sozialen religi\u00f6sen Gef\u00fchl, welches in Fanatismus ausarten kann. Nach Verf. hat das religi\u00f6se Gef\u00fchl seine gesunden und krankhaften Formen, wie die \u00dcberg\u00e4nge vom Gesunden zum Kranken dem Seelischen \u00fcberhaupt eigent\u00fcmlich sind, und ein vollst\u00e4ndig gesunder Geist \u00fcberhaupt nicht vorkommt. Auch nach Verf. ist die Ekstase die typische Form des individuellen religi\u00f6sen Gef\u00fchls. Jeder, der religi\u00f6s empfindet, ist ein Ekstatiker von bestimmtem Grade. Jedoch mufs man hierbei der positiven Ruhe auch die hinabsteigende hinzuf\u00fcgen bis zum melancholischen Stupor. Die Alienisten Schule und Magnan unterscheiden Psychosen des gesunden und kranken Gehirns. Macht man diese Einteilung, so geh\u00f6rt zur ersten Gruppe die wirkliche Ekstase als einfacher Exzefs, zur zweiten Gruppe die falsche, welche von Visionen und k\u00f6rperlicher Unruhe begleitet ist. Also das individuelle religi\u00f6se Gef\u00fchl wird zum krankhaften Exzefs in der Ekstase, im \u00fcbrigen kann es als Mystizismus einen Bestandteil des gesunden Geistes bilden.\nDas mystische Leben enth\u00e4lt eine Art von verborgenen Relationen, welche von unseren Sinnen nicht erfafst werden k\u00f6nnen. Wir nehmen durch das mystische Leben direkt ohne Vermittlung der Vernunft am universellen Leben teil. Bei vielen Menschen wird es jedoch durch die Praxis \u00fcbert\u00f6nt. Im Gegenteil hierzu liegen f\u00fcr andere in der Mystik sogar seelische Heilmittel bei bestimmten seelischen Affektionen.","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n143\nDas innere Leben hat allm\u00e4hlich seinen religi\u00f6sen Charakter verloren und sich anderen Zweigen zugewendet, der Philosophie, Kunst, Poesie, dem Optimismus und Pessimismus. Die religi\u00f6se Empfindung ist in die Literatur, in die Kunst, in das soziale Leben \u00fcbergegangen. Hierbei wechseln nur die Bilder, nicht aber die Grundlage der Empfindung.\nDer Mystiker, welcher ausschliefslich auf das Gl\u00fcck des Individuums ausgeht, ist insofern dem Sozialen gef\u00e4hrlich. Jedoch k\u00f6nnte es nach Verf. leicht dahin kommen, dafs der Mystizismus von neuem erstarkte, dafs er bei der so grofsen Zahl der heutzutage infolge des \u00dcberhandnehmens der Menschen zur Unt\u00e4tigkeit Verurteilten festen Fuis fafste. Wir h\u00e4tten dann Laienklubs mit m\u00f6nchischem Charakter. Ja, man kann sogar behaupten, dafs das mystische Leben virtuell noch existiert. Es ist ein zu notwendiger Bestandteil unserer Natur. Die Sinne k\u00f6nnen die vielen Eindr\u00fccke, welche endlos auf uns einst\u00fcrmen, nicht allein bew\u00e4ltigen. Hier mufs die Mystik eintreten.\nWir haben bei der Entwicklung des religi\u00f6sen d. h. mystischen Lebens zwei Reihen zu unterscheiden : die absteigende beginnt mit der Traurigkeit und reicht bis zur Verzweiflung, die aufsteigende vom Gef\u00fchl der Gl\u00fcckseligkeit bis zur Ekstase. Die Ekstase bleibt, auch wenn die Pforten der Sinne geschlossen werden. Alsdann ist die Seele ganz Gef\u00fchl geworden, Gl\u00fcckseligkeit ohne Ende, ein Nicht-Ich in seiner verwirrten Totalit\u00e4t, direktes Besitzergreifen von Gott. \u2014\nIndem Verf. behauptet, dafs das religi\u00f6se Gef\u00fchl einen Bestandteil des gesunden Geistes bilde, sagt er damit nichts Neues. Es ist schon verschiedentlich betont worden, dafs die wahrhafte Harmonie der Seele auch die gekl\u00e4rte Beziehung zur Weltseelefnicht entbehren kann. Dieses Gef\u00fchl bezeichnet eine tiefere Gem\u00fctsanlage und kann sehr wohl ein gesundes sein, es kann jedoch in krankhafter Weise ausarten. Die Anlage zur Entartung liegt in seiner Tiefe begr\u00fcndet.\tGiessleu (Erfurt).\nR. Hamann. Das Symbol. Diss. Berlin 1902.\t32 S. Gr\u00e4fenhainichen,\nHecker. 1902.\nAn einem \u00fcberaus reichen Tatsachenmaterial aus dem politischen und sozialen Leben, aus sprachlichem, religi\u00f6sem und philosophischem, \u00e4sthetischem und ethischem Gebiet, sucht Verf. Wesen und Bedeutung der Symbolsch\u00f6pfung und der symbolischen Auffassung klarzulegen. Das Symbol wird charakterisiert als eine Ersatzvorstellung, welche Wirkungen aus\u00fcbt, als deren Tr\u00e4ger nicht sie selbst, sondern die symbolisierte Vorstellung angesehen wird. Eine an sich unbedeutende Vorstellung gewdnnt Bedeutung, wenn sie, durch symbolische Auffassung, an Stelle einer anderen bedeutenden Vorstellung gesetzt wird. Sobald aber dieser Vorstellung die so gewonnene Bedeutung selbst zugeschrieben wird und demgem\u00e4fs die Reaktionen sich auf sie selbst, nicht mehr auf die durch sie symbolisierte Vorstellung richten, h\u00f6rt sie auf, symbolisch zu sein. \u201eWo die Ersatzvorstellung durch die symbolische Anschauung ihre stellvertretende Funktion erhielt, da mufs diese Anschauung auch wieder in Kraft treten, um jene Reaktionen zu verhindern\u201c (S. 21). Aus dieser Mittelstellung des Symbols, gleichsam zwischen Sein und Nichtsein, wird seine doppelte Bedeutung","page":143}],"identifier":"lit33181","issued":"1903","language":"de","pages":"142-143","startpages":"142","title":"A. Godfernaux: Sur la psychologie du mysticisme. Rev. philos. 53 (2), 158-170. 1902","type":"Journal Article","volume":"32"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:34:26.917395+00:00"}