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{"created":"2022-01-31T15:03:48.204442+00:00","id":"lit33182","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kalischer, Edith","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 32: 143-144","fulltext":[{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n143\nDas innere Leben hat allm\u00e4hlich seinen religi\u00f6sen Charakter verloren und sich anderen Zweigen zugewendet, der Philosophie, Kunst, Poesie, dem Optimismus und Pessimismus. Die religi\u00f6se Empfindung ist in die Literatur, in die Kunst, in das soziale Leben \u00fcbergegangen. Hierbei wechseln nur die Bilder, nicht aber die Grundlage der Empfindung.\nDer Mystiker, welcher ausschliefslich auf das Gl\u00fcck des Individuums ausgeht, ist insofern dem Sozialen gef\u00e4hrlich. Jedoch k\u00f6nnte es nach Verf. leicht dahin kommen, dafs der Mystizismus von neuem erstarkte, dafs er bei der so grofsen Zahl der heutzutage infolge des \u00dcberhandnehmens der Menschen zur Unt\u00e4tigkeit Verurteilten festen Fuis fafste. Wir h\u00e4tten dann Laienklubs mit m\u00f6nchischem Charakter. Ja, man kann sogar behaupten, dafs das mystische Leben virtuell noch existiert. Es ist ein zu notwendiger Bestandteil unserer Natur. Die Sinne k\u00f6nnen die vielen Eindr\u00fccke, welche endlos auf uns einst\u00fcrmen, nicht allein bew\u00e4ltigen. Hier mufs die Mystik eintreten.\nWir haben bei der Entwicklung des religi\u00f6sen d. h. mystischen Lebens zwei Reihen zu unterscheiden : die absteigende beginnt mit der Traurigkeit und reicht bis zur Verzweiflung, die aufsteigende vom Gef\u00fchl der Gl\u00fcckseligkeit bis zur Ekstase. Die Ekstase bleibt, auch wenn die Pforten der Sinne geschlossen werden. Alsdann ist die Seele ganz Gef\u00fchl geworden, Gl\u00fcckseligkeit ohne Ende, ein Nicht-Ich in seiner verwirrten Totalit\u00e4t, direktes Besitzergreifen von Gott. \u2014\nIndem Verf. behauptet, dafs das religi\u00f6se Gef\u00fchl einen Bestandteil des gesunden Geistes bilde, sagt er damit nichts Neues. Es ist schon verschiedentlich betont worden, dafs die wahrhafte Harmonie der Seele auch die gekl\u00e4rte Beziehung zur Weltseelefnicht entbehren kann. Dieses Gef\u00fchl bezeichnet eine tiefere Gem\u00fctsanlage und kann sehr wohl ein gesundes sein, es kann jedoch in krankhafter Weise ausarten. Die Anlage zur Entartung liegt in seiner Tiefe begr\u00fcndet.\tGiessleu (Erfurt).\nR. Hamann. Das Symbol. Diss. Berlin 1902.\t32 S. Gr\u00e4fenhainichen,\nHecker. 1902.\nAn einem \u00fcberaus reichen Tatsachenmaterial aus dem politischen und sozialen Leben, aus sprachlichem, religi\u00f6sem und philosophischem, \u00e4sthetischem und ethischem Gebiet, sucht Verf. Wesen und Bedeutung der Symbolsch\u00f6pfung und der symbolischen Auffassung klarzulegen. Das Symbol wird charakterisiert als eine Ersatzvorstellung, welche Wirkungen aus\u00fcbt, als deren Tr\u00e4ger nicht sie selbst, sondern die symbolisierte Vorstellung angesehen wird. Eine an sich unbedeutende Vorstellung gewdnnt Bedeutung, wenn sie, durch symbolische Auffassung, an Stelle einer anderen bedeutenden Vorstellung gesetzt wird. Sobald aber dieser Vorstellung die so gewonnene Bedeutung selbst zugeschrieben wird und demgem\u00e4fs die Reaktionen sich auf sie selbst, nicht mehr auf die durch sie symbolisierte Vorstellung richten, h\u00f6rt sie auf, symbolisch zu sein. \u201eWo die Ersatzvorstellung durch die symbolische Anschauung ihre stellvertretende Funktion erhielt, da mufs diese Anschauung auch wieder in Kraft treten, um jene Reaktionen zu verhindern\u201c (S. 21). Aus dieser Mittelstellung des Symbols, gleichsam zwischen Sein und Nichtsein, wird seine doppelte Bedeutung","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"144\nLiteraturbericht\nverst\u00e4ndlich: einmal wird gleichg\u00fcltigen oder \u00fcberlebten Formen Anerkennung verschafft, durch den Hinweis, dafs sie ja etwas Heiliges symbolisierten, das andere Mal wird heiligen Handlungen ihre Bedeutung genommen durch den Hinweis, dafs sie ja \u201enur\u201c Symbole des Heiligen seien.\nDer Wert des Symbols besteht nicht darin, dafs etwas durch dasselbe erkannt wird; denn die Verkn\u00fcpfung zwischen Symbol und Symbolisiertem ist nur eine konventionelle. Der Wert liegt vielmehr darin, dafs es pers\u00f6nliche Erfahrungen \u00fcberfl\u00fcssig machen, Wirkungen aus\u00fcben kann, die sich sonst nur an die ersetzte Vorstellung kn\u00fcpften. Der \u00e4sthetische Wert des Symbols besteht in der geistigen Anregung, die es gibt, in der Aufgabe zum Sinnen und Deuten, die es stellt, und die das Symbolisieren um seiner selbst willen lustvoll macht.\tEdith Kalischee (Berlin).\nA. Vieekandt. Katar nnd Knltnr im sozialen Individuum. Vierteljahrsschrift f\u00fcr wissenschaftliche Philosophie, IST. F., 1 (3), 361\u2014382. 1902.\nIn dieser Abhandlung setzte es sich der Verf. zur Aufgabe, die Anwendbarkeit der Begriffe Natur und Kultur auf Bewufstseinstatsachen terminologisch und sachlich ins Klare zu setzen. \u201eDie Natur stellt sich (vom Entwicklungsstandpunkte) als die urspr\u00fcngliche und \u00e4lteste Ausstattung des Menschen, die Kultur als die Gesamtheit aller sp\u00e4teren Erwerbungen der Gesellschaft dar\u201c (362). Beim sozialen Individuum sind hinsichtlich des Inhaltes alle Wahrnehmungen und Reproduktionen von Nicht-Kultur-Objekten (unter Ausschlufs von assoziativen Hinzutaten), ferner die Gef\u00fchle und Willensregungen an sich mit ihren prim\u00e4ren Objekten (Selbsterhaltung, Nahrung, Fortpflanzung) zur Naturseite zu rechnen, w\u00e4hrend die Inhalte der abstrakten Begriffe dem Kulturfaktor angeh\u00f6ren. Die Kultur bietet den vorhandenen Naturgef\u00fchlen und Naturtrieben neue und mannigfaltige Inhalte, ohne selbst neue Gef\u00fchle und Triebe schaffen zu k\u00f6nnen. Der Sprachgebrauch des t\u00e4glichen Lebens pflegt in den sogenannten niederen, tierischen, rohen Seiten des Seelenlebens die menschliche \u201eNatur\u201c zu erblicken und vindiziert derselben eine gewisse Armut, Einfachheit, Gesundheit und Gediegenheit. Die relativ kleine Zahl der Grundtriebe und Interessen des Menschen haben auch Dichter wie Goethe und G. Kelleb erkannt und an einfach-typischen Gestaltungen demonstriert.\nDen Gegensatz Natur-Kultur im Bewufstseinsleben sucht der Verf. auch vom formalen Standpunkte zu definieren und sieht in der Natur formal \u201edie Gesamtheit aller Gesetze, typischen Z\u00fcge und Eigenartigkeiten des Bewufstseinsverlaufes\u201c (namentlich in der Assoziation, Assimilation, Gef\u00fchlsverschiebung, Suggestion und Affektwirkung) (366).\nVon den Geisteswissenschaften hat nach den zutreffenden Er\u00f6rterungen des Verf.s die Psychologie am entschiedensten \u201enaturwissenschaftlichen Charakter\u201c (man denke an Geoos\u2019 Spiele des Menschen). In absteigender Intensit\u00e4t haben es ferner die allgemeine Kultur- und Gesellschaftslehre, die V\u00f6lkerpsychologie (im Sinne Wundts), die vergleichende Rechts- und Sprachwissenschaft und schliefslich die V\u00f6lkerkunde mit der Naturseite des Menschen zu tun. In verkehrter Reihenfolge sind diese Wissenschaften vom Standpunkte des Gehaltes an Kulturfakten anzuordnen.","page":144}],"identifier":"lit33182","issued":"1903","language":"de","pages":"143-144","startpages":"143","title":"R. Hamann: Das Symbol. Diss. Berlin 1902. 32 S. Gr\u00e4fenhainichen, Hecker. 1902","type":"Journal Article","volume":"32"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:03:48.204448+00:00"}