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{"created":"2022-01-31T15:04:22.108314+00:00","id":"lit33212","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schultze, Ernst","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 32: 275-276","fulltext":[{"file":"p0275.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n275\nAug. Diehl. Zum Studium der Merkf\u00e4higkeit. Eine experimental-psycho-\n- logische Untersuchung. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Aug. Foeel.\nBerlin, Karger. 1902. 39 S. Mk. 1.\nDie Versuchsanordnung des Verf.s in der vorliegenden, sehr interessanten Studie bezweckte, klar zu sehende, einfache Reize gen\u00fcgend lange dem Beobachter vorzuf\u00fchren; als solche Gesichtsreize dienten ein-und zweistellige Zahlen, die Stellung eines Lineals, die Richtung der \u00d6ffnung eines Winkels, sowie schliefslich Farbe und Gestalt einfacher Fl\u00e4chen. In einer Reihe von Versuchen sollen die Versuchspersonen sich keine M\u00fche geben, an den Reiz zu denken; in einer anderen Reihe sollen sie mit Aufwand aller Kr\u00e4fte die aufgefafsten Reize im Ged\u00e4chtnis behalten. Die Zeit zwischen Auffassungs- und Erinnerungstag war verschieden grofs.\nAus den Versuchen ergab sich, dafs die individuelle Leistungsf\u00e4higkeit des Ged\u00e4chtnisses recht verschieden ist, je nachdem ob Zahlen, die Stellung des Winkels oder Lineals oder Farben behalten werden sollen. Auch das Lebensalter scheint bei dieser Abh\u00e4ngigkeit des Erinnerungsverm\u00f6gens von dem jeweiligen Inhalte beteiligt zu sein. Eingehend wurde das pers\u00f6nliche Gef\u00fchl der Sicherheit oder Unsicherheit ber\u00fccksichtigt. Bietet eine Person viele Auslassungen, macht sie aber nur wenige oder gar keine unsicheren Angaben, so spricht dies f\u00fcr Vorsicht. Die Unzuverl\u00e4ssigkeit der Erinnerung gibt sich kund in der Zahl der falschen Angaben unter den als sicher empfundenen. Das Individuum wird um so vorsichtiger, je mehr seine Erfahrung es die M\u00e4ngel des Ged\u00e4chtnisses hat kennen lernen lassen. Bei verschiedenen gleichartigen Eindr\u00fccken ist die Erinnerung f\u00fcr den ersten Eindruck lebhafter als f\u00fcr den zweiten. Ist einmal eine gewisse Aufgabe dem Ged\u00e4chtnis gestellt, so leidet das Erinnerungsverm\u00f6gen nicht unter allen Umst\u00e4nden durch die Verl\u00e4ngerung der Zeit, nach welcher die Reproduktion erfolgen soll. Sehr interessante Resultate lieferte die unerwartete Kontrolle eines Materials, das nach seiner Fixierung und Nachpr\u00fcfung bereits dem Vergessen anheimgestellt war; es fand sich n\u00e4mlich eine noch gute Reproduktionsm\u00f6glichkeit, ein geringes Gef\u00fchl der Unsicherheit und eine Berichtigung fr\u00fcher falsch gemachter Angaben. Viele Fehler entstehen insbesondere durch Nachwirkung fr\u00fcherer Eindr\u00fccke, eine Fehlerquelle, die sich ausgleicht durch l\u00e4ngere Zeit.\nWas von besonderer Wichtigkeit ist, das ist der Umstand, dafs dem Gef\u00fchle der subjektiven Sicherheit gar wenig Bedeutung beizumessen ist.\nDiese Ergebnisse sind von gr\u00f6fster Bedeutung f\u00fcr die Wertung von Zeugenaussagen. Resigniert, aber zutreffend \u00e4ufsert der Verf., dafs \u00fcber den wahren Wert von Erinnerungen nicht eher geurteilt werden kann, bis durch m\u00fchsame Forschungen auf dem Gebiete des Ged\u00e4chtnisses mehr Licht in das Dunkel dieser Erscheinungen getragen ist.\nSchon die bisher erzielten Ergebnisse experimenteller Forschungen wie eigene unparteiische Beobachtungen, die jeder kritisch Denkende an sich selber machen kann, sollten den Richter zur \u00e4ufsersten Vorsicht bei der Vernehmung von Zeugen und bei der Verwertung ihrer Aussagen mahnen. So wenig neu diese Mahnung ist, so wenig wird sie in die\n18*","page":275},{"file":"p0276.txt","language":"de","ocr_de":"276\nLiteraturbericht.\nPraxis \u00fcbertragen. Wie sehr das aber notwendig w\u00e4re, das haben noch in j\u00fcngster Zeit v. Liszt und Stern (\u201eZur Psychologie der Aussage\u201c) bewiesen.\nErnst Schultze (Andernach).\nTh. Eibot. Essai sur l'imagination cr\u00e9atrice. Paris, F. Alcan, 1900. 304 S.\nIn der Einleitung gibt Ribot als Hauptzweck seines Werkes an, dasselbe wolle die Wichtigkeit der motorischen Funktionen f\u00fcr die Erkl\u00e4rung der sch\u00f6pferischen Einbildungskraft dartun. Um diesen Gedanken uns verst\u00e4ndlicher zu machen, weist er hin auf die Wunder des Glaubens. Daraus k\u00f6nnte man schliefsen, das Grundproblem sei f\u00fcr ihn nicht die M\u00f6glichkeit psychischer Gebilde, die den in der Wahrnehmung gegebenen nicht gleich oder nicht einmal \u00e4hnlich sind, sondern die M\u00f6glichkeit der Darstellung solcher Ph\u00e4nomene in der Aufsenwelt. Wenn er die Einbildungskraft in Analogie zum Willen bringt, so w\u00e4re unter dieser Voraussetzung freilich nicht einzusehen, warum er die Sch\u00f6pfungen nach Phantasiebildern nicht einfach den Willenshandlungen subsumiert. Auch bleibt es unverst\u00e4ndlich, inwiefern bei den Wundern des Glaubens oder bei ganz gew\u00f6hnlichen Willenshandlungen die Bewegungen etwas erkl\u00e4ren sollen, da sie doch selbst das Erkl\u00e4rungsbed\u00fcrftige sind. Aber wenn wir annehmen, Eibot habe die Bildung von Phantasieprodukten selbst in Erkl\u00e4rungsbeziehung zu Bewegungen bringen wollen, so geraten wir in vollst\u00e4ndige Dunkelheit.\nDafs die Phantasieerlebnisse oft n\u00e4chste Verwandtschaft mit den sogenannten inneren Willenshandlungen zeigen, soll damit nicht geleugnet sein. Ja wir w\u00fcrden es sogar f\u00fcr einen Vorzug des vorliegenden Werkes halten, wenn vor aller Analyse, Erkl\u00e4rung und Klassifikation der Produkte der Einbildungskraft auf die Besonderheiten der Phantasievorstellungen etwa mit Ber\u00fccksichtigung der Unterschiede zwischen aktivem und passivem Phantasieren und im Hinblick auf die Gegen\u00fcberstellung \u00e4ufserer und innerer Willenshandlungen, anschaulicher Einbildung und abstrakten logischen Denkens kurz eingegangen w\u00fcrde. Statt dessen finden wir wohl gelegentlich eine Unterscheidung spontanen, nat\u00fcrlichen, ohne Anstrengung verlaufenden und willk\u00fcrlichen, k\u00fcnstlichen, angestrengten Phantasierens. Auch der Gegensatz des kritischen, logischen, abstrakten Denkverfahrens und des Verlaufs der Einbildungsvorstellungen tritt da und dort hervor. Aber wenn Eibot auch neue wissenschaftliche, mystische, kommerzielle und \u00e4hnliche Kombinationen der Einbildungskraft zuweist, so scheint es fast, als ob gelegentlich jede nicht in einer Wahrnehmung zureichend begr\u00fcndete Konstellation psychischer Elemente als Sch\u00f6pfung der Einbildungskraft in Anspruch genommen w\u00fcrde. Dabei wollen wir freilich nicht verschweigen, dafs Eibot aufser der Wahrnehmung und der anschaulichen Vorstellung eines Gegenstandes noch eine ganze Reihe schematischer Bilder von abnehmender Anschaulichkeit dem Begriffe desselben Gegenstandes gegen\u00fcberstellt.\nDoch wie man auch \u00fcber die systematische Abgrenzung und \u00fcber die Einf\u00fcgung des von Eibot behandelten Gegenstandes in das Ganze der Psychologie denken mag, das wird man zugeben m\u00fcssen, dafs der Gegenstand selbst mit gr\u00fcndlicher Ausf\u00fchrlichkeit und reicher Gedankenf\u00fclle dargestellt wird. Da finden wir zun\u00e4chst eine eingehende Analyse der Prozesse","page":276}],"identifier":"lit33212","issued":"1903","language":"de","pages":"275-276","startpages":"275","title":"Aug. Diehl: Zum Studium der Merkf\u00e4higkeit. Eine experimental-psychologische Untersuchung. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Aug. Forel. Berlin, Karger. 1902. 39 S.","type":"Journal Article","volume":"32"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:04:22.108320+00:00"}