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{"created":"2022-01-31T14:47:03.594156+00:00","id":"lit33214","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 32: 277-279","fulltext":[{"file":"p0277.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turb ericht.\n277\ndurch welche aus den Elementen der Wahrnehmung Phantasieprodukte entstehen. Als wirkende Faktoren werden dabei unterschieden der \u201efacteur intellectuel\u201c, der \u201efacteur \u00e9motionnel\u201c und der \u201efacteur inconscient\u201c. Unter dem ersten Titel behandelt Ribot die Vorg\u00e4nge der Assoziation und Dissoziation von Vorstellungen, unter dem zweiten die Momente des Gem\u00fctslebens, die in der Form des \u201eInteresses\u201c bestimmte Erlebnisse aus der Summe der Bewufstseinserscheinungen herausheben und einander n\u00e4her bringen oder heterogene Elemente durch ihre eigene Gleichartigkeit verbinden. Unter dem letzten Titel geht unser Autor ein auf die Tatsachen der sogenannten Inspiration sowie auf den Einflufs, welchen Charakter, Temperament u. s. w. auf den Verlauf der Assoziationsprozesse aus\u00fcben. Dabei l\u00e4fst er die Streitfrage unentschieden, ob die Wirksamkeit des Unbewufsten in der Form minimaler Bewufstheit oder lediglich in physikalisch-chemischen Gehirnprozessen sich abspiele. Den organischen Grundlagen der sch\u00f6pferischen Phantasiet\u00e4tigkeit widmet er \u00fcbrigens noch ein eigenes Kapitel, in dem er eine merkw\u00fcrdig geheimnisvolle Beziehung zwischen der \u201ecr\u00e9ation physique\u201c, der Zeugung, und der \u201ecr\u00e9ation psychique\u201c andeutet.\nEin zweiter Hauptteil des RiBOTSchen Werkes enth\u00e4lt eine Untersuchung \u00fcber die phylogenetische und ontogenetische Entwicklung der sch\u00f6pferischen Phantasie. Schon den Tieren wird eine gewisse Art sch\u00f6pferischer Einbildungskraft zugesprochen, die sich in Bewegungskombinationen, vor allem in der Mannigfaltigkeit tierischer Spiele \u00e4ufsern soll. Beim Kind verfolgt Ribot die Entwicklung der Phantasiet\u00e4tigkeit durch vier Stadien, wobei die \u201einvention romanesque\u201c den H\u00f6hepunkt darstellt. Eine Betrachtung der Phantasiet\u00e4tigkeit bei der Mythenbildung des primitiven Menschen und der h\u00f6heren Formen der \u201eErfindung\u201c \u2014 f\u00fchrt schliefslich zu einem \u201eEntwicklungsgesetz\u201c. Die T\u00e4tigkeit der Einbildungskraft durchl\u00e4uft zwei Perioden, welche durch eine \u201ekritische Phase\u201c getrennt und als \u201ep\u00e9riode d\u2019autonomie\u201c und \u201ep\u00e9riode de constitution d\u00e9finitive\u201c unterschieden werden.\nIm dritten Hauptteil seines Werkes, der von den haupts\u00e4chlichsten Typen der Phantasiet\u00e4tigkeit handelt, verzichtet Ribot ausdr\u00fccklich auf eine logisch befriedigende Einteilung. Er behandelt in loser Aneinanderreihung die \u201eimagination plastique\u201c, die \u201eimagination diffluente\u201c, die \u201eimagination mystique\u201c, die \u201eimagination scientifique\u201c, die \u201eimagination pratique et m\u00e9canique\u201c, die \u201eimagination commerciale\u201c und die \u201eimagination utopique\u201c. Eine Darlegung dessen, was Verf. unter diesen einzelnen Typen versteht, lind warum er sie unterscheidet, w\u00fcrde hier zu weit f\u00fchren. Wir haben sie nur aufgez\u00e4hlt, um einen Begriff zn geben, wie das in Rede stehende Werk als \u201eangewandte Psychologie\u201c die verschiedensten Gebiete menschlicher Geistest\u00e4tigkeit zu durchdringen sucht. Gerade darin besteht vieleicht einer seiner Hauptvorz\u00fcge.\tD\u00fceb (W\u00fcrzburg).\nTh. Ribot. L\u2019imagmatioa cr\u00e9atrice affective. Rev. philos. 53 (6), 508\u2014630. 1902.\nDie Franzosen haben in ihrer Auffassung des Affektiven von jeher den Schwerpunkt in das rein Emotionelle gelegt unter Hintansetzung des Intellektuellen. In weiterer Verfolgung dieser Richtung suchten sie auch","page":277},{"file":"p0278.txt","language":"de","ocr_de":"278\nLiteraturbericht.\nein rein emotionelles Ged\u00e4chtnis nachzuweisen. So Eibot, Pillon, Mauxion, Paulham, Urban u. a.\nDie vorliegende Arbeit nun zeigt einen neuen grofsartigen Versuch, das Emotionelle zu verselbst\u00e4ndigen.\nVerf. wirft die Frage auf, ob es eine Form der sch\u00f6pferischen Einbildung gibt, welche lediglich affektive Zust\u00e4nde verschiedener Art kombiniert. Vielleicht d\u00fcrfte die musikalische Sch\u00f6pfung die vollendete Form daf\u00fcr darstellen als Kunst, die Gef\u00fchle und Leidenschaften durch T\u00f6ne zum Ausdruck zu bringen. Doch stehen hier zwei Ansichten einander gegen\u00fcber, sofern eine andere behauptet, es sei nicht die Aufgabe der Musik, Leidenschaften musikalisch zu malen, sondern musikalische Motive zu erfinden. Beide Ansichten sind nach Verf. vereinbar, jene kennzeichnet die \u201evolle\u201c, diese die \u201eleere\u201c Musik. Erstere behandelt Gef\u00fchle, vollzieht also affektive Sch\u00f6pfungen, letztere das Architektonische der Musik, sonore Kombinationen, Modulationen, Rhythmen und ist mehr f\u00fcr das Virtuosentum geschrieben.\nUm den Seelenzustand zu verstehen, welcher Ursache und Kennzeichen der rein affektiven Form der Erfindung bildet, betrachtet Verf. zun\u00e4chst die musikalische Sch\u00f6pfung unter doppelter Form als abh\u00e4ngige und unabh\u00e4ngige. Erstere ist an einen Text gekn\u00fcpft, und der Musiker wandelt Ideen, Bilder, Worte in affektive Zust\u00e4nde um. In der unabh\u00e4ngigen, rein instrumentalen Musik ohne Text finden wir die menschlichen Leidenschaften mit ihren Kontrasten, Spr\u00fcngen, Nuancen Umwandlungen nackt, ohne jede Maskierung, aber auch in einer gewissen Ordnung. Zum Produzieren solcher musikalischer Sch\u00f6pfungen geh\u00f6ren bestimmt geartete Naturen. Die erste Bedingung ist, dafs der Komponist ganz in der Welt der T\u00f6ne lebt. Er mufs im st\u00e4nde sein, in den unz\u00e4hligen Nuancen in H\u00f6he, Klangfarbe und Intensit\u00e4t die Wandlungen des reinen Gef\u00fchls ad\u00e4quat zum Ausdruck zu bringen. Die zweite Bedingung ist die, dafs sich alle Eindr\u00fccke in Gef\u00fchlszust\u00e4nde umwandeln, welche sich unmittelbar in T\u00f6ne einkleiden. Die dritte Bedingung das Vorherrschen der generischen Gef\u00fchlszust\u00e4nde \u00fcber die objektiven Zust\u00e4nde : Die echten Musiker haben w\u00e4hrend ihrer Arbeit keine visuellen Vorstellungen.\nEs handelt sich nun f\u00fcr die affektive Einbildung um ein Problem, n\u00e4mlich darum, dem, was von Natur unbestimmt und fl\u00fcchtig ist, eine relative Pr\u00e4zision und Best\u00e4ndigkeit zu verleihen. Hanslick hat recht, wenn er behauptet, dafs die Musik aufser st\u00e4nde sei, ein bestimmtes Gef\u00fchl darzustellen. Denn dazu geh\u00f6ren bestimmte Vorstellungen. Doch bilden die Instrumente gleichsam zahlreiche Personen, von denen jede ihre eigene Stimme, n\u00e4mlich Klangfarbe hat und eine Verwandtschaft zu einem bestimmten Gef\u00fchl besitzt. Dieselben werden gruppiert, zu musikalischen Existenzen, vereinigt, zu Wesen, welche miteinander reden, streiten, sich lieben, schelten, seufzen, weinen, grollen u. s. wf.\nDies ist die einzige vollst\u00e4ndige Form der reinen affektiven Erfindung. Unvollst\u00e4ndiger findet man eine solche bei gewissen literarischen Sch\u00f6pfungen. Hierher geh\u00f6ren die der Symbolisten. Dieselben w\u00e4hlen von dem Schauspiel der Welt alles das aus, wTas gef\u00fchlt wrerden kann, Impulse, 'Tendenzen, W\u00fcnsche. Sie berauben die Materie ihrer Form und behalten nur das Affektive zur\u00fcck. Entweder geben sie ihren Werken einen aus-","page":278},{"file":"p0279.txt","language":"de","ocr_de":"Li ter a turb er ich t\n279\n\u00abchliefslich emotionellen Wert. Oder sie verbinden sie in der Weise, dafs \u25a0dieselben ihren bestimmten Sinn verlieren und etwas Mysteri\u00f6ses zum Ausdruck bringen. Oder sie gebrauchen veraltete Worte. Die Werke der Symbolisten zeigen ver\u00e4nderliche Dispositionen, momentane Synthesen, fl\u00fcchtige Reihen von Seelenzust\u00e4nden von Eindr\u00fccken, welche nicht untereinander verbunden sind.\nDrittens geh\u00f6rt auch der Mystizismus, und zwar der metaphysische und poetische hierher. Der Mystizismus ist gekennzeichnet durch das Wachsen des inneren Lebens und den Verzicht auf die weltlichen Interessen. Hierbei finden Irradiationen der Einbildungskraft statt, nach 3 Richtungen hin : sensoriell als visuelle und akustische Halluzinationen, organisch als Modifikationen des organischen Lebens, welche zerst\u00f6rend oder heilend \u25a0wirken und rein psychisch als Schilderungen der haupts\u00e4chlichsten religi\u00f6sen Ereignisse, des Lebens der Heiligen u. s. w. Letztere Schilderungen sind mehr oder weniger \u201eTransfigurationen der Liebe\u201c, sentimentale Tr\u00e4umereien. Das Leben solcher Mystiker ist wie ein po\u00e8me v\u00e9cu. Offenbar geh\u00f6ren diese romans d\u2019amour der Mystiker zu der affektiven Einbildung.\nWir k\u00f6nnen noch weiter zur\u00fcckgehen. Auch das gew\u00f6hnliche Leben bietet affektive Sch\u00f6pfungen: Die Tr\u00e4ume eines Liebenden, die krankhaften Romane Hypochondrischer \u00fcber ihre Leiden und \u00c4hnliches.\nGiessler (Erfurt).\nE. Paulham. La simulation dans le caract\u00e8re. IL La fausse sensibilit\u00e9. Rev. philos. 53 (5), 457\u2014488. 1902.\nDie Charakterologie geh\u00f6rt zu denjenigen Zweigen der Wissenschaft, welche am langsamsten vorw\u00e4rts schreitet. Es hat dies darin seinen Grund, \u25a0dafs die bez\u00fcglichen Forschungen eine genauere Menschenkenntnis und \u2022daher eine h\u00e4ufigere und innigere Ber\u00fchrung mit Menschen aller Art erfordern, wozu die meisten Stubengelehrten nicht neigen. Eine r\u00fchmliche Ausnahme hiervon macht Paulham. Er hat der Charakterologie schon manche feine Studie geliefert, -wobei er sich auf umfassendes Beobachtungs-material zu st\u00fctzen pflegt.\nVerf. stellt in der vorliegenden Folgeabhandlung dem \u201efalschen Kaltbl\u00fctigen\u201c den \u201efalschen Empfindlichen\u201c gegen\u00fcber. Jener simuliert Indifferenz, dieser Empfindlichkeit. Die erdichtete Empfindlichkeit hat als Grundlage die Sorge f\u00fcr die pers\u00f6nliche Verteidigung. Die Empfindungen \u2022der Umgebung nicht zu teilen, ist eine mifsliche Sache. Man ist daher oft gen\u00f6tigt, in den Augen anderer Personen Gef\u00fchle zu heucheln, -welche man in Wirklichkeit nicht hat. Durch solche L\u00fcgen und T\u00e4uschungen h\u00e4lt sich .aber die Gesellschaft. Bisweilen glaubt man die eingebildeten Gef\u00fchle wirklich zu haben. Dies kann so weit gehen, dafs jemand, der sich f\u00fcr mutig oder f\u00fcr freigebig h\u00e4lt, sich in Wirklichkeit wie ein Feigling oder iwie ein Geizhals benimmt. In solchen F\u00e4llen hat sich die Seele gleichsam geteilt. Die Elemente, welche in einem gegebenen Momente die Seele beherrschen, sind in z-wei Gruppen geteilt, von denen die eine die Seele und \u2022das Benehmen -weiter dirigiert, die andere sich vorgefafsten Ideen assoziiert hat, um im Ich die Mifst\u00f6ne wegzuschaffen.","page":279}],"identifier":"lit33214","issued":"1903","language":"de","pages":"277-279","startpages":"277","title":"Th. Ribot: L'imagination cr\u00e9atrice affective. Rev. philos. 53 (6), 508-630. 1902","type":"Journal Article","volume":"32"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:47:03.594161+00:00"}