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{"created":"2022-01-31T15:57:33.750491+00:00","id":"lit33215","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 32: 279-280","fulltext":[{"file":"p0279.txt","language":"de","ocr_de":"Li ter a turb er ich t\n279\n\u00abchliefslich emotionellen Wert. Oder sie verbinden sie in der Weise, dafs \u25a0dieselben ihren bestimmten Sinn verlieren und etwas Mysteri\u00f6ses zum Ausdruck bringen. Oder sie gebrauchen veraltete Worte. Die Werke der Symbolisten zeigen ver\u00e4nderliche Dispositionen, momentane Synthesen, fl\u00fcchtige Reihen von Seelenzust\u00e4nden von Eindr\u00fccken, welche nicht untereinander verbunden sind.\nDrittens geh\u00f6rt auch der Mystizismus, und zwar der metaphysische und poetische hierher. Der Mystizismus ist gekennzeichnet durch das Wachsen des inneren Lebens und den Verzicht auf die weltlichen Interessen. Hierbei finden Irradiationen der Einbildungskraft statt, nach 3 Richtungen hin : sensoriell als visuelle und akustische Halluzinationen, organisch als Modifikationen des organischen Lebens, welche zerst\u00f6rend oder heilend \u25a0wirken und rein psychisch als Schilderungen der haupts\u00e4chlichsten religi\u00f6sen Ereignisse, des Lebens der Heiligen u. s. w. Letztere Schilderungen sind mehr oder weniger \u201eTransfigurationen der Liebe\u201c, sentimentale Tr\u00e4umereien. Das Leben solcher Mystiker ist wie ein po\u00e8me v\u00e9cu. Offenbar geh\u00f6ren diese romans d\u2019amour der Mystiker zu der affektiven Einbildung.\nWir k\u00f6nnen noch weiter zur\u00fcckgehen. Auch das gew\u00f6hnliche Leben bietet affektive Sch\u00f6pfungen: Die Tr\u00e4ume eines Liebenden, die krankhaften Romane Hypochondrischer \u00fcber ihre Leiden und \u00c4hnliches.\nGiessler (Erfurt).\nE. Paulham. La simulation dans le caract\u00e8re. IL La fausse sensibilit\u00e9. Rev. philos. 53 (5), 457\u2014488. 1902.\nDie Charakterologie geh\u00f6rt zu denjenigen Zweigen der Wissenschaft, welche am langsamsten vorw\u00e4rts schreitet. Es hat dies darin seinen Grund, \u25a0dafs die bez\u00fcglichen Forschungen eine genauere Menschenkenntnis und \u2022daher eine h\u00e4ufigere und innigere Ber\u00fchrung mit Menschen aller Art erfordern, wozu die meisten Stubengelehrten nicht neigen. Eine r\u00fchmliche Ausnahme hiervon macht Paulham. Er hat der Charakterologie schon manche feine Studie geliefert, -wobei er sich auf umfassendes Beobachtungs-material zu st\u00fctzen pflegt.\nVerf. stellt in der vorliegenden Folgeabhandlung dem \u201efalschen Kaltbl\u00fctigen\u201c den \u201efalschen Empfindlichen\u201c gegen\u00fcber. Jener simuliert Indifferenz, dieser Empfindlichkeit. Die erdichtete Empfindlichkeit hat als Grundlage die Sorge f\u00fcr die pers\u00f6nliche Verteidigung. Die Empfindungen \u2022der Umgebung nicht zu teilen, ist eine mifsliche Sache. Man ist daher oft gen\u00f6tigt, in den Augen anderer Personen Gef\u00fchle zu heucheln, -welche man in Wirklichkeit nicht hat. Durch solche L\u00fcgen und T\u00e4uschungen h\u00e4lt sich .aber die Gesellschaft. Bisweilen glaubt man die eingebildeten Gef\u00fchle wirklich zu haben. Dies kann so weit gehen, dafs jemand, der sich f\u00fcr mutig oder f\u00fcr freigebig h\u00e4lt, sich in Wirklichkeit wie ein Feigling oder iwie ein Geizhals benimmt. In solchen F\u00e4llen hat sich die Seele gleichsam geteilt. Die Elemente, welche in einem gegebenen Momente die Seele beherrschen, sind in z-wei Gruppen geteilt, von denen die eine die Seele und \u2022das Benehmen -weiter dirigiert, die andere sich vorgefafsten Ideen assoziiert hat, um im Ich die Mifst\u00f6ne wegzuschaffen.","page":279},{"file":"p0280.txt","language":"de","ocr_de":"280\nLiteratur bericht.\nDie erheuchelte Empfindlichkeit steht mit anderen seelischen Eigenschaften in direkter Verbindung. Bei einer Klasse von Individuen herrscht das innere Leben vor. Es gibt romantische Geister, welche sich in ihren psychologischen Einbildungen gefallen und ihre eigenen Gef\u00fchle zu ge-niefsen belieben. Dies brauchen nicht tr\u00e4umerische Naturen zu sein, sondern sogar sehr aktive. Eine spezielle Klasse von konkreten Simulatoren, die Skrupul\u00f6sen, kennzeichnen sich durch die stete Sorge f\u00fcr die Moralit\u00e4t. Sie wollen fortgesetzt in sich lobenswerte Gef\u00fchle finden und r\u00fchmen sich deren, obwohl sie selbst gar nicht moralisch sind. Andere machen sich im Gegenteil schlechter, als sie sind. Diese Skrupelhaften sorgen sich um unbedeutende Dinge. Sie behaupten, dafs alles an ihnen schlecht sei. Eine letzte Form dieses Typus besteht aus denjenigen, welche-nach der Verwirklichung eines Ideals streben. Sie glauben sich dem Ideale n\u00e4her als sie sind. Sie verblenden sich \u00fcber ihre eigenen Ansichten und Tendenzen, sie nehmen bei sich solche an, wie sie in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sind.\nDie l\u00fcgneriche Illusion hat auch den Zweck, den Geist gegen sich selbst zu verteidigen, ihn zu besch\u00fctzen vor dem Nachteiligen, was ihm gewisse von seinen Tendenzen bringen k\u00f6nnten. Die Aktiven werden durch sie vor dem Zaudern bewahrt. Bei den Tr\u00e4umern hilft die Simulation, den Aufbau der inneren Welt zu bewerkstelligen, in welche sie sich vor den Rauheiten der \u00e4ufseren Welt fl\u00fcchten k\u00f6nnen.\nUnsere mannigfachen Beziehungen zur menschlichen Gesellschaft zwingen uns, einige unserer Gef\u00fchle zu verhehlen, andere zu erheucheln. Derjenige, welcher andere Menschen n\u00f6tig hat, wird dies um so mehr tun.. Unter diesen Typus geh\u00f6ren eine ganze Reihe von Formen. Zun\u00e4chst diejenigen, wTelche sich angenehm zu machen zu suchen, gewissen Personen schmeicheln, von denen sie etwas erwarten. Andere machen sich furchtbar und suchen durch Einfl\u00f6fsen von Furcht das zu erreichen, was sie durch Wohlwollen nicht erreichen k\u00f6nnen. Manche wollen nur als liebensw\u00fcrdig gelten, sie wollen anderen Leuten gefallen, ohne dadurch einen Vorteil von ihnen zu erlangen. Die menschlichen Gesellschaften sind oft nichts weiter als Versammlungen von Personen, welche gegeneinander Gef\u00fchle heucheln,, die sie nicht haben.\nDer Wunsch, anderen Vergn\u00fcgen zu bereiten, sich zu ihnen nicht in Gegensatz zu setzen, erzeugt viele Simulanten. Man wagt es nicht, einem Menschen gegen\u00fcber zu treten, der uns durch sein Alter, seine Ber\u00fchmtheit u. s. w. imponiert. Oft zwingt uns die Moral zu handeln entsprechend bestimmten Gef\u00fchlen, welche wdr nicht haben, aber haben m\u00fcfsten. Es gibt Personen, bei denen die meisten Gef\u00fchle derartig erheuchelt sind, dafs man nicht zu entscheiden vermag, welches ihre eigentlichen Gef\u00fchle sind. Bei jedem Menschen ist ein bestimmter Grad von Simulation vorhanden.\nVerf. wirft zum Schlufs noch einen R\u00fcckblick: W\u00e4hrend die erheuchelte Kaltbl\u00fctigkeit uns von den Menschen entfernt und uns glauben macht, dafs ihre Angriffe auf uns nichts verm\u00f6gen, bewirkt die erheuchelte Empfindlichkeit eine Ann\u00e4herung, wir zeigen den anderen Sympathien, welche zur St\u00fctze der Ann\u00e4herung werden und verhindern daher von vornherein jede feindselige Ann\u00e4herung ihrerseits.\tGiesslek (Erfurt).","page":280}],"identifier":"lit33215","issued":"1903","language":"de","pages":"279-280","startpages":"279","title":"F. Paulham: La simulation dans le caract\u00e8re. II. La fausse sensibilit\u00e9. Rev. philos. 53 (5), 457-488. 1902","type":"Journal Article","volume":"32"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:57:33.750497+00:00"}