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{"created":"2022-01-31T15:27:19.075977+00:00","id":"lit33228","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Piper, H.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 32: 291-294","fulltext":[{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n291\nan dem Buche betonen, die Summe von alter und neuer Arbeit, die es bringt, das vielfach Originale, welches durch die erneute Durcharbeit hier geschaffen worden ist.\tEdinger (Frankfurt a. M.).\nN. Yaschide et Cl. Vurpas. La r\u00e9tine d\u2019un anenc\u00e9pha\u00eee. Archives de m\u00e9decine exp\u00e9rimentale et d1 Anatomie pathologique 827\u2014831. 1901.\nDie histologische Untersuchung der Retina eines Anencephalen ergab, dafs das Organ von vollst\u00e4ndig normaler Struktur war, also die s\u00e4mtlichen bekannten Schichten in normaler Beschaffenheit aufwies. Der Befund ist recht bemerkenswert, weil eine normale Ausbildung der Netzhaut bei ihrer Entwicklung als Ausst\u00fclpung des Hirnrohres in diesem Falle a priori nicht zu erwarten war. Auch wenn man annimmt, dafs das Gehirn urspr\u00fcnglich normal angelegt, sp\u00e4ter aber durch pathologische Prozesse destruiert wurde \u2014 und Befunde von Infiltration, Leukocytenanh\u00e4ufung, Cystenbildungen etc. sprechen im beschriebenen Fall f\u00fcr die Richtigkeit dieser Annahme \u2014, so bleibt doch die Tatsache merkw\u00fcrdig und beachtenswert, dafs das Anhangsorgan sich normal weiter ausbilden kann, auch wenn die Entwicklung des Ursprungsorganes fr\u00fchzeitig sistiert oder wenn dasselbe gar hochgradige degenerative Ver\u00e4nderungen erf\u00e4hrt.\tH. Piper (Berlin).\nMax Verworn. Die Biogenhypothese. Eine kritisch-experimentelle Studie \u00fcber die Vorg\u00e4nge in der lebendigen Substanz. Jena, G. Fischer, 1903.\n114 S.\nVerworn gibt \u00fcber seine in eingehender Begr\u00fcndung entwickelten Vorstellungen vom Zustandekommen der Lebensprozesse, resp. \u00fcber die Anschauungen, wrelche den wesentlichen Inhalt der Biogenhypothese bilden, folgendes R\u00e9sum\u00e9: \u201eDen Kernpunkt der Biogenhypothese bildet die Annahme, dafs in der lebendigen Substanz eine komplizierte Verbindung existiert, das Biogen, die selbst schon einem fortw\u00e4hrenden Stoffwechsel unterliegt, indem sie durch Umlagerung der Atome an bestimmten Punkten ihrer grofsen Molek\u00fcle fortw\u00e4hrend sich dissoziiert und darauf wieder restituiert. Diese Dissoziation und Restitution der Biogenmolek\u00fcle wird erm\u00f6glicht durch komplizierte Hilfseinrichtungen, wie sie anscheinend nur in der Formation der lebendigen Substanz zu Zellen realisiert sind.\nHinsichtlich der chemischen Konstitution des Biogens kann man sich etwa folgende allgemeine Vorstellungen machen. Das Biogenmolek\u00fcl ist eine sehr komplexe stickstoffhaltige Kohlenstoff Verbindung und besitzt um den Benzolring als Kern verschiedenartige Seifenketten, von denen die einen Stickstoff- oder vielleicht eisenhaltig sind und als Rezeptoren f\u00fcr den Sauerstoff dienen, w\u00e4hrend andere Kohlenstoffketten von Aldehydnatur repr\u00e4sentieren und das Brennmaterial f\u00fcr die oxydative Dissoziation des Biogenmolek\u00fcls liefern.\nDie funktionellen Oxydationsprozesse finden im Biogenmolek\u00fcl selbst, nicht erst an seinen Zerfallsprodukten statt. Durch die intramolekulare Einf\u00fcgung des Sauerstoffes an der Rezeptorengruppe erh\u00e4lt das an sich schon sehr labile Molek\u00fcl den Pl\u00f6hepunkt seiner Zersetzlichkeit. Bei der funktionellen Dissoziation geht Sauerstoff von der Rezeptorengruppe an die Aldehydgruppe der Kohlenstoffkette \u00fcber und tritt mit dem Kohlen-\n19*","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292\nLiteraturberich t.\nstoffatom derselben als Kohlens\u00e4ure aus. Mit dieser funktionellen Dissociation des Biogenmolek\u00fcls sind die wesentlichen energetischen Leistungen der lebendigen Substanz verkn\u00fcpft.\nBei der Destitution findet einerseits eine neue Aufnahme und Bindung von Sauerstoff an der wie eine Oxydase als Sauerstoff\u00fcbertr\u00e4ger wirkenden Seitenkette statt und andererseits werden die an der Kohlenstoffkette frei gewordenen Affinit\u00e4ten sofort wieder durch passende kohlenstoffhaltige Gruppen gebunden. Diese Destitution des Biogenrestes verl\u00e4uft unter gew\u00f6hnlichen Verh\u00e4ltnissen ungef\u00e4hr ebenso schnell wie der funktionelle Zerfall.\nNeben der funktionellen Dissoziation, bei welcher der ganze stickstoffhaltige Teil des Biogenmolek\u00fcls erhalten bleibt, geht andauernd in geringerem Umfange und unabh\u00e4ngig von der funktionellen Beanspruchung der lebendigen Substanz noch ein destruktiver Zerfall einher, bei dem das Biogenmolek\u00fcl infolge seiner grofsen Labilit\u00e4t eine tiefer gehende Zersetzung erf\u00e4hrt, die mit Stickstoffausscheidung verbunden ist.\nDie Neubildung der Biogenmolek\u00fcle und damit das Wachstum der lebendigen Substanz erfolgt nur unter Mithilfe schon vorhandener Biogen-molek\u00fcle durch Polymerisation der einzelnen Atomgruppen. Die auf diese Weise entstandenen polymeren Biogenmolek\u00fcle brechen bei Gelegenheit in die einfachen Grundmolek\u00fcle auseinander. Ein dauerndes Zusammenhalten der polymeren Biogenmolek\u00fcle und Auswachsen zu Biesenmolek\u00fclen ist nicht anzunehmen.\nF\u00fcr die Prozesse der Destitution nach dem funktionellen Zerfall und der Neubildung von Biogen durch Polymerisation schafft die n\u00f6tigen Bedingungen die Einrichtung der Zelle und ihrer Differenzierungen. Durch diese wird daf\u00fcr gesorgt, dafs die n\u00f6tigen Bausteine stets in geeigneter Form und gen\u00fcgender Menge am passenden Orte sind. Das Dohmaterial f\u00fcr die Herstellung der passenden Bausteine liefere in erster Linie der von aufsen auf genommenen Stoffe (Sauerstoff und Nahrung) f\u00fcr Zeiten des Mangels aber sind daneben noch Deservedepots von Sauerstoff und Nahrung in der Zelle vorhanden und zwar \u00fcberwiegt stets der Deservevorrat an Nahrung ganz bedeutend den Vorrat an Sauerstoff.\nDie Zubereitung und Verarbeitung der Nahrung zu geeigneten Bausteinen f\u00fcr die restitutiven Prozesse besorgen im wesentlichen die Enzyme, deren Wirkung durch die jeweiligen Zust\u00e4nde und Bedingungen der Zelle sich selbstt\u00e4tig reguliert. Als integrierendes Glied ist in die Kette der pr\u00e4paratorischen Prozesse in jeder Zelle der Zellkern eingeschaltet. In den verschiedenen speziellen Zellformen spielen aufserdem auch die besonderen Differenzierungen (z. B. Chlorophjdlk\u00f6rper in den Pflanzenzellen) in dieser Hinsicht eine unentbehrliche Dolle.\nSo bildet den Mittelpunkt alles Geschehens in der lebendigen Substanz der fortw\u00e4hrende Aufbau und Zerfall des Biogens und alle anderen Vorg\u00e4nge sind unterst\u00fctzende Hilfseinrichtungen im Dienste des Bio gens.\u201c\nEs ist nicht m\u00f6glich, im Bahmen eines kurzen Beferates die \u00fcberaus vielseitig durchgef\u00fchrte experimentelle Begr\u00fcndung durchzugehen und die Gedankeng\u00e4nge im einzelnen wiederzugeben, welche den Verf. zu den in","page":292},{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n293\nder Biogenhypothese zum Ausdruck gebrachten Anschauungen gef\u00fchrt haben. Es sei nur kurz als von besonderem Interesse auf die vielfach variierten Versuche aufmerksam gemacht, welche die Rolle des Sauerstoffes f\u00fcr den Stoffwechsel und f\u00fcr die Erregbarkeit der lebendigen Substanz aufkl\u00e4ren und \u00fcber dessen Angriffspunkt im Chemismus der Zelle Anhaltepunkte geben sollen: diese Versuche wurden zum Teil an Protozoen durchgef\u00fchrt, zum Teil aber lieferten auch h\u00f6chst beachtenswerthe Experimente am Frosch sehr wertvolle Ergebnisse, Experimente, in welchen bei Strychninisierung k\u00fcnstliche Zirkulation mit Blut oder 0-haltiger resp. O- freier Kochsalzl\u00f6sung eingef\u00fchrt wurde und der Einflufs von An- oder Abwesenheit des Sauerstoffs auf die Erregbarkeit der Nervenzellen festgestellt wurde. Ferner ist es von Interesse, zu bemerken, dafs dem Zellkern als biogenarmem oder -freiem Organ nach Vebwokns Untersuchungen f\u00fcr den Stoffwechsel des Zellorganismus eine verh\u00e4ltnism\u00e4fsig untergeordnete Bedeutung zukommt.\nNachdem der Autor unter Zugrundelegung der Tatsachen, welche bez\u00fcglich des Grundproblems der Physiologie, dem des Stoffwechsels, gefunden sind, die einzelnen S\u00e4tze der Biogenhypothese entwickelt hat, zeigt er in weiterer Ausf\u00fchrung, dafs eine Anzahl anderer theoretisch schwieriger, physiologischer Fragen durch die Biogenhypothese dem Verst\u00e4ndnis in erfreulicher Weise erschlossen wTerden: die Erregbarkeit der lebendigen Substanz beruht auf ihrer F\u00e4higkeit, auf Reize mit einer Beschleunigung des Stoffwechsels zu reagieren. Der Reiz erh\u00f6ht die Labilit\u00e4t der Biogenmolek\u00fcle und die Gr\u00f6fse seines Erfolges h\u00e4ngt ab von der Zahl der zerfallenden Biogenmolek\u00fcle. Unter diesem Gesichtspunkt giebt Verworn eine Theorie f\u00fcr die Wirkung der Erregbarkeit steigernden (Strychnin) und die Erregbarkeit herabsetzenden (Narcotica) Gifte. Er zeigt weiter, dafs nicht nur durch Dissimilation, sondern auch durch Assimilation des Biogens die Erregbarkeit der lebendigen Substanz zweifellos gesteigert wird, und zwar geschieht dieses letztere in erster Linie unter den Erscheinungen einer Zunahme der Wachstumsenergie und einer gesteigerten Zellvermehrung.\nEs wird weiterhin dargetan, dafs auch die alte Kontroverse \u00fcber die Quelle der Muskelkraft eine befriedigende L\u00f6sung findet, w.enn man sich auf den Boden der Biogenhypothese stellt. Da nach dieser die Quelle der Muskelkraft im funktionellen Stoffwechsel der Biogenmolek\u00fcle zu suchen ist, diesem Prozefs aber nur die stickstofffreien Seitenketten unterliegen, so k\u00f6nnen als Ersatzmaterial f\u00fcr die restitutiven Vorg\u00e4nge sowohl die Eiweifsk\u00f6rper als auch die Kohlenhydrate und Fette der Nahrung dienen. Von den Eiweifsk\u00f6rpern w\u00fcrden dabei nat\u00fcrlich nur stickstofffreie Atomkomplexe direkte Verwendung finden. Damit ist die Frage, ob die Zersetzung der Ei weifsk\u00f6rper oder der Kohlehydrate und Fette der Nahrung die Quelle f\u00fcr die Energieproduktion im Muskel abgibt, in ziemlich befriedigender Weise dahin beantwortet, dafs beide ihr Teil beitragen k\u00f6nnen.\nIn \u00e4hnlicher Argumentation wendet Verworn seine Hypothese zur Erkl\u00e4rung des sogenannten Refrakt\u00e4rstadiums in der Herzaktion und der rhythmisch ablaufenden Lebenserscheinungen an. Auch hier wird in aufser-ordentlich klarer Entwicklung und \u00fcbersichtlicher Darstellung, gezeigt, dafs","page":293},{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"294\nLitera turbericht.\ndie Annahme der Biogenhypothese manche der verwickeltsten Lebensvorg\u00e4nge dem Verst\u00e4ndnis n\u00e4her bringt und viele der meist umstrittenen Fragen in \u00fcberraschender Einfachheit beantwortet, so dafs sie wohl als eine \u201eArbeitshypothese\u201c von grofser Fruchtbarkeit bezeichnet werden darf und dadurch ihre Existenzberechtigung am besten selbst beweist.\nH. Piper (Berlin).\nF. Marchand. \u00dcber das Hirngewicht des Menschen. AbhandL der math.-phys.\nKlasse der K\u00f6nigl. S\u00e4chs. Gesellschaft der Wissenschaften 27 (4), 393\u2014481. Mk. 3.00.\nIch weifs nicht ob je die Stunde kommen wird, in welcher die Psychologie aus der aufserordentlich grofsen Arbeit, welche bisher durch W\u00e4gungen des Gehirnes geleistet worden ist, entsprechenden Nutzen ziehen kann. Die [Resultate dieses Verfahrens wrerden \u2014 soweit eben die Psychologie in Betracht kommt, zun\u00e4chst einfach niedergelegt, wie die Pr\u00e4parate in einem Museum. Vielleicht kommt dereinst der Mann, welcher die Sammlung braucht. Das gilt zun\u00e4chst f\u00fcr die W\u00e4gungen des Gesamthirnes und andere als diese k\u00f6nnen wir bisher nicht machen. Aber f\u00fcr andere Zwecke, vor allem auch im Sinne des rein Deskriptiven mufs die W\u00e4gung ausgef\u00fchrt werden. Gerade die neuesten und durch besonderen Reichtum an Material sowie durch genaue Fragestellungen ausgezeichneten Arbeiten von Marchand zeigen wieder, dafs in mancherlei Beziehungen Interessantes sich dabei herausstellt, sie zeigen auch, dafs es noch immer weiter lohnen wird hier Material anzuh\u00e4ufen, damit etwaige Schl\u00fcsse fester gezogen wrerden k\u00f6nnen. Wir haben im vergangenen Jahre aufser der hier anzuzeigenden Arbeit von Marchand noch eine wreitere \u00fcber das gleiche Thema von Matiegka \u2014 B\u00f6hmen, aufserdem W\u00e4gungen von anderen Rassengehirnen Chinesen z. B. erhalten. Marchand hat Hessengehirne in Marburg gevrogen. Er diskutiert eingangs die m\u00f6glichen Fehlerquellen, Todesursache etc. Interessant ist gleich, dafs der Koeffizient, welcher sich aus K\u00f6rperl\u00e4nge und Hirngewdcht ergiebt, so gering schwankt, dafs man ihn vernachl\u00e4ssigen kann. Im ganzen ist aber doch das mittlere Hirngewdcht bei M\u00e4nnern und Frauen unter Mittelgr\u00f6fse etw-as niedriger, als das normal grofser Individuen. Die gr\u00f6fsten Schwankungen zeigt das Hirngewicht der Neugeborenen und der Kinder im ersten Lebensjahre. Allm\u00e4hlich werden die Differenzen dann zwischen den einzelnen Individuen geringer. Bis zu einer K\u00f6rpergr\u00f6fse von 70 Zentner erfolgt die Gewichtszunahme des Gehirnes unabh\u00e4ngig von Lebensalter und Geschlecht, proportional dem K\u00f6rperwachstum. Von da ab ist sie unregelm\u00e4fsiger. Das anf\u00e4ngliche Hirngewicht von ca. 371 g bei m\u00e4nnlichen und 361 g bei weiblichen Kindern \u2014 leider kommen nur 24 Exemplare in Betracht \u2014 verdoppelt sich schon im Laufe der ersten 3/4 Jahre. Vor Ablauf des dritten Lebensjahres hat es sich verdreifacht. Aber nun erfolgt die Zunahme immer langsamer, bei M\u00e4nnern bis zum 19.\u201420. Jahr, bei Frauen noch langsamer als bei M\u00e4nnern. Bei den ersteren h\u00f6rt die Gewichtszunahme auch im 16.\u201418. Jahre auf, bei M\u00e4nnern erst ca. 2 Jahre sp\u00e4ter. Es scheint mir wahrscheinlich, dafs diese Verh\u00e4ltnisse andere sein k\u00f6nnen bei einem Materiale das sich nicht aus der k\u00f6rperlich arbeitenden Bev\u00f6lkerung, sondern","page":294}],"identifier":"lit33228","issued":"1903","language":"de","pages":"291-294","startpages":"291","title":"Max Verworn: Die Biogenhypothese. Eine kritisch-experimentelle Studie \u00fcber die Vorg\u00e4nge in der lebendigen Substanz. Jena, G. Fischer, 1903. 114 S.","type":"Journal Article","volume":"32"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:27:19.075983+00:00"}