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{"created":"2022-01-31T15:56:49.393326+00:00","id":"lit33258","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Aster, v.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 32: 368-370","fulltext":[{"file":"p0368.txt","language":"de","ocr_de":"368\nLiteraturbericht.\nBewufstseins selbst unmittelbar zu den Problemen der Philosophie hin\u00fcberf\u00fchrt, so erkl\u00e4rt sich aus dieser Tatsache die enge Verwandtschaft von Psychologie und Philosophie.\nMan wird nicht sagen k\u00f6nnen, dafs diese Bestimmungen eine besonders klare Anschauung von der Aufgabe der Philosophie und Psychologie geben. Diese Klarheit wird auch nicht gef\u00f6rdert, wenn der Philosophie auf der einen Seite rein metaphysische Aufgaben \u2014 sie soll die \u201eUrsachen\u201c des Gegebenen aufdecken im Gegensatz zu den \u201eBedingungen\u201c der positiven Wissenschaften \u2014 auf der anderen Seite Logik und Ethik zugewiesen werden. Eine klare Abgrenzung von Wissenschaften ist nur m\u00f6glich durch die Angabe konkreter, bestimmter Fragen und die Aufstellung solcher Fragen ist besonders notwendig in der Philosophie und ihren Grenzgebieten, deren wissenschaftlicher Charakter selbst einen Gegenstand des Zweifels bildet.\tv. Aster (Berlin).\nH. Poincar\u00e9. La science et l\u2019hypoth\u00e8se. Paris, Flammarion, 1902. 281 S.\nDie Tendenz des Buches l\u00e4fst dasselbe als verwandt mit den Arbeiten von Mach, Kirchhoff u. s. w. erscheinen. Wie die genannten ist der Verf. von Haus aus ein Physiker, der hier seine Aufmerksamkeit der erkenntnistheoretischen Frage nach der Aufgabe und dem Wert der Hypothese in seiner Wissenschaft zugewendet hat. Die Wissenschaft, das ist das allgemeinste Besultat, zu dem er gelangt, hat lediglich die Aufgabe, notwendige Beziehungen zwischen den Vorg\u00e4ngen in der Natur aufzuzeigen, die uns erlauben, eben diese Vorg\u00e4nge vorauszusagen \u2014 aufser diesen Beziehungen gibt es nichts f\u00fcr unser Wissen Erreichbares. Die Hypothese ihrerseits hat einen Wert, insofern sie auf solche Beziehungen hinweist, sie ist unentbehrlich, weil wir durch die Verifikation der Hypothese nach allen m\u00f6glichen Richtungen hin in der Erfahrung zu neuen Beziehungen unmittelbar hingef\u00fchrt werden, sie ist daher auch um so wertvoller, je \u00f6fter sich eine Gelegenheit bietet, sie an der Erfahrung zu pr\u00fcfen. So bietet die Undulationstheorie des Lichtes die M\u00f6glichkeit, die bekannten Beziehungen mechanischer Ph\u00e4nomene auf die Erscheinungen des Lichtes in analoger Form zu \u00fcbertragen. Hypothesen, wie die letztgenannte, geben freilich scheinbar mehr, als solche Beziehungen : aber das, was sie noch hinzuf\u00fcgen, ist nichts, als ein Bild, das zur klaren Darstellung der Erscheinungen n\u00fctzlich sein, einen eigenen wissenschaftlichen Wert aber nicht beanspruchen kann.\nIm besonderen pflegen wir uns bei der Aufstellung unserer wissenschaftlichen Gesetze und Hypothesen gewisser allgemeinster Voraussetzungen zu bedienen, die f\u00fcr unser wissenschaftliches Weltbild gewisser-mafsen den Rahmen abgeben \u2014 man denke an die Anwendung der Mathematik. Diesen S\u00e4tzen gegen\u00fcber eine bestimmte Stellung zu gewinnen, ist eine zweite Hauptaufgabe des Buches. Das Ergebnis l\u00e4fst sich am besten im Anschlufs an eine kurze Inhalts\u00fcbersicht der einzelnen Kapitel charakterisieren.\nP. spricht zuerst von der mathematischen Methode unter Ausschlufs der Geometrie. Er betont bei dieser Gelegenheit, dafs die mathematischen Urteile keineswegs rein deduktiver Natur sind: sie kommen zu st\u00e4nde","page":368},{"file":"p0369.txt","language":"de","ocr_de":"Li ter a turberich t.\ndurch einen Fortschritt vom Besonderen zum Allgemeinen, also durch eine Art Induktion, aber eine solche, die der Gewifsheit der S\u00e4tze keinen Eintrag tut. Nun ist der Gegenstand, auf den sich die mathematischen Operationen beziehen, eine mathematische Gr\u00f6fse, indem wir also versuchen, rechnerisch die Vorg\u00e4nge in der Natur zu erfassen, setzen wir voraus, dafs dieselben mathematische Gr\u00f6fsen sind. Dies ist die erste jener allgemeinsten Voraussetzungen. Sie ist nicht selbstverst\u00e4ndlich ; sie kann nicht durch die Erfahrung direkt bewiesen, freilich auch nicht widerlegt werden. Sie mufs daher nach P. aufgefafst werden als eine \u201econvention\u201c, eine Festsetzung, eine Voraussetzung, freilich keine willk\u00fcrliche, sondern eine solche, die wir geleitet durch die Erfahrung machen und die ihre Berechtigung dadurch erweist, dafs sie uns einen klaren und bequemen Ausdruck der Tatsachen und ihrer Gesetze erm\u00f6glicht.\nDer zweite Abschnitt besch\u00e4ftigt sich mit der Geometrie. Wie vorher die mathematische Gr\u00f6fse, so ist hier der Raum mit seinen geometrischen Eigenschaften, seiner Homogeneit\u00e4t, seiner Dreidimensionalit\u00e4t, seiner unendlichen Ausdehnung eine convention in dem er\u00f6rterten Sinn : dafs der Raum z. B. in allen Teilen homogen ist, l\u00e4fst sich nicht aus der Erfahrung beweisen, es ist Definitionssache, eine Annahme, aber eine solche, die sich im Fortgang der Wissenschaft als bequem und n\u00fctzlich erweist. Erkenntnistheoretisch recht bedenklich erscheint es mir \u00fcbrigens, wenn P. diese Bestimmungen ausdehnt auf die gesamten EuKLmischen Axiome in der Planimetrie. Die vorurteilsfreie Betrachtung scheint mir vielmehr zu zeigen, dafs diese Axiome durchaus nicht den Charakter von Annahmen tragen, sondern dafs sie auf der Anschauung der geometrischen Gebilde beruhen und aus ihr durch eine Methode hervorgehen, die vom Besonderen zum Allgemeinen auf steigt, ohne aber die Urteile zu wahrscheinlichen zu machen, ebenso, wie es P. von den algebraischen S\u00e4tzen behauptet. Kant be-zeichnete diese Eigenart durch den Begriff der \u201esynthetischen S\u00e4tze a priori der Anschauung\u201c ; P. trennt scharf Algebra und Geometrie, w\u00e4hrend er in Bezug auf die erstere dem KANTischen Ausdruck nicht abgeneigt scheint, lehnt er ihn f\u00fcr die Geometrie entschieden ab. Nicht wenig beeinflufst ihn in seiner Stellungnahme das Vorhandensein der nicht-euklidischen Geometrie, mit der er sich des L\u00e4ngeren besch\u00e4ftigt.\nDen geometrischen Axiomen reihen sich im 3. Abschnitt (\u201ede la force\u201c) die Grundgesetze der Mechanik an \u2014 das Tr\u00e4gheitsgesetz, das Gesetz, das in der Formel Kraft = Masse X Beschleunigung seinen Ausdruck findet u. s. w. Auch sie sind weder a priori, noch Erfahrungsgesetze in dem Sinn, dafs bestimmte Erfahrungstatsachen sie beweisen oder widerlegen k\u00f6nnten. Sie sind daher gleichfalls Definitionen oder Konventionen im obigen Sinn. Von der klassischen Mechanik wendet sich P. zur Energetik: mit besonderer Ausf\u00fchrlichkeit wird der bekannte Beweisgang f\u00fcr das Energieprinzip durchgef\u00fchrt. Nicht v\u00f6llig klar wird der Unterschied dieser mechanischen Grundgesetze von den geometrischen Axiomen; P. sucht die ersteren in eine engere Verbindung mit der Erfahrung zu bringen, gerade nach seiner vorher ge\u00e4ufserten Anschauung vom Wesen der geometrischen Erkenntnis scheint mir dies nicht m\u00f6glich zu sein.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 32.\n24","page":369},{"file":"p0370.txt","language":"de","ocr_de":"370\nLitera turb er ich t.\nIm grofsen und ganzen wird man sagen m\u00fcssen, dafs die gegebene Zusammenstellung und Charakteristik von Voraussetzungen, wie der mathematisch fafsbaren Gr\u00f6lsen, des einen, homogenen, unendlichen Raumes, der mechanischen Grundgesetze, des Energieprinzips u. s. w. eine zutreffende ist. Es handelt sich hier in der Tat um S\u00e4tze, die auf der Erfahrung ruhen, ohne doch Erfahrungss\u00e4tze im engeren Sinn zu sein, um auf die Erfahrung angewandte Definitionen. Es entsteht nun freilich die Frage, wie wir im einzelnen dazu kommen, auf Grund der Erfahrung gerade diese Voraussetzungen als g\u00fcltig anzusehen, gerade dieses Fundament der Wissenschaft zu errichten, eine Aufgabe, die im wesentlichen nur durch eine historisch-psychologische Darstellung zu l\u00f6sen sein wird. An einzelnen Stellen deutet auch P. auf die L\u00f6sung dieser Probleme hin.\nIn dem 4. Abschnitt, \u201ede la nature;\u2018 \u00fcberschrieben, handelt es sich im wesentlichen um die spezielleren S\u00e4tze und die spezifisch so genannten Hypothesen der Physik. Die Stellung, die P. ihnen gegen\u00fcber einnimmt, ist zu Anfang dieses Referats angedeutet worden. Durch Beispiele aus der Optik und Elektrodynamik wird das Gesagte illustriert, v. Aster (Berlin).\nTh. Elsenhans. Theorie des Gewissens. Zeitschr. f, Philosophie u. philosoph.\nKritik 121 (1), 86\u2014102. 1902; (2), 129\u2014140. 1903.\nI.\tDas Wesen des Gewissens sucht E. in gewissen Gef\u00fchlen, die eine besondere Art der ethischen Gef\u00fchle seien, von diesen unterschieden nur durch die Beziehung der in Frage stehenden Handlung auf das eigene Ich (91). Aus dem Begriffe der Handlung \u2014 im Gegensatz zur ethisch-indifferenten Bewegung \u2014 sucht er die weitere Bestimmung abzuleiten, dafs die Wirkung derselben auf andere Menschen, auf das Wohl und Wehe lebender Wesen, ein f\u00fcr das Gewissen charakteristisches Moment sei (93). Die Gewissensreaktion setze ein Sich-hineinf\u00fchlen in den Zustand der von der Handlung Betroffenen voraus (93). \u2014 Demgem\u00e4fs findet E. die allgemeinste Formulierung des Inhalts der Gewissens-\u00e4ufserungen in dem Satze, \u201edafs diejenigen Handlungen die Billigung des Gewissens erfahren, bei welchen die Absicht des Handelnden auf das Wohl anderer Menschen gerichtet ist\u201c, und umgekehrt (101). Das soziale Leben sei der Schauplatz des vom Gewissen gebilligten oder mifsbilligten Handelns (101). Das individuelle Lebensgef\u00fchl des Individuums erweitere sich zum h\u00f6heren Gef\u00fchl f\u00fcr das Leben des sozialen K\u00f6rpers, dessen Glied das Individuum sei (102). \u201eMan k\u00f6nnte deshalb das Gewissen auch das soziale Gemeingef\u00fchl nennen\u201c (102).\nII.\tZur Ergr\u00fcndung der Entstehung des Gewissens untersucht E. das Verh\u00e4ltnis des individuellen zum \u00f6ffentlichen oder generellen Gewissen (129 f.). Im Gegensatz zu den empiristischen Theorien entscheidet er sich f\u00fcr die Annahme einer urspr\u00fcnglichen generellen Gewissensanlage, die sich mit gleich guten Gr\u00fcnden halten lasse, wie die Annahme intellektueller Gattungsanlagen (133). Die historisch nun doch gegebenen Verschiedenheiten der Gewissensaussagen sucht er durch die Hypothese eines m\u00f6glichen \u201eLatentbleibens\u201c jener Anlage zu erkl\u00e4ren (135). \u2014 Die Entwicklung der Gewissensanlage sei abh\u00e4ngig vor allem von der Stufe und Art des sozialen Lebens, als dem materiellen, von der In-","page":370}],"identifier":"lit33258","issued":"1903","language":"de","pages":"368-370","startpages":"368","title":"H. Poincar\u00e9: La science et l'hypoth\u00e8se. Paris, Flammarion, 1902. 281 S.","type":"Journal Article","volume":"32"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:56:49.393331+00:00"}