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{"created":"2022-01-31T16:34:16.510588+00:00","id":"lit33269","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Piper, H.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 32: 424-426","fulltext":[{"file":"p0424.txt","language":"de","ocr_de":"424\nLiteraturbericht.\nW. v. Bechterew. Die Energie des lebenden Organismns und ihre psycho-biologische Bedeutung. Grenzfragen des Nerven- u. Seelenlebens (16). Wiesbaden, Bergmann, 1902. 132 S.\nNachdem B. einleitend den alten Streit \u00fcber den Zusammenhang von Leib und Seele von der dualistischen Philosophie Platos bis zu den modernsten Entwicklungen monistischer Anschauungen kritisch beleuchtet hat, nachdem er dann insbesondere die wichtigsten Argumente, welche in der Kontroverse \u00fcber psychophysische Kausalit\u00e4t und psychophysischen Parallelismus von beiden Seiten vorgebracht sind, in eingehender Darstellung hervorgehoben hat, geht er dazu \u00fcber, seine eigenen Anschauungen \u00fcber diese Probleme vorzuf\u00fchren und zu begr\u00fcnden.\nAn der Idee des Parallelismus als einer wissenschaftlichen Tatsache festhaltend, vertritt B. die Ansicht, \u201epsychische und physische Erscheinungen seien untereinander in dem Grade inkommensurabel, dafs keinerlei \u00dcberg\u00e4nge zwischen denselben stattfinden k\u00f6nnen. Wenn beide Arten von Erscheinungen aber \u00fcberall und jederzeit parallel miteinander verlaufen, so erkl\u00e4rt sich diese Tatsache keineswegs durch Identit\u00e4t des physischen und psychischen Prinzipes, welches von uns, wie einige glauben, nur von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet wird, sondern dadurch, dafs beide Arten von Erscheinungen auf eine gemeinschaftliche Ursache zur\u00fcckzuf\u00fchren sind.\u201c Diese Ursache wird bedingungsweise als \u201elatente Energie\u201c bezeichnet. Der hier eingef\u00fchrte Begriff der Energie soll sich nun nicht mit dem in der Physik gebr\u00e4uchlichen Begriff der Energie decken, vielmehr ist nach Auffassung Bechterews \u201eEnergie oder Kraft dem Wesen nach nichts anderes als ein in der Natur des Universums verbreitetes aktives Prinzip\u201c. Das Wesen dieses Prinzips, als dessen Tr\u00e4ger der Welt\u00e4ther erscheint, ist nicht n\u00e4her bekannt, aber die \u00c4ufserungen desselben sind aus den best\u00e4ndigen, nachweisbaren Stoffumsetzungen ersichtlich.\nNach der von B. entwickelten Auffassung ist demnach ein allgemeines aktives Prinzip, eine einzige, einheitliche Weltenenergie in der Natur vorhanden, durch deren vielf\u00e4ltige Umwandlungen die gesamte Mannigfaltigkeit der Aufsen- und Innenwelt bedingt ist und deren einzelne Formen wir Lichtenergie, W\u00e4rmeenergie, elektrische Energie nennen und als deren besondere Form auch die \u201elatente Energie\u201c der Organismen sich, darstellt. Auf den best\u00e4ndigen wechselseitigen Beziehungen zwischen latenter Energie und den \u00fcbrigen Naturenergien beruht die Aufstellung des Begriffes jener einheitlichen Weltenenergie, welche in mannigfachen Formen zu Tage tritt, deren eine, die latente Energie nur in organisierten K\u00f6rpern, die zu ihrer Wirksamkeit g\u00fcnstigen Bedingungen vorfindet. Hier gibt sie den Anstofs zum Auftreten der psychischen Erscheinungen und der Selbstbestimmungskraft der Organismen mit ihren zweckm\u00e4fsigen R\u00fcckwirkungen auf die Aufsenwelt.\nDas Nervensystem erscheint als eine Art Akkumulator f\u00fcr die latente Energie. Den Vorrat erlangt es teils auf dem Wege der Umwandlung der bei der Ern\u00e4hrung des Gehirnes beteiligten physikalischchemischen Energien in latente Energie der Zentra, teils auf dem Wege der Umsetzung jener physikalisch-chemischen Energien, welche von aufsen her auf unsere Sinnes Werkzeuge zur Einwirkung gelangen. Dabei ist der","page":424},{"file":"p0425.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n425\n\u00dcbergang physikalisch-chemischer Energie in latente Energie stets von gewissen subjektiven Erscheinungen unseres Bewufstseins begleitet, in dem ersten Falle in Gestalt unklarer Allgemeingef\u00fchle, die in ihrer Gesamtheit schliefslich den sog, allgemeinen Gef\u00fchlstonus oder die Gem\u00fctsstimmung ergeben, im zweiten Falle in Gestalt lokalisierter Empfindungen, deren Qualit\u00e4t je nach dem ausl\u00f6senden Sinnesorgan wechselt. Dafs B. hier Beizen, welche Leistungen des Organismus im Gefolge haben und nach physiologischen Gesetzen dissimilierend wirken m\u00fcfsten, assimilatorische, d. h. energieanh\u00e4ufende Funktionen zuschreibt, d\u00fcrfte im Widerspruch mit den bestbegr\u00fcndeten Errungenschaften der modernen biologisch-physikalischen Wissenschaft stehen (Gesetz von der Erhaltung der Energie).\nIndessen nicht nur bei der Ausl\u00f6sung psychischer Vorg\u00e4nge und der Bewufstseinserscheinungen tritt die oben definierte \u201elatente Energie\u201c in Wirksamkeit; vielmehr bet\u00e4tigt sie sich als urs\u00e4chliches Prinzip bei den \u00c4ufserungen aller spezifischen Lebensfunktionen des Organismus. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint also das Problem des Lebens als identisch mit dem des Bewufstseins und der psychischen Ph\u00e4nomene und B. ist konsequenterweise geneigt, allen Organismen, auch den niedersten, mit der Eigenschaft des Lebens auch psychische und Bewufstseins-Qualit\u00e4ten zuzuerkennen.\nUnter diesen Gesichtspunkten erfahren nach B. auch manche offene Fragen der Deszendenztheorie eine kl\u00e4rende Beleuchtung, vor allem die Fragen nach der Anpassungsf\u00e4higkeit und der zweckm\u00e4fsigen Entwicklung der Organismen. In diesen F\u00e4llen glaubt B. die Ansicht begr\u00fcnden zu k\u00f6nnen, dafs wir es hier mit einer bestimmten aktiven Bet\u00e4tigung der Organismen zu tun haben und dafs diese Aktivit\u00e4t in der latenten Energie der betreffenden Gesch\u00f6pfe begr\u00fcndet ist. Bei dem Vorg\u00e4nge der Anpassung an die Bedingungen der Aufsenwelt trete also die latente Energie des Organismus bezw. die Grundlage seiner Psyche und seiner spezifisch lebendigen Qualit\u00e4ten als aktives Prinzip in Wirksamkeit. Gleich jeder anderen Energie bildet die latente Energie der Organismen jene aktive Kraft, welche unter entsprechenden Bedingungen die einen oder anderen Modifikationen bezw. Metamorphosen der Organisation lebendiger Wesen hervorruft in \u00e4hnlicher Weise, wfie andere Energien entsprechende Ver\u00e4nderungen an den umgebenden Naturk\u00f6rpern in Szene setzen.\nBei den anschliefsenden Er\u00f6rterungen \u00fcber das Wesen der hier eingef\u00fchrten \u201elatenten Energie\u201c der lebenden Organismen nimmt naturgem\u00e4fs die Physiologie des Nervensystems und die Elektrophysiologie das Hauptinteresse in Anspruch. B. bekennt sich hier zu der Ansicht, dafs die latente Energie sich in Gestalt elektrochemischer Ver\u00e4nderungen in den Zentren und im Nervensystem \u00fcberhaupt \u00e4ufsert und dafs sie neben der in unseren Zentren sich abspielenden Vorg\u00e4ngen gleichzeitig Anlafs gibt zum Auftreten subjektiver Zust\u00e4nde, die man als Seelenerscheinungen f\u00fcr gew\u00f6hnlich bezeichnet.\nAbsehliefsend gibt dann B. der Ansicht Ausdruck, welche sich als notwendige Folge obiger Er\u00f6rterungen ergibt, dafs sich unter den gegebenen Gesichtspunkten, die sonst gesondert behandelten Probleme der Philosophie","page":425},{"file":"p0426.txt","language":"de","ocr_de":"426\nLitera turberich t.\nund Naturwissenschaft: das des Lebens, das des Bewufstsein, die Frage nach der Natur von Kraft und Stoff zu einem umfassenden Problem verschmelzen, n\u00e4mlich dem nach dem Wesen jener hypothetischen Einheitsenergie oder, wie sie von B. genannt wird, des einheitlichen aktiven Prinzips\u201c.\nOb man den hier referierten Spekulationen Bechterews Anregung entnehmen kann, ihnen Fruchtbarkeit und Berechtigung zuerkennen will, bleibt nat\u00fcrlich der Kritik des einzelnen \u00fcberlassen; ein Urteil in dieser Richtung wird er sich naturgem\u00e4fs erst bilden k\u00f6nnen, wenn er die Begr\u00fcndungen der oben kurz inhaltlich wdedergegebenen Schl\u00fcsse des Autors im einzelnen zur Kenntnis genommen und ihrem Werte nach abgesch\u00e4tzt hat. Ref. kann jedenfalls derartigen, recht phantastischen Gedankengeb\u00e4uden keine besondere wissenschaftliche Bedeutung zuerkennen, denn er ist der Ansicht, dafs die Aufforderung, solche Thesen zu acceptieren, sich ausschliefslich an den guten Willen, nicht an die Kritik und eine \u00dcberzeugung wendet, welche auf dem Zwang der Beweise beruht.\nH. Piper (Berlin).\nR. MacDougall. The Relation of Auditory Rhythm to Servons Discharge. Psychol. Pevieiu 9 (5), 460\u2014480. 1902.\nDie elementaren Bedingungen des Erlebnisses, das wir Rhythmus nennen, sind die folgenden: 1. Die subjektive Betonung ist nicht notwendigerweise verbunden mit einer besonderen Art objektiver Hervorhebung, sondern kann ohne diese zu st\u00e4nde kommen. Die subjektive Betonung mufs daher eine T\u00e4tigkeit sein, die von den objektiven Faktoren nur (gew\u00f6hnlich) veranlafst wTird, aber doch von ihnen unabh\u00e4ngig ist. 2. Das Schema einer Rhythmusgruppe in ihren Dauer- und Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnissen gibt nur die formalen Bedingungen f\u00fcr die Erscheinung des subjektiven Rhythmus. Zur Verwirklichung des Rhythmus ist die Wiederholung einer solchen Gruppe notwendig. 3. Subjektiver Rhythmus unterliegt gewissen Grenzen der Geschwindigkeit der Aufeinanderfolge.\nRhythmus ist stets ein Produkt des ihn erlebenden Subjekts. Die eigentlichen Bedingungen dieses Erlebnisses m\u00fcssen daher in den Gesetzen der periodischen Funktion des Organismus aufgesucht werden. Rhythmus ist angenehm nicht wegen der Proportionen oder der Einfachheit der objektiven Beziehungen, sondern wegen des Zusammenfallens subjektiver und objektiver Vorg\u00e4nge. Die fraglichen subjektiven Vorg\u00e4nge sind: funktionelle Erleichterung der perzeptiven Prozesse und Reflexbewegungen, die ihrerseits wieder Bewegungsempfindungen hervorrufen. Relative Unt\u00e4tigkeit der h\u00f6heren Gehirnzentren beg\u00fcnstigt diese subjektiven Vorg\u00e4nge. Zur Illustration dieser Tatsache weist Verf. unter anderem auf die verschiedene Wichtigkeit des Rhythmus und der sonstigen Elemente der Musik hin bei mehr oder weniger musikalischen Personen. Poesie ist die irrationale Vereinigung zweier Prozesse, die zur vollen Entwicklung nur durch gegenseitige Unabh\u00e4ngigkeit gelangen k\u00f6nnen: rationellen Denkens und einer unendlichen Wiederholung \u00e4hnlicher Elemente.\nMax Meyer (Columbia, Missouri).","page":426}],"identifier":"lit33269","issued":"1903","language":"de","pages":"424-426","startpages":"424","title":"W. v. Bechterew: Die Energie des lebenden Organismus und ihre psychobiologische Bedeutung. Grenzfragen des Nerven- u. Seelenlebens (16). Wiesbaden, Bergmann, 1902. 132 S.","type":"Journal Article","volume":"32"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:34:16.510593+00:00"}