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{"created":"2022-01-31T16:35:56.217021+00:00","id":"lit33271","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Piper, H.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 32: 427-428","fulltext":[{"file":"p0427.txt","language":"de","ocr_de":"Li fera turbei i ch t.\n427\nCh. F\u00e9r\u00e9. Sensation et mouvement, \u00e9tude experimentale psycho-m\u00e9canique.\n2. Aufi. Paris, Alcan, 1900. 176 S.\nDer Verf. sucht die Abh\u00e4ngigkeitsbeziehungen, welche zwischen Reiz, Empfindung und deren psychischen Folgevorg\u00e4ngen einerseits und sogenannten \u201ewillk\u00fcrlichen\u201c und \u201eunwillk\u00fcrlichen\u201c motorischen Leistungen der Muskeln andererseits bestehen, durch messende Untersuchungen zu erschliefsen und kommt auf Grund seiner Resultate zu weitgehenden philosophisch - spekulativen Schl\u00fcssen.\nDie tats\u00e4chlichen Feststellungen ergaben in erster Linie, dafs mit jeder psychischen Erregung (Reiz) eine Ver\u00e4nderung der gesamten Muskulatur parallel geht; und zwar vollzieht sich dieselbe v\u00f6llig unabh\u00e4ngig vom Bewufstsein und Willen. Durch jeden psychischen Vorgang, durch Willensanstrengung, Aufmerksamkeit etc. wird die Energie auch solcher Muskeln modifiziert, welche bei der beabsichtigten Leistung nicht direkt in Betracht kommen: es wird also stets das ganze Individuum in Aktion gesetzt. Zweifellos sind bei Erregung der Psyche durch bestimmte sensible oder sensorische Reize auch bestimmte Muskeln bez\u00fcglich der Tonuserh\u00f6hung bevorzugt, doch erstreckt sich der Einflufs des Reizes auf alle, sogar bis auf die glatten Muskeln.\nF\u00e9r\u00e9 gewann diese Ergebnisse durch Messungen am Dynamometer, wobei gew\u00f6hnlich die Energie der Fingerbeuger als Indikator f\u00fcr allgemeine Tonusver\u00e4nderungen benutzt wurde. Es zeigte sich dabei, dafs mit fast allen akustischen, optischen und sensiblen Reizen und mit der Ausl\u00f6sung von Geschmacks- und Geruchsempfindungen eine dynamometrisch bestimmbare Ver\u00e4nderung der Arbeitsf\u00e4higkeit der gepr\u00fcften Muskeln verkn\u00fcpft ist. Dabei erweisen sich bestimmte Reize von besonders m\u00e4chtiger tonisierender Wirksamkeit, z. B. rotes Licht, T\u00f6ne von grofser Intensit\u00e4t und gewisser, individuell variabler H\u00f6he und Klangfarbe, ferner salziger Geschmack, Tabak etc., weniger Zuckergeschmack und in absteigender Folge gelbes, gr\u00fcnes, blaues und violettes Licht etc. Ein spezielles, aus dem t\u00e4glichen Leben bekanntes Beispiel f\u00fcr die unabh\u00e4ngig vom Willen, also automatisch sich vollziehenden motorischen Folgen psychischer Vorg\u00e4nge sind das Mienenspiel und die Gestikulationen; f\u00fcr beide wie \u00fcberhaupt allgemein gilt der Satz, dafs die Intensit\u00e4t der motorischen Energie abh\u00e4ngig ist von der Intensit\u00e4t ihres psychischen Korrelates.\nAuch auf die glatte Muskulatur erstreckt sich der Einflufs sensibler Reize und aller m\u00f6glichen psychischen Vorg\u00e4nge: der Tonus der Darmmuskulatur wird durch gewisse derartige Ursachen erh\u00f6ht. Ferner zeigt F\u00e9r\u00e9 in spezieller Ausf\u00fchrung, dafs mit jeder psychischen Erregung der Mutter Kontraktionen der Muskulatur des graviden Uterus parallel gehen, welche ihrerseits die Ursache f\u00fcr Bewegungen des F\u00f6tus abgeben und durch diese sozusagen registriert werden k\u00f6nnen.\nLustgef\u00fchl erregende Reize steigern, Unlust erzeugende vermindern die Energie der Muskelkontraktionen, wie die Dynamometrie zeigt. Da jeder Affekt, jeder psychische Vorgang ein motorisches \u00c4quivalent speziell in der mimischen Muskulatur, aber auch in allen anderen Muskeln hat, so ist auch das \u201eGedankenlesen\u201c m\u00f6glich und erkl\u00e4rlich; es ist nicht n\u00f6tig,","page":427},{"file":"p0428.txt","language":"de","ocr_de":"428\nLiteraturbericht.\ndafs das motorische Korrelat der Sprache der Erregung folgt und das Verst\u00e4ndnis vermittelt.\nAufser der dynamometrisch nachweisbaren Tonusver\u00e4nderung der Muskulatur gehen noch andere objektiv zu beobachtende Symptome mit jedem psychischen Procefs parallel: vor allem eine plethysmographisch registrierbare Zunahme des Blutreichtums der Extremit\u00e4ten, welche nat\u00fcrlich auf Gef\u00e4fserweiterung beruht, und ferner eine auffallende Steigerung der Sensibilit\u00e4t.\nF\u00e9r\u00e9 weist weiter mit Nachdruck darauf hin, dafs auch die Umkehrung der angef\u00fchrten S\u00e4tze Geltung zu beanspruchen hat: jede motorische Leistung \u00fcbt, wie irgend ein sensorischer Reiz, einen erheblichen Einflufs auf die psychische T\u00e4tigkeit aus. Er erinnert daran, dafs Gestikulationen, Zungenbewegungen, Umhergehen im Zimmer etc., die Geburt von Ideen, das Werden folgerichtiger Schl\u00fcsse und auch das Finden der treffenden Bezeichnungen und Begriffe eminent f\u00f6rdert.\nBeachtet man alle diese Wechselbeziehungen zwischen Energie motorischer Leistungen und der Energie der psychischen Vorg\u00e4nge und nimmt hinzu, dafs auch die Erinnerungsbilder mit den unmittelbaren Reizen hinsichtlich ihres Einflusses auf das Werden einer Handlung eine weitgehende Analogie erkennen lassen, d. h. dafs die aus fr\u00fcheren Erregungen im \u201eGed\u00e4chtnis\u201c auf gestapelte potentielle Energie einerseits wie ein . Reiz unter gegebenen Bedingungen motorische Leistungen hervorrufen kann, andererseits durch ein aus neuen Reizen oder Muskelbewegungen resultierendes Plus an Energie aktiviert werden kann, \u2014 zieht man dieses alles in Betracht, so kann man mit F\u00e9r\u00e9 zu folgenden Schl\u00fcssen kommen : Alle Sensationen sind mit Entwicklung dynamischer Energie verkn\u00fcpft; das Dynamometer gibt sozusagen ein Mais f\u00fcr die Intensit\u00e4t der betreffenden psychischen Vorg\u00e4nge. Jede motorische Leistung, eine Handlung, ist nichts weiter als die nach den Gesetzen der Kausalit\u00e4t sich ergebende Folge voraufgegangener Sensationen oder Bewegungen. Ein freier Wille existiert nicht; Wille ist Handlung. Wie jede Bewegung durch psychische Vorg\u00e4nge, so ist umgekehrt jeder psychische Vorgang durch Bewegung im weitesten Sinne (Reiz) kausal bedingt. Erinnerung ist von fr\u00fcheren Reizen oder Bewegungen haften gebliebene potentielle Energie; sie kann durch geeigneten Zuschufs an Energie aktiviert wrerden. Alle Affekte treten als Folgen von Bewegungen oder Reizen auf und sind kausal durch diese bedingt; sie sind mechanisch sich einstellende Folgen von Energie steigernden oder herabdr\u00fcckenden Reizen (Lust, Unlust).\nUm diese mechanistische Auffassung der geistigen Vorg\u00e4nge als richtig und notwendig zu beweisen, hat F\u00e9r\u00e9 aufser sehr zahlreichen Messungen an Gesunden eine grofse Reihe von Untersuchungen an psychopathischen Individuen (Hysterischen, Paralytischen etc.) angestellt. Die Ergebnisse sind, wie F. zeigt, ganz besonders geeignet, die Richtigkeit der obigen S\u00e4tze zu illustrieren, da hier bei der oft sehr auff\u00e4lligen Alteration der Willenst\u00e4tigkeit, der Motilit\u00e4t, der Sensibilit\u00e4t, des Ged\u00e4chtnisses und des Trieblebens viele der besprochenen Erscheinungen in der eigent\u00fcmlichen Sch\u00e4rfe einer Karrikatur zum Ausdruck kommen. H. Piper (Berlin).","page":428}],"identifier":"lit33271","issued":"1903","language":"de","pages":"427-428","startpages":"427","title":"Ch. F\u00e9r\u00e9: Sensation et mouvement, \u00e9tude experimentale psycho-m\u00e9canique. 2. Aufl. Paris, Alcan, 1900. 176 S.","type":"Journal Article","volume":"32"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:35:56.217026+00:00"}