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{"created":"2022-01-31T14:08:59.165843+00:00","id":"lit3329","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Kraepelin, Emil","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 2: 128-160","fulltext":[{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\nVon\nDr. Emil Kraepelin.\nDie eigent\u00fcmliche Trennung unserer gesammten Erfahrung in eine \u00e4u\u00dfere und eine innere bringt es mit sich, dass uns hei der Analyse \u00e4sthetischer Wirkungen zwei g\u00e4nzlich verschiedene und dennoch in \u00e4u\u00dferst nahen Beziehungen gehende Richtungen der Forschung gegeben sind. Je nachdem wir n\u00e4mlich das \u00e4sthetische Object selbst, wie es in der Au\u00dfenwelt vorliegt, oder aber die Wirkung ins Auge fassen, welche dasselbe in unserem Bewusstsein hervorbringt, werden wir im ersteren Falle bem\u00fcht sein m\u00fcssen, aus den Eigenschaften der Dinge und Vorg\u00e4nge au\u00dfer uns die Begriffsbestimmungen zu gewinnen , w\u00e4hrend wir im letzteren Falle auf uns selbst zur\u00fcckgewiesen und zu einer psychologischen Betrachtungsweise des Gegenstandes gedr\u00e4ngt werden. Wie mix scheint, muss das Betreten des zweiten Weges, der uns in unser eigenesjhmere hineinf\u00fchrt, als die unumg\u00e4ngliche Vorbedingung f\u00fcr ein fruchtbares Studium jener objectiven Verh\u00e4ltnisse angesehen werden, aus deren besonderen Eigenth\u00fcmlich-keiten wir die \u00e4sthetischen Wirkungen hervorgehen sehen. Wo wir es mit der Untersuchung physikalischer Vorg\u00e4nge, der W\u00e4rme, der Elektricit\u00e4t u. s. w. zu thun haben, besitzen wir Methoden, welche die geschehenden Ver\u00e4nderungen ohne das Dazwischentreten eines menschlichen Bewusstseins registriren ; sie dauern fort, auch wenn sie niemals von einem denkenden Subjecte aufgefasst werden. Das Aesthetische indessen findet sich nirgends als solches, sondern immer nur in der Anschauung des Menschen ; es w\u00fcrde nie existirt haben,","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n129\nwenn sich nicht Bilder oder Vorg\u00e4nge der Au\u00dfenwelt in dem Bewusstsein eines lebenden Wesens wiedergespiegelt h\u00e4tten. Wenn wir somit hei dem Studium physikalischer Erscheinungen immerfort bem\u00fcht sind, uns von dem tr\u00fcgerischen Hilfsmittel der unmittelbaren psychischen Auffassung durch die Ausbildung sog. objectiver Untersuchungsmethoden so viel wie m\u00f6glich unabh\u00e4ngig zu machen, harrt der \u00e4sthetischen Forschung in allererster Linie die wichtige Aufgabe, die \u00e4sthetischen Bewusstseinswirkungen selbst einer genauen Analyse zu unterziehen, in denen wir das sicherste \u2014 weil einzige \u2014 Kriterium f\u00fcr die Begriffsbestimmung des Aesthetischen \u00fcberhaupt besitzen. Erst auf Grund einer derartigen Untersuchung und unter steter Anwendung der so gewonnenen Definitionen wird es dann m\u00f6glich sein, auch die objectiven Bedingungen festzustellen , aus denen jene Wirkungen mit Nothwendigkeit hervorgehen.\nEin \u00e4u\u00dferst lehrreiches Beispiel f\u00fcr die g\u00e4nzliche Verschiedenheit der Resultate, zu denen die beiden auseinandergehenden Wege der \u00e4sthetischen Untersuchung f\u00fchren, ist die Theorie des Komischen. Wenn ein ernster Mann, der niemals die Regungen des Komischen in sich empfunden, es heute unternehmen w\u00fcrde, sich aus den Lehrb\u00fcchern der Aesthetik \u00fcber das Wesen jener, der eigenen Erfahrung fremd gebliebenen \u00e4sthetischen Wirkungen zu unterrichten, so ist unschwer vorauszusagen, dass er am Schl\u00fcsse seiner Bem\u00fchungen verzweifelnd auf dieses Gebiet der Erkenntniss resigniren m\u00fcsste, wenn nicht etwa der unendliche Widerspruch der Meinungen, sowie der Contrast zwischen aufgewandter M\u00fche und erreichtem Resultate zum ersten Male seinem eigenen Innern die unmittelbare Wahrnehmung der theoretisch vergeblich studirten Bewusstseinszust\u00e4nde vermittelte. Er w\u00fcrde auf der einen Seite lesen, dass das Komische die Erscheinung des endlichen Geistes in seinem Ansichsein ist, dass sich im Komischen die endliche Subjectivit\u00e4t der absoluten Substanz bem\u00e4chtigt , die im H\u00e4sslichen gegenw\u00e4rtig ist, dass es den Gegensatz darstellt zwischen dem Wirklichen im menschlichen Leben und Allem, was wir als die innere geistige Wurzel desselben betrachten, w\u00e4hrend ihm dieselbe Erscheinung unter anderem Gesichtspunkte als eine gespannte Erwartung, die sich in Nichts aufl\u00f6st, oder als eine inter-mittirende, rhythmisch unterbrochene, freudige Gef\u00fchlserregung de-finirt wird.\nWundt, Philos. Stadien. II.\n9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nEmil Kraepelin.\nSchwerlich w\u00fcrde irgend Jemand angesichts dieser Verschiedenheit der Resultate von vornherein auf die Vermuthung kommen, dass dieselben sich auf ein und dasselbe Object beziehen sollen. In der That erkl\u00e4ren sich aber die Differenzen sehr ungezwungen aus der Verschiedenheit des Weges, den die einzelnen Forscher bei ihren Untersuchungen einschlagen zu m\u00fcssen glaubten. Allein auch dann, wenn wir aus den angef\u00fchrten Gr\u00fcnden zun\u00e4chst die Versuche einer objectiven Begriffsbestimmung des Komischen bei Seite lassen und uns rein auf den Boden der psychologischen Analyse stellen, ergibt sich selbst auf diesem beschr\u00e4nkteren Gebiete eine so merkw\u00fcrdige Divergenz der Ansichten, dass wir ohne weiteres zu der Vermuthung gedr\u00e4ngt werden, es m\u00fcsse sich hier um einen Gegenstand handeln , der je nach dem Standpunkte des Betrachters verschiedene Seiten darbietet, \u00e4hnlich wie wir etwa eine Theaterculisse bald als Geb\u00fcsch, bald als Leinwandfl\u00e4che, bald als schmale Wand auffassen k\u00f6nnen. In der That wird sich gerade bei der Beurtheilung psychischer Zust\u00e4nde eine derartige Verschiedenheit der Anschauungen besonders leicht entwickeln k\u00f6nnen. Hier haben wir es ja mit Wirkungen zu thun, die je nach dem Gebiete des Seelenlebens, auf dem sie sich ab spielen, g\u00e4nzlich differente Formen annehmen. Wer daher die Erscheinungen im Bereiche des Vorstellens ausschlie\u00dflich ber\u00fccksichtigt, muss nothwendig zu anderen Resultaten kommen, als Jener, dem die Ver\u00e4nderungen der Gef\u00fchle oder der Willensimpulse vor allem beachtenswerth erscheinen. Andererseits aher liegt es in dem innigen Zusammenh\u00e4nge aller psychischen Vorg\u00e4nge begr\u00fcndet, dass die Ver\u00e4nderung auf einem Gebiete derselben von ma\u00dfgebendem Einfl\u00fcsse auf den Ablauf aller \u00fcbrigen Functionen werden kann. Ja, es ist sogar als die Regel anzusehen, dass eine Vorstellung gleichzeitig auch Gef\u00fchle erweckt, dass sie fr\u00fcher oder sp\u00e4ter auch f\u00fcr das Handeln des Subjectes Bedeutung gewinnt, und umgekehrt. Die psychologische Analyse des Komischen wird daher auf alle Gebiete des Seelenlebens gleichm\u00e4\u00dfig sich zu erstrecken haben, um aus der Combination der hier sich ergebenden einzelnen Elemente ein richtiges und allseitiges Bild von dem Wesen der verwickelten Gesammtwirkung zu ge-\nwinnen.","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n131\n.1\nDie n\u00e4chste Frage, welche sich hier zur Beantwortung aufdr\u00e4ngt, ist die, oh schon in der reinen sinnlichen Erfahrung als solcher die Bedingungen der komischen Wirkung realisirt sein k\u00f6nnen. Es w\u00e4re ja m\u00f6glich, dass der einzelne Sinneseindruck, wie die Klangfarbe eines Tones, wie die besondere Gef\u00fchlsqualit\u00e4t eines bestimmten Geschmackes oder Geruches auch unter gewissen Umst\u00e4nden schon die Elemente des Komischen in sich enthalte. Die Erfahrung spricht mit aller Entschiedenheit gegen diese Annahme. Es gibt keinen einfachen Ton, keine Farbe, keine Ber\u00fchrung, die an sich selbst komisch zu wirken im st\u00e4nde w\u00e4ren. Aber auch eine Combination einfacher sinnlicher Eindr\u00fccke gen\u00fcgt noch nicht, um jenen Effect hervorzurufen . Eine Dissonanz, eine Zusammenstellung verschiedener Farben kann wohl unangenehme oder angenehme Gef\u00fchlst\u00f6ne in uns erwecken, aber der charakteristische Bewusstseinszustand des Komischen entsteht erst dann, wenn wir jene Eindr\u00fccke zu irgend welchen Vorstellungen in Beziehung setzen, welche wir uns im Laufe der individuellen Erfahrung gesammelt haben. Sobald wir mit dem Anblick einer buntscheckigen Fl\u00e4che , die auf uns zun\u00e4chst nur den Eindruck des Unruhigen macht, die Idee verbinden , dass dieselbe als Bekleidungsgegenstand verwendet werden solle, mit anderen Worten, wenn wir etwa eine Farbenzusammenstellung auf einem St\u00fccke Zeug, auf einem Kleide wahmehmen, kann der komische Effect hervortreten. Ebenso wirkt eine Reihenfolge von T\u00f6nen, die eine theilweise Aehn-lichkeit mit einer uns bekannten Melodie besitzt, dann komisch, wenn wir dieselbe als \u00bbfalsch\u00ab auffassen und sie somit in eine gegens\u00e4tzliche Verbindung mit dem Erinnerungshilde des \u00bbRichtigen\u00ab bringen.\nDie Analyse der rein sinnlichen Auffassung der Au\u00dfenwelt vermag also nicht, uns einen Beitrag zum Verst\u00e4ndnisse der komischen Wirkungen zu liefern, sondern wir m\u00fcssen uns von hier aus einem anderen Gebiete des Seelenlebens zuwenden-, demVerlaufe und der Verbindung der Vorstellungen. Eine alte Definition des Witzes bezeichnet denselben als die Fertigkeit zur Auffindung von Aehnlichkeiten an Un\u00e4hnlichem. Allein diese Begriffsbestimmung ist\n9*","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nEmil Kraepelin.\noffenbar viel zu weit. Tagt\u00e4glich finden wir in gro\u00dfer Zahl Aehnlich-keiten an Un\u00e4hnlichem heraus, ohne dass doch das Product witzig oder komisch erschiene, ja die gro\u00dfe Mehrzahl unserer \u00bbpoetischen\u00ab Vergleiche w\u00fcrde man ohne weiteres unter jene Definition subsumi-ren k\u00f6nnen. Aber auch die gew\u00f6hnliche Verkehrssprache ist reich an derartigen Vorstellungs verbin d\u00fcngen ; beruht doch der Vorgang der Association in weitestem Umfange auf der theilweisen Aehnlichkeit verschiedenartiger psychischer Gebilde. Die Analogie gewisser Ge-meingefiihle l\u00e4sst uns von \u00bbgl\u00fchender Liebe\u00ab, von einer \u00bbscharfen Zunge\u00ab sprechen, ohne dass diese Vergleiche komisch wirkten, obgleich sie g\u00e4nzlich un\u00e4hnliche Dinge, den Affect der Liebe und die W\u00e4rme des Feuers, die unangenehme Wirkung der Kritik und den sinnlichen Schmerz des Schneidens, unter einem bestimmten Gesichtspunkte zusammenfassen. Die Situation \u00e4ndert sich jedoch sofort, sobald wir von der Nothwendigkeit eines Futterals f\u00fcr die scharfe Zunge oder von der Gefahr des Verbrennens sprechen, welche die gl\u00fchende Liebe f\u00fcr die Kleider mit sich bringt. Hier ist es nicht mehr bei einem einfachen Vergleiche geblieben, nicht bei dem Auffinden von Aehn-lichkeiten, sondern diese Aehnlichkeiten sind benutzt, um die beiden disparaten Vorstellungen in eine innige Verbindung mit einander zu bringen. An Stelle der entfernten Analogie ist eine theilweise Gleichheit substituirt worden, indem wir ohne weiteres gewisse Eigenschaften des einen Dinges auf das Andere \u00fcbertragen. Das neue Element, welches hier hinzutritt, um den einfachen Vergleich zu einem komischen zu machen, ist der intellectuelle Contrast. Nur von diesem wird in Folgendem die Rede sein, da der einfache sinnliche Contrast, wie wir gesehen haben, zu den komischen Wirkungen in keiner Beziehung steht.\nDie blo\u00dfe Zusammenstellung disparater Vorstellungen gen\u00fcgt noch nicht, um ihre Verschiedenheit uns in greller Weise aufzudr\u00e4ngen ; erst der nothwendig missgl\u00fcckende Versuch einer begrifflichen Vereinigung derselben und der so entstehende Widerstreit zwischen den zusammenfallenden und den differirenden Elementen , bringt in uns das Gef\u00fchl des Contrastes hervor. Ganz un\u00e4hnliche Vorstellungen, etwa diejenigen einerFarbe und einerTonh\u00f6he, eines Geruchs und eines Zeitintervalles erzeugen dasselbe ebensowenig, wie ganz \u00e4hnliche, z. B. diejenigen einer Hose und einer Nelke.","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n133\nIm ersteren Falle fehlt jede M\u00f6glichkeit einer begrifflichen Vereinigung, welche erst die Differenzen scharf hervortreten l\u00e4sst, im letzteren fehlen eben die Differenzen selber; die Vereinigung geht ohne Schwierigkeiten von statten.\nIn diesem intellectuellen Contraste liegt nun ein wesentliches Element der komischen Wirkung. Jean Paul bezeichnet den Witz \u00e4u\u00dferst treffend als den \u00bbverkleideten Priester, der jedes Paar copu-lirt\u00ab. Die Copulation ist nothwendig, damit der Contrast hervortrete, aber sie kann und darf nur eine scheinbare, durch den \u00bbverkleideten\u00ab Priester vollzogene sein, weil das heterogene Paar einer wirklichen Ehe nicht f\u00e4hig ist. Vischer f\u00fcgt daher jener Definition noch die n\u00e4here Bestimmung hinzu, dass dieser Priester mit Vorliebe solche Paare copulirt, deren Vereinigung die Anverwandten nicht wollen. In witziger Form ist damit die gegens\u00e4tzliche Stellung der beiden hier in Beziehung gebrachten Vorstellungsgruppen gekennzeichnet. Ohne Contrast ist eine komische Wirkung unm\u00f6glich. Die Leichtigkeit, mit der sich im einzelnen Falle das Gef\u00fchl, des Contrastes zwischen zwei Vorstellungen herausbildet, wird haupts\u00e4chlich von der Promptheit abh\u00e4ngig sein, mit welcher der Versuch einer Copulation derselben ins Werk gesetzt wird. So kann ein Contrast unter Umst\u00e4nden in einem bestimmten Zusammenh\u00e4nge zu st\u00e4nde kommen, der eine gewisse N\u00f6thigung zur Verbindung der disparaten Elemente in sich schlie\u00dft, w\u00e4hrend dieselben in anderer Umgebung ohne Collision neben einander stehen bleiben. Wenn wir die beiden Adjectiva \u00bbtugendhaft\u00ab, \u00bbrund\u00ab unvermittelt neben einander stellen, etwa in irgend einer Aufz\u00e4hlung, so macht diese Zusammenstellung auf unser Bewusstsein keinerlei besonderen Eindruck. Der Contrast zwischen beiden Eigenschaften tritt aber sofort grell hervor, wenn wir hei der Schilderung eines verstorbenen Freundes unter Anderem erw\u00e4hnen : \u00bbEr war tugendhaft und rund\u00ab. Die innige Verbindung, in welche die beiden Vorstellungen durch nachbarliche begriffliche Beziehung auf ein gemeinsames Object getreten sind, bringt uns zugleich ihre inhaltliche Unvereinbarkeit in der aufdringlichsten Weise zum Bewusstsein. Man sieht leicht, dass auch individuellen Differenzen hier eine gewisse Rolle zukommen muss. Wer \u00fcber eine leicht bewegliche Phantasie verf\u00fcgt und dadurch in den Stand gesetzt ist, ohne Schwierigkeit rasche Verbindungen zwischen disparaten Vorstellungen zu","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134\nEmil Kraepelin.\nvollziehen, wird nicht nur in der Lage sein, durch das freie Spiel seiner Combinationsgabe in gr\u00f6\u00dferer Anzahl komische Contraste zu erzeugen, sondern er wird auch eine h\u00f6here Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr jene Contraste besitzen, welche ihm seine zuf\u00e4llige Umgebung jederzeit darbietet. Diese Ueberlegung wird durch die Erfahrung vollkommen best\u00e4tigt. Wir wissen, dass es Mensohen gibt, namentlich solche mit lebhafter Phantasie, die jene Anlage in hohem Grade darbieten, w\u00e4hrend Anderen der volle, ausgiebige Genuss des Komischen durch die Schwerf\u00e4lligkeit der Vorstellungsverbindungen und den Mangel an frischer Lebendigkeit der Erinnerungsbilder verk\u00fcmmert wird. Gerade auf der F\u00e4higkeit zu unmittelbarer Erfassung der kleinen komischen Gegens\u00e4tze im Allt\u00e4glichen und zu lebenswarmer Reproduction derselben beruht ja das gro\u00dfe Geheimniss des humoristischen Talentes in der poetischen und malerischen Gestaltungskunst.\nDie elementarsten Formen des intellectuellen Contrastes sind offenbar dort realisirt, wo irgend ein einfacher \u00e4u\u00dferer Eindruck sich theilweise unseren fr\u00fcheren Erfahrungen unterordnet, theilweise jedoch in entschiedenen und zugleich von uns scharf aufgefassten Gegensatz zu denselben tritt. Wir bezeichnen diese Gattung der komischen Wirkungen als Anschauungskomik, weil die reine sinnliche Anschauung hier ohne weitere intellectuelle Verarbeitung unmittelbar mit Bestandtheilen unseres Vorstellungsschatzes contra-stirt. Um so h\u00e4ufiger wird dieser Fall eintreten, je geringer einerseits der Umkreis unserer Erfahrungen ist und je leichter wir andererseits durch rasche Combination disparater Vorstellungen die Vorbedingungen des intellectuellen Contrastes herzustellen verm\u00f6gen. So kommt es, dass der kindlichen Erfahrung alles Neue, Ungewohnte sehr leicht, wenn nicht die Furcht \u00fcberwiegt, komisch erscheint, z. B. der Papa in einem neuen Anzuge, eine Dame in Balltoilette, eine Puppe mit wirklichen Locken, ein Papagei u. s. w. Der Bauer lacht \u00fcber den Neger, den er zum ersten Male sieht ; er lacht \u00fcber den Kunstreiter und die Ballerina, Anblicke, an die wir uns l\u00e4ngst gew\u00f6hnt haben. Beim Erwachsenen und Gebildeten schrumpft nat\u00fcrlich mit der Erweiterung der Lebenserfahrung, der Ausbildung allgemeiner Begriffe, die auch Neues und Ungewohntes widerspruchslos in sich aufnehmen, der Kreis dieser unmittelbaren komischen Wirkungen sehr erheblich zusammen. Nur wenige Vorstellungen, insbesondere diejenigen un-","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n135\nserer menschlichen, uns pers\u00f6nlich bekannten Umgehung, bleiben concret genug, um die Wahrnehmung kleiner Abweichungen von dem festgewordenen typischen Bilde im Sinne des komischen Contrastes auf uns wirken zu lassen. So k\u00f6nnen auch wir uns bisweilen eines leisen Gef\u00fchles der Komik nicht erwehren, wenn wir einem Freunde mit ver\u00e4nderter Haarfrisur, abrasirtemBarte oder zum ersten Male in der feierlichen Kopfbedeckung des Cylinders begegnen.\nDer allgemeine Grundzug aller jener komischen Wirkungen, die wir als Anschauungskomik zusammenfassen, ist die Entdeckung eines Missverh\u00e4ltnisses zwischen dem Angeschauten und dem Bilde in unserem Inneren, mit dem wir dasselbe vergleichen. Ein ganz kleiner Stuhl, der vor einem hohen Tische steht, ein winziges Haus zwischen zwei gro\u00dfen Kasernen, ein kleiner dicker Mann mit einer langen, hageren Frau und umgekehrt \u2014 alle diese Anblicke erregen in uns komische Contrastgef\u00fchle, sobald wir sie an den Vorstellungen messen, die wir \u00fcber die Harmonie jener Dinge mit einander in uns tragen. Nicht die absoluten Gr\u00f6\u00dfenverh\u00e4ltnisse, ein kleiner Baum neben einem gro\u00dfen, eine winzige Schraube neben einem umfangreichen Apparate, sind es, welche auf uns wirken, sondern das Missverh\u00e4ltnis, welches aus der Beziehung der beiden angeschauten Dinge zu einander und zu unserer berichtigenden Erfahrung herausspringt. Steht jener Stuhl auf dem Tische, in einer Puppenstube, gehen jener Mann und jene Frau nach einander an uns vor\u00fcber, so beachten wir den Gegensatz gar nicht ; er tritt aber sogleich hervor, wenn der Stuhl als zugeh\u00f6rig zu dem Tische, wenn die beiden Figuren als Ehepaar vereinigt, wenn die Schraube als unzul\u00e4ngliches Bindemittel der m\u00e4chtigen Maschinentheile aufgefasst werden.\nEine sehr ergiebige Quelle der Anschauungskomik bilden f\u00fcr das unerzogene Gem\u00fcth die mannigfachen Missbildungen und Verkr\u00fcppelungen der menschlichen Gestalt, die ja in grellen Contrast zu den normalen Formen treten und deshalb der Jugend und der Rohheit so h\u00e4ufig zur komischen Erheiterung dienen m\u00fcssen. Bei dem h\u00f6her entwickelten Menschen kommt diese Wirkung nur noch dort zu st\u00e4nde, wo es sich um geringere und leichter zu ertragende Gebrechen handelt, eine rothe Nase, au\u00dfergew\u00f6hnliche Corpulenz oder Hagerkeit u. dergl. Nur auf dem Theater und \u00fcberhaupt unter dauernder Voraussetzung des blo\u00dfen Spieles verm\u00f6gen auch gr\u00f6bere","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"136\nEmil Kraepelin.\nMissgestaltungen in geschickter Nachahmung zur komischen Belustigung feinf\u00fchliger Gem\u00fcther beizutragen, z. B. die Verrenkungen und das Gesichterschneiden der Clowns im Circus, ein Kind mit der Maske eines Erwachsenen u. s. w.\nIn engster Beziehung zu den bisher erw\u00e4hnten F\u00e4llen steht die komische Wirkung der Nachahmung. Hier ist ja der intellectuelle Contrast au\u00dferordentlich \u00e9clatant. Wir sehen die eine von zwei uns als verschieden bekannten und in der Vorstellung scharf aus einander gehaltenen Individualit\u00e4ten eine theilweise Uebereinstim-mung mit der anderen gewinnen und werden dadurch gezwungen, jene beiden Vorstellungen mit einander in nahe Beziehungen zu setzen, ohne sie jedoch nat\u00fcrlich zu einer' vollst\u00e4ndigen Deckung bringen zu k\u00f6nnen. Ist die Nachahmung sehr schlecht, so bleibt der Contrast wegen ungen\u00fcgender Ann\u00e4herung der beiden Vorstellungen matt; erreicht sie dagegen eine sehr gro\u00dfe Vollkommenheit und Treue, so verliert er wegen zu geringer Divergenz an Sch\u00e4rfe ; die komische Wirkung nimmt ab, und an ihre Stelle tritt die Bewunderung. Ihre gr\u00f6\u00dften Triumphe auf dem Gebiete der Komik feiert daher die Nachahmung in der Pflege der feineren oder gr\u00f6beren C a r i-catur, welche durch pointirtes Hervorhehen der characteristischen Z\u00fcge zwar die Aehnlichkeit pr\u00e4gnant hervortreten l\u00e4sst, andererseits aber gerade durch eine gewisse Uebertreibung Sorge tr\u00e4gt, dass keine Portr\u00e4t\u00e4hnlichkeit entsteht, sondern die besondere Eigenth\u00fcmlichkeit der Nachahmung, der Contrast mit dem Originale, gen\u00fcgend gewahrt bleibt.\nDie Caricatur hat ihren weitesten Spielraum auf dem Gebiete der Mimik, dann der Poesie, wo sie als besondere Kunstgattung die Parodie und Travestie erzeugt, ferner in der Malerei. K\u00f6stliche Leistungen der Caricatur mit unfehlbarer Wirkung sind bekanntlich Busch\u2019s M\u00fcnchener Bilderbogen, in denen eine eigenth\u00fcmliche Pr\u00e4gnanz des Ausdruckes durch \u00e4u\u00dferst weitgetriebene Betonung des Charakteristischen unter g\u00e4nzlicher Vernachl\u00e4ssigung alles Nebens\u00e4chlichen erreicht ist. Aber auch die Musik ist zu derartigen Leistungen durchaus bef\u00e4higt; es geh\u00f6rt sogar der gr\u00f6\u00dfte Theil ihrer komischen Wirkungen dieser Richtung an. Alle Versuche der musikalischen Malerei, sobald sie sehr eifrig nach Naturwahrheit und wirklicher Nachahmung durch scharfes Markiren charakteristischer Naturlaute streben, sind","page":136},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n137\niu gro\u00dfer Gefahr, komisch zu werden, wie das ja in der That vielfach mit bewusster Absicht erreicht worden ist. Eine besondere Art der musikalischen Caricatur, die ebenfalls sicher zu wirken pflegt, ist die Nachahmung mit Aenderung des Rhythmus oder der Tonart, die Uebertragung eines Gassenhauers in die Form eines Trauermarsches oder einer Fuge und umgekehrt. Am intensivsten tritt nat\u00fcrlich der Effect hier hervor, wenn Original und Caricatur in unmittelbarer Entwicklung aus einander zum Vergleiche dargeboten werden.\nVon dem komischen Principe, welches der Nachahmung zu Grunde liegt, macht die dramatische Poesie einen sehr ausgiebigen Gebrauch durch die Einf\u00fchrung des bekannten Kunstgriffes der Verwechselungen und Verkleidungen. Auch hier werden zwei Individuen theilweise mit einander verschmolzen, w\u00e4hrend sie doch in allen \u00fcbrigen Beziehungen f\u00fcr den Zuschauer g\u00e4nzlich auseinanderfallen. Wei\u00df dieser Letztere selbst nichts von der erfolgten Verwechselung, so beginnt die komische Wirkung erst in dem Augenblicke, wo die Aufkl\u00e4rung erfolgt. Sehr beachtenswerth ist es, dass solche Verwechselungen, die s\u00e4mmtlichen handelnden Personen, auch dem Subjecte selbst, unbekannt sind, wie die h\u00e4ufig dramatisch verwertheten Unterschiebungen von Kindern u. dergl., auch auf den orientirten Zuschauer, der vielleicht den Ausgang bereits kennt, keinen komischen Einfluss aus\u00fcben. Der Grund liegt offenbar darin, dass unter solchen Umst\u00e4nden die durch nichts gest\u00f6rte Verschmelzung des Verwechselten mit seinem Pseudonym die Divergenz Beider und damit die Contrastgef\u00fchle nicht markirt genug zur Entwicklung gelangen l\u00e4sst. Jener Effect tritt aber, wenn er nicht durch die tragische Gestaltung der ganzen Situation unterdr\u00fcckt wird, sofort hervor, wenn der Tr\u00e4ger der Verwechselung sich selbst \u00fcber seine Rolle klar wird und nun abwechselnd von seinem wirklichen und von seinem Pseudostandpunkte aus redet und handelt.\nDiese letzten Betrachtungen haben uns bereits auf ein weiteres Gebiet der komischen Wirkungen hin\u00fcbergef\u00fchrt, n\u00e4mlich derjenigen, die nicht durch einen einzelnen ruhenden sinnlichen Eindruck, nat\u00fcrlich stets unter Mitwirkung associativer Verarbeitung, sondern die durch eine Handlung, eine Reihe von solchen oder durch eine ganze Situation ausgel\u00f6st werden. Die \u00bbSituation\u00abist keine einfache Combination sinnlicher Eindr\u00fccke mehr, sondern ihr \u00bbVerst\u00e4ndniss\u00ab","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138\nEmil Kraepelin.\nbedarf einer gewissen innerlichen Verarbeitung des Gegebenen durch das Subject. Es liegt auf der Hand, dass das Gebiet der Situationskomik eine au\u00dferordentlich weite Ausdehnung besitzen muss, da ja die ganze Komik des t\u00e4glichen Lebens fast ausschlie\u00dflich ihm angeh\u00f6rt. Ein Blick in das unersch\u00f6pfliche Repertorium derartiger Compositionen, die \u00bbFliegenden Bl\u00e4tter\u00ab, lehrt das zur Gen\u00fcge. Ohne Schwierigkeit gelingt es, auch hier die allgemeine G\u00fcltigkeit des oben von uns aufgestellten Principes des intellectuellen Contrastes zu erweisen. Allein derselbe kommt hier in etwas andererWeise zu st\u00e4nde als fr\u00fcher. Bisher war es der sinnliche Anblick unmittelbar, der an einer von uns als Norm bereit gehaltenen Vorstellung gemessen wurde und wegen der theilweisen Incongruenz mit ihr in Contrast gerieth ; hier dagegen sind es zwei differente Vorstellungen, die beide erst selbst\u00e4ndig von einander aus der Betrachtung der Situation gewonnen werden und dann wegen ihres gemeinsamen Ursprunges zu dem erfolglosen Versuche einer Vereinigung mit einander dr\u00e4ngen.\nDas gemeinsame wirkende Element aller Situationskomik ist stets ein Missverh\u00e4ltniss zwischen menschlichen Zwecken und deren Realisirung. Gerade das ist das Charakteristische der Situation, dass sie keinen Ruhezustand darstellt, sondern einen einzelnen Moment aus einer Reihe von Handlungen oder Begebenheiten herausgreift. Jenes allgemeine Verh\u00e4ltniss ist nat\u00fcrlich im Einzelnen zahlloser Variationen f\u00e4hig. Komisch wirkt die Behandlung nichtiger Gegenst\u00e4nde mit gro\u00dfem Ernste, oder ernster Dinge mit scherzendem Leichtsinn ; komisch wirkt die Fruchtlosigkeit lebhafter Bem\u00fchungen und andererseits der unvermuthete Erfolg geringf\u00fcgiger Bestrebungen, sowie die Anwendung ungeeigneter Mittel zur Erreichung irgend eines Zweckes, immer vorausgesetzt, dass dabei der Contrast scharf hervortritt, und dass \u2014 ein Punkt, auf den wir sp\u00e4ter n\u00e4her einzugehen haben, \u2014 keine Unlustgef\u00fchle im Zuschauer erregt werden.\nEin ganz einfaches Beispiel dieser Gattung sind die Spiele der Kinder. Die liebevolle F\u00fcrsorge, mit welcher kleine M\u00e4dchen ihre Puppen pflegen, ihnen zu essen anbieten, sie zu Bett legen, der stolze Muth, mit dem der Knabe sein Steckenpferd b\u00e4ndigt und seinen S\u00e4bel schwingt, wirken insofern komisch, als in uns die Vorstellung der wirklichen, hier nur nachgeahmten Situationen in Contrast mit der Wahrnehmung tritt. Ja, ich muss gestehen, dass auch das sog. \u00bbMar-","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n139\nkiren\u00ab bei milit\u00e4rischen Uebungen, die blo\u00dfe Andeutung von bestimmten Manipulationen, anfangs auf mich einen \u00e4hnlich komischen Eindruck gemacht hat, wie die Pantomime des Ballets, bei dem die rudiment\u00e4ren Winke und mimischen Anstrengungen in lebhaften Contrast mit den in der Phantasie des Zuschauers angeregten Vorstellungen treten. Erinnert sei hier nur an die allerdings in ihrer Wirkung nicht mehr ganz einfache Ermahnung jenes Unteroffiziers bei dem Commando: \u00bbHelme ab zum Gebet\u00ab, langsam bis 25 zu z\u00e4hlen und dann den Helm wieder aufzusetzen. Das Missverli\u00e4ltniss zwischen angewandtem Mittel und erstrebtem Zwecke tritt lebhaft hervor in der Hendschel\u2019schen Zeichnung des kleinen M\u00e4dchens, welches sich vergeblich bem\u00fcht, einen Brief in den viel zu hoch angebrachten Briefkasten zu stecken, bei dem Hunde, der vor dem gef\u00fcllten Speiseschranke seine Kunstst\u00fccke macht und beweglich mit dem Schw\u00e4nze wedelt, bei dem Blinden, der ein weidendes Pferd bescheiden nach dem Wege fragt u. s. w. Sehr \u00e9clatant tritt das Wesentliche dieser Wirkung hervor, wenn wir in einem Eisenwerke einen winzigen Hammer einen m\u00e4chtigen Eisenblock bearbeiten sehen. So lange wir die Vorstellung hegen, dass hier wirklich ein der Lage der Dinge nach unm\u00f6glicher Effect erzielt werden soll, haben wir den Eindruck des Komischen; derselbe schwindet jedoch sofort, wenn wir dar\u00fcber belehrt werden, dass nicht die Bearbeitung des Blockes, sondern etwa die Erzeugung eines bestimmten Tones der Zweck der ganzen Veranstaltung sei.\nEine etwas andere N\u00fcancirung erh\u00e4lt die Situation bei den zahllosen Erlebnissen kleiner Verlegenheiten, den Folgen der Zerstreutheit, unliebsamen Unvollkommenheiten in der Kleidung, der Unterbrechung einer feierlichen Rede durch Stottern und Niesen, der Zerquetschung eines Hutes durch unvorsichtiges Daraufsetzen, kurz bei allen Situationen, die ein entschiedenes Missverh\u00e4ltniss zwischen den allgemein menschlichen oder individuellen Zwecken und der momentanen Wirklichkeit hervortreten lassen. Das Fehlen eines Kleidungsst\u00fccks an sich, etwa bei einem Gelehrten, der es sich in seinem Arbeitszimmer bequem gemacht hat, ist nicht komisch ; nur durch den Widerspruch mit dem Gewollten erh\u00e4lt es diese Wirkung, so z. B. wenn er beim Ausgehen vergisst, zuvor das Fehlende zu erg\u00e4nzen.\nDie Situationskomik nimmt ihren Ursprung naturgem\u00e4\u00df fast","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nEmil Kraepelin.\nausschlie\u00dflich aus dem Lehen und Handeln der Menschen; nur hier gibt es ja streng genommen \u00bbSituationen\u00ab, d. h. Lagen, welche bestimmte Beziehungen zu den Zwecken der Betheiligten gewinnen. Die unbelebte Natur kann in diesem Sinne niemals komisch wirken ; sie bleibt auf das Gebiet der Anschauungskomik beschr\u00e4nkt. Thiere dagegen k\u00f6nnen recht wohl dieser \u00e4sthetischen Gattung dienen, insofern sie von uns als zweckbewusst handelnde, uns \u00e4hnliche Wesen aufgefasst werden. Fliegen,- die sich auf einem gemalten Fruchtkorbe versammeln, der Ziegenbock, der w\u00fcthend gegen sein Spiegelbild oder gegen eine Mauer rennt, wirken komisch, weil wir in diesen Situationen das Missverh\u00e4ltniss zwischen dem vermeintlichen oder wirklichen Zweck und der Unzul\u00e4nglichkeit des Erfolges ins Auge fassen. Sehr gew\u00f6hnlich kommt bei den h\u00f6heren Thieren die Aehn-lichkeit mit dem Menschen noch als komisches Element hinzu ; sie dr\u00e4ngt sich uns mit einer gewissen Pr\u00e4tension auf, trotzdem sie doch in lebhaftem Contraste zu den gleichzeitig hervortretenden Verschiedenheiten steht. In besonderen F\u00e4llen, wie bei Affen und redenden Papageien, die uns eben deswegen \u00e4u\u00dferst possierlich erscheinen, k\u00f6nnen die theilweisen Uebereinstimmungen sehr auffallend werden, so bei dem in einer kalten Nacht drau\u00dfen vergessenen Papagei, den man am n\u00e4chsten Morgen eifrig im frisch gefallenen Schnee watend fand, mit den immer wiederholten s\u00e4chsischen Verwunderungsrufen: Eih\u00e4rr-jeses! Eih\u00e4rrjeses!\nDer Gegensatz der thierischen zur menschlichen Komik f\u00fchrt uns auf die Abtrennung zweier gro\u00dfer Gruppen der komischen Wirkungen, welche sich durch das ganze Gebiet derselben hindurchzieht und aus diesem Grunde eine sehr wesentliche Bedeutung f\u00fcr ihre W\u00fcrdigung in Anspruch nehmen kann. Es sind das die beiden Kategorien der absichtsvollen und der absichtslosen Komik. Die erstere Gruppe bedient sich zur Erzielung ihrer Wirkungen des Mittels der Nachahmung und der komischen Erfindung, die zweite dagegen ist ein Product zuf\u00e4lliger Constellation der Verh\u00e4ltnisse. Die Situationskomik ist, abgesehen davon, dass sie nat\u00fcrlich auch in k\u00fcnstlerischer Darstellung wiedergegeben werden kann, an sich immer absichtslos: wir erheitern uns \u00fcber den Clown, der vergebens \u00fcber das Seil zu springen versucht, nur in der f\u00fcr den Augenblick festgehaltenen Fiction, dass er es wirklich nicht k\u00f6nne. Absichts-","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n141\nvolle Situationskomik geht \u00fcber in witzige Komik; der Contrast ist hier durch zweckbewusste Auswahl der concurrirenden Vorstellungen wachgerufen. Wenn wir einen Menschen am hellen Tage mit brennender Laterne herumgehen sehen, so wirkt dieser Anblick zun\u00e4chst \u00e4hnlich komisch, wie derjenige des Mannes, der bei heiterem Himmel im Schatten mit aufgespanntem Regenschirm einherstolzirt. Allein wir h\u00f6ren alsbald, dass jener Laternentr\u00e4ger Menschen sucht, ein Umstand, durch den die Situation sehr wesentlich ver\u00e4ndert wird. F\u00fcr den Verst\u00e4ndnislosen ist allerdings an Stelle der Unsinnigkeit des Mittels nur die Unsinnigkeit des Zweckes (Constrast derselben mit den \u00bbvern\u00fcnftigen\u00ab Mitteln und Zwecken) getreten ; der Einsichtige jedoch bemerkt sofort den hier vorliegenden pr\u00e4gnanten Sinn des Wortes \u00bbMensch\u00ab und seine Divergenz mit dem gew\u00f6hnlichen Sprach-ue brauche. Auch ihm wird der so entstehende Contrast vielleicht ko-misch erscheinen, aber es ist eine g\u00e4nzlich andere Gattung der Komik ; nicht Diogenes mehr ist komisch, sondern jene Individuen, die sich f\u00fcr Menschen halten und es nach der herben Auffassung und der witzigen Verspottung des Weisen doch nicht sind.\nEs entsteht somit hier eine eigenth\u00fcmliche Mannigfaltigkeit der komischen Wirkungen, nicht aus einer unmittelbaren Coincidenz mehrfacher komischer Elemente, sondern aus einer Verschiedenheit derselben je nach dem Standpunkte der Betrachtung. Nicht selten wird eine derartige Wandlung der Situation durch verschiedenartige Beleuchtung zur Erh\u00f6hung der Gesammtwirkung absichtsvoll vom K\u00fcnstler herbeigef\u00fchrt. Wie wir in jenem Beispiele anfangs in Diogenes, dann aber in seiner Umgebung das komische Object auffinden, so k\u00f6nnen wir nach einander auf eine Reihe \u00fcber einander gelegener Standpunkte erhoben werden, von deren jedem wir auf den fr\u00fcher eingenommenen als auf einen komischen herabsehen. Es wird dadurch eine fortw\u00e4hrend sich selber steigernde Wirkung erzeugt, \u00e4hnlich jener der Stichomythie ; damit sie komisch sei, bedarf es nur eines immer neu hervortretenden Contrastes. Von zwei Freunden, die beide als Aufschneider bekannt sind, erz\u00e4hlt der eine dem andern , er habe es vor einigen Jahren erlebt, dass es im Juli Eis gefroren habe. Ja wohl, entgegnet der andere, ich bin damals Schlittschuh gelaufen. Ganz richtig, lautet die Replik, ich habe Sie laufen sehen. Dahin geh\u00f6rt der belauschte Horcher, der d\u00fcpirte Betr\u00fcger u. s. w., Figuren,","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142\nEmil Kraepelin.\ndie ja die dramatische wie die malerische Kunst in der Darstellung von Situationen auf das ergiebigste verwerthet hat. So lacht, nach Jean Paul\u2019s Ausdruck, \u00bbder Engel \u00fcber den Weisen, der Erzengel \u00fcber den Engel und der liehe Herrgott \u00fcber sie Alle\u00ab.\nBei weitem am wirksamsten ist die Situationskomik, wenn sie unmittelbar erlebt wird, wenn die aus der Sachlage hervorgehenden contrastirenden Vorstellungen mit frischer Intensit\u00e4t in unser Bewusstsein eintreten. Ja, es gibt viele derartige Komik, die \u00fcberhaupt gar nicht conservirbar ist, weil jeder Versuch der Reproduction die concurrirenden Elemente theilweise oder in ihrer Gesammtheit bis zur Unwirksamkeit abschw\u00e4cht. In der Regel aber vermag das Bild oder die Wiedergabe in Worten wenigstens ann\u00e4hernd auch der Situationskomik das ephemere Dasein zu verl\u00e4ngern. Aufgabe des \u00bbVortrags\u00ab im weitesten Sinne ist es dabei, die Darstellung so zu w\u00e4hlen, dass leicht und lebendig, mit aufdringlicher Gewalt die contrastirenden Vorstellungen dem Beschauer resp. Zuh\u00f6rer ins Bewusstsein treten. Eine geschickte Erfassung und Wiedergabe dieser wirksamen Elemente kann sogar durch eine st\u00e4rkere Betonung derselben bisweilen die ganze Ausdehnung, der Komik erst klar enth\u00fcllen , die einem minder empf\u00e4nglichen Beobachter vielleicht zum gr\u00f6\u00dften Theile entgangen w\u00e4re. Darum bestehen die h\u00f6heren k\u00fcnstlerischen Aufgaben auf diesem Gebiete nicht so sehr in der productiven Erfindung komischer Situationen \u00fcberhaupt oder in der naturgetreuen Copie des Erlebten, sondern in der fein pointirten Darstellung, welche das nebens\u00e4chliche Detail in den Hintergrund treten und das Charakteristische ganz ungesucht, von selber sich darbieten l\u00e4sst. Sehr selten ist \u00fcbrigens die Wirkung derartiger Kunstwerke, zu denen man schlie\u00dflich auch die Mehrzahl der \u00bbAnekdoten\u00ab rechnen muss , soweit sie Situationskomik enthalten, eine einfache, unter einem einzigen Gesichtspunkte begreifbare, sondern es pflegen verschiedenartige Gattungen der Komik zu einer cumulativen Gesammtwirkung zusammen verwerthet zu werden.\nDie beiden gro\u00dfen Gebiete der Anschauungs- und der Situationskomik sind im weitesten Umfange jedem intelligenten Wesen zug\u00e4nglich, welches im st\u00e4nde ist, die Unvereinbarkeit disparater, aber partiell \u00fcbereinstimmender Vorstellungen als Contrast zu empfinden. Dagegen gibt es ein weiteres Gebiet der komischen Contraste, dessen","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n143\nAusbildung eng an die h\u00f6here Ausbildung des Vorstellungslebens durch das Communicationsmittel der Sprache gekn\u00fcpft ist. Wir k\u00f6nnen dieses dritte Gebiet der komischen Wirkungen, die wir im Bereiche des Vorstellungslebens antreffen, vielleicht am besten unter dem Namen des Witzig-Komischen zusammenfassen. Es handelt sich hier um die willk\u00fcrliche Erzeugung zweier mit einander in irgend einer Weise contrastirenden Vorstellungen zumeist durch das Hilfsmittel der sprachlichen Association.\nVischer definirt den Witz als eine Fertigkeit, mit einer \u00fcberraschenden Schnelle mehrere Vorstellungen, die nach ihrem inneren Gehalt und dem Nexus, dem sie angeh\u00f6ren , einander fremd sind . zu einer zu verbinden. Es muss also immerhin irgend ein Band zwischen jenen Vorstellungen, es m\u00fcssen associative Beziehungen zwischen ihnen existiren, welche diese Verkn\u00fcpfung gestatten ; andererseits muss aber die Nichtzusammengeh\u00f6rigkeit derselben klar und scharf genug ins Auge springen, dass eine Contrastwirkung zur Entwicklung gelangen kann. In der \u00fcberwiegenden Mehrzahl der F\u00e4lle geh\u00f6rt der Witz der bewussten, absichtsvollen Komik an; er wird \u00bbgemacht\u00ab. Es gibt indessen auch unbewusste Witze, die nat\u00fcrlich doppelt wirken, da sich hier zu dem Contraste der Vorstellungen noch derjenige zwischen Absicht und wirklichem Effecte, also die Situationskomik hinzugesellt.\nDie Classification der verschiedenen, recht mannigfachen Formen des Witzes ist in verschiedenerWeise versucht worden, besonders von Kuno Fischer1) und Hecker2). Vom rein psychologischen Standpunkte aus scheint mir das beste Eintheilungsprincip in der besonderen Art der Verbindungen gegeben zu sein, durch welche die \u25a0widerstrebenden Vorstellungen an einander gekn\u00fcpft werden. Es ergeben sich unter diesem Gesichtspunkte zwei gro\u00dfe Gruppen von Witzen, die mir nat\u00fcrlicher sich neben einander zu ordnen scheinen, als das hei den Aufstellungen der genannten Forscher der Fall ist. Das Tertium associationis, wenn ich diesen Terminus einf\u00fchren darf, das verbindende Zwischenglied, kann n\u00e4mlich entweder eine rein \u00e4u\u00dfer-\nt .\t-1) Ueber die Entstehung und die Entwicklungsformen des Witzes. Zwei Vor-\nw\u00e4ge. Heidelberg, 1871.\n1873 2'\tun<* Psychologie des Lachens und des Komischen, Berlin,","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"144\nEmil Kraepelin.\nliehe oder eine innere, begriffliche, selbstverst\u00e4ndlich immer nur bedingte, theilweise Zusammengeh\u00f6rigkeit der Vorstellungen begr\u00fcnden. Im ersteren Falle besteht zwischen denselben das Band einfacher associativer Gew\u00f6hnung, im letzteren dasjenige einer tieferen apperceptiven oder logischen Beziehung.\nDie erste Classe von Witzen k\u00f6nnen wir am passendsten mit einer von Hecker eingef\u00fchrten, aber von ihm in engerem Sinne gebrauchten Bezeichnung als Associationswitze zusammenfassen. Stets handelt es sich hier um das begriffliche Auseinanderfallen zweier asso-ciativ an einander gekn\u00fcpften Vorstellungen, um die mit Pr\u00e4tension hervortretende Forderung der unvollziehbaren innigen Verschmelzung g\u00e4nzlich verschiedenartiger, nur \u00e4u\u00dferlich zusammenh\u00e4ngender Elemente. Die lockerste Form der Verkn\u00fcpfung zwischen den wachgerufenen Vorstellungen wird durch die Aehnlichkeit oder den Gleichlaut der sprachlichen Symbole repr\u00e4sentirt.\nWo diese Aehnlichkeit nur eine ganz entfernte ist, da entsteht der sog. Klangwitz, dessen komische Wirkung gemeiniglich nur dann intensiv zu sein pflegt, wenn eine geringe Sch\u00e4rfe der begrifflichen Ausbildung dem Subjecte die g\u00e4nzliche Unhaltbarkeit und Gewaltsamkeit der vollzogenen Verbindung nicht in vollem Ma\u00dfe zum Bewusstsein kommen l\u00e4sst. Als Beispiel dient jene Form der witzigen Rede, die Schiller nach dem Vorbilde des Abraham a Santa Clara seinem Kapuziner in den Mund gelegt hat. Je weniger der Klangwitz im st\u00e4nde ist, eine Verkn\u00fcpfung zwischen den producirten Vorstellungen herzustellen, je entfernter also die Ankl\u00e4nge werden, desto mehr n\u00e4hert er sich dem blo\u00dfen Reim , in dem die Zusammenfassung unter einem einheitlichen Gesichtspunkte so wenig mehr m\u00f6glich ist, dass ein Contrast der beiden Elemente nicht mehr zu st\u00e4nde kommt. Die komische Wirkung verschwindet hier g\u00e4nzlich, aber sie tritt sofort deutlich hervor, wenn der Reim ein sehr aufdringlicher, namentlich mehrsilbiger wird und damit in die Kategorie des Klangwitzes hin\u00fcberspielt. In den h\u00f6heren Entwickelungen des Klangwitzes nimmt die Aehnlichkeit der beiden concurrirenden Vorstellungen zu, ohne doch zun\u00e4chst zu einer vollkommenen lautlichen Uebereinstimmung zu werden. Dahin geh\u00f6ren die meisten sogenannten \u00bbKalauer\u00ab, wie z. B. die Erk\u00e4ltungsgefahr in Hamburg, weil t\u00e4glich ein \u00bbKieler (k\u00fchler) Zug\u00ab hindurch geht, die historische Aufkl\u00e4rung, dass die","page":144},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n145\nPhilister bereits mit der Fabrication des Sodawassers vertraut waren, weil es hei\u00dft : die Philister, so da Wasser tranken u. s. w. Ueberall werden hier durch den ungef\u00e4hren Gleichklang Vorstellungen locker an einander gekn\u00fcpft, die inhaltlich toto caelo von einander verschieden sind.\nAuf dem Principe des Klangwitzes beruht schlie\u00dflich die komische Wirkung der \u00bbr\u00e4thselhaften Inschriften\u00ab, vieler Dialektwitze, der orthographischen Schnitzer und der Druckfehler, wenn durch dieselben ein anderer Wortsinn erzeugt wird, als nach dem Zusammenh\u00e4nge beabsichtigt war, wie z. B. in der mir vorgekommenen Adresse : Herrn N. N., Oberkiefer (Oberk\u00fcfer) in Frankfurt, oder in der Grabschrift eines Virtuosen: Er dudelte (statt duldete) 3 Jahre. Au\u00dfer dem Contraste der beiden durch die Klang\u00e4hnlichkeit wachgerufenen Vorstellungen tritt hier noch derjenige zwischen Absicht und Erfolg als wirksames Element hervor. Ganz \u00e4hnlich verh\u00e4lt es sich mit dem ja h\u00e4ufig in der komischen Darstellung benutzten falschen Gebrauche von Fremdw\u00f6rtern (Shakespeare, Reuter), der nat\u00fcrlich zu mannigfachen Klangwitzen hinreichend Gelegenheit gibt. Ueberall pflegt auf diesen Gebieten die unbewusste Komik wegen des doppelten Contrastes wirksamer zu sein , als die absichtsvolle , wenn diese letztere allerdings auch aus der gro\u00dfen Zahl m\u00f6glicher Zusammenstellungen immer gerade die treffendsten sich aus w\u00e4hl en kann. Die Komik der Situation, des Missverh\u00e4ltnisses zwischen Absicht und Erfolg, verkn\u00fcpft sich im ersteren Falle mit der witzigen Komik, dem Contraste der gleichklingenden sprachlichen Symbole ; im letzteren bleibt nach dem Wegfalle jenes Missverh\u00e4ltnisses nur das witzige Spiel mit Worten noch \u00fcbrig.\nWo der Gleichklang der concurrirenden Vorstellungssymbole ein vollkommener wird, da n\u00e4hert sich der Klangwitz allm\u00e4hlich vollst\u00e4ndig gewissen Kategorien des Doppelsinnwitzes, wie Hecker in treffender Weise jene Witze benennt, welche den Widerstreit zweier verschiedenen Deutungen des Gesagten in sich schlie\u00dfen. Bekannt ist das von verschiedenen dichtenden K\u00f6nigen und geizigen Witzbolden erz\u00e4hlte Beispiel, in welchem der F\u00fcrst, auf den Hut des letzteren hindeutend, fragt: Filz? und von ihm zur Antwort erh\u00e4lt: Wasserdichter ! Hier ist die Replik ein Klangwitz, da das Adjectivum wasserdicht lediglich durch den Klang an das neugebildete Substan-\nWundt, Philos. Studien. II.\t* ^","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146\nEmil Kraepelin,\ntivum Wasserdichter erinnern soll. Bei 4er Frage handelt es sieh aber in der That um ein und dasselbe Wort, welches nur in verschiedenem Sinne aufgefasst werden kann. Diese Zweideutigkeit, dieser Doppelsinn ist es, wodurch der Contrast der disparaten und doch in einem Punkte, in ihrem sprachlichen Symbole, zusammenflie\u00dfenden Vorstellungen vermittelt wird.\nDie erste Kategorie des Doppelsinn witzes, f\u00fcr die wir soeben ein Beispiel kennen gelernt haben, ist demnach das sehr treffend so genannte Wortspiel, jedenfalls eine der am meisten cultivirten Formen des Witzes \u00fcberhaupt. Eine ganz scharfe Grenze gegen\u00fcber den Klang-witzen ist nicht immer zu ziehen, wie z. B. in den Scherzfragen : Welchen Dichter lieben die H\u00fchner am meisten? \u00bbK\u00f6rner\u00ab, und: Wessen Hand war gr\u00f6\u00dfer, Schillers oder Goethe\u2019s ? Antwort : Goethe\u2019s, denn Schillers Handschuh geht nicht \u00fcber Goethe\u2019s Faust. Streng genommen k\u00f6nnen wir die witzige Verquickung des Eigennamens K\u00f6rner mit dem Pluralis von Korn nur als einen Klangwitz bezeichnen, da es sich um g\u00e4nzlich verschiedene W\u00f6rter handelt, die nur zuf\u00e4llig diese lautliche Uebereinstimmung mit einander aufweisen. Aehnlich verh\u00e4lt es sich in dem zweiten dreifach witzigen Beispiele mit dem letzten komischen Elemente \u00bbGoethes Faust\u00ab. Bei Schiller\u2019s Handschuh haben wir es aber ebenso wie bei dem \u00bbgeht nicht \u00fcber\u00ab mit ein und demselben Worte zu thun, welches eine doppelte Deutung zul\u00e4sst, also mit einem wirklichen, echten Wortspiele. Das Wortspiel beruht somit auf der Thatsache des Bedeutungswechsels der W\u00f6rter. Ganz besonders ergiebig wird diese Kategorie des Witzes durch die Concurrenz des urspr\u00fcnglichen, directen und des \u00fcbertragenen Sinnes. So wird eine Dame mit aufgespanntem Schirme als ein \u00bb\u00fcberspanntes\u00ab Frauenzimmer bezeichnet. Eine gro\u00dfe Zahl der witzigen Klassikerauslegungen geh\u00f6rt hierher, z. B. dip Illustration des Wortes: \u00bbWenn flinke Beden sie begleiten, so flie\u00dft die Arbeit munter fort\u00ab durch eine Beihe von Waschweibern, denen im Eifer des Gespr\u00e4chs die Wasche \u00bbfortflie\u00dft\u00ab. \u00bbWohl, nun kann der Guss beginnen\u00ab findet sich angewendet auf einen Mann mit einem Begenscbirm, das Wort \u00bbGuss\u00ab also in ganz verschiedenem Sinne genommen, als an der Ori-ginalstelle. Sehr h\u00e4ufig wirkt hier \u00fcbrigens schon der Gegensatz zwischen dem Pathos des Dichterwortes und der prosaischen Situation, auf die es \u00fcbertragen wird, an sich komisch, wie der kleine T\u00e4nzer,","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n147\nder sich vergebens bem\u00fcht, seine gro\u00dfe und umfangreiche Dame zu dirigiren, als Illustration zu dem Worte: \u00bbDas Unzul\u00e4ngliche, hier wird\u2019s Ereigniss\u00ab. Ein gutes Beispiel dieser Gattung von Witzen, die Hecker wegen der schillernden Bedeutung des witzigen Wortes als homonyme Wortspiele bezeichnet, ist die viel citirte Antwort jenes franz\u00f6sischen Hofmannes, dem aufgegeben wurde, den K\u00f6nig selbst als \u00bbsujet\u00ab zu einem Witze zu benutzen. Er entgegnete: \u00bble roi n\u2019est pas sujet\u00ab und brachte auf diese Weise die beiden Vorstellungen des Gegenstandes und des Unterthans in witzigen Contrast. Es entsteht hier ein wirklicher Doppelsinn, zwischen dessen beiden Seiten wir hin und her schwanken k\u00f6nnen, w\u00e4hrend bei den Klangwitzen die contra-stirenden Vorstellungen sich nur an das eine Wort anzukn\u00fcpfen und nicht zwei verschiedene Auslegungen des ganzen vorgetragenen Gedankenganges zu gestatten brauchen.\nDie beiden Seiten des Doppelsinnes k\u00f6nnen nat\u00fcrlich einen sehr abweichenden Charakter haben. In der Regel gewinnt zun\u00e4chst sofort die eine derselben die Oberhand, sei sie durch Gew\u00f6hnung, wie bei den angef\u00fchrten Citaten, sei sie durch die ganze Situation, wie in dem letztgenannten Beispiele, dem H\u00f6rer besonders nahe gelegt. \u00bbVerstanden\u00ab wird der Witz erst dadurch, dass nun auch jene zweite Bedeutung im Bewusstsein auftaucht (etwa durch eine Illustration angeregt) und in contrastirenden Widerspruch mit der ersten, naheliegenden tritt. Ja, die F\u00e4higkeit, derartige Witze zu machen, beruht geradezu auf der Gewandtheit, hinter dem zuf\u00e4llig Gegebenen noch einen zweiten, verborgenen Sinn ausfindig zu machen. Nicht wir sind es daher eigentlich, die den Witz machen, sondern \u00bbdie Sprache macht ihn\u00ab ; wir entdecken ihn nur. So entgegnete ein Tagel\u00f6hner seinem Gutsherrn, der ihm klar machte, dass er ja nur ihr Bestes wolle. \u00bbJa wohl, aber wir wollen es nicht hergeben\u00ab. Nicht selten hat, wie in diesem Beispiel, der zweite, versteckte Sinn einen ganz anderen Character als der erste, so dass die Bedeutung des Ganzen durch die Substitution desselben wesentlich ver\u00e4ndert wird. Aus diesem Grunde dient der Doppelsinnwitz als eine \u00e4u\u00dferst scharfe Waffe gegen Personen und Zust\u00e4nde, indem er gestattet, in anscheinend harmloser Form treffende Anspielungen und Urtheile vorzubringen, die dem Eingeweihten leicht verst\u00e4ndlich sind und wegen ihrer witzigen, anregenden Fassung eine sehr gro\u00dfe Wirkung erlangen. Fischer\n10*","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nEmil Kraepelin.\nf\u00fchrt als ein treffliches Beispiel die Aeu\u00dferung an , welche \u00fcber Napoleon III. gemacht wurde, als er kurz nach seinem Regierungsantritte die G\u00fcter der Orl\u00e9ans confiscirt hatte : \u00bbC\u2019est le premier vol de l\u2019aigle\u00ab. Die Bedeutung \u00bbFlug\u00ab ist hier durch die Zusammenstellung mit aigle unmittelbar nahe ger\u00fcckt, aber dem Wissenden konnte die Anwendbarkeit der Bedeutung \u00bbDiebstahl\u00ab auf den vorliegenden Fall nicht entgehen. Jenes Gebiet, auf dem diese Gattung der Doppelsinnwitze im weitesten Umfange cultivirt wird, ist die Satire, die wieder bei ihrer ausgesprochen aggressiven Tendenz vorzugsweise im Bereiche der gesellschaftlichen Zust\u00e4nde ihre Rolle spielt.\nErw\u00e4hnt sei hier nur, dass der Doppelsinn des Wortspieles noch eine besonders ausgiebige Yerwerthuijg findet in jener Classe von Witze\u00ab, die man als \u00bbZoten\u00ab bezeichnet. Die Zoten charakterisiren sich nur durch den Gegenstand, auf den sie sich beziehen, nicht durch die Form des witzigen Contrastes, der in der Mehrzahl der F\u00e4lle der hier besprochenen Gattung der \u00bbZweideutigkeiten\u00ab angeh\u00f6rt; zugegeben muss allerdings werden, dass die Anforderungen an wirklichen Witz hier meist sehr niedrig gestellt zu werden pflegen, und dass aus diesem Grunde eine gro\u00dfe Zahl der Zoten gar nicht mehr als Witze bezeichnet zu werden verdient.\nAls Unterformen des Wortspieles k\u00f6nnen wir mit Hecker das limitirende Wortspiel und die doppelsinnige Construction betrachten. Das limitirende Wortspiel zeichnet sich dadurch aus, dass der Contrast durch verschieden weite Fassung der Bedeutung eines und desselben Wortes hervorgerufen wird. Wenn ein Candidat in einem Geschichtsexamen nur eine einzige Jahreszahl und diese noch dazu falsch \u00bbwusste\u00ab, wenn Hegel nur von einem seiner Sch\u00fcler \u00bbverstanden\u00ab und zwar missverstanden wurde, so wird hier der Ausdruck \u00bbwissen\u00ab und \u00bbverstehen\u00ab zun\u00e4chst in einem Sinne aufgefasst, der das falsch Wissen und das Missverstehen g\u00e4nzlich ausschlie\u00dft, bis dann durch den Zusatz klar wird, dass eine viel allgemeinere Bedeutung jener Worte hier am Platze war. Umgekehrt schrumpft in der Beantwortung der Frage nach dem ersten Privatdocenten, Sobald wir erfahren, dass es Moses war, denn \u00bbsie h\u00f6reten ihn nicht\u00ab, der urspr\u00fcnglich allgemein gefa\u00dfte Sinn des \u00bbH\u00f6rens\u00ab zu jener speciellen Bedeutung zusammen, welchen man demselben auf der Universit\u00e4t","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n149\nunterzulegen pflegt. Gleichzeitig wirkt der satirische Hieb auf die Privatdocenten. Sehr drastisch und im gleichen Sinne sich bewegend ist der Bedeutungswechsel in der Ank\u00fcndigung des englischen Clowns, that he \u00bbwill\u00ab slip intoabottle, eine Geschichte, die Geliert ebenfalls schon, aber in etwas anderem Sinne verwerthet hat. Jedermann nimmt diesen Satz als das Versprechen, dass er in eine Flasche hineinschl\u00fcpfen \u00bbwird\u00ab. Bei der Vorstellung macht er dann eine Reihe vergeblicher Anstrengungen, um schlie\u00dflich zu erkl\u00e4ren, dass er zwar sehr gern \u00bbwolle\u00ab, aber nicht k\u00f6nne. Den limitirenden Wortspielen nahe verwandt, ja zum gr\u00f6\u00dften Theile wohl direct denselben zugeh\u00f6rig ist die interessante Form des Oxymoron. Auch hier haben wir es mit einem Doppelsinn zu thun, der durch die verschieden weite Fassung der Worte entsteht, aber die eine Seite dieses Doppelsinnes, und zwar die n\u00e4chstliegende, enth\u00e4lt einen Widerspruch, wie in dem Ausdrucke \u00bbberedtes Schweigen\u00ab. Erst durch eine tiefere Ueberlegung, durch eine weitere Fassung des Begriffes \u00bbberedt\u00ab enth\u00fcllt sich der wahre Sinn jener Zusammenstellung und tritt in witzigen Contrast mit der n\u00e4chstliegenden, oberfl\u00e4chlichen Deutung. \u00bbDie Sprache ist erfunden, um die Gedanken zu verbergen\u00ab, sagte Talleyrand und schuf damit ein Oxymoron, insofern man zun\u00e4chst das Verbergen der Gedanken im weiteren Sinne als Schweigen auffasst, um alsdann zu entdecken, dass nicht die Gedanken \u00fcberhaupt, sondern nur gewisse, geheime Gedanken durch die Sprache verborgen werden sollen.\nBei der doppelsinnigen Construction liegt die Zweideutigkeit in der verschieden m\u00f6glichen Auffassung des grammatikalischen Zusammenhanges , durch welche der Sinn des Ganzen erheblich ver\u00e4ndert wird. Wenn von dem Wartepersonal die Signatur: \u00bbVor dem Ein-nehmen t\u00fcchtig zu sch\u00fctteln\u00ab auf den Kranken bezogen und nun an ihm praktisch ausgef\u00fchrt wird, so liegt hier eine Verwechselung der Subjecte vor. F\u00fcr die Auffassung der Erz\u00e4hlung als factische Begebenheit tritt zu der witzigen noch die Situationskomik hinzu. Sehr verbreitet sind derartige Variationen von classischen Citaten, z. B. : Nehmet Holz vom Fichtenstamme, doch recht trocken. Lasst es sein ! Durch die Aenderung der Interpunction erscheint hier der zweite Theil des Satzes als eine Art Gegenbefehl, durch den die im Citate liegende Aufforderung aufgehoben wird. Auf einer Grabschrift hei\u00dft","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150\nKmil Kraepelin.\nes : Er trank zu fr\u00fch den bittern \u2014 Kelch des Leidens, eine Abgrenzung der Zeilen, die den Verstorbenen in den Verdacht des Alkoholismus bringt. Vielfach gehen diese doppelsinnigen Construc-tionen aus wirklichen Missverst\u00e4ndnissen hervor, oder die Zweideutigkeit entgeht doch dem Autor selbst und wird erst von der Umgebung aufgefasst. In solchen F\u00e4llen gesellt sich zu dem witzigen Contraste nat\u00fcrlich immer noch die Situationskomik des Missverh\u00e4ltnisses zwischen Absicht und Erfolg. In dem bekannten Anspr\u00fcche : \u00bbWer das sagt, der ist ein Esel, und das sage ich\u00ab soll sich offenbar das zweite \u00bbdas\u00ab auf alles Vorangegangene beziehen ; es erh\u00e4lt aber sofort einen anderen pikanten Sinn, wenn man es direct mit dem ersten \u00bbdas\u00ab in Parallele setzt und somit zu dem Schl\u00fcsse berechtigt ist, dass der Sprecher sich selbst als Esel bezeichnen wolle. Noch witziger ist die Anekdote von Joseph dem Zweiten und Kaunitz. Als Letzterer durch ein eingereichtes Schriftst\u00fcck des K\u00f6nigs Missfallen erregt hatte, schrieb dieser unter dasselbe die Worte : \u00bbKaunitz ist ein Esel\u00ab mit eigenh\u00e4ndiger Namensunterzeichnung und zwang den sehr widerstrebenden Staatsmann, dieses Urtheil zu verlesen. Dasselbe lautete : Kaunitz ist ein Esel, Joseph der zweite. Auch diese Form der Doppelsinnwitze eignet sich nat\u00fcrlich vortrefflich f\u00fcr die Satire.\nUnter die Wortspiele ordnet sich im Allgemeinen auch jenes gro\u00dfe Gebiet von Witzen ein, die aus verkehrten Uebersetzungen entspringen. Sehr h\u00e4ufig setzt sich jedoch der einzelne Fall aus verschiedenartigen Elementen zusammen, die man entweder in die Gruppe der Klangwitze (Caesar tanta diligentia profectus est = Caesar reiste mit seiner Tante in einer Diligence; videsne ut alta stat nive Candida Soracte \u2014 siehst du nicht, wie der alte Sokrates im Schnee steckt'? u. \u00e4hnl.) oder in die aufgef\u00fchrtenFormen des Wortspieles einreihen muss. In dem Beispiele : hos versus Lacedaemonii exsculpserunt = diesen gegen\u00fcber kratzten die Laced\u00e4monier aus, findet sich ein Witz aus doppelsinniger Construction (hos versus) mit zwei einfachen Wortspielen (versus, Verse, und versus, gegen\u00fcber, auskratzen im Sinne des Bildhauersund im Sinne des Fliehens) vereinigt. Sehr komisch wirkt auch die Uebersetzung des : \u00bbIch komme mit der frohen M\u00e4re\u00ab durch : \u00bbje viens avec le cheval joyeux\u00ab, die auf einem Klangwitze beruht. Wo derartige Uebersetzungsfehler unabsichtlich begangen werden, erh\u00f6ht sich die Wirkung des witzigen Contrastes sehr betr\u00e4chtlich durch das","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n151\nHinzu treten der Situationskomik, \u00e4hnlich wie eben bei der unbewussten Production des Doppelsinnes \u00fcberhaupt.\nAu\u00dfer den verschiedenen Arten der Wortspiele geh\u00f6rt in das Gebiet der Doppelsinnwitze noch eine ganz eigenartige Gattung, die Ironie. Auch sie enth\u00e4lt einen Doppelsinn, aber in weit versteckterer Form als die Wortspiele. Dort war derselbe bei allseitiger Interpretation der vorliegenden Worte unmittelbar gegeben ; hier wird eierst durch eine Ber\u00fccksichtigung der ganzen Sachlage erkannt. Allein die Ironie sorgt doch daf\u00fcr, dass dieser zweite Sinn, den sie nicht direct enth\u00fcllt, mit einer gewissen Sch\u00e4rfe hervortrete, indem sie das Gegentheil von demjenigen ausspricht, was sie wirklich sagen und errathen haben will. Je greller dieser Widerspruch des Gesagten mit den wahren Verh\u00e4ltnissen zur Geltung kommt, desto sicherer Wird die Ironie \u00bbverstanden\u00ab. Der Zuh\u00f6rer begreift, dass die Aeu\u00dfe-rung unm\u00f6glich w\u00f6rtlich genommen sein wolle, und f\u00fchlt nun den witzigen Contrast zwischen dem, was wirklich gesagt und was gemeint wird. So soll die Ironie formell auf den besprochenen Gegenstand passen und kann doch niemals auf ihn passen, da gerade das Gegentheil vom Sprecher f\u00fcr richtig gehalten wird. K \u00f6 s 11 i n f\u00fchrt folgendes Beispiel aus Beaumarchais an: Vorausgesetzt, dass ich in meinen Schriften nicht spreche von der Auctorit\u00e4t, nicht von der Religion, nicht von der Politik, nicht von der Moral, nicht von Leuten von Rang, nicht von Creditgesellschaften, nicht von der Oper, nicht von anderen Theatern, so kann ich frei alles drucken lassen unter der Aufsicht von zwei bis drei Censoren u. s. w. Niemand wird -wohl bei dieser Passung des Satzes zweifelhaft sein, dass der Autor tendenzi\u00f6s den schneidenden Widerspruch zwischen der angeblichen Freiheit, die durch so viele Voraussetzungen beschr\u00e4nkt ist, und den 2\u20143 Censoren ans Licht gestellt hat ; gerade der Ausdruck \u00bbfrei\u00ab ist ironisch. In der Zeit nach \u00ce866 wurde in einem Witzblatte darauf aufmerksam gemacht, dass Preu\u00dfen mit Liechtenstein keinen Friedensvertrag abgeschlossen habe und daher in steter Gefahr lebe, von dieser Gro\u00dfmacht \u00fcberrumpelt zu werden. Der Gegensatz zu den wirklichen Verh\u00e4ltnissen ist ein so ausgesprochener, dass Jeder die Ironie sofort verstehen wird. Aber w\u00e4hrend im vorigen Beispiele im Satze selbst schon der Gegensatz scharf genug ausgepr\u00e4gt war, springt er hier erst aus dem Vergleich mit der Wirklichkeit f\u00fcr den Kundigen heraus.","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152\nEmil Kraepelin.\nDie Ironie hat meist einen ernsten Grundcharacter ; nur ihre Form hat sie vom Komischen entlehnt. Allerdings gibt es auch ironische Bezeichnungen, wie diejenige Londons als \u00bblittle village\u00ab, welchen keine besondere Tendenz ;inne wohnt; in der Regel jedoch ist die Ironie absichtsvoll; sie ist eine Waffe, wie die Satire. Ihr Doppelsinn trifft, wie derjenige des satirischen Wortspieles, um so tiefer, je harmloser er dem Uneingeweihten zu sein scheint. In der Ironie wird die Zusammenfassung der unvereinbaren Vorstellungen, die erst ihre con-trastirende Wirkung zur Folge hat, durch die gegens\u00e4tzliche Stellung derselben zu einander vermittelt. Gerade ein Gegensatz invol-virt ja immer schon die Zugeh\u00f6rigkeit zu einer gemeinsamen h\u00f6heren Kategorie. V\u00f6llig auseinanderliegende Vorstellungen k\u00f6nnen daher niemals, f\u00fcr den ironischen Contrast verwendet werden, weil sie eben nicht auf gemeinsamem Boden erwachsen. Wollte man London etwa als einen Brathering bezeichnen, so k\u00f6nnte eine derartige Zusammenstellung unter Umst\u00e4nden witzig sein, aber sie w\u00fcrde niemals als Ironie aufgefasst werden k\u00f6nnen, da hier kein associativer Gegensatz zwischen beiden Vorstellungen vorliegt, wie in dem oben angef\u00fchrten Beispiele, sondern einfach eine barocke Verschmelzung g\u00e4nzlich heterogener Elemente.\nDie Ironie bildet wegen der besonderen Art der associativen Verwandtschaft gewisserma\u00dfen den Uebergang zu jener zweiten gro\u00dfen Gruppe von ^Fitzen, die wir als Apperceptionswitze bezeichnen wollen (S. 144). Je nach der apperceptiven Leistung, welche denseibenzu Grunde liegt, treten dieselben wieder in zwei verschiedenen Formen auf, n\u00e4mlich als witzige U r t h ei 1 e und als witzige Schl\u00fcsse. Im witzigen Urtheile wird der Contrast durch die einfache Zusammenstellung disparater oder die Trennung zusammengeh\u00f6riger Elemente vermittelt ; im witzigen Schl\u00fcsse dagegen finden wir auf Grund von halbrichtigen Pr\u00e4missen Folgerungen gezogen, welche bei scheinbarer Berechtigung in grellem Widerspruche mit der sonstigen Erfahrung stehen.\nDas witzige Urtheil fasst in der Regel eine Combination von Vorstellungen in sich, die in Wirklichkeit einen unvers\u00f6hnlichen inneren Widerspruch bedeutet. Nur durch die scheinbar ernsthafte Vereinigung derselben zu einem logischen Ganzen wird jene Forderung zur begrifflichen Zusammenfassung der Elemente ausgedr\u00fcckt,","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n153\nwelche wir als die Grundbedingung f\u00fcr das Zustandekommen des Contrastes \u00fcberall erkannt haben. Wie ich glaube, kann man zwei specielle Formen dieser Gruppe von Apperceptionswitzen auseinanderhalten, je nachdem n\u00e4mlich jener totale Widerspruch durch die witzige Verkn\u00fcpfung logisch einander ausschlie\u00dfender oder aber durch die Trennung unabweislich zu einander ge h\u00f6rige r Vorstellungen erreicht wird. Nat\u00fcrlich muss hier \u00fcberall, wenn nicht der Witz in den einfachen Unsinn \u00fcbergehen soll, jene Manipulation in irgend einer Weise maskirt werden, so dass die Unhaltbarkeit derselben erst durch eine gewisse Verarbeitung des Gegebenen, durch eine Ueberlegung vom Zuh\u00f6rer entdeckt wird. Je versteckter der \u00bbverborgene Unsinn\u00ab ist, desto feiner, je offenkundiger er zu Tage liegt, desto plumper ist der Witz.\nBei den einfachsten Beispielen dieser Gattung wird ohne weiteres in einer Zusatzbestimmung zu der angeregten Vorstellung dem Inhalte derselben widersprochen, so dass die scheinbar friedliche Vereinigung unmittelbar eine Contradictio in adjecto in sich enth\u00e4lt. Dahin geh\u00f6ren manohe Gegenst\u00e4nde aus dem Lichtenberg\u2019schen Auctions Verzeichnisse, das messingene Schl\u00fcsselloch, der viereckige Kreis, denen man leicht noch andere anreihen k\u00f6nnte. Bei dem er-steren Beispiele ist die Vereinigung der beiden disparaten Vorstellungen durch die associative Gew\u00f6hnung, welche aus der r\u00e4umlich nahen Verbindung von Messing und Schl\u00fcsselloch hervorgeht, in bemerkens-werther Weise erleichtert, der witzige Character des Contrastes daher sch\u00e4rfer ausgepr\u00e4gt. Weit weniger ist das in dem zweiten Beispiele der Fall, ebenso in Ausdr\u00fccken wie \u00bbbronzene Ewigkeit\u00ab, \u00bbblaue Tugend\u00ab, \u00bbdreieckige Seele\u00ab, mit denen wir bereits in das Gebiet desreinen, nicht mehr witzigen Unsinnes hin\u00fcberspielen. Von h\u00f6herem Werthe dagegen ist schon das St\u00fcckchen \u00bbegyptischer Finsterniss\u00ab, welches in Dobberan aufbewahrt wird, noch besser ein St\u00fcck von der Sch\u00fcrze des Schl\u00e4chters, welcher in dem Gleichnisse von dem verlorenen Sohne das Kalb schlachtete und eine Sprosse der Himmelsleiter, die Jacob im Traum sah. Namentlich in den beiden letzten Beispielen ist der logische Unsinn erst dann klar, wenn wir durch die Zus\u00e4tze inne werden, dass wir es in diesen Reliquien mit unwirklichen Dingen zu thun haben, die im ersten Falle nur erz\u00e4hlt, im zweiten nur getr\u00e4umt worden sind.\nAls Sentenz tritt diese Gattung des witzigen Contrastes auf in","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154\nEmil Kraepelin.\ndem bekannten Ausspr\u00fcche : \u00bbH\u00e4sslichkeit entstellet immer, seihst das sch\u00f6nste Frauenzimmer\u00ab. Ebenso kann dieselbe auch in Form einer ganzen Situation vorgetragen werden, so dass dadurch das sch\u00f6n fr\u00fcher wiederholt erw\u00e4hnte komische Element, welches aus dieser Art der Fassung entspringt, die Gesammtwirkung erh\u00f6ht. Fischer erw\u00e4hnt den erg\u00f6tzlichen Ausspruch eines Frankfurter B\u00fcrgers, der damit unzufrieden War, dass bei Einf\u00fchrung der Pressfreiheit die Celisur, als Aequivalent, wie er meinte, gleichzeitig abgeschafft werden sollte. \u00bbWir wollen Pressfreiheit und Censur\u00ab! rief er aus; man solle nicht mit einer Hand geben und mit der andern nehmen. Aehn-lich wirkt das Beispiel jenes schiffbr\u00fcchigen Vaters, der in gr\u00f6\u00dfter Hungersnoth gezwungen war, seine Kinder zu schlachten und zu verzehren , um ihnen den Vater zu erhalten. Die CoexisteJiz der unvereinbaren Vorstellungen, der totale ^Widerspruch ist hier in die Form des Verh\u00e4ltnisses zwischen Mittel und Zweck gekleidet. Das Mittel schlie\u00dft den Zweck mit derselben Nothwendigkeit aus, wie der Zweck das Mittel; die trotzdem vollzogene Zusammenfassung beider Vorstellungen in dem Bewusstsein eines fingirten Subjectes l\u00e4sst die logische Unm\u00f6glichkeit derselben in grellem Contrast hervortreten. Witzig wird dieser Contrast erst dadurch, dass wir ihn als absichtsvoll herbeigef\u00fchrt betrachten; im andern Falle, der allerdings in dem gew\u00e4hlten Beispiele undenkbar ist, w\u00fcrde derselbe als Situationskomik erscheinen , insofern dann wesentlich das Missverh\u00e4ltniss zwischen Mittel und Zweck und nicht sowol die besonderen logischen Beziehungen der Vorstellungen ins Auge fallen w\u00fcrden.\nEine viel benutzte Form dieser Gattung des Witzes ist der Anachronismus. Die beiden durch ihn vereinigten Vorstellungen, z. B. Kanonen in Caesar\u2019s Gallischen Kriegen und die vielfachen Beispiele in Offenbach\u2019s dramatischen Darstellungen antiker Stoffe, sind allerdings nicht an sich logisch imvereinbar, aber sie sind es im Hinblick auf die wirklichen Verh\u00e4ltnisse, als deren Abbild sie gelten sollen. Die Eigent\u00fcmlichkeiten des Anachronismus sind somit durch den Umstand bestimmt, dass derselbe nicht in origineller Sch\u00f6pfung, sondern immer nur in Tleproductionen fr\u00fcherer Ereignisse m\u00f6glich ist. Nur dann, wenn wir uns einen Menschen oder eine Situation, sei es auf Grund des Rahmens, in dem sie sich bewegen, sei es Wegen der charakteristischen Z\u00fcge, welche sie darbieten, in eine ganz bestimmte Zeit Versetzt den-","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n155\nken, kann ja jener in der Zeitverschiedenheit begr\u00fcndete Widerspruch zwischen den concurrirenden Vorstellungen zur Ausbildung gelangen.\nIn \u00e4hnlicher Weise, wie die Zusammenfassung logisch unvereinbarer, kann auch die Trennung logisch untrennbarer Vorstellungen zur Entstehung der hier behandelten Form des witzigen Contrastes Veranlassung werden. Das Messer ohne Heft und Klinge, das Gewehr ohne Schaft und Lauf sind daf\u00fcr treffende Beispiele ; ebenso die Aeu\u00dferung Galetti\u2019s, dass Alexander der Gro\u00dfe in Abwesenheit seiner Eltern geboren wurde. Die Verkn\u00fcpfung der Vorstellungen, die bei der vorigen Gruppe k\u00fcnstlich herbeigef\u00fchrt war, ist hier eine absolut innige ; der Gegensatz, in welchen sie zu einander gestellt werden, ist dagegen nicht innerlich, sondern rein \u00e4u\u00dferlich durch die Form der Behauptung begr\u00fcndet, in der er auftritt. Allerdings war dieser Ausspruch urspr\u00fcnglich kein Witz, sondern er geh\u00f6rte dem Gebiete der unabsichtlichen, der Situationskomik an. Dagegen f\u00e4llt das Urtheil : \u00bbDas Schwein tr\u00e4gt seinen Namen mit Recht, denn es ist in der That eines der unreinlichsten Thiere\u00ab auch seinem Urspr\u00fcnge nach ganz in jene Kategorie. Die prim\u00e4re begriffliche Zusammengeh\u00f6rigkeit der Unreinlichkeit und des Schweines wird hier ignorirt und die Fiction gemacht, als ob der Ausdruck Schwein als Bezeichnung f\u00fcr ein unreinliches Thier unabh\u00e4ngig von der Kenntniss des bestimmten Thieres bestanden habe und erst secuad\u00e4r auf dasselbe \u00fcbertragen worden sei.\nDie Zusammenstellung unvereinbarer Gegens\u00e4tze unter einem gemeinsamen Gesichtspunkte bildet auch f\u00fcr die zweite Hauptform der Apperceptionswitze, den witzigen Schluss, die allgemeine Grundlage der komischen Wirkung. W\u00e4hrend es sich jedoch bei den witzigen Urtheilen um einen totalen Widerspruch der concurrirenden Elemente handelte, haben wir es hier wegen der besonderen Eigen-th\u00fcmlichkeit der logischen Formulirung immer nur mit partiellen Widerspr\u00fcchen zu thun. Alle hierher geh\u00f6rigen Beispiele lassen sich m die Form eines falschen Schlusses, besonders des falschen Analogieschlusses bringen, dessen scheinbare Berechtigung aus irgend einer entfernten Verwandtschaft der concurrirenden Vorstellungen abgeleitet wird. Man kann allerdings nat\u00fcrlich auch falsche Schl\u00fcsse eon-struiren, die g\u00e4nzlich aus unvereinbaren Elementen zusammengesetzt sind, aber in diesem Falle enthalten dieselben eben keinen Witz mehr, sondern einfachen Unsinn.","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156\nEmil Kraepelin.\nAlle Formen der Schl\u00fcsse k\u00f6nnen witzig werden, wenn dieselben das Grundelement des Witzes, den Contrast, in sich enthalten. H\u00e4ufig wird derselbe in \u00e4hnlicher Weise, wie heim limitirenden Wortspiele, durch verschieden weite Fassung einer der concurrirenden Vorstellungen hervorgerufen, meist aber durch die unberechtigte Uebertragung partieller Uebereinstimmungen auf den ganzen Bereich der beiden Vorstellungen. Am \u00fcbersichtlichsten l\u00e4sst sich das ganze Gebiet dieser Witze in zwei Formenkreise abtrennen, von denen der erste solche Schl\u00fcsse umfasst, die eine logische Unterordnung zwischen den contrastirenden Vorstellungen herstellen, w\u00e4hrend es sich im zweiten Falle um die Begr\u00fcndung eines Causalverh\u00e4ltnisses handelt.\nEin ber\u00fchmtes Beispiel f\u00fcr jene erstere Gruppe der witzigen Schl\u00fcsse ist Lichtenherg\u2019s \u00bbdoppelter Kinderl\u00f6ffel f\u00fcr Zwillinge\u00ab. F\u00fcr ein Kind passt ein Kinderl\u00f6ffel; Zwillinge sind zwei Kinder, also passt f\u00fcr sie ein doppelter Kinderl\u00f6ffel. Man sieht sofort, dass hier im Schlusss\u00e4tze anstatt der zweifellos richtigen Folgerung \u00bbzwei Kinderl\u00f6ffel\u00ab ein doppelter sich eingeschlichen hat, indem man die Zwillinge nicht als zwei Kinder, sondern als ein doppeltes auffasst. Dem Begriffe der zwei ist daher \u00fcberall der engere des \u00bbdoppelten\u00ab substituirt worden. Uns w\u00fcrde diese Vertauschung gar nicht auffallen, wenn es sich etwa um ein \u00bbdoppeltes Bett f\u00fcr Zwillinge\u00ab handelte ; erst aus dem Contraste, den die Idee der Verdoppelung des L\u00f6ffels mit derjenigen seiner praktischen Anwendung in uns wachruft, entspringt die komische Wirkung des Beispiels. Ganz \u00e4hnlich verh\u00e4lt sich die \u00bbMausefalle mit den dazu geh\u00f6rigen M\u00e4usen\u00ab und der \u00bbzweischl\u00e4frige Kirchenstuhl\u00ab. Aus dem Umstande, dass die Mausefalle und das Fangen der M\u00e4use in einer Zweckbeziehung stehen, wird der Schluss gezogen, dass die M\u00e4use \u00fcberhaupt der Zweck der Falle seien. W\u00fcrde jene Ank\u00fcndigung lauten : \u00bbEine Mausefalle mit M\u00e4usen darin\u00ab oder : \u00bbEine Mausefalle mit dem dazugeh\u00f6rigen Futter\u00ab, so w\u00fcrde der komische Effekt fortfallen, w\u00e4hrend die Feilbietung von \u00bbM\u00e4usen f\u00fcr die Speisekammer\u00ab \u00e4hnlich wirkt, wie das gew\u00e4hlte Beispiel. Der innere Zusammenhang beider Vorstellungen ist vorhanden, aber er besteht nicht, wie fingirt, in dem Verh\u00e4ltnisse des Mittels zum Zwecke. F\u00e4llt dieser Zusammenhang g\u00e4nzlich fort, wie in dem Ausdrucke : Eine Mausefalle mit der dazugeh\u00f6rigen Morgenr\u00f6the, so tritt das Beispiel","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n157\naus dieser Gruppe des Witzes heraus in jene fr\u00fchere des witzigen Ur-theils mit totalem Widerspruche. Die Mausefalle hat mit der Morgen-r\u00f6the so wenig Ber\u00fchrungspunkte, wie die Ewigkeit mit der Bronze ; die Vereinigung ist eine durchaus k\u00fcnstliche, nur durch die Form der Rede vermittelte. Der zweischl\u00e4frige Kirchenstuhl ist ein etwas ver-wickelteres Beispiel. In diesem Ausdrucke wird zun\u00e4chst der Ausdruck zweischl\u00e4frig in unberechtigter Weise zu dem Begriffe des f\u00fcr zwei Bestimmten oder Ausreichenden erweitert. Mit demselben Scheinrechte k\u00f6nnte man etwa von einem zweischl\u00e4frigen Tische sprechen, indem man die Analogie der Gr\u00f6\u00dfe auch auf den besonderen Zweck der Objecte ausdehnt. Bei dem Kirchenstuhle tritt hier noch als weiteres witziges Element die thats\u00e4chliche h\u00e4ufige Benutzung desselben zum Schlafen hinzu. Die Berechtigung des' Ausdruckes \u00bbzweischl\u00e4frig\u00ab wird dadurch betr\u00e4chtlich verst\u00e4rkt und gleichzeitig der Gegensatz dieser Zweckanalogie zu den eigentlichen Zwecken des Kirchenstuhles in helles Licht gesetzt.\nDie Benutzung des limitirenden Wortspieles f\u00fcr die Verf\u00e4lschung des Schlusses tritt sehr deutlich in jener bekannten Geschichte hervor, welche uns berichtet, dass einem Reisenden, der auf den Ruf : Herr Meyer! den Kopf zum Fenster hinausstreckt, eine energische Ohrfeige von unbekannter Hand ertheilt wird. Bis hierher reicht die Situationskomik. Der herbeigerufene Conducteur erkl\u00e4rt dann dem Beschwerde f\u00fchrenden Reisenden, nachdem er festgestellt hat, dass derselbe nicht Meyer hei\u00dft \u00bbDann geht Sie ja die ganze Geschichte gar nichts an\u00ab. Sobald man den Ausdruck \u00bbdie ganze Geschichte\u00ab nur auf den erfolgten Ruf bezieht, ist der Schluss vollkommen richtig ; die witzige Wirkung liegt darin, dass wir unwillk\u00fcrlich auch die Ohrfeige mit unter jenen Ausdruck subsumiren und dadurch einen grellen Contrast zwischen dem wirklich bestehenden Verh\u00e4ltnisse und der scheinbar berechtigten Antwort des Conducteurs herstellen.\nIn die Form des Wahrscheinlichkeitsschlusses kleidet sich die hier besprochene Gattung des Witzes in dem Ausspruche jenes Berliners, der beim Anblick der Alpen zwar zugab, dass sich bei Berlin keine Berge f\u00e4nden, aber dennoch meinte : \u00bbWenn wir aber welche h\u00e4tten, so w\u00e4ren sie sicherlich viel h\u00f6her\u00ab. Hier ist zu dem Obersatze: Berlin ist eine gro\u00dfe Stadt der unberechtigte Untersatz hinzugedacht: Zu einer gro\u00dfen Stadt geh\u00f6ren hohe Berge, also hat wahrscheinlich auch","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158\nEmil Kraepelin.\nBerlin hohe Berge. Der witzige Contrast ist ein doppelter. Hie\u00dfe das Beispiel : Hamburg ist eine gro\u00dfe Stadt ; zu einer gro\u00dfen Stadt geh\u00f6rt ein gro\u00dfer Fluss, folglich besitzt Hamburg einen gro\u00dfen Fluss, so wurde schon [hier die Willk\u00fcrlichkeit des Untersatzes komisch wirken, wie jsie durch die falsche Ausdehnung des Begriffes \u00bbGro\u00df\u00ab hervorgerufen wird. Dazu kommt aber in dem ersten Beispiele noch der Contrast der Schlussfolgerung mit den wirklichen Verh\u00e4ltnissen.\nH\u00e4ufiger wohl noch und von drastischerer Wirkung als diese erste Form des witzigen Schlusses ist die zweite, welche auf der Feststellung eines Causalverh\u00e4ltnisses beruht, w\u00e4hrend au\u00dferdem noch, wie in den vorigen F\u00e4llen, eine Subsumtion stattfinden kann. Kant erw\u00e4hnt das Beispiel eines Mannes , der in einem f\u00fcrchterlichen Seesturme eine so sorgenvolle Nacht durchlebte, dass ihm am anderen Morgen seine Perr\u00fceke grau geworden war. Haar kann durch Sorge pl\u00f6tzlich grau werden ; die Perr\u00fccke ist Haar, folglich kann auch sie unter \u00e4hnlichen Umst\u00e4nden ergrauen. Zweifellos besteht eine Analogie zwischen Perr\u00fccke und Haar, aber sie besteht nicht in allen Punkten und insbesondere nicht in dem einen, der hier in Betracht kommt. W\u00fcrde von jenem Manne ausgesagt werden, dass er in der angstvollen Nacht eine graue Perr\u00fccke getragen habe, oder dass diese letztere aus irgend welchen Ursachen, z. B. durch Staub, grau geworden sei, so ist die komische Wirkung verloren; sie kehrt aber wieder, wenn wir sagen : Dieser Mann ist bereits so alt, dass nun sogar seine Perr\u00fccke grau geworden ist.\nMan wird ohne Schwierigkeit durch \u00e4hnliche Erw\u00e4gungen die wesentlichen Grundlagen der komischen Wirkungen bei allen hierhergeh\u00f6rigen Witzen feststellen k\u00f6nnen. Wenn M\u00fcnchhausen sich an seinem Zopfe selbst aus dem Sumpfe zieht, wenn man mit der Kanone durch einfaches Umlegen derselben auf die Seite um die Ecke schie\u00dft, wenn der Besitzer einer Weste aus dem Felle seines verstorbenen Jagdhundes pl\u00f6tzlich vor einer Kette von H\u00fchnern \u00bbstehen\u00ab muss, so haben wir es \u00fcberall mit dem Hineintragen falscher Analogien in ein fingirtes Causalverh\u00e4ltniss zu thun. Dass Jemand an seinem Zopfe aus dem Sumpfe gezogen werden k\u00f6nne, dass die Geschossbahn eine Curve bildet und dass der in seinem Felle steckende Jagdhund bei Lebzeiten vor dem Federwilde \u00bbstand\u00ab, ist unbezweifelt ; erst durch die verkehrte Uebertragung dieser M\u00f6glichkeiten auf that-","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie des Komischen.\n159\ns\u00e4chlich andere Verh\u00e4ltnisse wird hier eine neue Vorstellungsweise geschaffen, die bei ihrer theilweisen Analogie doch un\u00fcberwindliche Differenzpunkte darbietet. Nicht schon die einfache Behauptung des Unm\u00f6glichen, z. B. dass der Himmel einfalle, enth\u00e4lt die Elemente des Witzes, sondern erst die durch falsche Analogieschl\u00fcsse gest\u00fctzte, scheinbar richtige Begr\u00fcndung desselben erzeugt sie. So wird jener Ausspruch witzig, wenn man ihn etwa formulirt: Da die Spitzen der Gebirge durch die Absp\u00fclung fortw\u00e4hrend niedriger werden, so muss der schlecht unterst\u00fctzte Himmel offenbar der Erde allm\u00e4hlich n\u00e4her kommen.\nEine sehr ausgiebige Anwendung findet diese Gattung der Ap-perceptionswitze in jener Form der witzigen Caricatur, die eine Hyperbel enth\u00e4lt. Herrn Wahl\u2019s Nase, die f\u00fcr einen Schlagbaum gehalten wird, der Herr Amtmann, der so entsetzlich schielt, dass ihm beim Weinen die Thr\u00e4nen kreuzweise \u00fcber den R\u00fccken herunterlaufen, jener Mann mit der ungeheuer krummen Nase, der nicht sterben konnte, weil ihm sein \u00bbGeist\u00ab, wenn er ihn aufgeben wollte, stets wieder in die Nase hereinfuhr, sind bekannte Beispiele, deren innere Zugeh\u00f6rigkeit zu den vorher aufgef\u00fchrten ohne weiteres einleuchten wird. Ein Beispiel dieser Gattung in Form einer Sentenz ist der Satz : Niemand ist so ungl\u00fccklich, dass ihm Zahnschmerzen Vergn\u00fcgen bereiten. Der demselben zu Grunde liegende Trugschluss ist folgender: Ungl\u00fcck l\u00e4sst schon geringe Freuden als Vergn\u00fcgen erscheinen; Zahnschmerzen sind geringe Freuden, also k\u00f6nnten auch Zahnschmerzen unter Umst\u00e4nden Vergn\u00fcgen bereiten Die besondere Fassung des Satzes, dass dennoch Niemand wirklich derartig ungl\u00fccklich ist, hat mit der komischen Wirkung nichts zu thun. Das Wesen dieses Trugschlusses und zugleich des witzigen Contrastes liegt offenbar in dem Untersatze, dass Zahnschmerzen geringe Freuden sind, w\u00e4hrend sie nat\u00fcrlich in Wirklichkeit niemals Freude bereiten k\u00f6nnen.\nSelbstverst\u00e4ndlich haben wir mit dieser Aufz\u00e4hlung die M\u00f6glichkeiten der Vorstellungsverbindungen bei weitem nicht ersch\u00f6pft, welche zur Entstehung des komischen Contrastes Veranlassung werden k\u00f6nnen; namentlich eine eingehendere Ber\u00fccksichtigung der verschiedenen Formen des Urtheiles und des Schlusses w\u00fcrde leicht eine weit detaillirtere Gruppirung der Witze gestatten. Uns kam es","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160\nEmil Kraepelin. Zur Psychologie des Komischen.\nhier indessen nur darauf an, die psychologischen Wurzeln der komischen Wirkungen zu verfolgen, wie sie sich uns in den Verbindungen der Vorstellungen darbieten. So verschieden sich jene Verbindungen auf den drei gro\u00dfen Gebieten der Anschauungskomik, der Situationskomik und der witzigen Komik gestalten, so haben wir doch \u00fcberall auch im Einzelnen das als wesentlich erkannte Moment wieder gefunden, den intellectuellen Contrast. Es wird weiterhin unsere Aufgabe sein, auch auf den anderen Gebieten des Seelenlebens die allgemeinen Grundz\u00fcge dieser Wirkungen aufzusuchen und alsdann aus den verschiedenen Elementen ein Bild von der Gesammtwirkung des Komischen zu construire!!.\n(Schluss folgt.)","page":160}],"identifier":"lit3329","issued":"1885","language":"de","pages":"128-160","startpages":"128","title":"Zur Psychologie des Komischen, I","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:08:59.165849+00:00"}