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{"created":"2022-01-31T16:31:25.154544+00:00","id":"lit33319","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Lipps, Theodor","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 31: 156-158","fulltext":[{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156\nLitera turberich t.\nzu weisen, dafs f\u00fcr gewisse Formen der schnell zum Tode f\u00fchrenden Psychosen sich einmal Infektionen als die Psychose bedingendes \u00e4tiologisches Moment werden nachweisen lassen, aber f\u00fcr seine F\u00e4lle hat er diesen Nachweis nicht gebracht. Hier liegt zweifellos die Sache viel einfacher : Fall 4 ist an einer Lungenentz\u00fcndung gestorben, Fall 5 zeigte bei der Sektion ausgedehnte Darmgeschw\u00fcre, Fall 1 und 6 hatten kurz vor dem Tode hohes Fieber, Grund genug f\u00fcr den Befund infekti\u00f6ser Ver\u00e4nderungen. Nachgewiesen w\u00e4re demnach f\u00fcr diese F\u00e4lle nicht die toxische Natur der Psychose, sondern lediglich die Komplikation von Psychosen mit infekti\u00f6sen Erkrankungen. Das Vorkommen solcher Komplikationen d\u00fcrfte niemanden \u00fcberraschen.\tSchr\u00f6der (Heidelberg).\nTheodor Lipps. Die Ethischen Grundfragen. Leop. Vofs, Hamburg und Leipzig 1899.\t308 S.\nDas ethisch Richtige, oder das Gute, ist, ebenso wie das logisch Richtige, oder das Wahre, das jeder m\u00f6glichen Erfahrung Standhaltende. Nur sind die Erfahrungen, die f\u00fcr das eth i s ch Richtige in Frage kommen, erfahrene Wirkungen auf mich, wodurch ich in meinem Werten und Wollen bestimmt werden kann. Sie sind m\u00f6gliche Zwecke. Vorausgesetzt ist danach f\u00fcr das ethisch Richtige absoluter Reichtum der Wertungen oder der Zwecke. Zugleich dies, dafs sie in uns ihre ganze Kraft entfalten. Das sittliche Werten und Wollen ist das in den Zusammenhang aller m\u00f6glichen Wertungen und Wollungen widerspruchslos sich einordnende. Hiermit ist sogleich das oberste Sittengesetz bezeichnet. Es fordert eben diese Widerspruchslosigkeit. Es fordert die M\u00f6glichkeit der Treue gegen mich in allen m\u00f6glichen Wertungen, Zwecksetzungen, Wollungen; es fordert diese innnere Freiheit. Es ist selbstverst\u00e4ndlich, dafs dies Sittengesetz nur formal sein kann. \u2014 Ebenso ergibt sich daraus die sittliche Triebfeder: Selbstachtung. Endlich auch die Antwort auf die Frage, was die sittliche Pers\u00f6nlichkeit sei. Es ist die starke, absolut reiche und freie Pers\u00f6nlichkeit.\nHier nun setzen allerlei psychologische Aufgaben ein. Es sind die m\u00f6glichen Wertungen festzustellen und psychologisch verst\u00e4ndlich zu machen. Zugleich gilt es den Sinn des \u201eobjektiven\u201c Wertes, wie des \u201eObjektiven\u201c \u00fcberhaupt, psychologisch festzulegen. Aus der Analyse der Wertung \u00fcberhaupt und der mancherlei Wertungen ergibt sich, welche Wertungen (Motive, Zwecke) urspr\u00fcnglich, welche abgeleitet sind, welche unbedingte, welche bedingte Werte sind, welche in h\u00f6herem, und welche in niedrigem Grade Werte sind. Auf Grund davon beantwortet sich dann die ethische Frage, wann ein Werten und Wollen widerspruchsfrei, also frei, und demnach sittlich sein k\u00f6nne.\nDie beiden obersten Arten m\u00f6glicher Wertung sind die Sachwertungen und die Pers\u00f6nlichkeitswertungen. Der Unterschied ist gleich dem Unterschied der G\u00fcter und des Guten. Dabei erweist sich die Bedingtheit der objektiven Wertung jener durch die M\u00f6glichkeit der Wertung dieser als psychologische Tatsache. Es tritt dazu der ethisch sekund\u00e4re Gegensatz der egoistischen und altruistischen Wertungen. Die letzteren wurzeln nicht in den ersteren, sondern sind mit meinem Wissen","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n157\nvon fremden Individuen, sofern dies nicht ein blofses Wortwissen ist, notwendig gegeben oder darin eingeschlossen. Sie sind ein psychologisch notwendiges Miterleben. Auch mein negatives oder feindseliges Verhalten zu fremden Pers\u00f6nlichkeiten, schliefslich auch die Grausamkeitswollust, ist nicht m\u00f6glich ohne dasselbe. Das altruistische Werten ist aber nicht Werten der fremden Lust als solcher, sondern der Lust, sofern die Pers\u00f6nlichkeit, die, und sofern sie Lust f\u00fchlt, gewertet werden kann. Unter der gleichen Bedingung hat auch fremder Schmerz f\u00fcr uns Wert. In diesem Zusammenhang erweist sich der Eud\u00e4monismus als ein psychologischer Irrtum, der Utilitarismus als eine Gedankenlosigkeit. Mifsbrauch des Wortes \u201eEgoismus\u201c kann alles Werten als \u201eegoistisch\u201c erscheinen lassen. Rechter Gebrauch stellt das Egoistische und Altruistische deutlich einander gegen\u00fcber. Doch gibt es einen ethischen Egoismus, der alle Sittlichkeit in sich schliefst. Es gibt im \u00fcbrigen ein sittliches Recht des Egoismus. Der N\u00e4chste soll mir der N\u00e4chste sein. Und der absolut N\u00e4chste bin ich mir selbst.\nZum sittlichen Menschen geh\u00f6rt alles Positive im Menschen. Nichts Positives kann b\u00f6se sein. Alles B\u00f6se ist Negation der Pers\u00f6nlichkeit. Darum alle Verst\u00fcmmelung und Herabw\u00fcrdigung irgend eines positiv Menschlichen b\u00f6se. Die Negation ist Schw\u00e4che oder Irrtum. Die verschiedenen Arten des ethischen Irrtums l\u00f6st die psychologische Analyse auf.\nEs gibt keine spezifischen Gegenst\u00e4nde der ethischen Wertung, sondern alle Werte verfallen der ethischen Beurteilung. Die ethische Bewertung ist die objektive Bewertung von allem. Auch Kunst, Wissenschaft, Religion, Staat und Gesellschaft, Eigentum, Ehre, Macht, haben Wert und haben ein Recht, soweit die \u2014 nicht eud\u00e4monistiseh oder utilitaristisch, sondern ethisch, d. h. vom Gesichtspunkt der Schaffung der sittlichen Pers\u00f6nlichkeit \u2014 des guten, d. h. starken, reichen und sittlich freien Willens, des \u201eMenschen\u201c in mir und anderen, \u2014 sanktioniert sind.\nDie \u201eFreiheit des Willens\u201c besteht, so n\u00e4mlich, wie sie das nat\u00fcrliche Bewufstsein meint, nicht so, wTie sie vermeintliche Wissenschaft ausgekl\u00fcgelt hat. Freiheit des Willens ist Eigent\u00e4tigkeit, Begr\u00fcndetsein des Wollens in meinem Wesen. Es gibt einen Determinismus und einen Indeterminismus, der den Sinn dieser Freiheit f\u00e4lscht. Der Indeterminismus, der eine Zufallsfreiheit statuiert, w\u00fcrde alle Zurechnungsf\u00e4higkeit und Verantwortlichkeit vernichten. \u2014 Diese beiden Begriffe, der \u201eZurechnungsf\u00e4higkeit\u201c, und der \u201eVerantwortlichkeit\u201c, wird man auseinanderhalten m\u00fcssen. Es entspricht ihnen der Gegensatz von Strafw\u00fcrdigkeit und Straff\u00e4higkeit. Die Strafe hat ein sittliches Recht, sofern sie nicht einem Abstraktum, Recht genannt, zu seinem angeblichen Recht verhilft, sondern wiederum der sittlichen Pers\u00f6nlichkeit dient. \u2014\nDies soll nicht eine Inhaltsangabe sein, sondern eine Andeutung dessen, was das Bueh will. Es will die Tatsachen des sittlichen Bewufst-seins psychologisch aufzeigen und untersuchen. Daraus ergibt sich die \u201enormative\u201c Ethik von selbst. Umgekehrt hat diese kein Recht, soweit sie nicht Tatsachen zu ihrer Basis hat. Im \u00fcbrigen scheut sich das Buch nicht, ins Leben hineinzugehen, und pers\u00f6nliche und soziale Fragen, Fragen","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158\nLiteraturberich t.\nder Kultur und der Unkultur, der Keligion und der Afterreligion, die uns jetzt am Herzen liegen, unter den ethischen Gesichtspunkt zu stellen.\nMan hat die Ethik der \u201eEthischen Grundfragen\u201c radikal, unpraktisch, individualistisch und unhistorisch genannt. Dies alles nehme ich, so wie es dem Inhalte des Buches zufolge einzig gemeint sein kann, als Anerkennung. Die Ethik ist notwendig radikal, d. h. sie geht \u00fcberall auf die Wurzel. Sie ist im \u00fcbrigen so radikal, wie es das ethische Prinzip, d. h. das Prinzip der absoluten sittlichen Autonomie seiner Natur nach ist. Und die Ethik ist notwendig unpraktisch in dem Sinne, dafs sie niemals \u201epraktische\u201c Kompromisse schliefst, und nirgends die Frage stellt, wie ich am bequemsten und unangefochtensten zwischen der sittlichen Forderung, und dem, was die Macht hat und Geltung beansprucht, mich durchwinden kann. Sie ist individualistisch, sofern sie sieht, dafs das Sittliche immer nur im Individuum wirklich sein kann, also vom sittlichen Gesichtspunkt alles auf das Individuum zielt. Sie erkennt doch zugleich, dafs das Individuum nur durch das Ganze werden kann, was es werden soll, und dafs das Individuum die Pflicht hat, an seiner Stelle ins Ganze sich einzugliedern. Die Ethik ist endlich \u2014 nicht un historisch, sondern historisch, sofern sie das Prinzip der stetigen historischen Entwicklung und die Verpflichtung seiner praktischen Anerkennung festh\u00e4lt. Sie ist doch zugleich schlechterdings unhistorisch, in dem Sinn, dafs sie nichts gut nennt, lediglich darum, weil es historisch geworden ist und historisch \u201ezurecht besteht\u201c ; da sie sieht, dafs das Schlechteste und Gemeinste, das besteht, genau ebensowohl historisch geworden ist, wie das Edelste und Erhabenste.\nIch f\u00fcge noch die Kapitel\u00fcberschriften hinzu. Sie lauten: Einleitung. Egoismus und Altruismus; Die sittlichen Grundmotive und das B\u00f6se; Handlung und Gesinnung (Eud\u00e4monismus und Utilitarismus); Gehorsam und sittliche Freiheit (Autonomie und Heteronomie) ; Das sittlich Eich tige ; Die obersten sittlichen Normen und das Gewissen; Das System der Zwecke; Soziale Organismen (Familie und Staat); Die Freiheit des Willens (Determinismus und Indeterminismus) ; Zurechnung, Verantwortlichkeit, Strafe.\n(Selbstanzeige.)\nC. Lombroso. Die Ursachen und Bek\u00e4mpfung des Verbrechens. \u00dcbersetzt von Dr. H. Kur eil a u. Dr. E. Je nt sch. Berlin. H. Berm\u00fchler. 1902. 403 S. M. 10.\u2014.\nKurella, der \u00dcbersetzer und unerm\u00fcdliche Vork\u00e4mpfer Lombroso\u2019s, glaubt von diesem Werke, dafs es das gr\u00f6fste Hindernifs entfernen werde, das einer W\u00fcrdigung der LoMBROSo\u2019schen Ideen bei uns bisher entgegengestanden h\u00e4tte, das Vorurteil n\u00e4mlich, dafs er und seine Schule den Verbrecher als einen Geisteskranken aus einem Objekte der Kriminalpolitik zu einem Objekte der Krankenpflege machen wolle. Ob dies wirklich ein Vorurteil war, m\u00f6chte ich dahin gestellt sein lassen.\nTats\u00e4chlich ist Lombroso mit neuen und sehr revolution\u00e4ren Ideen in die alte Strafrechtspflege hineingefahren, und er hat, wie alles Neue, anf\u00e4nglich den heftigsten Widerstand gefunden. Allm\u00e4hlich aber hat die Bewegung, die seinen Namen tr\u00e4gt, immer weitere Kreise ergriffen, so dafs sich eigentlich niemand ihr ganz entziehen kann. Dafs er dabei im Eifer","page":158}],"identifier":"lit33319","issued":"1903","language":"de","pages":"156-158","startpages":"156","title":"Theodor Lipps: Die Ethischen Grundfragen. Leop. Vo\u00df, Hamburg und Leipzig 1899. 308 S. (Selbstanzeige)","type":"Journal Article","volume":"31"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:31:25.154550+00:00"}