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{"created":"2022-01-31T16:30:23.797798+00:00","id":"lit33327","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Meyer, Max","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 31: 230-232","fulltext":[{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230\nLiteraturbericht.\ndas Stereoskop zwei Fl\u00e4chen zu einem K\u00f6rper vereinigen lassen, k\u00f6nnen auch zwei kongruente K\u00f6rper stereoskopisch zu einer Fl\u00e4che vereinigt werden. Dies l\u00e4fst sich sehr anschaulich an zwei dachf\u00f6rmig geknifften Karten zeigen.\tW. Trendelenburg (Freiburg i. Br.)\nOtto Abraham. Das absolute Tonbewufstsein. Psychologisch-musikalische Studie.\nSammelhefte d. internat. Musikgesellsch. Berlin 1901. 86 S.\nVerf. behandelt das absolute Tonged\u00e4chtnis in einer streng wissenschaftlichen, und doch zugleich hinreichend popul\u00e4ren Weise, um auch dem Nicht-Psychologen eine angenehm lesbare Schrift zu liefern. Er berichtet \u00fcber eine grofse Anzahl von ihm selbst angestellter Versuche, zu denen er durch den Besitz eines sehr guten absoluten Tonged\u00e4chtnisses ganz besonders geeignet war. Aufserdem hat er an eine grofse Zahl anderer Personen Fragebogen ausgesandt, die ein ziemlich wertvolles statistisches Material liefern.\nDas absolute Tonged\u00e4chtnis kann in doppelter Weise wirksam sein: es kann die Benennung eines geh\u00f6rten Tons erm\u00f6glichen, oder es kann die Vorstellung eines Tons erm\u00f6glichen, dessen Namen angegeben worden ist. Verf. untersucht zun\u00e4chst die erste Art des Ged\u00e4chtnisses. Die H\u00f6hen- und Tiefengrenze sind durchaus nicht identisch mit den entsprechenden Empfindungsgrenzen ; wenigstens nicht in der Fl\u00f6he. Bis zu etwa 60 Schwingungen hinunter besteht bei dem Verf. fast absolute Sicherheit im Benennen der T\u00f6ne; von 60 bis zu 20 Schwingungen dagegen sind nur wenig mehr als ein Drittel der F\u00e4lle ganz richtig, und Fehler bis zu einer kleinen Terz sind h\u00e4ufig. In der H\u00f6he beginnt die Unsicherheit bei etwa 3000 Schwingungen, bei 6000 sind nur noch ein Viertel der F\u00e4lle ganz richtig, und \u00fcber 8000 hinaus besteht gar keine Urteilssicherheit mehr. Die Empfindungsgrenzen sind ungef\u00e4hr 16- und 20000; die Grenzen des musikalischen Tongebrauchs 50 und 4000. Das Tonged\u00e4chtnis geht also \u00fcber die Grenzen des musikalischen Gebrauchs hinaus, aber um weniger als eine Oktave. Psychologisch interessant ist die Neigung des Verf., die h\u00f6chsten T\u00f6ne mit einem Fs-Laut zu benennen, z. B. eis, fis, gis.\nVerf. behandelt dann die Abh\u00e4ngigkeit des Urteils von der Tonst\u00e4rke, wobei er zu dem Ergebnis kommt, dafs das St\u00e4rke-Optimum f\u00fcr die absolute H\u00f6henbeurteilung zwischen dem St\u00e4rke-Maximum und dem St\u00e4rke-Minimum liegt, aber betr\u00e4chtlich nach der Seite des letzteren zu.\nFerner wird behandelt der Einflufs der Klangfarbe. Gesangst\u00f6ne sind im allgemeinen ziemlich schwer zu erkennen ; die Ursache ist nicht etwa die Grofse oder Kleinheit der Anzahl der Obert\u00f6ne, sondern die Ungleichartigkeit der Obert\u00f6ne bei verschiedenen Gesangst\u00f6nen. Bei Glocken- und Gl\u00e4sert\u00f6nen sind einzelne Teilt\u00f6ne so besonders stark, dafs der Grundton oft hinter den Obert\u00f6nen verschwindet, so dafs nur durch Aufmerksamkeit und \u00dcbung ein Heraush\u00f6ren des Grundtons m\u00f6glich ist. Dies macht nat\u00fcrlich das Benennen von Glocken- und Gl\u00e4sert\u00f6nen schwierig. Am leichtesten werden Kl\u00e4nge mit m\u00e4fsig vielen Obert\u00f6nen beurteilt, was durch das h\u00e4ufige H\u00f6ren solcher Tonkomplexe verursacht sein d\u00fcrfte. Bei dem Verf. zeigte","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n231\nsich der Einflufs der Klangfarbe in einer bedeutenden Verl\u00e4ngerung der Urteilszeit in gewissen F\u00e4llen.\nDie Urteilszeit wurde auf zwei verschiedene Arten zu messen versucht: durch Aussprechen unter Benutzung eines Lippenschl\u00fcssels, und durch Niederdr\u00fccken der betreffenden Klaviertaste, die mit einem elektrischen Kontakt versehen war. Die erste Methode scheiterte an technischen Schwierigkeiten. Die zweite Methode f\u00fchrte zu dem interessanten Ergebnis, dafs bei dem Verf. der \u00dcbergang von dem geh\u00f6rten Tonbild zu dem Tastenbild direkt ist, und nicht, wie man anzunehmen geneigt sein k\u00f6nnte, erst durch das Tonbild ein Buchstabenbild erzeugt wird, das dann die Tastenvorstellung im Gefolge h\u00e4tte. Die Verbindung des Tonbildes mit dem Tastenbilde ist sogar eine innigere als die Verbindung des Tastenbildes mit seinem Buchstabenbilde. Die [Reaktionszeit war verschieden in verschiedenen Oktaven: am kleinsten in der Zweigestrichenen (440), der Dreigestrichenen (487), der Eingestrichenen (5.62), etwas gr\u00f6fser in der kleinen Oktave (6061.\nVerf. untersucht dann, wie weit mittelbare Kriterien bei der Beurteilung benutzt werden k\u00f6nnen. Im allgemeinen spielen diese keine grofse Rolle. Es ist jedenfalls durchaus verkehrt, eine besondere Feinheit des absoluten Tonged\u00e4chtnisses durch die Benutzung mittelbarer Kriterien erkl\u00e4ren zu wollen, etwa durch zwangsm\u00e4fsige Earbenvorstellungen, die gewisse T\u00f6ne begleiten m\u00f6gen. Dadurch wird gar nichts erkl\u00e4rt. Aufserdem haben die meisten, die ein absolutes Tonged\u00e4chtnis besitzen, derartige Farbenvorstellungen nicht.\nDie zweite Art der Wirksamkeit des absoluten Tonged\u00e4chtnisses besteht in der Reproduktion einer Tonvorstellung, deren Buchstabenbezeichnung gegeben ist. Diejenigen, die sich T\u00f6ne vorstellen k\u00f6nnen, aber geh\u00f6rte nicht benennen k\u00f6nnen, bedienen sich ausnahmslos mittelbarer Kriterien. Doch ist es nicht selten, dafs jemand geh\u00f6rte T\u00f6ne verh\u00e4ltnis-m\u00e4fsig leicht vermittelst des absoluten Tonged\u00e4chtnisses benennen kann, ohne sich T\u00f6ne vorstellen zu k\u00f6nnen, deren Namen ihm gegeben sind. Verf. wendet sich mit Recht gegen gewisse Physiologen und Psychologen, die Tonvorstellungen des S\u00e4ngers mit Muskelempfindungen im Kehlkopf identifizieren wollen. Man m\u00fcfste dann das absolute Tonged\u00e4chtnis durch ein \u201eabsolutes Kehlkopfmuskel-Bewufstsein\u201c ersetzen, wozu keine 'Veranlassung ist. Kehlkopfempfindungen sind wohl manchmal n\u00fctzlich, aber nicht unbedingt n\u00f6tig.\nVon allen, die sich r\u00fchmen, ein absolutes Tonbewufstsein zu besitzen, sind nach des Verf. Statistik nur 35% im st\u00e4nde, einen geh\u00f6rten Ton richtig zu benennen und ebenfalls einen gew\u00fcnschten Ton sich richtig vorzustellen und zu produzieren. Bei allen diesen ist das absolute Tonbewufstsein besonders stark ausgepr\u00e4gt, schnell funktionierend und f\u00fcr sehr feine Tonunterschiede brauchbar. Von Mozart wird eine Anekdote aus seinem achten Lebensjahr erz\u00e4hlt, die eine aufsergew\u00f6hnliche Feinheit seines Tonged\u00e4chtnisses zu beweisen scheint. Verf. zeigt, dafs eine solche Feinheit durchaus nicht so selten ist. Bei ihm selbst erstreckt sich die Unsicherheit des Ged\u00e4chtnisses f\u00fcr a auf einen Bezirk von nur 8 Schwingungen, d. h. T\u00f6ne, die um 4 Schwingungen h\u00f6her oder tiefer als sein sub-","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232\nLiteraturbericht.\njektives Normal-a sind, werden in mehr als 50 % der F\u00e4lle als von a verschieden beurteilt. Ein Halbton in dieser Lage entspricht ungef\u00e4hr 55 Schwingungen. Die Tonh\u00f6he des subjektiven Normal-a unterliegt jedoch vielen Schwankungen.\nR\u00fccksichtlich der Frage nach der Erlernbarkeit des absoluten Geh\u00f6rs kommt der Verf. zu dem Ergebnis, dafs hier wie \u00fcberall individuelle Veranlagung von grofser Bedeutung ist, aber nicht von so grofser, als vielfach behauptet worden ist. Vielmehr hat systematische \u00dcbung einen sehr grofsen Einflufs auf das absolute Tonged\u00e4chtnis. Ungl\u00fccklicherweise wird jedoch in der musikalischen Erziehung des Kindes fast immer alles gethan, um die Entwicklung eines absoluten Tonbewufstseins zu hemmen, und so gut wie nichts, um es anzuerziehen.\nVerf. sichtet dann die verschiedenen Namen f\u00fcr die besprochene F\u00e4higkeit: absolutes Tonbewufstsein, absolutes Tonged\u00e4chtnis, absolutes Geh\u00f6r, Tonsinn, absolutes Tongef\u00fchl, Tongef\u00fchl, Geh\u00f6r, musikalisches Geh\u00f6r, Tongeh\u00f6r, und andere. Er entscheidet sich f\u00fcr die Bezeichung absolutes Tonged\u00e4chtnis.\nSchliefslich diskutiert der Verf. den Wert des absoluten Tonged\u00e4chtnisses in musikalischer Beziehung. Er gibt zu, dafs man Musik geniefsen k\u00f6nne, ohne ein absolutes Tonged\u00e4chtnis zu besitzen. Doch kann es f\u00fcr den Genufs komplizierter Musikst\u00fccke sehr vorteilhaft sein, ein absolutes Tonged\u00e4chtnis zu besitzen. Besonders wichtig ist der Besitz dieser F\u00e4higkeit f\u00fcr den produzierenden Musiker, den Komponisten. F\u00fcr ihn bedeutet der Besitz eines guten absoluten Tonged\u00e4chtnisses eine entschiedene Erleichterung der Arbeit. Doch sind auch F\u00e4lle bedeutender Komponisten (z. B. Meyeebeer) bekannt, die kein absolutes Tonged\u00e4chtnis besafsen.\nVerf. schliefst mit der Bemerkung : Die mit absolutem Tonbewufstsein begabten Musiker bilden einen ganz bestimmten musikalischen Typus. Dies ist die einzige Behauptung in der sehr klar geschriebenen Abhandlung, die dem Ref. nicht recht verst\u00e4ndlich geworden ist.\nMax Meyer (Columbia, Missouri).\nBerichtigung.\nIn dem Referat von F. Kr\u00fcger, Bd. 30, S. 234 dieser Zeitschrift ist zu lesen:\tZ. 4 v. o. \u201esehend\u201c statt \u201estehend\u201c.","page":232}],"identifier":"lit33327","issued":"1903","language":"de","pages":"230-232","startpages":"230","title":"Otto Abraham: Das absolute Tonbewu\u00dftsein. Psychologisch-musikalische Studie. Sammelhefte d. internat. Musikgesellsch. Berlin 1901. 86 S.","type":"Journal Article","volume":"31"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:30:23.797803+00:00"}