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{"created":"2022-01-31T16:33:20.802171+00:00","id":"lit33346","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Saxinger, Robert","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 30: 391-421","fulltext":[{"file":"p0391.txt","language":"de","ocr_de":"301\n(Ane dem philosophischen Seminar der Universit\u00e4t Graz.)\nDispositionspsychologisches \u00fcber Gefiihlscomplexionen.\nYm\nDr. Robebt Saxingeb.\n\u00a7 l.\nZwei oder mehrere Gef\u00fchle, welche im Bewufstsein gleichzeitig neben einander vorhanden sind, stehen offenbar in einer bestimmten Relation und bilden verm\u00f6ge der Relation, der sie angeh\u00f6ren, ein Ganzes, eine Complexion, die ebenso realer Natur ist, wie die betreffende Relation.1 Eine derartige Realcomplexion wird mit R\u00fccksicht darauf, dafs ihre Bestandst\u00fccke Gef\u00fchle sind, als Gef\u00fchlscomplexion bezeichnet werden k\u00f6nnen. Nun w\u00e4re es denkbar, dafs gleichzeitige Gef\u00fchle einer entweder allgemeinen oder nur unter gewissen Umst\u00e4nden auftretenden Tendenz folgend noch eine besondere Verbindung eingingen und unter Preisgabe ihrer Selbst\u00e4ndigkeit sich zu einem sogenannten Totalgef\u00fchle vereinigten. Jedenfalls st\u00fcnden die sioh so zusammenschliefsen-den Gef\u00fchle in einer bestimmten Realrelation, welcher sich noch weitere Relationen zwischen den Einzelgef\u00fchlen und dem Totalgef\u00fchle zugesellten. Die Gef\u00fchle bildeten verm\u00f6ge der zugeh\u00f6rigen Relationen auch in diesem Falle eine Realcomplexion, die wohl ebenso, wie die fr\u00fcher erw\u00e4hnte, ein Recht h\u00e4tte, als Gef\u00fchlscomplexion benannt zu werden. Diese letztere Art der Gef\u00fchlcomplexionen bildet den Gegenstand der herk\u00f6mmlichen\n1 Vgl. Mbinonq. \u201eUeber Gegenst\u00e4nde h\u00f6herer Ordnung and deren Ver-\u2022 hafcnifs mnr inneren Wahrnehmung\u201c. ZmMmfl fair PtycMtgie 2J (3 a. 4). \u00a7 6. Um Coincidenzprincip. \u00a7 6. Reale und ideale Gegenst\u00e4nde.","page":391},{"file":"p0392.txt","language":"de","ocr_de":"392\nRobert Saxinger.\nLehre yon den zusammengesetzten Gef\u00fchlen.1 2 Gef\u00fchlseom-plexionen eben dieser Art sind gemeint, wenn im Folgenden von \u201ezusammengesetzten Gef\u00fchlen\u201c die Rede ist. Dagegen pflegt man Gef\u00fchlscomplexionen der ersteren Art unter dem Begriff \u201ecoexistirende Gef\u00fchle\u201c zusammenzufassen; und diese Bezeichnung soll im Folgenden der K\u00fcrze halber beibehalten bleiben, obwohl sie, genau genommen, deshalb zu weit ist, weil zwischen gleichzeitig existirenden Gef\u00fchlen im Allgemeinen durchaus keine Realrelation bestehen m\u00fcfste, diese vielmehr nur durch den besonderen Umstand gesichert ist, dafs die Gef\u00fchle in demselben Bewufstsein coexistiren.\nDie Aufgabe der vorliegenden Untersuchung ist es nun, diese beiden Arten von Gef\u00fchlcomplexionen vom Standpunkte der Dispositionspsychologie aus zu beleuchten. Zu diesem Beh\u00fcte sind einige dispositionspsychologische Bemerkungen vorauszuschicken.\nIch versuchte bereits in dem Aufsatze \u201eUeber den Einflufs der Gef\u00fchle auf die Vorstellungsbewegung\u201c 3 den Dispositionsgedanken im Bereiche der Gef\u00fchle in m\u00f6glichst pr\u00e4ciser Form darzustellen und bezeichnete dort in Anlehnung an MeinonCtS Terminologie 8 die psychologische Voraussetzung eines Gef\u00fchles 4 * als Dispositionserreger, die vor\u00fcbergehende oder dauernde Eigenschaft einer Person durch gewisse Vorstellungsinhalte gef\u00fchls-m\u00e4fsig erregt zu werden als Dispositionsgrundlage und das Gef\u00fchl als Dispositionscorrelat. Meine dortigen Ausf\u00fchrungen bed\u00fcrfen vielleicht insoferne einer Erg\u00e4nzung, als eine ausdr\u00fcckliche Rechtfertigung der Behauptung, die Vorstellungsinhalte erregten die Gef\u00fchle, in ihnen eben noch nicht enthalten ist.\nWir m\u00fcssen an jeder Vorstellung Act, Inhalt und Gegen-\n1\tVgL Wundt. \u201eGrundz\u00fcge der physiologischen Psychologie\u201c, 4. Auf/ II, 18. Cap., und \u201eGrundrifs der Psychologie\u201c, \u00a7 12.\nH\u00d6ffding. \u201ePsychologie in Umrissen\u201c, VI B. 2.\n- Lehmann. \u201eDie Hauptgesetze des menschlichen Gef\u00fchlslebens\u201c, \u00a7\u00a7 315 bis 336.\n2\tS. Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 27 (1 u.'2).\n3\tVgl. Meinong. \u201ePhantasievorstellung und Phantasie\u201c. Zeitschrift f\u00fcr Philosophie 95, S. 165. \u2014 Witasek. \u201eBeitr\u00e4ge zur speciellen Dispositionspsychologie\u201c. ; Archiv f. systemat Philos. B, S. 273\u2014293.\n4\tVgl. Meinong. Psychologisch-Ethische Untersuchungen zur Werth-\ntheorie, S. 34.","page":392},{"file":"p0393.txt","language":"de","ocr_de":"Digpositiompsychologisches \u00fcber Gef'\u00fchUcomplexionen.\n393\nstand unterscheiden.1 Diese Unterscheidung beruht zwar auf Abstractionen und es kann in Wirklichkeit keine Vorstellung gedacht werden, an welcher eines dieser Bestimmungsst\u00fccke fehlen w\u00fcrde. Indes das ist kein Grund, dafs nicht eines dfer Bestimmungsst\u00fccke an der Vorstellung vorzugsweise als der Tr\u00e4ger der Relation zwischen dem Gef\u00fchle und seiner psychologischen Voraussetzung insofern erscheint, als eben die Vorstellung nur in Folge einer gewissen Beschaffenheit eines ihrer Bestimmungsst\u00fccke die Eignung zum Gef\u00fchlsdispositionserreger erh\u00e4lt. W\u00fcrden die Gef\u00fchle lediglich durch die Vorstellungsacte bedingt, dann m\u00fcfste in unserem Gef\u00fchlsleben eine viel gr\u00f6fsere Constanz herrschen, als dies thats\u00e4chlich der Fall ist. F\u00fcr die Gef\u00fchlswirkung m\u00fcfste es sich gleich bleiben, ob dieser oder jener Gegenstand vorgestellt w\u00fcrde ; wenn nur der* betreffende Act gesetzt w\u00e4re, so entst\u00fcnde das Gef\u00fchl. Die Erfahrung zeigt aber, dafs das, \u2019 was vorgestellt wird, in Bezug auf die Entstehung der Gef\u00fchle nicht gleichg\u00fcltig ist, und dafs verschiedenen Gegenst\u00e4nden der Vorstellungen verschiedene Ge-f\u00fchlsreactionen entsprechen. Besinnt man sich, dafs die Verschiedenheit der vorgestellten Gegenst\u00e4nde doch irgendwie auf einer Verschiedenheit der Vorstellungen selbst beruht - und das unterscheidende Moment, also das, wodurch sich z. B. die Vorstellung des Gegenstandes \u201eBaum\u201c von der Vorstellung d\u00e8s Gegenstandes \u201eHaus\u201c unterscheidet, der Inhalt der Vorstellung ist, so erhellt ohne Weiteres, dafs der Inhalt der Vorstellung dasjenige ist, worauf das Gef\u00fchl zur\u00fcckgeht.\t: '\u2022\nF\u00fcr die sp\u00e4teren Ausf\u00fchrungen ist nun die Frage von Belang, ob und inwieweit Ver\u00e4nderungen der Gef\u00fchlsdispositionen durch Gef\u00fchle herbeigef\u00fchrt werden. Theilweise: habe ich diese Frage an anderer Stelle1 * er\u00f6rtert, indem ich darauf hinwie\u00e8, dafs Ver\u00e4nderungen von Lustgef\u00fchlsdispositionen durch actuelle Unlustgef\u00fchle bewirkt werden k\u00f6nnen. Ich bin dort von dem Gedanken ausgegangen, dafs die Actu&lisirung der Gef\u00fchls-\n1\t\u2014\t. \u00ab\t\u00ab\t\u2022\tr\t* i\n1\tVgl. Mbinong, \u201elieber Gegenst\u00e4nde h\u00f6herer Ordnung4 etc: g 2, u\u00f6d\ndessen neueste Publication: \u201eUeber Ani*ahmenft, Zeit sehr. f\\ Psychologie, \u00dfr-g\u00e4nzungsband II, \u00a7 21 ff.\t.\n2\tVgl. Mbinong.* \u201eUeber Gegenst\u00e4nde h\u00f6herer Ordnung\u201c etc. Zntschr. f. Psychologie 21, S. 188,\n8 8. \u201eUeber den Einflufs der Gef\u00fchle auf die Vorstellungsbewegung-.\nZeitschr. f. Psychologie 27, 8.25. . *","page":393},{"file":"p0394.txt","language":"de","ocr_de":"Robert Saxinger.\n394\ndispoeitionen je nach ihrer Beschaffenheit und der Art der Dispositionserreger verschieden ausfailen mufe. Gleiche oder \u00c4hnliche Dispositionserreger werden bei nnge\u00e4ndertem Best\u00e4nde der Gef\u00fchlsdispositionen gleiche oder \u00e4hnliche Gef\u00fchlsregungen ansl\u00f6sen. Erleiden dagegen die Gef\u00fchlsdispositionen eine hinl\u00e4nglich starke Herabsetzung, so werden Vorstellungsinhalte, die ehedem mehr oder minder kr\u00e4ftige Gef\u00fchle hervorbrachten, nunmehr nur schwache oder auch gar keine Gef\u00fchlsreactionen zur Folge haben. Zeigt nun die Erfahrung, dafs sich in der Regel mit dem Auftreten von Unlustgef\u00fchlen Lustgef\u00fchle in verringertem Maafee einstellen oder ganz ausbleiben, so m\u00fcssen wir auf eine durch die Unlustgef\u00fchle bewirkte Herabsetzung der Lustgef\u00fchlsdispositionen schlie\u00dfen. Von diesem Gesichtspunkte aus ist es verst\u00e4ndlich, dafs Personen, die unter dem Eindr\u00fccke eines traurigen Ereignisses stehen, f\u00fcr l\u00e4ngere oder k\u00fcrzere Zeit unf\u00e4hig sind, anders als mit Unlustgef\u00fchlen zu reagiren. Gelegentlich dieser Aufstellungen habe ich dann der Vermuthung Raum gegeben, dafs sich Aehnliches auch von den Dispositionen zu Unlustgef\u00fchlen sagen lassen d\u00fcrfte.1\nIn der That wird es aufmerksamer Beobachtung kaum entgehen, dafs nicht bloe unheilvolle Eindr\u00fccke eine gewisse Einseitigkeit des Gef\u00fchlslebens hervorrufen k\u00f6nnen, sondern dals dies auch lustvolle Ereignisse zuwege bringen. Jeder weife aus eigener Erfahrung, dafs in gl\u00fccksfrohen Stunden Unlustgef\u00fchle schwieriger aufkommen. Vorstellungen, die erfahrungsgem&fe Unlust bringen, werden in solchen Zeiten zumeist mehr oder minder gleichg\u00fcltig aufgenommen. Der Grund hierf\u00fcr wird in diesem Falle wiederum in der jeweiligen Gestaltung der Gef\u00fchlsdispositionen liegen. So wie Lustgef\u00fchlsdispositionen durch Unlustgef\u00fchle herabgesetzt werden k\u00f6nnen, so erfahren analog auch Unlustgef\u00fchlsdispoaitionen unter Umst\u00e4nden durch Lustgef\u00fchle eine mehr oder weniger starke Einbufee.\nEinen Schritt weitergehend, wollen wir nun sehen, ob nicht auch am Ende Lust- und Unlustgef\u00fchle Dispositionen zu gleichnamigen Gef\u00fchlen beeinflussen. Hinsichtlich dieser Frage ist vor Allem daran zu erinnern, dafs nicht selten die Gef\u00fchle der Dankbarkeit, Freundschaft, Piet\u00e4t etc. unter dem Drucke einer gewaltigen Leidenschaft v\u00f6llig untergehen. Ferner ist bekannt,\n1 Ebendaselbst S. 26, erste Anmerkung.","page":394},{"file":"p0395.txt","language":"de","ocr_de":"Dispoaitionspsychologitches \u00fcber Gef\u00fchhtcomplexionen\n895\nda\u00df dann, wenn einer gleichsam seinen ganzen Vorrat von Liebe und Zuneigung auf eine Person concentr\u00e2t, in der Regel f\u00fcr andere nicht viel an Neigung \u00fcbrig zu bleiben pflegt Hierher geh\u00f6ren auch die F\u00e4lle einer ausschlie\u00dflichen Vorliebe f\u00fcr bestimmte Besch\u00e4ftigungsweisen, seien sie geistiger oder k\u00f6rperlicher Art So kann z. B. die Bevorzugung des Radfahrsportes bei einem Individuum dazu f\u00fchren, da\u00df dasselbe an anderen Fortbewegungsarten durchaus keinen Gefallen mehr findet Derartige Erfahrungen zeigen deutlich, da\u00df unter dem Einfl\u00fcsse eines vorherrschenden Lustgef\u00fchles andere Lustgef\u00fchle nicht recht aufkommen k\u00f6nnen und Vorstellungen, die sonst mit Lust verbunden waren, nunmehr keine oder nur schwache Lustgef\u00fchlsregungen hervorbringen. Offenbar sind Ver\u00e4nderungen bei den betreffenden Lustgef\u00fchlsdispositionen eingetreten, die diesmal aber nicht von der Einwirkung von Gef\u00fchlen entgegengesetzter Qualit\u00e4t, sondern von gleichnamigen Gef\u00fchlen herstammen.\nVielleicht k\u00f6nnte man den Versuch machen, die zuletzt ber\u00fchrten F\u00e4lle durch Berufung auf Erm\u00fcdungs- und Ueber-s&ttigungserscheinungen zu erkl\u00e4ren. Dabei m\u00fc\u00dfte man sich nat\u00fcrlich vor Augen halten, da\u00df auch eine solche Erkl\u00e4rung sich im Wesentlichen auf Gef\u00fchlsdispositionsVer\u00e4nderungen st\u00fctzen m\u00fc\u00dfte. Immerhin w\u00e4re im Falle der Erm\u00fcdung und Uebers\u00e4ttigung der Thatbestand ein anderer. Die Ausschlie\u00dflichkeit einer nach irgend einer Richtung bin zu Tage tretenden Neigung k\u00f6nnte sicherlich auch darauf beruhen, da\u00df in Folge von Erm\u00fcdung oder von Uebero\u00e4ttigung andere Neigungen ausgel\u00f6scht sind. Wenn sich z. B. einer g\u00e4nzlich aufs Radfahren verlegt, so k\u00f6nnte die Vorliebe f\u00fcr diesen Sport auch damit Zusammenh\u00e4ngen, da\u00df der betreffende alle anderen sportlichen Bet\u00e4tigungen zur Gen\u00fcge auskostete. Unzweifelhaft ist richtig, da\u00df sich solches vielf\u00e4ltig im Leben zutr\u00e4gt und die Alleinherrschaft eines Gef\u00fchles durch vorg\u00e4ngige Herabsetzung von Dispositionen zu anderen Lustgef\u00fchlen begr\u00fcndet werden kann. Aber die Sache kann sich \u00f6ffenbar auch umgekehrt verhalten. Nicht das Fehlen anderer Neigungen ist die Voraussetzung, da\u00df dem Correlate einer bestimmten Gef\u00fchlsdisposition gleichsam die Herrschaft von selbst zuf\u00e4llt, sondern die Existenz eines Lustgef\u00fchles macht erst das Auftreten anderer Lustgef\u00fchle unm\u00f6glich, indem es die den letzteren zu Grunde liegenden D\u00df-positionen entsprechend ver\u00e4ndert Man sieht deutlich, worin","page":395},{"file":"p0396.txt","language":"de","ocr_de":"396\nRobert Saxinger.\nder Unterschied liegt: im ersten Falle ist die Ver\u00e4nderung der Gef\u00fchlsdispositionen das zeitlich vorhergehende, im zweiten das zeitlich nachfolgende. Das Beispiel vom Radfahrer ist also oben so gemeint, dafs die Lust am Radfahren- zu anderen sportlichen Vergn\u00fcgungen hinzukommt und nun nach l\u00e4ngerer oder k\u00fcrzerer Zeit die ganze verf\u00fcgbare Lust des Individuums in einer Weise absorbirt, dafs andere k\u00f6rperliche Uebungen, die ehedem lustvoll wirkten, nun nicht mehr erfreuen. Mit der Lust am Radfahren geht Hand in Hand eine Ver\u00e4nderung von anderen Lustgef\u00fchlsdispositionen. In dieser Form ist das Beispiel entschieden ein Beleg, dafs Lustgef\u00fchle h\u00e4ufig auch herabsetzend auf Dispositionen zu anderen Lustgef\u00fchlen einwirken.\nAnalog wie Lustgef\u00fchlsdispositio\u00fcen einer Einwirkung durch Lustgef\u00fchle unterliegen, so werden auch Unlustgef\u00fchlsdispositionen durch Unlustgef\u00fchle beeinflufst Man braucht sich daraufhin nur einen Menschen zu besehen, der unter dem Eindr\u00fccke eines k\u00fcrzlich erlebten Ungl\u00fccksfalles steht Ein solcher erweist sich in der Regel auch f\u00fcr Unlustgef\u00fchle, die aus anderen Quellen stammen, ziemlich unzug\u00e4nglich. Wer etwa noch intensiv den Tod eines nahen Verwandten betrauert, der nimmt Dinge, die ihn, w\u00e4re jenes Ereignifs nicht eingetreten, sicherlich recht unangenehm ber\u00fchrt h\u00e4tten, gleichg\u00fcltig hin. Die Existenz des Trauergef\u00fchles bringt also eine mehr oder minder starke Herabdr\u00fcckung anderer Unlustdispositionen mit sich. Der Sprachgebrauch pflegt bei derartigen Vorkommnissen die Bezeichnung Abstumpfung anzuwenden.1 Man sagt von dem Ungl\u00fccklichen, dafs er gegen weitere Ungl\u00fccksschl\u00e4ge abgestumpft sei. Ob die Anwendung des Begriffes Abstumpfung auf die durch andere Gef\u00fchle bewirkte Herabsetzung von Gef\u00fchlsdispositionen richtig ist, und dieser Ausdruck nicht besser jenen F\u00e4llen vorzubehalten w\u00e4re, wo die Herabsetzung der Gef\u00fchlsdispositionen auf einer in ihnen selbst liegenden Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit beruht, mag hier dahin gestellt bleiben.-\nAn dieser Stelle m\u00f6chte es angezeigt sein, auch die Frage zu ber\u00fchren. ob nicht Gef\u00fchle Herabsetzungen von Gef\u00fchlsdispositionen gleichzeitig nach der Lust- und Unlustseite hin\n1 Vgl. meinen Aufsatz \u201eVeber den Einflufs der Gef\u00fchle auf die Vor-etellungsbewegung*. ZWtedkr. f. Ptychologi* 27, S. 26.\n# Vgl. Hoflkk. Psychologie. S. 413.","page":396},{"file":"p0397.txt","language":"de","ocr_de":"Dispontionspsyehologische\u00bb \u00fcber Gef\u00fchlscomplexionm.\n397\nbewirken k\u00f6nnen. Jedenfalls ist vorweg nicht abzusehen, warum nicht dispositionelle Ver\u00e4nderungen nach beiden Richtungen Mn zugleich eintreten sollten. Wir wissen, dafs mit der Existenz eines Trauergef\u00fchles eine Herabdr\u00fcckung, ja sogar eine l\u00e4ngere Zeit anhaltende Aufhebung von Lustgef\u00fchlsdispositionen verbunden zu sein pflegt Es hat sich ferner ergeben, dafs auch Unlustdispositionen durch Trauergef\u00fchle in Mitleidenschaft gezogen werden. Dafs aber Trauergef\u00fchle entweder nur Lustgef\u00fchlsdispositionen oder nur Unlustgef\u00fchlsdispositionen herabsetzten, das kann auf Grund der Erfahrung sicherlich nicht behauptet werden. Vielmehr ist nicht zu verkennen, dafs besagte Unlustgef\u00fchle stets eine Herabdr\u00fcckung der Lust- und Unlustdispositionen zugleich bewirken. Ein Gleiches wird nat\u00fcrlich auch von den Lustgef\u00fchlen gelten.\nNun noch eines. Nach H\u00f6f leb verleiht der Begriff der Stimmung der Ver\u00e4nderlichkeit der Gef\u00fchlsdispositionen Ausdruck.1 Accept\u00e2t man diese Definition, so bezeichnet die gute Stimmung die Tendenz zu Lustgef\u00fchlen, die schlechte Stimmung die Tendenz zu Unlustgef\u00fchlen. Das aber heifst wiederum nichts anderes als gewisse Dispositionen zu Lust bezw. Unlustgef\u00fchlen verf\u00fcgen zur Zeit \u00fcber gr\u00f6fseren Vorrat an Gef\u00fchlsenergie, als die \u00fcbrigen Gef\u00fchlsdispositionen. Es ist ein bekanntes Vorkommnifs, dafs wir manchmal Stimmungen mit uns herumtragen, ohne dafs wir den Grund daf\u00fcr angeben k\u00f6nnten. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Stimmung aus einem Schlafzustande her\u00fcbergenommen erscheint. Die gute oder schlechte Stimmung kann da nicht erst das Ergebnifs eines sich nach dem Erwachen abspielenden Processes sein; denn sie ist vielmehr schon vorhanden, wenn wir erwachen. Die M\u00f6glichkeit der Ver\u00e4nderung der Gef\u00fchlsdispositionen durch Gef\u00fchle r\u00fcckt nun derartige Gem\u00fcthserscheinungen wesentlich n\u00e4her. Wir wissen, dafs an unseren Tr\u00e4umen auch die Gef\u00fchle einen bedeutenden Antheil haben und die Gef\u00fchlsbewegungen des Traumes in nichts denen des Wachbewufstseins nachstehen. Warum sollen wir also nicht auch annehmen, dafs die Gef\u00fchle des Schlafzustandes auf die Gef\u00fchlsdispositionen, wie im Wachzust\u00e4nde einwirken? Die fragliche in das Tagesbewufstsein \u00fcbergreifende Stimmung ist also unter Umst\u00e4nden das Ergebnifs von\n1 Vgl. H\u00f6flkr. Psychologie, S. 412.","page":397},{"file":"p0398.txt","language":"de","ocr_de":"m\nRobert Sa&inytr.\nGef\u00fchlsentladungen im Schlafe, als deren Folge sich dann die Ver\u00e4nderung der Gef\u00fchlsdispositionen eine teilt\nDie Richtigkeit dieser Auffassung erh\u00e4lt auch von anderer Seite her eine Best\u00e4tigung. Im Wege der Suggestion lassen sich n\u00e4mlich \u00e4hnliche Erscheinungen, wie sie eben besprochen wurden, k\u00fcnstlich hervorrufen. Giebt man einem Hypnotisirten Vor* stellungskreise ein, von denen man erfahrungsgem\u00e4fs weifs, dafe sie im Wachzust\u00e4nde von Gef\u00fchlen bestimmter Qualit\u00e4t begleitet w\u00e4ren, so l\u00e4fst sich beobachten, wie derselbe nach dem Erwachen, je nach der Art der im hypnotischen Schlafe erlebten Gef\u00fchle eine heitere oder niedergeschlagene Stimmung auch dann zeigt, wenn die Erinnerung an die eingef\u00fchrten Vorstellungen vollst\u00e4ndig ausgeschaltet ist.1\n\u00a7 2.\nIm Eing\u00e4nge des vorstehenden Paragraphen wurde eine zweifache M\u00f6glichkeit der Complexionsbildung aus gleichzeitigen Gef\u00fchlen ins Auge gefafst und sowohl die blos coexistirenden als auch die zusammengesetzten Gef\u00fchle dem Begriffe der Ge-f\u00fchlscomplexion unterstellt F\u00fcr beide Arten von Gef\u00fchls-complexionen gilt nun r\u00fccksichtlich ihrer Entstehung die gleiche Voraussetzung. Coexistirende und zusammengesetzte Gef\u00fchle k\u00f6nnen n\u00e4mlich offenbar nur dann entstehen, wenn Gef\u00fchle im Bewufstsein Zusammentreffen. Ein Zusammentreffen der Gef\u00fchle aber kann in zweifacher Weise erreicht werden: Einmal so, dafs Gef\u00fchle gleichzeitig entstehen und zweitens, dafs Gef\u00fchle zu schon existirenden Gef\u00fchlen hinzukommen. Besinnt man sich, wie Gef\u00fchle entstehen, so ist klar, dafs die Frage nach der gleichzeitigen Entstehung der Gef\u00fchle sich mit der Frage deckt ob Gef\u00fchlsdispositionen gleichzeitig actualisirbar sind. Analog wird auch die Frage, ob Gef\u00fchle zu schon vorhandenen Gef\u00fchlen hinzukommen k\u00f6nnen, in dispositionspsychologischer Form so auszudr\u00fccken sein: k\u00f6nnen Gef\u00fchlsdispositionen w\u00e4hrend der Existenz von actuellen Gef\u00fchlen actualisirt werden? Soviel ich sehe, l\u00e4lst sich im Principe kein Einwand gegen die Behauptung\n1 Vgl. Fo&kl, Der Hypnotismus, S. 54, und Lowenfeld, Der Hypnotismus, S. 178. Ich habe pers\u00f6nlich Gelegenheit gehabt derartige Erscheinungen bei Versuchen, die unter Mitwirkung des Herrn Dr. med. Heiser angestellt wurden, su beobachten.","page":398},{"file":"p0399.txt","language":"de","ocr_de":"Dispotitionspsychologisches \u00fcber Gefiihlsco mplexio n en.\n399\neiner gleichseitigen Actualisirbarkeit der Gef\u00fchlsdispositionen erheben. Wenn zwei Vorstellungen, von denen jede die Function eines Gef\u00fchlsdispositions-Erregers versieht, gleichzeitig ins Bewusstsein treten, so ist nicht abzusehen, warum nicht auch beide Dispositionscorrelate in einem solchen Falle ausgel\u00f6st werden sollen. Auch gegen den zweiten Punkt, dafs n\u00e4mlich Gef\u00fchle zu schon existirenden Gef\u00fchlen hinzukommen, werden kaum Bedenken erhoben werden. Es l\u00e4fst sich ebensowenig wie gegen, die M\u00f6glichkeit einer gleichzeitigen Actualisirung von Gef\u00fchlsdispositionen auch gegen die Actualisirung von Gef\u00fchlsdispositionen w\u00e4hrend der Existenz von Gef\u00fchlen ein triftiger Grund ausfindig machen. Gef\u00fchle k\u00f6nnen also im Bewufstsein Zusammentreffen ; und somit w\u00e4re die Grundlage f\u00fcr die Bildung sowohl coexistirender als auch zusammengesetzter Gef\u00fchle gegeben.\nNun entsteht die Frage, wie sich zusammentreffende Gef\u00fchle weiter verhalten, ob sie wirklich theils im Verh\u00e4ltnis der Co-existenz verharren, theils sich unter Umst\u00e4nden auch zu Totalgef\u00fchlen verbinden. Sicherlich ist das nat\u00fcrlichste Verhalten zusammentreffender Gef\u00fchle das, dafs sie eben in dem Zustande, den sie beim Zusammentreffen einnehmen, verbleiben, d. h. dafs sie neben einander bestehen oder coexistiren. Es giebt auch einen grofsen Kreis von Thatsachen, welcher Zeugnifs f\u00fcr das Vorkommen coexistirender Gef\u00fchle ablegt Einige Beispiele werden hier gen\u00fcgen. Wer etwa an einem heifsen Sommertage aus einem von der Sonne bestrahlten Platze in den Schatten eines Garten fl\u00fcchtet, der f\u00fchlt sicherlich Lust. Bem\u00e4chtigt sich seiner aber gleichzeitig etwa eine Erinnerung an eine peinliche Begebenheit, die sich seinerzeit in dem Garten abgespielt hat, so sind Lust und Unlust neben einander vorhanden. Oder, neben der Lust an einem interessanten Vortrag hebt sich die aus gleichzeitigem Kopfschmerz stammende Unlust deutlich ab. Einen guten Beleg f\u00fcr die Coexistenz der Gef\u00fchle bildet auch folgender der LEHMANN\u2019schen Darstellung der sogenannten Gef\u00fchlsmischungen entlehnter Fall: \u201eWenn bei einem festlichen Diner,\u201c sagt Lehmann, \u201edie zahlreichen abwechselnden Geschmacksempfindungen, pr\u00e4chtiges Tischger\u00e4th, Lichter, Blumen, Musik und heiteres Tischgespr\u00e4ch, jedes f\u00fcr sich uns Lustgef\u00fchle zuf\u00fchren ... so haben wir hier das typische Beispiel eines solchen Zustandes, den wir als Gef\u00fchlsmischung be-","page":399},{"file":"p0400.txt","language":"de","ocr_de":"400\nRobert Saxinger.\nzeichneten.\u201c1 Von diesen Gef\u00fchlen behauptet der genannte Autor selbst, dafs sie \u201ein einer rein \u00e4ufseren, zuf\u00e4lligen Beziehung zu einander\u201c st\u00fcnden.2 * Diese \u201e\u00e4ufsere Beziehung\u201c i\u00dft aber offenbar nichts Anderes als das Verh\u00e4ltnifs der Coexistera. Dafs in diesem speciellen Falle und in allen \u00e4hnlichen F\u00e4llen, welche nach Lehmann als Gef\u00fchlsmischung zu bezeichnen w\u00e4ren, in Wahrheit Coexistenz der Gef\u00fchle vorliegt, erhellt \u00fcbrigens am besten aus dem (auch von Lehmann angef\u00fchrten) Umstande, dafs mittels der Aufmerksamkeit willk\u00fcrlich ein Gef\u00fchl in den Vordergrund gebracht werden kann. Die Gef\u00fchle m\u00fcssen also so wie sie sind schon vorhanden sein, wenn sie durch die Aufmerksamkeit erfafst werden sollen. Kein anderes Verh\u00e4ltnifs als das der Coexistenz w\u00fcrde die beliebige Hervorhebung einzelner Gef\u00fchle gestatten.\nFerner scheint vielfach auch das, was als Gef\u00fchlsoscillation angesehen wird, hei genauerer Betrachtung ein Nebeneinander von Gef\u00fchlen zu sein, die in rascher Folge von der Aufmerksamkeit beleuchtet werden. Denn ein so rasches Verschwinden und Wiedererzeugen der Gef\u00fchle, wie dies schon nach dem Be-griffe der Oscillation erfordert w\u00fcrde, widerspricht aller Erfahrung. Die Entwickelung der Gef\u00fchle erscheint ebenso wie das Abklingen derselben an verh\u00e4ltnifsm\u00e4fsig gr\u00f6fsere Zeitstrecken gebunden. Was also in Wahrheit oscillirt, sind nicht die Gef\u00fchle, sondern es ist die Aufmerksamkeit.8\nWenn die Coexistenz der Gef\u00fchle nicht in allen F\u00e4llen mit solcher Handgreiflichkeit, wie in den oben angef\u00fchrten Beispielen zu Tage tritt, so braucht dies nicht zu befremden. Man wird dem Umstande, dafs es im einzelnen Falle manchmal schwierig sein mag, das Nebeneinander der Gef\u00fchle zu erkennen, kaum im Sinne eines Bedenkens gegen die Coexistenz der Gef\u00fchle verwerthen k\u00f6nnen. Die Wahrnehmung des Nebeneinander der Gef\u00fchle ist n\u00e4mlich im Allgemeinen dadurch erschwert, dafs die neben einander stehenden Gef\u00fchle keiner genauen Abgrenzung f\u00e4hig sind und \u00e4hnlich wie aufeinanderfolgende Gef\u00fchle mehr \u00f6der weniger in einander zu fliefsen scheinen. Wer verm\u00f6chte den Grenzpunkt anzugeben, wo von zwei succedirenden Gef\u00fchlen\n1 Lehmann. Hauptgesetze des menschlichen Gef\u00fchlslebens, \u00a7 288.\n*\tEbendaselbst.\n*\tVgl. Ziegleh. \u201eDas Gef\u00fchl\u201c, S. 101.","page":400},{"file":"p0401.txt","language":"de","ocr_de":"Dispos itionspsychologisches \u00fcber Gef\u00fchlscomplexionen.\n401\ndas eine Gef\u00fchl aufh\u00f6rt, und das andere beginnt. Wir schliefsen nun da nicht aus dem Nichtbemerken der Grenzlinie zwischen den aufeinanderfolgenden Gef\u00fchlen auf ein Nichtstattfinden der Succession der Gef\u00fchle. Ebensowenig d\u00fcrfen wir aber auch aus dem Nichtbemerken der Abgrenzung zweier oder mehrerer nebeneinander bestehender Gef\u00fchle ein Argument gegen die Gef\u00fchls-coexistenz ableiten.\nNicht unerw\u00e4hnt soll bleiben, dafs eben das Thatsachen-material, welches zum Nachweise der Coexistenz der Gef\u00fchle zur Verf\u00fcgung steht, wenigstens theilweise und nicht ohne den Anschein einer gewissen Berechtigung eine andere Deutung zu-l\u00e4fst. Man k\u00f6nnte n\u00e4mlich behaupten, dafs man sich z. B. an den sch\u00f6nsten und besten Darbietungen im Theater nicht zu erfreuen verm\u00f6ge, wenn man gleichzeitig Kopfschmerz habe. Man wird sagen: Lust k\u00f6nne sich zwar auf Augenblicke einstellen, aber nur dann, wenn der Kopfschmerz f\u00fcr kurze Zeit vergessen gemacht wird. Die vermeintliche Lust, die neben dem aus dem Kopfschmerz stammenden Uniustgef\u00fchl zu bestehen scheint, sei keine wirkliche, sondern blos vorgestellte Lust. Derjenige, der mit Kopfschmerz im Theater sitze, freue sich nicht wirklich, \u2014 einige Augenblicke des Vergessens vielleicht ausgenommen, \u2014 wohl aber habe er das Bewufstsein, dafs das, was sich da vor ihm abspielt, unter anderen Umst\u00e4nden sehr erfreulich anzusehen und anzuh\u00f6ren w\u00e4re. Die angebliche Coexistenz von Lust und Unlust beruhe somit auf einer T\u00e4uschung. In Wahrheit best\u00e4nden nicht Gef\u00fchle neben einander, sondern ein actuelles Gef\u00fchl und eine Vorstellung eines Gef\u00fchles.\nDiese Auslegung trifft unter Umst\u00e4nden unzweifelhaft das Richtige. Die Erkl\u00e4rung der Erscheinung, dafs auch sonst lustbetonte Vorstellungen gelegentlich bei vorhandenen Unlustgef\u00fchlen keine Wirkung auf das Gem\u00fcth auszu\u00fcben verm\u00f6gen, liegt im vorigen Paragraphen. Dort war auf die Ver\u00e4nderungen, die Gef\u00fchlsdispositionen durch Gef\u00fchle erfahren k\u00f6nnen, hingewiesen worden. Unter dem Einfl\u00fcsse der mit dem Kopfschmerz zusammenh\u00e4ngenden Unlust werden Lustgef\u00fchlsdispositionen herabgesetzt oder zeitweise aufgehoben. Jedoch ist ersichtlich, dafs der in Rede stehende Deutungsversuch sich nicht auf alle F\u00e4lle erstrecken kann ; denn ob und in welchem Ausmaafse Ver\u00e4nderungen der Lustgef\u00fchlsdispositionen eintreten, das wird zun\u00e4chst von der St\u00e4rke und der\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 30.\t26","page":401},{"file":"p0402.txt","language":"de","ocr_de":"402\nRobert iktxinger.\nDauer der Unlustgef\u00fchle abhftngen. Es ist mithin durchaus nicht auszuschliefsen, dafs nicht aus den vielleicht nur schwach beeinflufsten Lustgef\u00fchlsdispositionen Lustgef\u00fchle fliefsen, trotz der herrschenden Unlustgef\u00fchle. Die Erfahrung zeigt auch tats\u00e4chlich, dafs in gewissem Umfange neben dem Kopfschmerz sich auch Freude geltend machen kann, und so also Unlust und Lust gleichzeitig vorhanden sind. Diese Weise, sich die Gef\u00fchls-coexistenzthatsachen zurechtzulegen, wird nat\u00fcrlich auch dort versucht werden k\u00f6nnen, wo die Coexistera gleichnamiger Gef\u00fchle behauptet wird. Die Dinge stehen in diesem Falle jedoch genau so. wie oben. Die F\u00e4higkeit Lust oder Unlustgef\u00fchle zu haben, kann, wie fr\u00fcher dargethan wurde, auch durch gleichnamige Gef\u00fchle theilweise oder g\u00e4nzlich absorbirt werden. Es mag also immerhin Vorkommen, dafs, wenn unter dem Einfl\u00fcsse eines starken Gef\u00fchles Gef\u00fchlsdispositionen g\u00e4nzlich aufgehoben werden, \u00e4hnlich wie mitunter Gef\u00fchle entgegengesetzter Qualit\u00e4t, auch Gef\u00fchle gleicher Qualit\u00e4t lediglich vorgestellt werden. Indes da wahrscheinlich zumeist nur eine mehr oder minder starke Herabsetzung der Gef\u00fchlsdispositionen in Frage kommen wird, so k\u00f6nnen sich neben den bestehenden Gef\u00fchlen auch andere Gef\u00fchle gleicher Qualit\u00e4t einstellen.\nDas Vorstellen der Gef\u00fchle ist unzweifelhaft eine beachtens-werthe Erscheinung1, die in unserem psychischen Leben vielleicht eine gr\u00f6fsere Rolle spielt, als zur Zeit bekannt ist Die vorgestellten Gef\u00fchle m\u00f6gen neben den coexistirenden Gef\u00fchlen Vorkommen, aber erstere \u00fcberall an Stelle der letzteren zu setzen, hiefse den Thatsachen Gewalt anthun. Dazu kommt noch, dafs es nach Mexnong psychische Thatsachen giebt, die zwischen den Vorstellungen und Gef\u00fchlen stehen.2 Es ist also leicht m\u00f6glich, dafs vielfach das, was man f\u00fcr Vorstellungen der Gef\u00fchle zu halten geneigt sein m\u00f6chte, eben jene neu entdeckten psychischen Gebilde sind, f\u00fcr die Meinong den Terminus \u201ePhantasiegef\u00fchle\" vorschl\u00e4gt. Soviel ich sehe, k\u00f6nnen aber diese Phantasiegef\u00fchle mit actuellen Gef\u00fchlen ebensogut in Coexistenz stehen als wie Vorstellungen der Gef\u00fchle.\nVielleicht ist es aufgefallen, dafs bei der Fragestellung hinsichtlich des Verhaltens zusammentreffender Gef\u00fchle nur von\n1 Vgl. Witaskk. \u201eZur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Kin-ftihlung44, Zeitschr. f. Psychologie 25, S. 6 ff.\n\u2022 Vgl. Meinong. Ueber Annahmen, S. 233, \u00a753.","page":402},{"file":"p0403.txt","language":"de","ocr_de":"Dispositionspsychologisches \u00fcber Gef\u00fch\u00eescomplexionen.\n403\nzwei M\u00f6glichkeiten, n\u00e4mlich von Coexistenz und Zusammensetzung der Gef\u00fchle, Erw\u00e4hnung gethan wurde. M\u00f6glicherweise wird man noch die Anf\u00fchrung einer anderen Eventualit\u00e4t r\u00fcck-sichtlich des Verhaltens zusammentreffender Gef\u00fchle vermissen. In dieser Beziehung k\u00f6nnte allenfalls die von manchen vertretene Behauptung, dafs sich Lust und Unlust beim Zusammentreffen im Bewufstsein gegenseitig compensirten, Lust und Lust bezw. Unlust und Unlust sich verst\u00e4rkten, in Betracht gezogen werden. Gesetzt, es g\u00e4be wirklich so etwas wie Compensation entgegengesetzter Gef\u00fchle und Verst\u00e4rkung (Summirung) gleichartiger Gef\u00fchle, so steht doch soviel fest, dafs die Gef\u00fchle, die sich compensiren, bezw. verst\u00e4rken sollen, doch irgendwie eine enge Verbindung eingehen, kurz einen Vermengungsprocefs durchmachen m\u00fcfsten. Und das, was nach der Compensation \u00fcbrig bliebe, bezw. was aus der Verst\u00e4rkung resultirte, das w\u00e4re wohl kaum anders, denn als ein Totalgef\u00fchl aufzufassen. Compensation und Verst\u00e4rkung der Gef\u00fchle bildeten also streng genommen einen Specialfall der Gef\u00fchlszusammensetzung. Nachdem sich \u00fcberdies, wie sp\u00e4ter gezeigt werden soll, die That-best\u00e4nde, hinter denen man Compensation, bezw. Verst\u00e4rkung der Gef\u00fchle vermuthet, in viel einfacherer Weise erkl\u00e4ren lassen, so ist es jedenfalls richtig, nur die zwei von uns bereits ins Auge gefafsten M\u00f6glichkeiten f\u00fcr das weitere Verhalten zusammentreffender Gef\u00fchle zu ber\u00fccksichtigen.\n\u00a7 3.\nDie Gef\u00fchle a und b k\u00f6nnen, wie wir gesehen haben, ohne innigere Verbindung einfach neben einander existiren. Ein solches Zusammensein (Coexistenz) von a und b ist, wie ebenfalls bereits ber\u00fchrt, noch nicht das, was auf die Bezeichnung Totalgef\u00fchl Anspruch erheben k\u00f6nnte. Ein Totalgef\u00fchl w\u00fcrde erst dann vorliegen, wenn a und b ihre Selbst\u00e4ndigkeit einb\u00fcfsten und an ihrer Stelle etwa in Folge eines Verschmelzungsvorganges ein Gef\u00fchl c entst\u00e4nde.1 Es fragt sich nun, ob solche Gef\u00fchlsbildungen (Gef\u00fch\u00eescomplexionen) wirklich verkommen. Diese Frage ist in der Psychologie zumeist bejaht worden. Man hat sich mehr oder minder daran gew\u00f6hnt, die Lehre von der Ge-\n1 S. oben \u00a7 1.\n26*","page":403},{"file":"p0404.txt","language":"de","ocr_de":"404\nRobert Saxinger.\nf\u00fchlszusammensetzung als sicheren Besitz zu betrachten. Die folgenden Er\u00f6rterungen werden nun zu zeigen versuchen, dafs man damit im Unrecht ist.\nVor Allem erscheint bemerkenswerth, dafs sich aus der Thatsache der Gef\u00fchlscoexistenz (Gef\u00fchlscomplexionen der ersten Art) eine wichtige Folgerung hinsichtlich der Gef\u00fchlszusammensetzung (Gef\u00fchlscomplexionen der zweiten Art) abnehmen l\u00e4fst Wenn n\u00e4mlich beim Zusammentreffen der Gef\u00fchle nur die Co-existenz und die Zusammensetzung der Gef\u00fchle in Betracht kommen, so beweist das Vorkommen coexistirender Gef\u00fchle, dals es eine allen Gef\u00fchlen innewohnende Tendenz, gem\u00e4fs welcher sie sich beim Zusammentreffen im Bewufstsein zusammen-schliefsen m\u00fcfsten, nicht giebt. Mithin bleibt die Frage zu erledigen, unter welchen Umst\u00e4nden es beim Zusammentreffen der Gef\u00fchle im Bewufstsein zur Gef\u00fchlszusammensetzung kommen soll. Ohne Zweifel w\u00e4re die Sachlage f\u00fcr die Beantwortung dieser Frage am g\u00fcnstigsten gestellt, wenn sich an den coexistirenden Gef\u00fchlen qualitative Besonderheiten und bestimmte Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse aufzeigen liefsen. W\u00fcrde man n\u00e4mlich sehen, dafs zusammentreffende Gef\u00fchle nur dann in das Verh\u00e4ltnifs der Co-existenz treten, wenn sie diese oder jene Qualit\u00e4t und diese oder jene Intensit\u00e4t besitzen, so k\u00f6nnte man dann schliefsen, dafe analog auch wiederum gewisse andere qualitative Merkmale und St\u00e4rkegrade der Gef\u00fchlszusammensetzung Vorbehalten w\u00e4ren. Allein dieser Weg hat wenig Aussicht auf Erfolg. Denn, wie leicht beobachtet werden kann, giebt es f\u00fcr die Coexistenz der Gef\u00fchle eine Einschr\u00e4nkung weder r\u00fccksichtlich der Qualit\u00e4t noch der Intensit\u00e4t.\nVielleicht k\u00f6nnte man nun mit Lehmann eine Art causaler Beziehung zwischen den Gef\u00fchlen als Bedingung f\u00fcr den Zu-sammenschlufs der Gef\u00fchle annehmen. Die gemischten Gef\u00fchle sollen nach Lehmann dadurch charakterisirt sein, dafs das eine Gef\u00fchl die fortw\u00e4hrende Bedingung f\u00fcr die Existenz des anderen bildet; so z. B. bei jenem Zustand, den wir als Wehmuth zu beschreiben pflegen. Die Unhaltbarkeit dieser Auf-fassung tritt aber sehr klar zu Tage, wenn man sich eben das Beispiel von der Wehmuth etwas n\u00e4her ansieht \u201eDie Lust, welche die Erinnerung an die verflossenen frohen Tage erregt,\u00ae \u2014 sagt Lehmann, \u2014 \u201eist hier eine nothwendige Bedingung f\u00fcr das Entstehen der Unlust bei dem Gedanken, dafs sie jetzt vor-","page":404},{"file":"p0405.txt","language":"de","ocr_de":"Disjx>8itiansp8ychologisches \u00fcber Gef\u00fchhcomplexionen.\n405\nbei sind\u201c.1 Nun, ist es wirklich die die Erinnerung begleitende Lust, di\u00a9 die mit jenem Gedanken auftretende Unlust bedingt? Die jetzt mit der auftauchenden Erinnerung verkn\u00fcpfte Lust und die Lust, die ich damals erlebte, sind doch zweierlei. Theil-bedingung der Entstehung der sich zugesellenden Unlust ist nicht die Lust, die sich gegenw\u00e4rtig mit der Erinnerung einstellt, sondern vielmehr die Lust, die mir eben die Tage zu frohen machte. Diese letztere Lust ist aber zur Zeit des Auftretens der Unlust nicht mehr actuelle, sondern nur vorgestellte, bezw. beurtheilte Lust. Dagegen zeigt sich die Unlust, die aus dem Bewufstsein des Endes der frohen Tage quillt, von der durch die Erinnerung erweckten actuellen Lust durchaus unabh\u00e4ngig, was schon daraus folgt, dafs die erster\u00a9 sich auch dann noch einstellen kann, wenn die letztere in Folge Ver\u00e4nderung der Disposition \u00fcberhaupt ausbleibt. Sind aber beide vorhanden, so bestehen sie neben einander. Inwieweit vielleicht auch hier die oben erw\u00e4hnten Phantasiegef\u00fchle hereinspielen, kann in diesem Zusammenh\u00e4nge ununtersucht bleiben.2\nDas Fehlschlagen der Versuche, Anhaltspunkte f\u00fcr den Eintritt der Gef\u00fchlszusammensetzung in den Gef\u00fchlen selbst zu finden, leitet naturgem\u00e4fs zur Einsicht hin\u00fcber, dafs, falls zusammentreffende Gef\u00fchle sich \u00fcberhaupt unter Umst\u00e4nden zu Totalgef\u00fchlen verbinden sollten, die Bedingungen hierf\u00fcr auf Seite der intellectuellen Grundlage, der ja auch ein wesentlicher Antheil an dem ganzen Gef\u00fchlszustande zukommt, zu suchen sein werden.\nZun\u00e4chst sind es die Associationen, die den Blick auf sich lenken. So meint Lehmann, dafs je fester die Association sei, eine desto innigere Verschmelzung der an die Associationsglieder gebundenen Gef\u00fchle stattfinde.8 Indes ist unschwer zu erkennen, dafs diese Ansicht nicht die richtige sein kann. Der Begriff Association besagt im Sinne der Dispositionstheorie nichts anderes, als dafs mit dem Auftreten einer Vorstellung die Re-productionsdisposition in Bezug auf eine andere Vorstellung actualisirt wird.4 Bleibt der Bestand der Reproductionsdisposition unge\u00e4ndert und gelingt die Actualisirung der Disposition mit\n1 Vgl. Lehmann. Hauptgesetze des menschlichen Gef\u00fchlslebens, S. 250.\n* S. oben S. 402 Anmerkung 2.\n\u00c4 Vgl. Lehmann. Hauptgesetze des menschlichen Gef\u00fchlslebens, \u00a7 327.\n4 Vgl. H\u00f6fler. Psychologie, S. 162 ff.","page":405},{"file":"p0406.txt","language":"de","ocr_de":"406\nRobert Saxinger.\ndem Auftreten des Dispositionserregers stets rasch und sicher, so spricht man von Festigkeit der Association. Sind die re* * producirende und die reproducirte Vorstellung von Gef\u00fchlen begleitet, so treffen die zugeh\u00f6rigen Gef\u00fchle jedesmal, wenn das Auftreten der einen Vorstellung das Auftauchen der anderen zur Folg\u00a9 hat, im Bewufstsein zusammen. Associative Verh\u00e4ltnisse der Vorstellungen vermitteln also lediglich das Zusammentreffen der Gef\u00fchle, und die Frage nach dem weiteren Verhalten derselben bleibt nach wie vor eine offene.\nDagegen giebt es ein Thatsachengebiet anderer Art, das sich im Hinblicke auf die Gef\u00fchlszusammensetzung in einer Vorzugsstellung zu befinden und eigens wie geschaffen zu sein scheint, die Grundlage f\u00fcr die Entstehung zusammengesetzter Ge-f\u00fchle abzugeben. Ich meine u\u00e4mheh bier die Complexions-Vorstellungen,\nWie von selbst stellt sich der Gedanke ein, dafs sich vielleicht die Gef\u00fchle analog verhalten wie die Vorstellungen, die ihnen zur psychologischen Grundlage dienen. Bilden diese ein einheitliches Ganzes, indem sie sich zu einem innerlich zusammenh\u00e4ngenden Vorstellungsgebilde verbinden, so folgen vielleicht auch jene der Tendenz zur Vereinigung und schliefsen sich zu einem Totalgef\u00fchl zusammen. Nichts erscheint naheliegender als die Folgerung, dafs, wenn die Bestandst\u00fccke (inferiora) einer Complexion1 erfahrungsgem\u00e4fs von Gef\u00fchlen begleitet sind, das mit der Vorstellung des fundirten Gegenstandes (superius) auftretende Gef\u00fchl durch die Vereinigung jener entstanden zu denken sei. So meint z. B. Wundt, dafs das dem Dreiklang ce g entsprechende Totalgef\u00fchl, die an die Zweikl\u00e4nge cey cg und eg und die an die Einzelkl\u00e4nge c, <?, g gebundenen Gef\u00fchle als Partialgef\u00fchle in sich enthalte.2 Was dieser Auffassung auch noch den Schein der Selbstverst\u00e4ndlichkeit zu verleihen pflegt, das ist, dafs man gewissermaafsen die Probe machen zu k\u00f6nnen glaubt, indem man von dem angeblichen Totalgef\u00fchl ausgeht und dieses in seine Theile zerlegen zu k\u00f6nnen vermeint Analy-sirt man ein zusammengesetztes Vorstellungsgebilde, an das ein Gef\u00fchl gebunden ist, und sieht man sich dabei auf Theilvor-stellungen gef\u00fchrt, die f\u00fcr sich genommen gleichfalls erfahrungs-\n1 Vgl. Meinong. \u201eUeber Gegenst\u00e4nde h\u00f6herer Ordnung\u201c etc., S. 190.\n* Vgt. Wcndt. Grundrifs der Psychologie, S. 189.","page":406},{"file":"p0407.txt","language":"de","ocr_de":"Dhp<mtion8p8ychologischc8 \u00fcber Gef\u00fchlscomplexionen.\n407\ngem\u00e4fs von Gef\u00fchlen begleitet erscheinen, so schliefst man, dafs die letzteren Gef\u00fchle die Partialgef\u00fchle des ersteren sind. Man macht also die Annahme, dafs die Analyse der intellectuellen -Grundlage eines Gef\u00fchles zugleich auch die Analyse des Gef\u00fchles bedeute: man denkt sich die Complexionsbildung im Bereiche der Gef\u00fchle nach Analogie der Complexionsbildung auf intellectuellem Gebiete. Bei n\u00e4herer Betrachtung ergeben sich jedoch solche Schwierigkeiten, dafs die dargestellte Auffassung hinsichtlich der Complexionsgef\u00fchle, \u2014 wie die die Complexions-vorstellungen begleitenden Gef\u00fchle genannt werden m\u00f6gen, \u2014 kaum aufrecht zu erhalten sein wird.\nVor allem ist es beachtenswerth, dafs der Versuch scheitert, f\u00fcr ein einer Complexionsvorstellung zugeordnetes Gef\u00fchl die psychologische Voraussetzung anzugeben, wenn man dabei von -der Voraussetzung ausgeht, dafs das Complexionsgef\u00fchl ein zusammengesetztes Gef\u00fchl ist. Ist das Complexionsgef\u00fchl wirklich -ein Totalgef\u00fchl, so mufs es, wie schon erw\u00e4hnt, aus der Vereinigung der durch die Inferiorenyorstellungen hervorgerufenen Gef\u00fchle entstanden sein. Da nun jede der Inferiorenyorstellungen f\u00fcr das zugeh\u00f6rige Gef\u00fchl die psychologische Grundlage abgiebt, so m\u00fcfste folgerichtig die Gesammtheit der Inferiorenyorstellungen als die psychologische Voraussetzung des Totalgef\u00fchles angesehen werden. Indes, die Gesammtheit der Inferiorenyorstellungen ist noch nicht die Complexionsvorstellung. Die letztere enth\u00e4lt noch etwas, was in der Gesammtheit der Inferiorenyorstellungen nicht enthalten ist. Das, was hinzukommt, was mit H\u00fclfe der Inferioren Vorstellungen producirt wird, ist die Vorstellung des Superius (fundirten Gegenstandes).1 Und f\u00fcr dieses psychische Plus bleibt auf Seite der Gef\u00fchle, wie man sieht, sozusagen nichts mehr \u00fcbrig. Wir finden uns also vor die sonderbare Thatsache gestellt, dafs die Vorstellung des fundirten Gegenstandes das Gef\u00fchl zwar mit dem Gegenstand versorgte, aber dennoch nicht die psychologische Voraussetzung desselben ausmachte.\nDazu kommt noch ein anderes. Wer die Bildung von Totalgef\u00fchlen aus Einzelgef\u00fchlen annimmt, der wird nicht umhin k\u00f6nnen, sich die Beschaffenheit der Totalgef\u00fchle als im gewissen Sinne durch die Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t der Partialgef\u00fchle bestimmt zu denken. Erstens: Jedenfalls wird zun\u00e4chst einmal\n1 Vgl. Meinong. lieber Annahmen, S. 8 u. 9.","page":407},{"file":"p0408.txt","language":"de","ocr_de":"408\nRobert Saxhujzr.\neinger\u00e4umt werden k\u00f6nnen, dafs hinsichtlich der Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t gleichen oder \u00e4hnlichen Einzelgef\u00fchlen auch gleiche oder \u00e4hnliche Totalgef\u00fchle entsprechen m\u00fcfsten. Wie nun Witasek gezeigt hat, k\u00f6nnen aus einer gegebenen Anzahl von Bestandst\u00fccken verschiedenerlei Complexionen gebildet werden.1 Die verschiedenen, aber auf gleichen Inferiorenvorstellungen aufgebauten Complexionsvorstellungen m\u00fcfsten also nach der Totalgef\u00fchlstheorie von gleichen oder \u00e4hnlichen Gef\u00fchlen begleitet sein, weil ja die gleichen Inferiorenvorstellungen stets gleiche oder \u00e4hnliche Gef\u00fchle hervorbringen. Erfahrungsgem\u00e4fs ist es aber f\u00fcr das Gef\u00fchl keineswegs gleichg\u00fcltig, zu welcher Complexion die Bestandst\u00fccke zusammengefafst werden, genauer, welche Superiusvorstellung durch die Inferiorenvorstellungen pro-ducirt wird. Man denke nur an den polyphonen Tonsatz. Die minder musikalisch Veranlagten h\u00f6ren zwar eine der vielen m\u00f6glichen Complexionen, aber wahrscheinlich nicht die richtige, d. h. die vom Componisten beabsichtigte. Die falschen Productionen werden vielleicht auch Gef\u00fchlsreactionen hervorbringen. Diese stehen jedoch in keinem Vergleiche zu denen, die auf richtig vollzogene Productionen folgen. Wie man sieht, richtet sich das Com-plexionsgef\u00fchl nach der jeweiligen Complexionsvorstellung, obgleich die zu den Bestandst\u00fccken geh\u00f6rigen Gef\u00fchle sich gleich oder \u00e4hnlich bleiben. Zweitens: Was die Intensit\u00e4t des Totalgef\u00fchles betrifft, so wird zugestanden werden, dafs unbeschadet eines beliebig grofsen Spielraumes die Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse der Einzelgef\u00fchle doch wenigstens insoweit f\u00fcr die Intensit\u00e4t des Totalgef\u00fchles von Belang sein m\u00fcfsten, als \u00e4ufserst schwache Partialgef\u00fchle zur Bildung kr\u00e4ftiger Totalgef\u00fchle kaum ausreichend befunden werden k\u00f6nnten. Noch weniger aber wird man an die Entstehung eines Totalgef\u00fchles glauben k\u00f6nnen, wenn die Superiusvorstellung durch Production aus gleichg\u00fcltigen, also gef\u00fchlsfreien Inferiorenvorstellungen hervorgegangen ist Ein Beispiel wird zur Erl\u00e4uterung dienen. Man pflegt das Sympathiegef\u00fchl h\u00e4ufig als das Ergebnifs mehrerer oder vieler zusammenwirkender Gef\u00fchle hinzustellen. Das ist nun nicht richtig. Wenn wir uns einmal fragen, wieso es denn kommt, dafs uns diese oder jene Person sympathisch ist, und die einzelnen Eigen-\n1 Vgl. Witasek. \u201eBeitr\u00e4ge zur Psychologie der Complexionen Zeitschrift f. Psychologie 14 (6\\ S. 412 ff.","page":408},{"file":"p0409.txt","language":"de","ocr_de":"Diypcsitionspaychologisclicg \u00fcber Oef\u00fchlscomplejcionen.\n409\nsch\u00e4ften und Z\u00fcge der betreffenden Person vor unserem Auge passieren lassen, so finden wir gelegentlich zu unserem Erstaunen, dafs der Mensch, den wir sozusagen zerpfl\u00fcckt haben, aber auch nicht eine Eigenschaft oder ein Merkmal besitzt, das uns gefiele. Wie ist es also zu begreifen, dafs wir dennoch der Person selber, abgesehen von ihren Eigenschaften, die uns ja gleichg\u00fcltig lassen, Sympathie entgegenbringen? Ich meine, die Frage l\u00f6st sich durch die Besinnung, dafs hier das Sympathiegef\u00fchl seine Quelle anderswo haben mufs als in angeblichen Einzelgef\u00fchlen. Was uns sympathisch ber\u00fchrt, das ist die ganze Pers\u00f6nlichkeit in ihrer Eigenart, und das ist etwas anderes als die Summe der Eigenschaften und Merkmale. In der Pers\u00f6nlichkeit tritt uns, \u2014 um mit Ehrenfels zu sprechen \u2014, eine Gestaltqualit\u00e4t5, also ein neuer Vorstellungsgegenstand entgegen, und diesem ist ein eigenes Gef\u00fchl, ein von der Betrachtung der Einzelheiten unabh\u00e4ngiges Gef\u00fchl, eben das Sympathiegef\u00fchl zugeordnet. Das Beispiel bew\u00e4hrt sich nat\u00fcrlich auch in dem Falle, als man sich die Betrachtung der einzelnen Eigenschaften zur G\u00e4nze oder theilweise mit schwachen Lustgef\u00fchlsregungen verbunden denkt. Drittens: Endlich ist in Erw\u00e4gung zu ziehen, inwieweit eine Abh\u00e4ngigkeit der Qualit\u00e4t des Totalgef\u00fchles von den Qualit\u00e4tsverh\u00e4ltnissen der Einzelgef\u00fchle constatirbar sein m\u00fcfste. In dieser Beziehung k\u00f6nnte wohl als Grundsatz gelten, dafs bei gleicher Qualit\u00e4t s\u00e4mmtlicher Einzelgef\u00fchle das Totalgef\u00fchl niemals entgegengesetzten Charakter annehmen k\u00f6nnte. Nun giebt es aber unstreitig F\u00e4lle, in welchen das mit der Complexionsvorstellung auftretende Gef\u00fchl etwa Lustqualit\u00e4t zeigt, w\u00e4hrend die an die Inferiorenvorstellungen gebundenen Gef\u00fchle Unlustgef\u00fchle sind. Man nehme z. B. an, dafs die einzelnen Eigenschaften einer Person geradezu mifsfallen, w\u00e4hrend die Pers\u00f6nlichkeit selber doch sympatisch ber\u00fchrt und man sieht, dafs das zur Complexionsvorstellung geh\u00f6rige Gef\u00fchl und die den Inferiorenvorstellungen zugeordneten Gef\u00fchle von entgegengesetzter Qualit\u00e4t sein k\u00f6nnen. Dem Sympathiebeispiel ist in der zuletzt angedeuteten Form nun allerdings eine gewisse K\u00fcnstlichkeit, welche nat\u00fcrlich der Beweiskraft Eintrag zu tlmn im Stande ist, nicht abzusprechen. Indes es stehen auch andere Thatsachen zur Ver-\n1 v. Ehrenfels. lieber Gestaltqualit\u00e4ten. Vierteljahrsschvi\u00df f\u00fcr wissen schuftliche Philosophie, Jahrgang 1890, S. 249\u2014292.","page":409},{"file":"p0410.txt","language":"de","ocr_de":"410\nRobert Saxinger.\nf\u00fcgung, aus welchen die Richtigkeit des Behaupteten erhellt Ein geradezu schlagendes Beispiel bietet sich in der allseits bekannten Erfahrung dar, dafs eine Melodie, auch auf schlechtem Instrumente vorgetragen, gefallen kann, und dafs umgekehrt unter Umst\u00e4nden auch bei guter Tonwirkung eine Melodie nur Milsfallen zu erwecken vermag. Das w\u00e4re nicht m\u00f6glich, wenn in dem Melodiegef\u00fchl die Tongef\u00fchle sozusagen steckten, wenn das erstere Gef\u00fchl aus der Vermengung der letzteren entst\u00e4nde.\nDie bisherigen Darlegungen in betreff der Annahme von Gef\u00fchlscomplexionen, die man analog den Complexionsvor-steilungen gebildet w\u00e4hnt, lassen zur Gen\u00fcge erkennen, dafs das an die Complexionsvorstellung gebundene Gef\u00fchl mit den zu den Inferioren vor Stellungen geh\u00f6rigen Gef\u00fchlen in keinem Zusammenhang steht, und sich dessen Entstehung unabh\u00e4ngig von den letzteren vollzieht, dafs also die Complexionsgef\u00fchle eigene Gef\u00fchle sind. Die obigen Ausf\u00fchrungen setzen uns aber auch ohne Weiteres in Stand, die Frage nach der psychologischen Voraussetzung dieser selbst\u00e4ndigen Gef\u00fchle zu entscheiden.1 Es wurde schon fr\u00fcher darauf hingewiesen, dafs bei gleichen Inferiorenvorstellungen das mit der Complexionsvorstellung auftretende Gef\u00fchl mit dieser variirt. Dem w\u00e4re noch hinzuzuf\u00fcgen, dafs dort, wo zwar die Inferiorenvorstellungen vorhanden sind, die Production der Superiusvorstellung aber nicht gelingt, auch das erwartete Gef\u00fchl ausbleibt So h\u00f6rt z. B. der Nichtmusikalische aus dem polyphonen Tonsatze \u00fcberhaupt keine Melodie heraus, in welchem Falle eben auch das entsprechende Gef\u00fchl fehlt. Es stellt sich also heraus, dafs ein Abh\u00e4ngigkeits-verh\u00e4ltnifs zwischen Superiusvorstellung einerseits und Gef\u00fchl andererseits vorhanden ist. Mithin ergiebt sich auch die B\u00e9ante wrortung der Frage nach der psychologischen Voraussetzung der Complexionsgef\u00fchle von selbst: Die Function eines Gef\u00fchlsdispositionserregers f\u00e4llt der Vorstellung des Superius zu.2 Damit ist auch ausgesprochen, dafs die oben ber\u00fchrte Ansicht, die Analyse einer Complexion bedeute auch die Analyse des zugeh\u00f6rigen Gef\u00fchles, nicht zutreffend sein kann.\ni Die Antwort auf diese Frage wurde eigentlich im Sympathiebeispiel schon vorweggenommen. S. S. 17.\n\u00ab v. Ehrenfels macht in der Besprechung der H\u00f6FLE\u00df\u2019schen Psychologie darauf aufmerksam, dafs den Gestaltqualit\u00e4ten Gef\u00fchle zugeordnet eein k\u00f6nnen. Yierteljahrsuchr. f. icissensch. Philosophie 21 (1897), S. 516.","page":410},{"file":"p0411.txt","language":"de","ocr_de":"IHspositionspsychologisches \u00fcber Gef\u00fchlscomplexionen.\n411\nNun soll noch untersucht werden, ob nicht vielleicht gleichzeitig von der Superiusvorstellung und den Inferioren Vorstellungen Gef\u00fchlswirkungen ausgehen. Auf diese Frage sieht man sich durch die ebenso bekannte wie einfache Thatsache gef\u00fchrt, dafs die gleiche Melodie auf schlechtem Instrumente gespielt weniger gef\u00e4llt, als wenn sie auf gutem zum Vortrage gelangt, und dafs die Tonwirkung eines guten Instrumentes die Lust an der Melodie zu erh\u00f6hen scheint Eine naheliegende Erkl\u00e4rung f\u00fcr Erscheinungen dieser Art bietet sich in der Annahme einer Compensation der Gef\u00fchle, bezw. einer gegenseitigen Verst\u00e4rkung derselben. Man k\u00f6nnte meinen, die aus der Tonwirkung stammende Unlust compensire einen Theil der mit der Melodie verbundenen Lust, und die Lust an dem sch\u00f6nen vollen Ton verst\u00e4rke die Lust an der Melodie. Diese Erkl\u00e4rungsweise wird demjenigen, der sich den Standpunkt der Gef\u00fchlszusammensetzung zu eigen gemacht hat, um so willkommener sein, als sich so die Complexionsgef\u00fchle in gewissem Sinne nun doch wiederum als zusammengesetzte Gef\u00fchle darstellten. Es wTar schon fr\u00fcher die Gelegenheit gegeben, zu zeigen, dafs Compensation, bezw. gegenseitige Verst\u00e4rkung der Gef\u00fchle als Specialfall der Gef\u00fchlszusammensetzung anzusehen sei. Das an anderer Stelle Gesagte braucht also hier blos wiederholt zu werden. Soll ein Theil von Lust durch Unlust oder umgekehrt ein Theil von Unlust durch Lust gleichsam vernichtet werden, oder soll ein Gef\u00fchl durch ein anderes verst\u00e4rkt werden, so m\u00fcfsten die betreffenden Gef\u00fchle doch irgendwie ineinanderfliefsen, und das resultirende Gef\u00fchl m\u00fcfste, so wie beider Gef\u00fchlszusammensetzung, als aus einem Vermengungsprocesse hervorgegangen gedacht werden. Das auf diese Weise entstandene Gef\u00fchl w\u00e4re dann hinsichtlich seiner Intensit\u00e4t durch die Intensit\u00e4t der sich compen-sirenden, bezw. der sich gegenseitig verst\u00e4rkenden Gef\u00fchle bestimmt. K\u00f6nnten wir die Intensit\u00e4ten der Gef\u00fchle durch Maafszahlen ausdr\u00fccken, so w\u00e4re die Intensit\u00e4t des aus dem Compensations-bezw. Verst\u00e4rkungsprocesse stammenden Gef\u00fchles gleich der Differenz, bezw. der Summe der Intensit\u00e4ten der in dem Ver-mengungsvorgange untergegangenen Gef\u00fchle.\nF\u00fcr die M\u00f6glichkeit einer Compensation von Lust und Un-lust scheinen auch allgemein gangbare sprachliche Ausdr\u00fccke Zeugnifs abzulegen. Man spricht h\u00e4ufig davon, dafs ein Tropfen Unlust in dem Becher der Freude diese zu verbittern vermag,","page":411},{"file":"p0412.txt","language":"de","ocr_de":"412\nRobert Saxinger.\nund dafs auch Leid durch Freude gemildert werden k\u00f6nne. Man will mit derartigen Redewendungen nichts anderes sagen, als dafs im ersten Falle ein wesentlicher Theil der Lust durch Unlust, im zweiten Unlust durch Lust compensirt werde. So wie denn die Compensation eines Gef\u00fchles durch ein entgegengesetztes Gef\u00fchl vielen als ausgemachte Sache gilt, so erscheint auch manchen selbstverst\u00e4ndlich, dafs Freude durch Freude erh\u00f6ht, Schmerz durch Schmerz vertieft werde.\nVergegenw\u00e4rtigen wir uns nun einmal die Consequenzen, auf welche die Annahme einer Compensation von Lust und Unlust f\u00fchrt. Verm\u00f6chten sich Lust und Unlust wirklich zu compensiren, so w\u00e4re es sonderbar um unser Gef\u00fchlsleben bestellt. Wenn etwa zuf\u00e4llig Lust und Unlust in gleicher St\u00e4rke im Bewufstsein zusammentr\u00e4fen, \u2014 und vielleicht ist dies gar nichts so Seltenes, \u2014 so m\u00fcfste in Folge der Compensation ein gef\u00fchlsfreier Zustand eintreten; so w\u00fcrde z. B. der Empf\u00e4nger zweier Nachrichten, von welcher die eine ebensoviel Lust br\u00e4chte als die andere Unlust, dem Compensationsgedanken gem\u00e4fs, weder Freude noch Leid f\u00fchlen. In Wirklichkeit verh\u00e4lt es sich aber wohl nicht so: Die Gef\u00fchlslage einer Person in dieser Situation ist vielmehr eine schwankende. Das Gef\u00fchl neigt sich einmal mehr auf die Lust-, dann wieder mehr auf die Unlustseite. Lust und Unlust sind also nebeneinander vorhanden, wovon sich jeder in \u00e4hnlicher Lage durch entsprechende Einstellung der Aufmerksamkeit \u00fcberzeugen kann. Das ist allerdings m\u00f6glich, dafs vielleicht das eine Gef\u00fchl durch das andere in seiner Ausbreitung gehemmt wird, eine Erscheinung, die nichts Befremdliches in sich birgt und unter dem Gesichtspunkte der Ver\u00e4nderung der Gef\u00fchlsdispositionen durch Gef\u00fchle entgegengesetzter Qualit\u00e4t leicht zu verstehen ist.1 Auch das kann sich ereignen, dafs sich der Empf\u00e4nger einer betr\u00fcbenden Nachricht unter Umst\u00e4nden \u00fcber eine an sich angenehme Nachricht \u00fcberhaupt nicht mehr zu erfreuen vermag. In solchem Falle erweist sich eben die in Frage kommende Lustgef\u00fchlsdisposition unter dem Einflufs der Unlust zur Zeit als unwirksam. Was dann zu dem Glauben verleitet, als sei eigentlich doch auch das andere Gef\u00fchl (Lust) mit dabei betheiligt, das ist die Vorstellung des letzteren Gef\u00fchles: Der Empf\u00e4nger der Nachricht weifs genau,\n1 S. oben \u00a7 1.","page":412},{"file":"p0413.txt","language":"de","ocr_de":"Dispositionspsychologisches \u00fcber Gef\u00fchlscomplcxioncn.\n413\ndafs er sich freuen w\u00fcrde, w\u00e4re er nur in anderer Stimmung.1 Auch unser Musikbeispiel l\u00e4fst sich von dem eben ber\u00fchrten Gesichtspunkte aus verstehen. Die aus der Tonwirkung stammende Unlust compensirt nicht die Lust an der Melodie. Sie ist nur neben letzterer vorhanden, wovon man sich leicht \u00fcberzeugen kann, indem man das eine Mal die Aufmerksamkeit ausschliefslich der Tonwirkung, das andere Mal der Melodie zuwendet: Lust und Unlust treten so deutlich gesondert zu Tage. Ist \u00fcbrigens die Unlust an der Tonwirkung sehr intensitiv, so darf man sich nicht wundern, wenn sich auch jene Erscheinungen, die wir als auf Dispositionsver\u00e4nderungen beruhend erkannten, einstellen, und die Lust an der Melodie sich auf diese Weise sozusagen wirklich beeintr\u00e4chtigt zeigt Unschwer ist zu erkennen, dafs auch in anderen F\u00e4llen vermeintlicher Compensation die Coexistenz der Gef\u00fchle und die Herabsetzung der Gef\u00fchlsdispositionen durch Gef\u00fchle als Erkl\u00e4rungsprincipien gute Dienste leisten.\nWas endlich die Verst\u00e4rkung der Gef\u00fchle durch Gef\u00fchle anbelangt, so lassen sich jene F\u00e4lle, in denen man eine solche Verst\u00e4rkung annehmen zu m\u00fcssen glaubt, ebenfalls in F\u00e4lle der Gef\u00fchlscoexistenz aufl\u00f6sen. So verst\u00e4rkt die Lust, die aus der Tonwirkung quillt, nicht etwa die Lust an der Melodie. Die Freude an der Melodie bleibt, wie sie ist Nur gesellt sich ihr noch die Lust aus der Tonwirkung hinzu. Beide Gef\u00fchle stehen aber nebeneinander, und jedes kann beliebig in den Blickpunkt des Bewufstseins gehoben werden. Was den Schein hervorbringt, als sei nur ein und zwar ein verst\u00e4rktes Gef\u00fchl vorhanden, das ist auch hier wiederum die schon mehrmals betonte geringe Abgrenzungsf\u00e4higkeit der Gef\u00fchle im Allgemeinen und der gleichartigen im Besonderen. Uebrigens ist in solchen F\u00e4llen that-s\u00e4chlich ein Mehr an Gef\u00fchlen vorhanden, und so giebt es denn auch immerhin einen guten Sinn, von einer Verst\u00e4rkung der Gef\u00fchle zu reden, ohne dafs es n\u00f6thig w\u00e4re, dabei an einen Verschmelzungsvorgang zu denken.\n\u00a7 4.\nWir haben bisher gewissermaafsen auf indirectem Wege versucht, die Frage zu l\u00f6sen, ob es Gef\u00fchlscomplexionen der zweiten\n1 S. oben \u00a7 2.","page":413},{"file":"p0414.txt","language":"de","ocr_de":"414\nRobert Saxinger.\nArt1 (zusammengesetzte Gef\u00fchle) giebt. Von der Erw\u00e4gung ausgehend, dafs schon die Thatsache blofser Coexistenz der Gef\u00fchle die Annahme einer allgemeinen Tendenz, kraft welcher alle Gef\u00fchle beim Zusammentreffen im Bewufstsein gen\u00f6thigt w\u00e4ren, sich zu innerlich zusammenh\u00e4ngenden Gef\u00fchlsgebilden zu vereinigen, verbietet, haben wir dann nach besonderen Bedingungen gesucht, unter welchen sich etwa eine Verbindungstendenz im Bereiche der Gef\u00fchle wirksam erweisen w\u00fcrde. Wir sind jedoch immer nur auf Gef\u00fchlscomplexionen der ersten Art 2 (coexistirende Gef\u00fchle) gestofsen, und die Erfahrung zeigte uns in Wahrheit nirgends andere Gef\u00fchlscomplexionen. Nun giebt es aber auch einen directen Weg, auf dem die Frage nach der Gef\u00fchlszusammensetzung zur Entscheidung gebracht werden k\u00f6nnte, und es w\u00fcrde jedenfalls eine Verification der Ergebnisse der obigen Ausf\u00fchrungen sein, wenn beide Wege zu dem gleichen Ziele f\u00fchren sollten.\nSehen wir einmal von dem bisherigen negativen Resultat in betreff der Gef\u00fchlszusammensetzung vollst\u00e4ndig ab, und fragen wir lediglich, ob uns nicht doch Gef\u00fchle begegnen, an denen die Zusammengesetztheit durch directe Beobachtung erfafsbar ist. Biese Frage l\u00e4fst sich auch so formuliren : Giebt es Gef\u00fchle, denen man es sozusagen ansieht, dafs sie aus Theilgef\u00fchlen bestehen? Zu beachten ist vor Allem, dafs es darauf ankommt, ob die Partialgef\u00fchle eines angeblichen Totalgef\u00fchles in demselben Zeitpunkte, in dem uns das letztere Gef\u00fchl gegenw\u00e4rtig ist, innerlich wahrnehmbar sind. Daher k\u00f6nnte es nicht als eine innere Wahrnehmung der Zusammengesetztheit eines Gef\u00fchles gelten, wenn man etwa ein Vorstellungsgebilde in seine Theile zerlegt und die dabei an die Theile gebundenen Gef\u00fchle beobachtet. Die innere Wahrnehmung soll vielmehr dar\u00fcber Auf-schlufs geben, ob ein Gef\u00fchl in seiner Eigenschaft als Mehrheit erfafst werden kann, oder ob sich innerlich alle Gef\u00fchle ohne Ausnahme als einfache darstellen. Um Mifsverst\u00e4ndnissen vorzubeugen, sei ausdr\u00fccklich hervorgehoben, dafs die Begriffe einfach und einheitlich auseinandergehalten werden m\u00fcssen3*, und es sonach durchaus nicht gleich ist, ob von einem Gef\u00fchle be-\n1 S. oben \u00a7 1.\n8 S. oben \u00a7 1.\n3 Vgl. hierzu die pr\u00e4cisen Ausf\u00fchrungen Meinono\u2019s in dem A ufs&txe \u201eUeber Gegenst\u00e4nde h\u00f6herer Ordnung\u201c, S. 225.","page":414},{"file":"p0415.txt","language":"de","ocr_de":"Di8po\u00bbitiomp8ych6k>gi$ches \u00fcber Gef\u00fchhcomplexionen.\t415\nhauptet wird, es sei in der inneren Wahrnehmung als einheitliches oder einfaches zu erkennen. Die Behauptung der Einheitlichkeit schliefst allerdings die Wahrnehmung der Theile nicht aus, wohl aber die Behauptung der Einfachheit. Mithin handelt es sich hinsichtlich der Gef\u00fchl\u00a9 hier um die Alternative, Mehrheit oder Einfachheit. Die Beantwortung der Frage kann nicht schwer fallen : Ich wenigstens nehme nur einfache Gef\u00fchle in mir wahr, und ich meine auch, dafs es sich bei anderen, eine genaue Beobachtung vorausgesetzt, so verhalten wird.\nWenn dagegen z. B. Wundt behauptet, dafs beim Zweifel deutlich neben den Contrastgef\u00fchlen zugleich auch ein aus diesen resultirendes Totalgef\u00fchl bemerkbar sei1, so steht in Bezug auf die innere Wahrnehmung hier eben Aussage gegen Aussage. Denn ich vermag dieses dritte Gef\u00fchl nicht wahrzunehmen. Aber gesetzt, es ergehe anderen besser, und sie sehen dieses Gef\u00fchl wirklich, so zeigt ihnen die innere Erfahrung schliefslich doch nur wieder coexistirende Gef\u00fchle. Zudem ist es gar nicht erwiesen, dafs das allenfalls neben den Contrastgef\u00fchlen wahrgenommene Gef\u00fchl aus der Vereinigung jener entstanden gedacht werden mufs. Wer neben den coexistirenden Contrastgef\u00fchlen in sich noch ein drittes Gef\u00fchl wahrzunehmen glaubt, der d\u00fcrfte vielmehr kaum fehlgehen, wenn er die Quelle desselben anderswo sucht als in den besagten Contrastgef\u00fchlen. Auch das Gemeingef\u00fchl pflegt man als typisches Beispiel eines Totalgef\u00fchles anzuf\u00fchren. Von ihm sagt Wundt, dafs es diejenige zusammengesetzte Gef\u00fchlsform sei, bei der man zuerst die Verbindung aus Partialgef\u00fchlen bemerkt habe.2 Indes auch das Gemeingef\u00fchl l\u00e4fst sich recht gut unter dem Gesichtspunkte der Gef\u00fchlscoexistenz begreifen. Di\u00a9 zahlreichen aus der Vitalsph\u00e4re stammenden Empfindungen sind meistens von schwachen Gef\u00fchlsregungen begleitet. Diese Gef\u00fchle existiren nun, insoweit sie im Bewufstsein Zusammentreffen, nebeneinander. Freilich wird hier der Umstand, dafs sich nebeneinander stehende Gef\u00fchle schwer abgrenzen lassen, umsomehr ins Gewicht fallen, als es sich um \u00e4ufserst schwache Gef\u00fchlsregungen handelt. Die geringe Abgrenzungsf\u00e4higkeit der Gef\u00fchle mufs die Ansicht, dafs die einzelnen aus organischen Vorg\u00e4ngen herstammenden Gef\u00fchle eine Verbindung eingehen,\n1 S. Wundt. Physiologisch\u00a9 Psychologie, 4. Aufl, IL Bd., S. 498 f. 8 Wundt. Grundrifs der Psychologie, S. 190.","page":415},{"file":"p0416.txt","language":"de","ocr_de":"416\nRobert Saxinger.\nbeg\u00fcnstigen. W\u00e4ren die aus der Vitalsph\u00e4re stammenden Gef\u00fchle wirklich zu einem Totalgef\u00fchl vereinigt, so h\u00e4tten sie ihre Selbst\u00e4ndigkeit verloren, und es w\u00e4re nicht m\u00f6glich, dafs jedes dieser Gef\u00fchle f\u00fcr sich an Intensit\u00e4t zunehmen k\u00f6nnte. Bekanntlich ereignet es sich aber h\u00e4ufig, dafs mit dem St\u00e4rkerwerden einer Organempfindung auch das zugeh\u00f6rige Gef\u00fchl intensiver wird, und so dann Empfindung und Gef\u00fchl deutlich hervortreten.1\nIm gewissen Sinne k\u00f6nnte man auch dann von einer Er-kenntnifs der Gef\u00fchlszusammensetzung auf direetem Wege sprechen, wenn die zusammengesetzten Gef\u00fchle, \u2014 nat\u00fcrlich vorausgesetzt, dafs es solche giebt, \u2014 ein bestimmtes Merkmal aufwiesen. Vielleicht w\u00e4re es naheliegend, gewisse Gef\u00fchle, deren Einbeziehung in die Reihe der Lust und Unlustgef\u00fchle einige Verlegenheit bereitet, als zusammengesetzte Gef\u00fchle an-zusehen und den unbestimmten Charakter derselben auf Rechnung der Verbindung von Unlust und Lust zu stellen.2 * 4 Die Frage, ob es wirklich Gef\u00fchle mit unbestimmter Qualit\u00e4t giebt, und ob nicht vielmehr der Grund der Unbestimmtheit mancher Gef\u00fchle in einer geringen Intensit\u00e4t und nicht genauen Beobachtung liegt, kann in diesem Zusammenh\u00e4nge auf sich beruhen bleiben. Sicher ist nur, dafs, wenn man nicht bereits anderswoher Kenntnifs von der Existenz zusammengesetzter Gef\u00fchle zu haben vermeinte, oder deren Vorkommen doch wenigstens vermuthete, aus irgend einer qualitativen Besonderheit eines Gef\u00fchles schwerlich jemals auf die Zusammengesetztheit desselben schliefsen wv\u00fcrde.\nAn dem negativen Ergebnisse, zu dem die vorstehenden Untersuchungen inbetreff der zusammengesetzten Gef\u00fchle gelangten, sind zwei in der j\u00fcngsten Zeit aufgetauchte Probleme insoferne interessirt, als sie zur Gef\u00fchlszusammensetzung in engster Beziehung stehen. Ich meine das Problem der Gef\u00fchls-\n1 Auf einzelne Meinungen in betreff des Gemeingef\u00fchles kann hie\nnicht eingegangen werden. Es gen\u00fcgt auf die Coexistenz als Erkl\u00e4rungs-\nprincip hingewiesen zu haben.\n4 Nach Elsenhans ist Unbestimmtheit ein Hauptmerkmal des Gemein gef\u00fchles im Besonderen und der Totalgef\u00fchle im Allgemeinen. Zfitschr. [\u2022 Psychol 24 (6 u. 4), S. 209.","page":416},{"file":"p0417.txt","language":"de","ocr_de":"Dispositionspsychologisches \u00fcber Gef\u00fchlscomplexionen.\n417\nabstraction und das der Verallgemeinerung der Gef\u00fchle. Ersteres wurde von Ribot \\ letzteres von Elsenhans behandelt.2 Diese beiden Probleme m\u00f6gen nun hier von den dargelegten Gesichtspunkten aus einer kurzen Er\u00f6rterung unterzogen werden.\nRibot meint, dafs durch eine im Bereiche der Gef\u00fchle waltende Abstractionsth\u00e4tigkeit abstracto Gef\u00fchle entstehen Derselbe denkt sich die Gef\u00fchlsabstraction analog der sich auf intellectuellem Gebiete beth\u00e4tigenden Abstraction. W\u00e4hrend diese an Vorstellungen angreift, soll jene direct bei den Gef\u00fchlen ein-setzen. Der Nachweis solcher abstracter Gef\u00fchle lasse sich einmal aus den Werken der Symbolisten erbringen: Das, was diese zum Ausdruck bringen wollten, seien Gef\u00fchle ohne einen bestimmten Gegenstand, eine abstracte Liebe, Freude, Trauer. Zweitens sollen dann gewisse Erfahrungsthatsachen auf die Gef\u00fchlsabstraction hindeuten: Gef\u00fchlseindr\u00fccke, die wir von dem Besuche eines Klosters, von einer Reise in fremden Landen mit heimbringen, w\u00e4ren Beispiele abstracter Gef\u00fchle.8\nRibot geht von der Voraussetzung aus, dafs es complexe Gef\u00fchle gebe, und dafs diese der Gef\u00fchlsabstraction die entsprechenden Angriffspunkte gew\u00e4hrten. Unter complexen Gef\u00fchlen sind aber bei Ribot nicht coexistirende Gef\u00fchle, sondern ausschliefslich Gef\u00fchlscomplexionen der zweiten Art, also zusammengesetzte Gef\u00fchle in dem oben dargelegten Sinne gemeint. Somit w\u00e4re eigentlich schon das Urtheil \u00fcber die RiBor\u2019sche Gef\u00fchlsabstraction gesprochen. Indes es fragt sich, ob die Aufstellungen Ribot\u2019s nicht am Ende auch unter der Voraussetzung aufrecht erhalten werden k\u00f6nnten, dafs es nur Gef\u00fchlscomplexionen der ersten Art (coexistirende Gef\u00fchle) giebt. Vor Allem, wie m\u00fcfste sich im Bereiche der Gef\u00fchle eine Abstraction, die analog der auf intellectuellem Gebiete waltenden Abstraction gedacht ist, \u00e4ufsern? Doch wohl darin, dafs aus der Mehrheit der Gef\u00fchle, an welchen sich die Abstraction bet\u00e4tigen soll, einzelne gleichsam ausgel\u00f6scht w\u00fcrden, w\u00e4hrend die anderen bestehen bleiben. F\u00fcr diesen Vorgang w\u00fcrde aber auch das Verh\u00e4ltnifs der Coexistenz einen g\u00fcnstigeren Boden bieten, ohne dafs es einer innigeren Verbindung der Gef\u00fchle\n1 L'abstraction des \u00e9motions. L'ann\u00e9e psychologique 3, S. 1\u20149. 1897.\n*\tUeber Verallgemeinerung der Gef\u00fchle. Zeitschr. f. Psychol. 24 (3 u. 4).\n*\tDer Darstellung ist hier das \u00fcbersichtliche Referat Witasek's, Zeitschrift f. Psychol. 16, S. 319 zu Grunde gelegt.\nZeitachrift f\u00fcr Psychologie 30.\n27","page":417},{"file":"p0418.txt","language":"de","ocr_de":"418\nRobert Saxiny er.\nbed\u00fcrfte. Bekanntlich kann das Ausl\u00f6schen, bezw. das Ausbleiben von Gef\u00fchlsregungen auf zweifache Weise erzielt werden: erstens durch Aenderung der zu Grunde liegenden Gef\u00fchlsdispositionen .und zweitens dadurch, dafs der betreffende Gef\u00fchlsdispositions-Erreger sich nicht einstellt Hinsichtlich einer im Gebiete der Gef\u00fchle herrschenden Abstractionsth\u00e4tigkeit kann nur der zweite Fall in Frage kommen. Die Aufgabe der Gef\u00fchlsabstraction w\u00e4re also die, zu verhindern, dafs der Gef\u00fchlsdispositions - Erreger, bezw. diejenige Vorstellung, die als psychologische Voraussetzung f\u00fcr das auszul\u00f6schende Gef\u00fchl fungirt, ins Bewufstsein tritt Neben einander stehende Gef\u00fchle gew\u00e4hrten dann einer Gef\u00fchlsabstraction ersichtlich leicht zug\u00e4ngliche Angriffspunkte. Aber, ist nun nicht auch schon klar, dafs die Annahme einer Gef\u00fchls-abstraction \u00fcberfl\u00fcssig ist? Leistet nicht gerade das, was die Gef\u00fchlsabstraction besorgen soll, ohnehin die uns bekannte intellectuelle Abstraction? Die Vollziehung dieser Abstractions-th&tigkeit f\u00fchrt nat\u00fcrlich nicht auf abstracto Gef\u00fchle, sondern auf abstracto Vorstellungen.\nDas in Rede stehende Problem bedarf sohin einer Umstellung der Begriffe. Die Frage ist nicht die, ob es abstract\u00ab Gef\u00fchle giebt, sondern die, ob und inwieweit mit abstracten Vorstellungen Gef\u00fchlsregungen einhergehen. Ohne hier in eine n\u00e4here einschl\u00e4gige Untersuchung einzutreten, sei nur bemerkt, dafs, sehe ich recht, eine von abstracten Vorstellungen ausgehende Gef\u00fchlswirkung immerhin als m\u00f6glich anerkannt werden mufs. Wenn ich z. B. ira Gedanken Farbe und Gestalt zu trennen vermag1, so ist nicht einzusehen, warum nicht jeder der beiden Gegenst\u00e4nde f\u00fcr sich vorgestellt auch als Gef\u00fchlsdispositions-Erreger wirksam sein sollte, \u2022 In der That sehen wir wie die Vorstellungen von Gestalten und Farben gar nicht selten die intellectuellen Grundlagen f\u00fcr Gef\u00fchle abgeben.\nAuf ein \u00e4hnliches Ergebnifs f\u00fchrt auch die Betrachtung des Probl\u00e8mes der Gef\u00fchlsverallgemeinerung. Eine Verallgemeinerung der Gef\u00fchle kann nach Elsenhaks auf zweifache Weise eintreten: \u201eEntweder nehmen die Gef\u00fchle an dem Verallgeraeinemngs-procefs der Vorstellungen theil, mit welchem sie durch Association von hinreichender Festigkeit verbunden sind; oder es\n1 Vgl. Mally. Abstraction und Aehnlichkeitserkenntnils. Archiv f\u00fcr system. Philosophie \u00d6 (3), S. 291.","page":418},{"file":"p0419.txt","language":"de","ocr_de":"DispoeiHonspeychologisckes \u00fcber Oef\u00fchlscomplexionen.\n419\nbilden sich unmittelbar aus mehreren einzelnen Gef\u00fchlen Gef\u00fchle allgemeinerer Art, in welchen jene einzelnen Gef\u00fchle irgendwie zusammen gef afst sind.\u201c 1 * *\nWas zun\u00e4chst die letztere dieser beiden M\u00f6glichkeiten anbelangt, so st\u00fctzt Elsenhans seine Ansicht auf das Vorhandensein einer \u201edas gesammte Gef\u00fchlsleben durchziehenden Tendenz der einzelnen Gef\u00fchle, sich zu allgemeineren, aber doch einheitlichen Gef\u00fchlen zu verschmelzen.\u201c 8 Bereits an fr\u00fcherer Stelle wurde dargethan, dafs es weder eine allgemeine noch eine unter besonderen Umst\u00e4nden wirksame Verschmelzungstendenz im Bereiche der Gef\u00fchle giebt. Dieser Punkt der ELSENHANs\u2019schen Aufstellungen kann also wohl mit diesem Hinweise als erledigt gelten, und es er\u00fcbrigt sohin nur, die erste der von Elsenhans angegebenen M\u00f6glichkeiten, n\u00e4mlich die Theilnahme der Gef\u00fchle an dem Verallgemeinerungsprocefs der Vorstellungen n\u00e4her ins Auge zu fassen.\nDer Grundgedanke Elsenhans in dieser Beziehung ist etwa kurz folgender. Wenn gleiche concrete Vorstellungen sich zu einer allgemeinen Vorstellung verdichtet haben, und letztere durch eine entsprechende Wortvorstellung ihren Ausdruck findet, so bilden die concreten Einzelvorstellungen, die Allgemeinvorstellung und die Wortvorstellung ein Associationsganzes. Da vorausgesetzt ist, dafs die Vorstellungen mit den zugeh\u00f6rigen Gef\u00fchlen in associativer Verkn\u00fcpfung stehen und mit der Reproduction der ersteren auch die letzteren reproducirt werden, so kann, falls die concrete Vorstellung stets von einem Gef\u00fchle begleitet ist, die Reproduction dieses Gef\u00fchles durch jedes Glied des Associationsganzen vollzogen werden. Nach und nach fallen nun einzelne Theile des Associationsganzen aus. \u201eNachdem aber das Wort zum feststehenden Symbol der allgemeinen Vorstellung geworden ist\u201c 8, begn\u00fcgt sich \u201edas entwickelte Geistesleben\u201c, h\u00e4ufig nur die Allgemeinvorstellungen oder blos die Wortvorstellungen ins Bewufstsein zu heben. Das an die Einzelvorstellungen urspr\u00fcnglich gebundene Gef\u00fchl ist nun auch auf \u201edieser Stufe der Generalisation\u201c4 noch vorhanden: Die allgemeine Yor-\n1 Elsenhans. Ueber Verallgemeinerung der Gef\u00fchle. Zeitschr. f. PsychoL 24 (3 u. 4), S. 194.\na S. Heber Verallgemeinerung der Gef\u00fchle, 8. 209.\n8 S. Elsenhans. \u201eUeber Verallgemeinerung der Gef\u00fchle\u201c, S. 198.\n4 Ueber Verallgemeinerung der Gef\u00fchle, 8. 197.\n27*","page":419},{"file":"p0420.txt","language":"de","ocr_de":"420\nRobert Saxinger.\nStellung, bezw. die Wortvorstellung reproducirt auch nach dem Ausfall der \u00fcbrigen Associationsglieder das associativ angegliederte Gef\u00fchl. Hierbei sind Ver\u00e4nderungen mit dem Gef\u00fchle vor sich gegangen. Das Gef\u00fchl, das sich mit der Allgemeinvorstellung, bezw. Wortvorstellung einfindet, ist ein anderes, indem es eben an dem Verallgemeinerungsprocefs der Vorstellungen theilgenommen hat.\nDispositionspsychologisch ausgedr\u00fcckt, stellt sich der angedeutete Sachverhalt nun allerdings etwas anders dar. Sagt man, eine Vorstellung a sei mit einem Gef\u00fchle associativ verkn\u00fcpft, so kann das nichts anderes heifsen, als die betreffende Vorstellung fungirt als Gef\u00fchlsdispositions - Erreger. Bildet die Vorstellung a mit den gef\u00fchlsfreien Vorstellungen 5 und c ein Associationsganzes, so ist die psychologische Voraussetzung des das Associationsganze begleitenden Gef\u00fchles immer die Vorstellung a, und weder b noch c k\u00f6nnen das Gef\u00fchl hervorbringen. Es ist also leicht verst\u00e4ndlich, dafs an eine Allgemeinvorstellung, bezw. Wortvorstellung dann ein Gef\u00fchl gebunden erscheint, wenn durch dieselbe die concrete Vorstellung, die die intellectuelle Grundlage des Gef\u00fchles abgiebt, reproducirt wird. Dagegen gestaltet sich die Sachlage schwieriger, wenn sich zeigt, dafs an Allgemeinvorstellungen oder Wortvorstellungen Gef\u00fchle gekn\u00fcpft sind, ohne dafs eine Reproduction von concreten, gef\u00fchlsbetonten Vorstellungen stattgefunden hat. Diese Erscheinung setzt offenbar voraus, dafs die betreffende Allgemeinvorstellung oder Wort Vorstellung selbst Dispositionserreger geworden ist Das ist aber wiederum nur in Folge einer vor sich gegangenen Ver\u00e4nderung der Gef\u00fchlsdispositionen m\u00f6glich. Den Ver\u00e4nderungen, die sich auf Seite der Gef\u00fchlsdispositionen vollzogen haben, entspricht aber naturgem\u00e4fs auch eine Ver\u00e4nderung des Dispositionscorrelates, des Gef\u00fchles. Mithin ist die Ver\u00e4nderung, die das eine Allgemein Vorstellung oder Wortvorstellung begleitende Gef\u00fchl gegen\u00fcber dem an eine concrete Vorstellung gebundenen Gef\u00fchl auf weist, auch ohne Berufung auf eine Theilnahme an dem Verallgemeinerungsprocefs der Vorstellungen begreiflich. Die Frage ist also eigentlich nur die, wieso es kommt, dafs solche Ver\u00e4nderungen der Gef\u00fchlsdispositionen eintreten, auf Grund welcher Allgemeinvorstellungen und Wortvorstellungen zu Dispositionserregem gestaltet werden.\nOhne auf das Problem, das diese Frage in sich birgt, n\u00e4her","page":420},{"file":"p0421.txt","language":"de","ocr_de":"Dispositionspsychologisches \u00dcber Gefiihlscomplexionen.\n421\neinzugehen, sei nur darauf hingewiesen, dafs wohl aus der Fragestellung selbst zur Gen\u00fcge hervorgeht, dafs es sich beim Problem der Verallgemeinerung der Gef\u00fchle \u00e4hnlich verh\u00e4lt, wie bei dem Problem der Gef\u00fchlsabstraction. Die Frage, ob es allgemeine Gef\u00fchle gebe, ist schon an sich verkehrt. Denn durch den Begriff der Allgemeinheit denken wir eine Mehrheit von Gegenst\u00e4nden, und damit etwas allgemein ist, mufs es einen Gegenstand haben, auf den es in der Weise der Erkenntnifs gerichtet ist Die Anwendung des Begriffes der Allgemeinheit hat im Bereiche der Gef\u00fchle also nur insofern einen guten Sinn, als gefragt wird, welche Bewandtnifs es mit der von allgemeinen Vorstellungen und Wortvorstellungen ausgehenden Gef\u00fchlswirkung habe.\n(Eingegangen am 20. October 1902.)","page":421}],"identifier":"lit33346","issued":"1902","language":"de","pages":"391-421","startpages":"391","title":"Dispositionspsychologisches \u00fcber Gef\u00fchlscomplexionen","type":"Journal Article","volume":"30"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:33:20.802176+00:00"}