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{"created":"2022-01-31T16:34:29.422427+00:00","id":"lit33347","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Zehender, W. von","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 30: 433-435","fulltext":[{"file":"p0433.txt","language":"de","ocr_de":"433\nZur Abwehr einer Kritik des Herrn STORCH.\nVon\nProfessor W. von Zehender,\nObermedicinalrath (Eutin).\nMeine in den B\u00e4nden XX und XXIV (1899 und 1900) dieser Zeitschrift ver\u00f6ffentlichten beiden Abhandlungen \u00fcber optische T\u00e4uschungen habe ich, mit Genehmigung der Herausgeber und des Verlegers, neuerdings als eine besondere Schrift erscheinen lassen. Diese besondere Schrift hat in dem Octoberheft des Centralblattes f\u00fcr Nervenheilkunde und Psychologie eine so imgew\u00f6hnlich abf\u00e4llige Kritik erlitten, dafs ich den .Lesern der Zeitschrift, zugleich auch der Zeitschrift selbst, die meine Arbeit der Ver\u00f6ffentlichung werth geachtet hat, einige Worte der Abwehr schuldig zu sein glaube.\nDer Verfasser dieser Kritik behauptet, die Erfahrung Volkmann\u2019s, auf welche sich meine Arbeit st\u00fctzt:\n\u201edie Diameter, welche parallel erscheinen, divergiren ohne Ausnahme nach oben\u201c\nlasse sich in anderer Form auch so ausdr\u00fccken:\n\u201edafs wirklich parallele Linien nach oben zu convergiren scheinen\u201c\nDie logische Richtigkeit dieser Umformung der Worte Volk-mann\u2019s hat noch Niemand bestritten und wird vielleicht Niemand bestreiten, dafs sie aber realiter richtig sei, ist experimentell noch nie bewiesen worden, und kann \u00fcberhaupt gar nicht experimentell bewiesen werden.\nMir scheint, die vorliegende Differenz beruht lediglich auf einem Wortstreit, und darauf n\u00e4her einzugehen habe ich weder di\u00a9 Absicht noch auch die Neigung.\nAlso zur Sache!\nDas Wort parallel bedeutet ein aus den Anfangsgr\u00fcnden der Geometrie hinreichend bekanntes Verhalten zweier Linien zu einander. \u2014 Zwei Linien kann man zwar sehen \u2014 das ist\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 80.\t28","page":433},{"file":"p0434.txt","language":"de","ocr_de":"434\nTF. von Zehend er.\ngewifs, aber ihr Verhalten zu einander kann man nicht \u2014 wenigstens nicht ohne Weiteres \u2014 sehen; dazu geh\u00f6rt noch eine H\u00fclfsaction der Psyche. In dem besonderen hier zur Beurtheilung vorliegenden Falle ist von zwei vertical stehenden, geraden Parallellinien die Rede ; um der geometrischen Definition zu gen\u00fcgen, gen\u00fcgt also der Nachweis, dafs ihre beiden oberen und ihre beiden unteren Endpunkte horizontalw\u00e4rts gleich weit von einander abstehen. \u2014 Das ist nicht unmittelbar sichtbar; es mufs in jedem einzelnen Falle durch ein vergleichendes Gr\u00f6fsen-urtheil erst festgestellt werden. Man mufs mit der Netzhaut \u201egleichsam wie mit einem Cirkel\u201c die beiden Distanzen nach einander messen und mit einander vergleichen. \u2014 Sind die beiden Linien sehr lang, dann wird man die Nothwendigkeit einer, vielleicht ^mehrmals zu wiederholenden Vergleichung nicht verkennen; man wird sicherheitshalber oft sogar w\u00fcnschen die H\u00fclfe eines Maafsstabes in Anspruch nehmen zu d\u00fcrfen. Sind dagegen die beiden Linien sehr kurz, dann vollzieht sich das Urtheil \u00fcber das Resultat der Vergleichung, nach der von Helmholtz eingef\u00fchrten Ausdrucksweise: durch einen \u201eunbewufsten Schlufs\u201c, der allerdings so rasch und so pl\u00f6tzlich erfolgt, dafs von einer Zwischenth\u00e4tigkeit nichts mehr bemerkt w-erden kann.\nDas Eigenth\u00fcmliche der hier in Rede stehenden T\u00e4uschung besteht nun gerade darin, dafs die h\u00f6her gelegene Distanz wirklicher Parallellinien immer, oder fast immer, gr\u00f6fser gesch\u00e4tzt wird als die untere, obwohl in Wirklichkeit beide gleich grofe sind. Zwei Linien, die der geometrischen Definition sch\u00e4tzungsweise entsprechen, sind also in Wirklichkeit nicht parallel, sondern \u2014 wie es die in der Kritik so heftig getadelten Figuren ganz richtig angeben \u2014 nach oben divergent; das divergent Eingestellte erscheint parallel, und ebenso erscheint auch das parallel Eingestellte nach oben divergent. Wenn man bei Beginn des Volkmann 'sehen Versuches die beiden Diameter geometrisch richtig parallel einstellt (ohne den Beobachter davon zu unterrichten) und ihn nun auffordert den mobilen Diameter, seinem eigenen Auge entsprechend, genau parallel zum anderen Diameter einzustellen, dann wird er den mobilen Diameter ge wife nicht convergent, sondern \u2014 ebenso wie bei jeder beliebigen anderen Anfangsstellung \u2014 in diejenige falsche Stellung bringen die seinem falschen Urtheil entspricht1\n1 Vgl. hiermit die S. 49 (Bd. XX, S. 112) angegebene Versnchemethode.","page":434},{"file":"p0435.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Abwehr einer Kritik des Herrn Storch.\n435\nDiese falsche Stellung ist nach Volkmann s Untersuchungen \u201eohne Ausnahme nach oben divergirend\u201c, Der Parallelblinde (man verzeihe den ungebr\u00e4uchlichen Ausdruck) ist ebenso unf\u00e4hig \u00fcber Parallelit\u00e4t ein richtiges Urtheil abzugeben wie der Farbenblinde \u00fcber die Farbe, und nach Volkmann ist allgemein-hin jedes Auge physiologisch ein wenig parallelblind.\nAus den in meiner Abhandlung S. 34 u. f. (Bd. XX, S. 98 u. f.) numerisch geordneten Uebersichtstabellen ergiebt sich (wenn die Richtigkeit dieser Beobachtungen nicht etwa angezweifelt wird), dafs spitze Winkel deren Oeffnung horizontalw\u00e4rts gerichtet ist, irrth\u00fcmlich kleiner erscheinen als sie in Wirklichkeit sind oder sein sollten, und umgekehrt, wenn ihre OefEnung nach oben gerichtet ist. Die Sinus der Winkel verhalten sich ebenso wie die ihnen zugeh\u00f6rigen Winkel. Will man also die Identit\u00e4t beider T\u00e4uschungen betonen, dann mufs man sagen:\nDer Sinus eines horizontalw\u00e4rts sich \u00f6ffnenden spitzen Winkels ist scheinbar kleiner, der Cosinus desselben Winkels ist scheinbar gr\u00f6fser als er sein w\u00fcrde, wenn seine wahre Winkelgr\u00f6fse mathematisch richtig in Berechnung gebracht wird, oder gebracht werden kann. Die Sinus der nach oben sich \u00f6ffnenden spitzen Winkel sind aber gerade diejenigen Distanzen, welche gesch\u00e4tzt und verglichen werden m\u00fcssen, wenn man entscheiden will ob zwei verticalstehende gerade Linien parallel oder nicht-parallel sind, und die nur dann gleich grofs befunden werden k\u00f6nnten, wenn bei dem VOLKMANNschen Versuch der \u201eKreuzungswinkel\u201c beider Diameter von dem Beobachter auf Null (d. h. parallel) eingestellt wird.\nDas Referat des Herrn Storch richtet sich \u00fcbrigens nicht allein gegen mich, sondern mit ganz besonderem Nachdruck auch noch gegen Herrn George M. Stratton, der \u2014 seiner Meinung nach \u2014 die Unbesonnenheit begangen hat, meine Abhandlung zu loben, und zwar sehr zu loben. Da der Verfasser der deutschen Recension den betreffenden Satz aus der englischen Recension in seiner Kritik zweimal wiederholt, so darf mir wohl die Unbescheidenheit erlaubt sein, diesen Satz hier auch noch zum dritten Mal zu wiederholen. Herr George M. Stratton soll von meiner Behandlung des Problems gesagt haben: \u201eit is by far the most illuminating that has ever been given\u201c.\n28*","page":435}],"identifier":"lit33347","issued":"1902","language":"de","pages":"433-435","startpages":"433","title":"Zur Abwehr einer Kritik des Herrn Storch [im Centralbl. f. Nervenheilk. u. Psychol., Octoberheft, anl\u00e4\u00dflich der Herausgabe zweier Abhandlungen Zehenders \u00fcber optische T\u00e4uschungen (Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg., 1899 u. 1900, Bd. 20 u. 24) als besondere Schrift]","type":"Journal Article","volume":"30"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:34:29.422433+00:00"}