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{"created":"2022-01-31T16:35:18.985979+00:00","id":"lit33366","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Piper, H.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 30: 145-147","fulltext":[{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n145\npebnicus und Kepler gegen die Nachfolger der griechischen Philosophen, Galilei gegen die Kirche, Newton gegen Leibnitz in der Gravitationsfrage). F\u00fcr mathematisch-deductive L\u00f6sungen sind die Vorbedingungen richtige Voraussetzungen, und diese hat die physiologische Raumtheorie geliefert. Ehe die metaphysische Speculation alte traditionelle Ansichten, also auch die von Raum, aufgiebt, dauert erfahrungsgem\u00e4fs lange, aber sie werden einstmal anerkennen m\u00fcssen, dafs hier eines ihrer schwierigsten Probleme mit exacten naturwissenschaftlichen Methoden auf inductivem Wege gel\u00f6st ist.\tH. Pipeb (Berlin).\nE. v. Cyon. Die physiologischen Grundlagen der Geometrie von Euklid.\nEine L\u00f6sung des Rauxnproblems. Pfl\u00fcg er\u20198 Archiv 85, 676\u2014630. 1901.\nDas Raumproblem ist ganz allgemein durch die folgende Fragestellung charakterisirt : Beruhen unsere Vorstellungen vom dreidimensialen Raum der Geometrie des Euklid ausschliefslich auf den durch Sinneneindruck gewonnenen Erfahrungen (Empiristen) oder sind sie durch gewisse, unserem Geiste (Gehirne) innenwohnende aprioristische Ideen und Begriffe bedingt (Nativisten) ?\nDie physiologische Raumtheorie giebt folgende An wort: Der menschliche Geist mufs seine s\u00e4mmtlichen Wahrnehmungen in das Coordinaten-eystem des dreidimensionalen Raumes einordnen, weil der Bau und die Functionsweise des speciell f\u00fcr die Orientirung im Raum vorhandenen Sinnesorgans, der Bogen des Ohrlabyrinths, es zwrangsm\u00e4fsig bedingt Diese allgemeine Function beth\u00e4tigt sich speciell bei den Innervationen f\u00fcr die Gleichgewichtsregulirung des K\u00f6rpers und bei der Beherrschung der willk\u00fcrlichen Muskelbewegungen. Es giebt drei an dieses Organ gekn\u00fcpfte Grundempfindungen : die verticale, die transversale und die sagittale Richtungsempfindung, vrelche als Coordinaten im dreidimensionalen System auf getragen vom \u201eIch\u201c als Nullpunkt aus das Vorzeichen zu den Empfindungen \u201eoben\u201c und \u201eunten\u201c, \u201erechts\u201c und \u201elinks\u201c, \u201evorn\u201c und \u201ehinten\u201c wechseln.\nEhe das Labyrinth als besonderes Raumsinnesorgan erkannt war, wurden die Bewegungsempfindungen, speciell das \u201eMuskelgef\u00fchl\u201c als Ursachen der Raumvorstellung angesehen ; indessen \u201eMuskelgef\u00fchle\u201c gelangen nicht ins Bewufstsein. Auch die \u201eInnervationsempfindungen\u201c geben keine Erkl\u00e4rung wegen der gleichzeitigen und oft gleichartigen Innervation der Antagonisten und anderer Muskeln, wodurch der Mechanismus viel zu complicirt gestaltet gedacht werden m\u00fcfste. Diese letzte negirende Argumentation trifft speciell auch f\u00fcr die Innervationsempfindungen der Augenmuskeln zu.\nEs war deshalb ein Fortschritt, als Hering zuerst ein Sinnesorgan f\u00fcr die Raumempfindung in Anspruch nahm, indem er zu beweisen suchte, dafs im Sehraum die Raumvorstellung begr\u00fcndet sei. Dagegen spricht indessen die fl\u00e4chenhafte, anatomische Anordnung der Netzhaut und der Umstand, dafs Blindgeborene Raumsinn besitzen.\nAnders das Labyrinth \u00ce Die dreidimensionale Anordnung der Bogeng\u00e4nge, der anatomische Bau, die Entwickelungsgeschichte des Nervus verti-bularis (spatialis), ferner die gleichm\u00e4fsige Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr Erregungen Zeitschrift f\u00fcr Psychologie 30.\t10","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146\nI\u00c0 teraturbcricht.\naus allen Eichtungen lassen hier das Organ des Raumsinnes erkennen. Bei Verlust des Labyrinths ist die Orientirung im Raum unm\u00f6glich. Eine Reduction der drei Grundempfindungen auf zwei ist bei Thieren mit nur 2 Bogengangpaaren (Petromyzon), auf eine bei solchen mit nur einem Paare (Tanzm\u00e4use) wahrscheinlich gemacht. Der Zusammenhang mit den durch Nerven au torn atismen vom Labyrinth aus beherrschten Augenbewegungen hat den Zweck, durch die Blicklinie die genaue Pr\u00e4cisirung der wahrgenommenen Richtung erfolgen zu lassen. Die Drehaxen der Augenbewegungen sind also auf die Bogengangsebenen zur\u00fcckzuf\u00fchren, denn das Augenmaafs kommt durch die Ver\u00e4nderung der Blicklinie im System der Bogengangcoordinaten zu Stande.\nDie philosophisch-geometrische Er\u00f6rterung des Raumproblems nun be-fafst sich mit folgenden Fragen: 1. Worauf beruht die Nothwendigkeit f\u00fcr den menschlichen Geist, den Raum als dreidimensional zu betrachten und die Unm\u00f6glichkeit, die Empfindungen unserer Sinne in einer anderen als in dieser geometrischen Form zu ordnen? 2. Welches ist der Ursprung der geometrischen Axiome des Euklid, und worauf beruht ihre apodiktische Gewifsheit, w\u00e4hrend doch ihre Richtigkeit nie direct bewiesen werden konnte? 3) Hat der Raum eine selbst\u00e4ndige reale Existenz, unabh\u00e4ngig von der sich in ihm bewegenden Materie, oder ist er mit der Materie identisch.\nKant sah in der apodiktischen aber unbewiesenen Gewifsheit der E\u00fcKLiD\u2019schen Axiome den Hauptbeweis f\u00fcr seine dahingehende Ansicht, dafs die Raum Vorstellung aphoristisch gegeben sei. Klein findet, dafs das Unverst\u00e4ndliche der rein empiristischen Auffassung in der M\u00f6glichkeit liege, Axiome von \u201eabsoluter Pr\u00e4cision\u201c aufzustellen, in der M\u00f6glichkeit\u00bb Erfahrungen, die doch nur innerhalb gewisser Grenzen und particul\u00e4ren Bedingungen genau richtig sind, zu idealisiren.\nHelmholtz findet in der Idealisirung von Erfahrungen keine Schwierigkeit. Dem Argumente ELant\u2019s gegen die empirietische Raumauffassung sucht er dadurch den Boden zu entreifsen, dafs er mit Lobatschewsky und Riemann die apodiktische Gewifsheit der EuKLro\u2019schen Axiome bestreitet, insbesondere die Richtigkeit des elften Satzes von Euklid, welcher besagt, dafs die Winkelsumme eines Dreiecks zwei Rechte betrage (sog. Parallelaxiom). Die Nicht-EuKLiD\u2019sche Geometrie nimmt drei Raumformen als gleichberechtigt an, welche sich durch ihr \u201eKr\u00fcmmungsmaaJGsu unterscheiden. 1. Den Euklid'sehen Raum: Parallelaxiom g\u00fcltig, Kr\u00fcmmungs-maafs = 0, 2. LoBATSCHEWSKY'scher Raum: Winkelsumme eines Dreiecks < 2 E, Kr\u00fcmmungsmaafs <[ 0, 3. RiEMANN-HsLUHOLTz'scher Raum. Winkel-Summe ]> 2 j\u00df, Kr\u00fcmmungsmaafs > 0. Diese S\u00e4tze sind auf rechnerischem Wege gefunden, wobei der Raum als Zahlenmannigfaltigkeit betrachtet wurde, die Zahl aber als aprioristisch gegeben galt. Helmholtz glaubt nun den Beweis f\u00fcr den empirischen Ursprung unserer Raumvorstellung darin sehen zu m\u00fcssen, dafs andere Raumformen als der dreidimensionale vorstellbar sind; das spricht gegen eine a priori gegebene transcendentale Form nach Kant.\nIndessen das ist kein Beweis weder f\u00fcr die Realit\u00e4t des Raumes noch f\u00fcr die Herkunft unserer dreidimensionalen Raumvorstellung aus der Erfahrung. Die Nicht-E\u00fcKLiD\u2019sche Geometrie, welche von dem empirisch","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"Li ter atur bericht.\n147\nabsolut g\u00fcltigen Parallelaxiom Euklid\u2019s unabh\u00e4ngig ist und nur die als aprioristisch gegeben anerkannte \u201eZahl\u201c zum Beweise benutzt, kann doch nicht den empirischen Ursprung der Raumvorstellung beweisen. Es ist den Mathematikern wie den Philosophen der empiristischen Schulen nicht gelungen, den Ursprung der Axiome des Euklid und den unserer dreidimensionalen Raumanschauung zu erkl\u00e4ren.\nErst die Entdeckung eines speciellen Raumsinnesorganes hat dies erreicht Durch dieses ist uns als physiologische Fundamentalempfindung, die der \u201eRichtung\u201c gegeben und zugleich die Vorstellung von der Gleichf\u00f6rmigkeit einer Richtung. Die Definition der Richtungsempfindung kann aber so wenig verlangt werden, wie die anderer physiologischer Grundempfindungen z. B. stifs, bitter, roth, gr\u00fcn, violett; sie sind gegeben.\nBetrachtet man nun die S\u00e4tze des Euklid, so wird man z. B. den Satz : \u201eEine gerade Linie ist diejenige, welche zwischen allen in ihr befindlichen Punkten auf einerlei Art liegt\u201c, physiologisch so formuliren: Die gerade Linie ist die Linie einer Richtung, wobei der Begriff der Richtung als Grundempfindung gegeben ist. Ferner der Satz: \u201eJede begrenzte gerade Linie kann stetig in gerader Richtung verl\u00e4ngert gedacht werden\u201c lautet physiologisch: Die ideale gerade Linie ist die veranschaulichte Vorstellung einer empfundenen Richtung. Der Beweis daf\u00fcr, dafs der Begriff der geraden Linie als Function eines Sinnesorganes, des Labyrinthes, gelten mufs, liegt darin, dafs alle Thiere und Menschen, die ein normal functionirendes Sinnesorgan \u2014 und nur solche \u2014 die gerade Linie als k\u00fcrzesten Weg kennen. Beweis: Experimente, labyrinthlose Thiere z. B. Bienen etc.\nDie gleiche Argumentation wird f\u00fcr den Satz von den parallelen Linien resp. gleichen Richtungen durchgef\u00fchrt, ferner f\u00fcr die Definition des Winkelbegriffes, wobei der rechte Winkel auf Grund der anatomischen Anordnung der Bogeng\u00e4nge als Ausgangswinkel angesprochen wird, ebenso f\u00fcr die Ebene und endlich f\u00fcr den Punkt, in dem alle Richtungsempfindungen Zusammentreffen und der als das \u201euntheilbare Bewufstsein\u201c bezeichnet wird.\nDer physiologische Ursprung der Axiome ist also der Grund f\u00fcr ihre apodiktische Gewissheit; sie beruhen auf sinnlicher Erkenntnifs und unterscheiden sich von physikalischen Gesichtspunkten betrachtet sehr wesentlich von den Nicht-EuKLm\u2019schen Geometries\u00e4tzen, die transcendental sind, deren Raumformen imagin\u00e4r und nicht vorstellbar sind.\nOb der Raum real existirt, dar\u00fcber m\u00f6gen die Metaphysiker streiten; seine Eigenschaften sind f\u00fcr den Physiologen durch die Form der Wahrnehmungen des Raumsinnes gegeben. Ob bei anderer Anordnung des Raumsinnesorganes auch etwa vierdimensionale Raum Vorstellungen zu Stande kommen k\u00f6nnten, oder ob die dreidimensionale den realen Eigen sch\u00e4ften des Raumes entspricht, ist nicht zu entscheiden.\nH. Pipes (Berlin).\nE. v. Cton. Beitr\u00e4ge sur Physiologie des Ranmsinnes. I. Rene Beobachtungen an den japanischen Tanzmansen. Pfl\u00fcgtr\u2019s Archiv SB, 427\u2014453. 1902.\nEine Collection von 7 Exemplaren japanischer Tanzm\u00e4use wurde auf Grund ihrer \u00e4ufseren Erscheinung und der Art der an ihnen beobachteten\n10*","page":147}],"identifier":"lit33366","issued":"1902","language":"de","pages":"145-147","startpages":"145","title":"E. de Cyon: Die physiologischen Grundlagen der Geometrie von Euklid. Eine L\u00f6sung des Raumproblems. Pfl\u00fcger's Archiv 85, S. 576-630. 1901","type":"Journal Article","volume":"30"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:35:18.985984+00:00"}