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{"created":"2022-01-31T16:34:12.257287+00:00","id":"lit33367","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Piper, H.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 30: 147-149","fulltext":[{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"Li ter atur bericht.\n147\nabsolut g\u00fcltigen Parallelaxiom Euklid\u2019s unabh\u00e4ngig ist und nur die als aprioristisch gegeben anerkannte \u201eZahl\u201c zum Beweise benutzt, kann doch nicht den empirischen Ursprung der Raumvorstellung beweisen. Es ist den Mathematikern wie den Philosophen der empiristischen Schulen nicht gelungen, den Ursprung der Axiome des Euklid und den unserer dreidimensionalen Raumanschauung zu erkl\u00e4ren.\nErst die Entdeckung eines speciellen Raumsinnesorganes hat dies erreicht Durch dieses ist uns als physiologische Fundamentalempfindung, die der \u201eRichtung\u201c gegeben und zugleich die Vorstellung von der Gleichf\u00f6rmigkeit einer Richtung. Die Definition der Richtungsempfindung kann aber so wenig verlangt werden, wie die anderer physiologischer Grundempfindungen z. B. stifs, bitter, roth, gr\u00fcn, violett; sie sind gegeben.\nBetrachtet man nun die S\u00e4tze des Euklid, so wird man z. B. den Satz : \u201eEine gerade Linie ist diejenige, welche zwischen allen in ihr befindlichen Punkten auf einerlei Art liegt\u201c, physiologisch so formuliren: Die gerade Linie ist die Linie einer Richtung, wobei der Begriff der Richtung als Grundempfindung gegeben ist. Ferner der Satz: \u201eJede begrenzte gerade Linie kann stetig in gerader Richtung verl\u00e4ngert gedacht werden\u201c lautet physiologisch: Die ideale gerade Linie ist die veranschaulichte Vorstellung einer empfundenen Richtung. Der Beweis daf\u00fcr, dafs der Begriff der geraden Linie als Function eines Sinnesorganes, des Labyrinthes, gelten mufs, liegt darin, dafs alle Thiere und Menschen, die ein normal functionirendes Sinnesorgan \u2014 und nur solche \u2014 die gerade Linie als k\u00fcrzesten Weg kennen. Beweis: Experimente, labyrinthlose Thiere z. B. Bienen etc.\nDie gleiche Argumentation wird f\u00fcr den Satz von den parallelen Linien resp. gleichen Richtungen durchgef\u00fchrt, ferner f\u00fcr die Definition des Winkelbegriffes, wobei der rechte Winkel auf Grund der anatomischen Anordnung der Bogeng\u00e4nge als Ausgangswinkel angesprochen wird, ebenso f\u00fcr die Ebene und endlich f\u00fcr den Punkt, in dem alle Richtungsempfindungen Zusammentreffen und der als das \u201euntheilbare Bewufstsein\u201c bezeichnet wird.\nDer physiologische Ursprung der Axiome ist also der Grund f\u00fcr ihre apodiktische Gewissheit; sie beruhen auf sinnlicher Erkenntnifs und unterscheiden sich von physikalischen Gesichtspunkten betrachtet sehr wesentlich von den Nicht-EuKLm\u2019schen Geometries\u00e4tzen, die transcendental sind, deren Raumformen imagin\u00e4r und nicht vorstellbar sind.\nOb der Raum real existirt, dar\u00fcber m\u00f6gen die Metaphysiker streiten; seine Eigenschaften sind f\u00fcr den Physiologen durch die Form der Wahrnehmungen des Raumsinnes gegeben. Ob bei anderer Anordnung des Raumsinnesorganes auch etwa vierdimensionale Raum Vorstellungen zu Stande kommen k\u00f6nnten, oder ob die dreidimensionale den realen Eigen sch\u00e4ften des Raumes entspricht, ist nicht zu entscheiden.\nH. Pipes (Berlin).\nE. v. Cton. Beitr\u00e4ge sur Physiologie des Ranmsinnes. I. Rene Beobachtungen an den japanischen Tanzmansen. Pfl\u00fcgtr\u2019s Archiv SB, 427\u2014453. 1902.\nEine Collection von 7 Exemplaren japanischer Tanzm\u00e4use wurde auf Grund ihrer \u00e4ufseren Erscheinung und der Art der an ihnen beobachteten\n10*","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nLiteraturbericht.\nBewegungen in zwei Gruppen gethe\u00fct. Eine Gruppe von 3 Exemplaren zeigte die auch sonst bei diesen Thieren festgestellten Erscheinungen : Sehr lebhaftes Tanzen um eine verticale Axe, Manegebewegungen, Unf\u00e4higkeit in gerader Richtung zu laufen, dagegen Fortbewegung in Zickzacklinien, Halbkreisen oder in Richtungen, welche schr\u00e4g diagonal znr K\u00f6rper-l\u00e4ngsaxe liegen. Sie waren unf\u00e4hig sich auf schiefer Ebene zu bewegen, waren v\u00f6llig taub und nicht im Stande vertical aufw\u00e4rts zu klettern. Die zweite Gruppe von 4 Exemplaren f\u00fchrten viel weniger lebhafte T\u00e4nze aus. Die Vorw\u00e4rtsbewegung erfolgte in Halbkreisen, Zickzack und Diagonalen. Sie konnten auf schr\u00e4gen Ebenen, Leisten und Treppen, auch an geeigneten W\u00e4nden in verticaler Richtung klettern. 2 Thiere dieser Gruppe waren taub und weniger geschickt beim Klettern, die beiden anderen reagirten lebhaft auf den Schall der Galtonpfeife.\nNach Blendung zeigten die 3 Thiere der ersten Gruppe sich v\u00f6llig un-orientirt im Raum, vollf\u00fchrten heftige Zwangsbewegungen und \u00fcberschlugen sich um alle K\u00f6rperaxen. Von den 4 Thieren der zweiten Gruppe zeigten die beiden tauben wenig Zwangsbewegungen, die beiden anderen vollf\u00fchrten fast ebenso sichere Bewegungen wie zuvor.\nDie anatomische Untersuchung des Labyrinthes ergab, dafs bei den 3 Thieren der ersten Gruppe der horizontale Bogengang v\u00f6llig verkr\u00fcppelt, der verticale stark mifsbildet war, bei den 4 Exemplaren der zweiten Gruppe aber war der verticale Gang fast normal und schien functionsf\u00e4hig, der horizontale war ebenfalls geschrumpft. (Untersucht von Rawitz.)\nEs erhebt sich nun die Frage, ob diese Befunde mit dem durch operative Thierexperimente gewonnenen Gesetz \u00fcbereinstimmen, da\u00a3s n\u00e4mlich die nach Durchschneidung je zweier symmetrischer Bogeng\u00e4nge auftretenden K\u00f6rper- und Kopfbewegungen sich in der Ebene der operirten Can\u00e4le vollziehen. Es ergiebt sich folgende Uebereinstimmung: Drehungen um verticale Axen, Manegebewegungen in horizontaler Ebene, pendelartige Schwingungen des Kopfes nach rechts und nach links, werden k\u00fcnstlich durch Zerst\u00f6rung der horizontalen Bogeng\u00e4nge erzeugt. Die Tanzm\u00e4use, bei denen die gleichen Bewegungen vorherrschend sind, zeigen Verkr\u00fcppelungen oder Schwund der Horizontalcan\u00e4lchen. Schwieriger ist es, den Ursprung der Zickzack-, Halbkreis- und Diagonalbewegungen zu erkl\u00e4ren. Die hier documentirte Unkenntnifs der \u201egeraden Linie\u201c ist wohl nicht allein Folge der Verkr\u00fcppelung der Bogeng\u00e4nge, sondern auch bedingt durch die wahrscheinlichen Ver\u00e4nderungen in den Fasern der Vestibular-nerven und der centralen Gebilde, welche sie mit den Fasern der ocnlo motorischen Nerven verbinden. Auch kommt wohl in Betracht, dafs bei der nach hinten gerichteten Convergenz der sagittalen Bogengangsebenen die hier besonders erforderliche symmetrische Congruenz bei den Ampullen* erregungen gest\u00f6rt ist. Die bei der Blendung der 3 erstangef\u00fchrten Thiere auftretenden Erscheinungen stimmen mit dem \u00fcberein, was bei Tauben nach Zerst\u00f6rung s\u00e4mmtlicher Bogeng\u00e4nge beobachtet wird.\nDie physiologische Interpretation der Thierexperimente und der Erscheinungen bei der Tanzmaus ist folgende: Nach Zerst\u00f6rung des Bogenganges beobachtet man Ausfall seiner Function in der Form, dafs die von ihm auszu\u00fcbenden regulatorischen Hemmungen der Bewegungen fehlen,","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n149\nwelche sich in seiner Ebene vollziehen. Es ist ein Ausfall von Widerst\u00e4nden.\nDiese Erscheinungen zeigen sich indessen nur bei Thieren, deren Organisation urspr\u00fcnglich auf dreidimensionale Baumauffassung angelegt ist; dafs dieses auch bei der Tanzmaus urspr\u00fcnglich der Fall war, und die jetzt beobachteten Erscheinungen durch pathologischen Ausfall bestimmter Functionen bedingt ist, daf\u00fcr spricht die rudiment\u00e4re, aber potentia dreisystemige Beschaffenheit des Bogengangapparates; ferner der Umstand, dafs Thiere (Neunaugen), welche normalerweise nur 2 Bogengangpaare haben, die also nur 2 Richtungen kennen und f\u00fcr zweidimensionale Baumauffassung principiell organisirt sind, sich nur in den Ebenen der bei ihnen vorhandenen Bogeng\u00e4nge bewegen, nicht in der fehlenden. Die Tanzmaus dagegen vollf\u00fchrt ihre Bewegungen in der Ebene des ausgefallenen Bogenganges.\nIm Ganzen sieht Cyon in diesen Beobachtungen eine sch\u00f6ne Best\u00e4tigung seiner Theorie, nach welcher das Labyrinth als Sinnesorgan f\u00fcr die Bichtungs- und Raumempfindungen angesprochen wird.\nH. Piper (Berlin).\nHugo Feilchenfkld. Ueber die \u00dfr\u00f6fseiisch\u00e4tzung im Sehfeld. Graefe\u2019sArch. f: Ophthalm. 53, S. 401\u2014422. 1902.\nF. geht davon aus, dafs gerade die Gr\u00f6fsensch\u00e4tzung und ihre T\u00e4uschungen ein gutes Mittel zur Beurtheilung der nativistischen und der empiristischen Erkenntnifstheorie geben mufsten, denn erstere erkl\u00e4rt diese T\u00e4uschungen durch angeborene Fehlerhaftigkeit der percipirenden Sinnesfl\u00e4che, letztere durch Bewegungst\u00e4uschungen. Es k\u00e4me also nur darauf an, bei der Analyse der T\u00e4uschungen unseres Augenmaafses die beiden Factoren: r\u00e4umliche Qualification der Sinnesfl\u00e4che und Bewegung auseinanderzuhalten. Zu diesem Zwecke, d. h. um die Augenbewegungen auszuschalten, habe man bisher, der HELMHOLTz\u2019schen Autorit\u00e4t folgend, die Methode der Beleuchtung mittels elektrischen Funkens gew\u00e4hlt, wodurch die Beobachtung auf einen Moment zusammengedr\u00e4ngt, unsicher und mangelhaft wurde.\nDaher verzichtet F. darauf und beobachtet \u2014 unter Vermeidung wenigstens gr\u00f6berer Bewegungen \u2014 bei gew\u00f6hnlichem Tageslicht, wozu nat\u00fcrlich wegen der Ueberwindung des starken Maculareinstellungsreflexes und der noth wendigen Beurtheilung peripherer Netzhautbilder grofse Uebung geh\u00f6rt.\nF. fixirte monocular ein in der Frontalebene angebrachtes Linienkreuz, dessen Mittelpunkt in Augenh\u00f6he stand; jeder Arm hatte eine L\u00e4nge von 10 cm. Unter Sehfeld versteht F. mit Helmholtz die Gesammtheit aller auf der Netzhaut eines ruhenden Auges abgebildeten Punkte resp. deren Aulsenprojection. Bei Fixirung des Mittelpunktes erscheint f\u00fcr F. in gew\u00f6hnlichem Leseabstand der temporale Arm gleich dem nasalen. Bei Ann\u00e4herung beginnt eine immer st\u00e4rker werdende Uebersch\u00e4tzung des nasalen. Fr\u00fchere Untersucher hatten f\u00fcr den Leseabstand widersprechende Angaben gemacht, bald Uebersch\u00e4tzung der nasalen, bald der temporalen H\u00e4lfte. Als Ursache nimmt nun F. die Form des Sehfeldes an, das bekanntlich asymetrisch zur Gesichtslinie temporal viel weiter \u00fcber die Linie hinaus-","page":149}],"identifier":"lit33367","issued":"1902","language":"de","pages":"147-149","startpages":"147","title":"E. de Cyon: Beitr\u00e4ge zur Physiologien des Raumsinnes. I. Neue Beobachtungen an den japanischen Tanzm\u00e4usen. Pfl\u00fcger's Archiv 89, S. 427-453. 1902","type":"Journal Article","volume":"30"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:34:12.257293+00:00"}