Open Access
{"created":"2022-01-31T14:42:24.230292+00:00","id":"lit33404","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"B\u00e1r\u00e1ny, Robert","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 41: 37-44","fulltext":[{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"37\nBeitrag\nzur Lehre von den Funktionen der Bogeng\u00e4nge.\nVon\nDr. Robert Bar\u00e4ny.\nAssistent der k. k. Universit\u00e4ts-Ohrenklinik (Vorstand: Hofrat Prof. Politzer).\n(Nach einem Vortrag, gehalten auf der Versammlung der deutschen Naturforscher und \u00c4rzte Meran 1905.)\nDie Lehre von den Funktionen der Bogeng\u00e4nge, wie sie nach der grundlegenden Hypothese von Goltz, von Breuer, Mach und Crum- Brown auf gestellt wurde, gilt heutzutage als feststehend. So sagt Nagel in dem von ihm herausgegebenen Handbuch der Physiologie. \u201eMachen wir nun mit Mach und Breuer die Annahme, dafs jede Verbiegung der Sinneshaare in den Ampullen die Empfindung einer Kopfdrehung in dem dieser Verbiegung entgegengesetzter Sinne bewirke, so ist der gr\u00f6fste Teil der bei Drehung auftretenden Empfindungen aufs einfachste erkl\u00e4rt.\u201c Das Grundph\u00e4nomen, auf welches sich die Lehre Machs und Breuers st\u00fctzt, ist das folgende. L\u00e4fst man sich bei aufrechter Kopf Stellung, z. B. auf einem Drehstuhl mehrere Male um die L\u00e4ngsachse drehen und dann pl\u00f6tzlich anhalten, so tritt bei offenen Augen der sogenannte Gesichtsschwindel auf, d. h. die \u00e4ufseren Gegenst\u00e4nde scheinen sich jetzt in entgegengesetzter Richtung weiterzudrehon.1 Schliefst man die Augen, so hat man die Empfindung, selbst in Drehung nach der der urspr\u00fcnglichen Drehungsrichtung entgegengesetzten Richtung zu sein. Sowohl bei offenen, als bei geschlossenen Augen kann man nach dem Anhalten den von Purkinje entdeckten Nystagmus beider Augen beobachten, der bereits von diesem Forscher als Ursache des\n1 Die Richtung der Scheinbewegung ist nicht in allen F\u00e4llen gleich deutlich, manchmal sogar umgekehrt.","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nRobert B\u00e4r any.\nGesichtsschwindels angesehen wurde. Bez\u00fcglich der Dreh-empfindnng stand Beeuee 1874 auf dem Standpunkte, dafs die Empfindung der Drehung den Nystagmus ausl\u00f6se. Soviel mir bekannt ist, vertritt er diese Anschauung heute nicht mehr, sondern betrachtet wie Nagel den Nystagmus als einen der Empfindung koordinierten Reflex. Ich glaube, dafs man den Nystagmus als bei der Ausl\u00f6sung der Drehempfindung mitbeteiligt ansehen mufs und dafs eine derartige Koordination von Empfindung und Reflex nicht besteht. Meine Versuche habe ich an einer grofsen Zahl von Personen angestellt, die mir aus dem reichen Krankenmateriale unserer Klinik durch die G\u00fcte meines Chefs, des Herrn Hofrat Politzee zur Verf\u00fcgung standen. Soweit es sich um Selbstbeobachtungen handelt, st\u00fctze ich mich haupts\u00e4chlich auf die Angaben von sechs Kollegen.\nWenn wir um unsere vertikale Achse nach rechts gedreht werden, so tritt beim Anhalten ein nach links gerichteter horizontalen Nystagmus auf. Dieser Nystagmus ist fest stets beim Blick nach links am st\u00e4rksten. Bei manchen Personen besteht er auch beim Blick nach rechts \u2014 schw\u00e4cher oder auch gleich stark \u2014 fort, bei den meisten aber fehlt er bei Blick nach rechts, das Auge befindet sich hier vollst\u00e4ndig in Ruhe. W\u00e4hrend beim Blick nach links Scheinbewegungen der \u00e4ufseren Gegenst\u00e4nde im Aus-mafse des Nystagmus bestehen, bleiben entsprechend der Ruhe der Augen bei Blick nach rechts diese Scheinbewegungen aus.1 Die Empfindung der Scheindrehung des eigenen K\u00f6rpers scheint bei offenen Augen, so lange das Bewufstsein vollst\u00e4ndig klar ist und man die \u00e4ufseren Gegenst\u00e4nde scharf sieht, sehr selten zu sein. Ich verf\u00fcge nur \u00fcber eine derartige Beobachtung, deren Mitteilung ich der G\u00fcte des Herrn Hofrat Mach verdanke. Hofrat Mach hat bei offenen Augen, ohne dafs er hierbei verschwommen sieht, gleichzeitig mit der Scheindrehung der Gegenst\u00e4nde die Empfindung einer gleichsinnigen Drehung des eigenen K\u00f6rpers. In der Regel tritt die Empfindung der Scheindrehung des eigenen K\u00f6rpers nur auf, wenn, wie dies nicht so selten der Fall ist, gleichzeitig mit, den Scheinbewegungen der Objekte das Gesichtsfeld sich verdunkelt und man nur verschwommen sieht.\n1 Bei einer Anzahl von Personen tritt Ruhe der Augen und damit Sistieren der Scheinbewegung der Objekte bei Fixation des median vorgehaltenen Fingers ein (Purkinje, Breuer) bei anderen bleibt bei dieser Blickrichtung der Nystagmus bestehen.","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Beitrag zur Lehre von den Funktionen der Bogeng\u00e4nge.\n39\nDafs in der grofsen Mehrzahl der F\u00e4lle bei offenen Augen die Empfindung der Scheindrehung des eigenen K\u00f6rpers fehlt, k\u00f6nnte man damit erkl\u00e4ren, dafs unser Bewufstsein durch die Empfindungen des Gesichtsschwindels derart erf\u00fcllt ist, dafs es die Empfindung der Bewegung des eigenen K\u00f6rpers nicht wahrnimmt. Diese Erkl\u00e4rung wird aber durch die Tatsache unhaltbar, dafs man bei Blick in jene Richtung, in welcher kein Nystagmus besteht, die \u00e4ufseren Gegenst\u00e4nde in Ruhe sieht und doch selbst nicht die Empfindung des Gedrehtwerdens hat. Aufserdem spricht ja auch die Tatsache dagegen, dafs man gerade bei Tr\u00fcbung des Bewufstseins die Empfindung der Scheindrehung des eigenen K\u00f6rpers hat. Bereits dieses einfache Experiment spricht also gegen die Auffassung, dafs die Erregung in den Bogeng\u00e4ngen direkt zur Drehempfindung werde. Diese Empfindung m\u00fcfste ja in dem angezogenen Falle trotz oder gerade wegen der Ruhigstellung der Augen bei Blick nach rechts zum Bewufstsein kommen.\nMan wurde nach rechts herumgedreht, und h\u00e4lt man nun beim Anhalten die Augen geschlossen, so hat man die Empfindung, in Drehung nach links begriffen zu sein. \u00d6ffnet man die Augen, so h\u00f6rt diese Empfindung sofort auf und an ihre Stelle tritt die Empfindung der Scheindrehung der \u00e4ufseren Gegenst\u00e4nde. Schliefst man die Augen wieder, so beginnt wieder die Empfindung des Gedrehtwerdens. Man kann diesen Wechsel der Empfindungen mehrmals beobachten, stets aber kommt ein Moment, in welchem man bei geschlossenen Augen keine Empfindung der Scheindrehung mehr hat, bei offenen Augen aber noch deutliche Scheinbewegungen der \u00e4ufseren Gegenst\u00e4nde sieht. Es entspricht dies der schon von Hitzig und Breuer gelegentlich der Untersuchung des galvanischen Nystagmus beobachteten Tatsache, dafs bei schwachem Nystagmus wohl Scheinbewegung der Objekte, aber keine Scheinbewegung des eigenen K\u00f6rpers auftritt. Dies kann als Beweis gegen die Anschauung angesehen werden, dafs die Empfindung der Scheinbewegung den Nystagmus ausl\u00f6se, da ja nach dieser Annahme die Empfindung der Scheindrehung des eigenen K\u00f6rpers ebensolange dauern m\u00fcfste, als der von ihr ausgel\u00f6ste Nystagmus anh\u00e4lt. Die von Nagel vertretene Auffassung wird durch diese Tatsache nicht getroffen. Dagegen glaube ich das folgende von mir zuerst ausgef\u00fchrte Experiment als einen Beweis gegen die NAGELsche Auffassung ansehen zu d\u00fcrfen,","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nRobert B\u00e2r\u00e2ny.\nUntersucht man einen Menschen, der beim Anhalten nach Rechtsdrehung den nach links gerichteten Nystagmus nur bei Blick nach links zeigt, und l\u00e4fst diesen beim Anhalten die geschlossenen Augen nach rechts wenden, so h\u00f6rt mit dem Nystagmus auch sofort die Empfindung des Gedrehtwerdens auf. Blickt man wieder nach links, so f\u00e4ngt die Empfindung der Scheindrehung sofort wieder an; wechselt man die Blickrichtung mehrmals, so kann man jedesmal bei Blick nach links die Empfindung der Scheindrehung, bei Blick nach rechts Aufh\u00f6ren dieser Empfindung beobachten. W\u00fcrde die Empfindung direkt in den Bogeng\u00e4ngen ausgel\u00f6st, so k\u00f6nnte ja die Stellung der Augen nicht von Einflufs auf diese Empfindung sein resp. man m\u00fcfste, wenn man diese Annahme dennoch feststellen wollte, zu einem \u00e4ufserst komplizierten Hypothesenbau seine Zuflucht nehmen. Dieses einfache Experiment spricht also auch gegen die herrschende Lehre.\nMeiner Meinung nach verh\u00e4lt sich die Sache folgendermafsen. Durch die Drehung des Kopfes wdrd ganz entsprechend der MACH-B\u00dfEUE\u00dfschen Theorie eine Verschiebung der Endolymphe in den betreffenden halbzirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4len hervorgerufen, welche eine Verlagerung der den Crustae ampullarum auf sitzenden cupulae bewirkt. Dauert die Drehung nur kurze Zeit, so erfolgt beim Anhalten der Gegenstofs der Endolymphe, welcher die cupulae in ihre urspr\u00fcngliche Lage zur\u00fcckbringt. Dauert die Drehung aber l\u00e4ngere Zeit an, so wird die R\u00fcckverlagerung der Cupula durch die Elastizit\u00e4t der Epithelhaare, Schleim tropf en etc. bewirkt und nimmt bei der geringen Gr\u00f6fse der in Betracht kommenden Kraft l\u00e4ngere Zeit in Anspruch. H\u00e4lt man nach Drehung pl\u00f6tzlich an, so bewegt sich infolge der Tr\u00e4gheit die Endolymphe noch eine kurze Zeitlang weiter und verlagert hierbei die Cupulae in der urspr\u00fcnglichen Drehungsrichtung. Es dauert l\u00e4ngere Zeit, bis die Cupula durch die Elastizit\u00e4t der Epithelhaare wieder in ihrer prim\u00e4ren Lage zur Ruhe gebracht werden.\nDie Kerne der Vestibularnerven in der Medulla oblongata stehen durch das hintere L\u00e4ngsb\u00fcndel mit den Kernen der Augenmuskeln in Verbindung und auf diesem Wege findet die \u00dcbertragung der Erregung auf die Augenmuskeln statt, die als Nystagmus in Erscheinung tritt. Vestibularisfasern zur Hirnrinde sind bisher nicht nachgewiesen. Es ist daher die Annahme","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Beitrag zur Lehre von den Funktionen der Bogeng\u00e4nge.\n41\ngerechtfertigt, dafs die Fasern des Vestibularis in den Kernen der Augenmuskeln oder in einem in unmittelbarer N\u00e4he derselben befindlichen Schaltneuron s\u00e4mtlich oder gr\u00f6fstenteils unterbrochen werden. Damit die Empfindung der Scheindrehung ausgel\u00f6st werde, mufs zu der Erregung in den Fasern des Vestibularis die in den Kernen der Augenmuskeln w\u00e4hrend des Nystagmus ablaufende Erregung hinzutreten. Wird letztere gehemmt, so kommt die Empfindung der Scheindrehung nicht zustande.\nMit der vom Corten ausgehenden Hemmung des Nystagmus ist \u00d6fter auch eine Hemmung der beim Anhalten nach Drehung auftretenden Gleichgewichtsst\u00f6rungen verbunden. Dreht man sich bei nach vorn geneigtem Kopfe z. B. nach rechts, so entsteht beim Anhalten ein horizontaler rotatorischer Nystagmus nach links, der beim Blick nach links am st\u00e4rksten ist, beim Blick nach rechts aufh\u00f6rt. Steht man unmittelbar nach dem Anhalten auf, richtet den Kopf gerade und blickt unter geschlossenen Lidern nach rechts und links, so bemerkt die beobachtende Person stets bei Blick nach links starkes Schwanken nach rechts, bei Blick nach rechts schw\u00e4cheres Schwanken, ja sogar ruhiges Stehen. Nur im ersten Moment, wenn auch noch bei Blick nach rechts Nystagmus besteht, schwankt die Versuchsperson auch bei Blick nach rechts. Sp\u00e4ter kann man den Wechsel von Schwanken und Nichtschwanken bei Blickwechsel mehrmals beobachten.\nEs w\u00e4re noch die Frage zu beantworten, in welcher Weise die Augenbewegungen bei der Ausl\u00f6sung der Empfindung der Scheindrehung (bei geschlossenen Augen) mitbeteiligt sind. Es bestehen zwei M\u00f6glichkeiten. Entweder sind es die in der Orbita bei der Bewegung der Augen entstehenden Muskel- und Tastempfindungen, welche hier eine Rolle spielen oder es werden die Erregungszust\u00e4nde in den Kernen der Augenmuskeln direkt verwertet. Besteht die erste Annahme zu recht, dann mufs ein Fall, dessen Bulbi durch irgend einen Prozefs in der Orbita vollkommen unbeweglich stehen, \u2014 mechanisches vollst\u00e4ndiges Fixieren meiner Bulbi durch Druck war mir unm\u00f6glich \u2014 also z. B. ein Fall mit doppelseitigem Orbitalabszefs, ein Fall von Thrombose des Sinus cavernosus beim Anhalten nach Drehung keine Empfindung der Scheindrehung haben.1\n1 Einen Fall von beiderseitiger Bulbusenukleation habe ich untersucht. Er hatte normale Drehempfindung ; man sah auch an den St\u00fcmpfen typischen Nystagmus.","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nRobert Bdr\u00e2ny.\nM\u00f6glich jedoch, dafs die Unbeweglichkeit des Bulbi, oder die Exstirpation der Augenmuskeln, keinen Einflufs auf die Entstehung der Empfindung der Scheindrehung hat. Dann w\u00fcrde nur ein Fall mafsgebend sein, in welchem eine beiderseitige, totale, zentrale L\u00e4hmung s\u00e4mtlicher Augenmuskeln bei intaktem Geh\u00f6rorgan vorliegt, ein Fall, wie er, obwohl sehr selten, schon wiederholt beobachtet ist. Von diesen Beobachtungen wird die definitive Entscheidung dieser Frage abh\u00e4ngen.\nVorl\u00e4ufig aber nehme ich an, dafs die Bogeng\u00e4nge zwar entsprechend der MAcn-B\u00dfEUEEschen Theorie erregt werden, dafs jedoch ihre Erregung nicht direkt zur Empfindung wird, sondern reflektorisch bestimmte Augenbewegungen ausl\u00f6st. Diese sind bei der Ausl\u00f6sung der Drehempfindung als mitbeteiligt anzusehen. Ich habe bisher absichtlich das Wort Drehschwindel vermieden, und m\u00f6chte zum Schl\u00fcsse noch sagen, was man meiner Meinung nach mit Drehschwindel bezeichnen sollte. Unter Drehschwindel hat man einen Empfindlings- und Vorstellungs-komplex zu verstehen, der in mehrere Komponenten zerlegt werden kann. Diese sind 1. die Empfindung der Scheindrehung und zwar a) die Empfindung der Scheinbewegung der \u00e4ufseren Objekte, b) die Empfindung der Scheinbewegung des eigenen K\u00f6rpers. 2. Bewufstseinsst\u00f6rung mit Beeintr\u00e4chtigung der Wahrnehmung der Aufsenwelt. 3. Reaktionsbewegungen (Gleich-\n\u2022 \u2022\ngewichtsst\u00f6rungen. 4. Unlustgef\u00fchle, Ublichkeiten. Ad 1. Es ist oft der Fall, dafs von s\u00e4mtlichen Komponenten des Drehschwindels nur diese eine auftritt; dann sollten wir aber nicht von Drehschwindel, sondern von Drehempfindung sprechen. Ad 2. Die bei der Erregung der Bogeng\u00e4nge auftretenden Bewufstseinsst\u00f6rungen k\u00f6nnen von der leichtesten Tr\u00fcbung des Sensoriums bis zur Bewufstlosigkeit und Ohnmacht gehen. Hierbei kommt es, sei es koordiniert, sei es als Folge der Bewufstseinstr\u00fcbung zu einer St\u00f6rung der Wahrnehmung der \u00e4ufseren Gegenst\u00e4nde. Das Gesichtsfeld verdunkelt sich, die Gegenst\u00e4nde verschwimmen, es flimmert vor den Augen, manche sehen Farben vor den Augen tanzen. Eine derartige St\u00f6rung der Wahrnehmung der Aufsenwelt wirkt im \u00e4ufsersten Falle wie Augenschlufs. Es wird keine Drehung der \u00e4ufseren Gegenst\u00e4nde mehr empfunden, sondern nur die Scheindrehung des eigenen K\u00f6rpers. Ist die St\u00f6rung nicht so hochgradig, dann empfindet man Drehung der \u00e4ufseren Gegenst\u00e4nde und Drehung des eigenen","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Beitrag zur Lehre von den Funktionen der Bogeng\u00e4nge.\n43\nK\u00f6rpers zugleich. Ist das Bewufstsein klar oder nur minimal getr\u00fcbt, so ist man stets auch w\u00e4hrend des Schwindels \u00fcber die Lage seines eigenen K\u00f6rpers und der Aufsenwelt orientiert. Bei gut konzentrierter Aufmerksamkeit kann man dann mit geschlossenen Augen sowohl die durch den Nystagmus ausgel\u00f6ste Scheindrehung als auch die wirklich ausgef\u00fchrte Reaktionsbewegung beobachten; trotz dieses Widerstreits der Wahrnehmungen kann Schwindelgef\u00fchl fehlen oder nur in minimalem Grade vorhanden sein. Je st\u00e4rker die Bewufstseinstr\u00fcbung, desto st\u00e4rker in der Regel das Schwindelgef\u00fchl und bei hochgradiger Bewufstseinstr\u00fcbung tritt dann die vollst\u00e4ndige Desorientiertheit \u00fcber die eigene Lage und die Lage der \u00e4ufseren Gegenst\u00e4nde auf, wenn auch vielleicht im gegebenen Falle Nystagmus und Drehempfindung nicht sehr hochgradig sind. In der Regel allerdings kommt es desto leichter zur Bewufstseinstr\u00fcbung, je st\u00e4rker der Nystagmus und mithin die Empfindung der Scheindrehung ist. \u2014 Ad 3. Die im Verlaufe des Drehschwindels auftretenden Gleichgewichtsst\u00f6rungen sind zweierlei Art. a) Reaktionsbewegungen entsprechend der Scheindrehung, b) Folgen der Bewufstseinstr\u00fcbung. Die ersteren sind dadurch gekennzeichnet, dafs sie immer in der Ebene erfolgen, in welcher der Nystagmus statthat und immer entgegengesetzt der Richtung verlaufen, in welche die schnelle Komponente des Nystagmus schl\u00e4gt. \u2014 Besteht horizontaler Nystagmus und wird der Kopf aufrecht gehalten, so findet bei klarem Bewufstsein \u00fcberhaupt keine Gleichgewichtsst\u00f6rung statt, die Versuchsperson dreht sich nur, wenn sie feststehen will, noch ein St\u00fcck in der urspr\u00fcnglichen Drehungsrichtung weiter. Gleichgewichtsst\u00f6rungen als Folge vonReaktions bewegungen treten nur auf, wenn die Achse, auf welcher die Ebene des Nystagmus senkrecht steht, mit der vertikalen K\u00f6rperachse einen Winkel einschliefst. Wichtig ist, dafs die Reaktionsbewegung ganz unabh\u00e4ngig davon ist, ob die Scheindrehung zum Bewufstsein kommt oder nicht; sie wird also sicher subkortikal ausgel\u00f6st. \u2014 Die Gleichgewichtsst\u00f6rungen, welche eine Folge der Bewufstseinstr\u00fcbung sind, halten sich an keine Regel. Meist aber f\u00e4llt der Patient nach r\u00fcckw\u00e4rts oder knickt in sich zusammen.\n4. Unlustgef\u00fchl, \u00dcblichkeiten bis zum wirklichen Erbrechen stellen die vierte Komponente dar. Auch sie k\u00f6nnen bei starken Scheinbewegungen fehlen und bei anderen Personen trotz ge-","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nRobert B\u00e2r\u00e2ny.\nringen Nystagmus und geringen Scheinbewegungen aulserordent-lich stark werden. Es h\u00e4ngt dies sicherlich mit Erregbarkeits-Verh\u00e4ltnissen in den betreffenden Kernen der Medulla oblongata zusammen. Nach diesen Er\u00f6rterungen kann ich den Drehschwindel definieren als eine mit Bewufstseinstr\u00fcbung einhergehende Empfindung der Scheindrehung, sei es der Aufsenwelt und des eigenen K\u00f6rpers, oder des eigenen K\u00f6rpers allein, in Verbindung mit Reaktionsbewegungen (St\u00f6rungen des Gleichgewichts, mit Unlustgef\u00fchlen resp. \u00dcblichkeiten bis zum wirklichen Erbrechen.\n(Eingegangen am, 15. November 1905.)","page":44}],"identifier":"lit33404","issued":"1907","language":"de","pages":"37-44","startpages":"37","title":"Beitrag zur Lehre von den Funktionen der Bogeng\u00e4nge","type":"Journal Article","volume":"41"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:42:24.230297+00:00"}