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Erworbene Tritanopie (Violettblindheit)

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{"created":"2022-01-31T14:43:36.404029+00:00","id":"lit33408","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Collin","role":"author"},{"name":"W. A. Nagel","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 41: 74-88","fulltext":[{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"(Aus der K\u00f6niglichen Universit\u00e4ts-Augenklinik und der physikalischen Ab teilung des physiologischen Instituts der Universit\u00e4t Berlin.)\nErworbene Tritanopie (Violettblindheit).\nVon\nStabsarzt Dr. Collin und Professor W. A. Naoel kommandiert zur Augenklinik.\tin Berlin.\nVon der Voraussetzung ausgehend, dafs beim heutigen Stande unseres Wissens \u00fcber die erworbenen Farbensinnsst\u00f6rungen die Beschreibung neuer F\u00e4lle noch recht w\u00fcnschenswert ist, sofern sie mit geeigneten Hilfsmitteln untersucht werden konnten, beschreiben wir im folgenden einige F\u00e4lle, die bei Verschiedenheiten im einzelnen und bei verschiedener Pathogenese doch auch einige bemerkenswerte gemeinsame Z\u00fcge aufweisen. Es handelt sich um F\u00e4lle der kgl. Universit\u00e4ts-Augenklinik, deren Ver\u00f6ffentlichung uns von dem Direktor der Klinik, Herrn Geheimrat v. Michel, in dankenswerter Weise gestattet wurde; wir sind ihm f\u00fcr das Interesse, das er unseren Untersuchungen entgegenbrachte, zu besonderem Danke verpflichtet.\nDie Umst\u00e4nde, die im allgemeinen die Gewinnung zuverl\u00e4ssiger Untersuchungsergebnisse bei erworbenen Farbensinnsanomalien erschweren, trafen auch bei unseren F\u00e4llen mehr oder weniger zu : Der Zustand ver\u00e4ndert sich w\u00e4hrend der Beobachtungszeit, zuweilen von einem zum anderen Tage. Dem Bestreben, an einem Tage m\u00f6glichst genaue Erhebungen anzustellen, tritt aufser anderen Gr\u00fcnden namentlich die Erw\u00e4gung entgegen, dafs es sich um Kranke handelt, deren Sehverm\u00f6gen mit gr\u00f6fster Schonung behandelt werden mufs, bei denen aber auch nicht selten eine abnorm rasche Erm\u00fcdbarkeit erkennbar ist. Ein sonst h\u00e4ufig st\u00f6render Umstand, die Unlust, sich zu Versuchen herzugeben, machte sich nur bei einem unserer F\u00e4lle bemerkbar,","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Erworbene Tritanopie (Violettblindheit).\n75\nin den beiden anderen wurden wir durch Bereitwilligkeit der Patienten wirksam unterst\u00fctzt.\nDie Untersuchungen unternahmen wir teils in der Augenklinik, teils in der physikalischen Abteilung des physiologischen Instituts.\nFall I: Student N., 23 Jahre alt, hatte bei einer schweren S\u00e4belmensur am 2. Dezember 1905 einen sogenannten \u201eDurchzieher\u201c erhalten, der in der Mitte des linken Jochbogens ansetzend genau den \u00e4ufseren Lidwinkel getroffen hatte und von hier durch die Mitte des unteren Lides zur Nase verlaufen war, s\u00e4mtliche Weichteile bis auf den Knochen durchtrennend, den Jochbogen sogar teilweise zersplitternd ; der linke Bulbus hatte keine \u00e4ufsere Verletzung auf ge wiesen. Die Wunde wurde nach Entfernung der Knochensplitter prim\u00e4r gen\u00e4ht und heilte unter dem Verb\u00e4nde, der das linke Auge mit einschlofs, in 14 Tagen glatt zu. Am 16. Dezember, also 14 Tage sp\u00e4ter, stellte sich Patient in der Augenklinik vor, da er nach Abnahme des Verbandes bemerkt hatte, dafs er auf dem linken Auge verschwommen s\u00e4he. Anamnestisch liefs sich noch feststellen, dafs Patient in dem Moment, als der S\u00e4belhieb ihn getroffen, eine deutliche Lichterscheinung, einem \u201eBlitz\u201c \u00e4hnlich, auf dem linken Auge gehabt, im \u00fcbrigen aber w\u00e4hrend des ganzen Heilungsverlaufs keinerlei St\u00f6rungen oder schmerzhafte Empfindungen von seiten dieses Auges versp\u00fcrt hatte. Die Sehsch\u00e4rfe ist angeblich links ebenso wie rechts vorher vorz\u00fcglich gewesen, was Patient als leidenschaftlicher J\u00e4ger auf das bestimmteste versichern zu k\u00f6nnen glaubte.\nBei der \u00e4ufseren Untersuchung sah man entsprechend dem vorhin beschriebenen Verlauf der Wunde eine r\u00f6tliche ziemlich feste Narbe, welche an der Stelle der \u00e4ufseren Lidkommissur eine deutliche Einziehung zeigte und hier mit der Augenh\u00f6hlenfl\u00e4che des Jochbeins zum Teil verwachsen war. Aufser einer m\u00e4fsigen Schwellung und R\u00f6tung der Conjunctiva sclerae in ihrem temporalen Abschnitt waren \u00e4ufserlich am linken Bulbus Ver\u00e4nderungen nicht wahrzunehmen, auch war seine Beweglichkeit in keiner Weise beschr\u00e4nkt; beide Pupillen reagierten prompt auf Lichteinfall und Konvergenz. Die Pr\u00fcfung der Sehsch\u00e4rfe ergab bei beiderseitigem emmetropischen Refraktionszustand auf dem rechten Auge normale Werte, links dagegen eine Herabsetzung auf 3/s der Norm ; rechts wurde Jaeger 1, links Jaeger 2 m\u00fchelos gelesen","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nCollin und W. A. Nagel.\nSt\u00f6rungen des Gesichtsfeldes f\u00fcr weifs liefsen sich ebensowenig links wie rechts naehweisen, trotz wiederholt vorgenommener Untersuchungen daraufhin, deren Resultate bei der Intelligenz des Patienten und seiner ausgezeichneten Beobachtungsgabe hier als durchaus ein wandsfrei anzusehen sind.\nOphthalmoskopisch waren die Verh\u00e4ltnisse auf dem rechten Auge v\u00f6llig normal, links ebenso, was das Aussehen der Pupille und die Kalibrierung der Netzhautgef\u00e4fse betraf; dagegen zeigte hier die Gegend der Macula eine deutliche grau-weifsliche Verf\u00e4rbung, welche die ungef\u00e4hre Gr\u00f6fse eines halben Papillendurchmessers besafs und sich ziemlich scharf gegen die \u00fcbrige umgebende normalaussehende Netzhaut hin abgrenzte. Forderte man den Patienten auf, nach unten aufsen zu blicken und neigte sich beim Ophthalmoskopieren selbst ganz nach links hin\u00fcber, so wurden in der \u00e4ufsersten Peripherie mehrere typische, nebeneinanderliegende Netzhaut-Aderhautrupturen sichtbar, in deren n\u00e4chster Umgebung die Netzhaut \u00f6demat\u00f6s getr\u00fcbt erschien und eine umschriebene, fast 13/2 Papillendurchmesser grofse, ovale Blutlache aufwies. An den \u00fcbrigen Partien des Augenhintergrundes waren Ver\u00e4nderungen nicht zu sehen, der Glask\u00f6rper vollkommen klar und durchsichtig und frei von Blutungen. Bei diesem ophthalmoskopischen Befund war die Diagnose eines Aderhaut-'Netzhautrisses mit gleichzeitiger Erkrankung der Macula im vorliegenden Fall ohne weiteres gegeben, \u00e4tiologisch konnte hierf\u00fcr nur die vorausgegangene Verletzung bei der S\u00e4belmensur in Frage kommen, und zwar mufste es sich um die direkte Einwirkung einer stumpfen Gewalt auf das Auge gehandelt haben, da eine Frakturierung der kn\u00f6chernen \u00e4ufseren Orbitalwand mit etwaiger gleichzeitiger Dislokation nach innen, welche eine Kontusion des Auges indirekt h\u00e4tte zur Folge haben k\u00f6nnen, aus-zuschliefsen war. Es kann also nur die flache S\u00e4belklinge gewesen sein, welche das linke Auge entsprechend der Gegend des \u00e4ufseren Lidwinkels direkt getroffen hat, h\u00f6chst wahrscheinlich in dem Augenblick, als der Gegner des Patienten die Klinge nach dem Hieb \u201eabdrehte\u201c. Was die Erkrankung der Macula anbetrifft, so hat hier wohl die Annahme ihrer Entstehung aus einer vorausgegangenen BEELiNschen Tr\u00fcbung am meisten f\u00fcr sich und w\u00e4re demgem\u00e4fs als eine ser\u00f6se Transsudation des macularen Netzhautgewebes aufzufassen, die sich unabh\u00e4ngig von der Netzhaut-Aderhautruptur ausgebildet hat.","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Erworbene Tritanopie (Violettblindheit).\n77\n\u00bb \u2022\n\u00dcberaus bemerkenswert war nun das Verhalten des Farbensinns auf dem kranken Auge, das hier wie sp\u00e4terhin nat\u00fcrlich immer getrennt vom gesunden Auge untersucht wurde. W\u00e4hrend Patient mit dem kranken Auge die HoLMGKENsche Wollprobe tadellos bestand und die Stilling sehen Tafeln s\u00e4mtlich m\u00fchelos entzifferte, ergab die Untersuchung am Farbengleichungsapparat1 einige h\u00f6chst auffallende und konstant wiederkehrende Abweichungen von der Norm, indem ein leuchtendes Gelb f\u00fcr Lila erkl\u00e4rt und ein deutliches Gelbgr\u00fcn f\u00fcr Blau gehalten wurde, w\u00e4hrend das gesunde Auge f\u00fcr sich stets richtige Angaben machte. Bez\u00fcglich der Farbenbenennung roter und blauer Felder bestand kein Unterschied zwischen dem gesunden und kranken Auge, nur wurde dasselbe Rot vom linken, kranken Auge f\u00fcr eine kr\u00e4ftigere Nuance als vom rechten gehalten.\nDie \u00e4ufseren Gesichtsfeldgrenzen f\u00fcr gr\u00fcn, gelb, rot und blau, welche mit Hilfe eines neuen von Herrn Geheimrat v. Miohel angegebenen elektrischen Perimeters auf das genaueste gepr\u00fcft werden konnten, erwiesen sich f\u00fcr beide Augen als durchaus normal, dagegen bezeichnete das kranke Auge von ungef\u00e4hr 100 an zentralw\u00e4rts in ganzer Ausdehnung dieses umschriebenen Gesichtsfeldabschnittes gelb als lila und gr\u00fcn als blau.\nBei den nunmehr im physiologischen Institut vorgenommenen weiteren Untersuchungen pr\u00fcften wir den Patienten zun\u00e4chst nochmals mit dem Farbengleichungsapparat. Die Sehsch\u00e4rfe reichte aus, um auf 11/2 m beobachten zu lassen.\nRot gab mit keiner der anderen Farben (Gr\u00fcn, Gelb, Blau, Weifs) eine Gleichung, wurde vielmehr immer richtig erkannt und benannt.\nWurde neben Rot Gelb gezeigt, so bezeichnete der Patient dieses als helles Lila. Auf Befragen sagt er, \u201eLila\u201c nenne er im Gegensatz zu \u201eViolett\u201c eine weifsliche Nuance von Violett. Er verglich die gesehene Farbe mit der einer stark verd\u00fcnnten L\u00f6sung von Kaliumpermanganat (aus der Erinnerung ; wir zeigten ihm nicht etwa eine solche, er w\u00e4hlte den Vergleich v\u00f6llig spontan). Beim Betrachten mit dem gesunden Auge nannte der\n1 Beschrieben im Arch. f. Augenheilk, 1898, S. 31\u201486 und in: W. Nagel: Die Diagnose der praktisch wichtigen angeborenen St\u00f6rungen des Farbensinns. Wiesbaden (Bergmann, 1899).\nDer Apparat ist in neuerer Zeit verbessert worden und wird jetzt von Herrn Mechaniker W. Oehmke, Berlin, Dorotheenstrafse 35, hergestellt.","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nCollin und W. A. Nagel.\nPatient das gezeigte Licht ohne weiteres gelb und setzte auf Befragen hinzu, dafs er keine Spur von \u00c4hnlichkeit mit Lila finde, Gelb und Lila ihm vielmehr fast diametral entgegengesetzt scheinen. Bei binocularer Betrachtung schien Wettstreit aufzutreten, denn der Patient gab an, bald Gelb bald Lila, bald \u201ebeides durcheinander\u201c zu sehen.\nOb neben dem Gelb irgend eine andere Farbe gezeigt wurde, war ohne nennenswerten Einflufs.\nGr\u00fcn (das leicht gelbliche Gr\u00fcn des Apparates) erschien f\u00fcr das kranke Auge blau. Auch nachdem der Patient die Farbe mit dem anderen Auge angesehen hatte (wobei er sie gelblichgr\u00fcn nannte), konnte er nicht anders sagen, als dafs es ihm blau erscheine. Gleichung mit Gelb, Eot oder Weifs war somit ausgeschlossen. Aber auch mit Blau gab es keine Gleichung. Das Blau des Apparates war dazu zu ges\u00e4ttigt, hatte auch wohl etwas anderen Farbenton, da es rote Strahlen durchl\u00e4fst.\nDie Versuche mit spektralen Lichtern gaben Resultate, die mit den bisher erw\u00e4hnten gut \u00fcbereinstimmten. Uber das Aussehen des Gelb der Natriumlinie machte der Patient die gleichen Angaben, wie \u00fcber das Gelb an dem F\u00e4rb en gleichungs apparat. N\u00f6tig war dazu freilich, dafs das spektrale Licht unter nicht gr\u00f6fserem Gesichtswinkel als 1 bis 11j2 0 erschien. War das Feld gr\u00f6fser, so erschien die Farbe nur im ersten Augenblick lila, nachher war nach Angabe des Patienten das Feld ungleichm\u00e4fsig, teils deutlich gelb, teils lila, beide Farben fleckf\u00f6rmig untereinander verteilt. Die weiteren Angaben beziehen sich auf die Feldgr\u00f6fse l1/2\u00b0-\nBez\u00fcglich des spektralen Rot war bemerkenswert, dafs es f\u00fcr beide Augen verschieden aussah, und zwar, wie der Patient mehrfach angab, f\u00fcr das kranke \u201eeine vollere, kr\u00e4ftigere Farbe\u201c war.\nUm die Wellenl\u00e4nge 575 bis 580 lag eine Stelle, wo der Patient das Feld fast weifs sah. Einen fixen, v\u00f6llig neutralen Punkt zu finden war nicht m\u00f6glich, die Farbe schlug sehr schnell aus blassem Lila in Gr\u00fcn bzw. Blau um. Mit der Bezeichnung der Lichter von 575\u2014560 war der Patient allerdings sehr unsicher, meistens wufste er sie \u00fcberhaupt nicht zu benennen; am ersten Tage sprach er vorzugsweise von Blau, am zweiten neigte er schon mehr zur Bezeichnung Gr\u00fcn. An diesem Tage bestimmten wir die Stelle des Spektrums, wo die Farbe f\u00fcr ihn anfing bl\u00e4ulich zu werden: es war bei 560\t545 war die Grenze,","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Erworbene Tritanopie (Violettblindheit).\n79\nwo die Farbe ..deutlich blau\u201c wurde. Nach Betrachtung mit dem gesunden Auge nannte er diese Farbe \u201eGelbgr\u00fcn\u201c.\nAm \u00fcbern\u00e4chsten Tage konnten wir wieder einen Versuch machen. Inzwischen hatte sich aber schon die Sehsch\u00e4rfe auf 1/2 gehoben und auch der Farbensinn war ver\u00e4ndert. 540 wurde jetzt als deutlich \u201eblaugr\u00fcn\u201c, aber nicht als \u201eblau\u201c bezeichnet. Der Unterschied zwischen den beiden Augen war jedoch immer noch h\u00f6chst frappant. Das Rot wurde auch jetzt noch mit dem kranken Auge ges\u00e4ttigter gesehen.\nBemerkenswert war das Verhalten gegen spektrales Violett. An dem Tage, an dem wir die Stehe des eben bl\u00e4ulich erscheinenden Lichtes bei 560 up bestimmten, bezeichnete der Patient ein f\u00fcr den Normalen schon deutlich violettes Licht (430) als dunkles Blau. Mit dem gesunden Auge sah er es als violett; es war zu bemerken, dafs der Helhgkeitswert des Violett f\u00fcr das kranke Auge verringert war, eine eigentliche neutrale Strecke am kurzwelligen Ende des Spektrums konnten wir aber am Farbenmischapparat nicht feststellen.\nDies hegt zweifellos an gewissen M\u00e4ngeln des Apparates. Das Nernstlicht, mit dem der HELMHOi/rzsche Farbenmischapparat des physiologischen Institutes ausger\u00fcstet ist, gibt das Violett f\u00fcr diese Zwecke zu lichtsehwach, namentlich wenn man es durch eingeschaltete Strahlenfilter von diffusem Licht reinigt.\nWir gingen deshalb zu einem anderen Verfahren \u00fcber, um das Vorkommen neutraler Stellen im Spektrum des Patienten festzustellen. Wir entwarfen mittels einer Bogenlampe ein grofses objektives Spektrum. Wurde dieses im ganzen auf einem weifsen Schirm aufgefangen, so waren zwei Dinge f\u00fcr den Patienten auff\u00e4llig, sobald er nur mit dem kranken Auge sah: das Rot erschien auffallend kr\u00e4ftig (er sah die \u00e4ufseren Grenzen des Rot an der gleichen Stelle wie der Normale). Das \u00e4ufsere Violett, das f\u00fcr den Normalen noch eine lebhafte Farbe besitzt, sah er farblos, grau. Im Gelb war nichts Abnormes zu bemerken.\nWir entfernten nun den grofsen weifsen Schirm, so dafs das Spektrum als Ganzes unsichtbar wurde, und brachten an die Stelle, wo das Spektrum zuvor aufgefangen worden war, ein rundes weifses Papierst\u00fcckchen, 8 mm im Durchmesser, um das Aussehen der isolierten Spektralfarben f\u00fcr den Patienten pr\u00fcfen zu k\u00f6nnen. Hierbei waren die Resultate nun klarer. Brachte der Patient das Scheibchen in die Gegend des reinen Gelb, so","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nCollin und W. A. Nagel.\nsah er es lila, einige Zentimeter rechts davon im Gr\u00fcngelb sah er es weifs. Wiederholte Versuche ergaben eine gute Konstanz.\nIm Violett sah er das Scheibchen zwar, aber ohne Farbe, grau. Die Grenze der Farbigkeit lag f\u00fcr ihn etwa da, wo der Normale im Zweifel war, ob er die Farbe blau oder violett nennen sollte.\nDer Versuch, am Farbenmischapparat durch Gleichungen homogener Farben mit einem Rotgr\u00fcngemisch das Vorhandensein eines tritanopischen Systems, das nach dem oben Gesagten zu vermuten war, exakt zu erweisen, mifslang wie wTir glauben deshalb, weil er erst an dem Tage unternommen werden konnte, an dem sowohl Sehsch\u00e4rfe wie Farbensinn sich merklich gebessert hatten.\nDie Untersuchungen mufsten dann 14 Tage ausgesetzt werden, da der Patient verreiste. Nach seiner R\u00fcckkehr fand sich die Sehsch\u00e4rfe auf 1 gestiegen, auch wies die Macula keine pathologischen Ver\u00e4nderungen mehr auf. Im Aussehen der (isoliert gezeigten) Spektralfarben in der langwelligen Spektralh\u00e4lfte war nichts Ungew\u00f6hnliches mehr, auch die Grenze, wo das Gr\u00fcn eben anfing bl\u00e4ulich zu werden, lag jetzt f\u00fcr das kranke Auge an der gleichen Stelle wie f\u00fcr das gesunde Auge (zwischen 510 und 520 p/0- Cyanblau (470) erschien dagegen f\u00fcr das kranke Auge etwas gr\u00fcnlichblau (mit dem gesunden reinblau), Violett blau, nur bei l\u00e4ngerer Betrachtung mit einem Stich ins Violett.\nLiefsen wir Gleichung zwischen einem Cyanblau von 480 und einem Gemisch von Gr\u00fcn (540) und Indigo (etwa 440) einstellen, so ergaben sich deutliche, wenn auch nicht sehr erhebliche Differenzen zwischen den beiden Augen. Das kranke Auge brauchte mehr Indigo in der Mischung als das gesunde. Die f\u00fcr das eine Auge g\u00fcltige Einstellung galt nicht f\u00fcr das andere, wie in wiederholten Versuchen festgestellt wurde. Zu genaueren Versuchen, wozu erst eine gewisse Ein\u00fcbung des Patienten erforderlich gewesen w\u00e4re, fehlte leider die Zeit.\nBei Mischung von Indigoblau aus Blaugr\u00fcn und Violett war die Differenz zwischen beiden Augen geringer, doch immer noch merklich.\nBemerkenswert ist, was der Patient angab, als ihm in zwei aneinanderstofsenden Feldern (2\u00b0 Gr\u00f6fse) Indigoblau und Violett von sch\u00e4tzungsweise gleicher Helligkeit gezeigt wurde. Das Blau erschien f\u00fcr das kranke Auge anfangs gr\u00fcnlich, erst nach einigen","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Erworbene Tritanopie (Violettblindheit).\n81\nSekunden blau. Im gesunden Auge fehlte dieser Eindruck des Gr\u00fcnlichen. Das Violett wurde in diesem Falle auch vom kranken Auge richtig erkannt, doch als weit weniger lebhaft bezeichnet als bei Betrachtung mit dem gesunden Auge.\nErw\u00e4hnt sei schliefslieh noch, dafs der Lichtsinn normal war, insofern nach Dunkeladaptation und bei Betrachtung grofser heller Objekte auf dunklem Grunde derselbe Schwellenwert f\u00fcr das rechte und das linke Auge gefunden wurde, und zwar ann\u00e4hernd der gleiche Schwellenwert wie bei uns. An eine Feststellung der generellen (absoluten) Lichtreizschwelle im Netzhautzentrum war bei der grofsen Schwierigkeit solcher Bestimmungen in der kurzen verf\u00fcgbaren Zeit nicht zu denken.\nFall II. Frau M., 24 Jahre alt, primipara, hatte am 3. 11. 05 in der Universit\u00e4ts-Frauenklinik wegen beginnender Eklampsie mittels Zange entbunden werden m\u00fcssen. 14 Tage vorher hatte Patientin bemerkt, dafs sie auf beiden Augen schlechter sehen k\u00f6nne. Da auch nach der Entbindung keine Besserung des Sehverm\u00f6gens eintrat, suchte sie am 27. 11. 05 die Augenklinik auf. Hier wurde eine Herabsetzung der Sehsch\u00e4rfe auf Fingerz\u00e4hlen in 2 m sowie eine m\u00e4fsige Einschr\u00e4nkung der Gesichtsfeldgrenzen auf beiden Augen konstatiert. Die ophthalmoskopische Untersuchung ergab beiderseits das Bestehen einer typischen Neuroretinitis mit unscharfer Begrenzung der Papillen und \u00f6demat\u00f6ser Tr\u00fcbung der Netzhaut; in der Maculagegend waren aufserdem mehrere Degenerationsherde nachweisbar. Der Urin enthielt geringe Mengen von Eiweifs sowie vereinzelte Zylinder und Epithelien. Die Diagnose der vorliegenden Erkrankung konnte unter diesen Umst\u00e4nden keine Schwierigkeiten bereiten; es handelte sich um eine ausgesprochene Neuroretinitis albuminurica, welche auf Grund einer Schwangerschaftsnephritis entstanden war.\nInteressant waren die Ergebnisse der Farbensinnpr\u00fcfung, welche hier f\u00fcr beide Augen die gleichen Resultate ergab. Gegen\u00fcber den HoLMGKENschen Wollproben verhielt sich die Patientin zun\u00e4chst fast wie eine Normale, nur war sie nicht ganz sicher in dem Auseinanderhalten von blauen und violetten B\u00fcndeln, die sie gelegentlich beide f\u00fcr blau erkl\u00e4rte, trotzdem ihrer Angabe nach diese beiden Farben sich wesentlich voneinander unterscheiden sollten. Am Farbengleichungsapparat dagegen machte sie auffallende Verwechslungen. Gelb neben rot und\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 41.\t6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nCollin und W. A. Nagel.\nbei einer Helligkeit, in der es f\u00fcr den Protanopen mit diesem gleichhell erseheint, nannte sie blau; gelb und gr\u00fcn nebeneinander bei ann\u00e4hernd gleicher Helligkeit bezeichnete sie nur als hell, von einer Farbe sprach sie bei dieser Einstellung \u00fcberhaupt nicht; auch die Frage, ob nicht eins des Felder vielleicht gr\u00fcn sei, verneinte sie auf das bestimmteste. Scheingleichungen zwischen gr\u00fcn und weifs (grau) und gelb und weifs nahm sie ohne weiteres an, indem sie diese Felder f\u00fcr gleich und zwar f\u00fcr grau erkl\u00e4rte. Bei Einstellung roter und blauer farbiger Felder erwies sich die Patientin als durchaus sicher in ihren Angaben; auch behauptete sie, noch w\u00e4hrend ihrer Gravidit\u00e4t s\u00e4mtliche Farben bei ihren Handarbeiten erkannt und deutlich unterschieden zu haben, was uns von ihrem Manne wiederholt best\u00e4tigt worden ist.\nAm 5. 12. konnten wir die Patientin wieder untersuchen und fanden hierbei, dafs sie Gleichungen zwischen gr\u00fcn und gelb nicht mehr annahm; sie nannte vielmehr jetzt das Gr\u00fcn (das deutlich ins gelbliche geht) neben gelb \u201eblau\u201c oder \u201ehellblau\u201c, das Gelb dagegen weifs. Gr\u00fcn neben Blau erkl\u00e4rte sie f\u00fcr grau, Zusammenstellungen von gr\u00fcn und weifs und gelb und weifs bezeichnete sie als hellblau bzw. blau und weifs.\nDie n\u00e4chste Untersuchung konnte erst am 29.12. vorgenommen werden und ergab eine wesentliche Besserung sowohl der Sehsch\u00e4rfe (die jetzt auf x/,0 gestiegen war) wie des Farbensinns. Die bisherigen Verwechslungen waren kaum noch angedeutet. Der Urin wurde an diesem Tage frei von Eiweifs und geformten Bestandteilen gefunden.\nAm Spektralfarben-Mischapparat haben wir die Patientin zu wiederholten Malen untersucht; die ersten Male ergaben sich grofse Schwierigkeiten, weil die Patientin M\u00fche hatte, das Farbenfeld mit dem Blick zu finden und festzuhalten. Auch beim Betrachten anderer kleiner farbiger Objekte war eine deutliche Unruhe des Blickes vorhanden. Eigentlicher Nystagmus war nicht vorhanden, dagegen bewegte die Patientin die Augen und den Kopf unruhig hin und her, als ob sie an einem Hindernis vorbeiblicken wollte, das sich immer wieder vor die Augen sch\u00f6be. Als sich die Sehsch\u00e4rfe sp\u00e4ter hob, fiel diese Unruhe des Blickes wieder weg. Die Farbenbezeichnungen waren am Spektralapparat die gleichen wie am Farbengleichungsapparat. Ein neutraler Punkt war nicht mit Sicherheit zu finden.","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Erworbene Tritanopie (Violettblindheit).\n83\nFall III. Arbeiter K., 22 Jahre alt, suchte am 2. 10. 05 die Augenklinik auf, weil sich sein Sehverm\u00f6gen in letzter Zeit wesentlich verschlechtert h\u00e4tte; auch sei er in den vergangenen Wochen von heftigen Kopfschmerzen geplagt worden. Krankheiten von Bedeutung hat Patient angeblich nicht durchgemacht, ebensowenig sind in der Familie nennenswerte Erkrankungen vorgekommen. Die \u00e4ufsere Augenuntersuchung ergab das Vorhandensein eines alternierenden Strabismus divergens, der nicht sehr erheblich war. Dagegen war die Sehsch\u00e4rfe rechts auf Finger in 3 m, links auf Finger in 4 m herabgesetzt, skiaskopisch wurde auf dem rechten Auge ein myopischer Astigmatismus von 1 Dioptrie mit horizontaler Achse ermittelt, links bestand eine Myopie von ebenfalls einer Dioptrie. Die Gesichtsfeldgrenzen waren beiderseits normal, Skotome f\u00fcr weifs konnten nicht nachgewiesen werden. Ophthalmoskopisch liefs sich auf beiden Augen eine ausgesprochene temporale Abblassung der Papillen konstatieren, deren Grenzen durchaus scharf waren ; der \u00fcbrige Augenhintergrund bot vollkommen normale Verh\u00e4ltnisse. Die Untersuchung der inneren Organe wie des Nervensystems hatte aufser einem geringen Tremor beider H\u00e4nde nichts Pathologisches ergeben. Der Urin wurde frei von Zucker und Eiweifs befunden. Unter diesen Umst\u00e4nden mufste man sich im vorliegenden Fall mit der ophthalmoskopischen Diagnose einer doppelseitigen partiellen Sehnervenatrophie begn\u00fcgen, da sich sichere Anhaltspunkte f\u00fcr die \u00c4tiologie und Natur der nachgewiesenen Sehnervenerkrankung nicht ermitteln liefsen; m\u00f6glich, dafs es sich um das Fr\u00fchsymptom einer beginnenden multiplen Sklerose handelte, m\u00f6glich, dafs auch Patient vor einiger Zeit eine basale Meningitis \u00fcberstanden hatte, welche das Chiasma mitergriffen und so zur Entwicklung einer sekund\u00e4ren Atrophie der Sehnervenfasern gef\u00fchrt hat; jedenfalls konnten die heftigen Kopfschmerzen, an denen Patient in letzter Zeit gelitten hat, die Annahme eines derartigen vorangegangenen meningitischen Prozesses immerhin rechtfertigen.\nWas nun das Ergebnis der Pr\u00fcfung des Farbensinns ah-betrifft, die hier zun\u00e4chst mit dem Farbengleichungsapparat vorgenommen wurde, so war Patient hierbei nicht imstande, bl\u00e4u und gr\u00fcn, sowie gelb und gr\u00fcn au sein ander zuh alten. Scheingleichungen zwischen diesen beiden Farbenpaaren wurden\nohne weiteres angenommen, und bald als gr\u00fcn, bald als blau\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nCollin und W. A. Nagel.\nbezeichnet ; von gelb sprach Patient \u00fcberhaupt nicht. Rot wurde dagegen stets sicher erkannt, auch bei geringer Helligkeit des farbigen Feldes. Von den neuen NAOELschen Tafeln wurde die Tafel, welche aus gelb- und blaugr\u00fcnen Punkten zusammengesetzt ist, f\u00fcr einfarbig und zwar f\u00fcr gr\u00fcn erkl\u00e4rt, die \u00fcbrigen Tafeln wurden sicher unterschieden. Bei der HoLMOEENschen Probe w\u00e4hlte Patient die passenden B\u00fcndel im allgemeinen sicher und richtig aus, nur die blauen und violetten Wollb\u00fcndel konnte er nicht auseinanderhalten; wenn man ihn z. B. aufforderte aus einer Anzahl blauer und violetter B\u00fcndel nur die violetten herauszusuchen, so war er unsicher, indem er auch blaue B\u00fcndel mit herausnahm.\nDa die bisherigen Beobachtungen den Gedanken an ein tritanopisches System nahegelegt hatten, stellten wir einige besondere Versuche zu dem Zwecke an, \u00fcber das Vorhandensein eines solchen Systems ins klare zu kommen.\nAm Farbenkreisel waren unter gewissen\u00fcmst\u00e4nden Gleichungen zwischen Gr\u00fcn (dem schwach gelblichen Gr\u00fcn der RoTHEschen Scheiben) und Blau (RoTHEsche Scheiben) zu erhalten. Dem Gr\u00fcn mufste ein wenig Schwarz (10\u201420\u00b0), dem Blau 90\u00b0 Weifs beigemischt werden. Wenn K. dann den Kreisel aus 1%\u20142 m Abstand betrachtete (Gesichtswinkel der gr\u00f6fseren Scheiben \u2014 5 bis 6\u00b0), gab er Gleichung nach Farbe und Helligkeit an. Unter gr\u00f6fserem Gesichtswinkel war keine Gleichung zu erzielen. Das betreffende Farbenpaar bildet nat\u00fcrlich f\u00fcr den Normalen und den Deuteranopen durchaus keine Gleichung.\nDas meiste Interesse mufsten wiederum Beobachtungen am Farbenmischapparat bieten. Nat\u00fcrlich waren aber die Aussichten, hier etwas wirklich Sicheres zu ermitteln, bei der sp\u00e4rlichen verf\u00fcgbaren Zeit und der geringen Bereitwilligkeit des Patienten nicht g\u00fcnstig. Immerhin liefs sich einiges mit Bestimmtheit ermitteln, was wir unter Weglassung aller unsicheren Beobachtungen mitteilen wollen.\nAm bemerkenswertesten ist das Verhalten gegen homogenes Gr\u00fcngelb und Violett. Zeigte man dem Patienten im Helmholtz-schen Farbenmischapparat auf m\u00e4fsig grofsem Felde (2\u20143\u00b0) ein Gr\u00fcngelb etwa von der Wellenl\u00e4nge 570\u2014575\tso war er, der\ndie meisten \u00fcbrigen Farben prompt benannte, v\u00f6llig ratlos; er nannte es bald weifs, bald grau, gelegentlich auch gelb. Gelb schien f\u00fcr ihn ein sehr unklarer? unbestimmter Begriff zu sein.","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Erworbene Tritanopie (Violettblindheit).\n85\nViolett von kleinerer Wellenl\u00e4nge als 430 mi hat f\u00fcr K. keine deutliche Farbe mehr. Er sieht das Feld im Apparate noch (schon wegen des nie ganz auszuschliefsenden, zum Teil aus Fluorescenz stammenden fremden Lichtes), aber nicht mehr farbig.\nWeisen die eben genannten Beobachtungen mit Bestimmtheit auf Tritanopie hin, so ist dem andererseits entgegenzustellen, dafs spektrale Gleichungen, wie sie f\u00fcr den Tritanopen charakteristisch sind, nicht sicher zu erhalten waren. Insbesondere war der Nachweis nicht zu erbringen, dafs die Strecke vom Blaugr\u00fcn bis zum kurzwelligen Ende seines Spektrums Endstrecke im Sinne K\u00f6nigs w\u00e4re. Befriedigende Gleichungen zwischen Gr\u00fcn bzw. Blaugr\u00fcn und Blau waren nicht zu erzielen, doch ergab sich aus den Antworten des Patienten, dafs nur wenig an einer v\u00f6llig befriedigenden Gleichung fehlte. War die Intensit\u00e4t der Lichter grofs, so nannte K. sie oft richtig gr\u00fcn und blau, nur bei geringeren Intensit\u00e4ten schienen ihm die beiden halbkreisf\u00f6rmigen Felder gleichfarbig, er nannte sie dann beide blau. Ob die Differenz, die zwischen den beiden Feldern noch bestehen blieb, eine Farbenton-, S\u00e4ttigungs- oder Helligkeitsdifferenz war, konnte bei der wenig geeigneten Versuchsperson leider nicht ermittelt werden, und es war deshalb nicht m\u00f6glich, die Gleichheitsbedingungen zu finden.\nAllgemeine Bemerkungen.\nSchl\u00fcsse allgemeiner Art k\u00f6nnen aus diesen Beobachtungen nur mit grofser Zur\u00fcckhaltung gezogen werden. Es m\u00f6ge nur in K\u00fcrze darauf hingewiesen sein, dafs alle drei F\u00e4lle nahe Beziehungen zu der durch R. Simon aufgefundenen und von A. K\u00f6nig 1 als \u201eBlaublindheit\u201c beschriebenen Farbensinnsst\u00f6rung auf weisen; speziell hinsichtlich der Farbenbenennungen ist die Analogie unverkennbar. So wenig brauchbaren Aufschlufs man aus der Befragung von Personen mit angeborener Farbenblindheit \u00fcber den Namen erh\u00e4lt, den sie dieser oder jener Spektralfarbe geben, so interessant und wertvoll kann das Ergebnis bei Personen sein, die noch kurz zuvor einen normalen Farbensinn hatten, die m\u00f6glicherweise nur auf dem einen Auge\n1 A. K\u00f6nig. \u00dcber Blaublindheit. Sitzungsbericht Kgl. Akad. Wissensch. 1897. 34.","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nCollin und W. A. Nagel.\nSt\u00f6rungen zeigen und selbst in diesem Auge normale und kranke Netzhautfl\u00e4chen nebeneinander besitzen.\nUnser Fall II stellt sich als ein den SmoN-K\u00d6Nioschen F\u00e4llen \u00e4hnlicher von albuminurischer Retinitis dar, bei dem indessen fen Netzhautzentrum typische Tritanopie nicht sicher nachzuweis\u00ean war. Es ist nicht auszuschliefsen, dafs solche auf der H\u00f6he des Krankheitsprozesses vorhanden war; teils die Unge\u00fcbtheit der Patientin, teils auch der Umstand, dafs das eigentliche foveale Sehen zu jener Zeit schwer gesch\u00e4digt, m\u00f6glicherweise ganz aufgehoben war, machte die sichere Diagnose unm\u00f6glich.\nWenn wir den Fall trotzdem mitteil en, so geschieht das in erster Linie um zu zeigen, wie sich diese albuminurischen Sehst\u00f6rungen mittels des Farbengleichungsapparats erkennen lassen, auf den die Patienten in so ganz anderer Weise reagieren als die Personen mit angeborener Rot- oder Gr\u00fcnblindheit. Durch Sammlung weiterer Erfahrungen wird sich zeigen, ob sich die Leistungsf\u00e4higkeit des Apparates f\u00fcr die Diagnostik erworbener Farbensinnsst\u00f6rungen nicht noch steigern l\u00e4fst, wenn die farbigen Gl\u00e4ser passender gew\u00e4hlt sind, insbesondere das Gr\u00fcn und Blau. Der Zweck des Apparates war ja urspr\u00fcnglich nur, zur Ermittlung der angeborenen Rotgr\u00fcnblindheit zu dienen. Wir halten es nicht f\u00fcr ausgeschlossen, dafs man, wenn der Apparat in gr\u00f6fserem Umfange bei geeigneten F\u00e4llen in Anwendung gebracht wird, in ihm ein brauchbares Hilfsmittel zur Diagnose und Differentialdiagnose von Netzhaut- und Sehnervenerkrankungen, namentlich in ihren Anfangsstadien, wird erhalten k\u00f6nnen.\nAm meisten Interesse scheint uns der erste der oben beschriebenen F\u00e4lle zu bieten, bei dem man mit grofser W ahrsehein-\nlichkeit sagen kann, dafs durch eine Verletzung durch stumpfe\n\u2022 \u2022\nGewalt, die das Auge in der Aquatorgegend getroffen hat, das Netzhautzentrum f\u00fcr einige Zeit tritanopisch geworden ist. Den v\u00f6llig strengen Beweis f\u00fcr Tritanopie m\u00fcssen wir ja auch hier schuldig bleiben, da wir Eiehwertkurven (v. Kries 1) vom Spektrum nicht erhalten konnten. Aber die Auffindung einer neutralen Stelle im Gr\u00fcngelb und einer gr\u00f6fseren neutralen Strecke am kurzwelligen Ende des Spektrums, die Bezeichnung des Natrium-lichtes als \u201elila\u201c (von den SiMON-K\u00d6Nioschen Patienten sprachen\n1 Siehe Handbuch der Physiologie des Menschen, herausgegeben von W. Nagel, Braunschweig 1905, 3, S. 119.","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"jErworbene Tritanopie (Violettblindheit).\n87\nmehrere von \u201erosa\u201c), des Gelbgr\u00fcn jenseits des neutralen Punktes als bl\u00e4ulich, des Gr\u00fcn der Thalliumlinie als blau und des inneren Violett ebenfalls als blau, \u2014 alle diese Umst\u00e4nde sprechen deutlich genug f\u00fcr Violettblindheit im Sinne yon Helmholtz, Tritanopie im Sinne von v. Kries.\nAuffallend ist die unzweifelhaft vorliegende Beschr\u00e4nkung der St\u00f6rung auf die Fovea, demn\u00e4chst auch die relativ geringe Herabsetzung der Sehsch\u00e4rfe. Wir vermuten, dafs durch den heftigen Stofs, den das Auge erhielt und der in der \u00e4ufsersten Peripherie zu Netzhauteinreifsungen f\u00fchrte, die Netzhaut in der Fovea von ihrer Unterlage gelockert wurde, und das Auftreten der Tritanopie unter diesen Umst\u00e4nden einen interessanten Spezialfall der SmoNschen Beobachtung darstellt, nach welcher abgel\u00f6ste Netzhautpartien, die noch gut lichtempfindlich sind, tritanopisch werden, dagegen wieder normalen Farbensinn erhalten, wenn sie sich nach Punktion wieder anlegen.\nDarin, dafs der Patient die ganze kurzwellige Spektralh\u00e4lfte blau und nicht gr\u00fcn nennt (wie auch manche der SiMONsehen Patienten), sehen wir kein Hindernis f\u00fcr die Annahme von Tritanopie. Die Tatsache zeigt nur wiederum, wie kompliziert die Beziehungen zwischen den peripheren ErregbarkeitsVerh\u00e4ltnissen und der zentralen Gliederung der Empfindungen sind, und wie gewagt es ist, von dieser auf jene oder umgekehrt zu schliefsen.\nStellt man sich auf den Standpunkt, die Farbensinnsst\u00f6rung der beschriebenen Art als Tritanopie, also als typisch dichro-matisches System aufzufassen, so mufs es nat\u00fcrlich eine Frage vom gr\u00f6fsten Interesse sein, die Erscheinungen des Abklingens der St\u00f6rung und der Wiederkehr normalen Farbensinns zu verfolgen.\nBei unseren F\u00e4llen I und II \u00e4ufserte sich diese Restitution in Wiederkehr der Gelbempfindung und (allerdings nur bei I) in einer starken Verschiebung der Grenze des \u201eBl\u00e4ulichen\u201c von der farblosen Stelle bei 570 bis etwa 510, zugleich auch in einer allm\u00e4hlichen Wiederkehr der Violettempfindung.\nDie auff\u00e4lligste Erscheinung war f\u00fcr uns die in Fall I zwischen beiden Augen bestehende Differenz der Blaumischung aus Gr\u00fcn und Violett. Sie, wie manche andere Erscheinungen legen den Gedanken nahe, dafs die noch nicht oder nicht mehr ganz vollst\u00e4ndige Tritanopie sich zur wahren typischen Tritanopie ver-","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nCollin und W. A. Nagel.\nhalten m\u00f6chte, wie etwa das Farbensystem des Rotanomalen zu dem des Protanopen, dafs also mit anderen Worten zwischen das normale trichromatische und das tritanopische System sich ein \u201eviolettanomales\u201c einsch\u00f6be. Ob das tats\u00e4chlich der Fall ist und wie sich ein solches System des genaueren darstellen w\u00fcrde, dar\u00fcber kann zurzeit nat\u00fcrlich noch nichts Sicheres ausgesagt werden. Dafs die rot- bzw. gr\u00fcnanomalen Systeme, soviel man weifs, nur angeboren und bleibend Vorkommen, f\u00fcr das violettanomale aber erworbenes und vor\u00fcbergehendes Vorkommen angenommen werden m\u00fcfste, kann nicht mehr befremden, seitdem man Violettblindheit als nicht selten erworbene, Rot- und Gr\u00fcnblindheit als stets angeborene Anomalie kennt. An das Verhalten anomaler Trichromaten erinnert \u00fcbrigens auch der gesteigerte Kontrast, der sich, wie oben erw\u00e4hnt, im Gr\u00fcnerscheinen von Blau neben Violett \u00e4ufsert.\nAm wenigsten klar ist unser Fall III, bei dem auch unsere Untersuchungen wegen der Unlust des Patienten am meisten eingeschr\u00e4nkt werden mufsten. Manches weist ja auf Tritanopie hin, die angeboren oder erworben sein k\u00f6nnte. Doch ist das Bild zu unklar, um Bestimmteres zu sagen, und wir halten das Vorhandensein typischer Violettblindheit f\u00fcr nicht wahrscheinlich.\nDas Verhalten gegen\u00fcber den farbigen Lichtern des Farbengleichungsapparates erinnerte sehr an dasjenige des M\u00e4dchens in der Rostocker Klinikx, \u00fcber dessen Farbensinnsst\u00f6rung der eine von uns k\u00fcrzlich berichtet hat. Auch diese Patientin nahm Gleichungen zwischen Gr\u00fcn, Weifs und Gelb an, nicht dagegen zwischen Blau und Gr\u00fcn. Vielleicht ist das nur ein gradueller Unterschied; der Rostocker Fall war ein sehr leichter, schnell vor\u00fcbergehender. In beiden F\u00e4llen trat die Neuritis optica isoliert und aus unbekannter Ursache auf.\n1 W. Nagel: Einige Beobachtungen \u00fcber die Farbensinnsst\u00f6rung im Netzhautzentrum bei retrobulb\u00e4rer Neuritis. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 43, 1905, S. 742.\n(Eingegangen am 7. Januar 1906.)","page":88}],"identifier":"lit33408","issued":"1907","language":"de","pages":"74-88","startpages":"74","title":"Erworbene Tritanopie (Violettblindheit)","type":"Journal Article","volume":"41"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:43:36.404035+00:00"}

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