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{"created":"2022-01-31T16:24:39.066114+00:00","id":"lit33469","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wallaschek","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 30: 458-459","fulltext":[{"file":"p0458.txt","language":"de","ocr_de":"458\nLiUraturbarichL\nPaul Moos. Mo dene Muikisthetii il BeatscUamd. Leipzig, Seemann Nachfolger. 1902. 455 S.\nVerf. nennt sein Bach eine \u201ehistorisch-kritische Uebersicht\u201c, im Wesentlichen ist es aber doch nur eine Aufz\u00e4hlung der bestehenden Werke fiber Musik\u00e4sthetik, und eine mehr oder weniger gute Inhaltsangabe der* selben. Von einer Darstellung des grofsen genetischen Zusammenhangs philosophischer Systeme und der daraus folgenden Auffassung der Musik ist nirgends die Rede. Wir vermissen bei Paul Moos durchaus einen Einblick in die leitenden Ideen, welche die Musikwelt dieses und des vorigen Jahrhundertes beherrscht haben und erhalten statt dessen eine B\u00fccher-Chronologie, die mangels eines gr\u00f6sseren Gesichtspunktes von vornherein falsch angelegt und deshalb in den meisten Partien werthlos ist. Bezeichnend f\u00fcr die Auffassung des Vert\u2019s ist, dafs er Richahd Wagkbb vorl\u00e4ufig weggelassen, und im Vorwort versprochen hat sich sp\u00e4ter einmal mit ihm auseinanderzusetzen. Eine derartige Unterlassung w\u00e4re unm\u00f6glich, wenn es sich bei dem vorliegenden Buch um ein wissenschaftlich angelegtes Geschichte werk handeln w\u00fcrde, in dem jedes Glied sich aus dem anderen zu einem einheitlichen Ganzen entwickelt. In einem blofsen B\u00fccherverzeichnis kann allerdings manches wegbleiben. Wo kein Zusammenhang existirt, kann er auch durch Weglassungen nicht gest\u00f6rt werden.\nLeider mufs bemerkt werden, dafs auch die Inhaltsangabe der einzelnen B\u00fccher, gerade bei den entscheidenden, schwerer verst\u00e4ndlichen Werken nicht gelungen ist. Gleich bei Kant hat Moos nichts weniger als den Kernpunkt der ganzen \u00e4sthetischen Untersuchungen \u00fcbersehen. Dieser Kern besteht in der Frage: giebt es Geschmacksurtheile a priori? Durch diese Frage ist Kant nicht der \u201eBegr\u00fcnder der modernen Aesthetik\u201c geworden \u2014 wie Moob unbegreiflich erweise behauptet \u2014 sondern ihr Kritiker, der untersuchen will, ob es eine Aesthetik \u00fcberhaupt geben k\u00f6nne, und der deshalb die Tragweite unserer Urtheilskraft pr\u00fcft. Von alledem h\u00f6ren wir bei Moos nicht ein Wort Statt dessen finden wir eine Anzahl von S\u00e4tzen aus Kant\u2019s Werken, in denen etwas von Musik vorkommt, die sich der Vert aber nicht zusammenreimen kann.\nAehnlich ist die Darstellung der HsRBABT\u2019schen Aesthetik. Auch hier fehlt die Hauptsache: die Erw\u00e4hnung der \u00e4sthetischen Musterbilder, die gleich den f\u00fcnf praktischen Ideen der Ethik, absolutes Wohlgefallen erregen, und gerade auf musikalischem Gebiete in den Regeln der Harmonielehre und des Generalbasses das anschaulichste Analogon finden. Eine andere wichtige Errungenschaft Herbart\u2019s, die Anwendung der Mathematik auf die Psychologie der Tonlehre, erw\u00e4hnt er zwar dem Namen nach, ohne aber im Geringsten deren Bedeutung zu erkennen, sonst w\u00e4re er in der Lage gewesen zu zeigen, wie sich aus ihr die Psychophysik Fbchner\u2019s, und in weiterer Fortbildung und Verbesserung die experimentelle Psychologie entwickelt hat. Aber gerade so wie Moos in der Aesthetik die einzelnen B\u00fccher kennt ohne das geistige Band zu erfassen, das sie verbindet, kennt er in jedem Buch einzelne S\u00e4tze ohne den leitenden Gedanken zu finden, den sie ausdr\u00fccken sollen.\nCharakteristisch ist auch die Stellung des Verf.\u2019s zur modernen Musikpsychologie. Einzelne wichtige Werke sind en passant in den Anmerkungen","page":458},{"file":"p0459.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n459\nerw\u00e4hnt. Aber wieder sieht Moos den Wald vor lauter B\u00e4umen nicht. Der Verf. der modernen Musik\u00e4sthetik merkt nicht, dafs die philosophische Musik\u00e4sthetik gar nicht mehr modern ist, er merkt nicht, dafs sich deren Gegenstand, soweit er wissenschaftlich behandelt wird, l\u00e4ngst in die Formen der physiologischen Psychologie und Ethnologie gekleidet hat. Aber das ist wieder ein geistiger Procefs, den Moos, wie in allen anderen F\u00e4llen, auch hier \u00fcbersieht, obgleich er wahrscheinlich im Stande gewesen w\u00e4re, die S\u00e4tze eines Buches zu citiren, das diesen Procefs etwa behandelt h\u00e4tte. Ich h\u00e4tte es noch begreiflich gefunden, wenn Moos seinen Gegenstand derart begrenzt h\u00e4tte, dafs er zur Psychologie gar nicht vorgedrungen w\u00e4re. Da finde ich aber zu meinem Erstaunen Wundt\u2019s Psychologie besprochen, als einziges psychologisches Werk, das im Text erw\u00e4hnt ist. Man mag \u00fcber Wundt\u2019s Psychologie denken wie man will, sie als die einzige Vertreterin der Musikpsychologie erw\u00e4hnt zu finden, mufs doch, gelinde gesagt, befremdend wirken. F\u00fcr die Besprechung von Wundt und Helmholtz hat sich Moos den Sammelnamen \u201ephysiologische Akustik\u201c zurecht gelegt, obgleich es doch nicht schwer gewesen w\u00e4re zu erkennen, dafs die Akustik ebensowenig physiologisch sein kann, als die Physiologie akustisch ist.\nHat Moos die wissenschaftlich werthvollen Werke der Musik\u00e4sthetik vernachl\u00e4ssigt und mifsverstanden, so hat er andererseits das \u00fcberfl\u00fcssige Gerede der rein musikalischen Schriftsteller und Aesthetiker dritten Ranges ganz unverh\u00e4ltnifsm\u00e4fsig breitgetreten. Die Werke von Engel, Stade, Seidl u. a. sind mit einer Wichtigkeit behandelt, als handele es sich dabei wirklich um Leistungen, die auf den Gang wissenschaftlicher Entwickelung irgendwie Einflufs genommen haben. Bei k\u00fcnstlich aufgeworfenen meta; physischen Fragen, wie etwa der, ob den Einzelk\u00fcnsten Existenzberechtigung zukomme, kann man sicher sein, dafs Moos sie in allen m\u00f6glichen Variationen einer m\u00fchsamen Dialektik durch peitscht. Wer in aller Welt wird aber heute noch derartige Gedankenspielereien lesen?\nSollen wir unser Urtheil \u00fcber das Werk in einem Satze zusammenfassen, so m\u00fcssen leider gestehen, dafs die \u201emoderne Musik\u00e4sthetik\u201c von Paul Moos ein r\u00fcckst\u00e4ndiges Buch ist \u00fcber eine in speculativ-philosophi-scher Form l\u00e4ngst abgethane Materie.\tWallaschek. (Wien).\nA. V\u0153rkandt. Die Selbsterhaltaag der religi\u00f6sen Systeme. Vierteljahrsschrift\nf. wisscnschaftl. Philos. N. F. 1 (2), 205\u2014220. 1902.\nDer Verf. will vom kulturhistorischen Standpunkte aus an einem speciellen Culturgut, dem Religionssystem, zeigen, wie eine \u201eunbewufste Zweckm\u00e4fsigkeit causal durch den socialen Mechanismus zu Stande komme\u201c. Als zweckm\u00e4fsig sei in diesem Zusammenhang rein formal die \u201eErhaltung des Vorhandenen\u201c (ohne Werthurtheil) zu nehmen. Wenn religi\u00f6se Systeme sich oft den gewichtigsten Vernunftgr\u00fcnden und Thatsachen zum Trotz erhalten, so seien die Gr\u00fcnde daf\u00fcr \u2014 abgesehen vom Wahrheitsgehalte, vom ethischen und \u00e4sthetischen Werthe \u2014 in folgenden Umst\u00e4nden zu suchen :\n1. Der priesterliche Betrug beim Opfer, bei der Krankenheilung und beim Verkehr mit der Geisteswelt hat zwar den vergleichsweise geringsten, aber doch nicht zu \u00fcbersehenden Antheil an der Erhaltung des","page":459}],"identifier":"lit33469","issued":"1902","language":"de","pages":"458-459","startpages":"458","title":"Paul Moos: Moderne Musik\u00e4sthetik in Deutschland. Leipzig, Seemann Nachfolger. 1902. 455 S.","type":"Journal Article","volume":"30"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:24:39.066120+00:00"}