Open Access
{"created":"2022-01-31T16:32:09.221488+00:00","id":"lit33475","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kalmus","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 30: 463-464","fulltext":[{"file":"p0463.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n463\nMaurice de Fleuby. Les grands sympt\u00f4mes neurasth\u00e9niques (Pathog\u00e9nie et Traitement). Paris, Alcan, 1901. 412 S.\nDas FLEUB\u00ef\u2019sche Werk stellt eine lesenswerthe, abgerundete Monographie der Neurasthenie dar, die sich mit Consequenz auf eine grofsztigige Darlegung der Grundthatsachen beschrankt und von casuistischen Einzelheiten und Nebens\u00e4chlichkeiten absieht. Verf. sch\u00f6pft aus reicher Erfahrung und wird von medicinischer Seite mit Interesse geh\u00f6rt werden.\nSein Vorbild ist Janet. Wie dieser die hysterischen Erscheinungen unter einheitlichen Gesichtspunkten erfafste, stellt F. sich die Aufgabe, neben der klinischen Durchforschung den Geisteszustand der Neurastheniker psychologisch zu entwickeln. Er geht von der Wesensverschiedenheit dieser beiden Neurosen aus. W\u00e4hrend die Hysterie ihm nach herrschender Ansicht eine Krankheit des Vorstellungslebens ist, sieht er die Quelle aller neurasthenischen Symptome in geistiger Erm\u00fcdung. So gel\u00e4ufig uns Deutschen diese Auffassung ist, so neu scheint sie in der franz\u00f6sischen Literatur zu sein. F. betrachtet sie als seine ureigenste Entdeckung. Er glaubt, dafs alle Anderen vor ihm die Erm\u00fcdung als rein subjectives Ph\u00e4nomen bewerthet h\u00e4tten. Autoren, wie M\u00f6bius, Kb\u00e4peun u. A., die seit Jahren die Lehre von der neurasthenischen Gehirnerm\u00fcdung vertreten, sind dem franz\u00f6sischen Verf. demnach unbekannt geblieben.\nIn breiter Ausf\u00fchrung werden die Gr\u00fcnde f\u00fcr die \u201eneue\u201c Theorie dargelegt: Der Neurastheniker liebt die Ruhe, nach geringen Anstrengungen versagen seine Muskeln den Dienst, Ergograph und Dynamometer geben zahlenm\u00e4fsige Belege f\u00fcr die gesteigerte Erm\u00fcdbarkeit, suggestive Beeinflussung ist unwirksam; kurz, es handelt sich um organisch bedingte Ern\u00e4hrungsst\u00f6rungen, wie bei Zuckerkranken, Tuberkul\u00f6sen u. A. Durch zahlreiche Curven wird eine Blutdruckverminderung der Kranken anschaulich gemacht. Doch auch Blutdrucksteigerung komme vor. Den jeweiligen Verh\u00e4ltnissen entsprechend habe die Behandlung einzusetzen.\nIm gleichen Capitel werden die Angstzust\u00e4nde besprochen, jedoch trotz ihrer hohen klinischen und psychologischen Bedeutung nur in wenigen Zeilen. Sie werden mit der Bemerkung abgethan, dafs sie eine Folge von St\u00f6rungen des Blutkreislaufs sind und ihre Erw\u00e4hnung daher nicht, wie die Mehrzahl der Neurologen (auch Ref.) wohl ann\u00e4hme, in den Abschnitt \u00fcber den \u00e9tat mental geh\u00f6re. Zur Begr\u00fcndung wird festgestellt: \u201eL'angoisse est bien certainement un ph\u00e9nom\u00e8ne primitivement somatique, refl\u00e9t\u00e9 dans la conscience\u201c (S. 97). Um nicht mi fs verstand en zu werden, wiederholt Verf. an anderer Stelle (S. 239) : \u201eL\u2019angor n\u00e9vropathique . .. n\u2019est donc que secondairement un ph\u00e9nom\u00e8ne psychique.\u201c\nEine solche, auch bei uns nicht ganz unbekannte Auffassungsweise mufs als unpsychologisch bezeichnet werden. Als ob die Feststellung einer durchaus nicht immer nachweisbaren somatischen Begleiterscheinung f\u00fcr das Verst\u00e4ndnis und die Werthung eines psychologischen Ph\u00e4nomens von Bedeutung w\u00e4re! Verf. \u00fcbersieht die sattsam betonte grunds\u00e4tzliche Verschiedenheit der Aufgaben und Methoden neurologischer und psychologischer Betrachtungsweise.\nAuch f\u00fcr das Zustandekommen der neurasthenischen Schlaflosigkeit spielt der Blutdruck nach F. eine Hauptrolle. Wiederum ber\u00fchren sich","page":463},{"file":"p0464.txt","language":"de","ocr_de":"464\nLi teraturberich t.\ndie Extreme, indem bald eine \u201ehypertention\u201c, bald eine \u201ebypotenfci\u00f6n art\u00e9rielleu zu dem gleichen Effect f\u00fchren \u00bboll. Beine auf obigen Vorstellungen auf gebaute \u201edoctrine m\u00e9caniste\" l\u00f6st mit geringer Schwierigkeit das Schlafproblem ; nur f\u00fcr gewisse F\u00e4lle von Schlaflosigkeit soll die dem Verf. nicht sonderlich zusagende \u201etoxische Theorie\" in Geltung bleiben.\nWir \u00fcbergehen die Abschnitte, die von den St\u00f6rungen im Bereich des Verdauung\u00bb- und Urogenitalapparates handeln. Hier, wo der Verf. ganz Arzt ist, sind seine Ausf\u00fchrungen ein wandsfrei und genussreich. Der diagnostischen wie therapeutischen Seite wird ersch\u00f6pfend Rechnung getragen. Das farbenreiche Bild der Sexual-Neurasthenie ist mit franz\u00f6sischer Darstellungskunst gezeichnet.\nDie drei folgenden Capital sind dem eigentlichen Geisteszustand der Neurastheniker gewidmet. In langen Auseinandersetzungen wird der f\u00fcr deutsche Leser \u00fcberfl\u00fcssige Beweis erbracht, dafs \u201edie Neurasthenie vor Allem eine Krankheit des Nervensystems ist, mit secund\u00e4ren St\u00f6rungen der Verdauung und Ern\u00e4hrung\u201c (S. 225). Es wird nochmals die psychologische Gegens\u00e4tzlichkeit zur Hysterie er\u00f6rtert Hier St\u00f6rung des psychischen Geschehens durch Vorstellungseinfl\u00fcsse, dort durch das Wirken der Erm\u00fcdung. Daher die Unzug\u00e4nglichkeit der Neurastheniker f\u00fcr Suggestionen und die Wirksamkeit k\u00f6rperlich - roborirender Behandlung. Die depressive Grundstimmung der Neurastheniker wird aus dem mehr oder weniger deutlichen Bewufstwerden der k\u00f6rperlichen Unzul\u00e4nglichkeit erkl\u00e4rt. Der Mechanismus sei etwa folgender: Ein Arbeitsexcefs oder schw\u00e4chende Einfl\u00fcsse sind vorangegangen. Die graue Rinde verf\u00e4llt in einen Zustand von \u201eHypovitalit\u00e4t\". Die Gesammtern\u00e4hrung der K\u00f6rperorgane leidet; dadurch vermindert sich deren Leistungsf\u00e4higkeit. Die sensiblen Nerven geben dem Gehirn von \u201ediesem functioneilen Elend\" Kunde und der Mensch wird traurig. Aus der gleichen Quelle werden die \u00fcbrigen Stigmata der neur-asthenischen Geistesverfassung hergeleitet: der hypochondrische Hang, die Todesfurcht, die Gr\u00fcbelsucht, die Neigung zur Selbstuntersch\u00e4tzung, die reizbare Schw\u00e4che u. s. w. Ob eine derartige grob - mechanisch vereinfachte Erkl\u00e4rung den wechselnden und complicirten Verh\u00e4ltnissen der neurastheni-schen Seelenver\u00e4nderung gerecht wird, m\u00f6chte Ref. bezweifeln. Neben vielem Anderen bleibt unerkl\u00e4rlich, warum die allgemeine Herabsetzung der Leistungsf\u00e4higkeit die intellectuellen Functionen unber\u00fchrt l\u00e4lsL Keinesfalls trifft die Theorie f\u00fcr die constitutioneile Neurasthenie zu, die einen angeborenen Zustand darstellt. Eine strengere Scheidung dieser von der erworbenen Form w\u00e4re am Platze gewesen.\nDas Buch schliefst mit einer umfassenden Schilderung des vielgestaltigen antineu ras then ischen Heilverfahrens. Kalmus (L\u00fcbeck).\nVaschide, N. et Vubpas, Cl. Psychologie di d\u00e9lire dans les trouble* psychopathiques. Paris, Masson et Cie.\nEine historisch-kritische Studie \u00fcber die Entwickelung der Lehre vom d\u00e9lire, unter dem die Franzosen die St\u00f6rungen des Vorstellungszusammenhangs, von der Verwirrtheit und Ideenflucht bis zu den systematisirten Wahnideen der Paranoiker verstehen, mit besonderer Ber\u00fccksichtigung des psychologischen Mechanismus, der Genese und der symptomatologischen Bedeutung.\tEbnst Schultzs (Andernach).","page":464}],"identifier":"lit33475","issued":"1902","language":"de","pages":"463-464","startpages":"463","title":"Maurice de Fleury: Les grands sympt\u00f4mes neurasth\u00e9niques (Pathog\u00e9nie et Traitement). Paris, Alcan, 1901. 412 S.","type":"Journal Article","volume":"30"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:32:09.221494+00:00"}