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Über eine optische Täuschung

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{"created":"2022-01-31T16:32:38.801834+00:00","id":"lit33494","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Reuss, A. v.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 42: 101-108","fulltext":[{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"101\n\u00dcber eine optische T\u00e4uschung.\nVon\nProf. A. y. Reuss in Wien.\nDie Selbstz\u00fcnder f\u00fcr Leuchtgas sind heutzutage ziemlich allgemein gekannt. Das Wesentliche derselben ist eine \u201eZ\u00fcndpille\u201c aus Platinschwamm, die, in einem passenden Halter befestigt, \u00fcber das ausstr\u00f6mende Gas gehalten wird und dieses, indem sie zu gl\u00fchen beginnt, entz\u00fcndet. Gew\u00f6hnlich ist sie in der Kuppel einer Aluminiumkappe angebracht, welche auf dem Zylinder eines Rundbrenners aufgesetzt wird, oder auch im Inneren einer Eisendrahtspirale, welche mittels einer Zwinge am Rande des Zylinders festgeklemmt wird, so dafs die Spirale frei in der oberen \u00d6ffnung des Zylinders schwebt. Nach l\u00e4ngerem Gebrauche verrufsen die Z\u00fcnder, sie funktionieren nicht rasch oder gar nicht und m\u00fcssen durch Ausgl\u00fchen wieder gebrauchsf\u00e4hig gemacht werden.\nUm den konstanten Kontakt mit den Verbrennungsprodukten und damit das Verrufsen zu verhindern, hat man eine Modifikation konstruiert, welche wenigen bekannt sein d\u00fcrfte.\nEin Aluminiumring, der auf den Zylinder aufgesetzt wird, tr\u00e4gt einen senkrechten mit der Zylinderachse zusammenfallenden, etwa 7 cm langen, oben zugespitzten Eisendraht. Auf diesem balanciert eine runde Metallplatte, welche die vier schr\u00e4g gestellten Quadranten einer Glimm er scheibe tr\u00e4gt, wodurch eine Art Windrad entsteht; an ihrer unteren Fl\u00e4che h\u00e4ngen an d\u00fcnnen Dr\u00e4hten zwei kleine Glocken aus Aluminium, in deren Inneren sich je eine Z\u00fcndpille befindet. Diese kommen nach \u00d6ffnen des Gashahnes ins Gl\u00fchen, entz\u00fcnden das Gas und geraten, indem der heifse Luftstrom die Glimmerscheibe in Rotation versetzt, in eine lebhafte Zentrifugalbewegung, wobei sie divergieren und\n7*","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\n\u00c2. v. Reuss.\nganz aufserhalb des Zylinderlumens rotieren. Der praktische Zweck der kleinen Spielerei soll der sein, dafs die Z\u00fcndpillen vollst\u00e4ndig dem auf steigenden Rufse entr\u00fcckt werden, und dadurch l\u00e4nger ihren Zweck erf\u00fcllen. Die beiden Glocken rotieren mit einer Geschwindigkeit von etwa 120 Umdrehungen in der Minute und verhalten sich ganz wie die Kugeln eines Zentrifugalregulators der Dampfmaschinen.\nAn einer solchen Z\u00fcndvorrichtung machte ich folgende Beobachtungen.\nDie Glocken drehen sich entsprechend der Stellung der Glimmerfl\u00fcgel in der Richtung des Uhrzeigers, ich sage von rechts nach links.\nBetrachtete ich aus einer gr\u00f6fseren Entfernung (5\u20146 m) die rotierenden Glocken, ver\u00e4ndert sich zuweilen scheinbar die Drehungsrichtung und ich glaubte deutlich eine Drehung von links nach rechts zu sehen. Diese Inversion ist meines Wissens etwas Bekanntes. Ich meinte, dafs sie vollkommen von meinem Willen abh\u00e4nge in der Weise, dafs ich eine Rechtslinksdrehung sehe, wenn ich eine solche sehen will, dafs aber alsbald scheinbar eine Linksrechtsdrehung eintritt, sobald ich mir vornehme diese zu sehen.\nEine solche Zweideutbarkeit ist bei der Schnelligkeit der Rotation und der grofsen Entfernung begreiflich. Ungewollt traten aber unter gleichen Verh\u00e4ltnissen noch zwei andere T\u00e4uschungen ein. Ich sehe entweder \u00fcberhaupt keine Rotation mehr, sondern es schienen in einer meiner Gesichtsfl\u00e4che parallelen Ebene zwei elastische Kugeln aneinander zu schlagen und wieder voneinander zu fliehen, oder ich sah Halbrotationen abwechselnd nach der einen oder der anderen Seite gerichtet, innerhalb zweier in X-Form sich schneidenden Vertikalebenen. Diese beiden letzteren T\u00e4uschungen will ich jedoch nicht weiter ber\u00fccksichtigen, sondern mich auf die wirkliche Rotation und ihre Umkehrnng beschr\u00e4nken.\n; Bei Wiederholung meiner Versuche zeigte es sich bald, dafs die Inversion nicht nach dem Beheben des Beobachters erfolge, sondern zwangsweise unter Erf\u00fcllung gewisser Bedingungen, nur diese Erf\u00fcllung bleibt dem freien Willen \u00fcberlassen.\nIch beobachte zuerst genau fixierend die von rechts nach links rotierenden Gl\u00f6ckchen. Wende ich nun den Blick etwas seitlich nach rechts, links, oben oder unten, so dafs das Netzhaut-","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Uber eine optische T\u00e4uschung.\n103\nbild des Z\u00fcndrades seitlich von der Macula lutea entworfen wird, ich dasselbe also im indirekten Sehen und unscharf sehe, so erfolgt sogleich die Umkehrung, ich mag wollen oder nicht. Ich setzte die Lampe auf einen Tisch und stellte mich ganz nahe oder in 1\u20142 m Entfernung so vor dieselbe, dafs sich die Drehvorrichtung in meiner Augenh\u00f6he befindet und ich auf die Kante der Glimmerscheibe blicke; ich sehe jetzt die Drehung wie sie in Wirklichkeit stattfindet. Wechselte ich nun die Blickrichtung und sah auf ein bestimmtes Buch in dem 1 m hinter der Lampe befindlichen B\u00fccherschr\u00e4nke, erfolgte sogleich die Umkehrung und diese sowie die Reinversion erfolgen prompt und momentan, so oft ich von der Lampe auf das Buch und von dem Buche auf die Lampe schaute. Alle, denen ich bisher dieses Experiment zeigte, hatten dieselbe Empfindung ; nur erfolgten bei dem minder Ge\u00fcbten beim Blickwechsel manchmal noch einige Drehungen im bisherigen Sinne, ehe die Umkehrung sichtbar wird. Ob der seitlich fixierte Punkt mehr oder weniger von dem Drehrade entfernt liegt, ist irrelevant; nat\u00fcrlich wird die Beurteilung schwieriger, wenn das Netzhautbild mehr peripher entworfen wird. Ebenso gleichg\u00fcltig ist es, ob der fixierte Punkt oben oder unten von der Drehvorrichtung liegt, oder ob er sich in gr\u00f6fserer oder geringerer Entfernung hinter oder vor derselben befindet.\nSetze ich mich vor den Tisch und sehe jetzt die Glimmerscheibe von unten, so glaube ich nach erfolgter Inversion nat\u00fcrlich deren obere Fl\u00e4che, gegen mich geneigt, zu sehen.\nIn allen genannten F\u00e4llen hat eine Ortsver\u00e4nderung des Netzhautbildes die Inversion erzeugt. Sie tritt aber auch dann ein, wenn eine solche Ver\u00e4nderung nicht statt hat. So erfolgt sie mit gr\u00f6fster Exaktheit, wenn ich, in z. B. 1 m Entfernung von der Lampe aus der Konvergenz Stellung meiner Sehachsen pl\u00f6tzlich in Parallelstellung \u00fcbergehe oder wenn ich andererseits auf einen n\u00e4her gelegenen Punkt konvergiere, wobei nat\u00fcrlich Diplopie eintritt. Die Drehvorrichtung, der fern gelegene und der n\u00e4her befindliche Fixierpunkt seien dabei genau in einer Linie gelegen, so dafs das Netzhautbild seine Lage in der Macula lutea nicht ver\u00e4ndert. Ich kann dabei das eine Auge ver-schliefsen, um jede Verr\u00fcckung meiner Gesichtslinie zu vermeiden.\nMit der Funktion der Augenmuskeln hat die Inversion absolut nichts zu tun. Erzeuge ich durch Prismen Doppeltsehen in jeder","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nA. v. Reuss.\nbeliebigen Richtung, drehen sich die Glocken in beiden Bildern in gleichem Sinne und in beiden erfolgt die Umkehrung, sobald ich diese herbeif\u00fchre gerade so wie bei Diplopie, die ich ohne Hilfe von Prismen erzeuge. Auch gewaltsame Erh\u00f6hung der Muskelkontraktion durch \u00dcberwindung von Prismen \u00e4ndert nichts an den Verh\u00e4ltnissen.\nOb ich nun seitlich sehe oder die Konvergenz der Sehachsen \u00e4ndere, in beiden F\u00e4llen wird das vorher scharfe Bild unscharf.\nIch str\u00e4ubte mich gegen den Einflufs der Undeutlichkeit, weil ich nur k\u00e4rgliche Reste von Akkommodation besitze und nicht glauben konnte, dafs diese bei dem Wechsel der Konvergenz f\u00fcr meine Augen in Rechnung zu ziehen sei. Es scheint aber doch der Fall zu sein. Setze ich ein schwaches Konvexglas vor ein Auge und sehe aus der Ferne auf die rotierenden Glocken, so erfolgt Inversion; wenigstens geschieht dies im ersten Moment, dann folgt ein Wechsel zwischen Rechts- und Linksdrehung, endlich werde ich so verwirrt, dafs ich kein bestimmtes Urteil \u00fcber die Richtung der Drehung bekomme. Weniger deutlich ist die Umkehrung beim Vorhalten eines schwachen Konkavglases, das ich als Presbyops nicht zu \u00fcberwinden vermag. Ich will hier eine Beobachtung anf\u00fcgen, auf welche ich sp\u00e4ter zur\u00fcckkomme.\nMein rechtes Auge hat einen geringen einfachen myopischen Astigmatismus von 0,5 D mit V 6/6; ohne Korrektion habe ich zur Not V 6/24. (Mein linkes Auge ist emmetropisch mit \u00fcbernormaler Sehsch\u00e4rfe.) Blicke ich mit beiden Augen oder mit jedem Auge allein abwechselnd auf die rotierenden Z\u00fcnder, sehe ich die Rotation der Wirklichkeit entsprechend. Blicke ich aber eine Zeitlang mit dem rechten Auge durch das Zylinderglas, so erfolgt sogleich Inversion sobald ich das Glas wegnehme; allerdings nur f\u00fcr kurze Zeit, und nicht in so klarer Weise, wie bei den fr\u00fcher angegebenen Versuchen. Ich hielt mich nun zu dem Schl\u00fcsse berechtigt, dafs die Inversion stets dann eintrete, wenn das Netzhautbild unscharf wird. Best\u00e4rkt wurde ich in diesem Schl\u00fcsse durch die Entdeckung, dafs ich bei sofortiger exzentrischer Einstellung ohne vorher zentral fixiert zu haben, prim\u00e4r die unrichtige Drehungsrichtung erhielt. Trotzdem ist der Schlufs anfechtbar.\nIch machte folgende Beobachtung. Auf einer Wand 1 m hinter der Lampe und rechts von derselben brachte ich drei","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber eine optische T\u00e4uschung.\n105\nweifse T\u00e4felchen mit den Ziffern 1, 2 und 3 an, sie waren in einer horizontalen Reihe in gleicher H\u00f6he mit dem Rotationsz\u00fcnder angebracht, jede Zahl war 9 cm von der anderen entfernt ; ich visierte derart, dafs der Zwischenraum von der Lampe und der Ziffer 1 ebenfalls 9 cm betrug. Wenn ich zuerst auf die rotierenden Glocken und dann auf Zahl 1 blickte, erfolgte naturgem\u00e4fs die Inversion. Sah ich aber von der Lampe zuerst auf die Zahl 3, wodurch die Inversion eintrat, und dann zur\u00fcck auf Zahl 1 erfolgte Reinversion, also bei einer Augenstellung, bei welcher zuerst Inversion vorhanden war. Die Beobachtung ist nicht ganz leicht, und manchmal glaubte ich mich get\u00e4uscht zu haben, um mich aber nachher zu \u00fcberzeugen, dafs ich doch richtig gesehen. Aber wenn man auch annehmen wollte, ich h\u00e4tte beim Zur\u00fcckblicken doch unwillk\u00fcrlich einen Augenblick direkt auf die Lampe geblickt und dadurch die Wahrnehmung der richtigen Drehung provoziert, so ist doch sicher, dafs ich unter Umst\u00e4nden Zahl 1 fixieren kann und die richtige Drehung sehe, also mit einer extramakul\u00e4ren Lago des Glockenbildes, w\u00e4hrend sonst unter diesen Verh\u00e4ltnissen stets Inversion vorhanden war. Erzeugt man Inversion auf Zahl 1, was stets mit gr\u00f6fster Regelm\u00e4fsigkeit und Deutlichkeit geschieht und sieht dann auf Zahl 3, so erfolgt Reinversion. Die \u00c4nderung in meinem Urteile \u00fcber die Drehungsrichtung tritt also ein, so oft ich eine \u00c4nderung in der Deutlichkeit des Netzhautbildes herbeif\u00fchre. Dahin geh\u00f6rt auch die Beobachtung an meinem astigmatischen Auge. Die letzteren Versuche gelingen vielleicht nicht jedermann zum ersten Male, auch tritt die Umkehrung nicht immer augenblicklich, sondern erst nach einigen Touren ein. Man darf die Versuche nicht lange ohne Unterbrechung fortsetzen, sonst wird man verwirrt und gewinnt kein richtiges Urteil. Auch wird die Beobachtung erleichtert, wenn man statt der Zahlen farbige Papierscheibchen ben\u00fctzt, wie ich es in der Folge immer getan, da ich immer geneigt war, eine Zahl 123 zu sehen.\nDies ist das Tats\u00e4chliche, das ich zu berichten habe. Ich will es nun unternehmen, eine Erkl\u00e4rung der optischen T\u00e4uschung zu versuchen. Bei der Beurteilung, in welcher Richtung sich mein Glockenz\u00fcnder dreht, kommt es offenbar darauf an, festzustellen, welche Glocke w\u00e4hrend der Drehung die vordere, dem Beschauer zugekehrte und welche die hintere ist. Macht die","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nA. v. Reuss.\nvordere Glocke die Bewegung von meiner rechten nach meiner linken Seite, w\u00e4hrend die hintere den umgekehrten Weg nimmt, nenne ich dies eine Drehung von rechts nach links. W\u00fcrde die hintere Glocke von meiner linken nach meiner rechten Seite sich bewegen, m\u00fcfste ich es eine Drehung von links nach rechts nennen. Verwechsle ich irrt\u00fcmlich die beiden Glocken, halte ich die hintere f\u00fcr die vordere oder umgekehrt, mufs ich unwillk\u00fcrlich zu einem falschen Urteile \u00fcber die Richtung der Drehung kommen. Betrachte ich die Glocken in einer Entfernung, in welcher es unm\u00f6glich ist, mir ein Urteil \u00fcber die gegenseitige Lage der Glocken zu bilden, so werde ich auch nicht in der Lage sein, mit Bestimmtheit zu sagen, in welcher Richtung sich der Apparat dreht. Es handelt sich also sicher um eine T\u00e4uschung betreffs der Tiefenwahrnehmung.\nEs ist evident, dafs die in Rede stehende T\u00e4uschung mit der bekanntesten hierher geh\u00f6rigen optischen T\u00e4uschung, der Treppenfigur, nichts zu tun hat und ebensowenig mit der Umkehrung der Zeichnung eines Kristallnetzes oder einer Zeichnung \u00fcberhaupt.\nDagegen dr\u00e4ngt sich die Umkehrung der Windm\u00fchlenfl\u00fcgel (Sinsteden) unwillk\u00fcrlich als eine verwandte Erscheinung auf. Dafs sie es wirklich ist, gelangte erst nach und nach zu meiner Erkenntnis.\nIch meinte anfangs, es handle sich bei Sinstedens Windm\u00fchle haupts\u00e4chlich um eine Doppeldeutung in betreff der vorderen und hinteren Seite einer durch die Fl\u00fcgel gelegten Ebene. Nennen wir die der M\u00fchle zugekehrte Seite die vordere Fl\u00e4che und betrachten wir diese, so bewegen sich die Fl\u00fcgel z. B. von rechts nach links, in der Richtung des Zeigers der Uhr, wenn wir von der III des Zifferblattes ausgehen. Sehen wir aber die Fl\u00fcgel von der R\u00fcckseite, ist die Bewegung f\u00fcr uns eine Drehung von links nach rechts, geradeso als wenn eine Menschenkolonne f\u00fcr den, welcher sie auf der einen Seite der Strafse defilieren l\u00e4fst, sich z. B. von rechts nach links, f\u00fcr den auf der anderen Seite stehenden von links nach rechts bewegt. Die Nomenklatur ist die gleiche, nur die Stellung der Beschauer ist verschieden.\nBei den Windm\u00fchlenfl\u00fcgeln, die ich abends als Silhouette betrachte und zwar schr\u00e4g, so dafs die Fl\u00fcgelebene eine Ellipse bildet, kann ich diese bald von der einen, bald von der anderen","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Uber eine optische T\u00e4uschung.\n107\nSeite zu sehen glauben und danach kann ich mir die M\u00fchle bald von der Frontseite, bald von der R\u00fcckseite gesehen denken. Es handelt sich aber nicht so sehr darum, ob man die Fl\u00fcgel von der Aversseite oder der Reversseite sieht, sondern ob man das vordere gegen den Beobachter gewendete Ende der Fl\u00fcgel sieht oder das hintere.\nWenn ich eine Scheibe, die an einem senkrechten Stile befestigt ist, so dafs ich an der haltenden Hand keinen Anhaltspunkt gewinne, schr\u00e4g gestellt gegen den Himmel halte, so bin ich, besonders im D\u00e4mmerlichte, bald nicht imstande zu unterscheiden, welche Seite der Scheibe ich sehe, id est ich kann deren vordere und hintere Kante verwechseln. Deutlicher ist dies, wenn ich ein sehr spitzes langes Dreieck, einen Pfeil in den Stiel einklemme, den ich bald gegen mich gerichtet sehe, bald in entgegengesetzter Richtung.\nAm besten sah ich alles an einer mit einer Bernsteinkugel versehenen Damenhutnadel, deren spitzes Ende ich durch ein angespiefstes Korkst\u00fcck markierte und die ich in meinen senkrechten Stab einklemmte. Liefs ich die Stellung der Nadel durch eine zweite Person vornehmen, so wufste ich in einiger Entfernung stehend nicht, ob die Perle oder der Kork gegen mich gerichtet war und ich konnte die Stellung nach Belieben deuten. Diese doppelte Deutbarkeit war auch vorhanden, wenn ich die richtige Stellung der Nadel kannte. Wir haben das Windm\u00fchlenproblem auf die einfachste Form reduziert.\nSobald ich mir eine Meinung \u00fcber die richtige Stellung der Nadel gebildet hatte, gleichg\u00fcltig ob sie der Wirklichkeit entsprach, so erfolgte, wenn ich jetzt auf ein seitlich angebrachtes Visierzeichen blickte, ganz prompt die Inversion ganz wie bei den rotierenden Z\u00fcndglocken. Es handelt sich eben wie bei diesen um eine T\u00e4uschung der Tief en Wahrnehmung, um eine Verwechslung zwischen vorderer und hinterer Glocke. Diese kann nur eintreten, wenn das Netzhautbild undeutlich ist, sei es zentral oder peripher gelegen, also nie bei zentraler Fixation in ausreichender N\u00e4he, aber in gr\u00f6fserer Entfernung, bei schlechter Beleuchtung oder bei seitlicher Fixation.\nIch glaube demnach sagen zu k\u00f6nnen : Wenn man bei einer Gesichts Wahrnehmung, welche eine doppelte Deutungzul\u00e4fst, die eine dieserDeutungen festh\u00e4lt, und dann irgend eine \u00c4nderung in der Deutlichkeit","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\nA. v. Reuss.\ndes N etzhaut bildes eintreten l\u00e4fst, so kommt sogleich die andere Deutung zur Geltung. Es ist dabei gleichg\u00fcltig, ob man weifs, welche Deutung die richtige ist und es ist auch dann die Umdeutung m\u00f6glich, wenn nur eine \u00c4nderung im Grade der Undeutlichkeit stattfindet.\nIch bilde mir jetzt fast ein, das Ph\u00e4nomen zu verstehen. Wenn man bei der M\u00f6glichkeit zweier Deutungen das \u201eEine\u201c sieht oder zu sehen vermeint und l\u00e4fst jetzt irgend welche \u00c4nderung im Sehen eintreten, so sieht man eben das \u201eAndere .\n(Eingegangen am 26. April 1907.)","page":108}],"identifier":"lit33494","issued":"1908","language":"de","pages":"101-108","startpages":"101","title":"\u00dcber eine optische T\u00e4uschung","type":"Journal Article","volume":"42"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:32:38.801840+00:00"}

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