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{"created":"2022-01-31T13:10:36.122625+00:00","id":"lit33505","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Meisling, Aage A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 42: 229-249","fulltext":[{"file":"p0229.txt","language":"de","ocr_de":"229\n\u2022 \u2022\nUber die\nchemisch-physikalischen Grundlagen des Sehens.\nVon\nAage A. Meisling (Kopenhagen).\nDurch unser Auge erhalten wir ein Bild der Aufsenwelt, wodurch wir die Form der Dinge nebst der St\u00e4rke und Farbe des Lichtes, das von denselben ausgeht, erkennen k\u00f6nnen. Innerhalb recht weiter Beleuchtungsgrenzen gibt es eine M\u00f6glichkeit einer Gesichtsauffassung mit Erkenntnis von Form, Farbe und Lichtst\u00e4rke; diese Art des Sehens hat man Tagessehen genannt. Nimmt die Beleuchtung ab, so tritt ein Stadium ein, wo die Rolle des Formsinnes zur\u00fccktritt, und die Farbenauffassung verschwindet. Gleichzeitig findet durch die Adaptionsf\u00e4higkeit des Auges eine sehr betr\u00e4chtliche Steigerung der Empfindlichkeit des Lichtsinnes statt. Diese Art des Sehens, die erm\u00f6glicht, dafs wir uns in sehr schwacher Beleuchtung orientieren k\u00f6nnen, hat man D\u00e4mmerungssehen benannt.\nSorgt man endlich daf\u00fcr, dafs alles Licht vom Auge ausgeschlossen wird, so h\u00f6rt doch nicht alle Lichtempfindung auf. In der tiefsten Dunkelheit haben wir eine Menge subjektiver Lichtempfindungen, die sich als leuchtende Punkte (Lichtstaub), Streifen und Nebel zeigen.\nNach dem obenstehenden bekommen wir also hier drei verschiedene Formen der sinnlichen Empfindung.\n1.\tTagessehen.\n2.\tD\u00e4mmerungssehen.\n3.\tSubjektive Lichtempfindung oder mit einer anderen Benennung: Das Eigenlicht der Netzhaut.\nDie physikalische Grundlage unserer Empfindung von Licht und Farbe haben wir in den Lichtwellen mit deren verschiedener\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 42.\t16","page":229},{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230\nAacje A. Meisling.\nWellenl\u00e4nge, Amplitude und Schwingungszahl. Wie die Lichtwellen durch die Netzhaut in eine sinnliche Empfindung umgesetzt werden, ist unbekannt. Die \u00fcbliche Anschauung von dem, was in der Netzhaut unter Einfhifs des Lichtes vorgeht, hat eine Grundlage in den photochemischen Prozessen, die wir von der photographischen Platte kennen.\nBesonders nach Bolls Entdeckung des Sehrots (1876) oder Sehpurpurs, wie es von K\u00fchne benannt wurde, nahm der Vergleich zwischen der Netzhaut und der photographischen Platte eine feste Form an. Sp\u00e4tere Untersuchungen haben jedoch keineswegs die Berechtigung dieser Vergleichung, was das Tages-sehen betrifft, festgestellt. Der Purpur der Netzhaut zeigte sich bald ganz ungeeignet zu erkl\u00e4ren, was bei dem Tagessehen in der Netzhaut vorgeht. Dieser Farbstoff, der bekanntlich sich nur in den Aufsengliedern der St\u00e4bchen in den Augen von Tieren und Menschen, die eine Zeitlang im Dunkeln gehalten sind, findet, wird allerdings vom Licht gebleicht. Wegen dieser Eigenschaft k\u00f6nnte er deshalb als ein Sensibilisator betrachtet werden \u00e4hnlich denjenigen, die der photographischen Platte zugesetzt werden, um deren Lichtempfindlichkeit feiner zu machen und auf Lichter von gr\u00f6fserer Wellenl\u00e4nge auszudehnen. Das Fehlen von Sehpurpur in den Zapfen der Netzhaut macht schon im voraus diese Theorie unhaltbar, da wir das sch\u00e4rfste Sehen mit hochentwickeltem Formsinn, Lichtsinn und Farbensinn in der Fovea centralis finden, wo sich nur Netzhautzapfen, also kein Purpur vorfinden. Hierzu kommt, dafs die Netzh\u00e4ute bei vielen Tagestieren, deren Gesichtssinn gut entwickelt ist, aus-schliefslich Zapfen enthalten (z. B. H\u00fchnchen, Schildkr\u00f6te).\nNeuere Untersuchungen haben dann auch dargetan, dafs der Purpur der Netzhaut eine ganz andere Rolle spielt, auf welche ich sp\u00e4ter eingehen werde.\nWollte man die Licht- und Farbenauffassung durch chemische Prozesse allein erkl\u00e4ren, so w\u00fcrde man sicherlich in den Einzelheiten auf betr\u00e4chtliche Schwierigkeiten stofsen. Von gr\u00f6fstem Gewichte ist es, dafs man in der dem Tageslichte ausgesetzten und gebleichten Netzhaut solche Stoffe gar nicht hat nachweisen k\u00f6nnen.\nIn der folgenden Darstellung soll versucht werden, auf eine ganz andere Weise zu erl\u00e4utern, was in der Netzhaut bei der Auffassung von Licht und Farbe vorgeht. Die Grundlage der","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die chemisch-physikalischen Grundlagen des Sehens.\n231\nhier vertretenen Anschauung basiert auf unserer Kenntnis der elektrischen Wellen und der Art und Weise, wie diese abgesendet und empfangen werden k\u00f6nnen, wie es z. B. bei den gr\u00f6fseren elektrischen Wellen vermittels der drahtlosen Telegraphie geschieht.\n\u2022\u2022\nIn der Wellenbewegung des Lichtes haben wir mit Ather-schwingungen zu tun. Im Gegensatz zu den Schallschwingungen, die aus durch die Luft sich ausbreitenden Longitudinalschwingungen bestehen, finden die Lichtschwingungen senkrecht zur Strahlenrichtung nach allen Seiten statt. Man kann das Verh\u00e4ltnis am leichtesten veranschaulichen, indem man sich denkt, dafs die Schwingungen in zwei aufeinander senkrechten Ebenen senkrecht zu der Richtung, in der die Bewegung sich verbreitet, stattfinden. Durch die Polarisationserscheinungen kann man diese Schwingungsweise bekunden, indem man das Licht dazu bringt in einer Ebene zu schwingen. Die elektrischen Wellen zeigen eine ganze Menge Verh\u00e4ltnisse, die den der Lichtwellen ganz entsprechen. Unsere Kenntnis der elektrischen Wellen verdanken wir vorzugsweise dem Physiker Heetz, der durch eine Reihe von Experimenten die \u00dcbereinstimmung nach wies. Mittels des elektrischen Funkens kann man elektrische Wellen hervorbringen, die sich in den Raum verbreiten. Die Art, wie man eine hinl\u00e4nglich kr\u00e4ftige Wellenbewegung zur Verwendung bei der drahtlosen Telegraphie schafft, werde ich in dieser Arbeit nicht weiter erw\u00e4hnen. In einer sehr sch\u00f6nen Weise hat Heetz durch Experimente bewiesen, dafs die elektrischen Wellen nach denselben Gesetzen, die f\u00fcr die Zur\u00fcckstrahlung des Lichtes bei Spiegeln gelten, sich zur\u00fcckwerfen liefsen. Aufserdem lassen sie sich brechen, wie das Licht sich durch eine Linse brechen l\u00e4fst. Wie die Lichtschwingungen schwingen sie transversal zur Fortpflanzungsrichtung in zwei aufeinander senkrechten Ebenen, wie durch Polarisation der elektrischen Wellen nachgewiesen werden kann. Den optisch durchsichtigen K\u00f6rpern entsprechend fanden sich ,,elektrisch durchsichtige\u201c K\u00f6rper, unter solche die zu den nicht leitenden elektrischen Stoffen geh\u00f6ren, und elektrisch undurchsichtige K\u00f6rper, zu denen die elektrischen Leiter geh\u00f6ren. So waren Pappe, Asphalt, Holz usw. elektrisch durchsichtig, die Metalle elektrisch undurchsichtig. Ferner war die Schnelligkeit dieselbe wie die des Lichtes, ca. 300000 km in der Sekunde. Heetz, dessen Arbeiten auf diesem Gebiete bahnbrechend wurden,\n16*","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232\nAage A. Meisling.\nschuf so eine Elektrooptik mit dem Nachweis, dafs W\u00e4rme, Licht und die elektrischen Wellen sich in allen wesentlichen Punkten \u00e4hnlich verhalten. Darin sieht er einen Beweis daf\u00fcr, dafs es sich um Strahlen derselben Art handelt, nur mit verschiedener Wellenl\u00e4nge und Schwingungszahl.\nDurch die Funkenentladung einer Leidnerflasche entstehen elektrische Wellen. Die Schwingungszahlen derselben h\u00e4ngen von zwei Dingen ab.1\n1.\tVon der Kapazit\u00e4t d. h. von der F\u00e4higkeit der Leidnerflasche, Elektrizit\u00e4t in sich aufzunehmen. Die Kapazit\u00e4t ist von dem Material, aus dem die Leidnerflasche besteht, von deren Gr\u00f6fse und Dicke abh\u00e4ngig. Je gr\u00f6fser die Kapazit\u00e4t, desto langsamer werden die Schwingungen.\n2.\tVon der Beschaffenheit der Leitung, durch welche die Elektrizit\u00e4t sich bewegen mufs um an die Funkenstelle zu kommen.\nIst der Leitungsdraht in eine grofse Zahl von Windungen aufgerollt, so erhalten wir wegen der Selbstinduktion langsame Schwingungen, eine kleinere Anzahl Windungen gibt schnellere Schwingungen. Vergleichshalber kann man ein Verh\u00e4ltnis, das man von der Trompete kennt, anf\u00fchren. Eine gerade Trompete gibt einen anderen Ton als diejenige, die ebenso lang, aber in Windungen auf gerollt ist. Es ergibt sich nun, dafs die elektrischen Schwingungen Verh\u00e4ltnisse zeigen, die denjenigen, die man von den Schallschwingungen kennt, ganz analog sind.\n1.\tIndem man die Schwingungen in einer Drahtspirale hin und her passieren l\u00e4fst, kann man stehende elektrische Schwingungen hervorbringen. Die Drahtspirale wirkt hier ganz wie eine geschlossene Resonanzr\u00f6hre. Vermittels einer solchen kann man bekanntlich stehende Schallwellen Schwingungen erzeugen.\n2.\tMankanndieseSchwingungen auf verschiedene Weisen abstimmen, entsprechend Grundton und Obert\u00f6nen. Wie dies geschieht, werde ich nicht n\u00e4her beschreiben, beziehe mich aber auf die zwei Vortr\u00e4ge Professor Ellin Gers. 2\n1\tAls Grundlage ist benutzt: H. O. G. Ellinger: Gnisttelegrafen, Kbbvn. 1905.\n2\tSp\u00e4tere Untersuchungen haben auf allen Punkten die Identit\u00e4t zwischen Lichtstrahlen und elektrischen bewiesen. H. 0. G. Ellinger. *Nyt Tidsskrift, for Fysik og Kemi 1896, S. 98.","page":232},{"file":"p0233.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die chemisch-physikalischen Grundlagen des Sehens.\n233\n3. Die L\u00e4nge der elektrischen Wellen h\u00e4ngt von der in einer Sekunde durch den Funkenapparat ausgeschickten Anzahl von Schwingungen ab, da die Schnelligkeit f\u00fcr sie alle gleich ist. Das Verh\u00e4ltnis kann durch die Formel ausgedr\u00fcckt werden: H \u2014 nl, wobei R die Geschwindigkeit, n die Schwingungszahl und l die Wellenl\u00e4nge bedeutet.\nSchickt man also in der Sekunde 100000 Wellen aus, so liegen dieselben auf einer Wegstrecke von 300000 km. Die Wellenl\u00e4nge wird dann 3 km, 1 Million Wellen in der Sekunde gibt eine Wellenl\u00e4nge von 300 m, 500\u2014730 Billionen pro Sekunde werden denen des Lichtes entsprechende Wellenl\u00e4ngen geben.\nZur Aussendung der elektrischen Wellen in den Raum verwendet man die sog. Antennen, d. h. lange Metallleitungen, in der Luft an Masten oder dgl. aufgeh\u00e4ngt. Man findet nun das \u00fcberaus wichtige Verh\u00e4ltnis, dafs die L\u00e4nge dieser Antennen, damit man kr\u00e4ftige Wellen erhalten kann, in einer ganz bestimmten Weise im Verh\u00e4ltnisse zur L\u00e4nge der abgesendeten elektrischen Weilen, abgepafst (a b g e s t i m m t) werden mufs. Die Antenne wirkt den elektrischen Schwingungen gegen\u00fcber ganz wie die Resonanzr\u00f6hre gegen T\u00f6ne, indem man in den Antennen stehende elektrische Schwingungen hervorbringt. Um, was man einen elektrischen Grundton benennen kann, abzusenden, mufs die L\u00e4nge der Antenne \u2014 1j4c Wellenl\u00e4nge sein. (Wellenl\u00e4nge = 300 mx, Antennenl\u00e4nge \u2014 75 m.) Sendet man die Obert\u00f6ne ab, so mufs die Antennenl\u00e4nge in Verh\u00e4ltnis zu diesen abgepafst werden.\nAuf den Empf\u00e4ngerstationen mufs man Antennen verwenden, die in den des Absenderapparats ganz entsprechenden Verh\u00e4ltnissen abgestimmt sind. Hierdurch erh\u00e4lt man einen Str\u00f6mungs-prozefs, der im Takt mit den urspr\u00fcnglichen Str\u00f6mungen geht. Die Empf\u00e4ngerantenne wirkt also wie eine Resonanzr\u00f6hre f\u00fcr die elektrische Wellenschwingung, die von der Absenderantenne durch den Raum geht. Was hier vorgeht, kann man durch bekannte akustische Verh\u00e4ltnisse veranschaulichen.\n1. Hat man zwei gleich abgestimmte Stimmgabeln (a und b), jede auf ihrem Resonanzkasten angebracht, und stellt man diese\n1 Die Antennenl\u00e4nge kann bedeutend vergr\u00f6fsert werden (3 mal l\u00e4nger usw.), wenn die Verl\u00e4ngerung nach den von der Lautlehre bekannten Regeln abgepafst wird. Durch die L\u00e4ngenvermehrung erh\u00e4lt man gleichzeitig gr\u00f6fsere Kapazit\u00e4t.","page":233},{"file":"p0234.txt","language":"de","ocr_de":"234\nAage A. Meisling.\nin einiger Entfernung voneinander mit den M\u00fcndungen der Resonanzk\u00e4stchen gegeneinander, so kann man die zweite Stimmgabel (b) zum t\u00f6nen bringen, indem man die erste (a) anschl\u00e4gt.\n2. Bringt man an der einen Stimmgabel (b) ein kleines Gewicht an, so \u00e4ndert sich deren Abstimmung dergestalt, dafs sie nicht mehr in Schwingungen ger\u00e4t, wenn (a) angeschlagen wird.\nWir haben hier ein Bild des Absender- und Empf\u00e4ngerapparats f\u00fcr die elektrischen Wellen. Die Resonanzwirkung des Antennenapparats kann man sich veranschaulichen, wenn man sich die Stimmgabel \u00fcber einer Resonanzr\u00f6hre angebracht vorstellt. Bei einer bestimmten L\u00e4nge der Resonanzr\u00f6hre, im Verh\u00e4ltnisse zum Tone der Stimmgabel abgepafst (Grundton, Resonanzrohrl\u00e4nge \u2014 3/4 Wellenl\u00e4nge usw.), bekommt man die kr\u00e4ftigste Wirkung, indem man stehende Weilen mit kr\u00e4ftigen Ausschl\u00e4gen (Schwingungsb\u00e4uchen) am Ende des Rohres hervorruft. Betrachten wir die Lichtschwingungen des Farbenspektrums als elektrische Schwingungen mit sehr kleinen Wellenl\u00e4ngen, so wird man in \u00dcbereinstimmung mit dem obenerw\u00e4hnten sich dieselben durch Antennen empfangen (Terminalorgane *) denken k\u00f6nnen, die f\u00fcr diese Schwingungen abgestimmt sind in einer Weise, die ich sp\u00e4ter n\u00e4her entwickeln werde.\nIm Empf\u00e4ngersystem f\u00fcr die elektrischen Wellen, die durch die Antennen herabstr\u00f6men, mufs man einen Apparat einschieben, der durch die Wellenschwingungen beeinflufst wird. Solche Apparate, die auf die elektrischen Wellen reagieren, werden Kumaskope genannt (kuma = Welle). Die Kumaskope sind auf Grundlage der Erfahrung konstruiert, dafs gewisse Stoffe, die entweder den elektrischen Strom fast gar nicht leiten oder ihm hohen Widerstand entgegensetzen, eine starke Steigerung ihrer Leitungsf\u00e4higkeit erhalten, wenn elektrische Wellen auf sie fallen. Das zuerst verwendete Kumaskop war der sog. Koh\u00e4rer, der aus pulverisiertem Metall besteht. F\u00fcr gew\u00f6hnlich bildet das Metallpulver ein fast un\u00fcbersteigliches Hindernis f\u00fcr den elektrischen Strom. Fallen Wellen auf diesen Koh\u00e4rer, so sinkt der Widerstand sehr bedeutend, indem das Metallpulver durch Zusammenkettung der einzelnen Partikeln einen Leiter bildet und sich in diesem Zustand h\u00e4lt, bis man durch Sch\u00fctteln des Pulvers die\n1 Dieselben k\u00f6nnen selbstverst\u00e4ndlich sehr gut viel gr\u00f6fser als die Wellenl\u00e4nge des Lichtes sein, s. oben.","page":234},{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die chemisch-physikalischen Grundlagen des Sehens.\n235\ngegenseitige Stellung der einzelnen kleinen Teile ver\u00e4ndert. Dieser Apparat mufs also durch Sch\u00fctteln f\u00fcr neuen Wellen-empfang klar gemacht werden.\nMan kennt auch Kumaskope, in denen die elektrischen Wellen den Schlufs und Unterbrechung der Leitung selbst besorgen. Eine einfache Form davon ist das elektrolytische Kumaskop, das aus zwei Platinelektroden besteht (von denen die positive sehr klein ist), in ein Gef als mit d\u00fcnner Schwefels\u00e4urel\u00f6sung tauchend. Das Gef\u00e4fs wird in eine Leitung eingeschoben, in der als Seitenleitung eine Akkumulator batterie eingesetzt ist. Man reguliert nun das Ganze so, dafs ein sehr schwacher Strom durch die Polarisationszelle geht. Fallen elektrische Wellen auf diesen Apparat, so steigt der Strom durch das Gef\u00e4fs pl\u00f6tzlich stark, um wieder zu sinken, wenn die Wellenstr\u00f6mung aufh\u00f6rt. Von Interesse f\u00fcr die in dieser Abhandlung dargelegten Ansichten ist es endlich, dafs bei dem Grundstoff1 Selen die elektrische Leitungsf\u00e4higkeit bedeutend steigt, wenn Lichtwellen darauf fallen. Im Dunkeln steigt der Widerstand wieder.\nDie folgende Darstellung wird zu beweisen suchen, wie man die oben angef\u00fchrte physikalische Grundlage zur Erkl\u00e4rung von dem, was in der Netzhaut bei der Wahrnehmung von Licht und Farbe vorgeht, verwenden kann. Man kann hier viele Verh\u00e4ltnisse erw\u00e4hnen, die, wie mir scheint, leicht und vollst\u00e4ndig durch die in dem folgenden angef\u00fchrte Anschauungsweise zu erkl\u00e4ren sind, wie auch verschiedene Tatsachen, die dieselbe st\u00fctzen. Die Hauptbeweisf\u00fchrung ruht auf folgender Grundlage :\n1.\tDem Bau der Netzhaut.\n2.\tDen photoelektrischen Netzhautreaktionen und dem elektrischen Ruhestrom der Netzhaut.\n3.\tDen Licht- und Farbenempfindungen, die entstehen, wenn man elektrische Str\u00f6me durch das Gesichtsorgan leitet.\n1 Das Selen, das zur Schwefelgruppe geh\u00f6rt, ist in kristallinischem Zustande, wenn es in eine elektrische Leitung eingeschoben ist, sehr empfindlich den Lichtintensit\u00e4ten gegen\u00fcber. Die oben beschriebenen Eigenschaften des Selens sind benutzt im Bells Photophon. Die Rede, T\u00f6ne usw. werden durch einen von einem Spiegel, gegen welchen man spricht (singt), geworfenen Lichtstrahl auf einer kristallinischen Platte von Selen in die Leitung eingeschoben, auf eine Telephonleitung \u00fcberf\u00fchrt.","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nAage A. Meisling.\nBetrachten wir zuerst den Bau der Netzhaut, so finden wir, dafs wir es mit einer hoch organisierten Membran (Fig. 1) von sehr kompliziertem Bau zu tun haben. Es sind die Untersuchungen yon Ramon y Cajal, die Klarheit \u00fcber die Verbindung des Sinnesepithels mit der Leitung der Nervenfasern gebracht haben. Sie haben gezeigt, dafs St\u00e4bchen und Zapfen durch eine Reihe von Einschaltvorrichtungen, die mit kontakt\u00e4hnlichen Endverzweigungen (%) versehen sind, mit den grofsen Ganglienzellen der Netzhaut in Verbindung stehen. Das eigent\u00fcmliche Zellensystem der sog. Amakrinen schliefst sich den Verbindungen an. Aufser der L\u00e4ngenverbindung finden sich Querverbindungen (l) die ich eben nur erw\u00e4hnen will. Von den Ganglienzellen der Ganglienzellenschicht gehen die Achsenzylinder zum Sehnerven aus. Die Nervenfasern in diesen haben eine sehr verschiedene Dicke von einer kaum mefsbaren bis zu 5 ft und mehr. Man unterscheidet zwischen zentripetalen und zentrifugalen Nervenfasern. Vergleichen wir den verwickelten Bau der Netzhaut mit dem der Photographenplatte finden wir, dafs deren Lichtempfindlichkeit mit einer sehr einfachen und gleichartigen Struktur vereint ist.\n\u00c4ufsere plexif. Schicht\nInnere K\u00f6rnerschicht Innere plexif. Schicht j\n\tUp \u25a0\n\u25a0 s\\c f\till\t' f\til\nM lim ifii i m I\t1 i\n\t<\t\n^ Pigmentzellenschicht\nP-\u2022!] Stab- n. Zapfenschicht\n;<\u00d6) i(ol\nAmakrinen\n\n'\u2022Swr\nGanglienzellenschicht\nFig. 1 (schematisch). \u2022\u2022 Die mikroskopische Anatomie der Netzhaut nach\nRamon y Cajal.\n(Nach R. Greeff: Der Bau der menschlichen Retina.)","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die chemisch-physikalischen Grundlagen des Sehens.\t237\nWas nun die Frage betrifft, wie das Tagessehen mit der Auffassung von Form (die ich hier aufser Betracht lasse), Farben-und Lichtst\u00e4rke vor sich geht, so ist man sich seit langen dar\u00fcber klar, dafs die Wirkung des Lichtes in dem Sinnesepithel der Netzhaut vor sich geht. Hier mufs man also die f\u00fcr bestimmte Wellenl\u00e4ngen abgestimmten Terminalorgane suchen, die f\u00fcr die kurzen elektrischen Wellen, die Lichtwellen, auf eine \u00e4hnliche Weise, wie die Antennen bei der drahtlosen Telegraphie f\u00fcr die langen, fungieren.\nDa nun die Fovea centralis, die der Sitz des sch\u00e4rfsten Sehens mit Farbe- und Lichtauffassung ist, ausschliefslich Zapfen enth\u00e4lt, wie auch die Netzhaut bei mehreren Tagestieren ausschliefslich aus solchen aufgebaut ist, mufs man annehmen, dafs die Endorgane, durch welche wir verschieden gef\u00e4rbtes Licht auffassen k\u00f6nnen, eben die Zapfen sind. Man mufs ferner voraussetzen, dafs dieselben nach den verschiedenen Wellenl\u00e4ngen des Lichtes abgestimmt sind. Den herrschenden Theorien gem\u00e4fs braucht man nur sich Abstimmung f\u00fcr drei Hauptfarben: rot, gr\u00fcn, blau (Young-Helmholtz) oder vier: rot, gelb, gr\u00fcn, blau (Aubert, Hering), vorzustellen. Bei Mischung dieser Farben, deren sinnesphysiologische Grundlage in verschieden starker Reizung der Endorganen in der Netzhaut besteht, kann man, wie bekannt, alle Farbent\u00f6ne des Spektrums, die Purpurfarben, die Farbennuancen weifs und grau darstellen. Wie die Empf\u00e4ngerantennen f\u00fcr k\u00fcrzere oder l\u00e4ngere Wellenl\u00e4ngen durch Abpassung von (Jeren L\u00e4nge in einem bestimmten Verh\u00e4ltnisse zu der L\u00e4nge der elektrischen Wellen abgestimmt werden, so k\u00f6nnte man sich denken, dafs man durch die L\u00e4nge und Form der Zapfen imstande sein w\u00fcrde, die Weise, auf welche die Abstimmung bewerkstelligt ist, zu erkl\u00e4ren. Man kann hier auf verschiedene Verh\u00e4ltnisse bei den Netzhautzapfen hinweisen, zeigen, die zur Bekr\u00e4ftigung dieser Anschauungsweise dienen. Die Beweisf\u00fchrung ruht auf:\n1.\tVerschiedener L\u00e4nge der Zapfen in Licht und Dunkelheit.\n2.\tVerschiedener Form der Zapfen im Zentrum und Peripherie der Netzhaut.\n3.\tVerschiedenen Formen von Zapfen in der Netzhaut bei verschiedenen Tierarten.\nNach Untersuchungen von van Genderen St\u00f6rt und Engelmann werden die inneren Glieder der Zapfen l\u00e4nger im Dunkeln","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238\nAage A. Meisling.\nund ziehen sieh unter Einflufs des Lichtes zusammen. Diese Ver\u00e4nderungen sind bei einer Menge Tiergattungen nachgewiesen (Salamander, Frosch, verschiedenen Fischen, V\u00f6geln, S\u00e4ugetieren und bei dem Menschen). Nach den ExGELMANxschen Untersuchungen ruft das Licht wahrscheinlich Kontraktionsreizung im Innenglied hervor; die Kontraktion geschieht ziemlich langsam. Nach den Untersuchungen von Herzog erh\u00e4lt man durch Beleuchtung mit 1400 M. K. das Maximum von Verk\u00fcrzung im Laufe von ungef\u00e4hr 2 Minuten. Bei Fr\u00f6schen finden sich verschiedene Zapfen. Nur eine Form derselben reagiert kr\u00e4ftig. Die L\u00e4ngenver\u00e4nderung ist von Licht zu Dunkelheit sehr bedeutend. Auf diese Weise ist es festgestellt, dafs man, was die beiden Grenzf\u00e4lle (Tageslicht und volle Dunkelheit) betrifft, bedeutende L\u00e4ngenver\u00e4nderungen im Empf\u00e4ngerapparate f\u00fcr die Lichtwellen erkennen kann. Zur Erkl\u00e4rung von dem, was in der Netzhaut bei der Auffassung von gef\u00e4rbtem Lichte vor sich geht, sind diese Ver\u00e4nderungen gar zu langsam, solange man sie in Einklang mit dem Rhythmus f\u00fcr die ungeheuer schnell schwingenden, aufserordentlieh kleine Licht wellen bringen w\u00fcrde. Anders stellt die Sache sich selbstverst\u00e4ndlich, wenn man sich denkt, dafs die L\u00e4nge der Zapfen im Lichte einer bestimmten Abstimmung f\u00fcr dessen drei oder vier Hauptwellenl\u00e4ngen, wenn man diesen Ausdruck anwenden darf, entspricht ganz wie Saiten, die f\u00fcr T\u00f6ne verschiedener H\u00f6he abgestimmt, sind. Ich erinnere in diesem Zusammenh\u00e4nge daran, dafs die L\u00e4nge der Zapfen zwischen 32\u201436 die Breite zwischen 4,5\u20146,0 gc liegt,. Die L\u00e4nge der Zapfen im Dunkeln k\u00f6nnte dann, als im zweiten Grenzfall, dem Verh\u00e4ltnisse entsprechen, dafs die Abstimmung, als \u00fcberfl\u00fcssig, weggefallen w\u00e4re, oder wenn man es vorzieht, dafs die Saiten entspannt w\u00e4ren. Durch Vergleich zwischen den Zapfen der Fovea centralis und der \u00fcbrigen Teile der Netzhaut, finden wir ferner, dafs die Zapfen in der Fovea die h\u00f6chste Entwicklung erreichen, indem sie sowohl l\u00e4nger als schlanker sind. Jeder Zapfen hat Verbindung mit seiner eigenen bipolaren Zelle und Ganglienzelle.\nAuch aus der vergleichenden Anatomie kann man in einem gewissen Grade eine Best\u00e4tigung der hier aufgeworfenen Ansichten entnehmen. Bekanntlich findet man bei gewissen Tierarten verschieden gebaute Zapfen in derselben Netzhaut. Ich erinnere an die verschieden gef\u00e4rbten Kugeln in den Zapfen","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die chemisch-physikalischen Grundlagen des Sehens.\n239\nder V\u00f6gel, Reptilien und Lurche, sowie die Doppelzapfen bei den Fischen usw. Von Interesse in diesem Zusammenhang ist es ferner, dafs die Doppelzapfen aus einem gr\u00f6fseren und kleineren Fortsatze mit verschieden langen getrennten Aufsengliedern aufgebaut sind. Zum Doppelzapfen geh\u00f6ren zwei getrennte Zapfenfasern, die nach unten, in verschiedener H\u00f6he, in der \u00e4ufseren plexiformen Schicht endigen. In derselben Netzhaut finden wir also verschiedene Arten von Zapfen, mit anderen Worten verschieden gebaute Antennen.\nGehen wir hier zur Betrachtung der elektrischen Verh\u00e4ltnisse der Netzhaut und deren Bedeutung f\u00fcr die Auffassung gef\u00e4rbtes Lichtes \u00fcber, so finden wir wieder eine Reihe St\u00fctzpunkte f\u00fcr die Annahme, dafs die Lichtwellen in Sinnesempfindung umgesetzt werden, indem sie weiter zu den Zentralorganen als elektrische Schwingungen geleitet werden. Die Grundlage dieser Annahme wird gebildet von dem Verh\u00e4ltnis zwischen:\n1.\tDen photoelektrischen Netzhautreaktionen und\n2.\tDem Ruhestrom der Netzhaut.\nDafs photoelektrische Reaktionen in der Netzhaut auftreten, haben \u00fcbereinstimmende Resultate zahlreicher Untersucher aufser allen Zweifel gesetzt. Die photoelektrische Reaktion zeigt sich als eine Steigerung der St\u00e4rke des Ruhestromes der Netzhaut, ein Verh\u00e4ltnis, dafs ich sp\u00e4ter erw\u00e4hnen werde.\nBetrachten wir erst den Ruhestrom, so finden wir, dafs derselbe vermittels empfindlicher Galvanometer bei allen darauf untersuchten Wirbeltieren nachgewiesen worden ist. Untersuchungen von Holmgren haben ferner festgestellt, dafs dieser Ruhestrom an St\u00e4rke sich \u00e4ndert, wenn man pl\u00f6tzlich das bisher im Dunkeln gehaltene Auge beleuchtet oder umgekehrt von Licht zu Dunkelheit \u00fcbergeht. Hierdurch entstehen die sog. Aktions-str\u00f6me. Die Stromsteigerung entsteht nach einer Latenzzeit, die von verschiedenen Untersuchern zwischen 0,0024 Sekunden (Fuchs) 0,02 Sekunden (Nagel) angegeben wird. Im Laufe einiger Sekunden w\u00e4chst der Ausschlag zu einem Maximum. Dauert die Beleuchtung fort, so geht er ganz langsam zur\u00fcck. Tritt nun Dunkelheit ein, so erh\u00e4lt man einen neuen Ausschlag ; wird\n1\tDu Bois Reymond 1845.\n2\tUntersuch, aus den Physiol. Inst., Heidelberg 2 und 8.\n3\tAktionsstr\u00f6me sind auch bei wirbellosen, besonders bei Mollusken nachgewiesen worden.","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240\nAage A. Meisling.\ndas Auge fortw\u00e4hrend im Dunkeln gehalten, geht der Ausschlag langsam zur\u00fcck. In tiefer Narkose h\u00f6rt die Reaktion auf.\nDunkelheit\tDunkelheit\nAuge\nHohlsehale\n(der hintere Teil eines halbierten Auges)\nNetzhaut\nFig. 2. Aktionsstr\u00f6me (Froschauge) nach K\u00fchne.\nVerwendet man das Froschauge zur Untersuchung, so sind beide Ausschl\u00e4ge positiv. Der Zuwachs der elektromotorischen Kraft ist 3\u201410 \u00b0/0.\nDie Empfindlichkeit des Auges dem Lichte gegen\u00fcber ist recht bedeutend. So reagiert die Netzhaut des Frosches schon unter Einflufs des Lichtes von einer glimmenden Zigarre (K\u00fchne). Die Empfindlichkeit nimmt bei der Dunkeladaptation bedeutend zu. Nach Untersuchungen von Nagel 1 und Himstedt 1 f\u00e4llt die Reizungsgrenze mit der Grenze der Lichtempfindlichkeit beim Mensch zusammen. Durch vergleichende Experimente an verschiedenen Tieren zeigt es sich, dafs die Empfindlichkeit mit der Dunkeladaptation bei Frosch und Eule stark zunimmt. Bei H\u00fchnern und Schildkr\u00f6ten ist die Empfindlichkeit bedeutend geringer und nimmt nicht durch Aufenthalt im Dunkeln zu.\nNach Holmgben entspricht die Beleuchtung einem negativen, die Dunkelheit einem positiven Stromausschlag bei S\u00e4ugetieren, V\u00f6geln und Reptilien.\nNach Nagels1 und Himstedts Untersuchungen der Verh\u00e4ltnisse bei H\u00fchnern (Tagestieren) ergab Lichteinfall erst einen\n1 Ber. der naturh. Gesells., Freiburg 1901. Annal, d. Physik, 4 (4), 1901. Ferner: Festschrift d. Albert Ludwigs-Universit\u00e4t, Freiburg 1902.","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die chemisch-physikalischen Grrundlagen des Sehens.\n241\nkleinen, positiven Ansschlag, danach einen ausgesprochenen negativen Ausschlag. Von bedeutendem Interesse sind endlich die von Naoel und Himstedt bei Reizung mit verschieden gef\u00e4rbtem spektralem Licht gefundenen Untersuchungsresultate. Die Untersuchungen wurden am Froschauge mit folgendem Ergebnis unternommen :\n1.\tDas f\u00fcr Helligkeit adaptierte Auge hat von den Farbenstrahlen des Spektrums die h\u00f6chste Empfindlichkeit f\u00fcr gelb.\n2.\tDas f\u00fcr die Dunkelheit adaptierte Auge ist am empfindlichsten f\u00fcr gr\u00fcn, ganz wie das Maximum der Empfindlichkeit beim Aufenthalt im Dunkeln sich von gelb zu gr\u00fcn verschiebt.\nEine kurze Lichtreizung (mit elektrischem Funken) l\u00f6st die Reaktion aus. Selbst eine kurzdauernde Reizung ruft eine mehrere Sekunden hindurch dauernde Strombewegung hervor.\nBei st\u00e4rkeren Lichtintensit\u00e4ten hat man die St\u00e4rke der photoelektrischen Reaktion in Einklang mit dem FECHNERschen Gesetze gefunden.\nDas Verh\u00e4ltnis zwischen Ruhestrom und Aktionsstr\u00f6men, die durch die Einwirkung des Lichtes auf die Netzhaut entstanden sind, erinnert an das Verh\u00e4ltnis, das wir von den Kumaskopen kennen.1 Bei der Besprechung des Verh\u00e4ltnisses des D\u00e4mmerungssehens zum Tagessehen werde ich n\u00e4her darauf eingehen, welche Grundlage man in der Netzhaut zur Erkl\u00e4rung der verschiedenen Auffassung der Lichtintensit\u00e4ten bei diesen zwei Arten des Sehens finden kann. Woher der elektrische Ruhestrom stammt, ist unbekannt, wie im ganzen die Weise, auf welche die tierische Elektrizit\u00e4t entsteht. Ich werde die hier\u00fcber aufgestellten Theorien nicht n\u00e4her erw\u00e4hnen.\nEs erhebt sich hiernach die \u00fcberaus wichtige Frage, wie man sich die elektrischen Schwingungen von den Sinneszellen durch die Netzhaut, den Sehnerv und den \u00fcbrigen Teil der Sehnervbahnen bis zu den Gehirnzentren denken kann. Man ist hier bei einem Punkte, der eine \u00fcberaus schwierige Frage in der Nervenphysiologie ber\u00fchrt. Das Verh\u00e4ltnis betrifft die Schwierigkeit, die verursacht wird, wenn man den Zusammenhang zwischen\n1 Ich weise hier auf die \u00c4hnlichkeiten hin, die das schon erw\u00e4hnte elektrolytische Kumaskop, das f\u00fcr elektrische Wellen reagiert, darbietet. Wir sahen, wie ein Apparat, durch den ein schwacher elektrischer Strom passiert, eine starke Stromsteigerung zeigt, wenn elektrische Wellen auf denselben fallen.","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\nAage A. Meisling.\nder relativ ungeheueren Langsamkeit der Nervenleitung (30 m in der Sekunde) und der grofsen Schnelligkeit der elektrischen Str\u00f6me (30000 km pro Sekunde) erkl\u00e4rt.\nVielf\u00e4ltige Tatsachen haben es wahrscheinlich gemacht, dafs wir in der Nervenleitung einer Erscheinung gegen\u00fcber stehen, die mit der der elektrischen Stromleitung verwandt ist. Wenn man sich Fortpflanzung elektrischer Wellenschwingungen von der Netzhaut und weiter durch die Sehnervbahnen denkt, gewinnt man eine sichere und gekannte physische Grundlage der Auffassung, auf der Tatsache ruhend, dafs man imstande ist die elektrischen Wellen abzustimmen und deren Schwingungszeit zu ver\u00e4ndern. Dies geschieht, wie erw\u00e4hnt durch Ver\u00e4nderung der Kapazit\u00e4t und Selbstinduktion. Ist die Kapazit\u00e4t und Selbstinduktion grofs, so bekommt man langsame Schwingungen. Das Bild des \u00e4ufserst verwickelten Baues der Netzhaut mit L\u00e4ngs- und Querverbindungen, mit Einschaltvorrichtungen, deren Ausl\u00e4ufer nach oben und nach unten in zahlreiche Verzweigungen endigen, l\u00e4fst sich meiner Ansicht nach \u00fcberaus gut mit der Annahme von einem aus Nervenelementen auf gebauten Transformationssvstem, vereinen.\nWenn man sich nicht in Spekulationen vertiefen will, kann man nur auf die Hauptpunkte aufmerksam machen. Als solche m\u00f6chte ich die verschiedene Form der Verbindung der St\u00e4bchen und Zapfen mit den grofsen Ganglienzellen durch Ausl\u00e4ufer nach oben und nach unten von den Ganglienzellen in der inneren K\u00f6rnerschicht und dem Amakrinsystem erw\u00e4hnen. Aufserdem k\u00f6nnen die verschieden dicken Achsenzylinderf\u00e4den, die in einem zusammenlaufenden Netz in der Nervenfaser Schicht der Netzhaut verflochten sind, angef\u00fchrt werden.\nVerfolgt man diesen Gedankengang weiter, so kann man auf den Stromkreis, der durch die zentripetalen und zentrifugalen Nervenfasern entsteht, hinweisen. Die erstgenannten bilden wieder in den prim\u00e4ren, optischen Zentren Endverzweigungen. Der hier erw\u00e4hnte Bau des Systems setzt sich h\u00f6her hinauf in das Gehirn bis zu der grauen Hirnrinde fort, wo wir aufs neue Zellen mit sehr stark verzweigten Ausl\u00e4ufern finden. Die Vorstellung von der Fortpflanzung der Wellenschwingungen l\u00e4fst sich also im ganzen genommen sehr gut mit dem Aufbau des Nervensystems aus Neuronen vereinen. Der Bau des ganzen","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die chemisch-physikalischen Grundlagen des Sehens.\n243\nSystems stimmt mit der Weise, auf die man ein Transformationssystem physikalisch aufbaut, gut \u00fcberein.\nAuch durch die Licht- und Farbenempfindungen, die entstehen, wenn man galvanische Str\u00f6me durch das Gesichtsorgan leitet, kann man es wahrscheinlich machen, dafs eine Transformation des Stromes vor sich geht. Diese Erscheinungen sind sehr eingehend von zahlreichen Untersuchern, besonders von G. E. M\u00fclleb 1 studiert worden. Nach seinen Untersuchungen gibt ein auf steigender Strom (Stromrichtung von der Nervenfaserschicht zur Epithelschicht) Empfindung von zunehmender Erhellung und von einer violetten oder r\u00f6tlich blauen Farbe. Bei absteigendem Strom bekommt man abnehmende Helligkeitsempfindung (Verdunkelung) und eine Empfindung von gr\u00fcnlichgelb. Bei Stromschlielsung bekommt man eine kurzdauernde Wirkung derselben Natur wie w\u00e4hrend dauernder Stromwirkung, aber kr\u00e4ftiger, blitzartig. Wird der Strom unterbrochen, so hat das Reizungsresultat ganz den entgegengesetzten Charakter (Empfindung wie bei der umgekehrten Stromrichtung). Bei st\u00e4rkeren Str\u00f6men werden die Verh\u00e4ltnisse sehr verwickelt. Die Wirkung des galvanischen Stromes wird dem Verst\u00e4ndnis zug\u00e4nglich, wenn man annimmt, dafs der Strom transformiert wird.\nIn der Netzhaut kann derselbe so, in elektrische Schwingungen umgesetzt, als eine Reizung von einer der der Lichtwellen \u00e4hnlichen Art wirken. In dieser Verbindung ist es von Interesse, dafs Dunkeladaptation keine Steigerung der erw\u00e4hnten Empfindungen hervorruft, die folglich am wahrscheinlichsten auf die Zapfen zu beziehen sind.\nIm vorstehenden habe ich mich haupts\u00e4chlich mit der Weise, auf welche man sich die Wellenbewegung des Lichtes weiter durch das Gesichtsorgan geleitet denken kann, besch\u00e4ftigt. Die Grundlage der verschiedenen Farbenempfindungen haben wir in den verschiedenen Wellenl\u00e4ngen des Lichtes. Als Ausgangspunkt der folgenden Darstellung kann man deshalb das Sonnenspektrum benutzen, wie dasselbe gesehen wird, wenn es lichtstark ist. Das Gitterspektrum, in dem die Ausdehnung der einzelnen Farbenb\u00e4nder allein von der Wellenl\u00e4nge des Lichtes abh\u00e4ngig ist, eignet sich am besten dazu. Betrachten wir ein\n1 Zeitschrift f\u00fcr Psychol, und Physiol, der Sinnesorgane 14, 325.","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nAage A. Meisling.\nsolches Spektrum, so finden wir, dafs dessen Intensit\u00e4t im gelb am gr\u00f6fsten ist.\nWie bekannt hat das Spektrum eine weit gr\u00f6fsere Ausdehnung als der gef\u00e4rbte Teil, der f\u00fcr unser Auge am st\u00e4rksten hervortritt.\nUm die Intensit\u00e4t des Lichtes (Amplitude) im Sonnenspektrum zu messen, kann man verwenden:\n1.\tSehr empfindliche Thermometer.\n2.\tAktinometer, durch die man die chemischen Wirkungen des Lichtes mifst.\nZu beiden Arten von Messungen verwendet man die Elektrizit\u00e4t. Die W\u00e4rmewirkung mifst man so durch das Bolometer, von Langley konstruiert, die chemische Wirkung durch Becquerels elektrochemische Aktinometer.\nDie Einrichtung des Bolometers ist folgende: Ein feiner, mattgeschw\u00e4rzter Metalldraht ist in eine elektrische Leitung nebst einem empfindlichen Galvanometer eingeschoben. Durch Erw\u00e4rmung des Drahtes wird dessen Widerstand vermehrt, wodurch die Stromst\u00e4rke vermindert wird. Die Ver\u00e4nderung der Stromst\u00e4rke wird am Galvanometer wahrgenommen.\nDer Apparat ist so hoch empfindlich, dafs man die W\u00e4rmewirkung der verschiedenen Wellenl\u00e4ngen des Lichtes messen kann. Im Sonnenlichte findet man das Maximum im Gelb, wo auch das menschliche Auge sein Maximum der Helligkeitsempfindung hat. Von rein physikalischem Standpunkt aus kann man sich also denken, dafs unser Auge im Tagessehen durch die Intensit\u00e4t (Amplitude) der elektrischen Wellenschwingungen die Intensit\u00e4t der verschiedenen Farben des Sonnenspektrums auffafst. Das Pigment im Pigmentepithel der Netzhaut, das hinter dem lichtleitenden, durchsichtigen Teil der Netzhaut, aufserhalb der St\u00e4bchen- und Zapfenschicht, liegt, spielt wahrscheinlich hierbei eine wichtige Rolle.\nGehen wir nun zu dem D\u00e4mmerungssehen \u00fcber, so finden wir zahlreiche Best\u00e4tigungen der Annahme, dafs die Netzhaut bei diesem wie eine photographische Platte wirkt. Betrachten wir zun\u00e4chst das photochemische Verhalten der photographischen Platte, so finden wir, dafs dieselbe, die nur die chemische Wirkung des Lichtes mit verschiedener Intensit\u00e4t wieder gibt, f\u00fcr die brechbarsten Teile des Spektrums am empfindlichsten ist. Bei Zumischung lichtempfind-","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die chemisch-physikalischen Grundlagen des Sehens.\n245\nlicher Farbstoffe (Sensibilisatoren) zur Gelatineschicht kann man die Wirkung des weniger brechbaren Teiles des Spektrums, dessen Wirkung auf die nicht sensibilisierte Platte \u00fcberaus schwach ist, ausdehnen und st\u00e4rken. Bei Sensibilisierung kann man jedoch kaum die Wirkung merklich weiter als bis zur Linie G, wo sie schon aufserordentlich schwach ist, ausdehnen. Es geht aus dem obigen hervor, dafs man durch Messung der chemischen Wirkung des Lichtes in der Hauptsache ein Bild erh\u00e4lt, das das Gegenst\u00fcck zu dem darstellt, was die Messung mit dem Bolometer ergibt.\nDie photochemische Wirkung des Lichtes kann man auf elektrischem Wege messen, z. B. mit Becquerels elektrochemischem Aktinometer, das auf der Beobachtung beruht, dafs zwei Chlorsilberplatten, die in einer leitenden Fl\u00fcssigkeit angebracht sind, Spannungsunterschiede zeigen, wenn eine der Platten belichtet wird. Es entsteht dadurch ein elektrischer Strom, den man am Galvanometerausschlag, der der Intensit\u00e4t der einwirkenden Strahlen proportional ist, gemessen werden kann.\nWie fr\u00fcher ber\u00fchrt, kann man die Intensit\u00e4t von photochemischen Prozessen auch auf elektrischem Wege messen. Bei Lichtwirkung auf die photographische Platte wird jedoch allein der sog. Ton wert der Farben, d. h. deren photochemische Intensit\u00e4t wiedergeben. Die Tonwerte k\u00f6nnen mit dem D\u00e4mmerungswerten des Auges verglichen werden. Die Differenzen der Wellenl\u00e4nge werden im allgemeinen von der photographischen Platte gar nicht wiedergegeben. Bei der Farbenphotographie hat man sich bem\u00fcht dies zu erzielen:\n1.\tBei der direkten Farbenphotographie (Lippmann) ruft man durch Benutzung stehender Lichtschwingungen eine aufserordentlich feine Schichtteilung der Platte hervor, wodurch diese wie d\u00fcnne Lamellen die Wellenschwingungen des Lichtes wiedergibt. Die Platte wirkt hier wie eine Art Resonator f\u00fcr das Licht.\n2.\tBei der indirekten Farbenphotographie sucht man die Farben wiederzugeben, indem man den Kopien von den mit verschieden gef\u00e4rbten Filtern auf genommenen Platten Farbstoffe (Resonatoren) hinzuf\u00fcgt.\nAus dem Mitgeteilten ist ersichtlich, dafs die Heranziehung der photochemischen Theorie zur Erkl\u00e4rung des Tagessehens ganz unhaltbar ist. Der hier aufgeworfenen Ansicht nach fungiert\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 42.\t17","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nAage A. Meisling.\ndie Netzhaut also beim Tagessehen, wie ein f\u00fcr bestimmte T\u00f6ne abgestimmtes Musikinstrument, beim D\u00e4mmerungssehen wie eine mit Sehpurpur sensibilisierte photographische Platte.\nDie Auffassung der Zapfen als elektrische, f\u00fcr verschiedene Wellenl\u00e4ngen des Lichtes abgestimmte Empf\u00e4ngerapparate gibt eine klare physikalische Grundlage f\u00fcr unsere Auffassung vom Sehen. Die Kenntnis der normalen Farbenauffassung und der verschiedenen Formen von Farbenblindheit erm\u00f6glicht eine eingehendere Analyse der Weise, auf die die Abstimmung bewerkstelligt ist. Eine eingehende Erkl\u00e4rung w\u00fcrde zu tief in die verschiedenen Theorien der Farbenperzeption f\u00fchren, weshalb ich nur die Hauptpunkte anf\u00fchren werde.\nWie fr\u00fcher angef\u00fchrt (S. 237), braucht man nur sich Abstimmung f\u00fcr drei Hauptfarben, rot, gr\u00fcn, blau (Young, Helmholtz) oder vier, rot, gelb, gr\u00fcn, blau (Aubeet, Heeing) vorzustellen. Bei Mischung der obigen Farbent\u00f6ne, deren sinnesphysiologische Grundlage Wirkung verschiedenen Grades auf die Endorgane der Netzhaut ist, kann man alle Farbent\u00f6ne des Spektrums, die Purpurfarben, die Farbennuancen weifs und grau darstellen. Nimmt man drei Hauptfarben an, rot, gr\u00fcn, blau (oder violett), so bezeichnet man das Farbensystem des Auges als trichromatisch.\n1.\tWird die Abstimmungsweise bei dem trichromatischen Farbensystem ge\u00e4ndert, erhalten wir die sog. unvollst\u00e4ndige Farbenblindheit (die anomale Trichromasie).\n2.\tF\u00e4llt eine der Grundfarbenempfindungen weg, so bekommt man die dichromatischen Farbensysteme (die eigentliche Farbenblindheit).\n3.\tFallen alle Farbenempfindungen weg, so hat man die totale Farbenblindheit (Monochromasie). Bei der letzteren mufs das ganze Resonatorsystem der Zapfen als weggefallen betrachtet werden.\nR\u00fccksichtlich der Verh\u00e4ltnisse zwischen den unvollst\u00e4ndig farbenblinden (anomalen Trichromaten), den rotblinden (den Protanopen) und den gr\u00fcnblinden (den Deuteranopen) hat Tscheening1 folgende Auffassung vertreten:\n1 Xe Congr\u00e8s international d\u2019Ophthalmologie, Luzerne 1904. Compte rendu, Bd. 197.","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber die chemisch-physikalischen Grundlagen des Sehens.\t247\n1.\tDie Rotkurve ist f\u00fcr die anomalen Trichromaten identisch mit der der normalen. Die Gr\u00fcn- und Blaukurve zeigt eine weit gr\u00f6fsere Steigung und einen tieferen Fall als die der normalen.\n2.\tDer protanopische Typus kann als eine Reduktionsform des normalen betrachtet werden, indem die Rotempfindung weggefallen ist.\n3.\tDer deuteranopische Typus als Reduktionsform der abnormen trichromatischen beim Wegfall der Rotempfindung.\nNeuere Untersuchungen haben freilich gezeigt, dafs es zwei Arten von anomalen Trichromaten gibt, die nach v. Kries1 Rotanomale und Gr\u00fcnanomale genannt werden. Erstere stehen zu den Rotblinden (Protanopen), letztere zu den Gr\u00fcnblinden (Deuteranopen) in enger Beziehung. Die von Tscherning angenommenen Beziehungen waren nur denkbar, solange man nur die eine Art von Anomalen, die Gr\u00fcnanomalen kannte.\nAuf die sehr seltene Blaugelbblindheit werde ich nicht n\u00e4her eingehen, da deren Wesen noch wenig bekannt ist.\nDie hier dargestellten Verh\u00e4ltnisse werden meiner Annahme nach dem Verst\u00e4ndnis sehr leicht zug\u00e4nglich, wenn man die Zapfen als verschieden abgestimmte Resonatoren auffafst, die im Verh\u00e4ltnisse zu den verschiedenen Wellenl\u00e4ngen des Lichtes abgestimmt sind. Die Antennen, die f\u00fcr die langen elektrischen Wellen abgestimmt sind, zeigen das wohl bekannte Verh\u00e4ltnis, dafs man keine vollst\u00e4ndig reine Abstimmung erhalten kann. Was die Netzhaut betrifft, wird dies bedeuten, dafs das verschieden gef\u00e4rbte Licht (rot, gr\u00fcn und blau), aufserdem, dafs es auf das spezifisch abgestimmte Endorgan wirkt, auch die anderen beeinflufst. Die unvollst\u00e4ndige F\u00e4rbenblindheit und die Zweifarbensysteme kann man sich leicht dieser Annahme nach auf Grundlage des oben zitierten Bildes durch \u00c4nderung der Abstimmungsweise oder vermittels Wegfalles eines der Endorgane veranschaulichen. Eine gleichm\u00e4fsige Wirkung auf die Endorgane entspricht der Empfindung von weifs oder grau. F\u00e4llt die Reizung weg oder ist dieselbe sehr schwach, so entsteht die Empfindung von schwarz.\nIn dem vorhergehenden haben wir die Verh\u00e4ltnisse speziell f\u00fcr die Fovea centralis betrachtet und drei verschieden abgestimmte\n1 v. Kries : Die Gesichtsempfindungen in Nagels Handbuch der Physiologie des Menschen, Bd. Ill, S. 125.\n17*","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\nAnge A. Meisling.\nEndorgane vorausgesetzt. (Man k\u00f6nnte sich auch eine gr\u00f6fsere Anzahl Endorgane mit einer spezialisierteren Abstimmung, vier oder mehrere, vorstellen.) Gehen wir danach zu den aufserhalb der Fovea liegenden Teilen der Netzhaut \u00fcber, so findet man wie bekannt, dafs der Farbensinn gegen die Peripherie abnimmt. Ich gehe nicht n\u00e4her auf die Grenzen des mit verschiedenen Objekten (rot, gr\u00fcn, gelb und blau) gefundenen Gesichtsfeldes ein, erinnere nur daran, dafs dieselben konzentrisch zueinander liegen so, dafs wir z. B. eine Zone finden, wo wir nur gelb und blau erkennen k\u00f6nnen, und ferner aufserhalb dieser eine total farbenblinde Zone. Dementsprechend finden wir eine Reduktion der Anzahl der Zapfen vor, und je weiter wir nach allen Seiten hinaus kommen, auch eine zunehmende Gestalt\u00e4nderung derselben. Von Bedeutung ist es nun, dafs wir in der total farbenblinden Zone unter den Bedingungen des Tagessehens einen Intensit\u00e4tsunterschied zwischen den verschiedenen Farben finden, der im Typus den fr\u00fcher erw\u00e4hnten der Totalfarbenblinden gar nicht entspricht, sowie auch nicht den D\u00e4mmerungswerten des normalen Auges. Diese sog. Peripheriewerte sind ungef\u00e4hr die gleichen f\u00fcr das normale Auge und das des Gr\u00fcnblinden, f\u00fcr die Rotblinden sind diese Werte abweichend, wegen der fehlenden Empfindlichkeit dem roten Ende des Spektrums gegen\u00fcber. Dafs die Intensit\u00e4tsverteilung eine andere als im D\u00e4mmerungs sehen ist, spricht f\u00fcr die oben vorgetragene Ansicht, dafs die Messung durch die Netzhaut, was das Tagessehen betrifft, eine andere Grundlage hat.\nDie Annahme der Umbildung der Lichtwellen in andere elektrische W^eilen, die sich weiter verbreiten, k\u00f6nnte das Verst\u00e4ndnis vieler an das Gesichtsorgan gekn\u00fcpfter Ph\u00e4nomene geben. Ich m\u00f6chte nur die farbigen und farblosen Simultan-Kontrastph\u00e4nomene, die Nachbilder, die subjektiven Farbenempfindungen nennen. Als Grundlage derselben kann man sich\neine elektrische Induktion vor stell en.\nSetzt man die Richtigkeit der in dieser Abhandlung vorgetragenen Ansichten voraus, so wird dies Bedeutung f\u00fcr die Auffassung des Verh\u00e4ltnisses zwischen den \u00e4ufseren physikalischen und chemischen Einwirkungen und unseren sinnlichen Empfindungen im ganzen genommen haben, indem man sich vorstellen kann, dafs diese dadurch entstehen, dafs die von der Aufsenwelt herkommenden Reizungen als elektrische Wellenschwingungen weiter gef\u00fchrt werden. Die Endorgane der Sinnesapparate","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fcber die chemisch-physikalischen Grundlagen des Sehens.\n249\nwerden hierdurch nach der Art der Reizung verschieden werden, der rein schematische Typus kann aber zu einem gewissen Grade derselbe sein.\nNachschrift.\nNachdem die beifolgende Arbeit abgeschlossen war, bin ich darauf aufmerksam geworden, dafs Ingenieur F. Lux aus Ludwigshafen, einen elektrischen Bildtelegraph konstruiert hat, indem er das menschliche Sehorgan als Ausgangspunkt genommen hat. Im Gegensatz zu meiner Arbeit baut Lux noch auf die photochemische Theorie, indem er annimmt, dafs der Sehpurpur eine entscheidende Bedeutung f\u00fcr das Tagessehen hat.\nSp\u00e4ter hat der d\u00e4nische Ingenieur Valdemar Poulsex eine neue Form der drahtlosen Telegraphie geschaffen, indem er kontinuierliche elektrische Wellenschwingungen mit einer sehr hohen Schwingungszahl beim Telegraphieren verwendet. Durch Verwendung des Spektrums zur Absendung der Wellenschwingungen, was durch Benutzung elektrischer Entladungen durch Wasserstoff usw. m\u00f6glich wird, hat er eine sehr feine Abstimmung erhalten.\n(Eingegangen am 1. August 1907.)","page":249}],"identifier":"lit33505","issued":"1908","language":"de","pages":"229-249","startpages":"229","title":"\u00dcber die chemisch-physikalischen Grundlagen des Sehens","type":"Journal Article","volume":"42"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:10:36.122630+00:00"}