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{"created":"2022-01-31T15:41:27.976184+00:00","id":"lit33507","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Kauffmann, M.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 42: 271-280","fulltext":[{"file":"p0271.txt","language":"de","ocr_de":"271\n\u00dcber eigent\u00fcmliche Geruchsanomalien einiger\nchemischer K\u00f6rper.\nVon\nDr. mecl. M. Kauffmann.\nAssistenzarzt der Universit\u00e4ts-Nervenklinik zu Halle a/S.\nWenn man an einer konzentrierten L\u00f6sung von Trimethylamin energisch riecht, so nimmt man eigent\u00fcmlicherweise nicht den charakteristischen fisch\u00e4hnlichen Geruch, sondern Ammoniak wahr. Als Prof. Vorl\u00e4nder und ich ein mit Lezithin und festem Kaliumhydroxyd beschicktes Reagenzglas erhitzten und zeitweise daran rochen, bemerkten wir beide nur einen Ammoniakgeruch und schlossen im ersten Moment, dafs die betreffende Substanz \u00fcberhaupt kein Lezithin sei; denn dieses selbst mufs, da es glyzerinphosphorsaures Cholin ist, und letzteres wieder ein Trimethylaminderivat, durch Verseifen mit Alkali und nach* heriges st\u00e4rkeres Erhitzen mit Alkalien Trimethylamin abspalten. Als ich dann nach einiger Zeit an dem Reagenzglas roch, nahm ich deutlichen Trimethylamingeruch wahr, w\u00e4hrend Professor Vorl\u00e4nder blofs Ammoniak riechen konnte. Andere Chemiker konnten indessen Trimethylamin deutlich riechen, und wir mufsten also annehmen, dafs das Geruchsverm\u00f6gen f\u00fcr Trimethylamin aufgehoben wird nach anhaltendem Riechen. Diese Erscheinung konnten wir an mehreren Tagen an uns beiden wahrnehmen; wir machten mit Trimethylamin bei uns selbst und bei anderen Geruchsversuche und fanden, dafs eine Trimethylaminl\u00f6sung nur bei den ersten Riechproben von der Versuchsperson als solches gerochen wird, nachher erh\u00e4lt man etwa den Eindruck eines Monoalkylamins und schliefslich konstant von Ammoniak. Die Methylgruppen werden scheinbar sukzessive vom Geruchssinn abgespalten. Diese L\u00e4hmung oder Er-","page":271},{"file":"p0272.txt","language":"de","ocr_de":"272\nM. Kau ff mann.\nm\u00fcdung war bei einzelnen Individuen verschieden, sie trat aber bei allen von uns untersuchten Personen ein. Ja, diese Eigent\u00fcmlichkeit des Trimethylamins, den typischen Geruch leicht zu verlieren und nachher blofs wie Ammoniak zu riechen, wurde von uns sogar zur Identifizierung desselben verwendet. Handelte es sich n\u00e4mlich um amin\u00e4hnliche K\u00f6rper, so wurde nur dann sicher Trimethylamin angenommen, wenn der charakteristische Geruch nach kurzer Zeit schon verschwand und man nur noch Ammoniak riechen konnte. Dies wurde von vielen Personen \u00fcbereinstimmend beobachtet.\nDas Trimethylamin ist ein substituiertes Ammoniak. Der Geruch des Amins ist so penetrant widerlich, dafs man den Stoff leicht dadurch erkennt. Aber dieser charakteristische Geruch wird wieder dadurch illusorisch, dafs er, wie schon erw\u00e4hnt, so rasch verschwindet. Konzentrierte L\u00f6sungen von Trimethylamin, die dadurch entstehen, dafs man etwa Cholin oder ein anderes Trimethylaminderivat mit Kalilauge st\u00e4rker erhitzt, k\u00f6nnen, wenn man ohne die n\u00f6tige Vorsicht die Geruchsprobe anstellt, vollkommen ohne den charakteristischen Geruch bleiben. Die Ursache davon liegt selbstverst\u00e4ndlich nicht in der L\u00f6sung, sondern an dem riechenden Subjekt. Man mufs n\u00e4mlich vermeiden, zu intensiv an einer L\u00f6sung zu riechen; man soll nur ganz kurz und aus einiger Entfernung an dem Reagenzglas riechen, wobei man immer wieder frische Luft einzieht.\nBei stark verd\u00fcnnten L\u00f6sungen beobachtet man weiter, dafs nur im allgemeinen eine \u201efrische\u201c Nase sie deutlich wahrnehmen kann. Ist, wie dies bei dem Chemiker sehr h\u00e4ufig ist, das Geruchsorgan durch andere Ger\u00fcche erm\u00fcdet bzw. bet\u00e4ubt, so k\u00f6nnen verd\u00fcnnte L\u00f6sungen von Trimethylamin vollkommen geruchlos sein.\nDas Trimethylamin ist ein Stoff, der die Eigent\u00fcmlichkeit hat, noch in starker Verd\u00fcnnung gerochen zu werden. So habe ich durch Versuche mit verschiedenen Personen feststellen k\u00f6nnen, dafs 1/2000000 g noch deutlich wahrgenommen wird. Um die Verd\u00fcnnbarkeit eines Stoffes zu untersuchen, habe ich die f\u00fcr den Chemiker wichtige Methode angewendet, indem ich n\u00e4mlich untersuchte, wieweit der Riechstoff mit destilliertem Wasser verd\u00fcnnt noch wahrzunehmen sei. Die Verd\u00fcnnungsversuche, wobei als L\u00f6semittel Luft in Betracht kam, sind zwar physiologisch richtiger; der Chemiker hat aber fast immer mit","page":272},{"file":"p0273.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber eigent\u00fcmliche Geruchsanomalien einiger chemischer K\u00f6rper. 273\nL\u00f6sungen zu tun. Ein sorgf\u00e4ltig gereinigtes W\u00e4gegl\u00e4schen von 2,1 mm innerem Durchmesser wurde mit 1 g der verd\u00fcnnten L\u00f6sung beschickt. So wurde festgestellt, dafs also 1 g destilliertes Wasser, in dem 1/2000000 g Trimethylamin enthalten war, noch deutlich den charakteristischen Geruch darbot. F\u00fcr mich selbst, der ich an den Verd\u00fcnnungen arbeitete, war der Geruch des Trimethylamins schon l\u00e4ngst vorbei; aber andere Personen, die in einem gut gel\u00fcfteten Raum arbeiteten, konnten in der stark verd\u00fcnnten L\u00f6sung noch deutlich Trimethylamin erkennen.\nAls ich Cholin durch Einleiten von konzentriertem Trimethylamin in \u00c4thylenbromid darstellte, war ich erstaunt, dafs ich nur einen intensiven Ammoniakgeruch wahrnahm, auch der assistierende Diener roch nur Ammoniak. Ich glaubte nun, dafs\ndas Trimethylamin sich zersetzt habe. Erst, als ich aus dem\n\u2022 \u2022\nLaboratorium heraustrat und in Ber\u00fchrung mit anderen \u00c4rzten kam, wichen diese entsetzt vor mir zur\u00fcck wegen des entsetzlichen Trimethylamingeruchs, den ich an mir trug.\nEin weiteres Beispiel, wie leicht der Trimethylamingeruch verschwindet, ist folgendes: ich machte verschiedene Geruchsproben mit diesem K\u00f6rper und hatte schon l\u00e4ngst die charakteristische Geruchsempfindung verloren; ich blieb in denselben Kleidern, pl\u00f6tzlich nach 31/2 Stunden fiel mir auf, dafs meine Kleidung in widerlicher Weise nach Trimethylamin roch.\nWir haben also erstens eine rasche Erm\u00fcdbarkeit oder Bet\u00e4ubung des Geruchssinns f\u00fcr Trimethylamin, und zweitens die eigent\u00fcmliche Erscheinung, dafs, wenn nicht die L\u00f6sungen gar zu verd\u00fcnnt sind, nicht etwa gar kein Geruch wahrzunehmen ist, sondern dafs dann der ganz typische Ammoniakgeruch auf-tritt. Es wurde gerade die letztere Tatsache durch viele blinde Versuche bei verschiedenen Personen erh\u00e4rtet. Bez\u00fcglich des Ammoniaks findet man in den Lehrb\u00fcchern angegeben, dafs es wahrgenommen wird durch Reizung des Trigeminus. Gewifs k\u00f6nnte man bei ganz konzentrierten L\u00f6sungen, wo das Stechende des Ammoniaks besonders auff\u00e4llig ist, an eine alleinige Reizung des Trigeminus denken. Verd\u00fcnnt man aber Ammoniak etwa auf 1 :1000 und riecht dann an der L\u00f6sung, so hat man einen typischen basischen Geruch, der absolut nicht reizend wirkt. Es sind also bei dem Riechen von konzentriertem Ammoniak zweierlei Nerven in T\u00e4tigkeit, der Geruchsnerv selbst, und der","page":273},{"file":"p0274.txt","language":"de","ocr_de":"274\nM. Kaufmann.\nsensible, der Trigeminus. Es ist, wie schon erw\u00e4hnt, nicht richtig, wenn man behauptet, dafs das Ammoniak nicht einen typischen Geruch habe.\nWie soll man sich aber erkl\u00e4ren, dafs beim Trimethylamin an die Stelle des typischen Geruchs der des Ammoniaks, der Stamm Substanz, tritt?\nGewisse Reizstoffe bewirken eine partielle Erm\u00fcdung, wie dies besonders aus den Versuchen yon Aronson bekannt ist. Nach dem Riechen von Jodtinktur konnte er Ol. citri, salviae etc. weniger deutlich riechen. Es k\u00f6nnte also sein, dafs das Trimethylamin f\u00fcr sich selbst partiell erm\u00fcdend wirkt, nur m\u00fcfste diese Erm\u00fcdung eine sehr rasch eintretende sein, denn man kann sich in wenigen Sekunden auf l\u00e4ngere Zeit durch Riechen von konzentrierter Trimethylaminl\u00f6sung unempfindlich machen. Gerade konzentrierte Trimethylaminl\u00f6sungen erzeugen eine leichte Benommenheit und leichte Stirnkopfschmerzen. Es scheint, dafs dieser K\u00f6rper eine \u00e4ufserst bet\u00e4ubende Wirkung aus\u00fcbt, und von diesem Gesichtspunkte aus k\u00f6nnte man auch sagen: das Trimethylamin wirkt rasch partiell bet\u00e4ubend. Zwischen Erm\u00fcdung und Bet\u00e4ubung ist beim Geruchssinn oft\nschwer ein Unterschied zu machen.\nProfessor Vorl\u00e4nder hat mich noch auf andere Riechk\u00f6rper aufmerksam gemacht, n\u00e4mlich den Akryls\u00e4ureester und das \u00c4thylsulfid. Bekanntlich haben Fischer und Penzold 1 beim Akryls\u00e4ureester festgestellt, dafs er noch in \u00e4ufserst starker \\ er-d\u00fcnnung durch Luft riechbar ist. Wir glaubten eine gewisse Analogie dieses K\u00f6rpers mit dem Trimethylamin annehmen zu m\u00fcssen, erstens, weil er penetrant widerlich riecht, und zweitens, weil er noch in starker Verd\u00fcnnung riechbar ist.\nAls wir nach den beim Trimethylamin gewonnenen Erfahrungen herzhaft an einer Flasche mit reinem Akryls\u00e4ureestei rochen, bemerkten wir erst den intensiven widerlichen Knoblauchgeruch, dann nach ca. 3 Luftz\u00fcgen, dafs der Geruch ein angenehm \u00e4therischer wurde und auch als solcher sich weiter erhielt. W\u00e4hrend die Umgebung, die ganzen R\u00e4ume, mit dem penetranten Geruch erf\u00fcllt waren und von anderen Personen der Ester in dieser starken Verd\u00fcnnung deutlich wahrgenommen wurde, war uns beiden das Geruchsverm\u00f6gen daf\u00fcr vollkommen\n1 Liebigs Annalen 239, S. 131\u2014136.","page":274},{"file":"p0275.txt","language":"de","ocr_de":"TJber eigent\u00fcmliche Geraehsanomalien einiger chemischer K\u00f6rper. 275\nverloren gegangen. Erst l\u00e4ngere Zeit nachher, als wir durch einen Gang gingen, durch welchen wir die Flasche mit dem Akryls\u00e4ureester getragen hatten, bemerkten wir den charakteristischen unangenehmen Geruch.\nMan hat wiederholt den penetranten Geruch der Stoffe f\u00fcr eine Verunreinigung und den \u00e4therischen f\u00fcr den eigentlichen Geruch der chemisch reinen Verbindung erkl\u00e4rt. So glaubt Finkh1 nachgewiesen zu haben, dafs das \u00c4thylsulfid, wenn es \u00fcber 300\u00b0 mit Kupfer erhitzt wird, den widerlichen Geruch verliere und im reinen Zustande angenehm \u00e4therisch r\u00f6che. Da jedoch nach unseren Versuchen das Athylsulfid sich ebenso verh\u00e4lt wie Trimethylamin und nach einigem Probieren umschl\u00e4gt und angenehm \u00e4therisch riecht, so beruht die Wahrnehmung Finkhs wahrscheinlich auf einem Geruchsirrtum. Dasselbe gilt f\u00fcr eine Angabe von Henry \u00fcber den Geruch des Methylisonitrils.\nF\u00fcr den Geruch nach Phenylisonitril aus Anilin, Chloroform und Kalilauge konnten wir feststellen, dafs der widerliche Geruch nach kurzem Riechen verschwindet und in einen \u00e4therischen Geruch \u00fcbergeht, der etwas an Benzaldehyd erinnert. Von dem \u00c4thylsulfid habe ich den Grad der Verd\u00fcnnbar-keit mit Wasser in der Weise bestimmt, dafs ich die ersten Verd\u00fcnnungen mit Alkohol machte, danach mit Wasser. \u00dcbereinstimmend wurde von verschiedenen Versuchspersonen 1 g destilliertes Wasser, welches noch die Verd\u00fcnnung 1:9343500 g\" \u00c4thylsulfid enthielt, deutlich wTahrgenommen. Eine Versuchsperson roch sogar noch die Verd\u00fcnnung 1:12 598400 g. Wir haben also auch hier, wie beim Akrylester, die M\u00f6glichkeit einer starken Verd\u00fcnnbarkeit bei einem widerlich riechenden K\u00f6rper.\nGanz \u00e4hnliche Verh\u00e4ltnisse zeigt das Mercaptan, von dem bekannt ist, dafs es in grofsen Verd\u00fcnnungen noch riechbar ist. Sein unangenehmer Geruch wirkt ekelerregend, leicht zum Brechen reizend. Einen Beweis f\u00fcr die starke Verd\u00fcnnbarkeit habe ich dadurch erhalten, dafs, als ich Mercaptan von einem Gef\u00e4fs in das andere gofs, 50 m weit entfernt auf der anderen Seite des Hauses Personen sagten, es werde wohl Jauche gef\u00fchrt. Dies war aber nicht der Fall, denn der Geruch verschwand bald wieder, nachdem die Mercaptand\u00e4mpfe sich ver-\n1 Berichte der chemischen Gesellschaft 27, 1239.","page":275},{"file":"p0276.txt","language":"de","ocr_de":"276\nM. Kaufmann.\nfl\u00fcchtigt hatten. Das Mercaptan zeigt vollkommen dieselben Eigenschaften, und zwar ist dabei hervorzuheben, dafs nicht etwa eine Anpassung an den Geruch stattfindet, sondern dals ein herzhaftes starkes Riechen, wrenn auch nur auf einige Sekunden, n\u00f6tig ist, um die Geruchsqualit\u00e4t zu ver\u00e4ndern. Als ich n\u00e4mlich mit dem Mercaptan arbeitete und es umgofs, roch ich dasselbe noch stundenlang an meinen H\u00e4nden. Anders war es, als ich an einer konzentrierten L\u00f6sung 6 Luftz\u00fcge hintereinander tat, schon beim 4. roch das Mercaptan angenehm s\u00fcfslich \u00e4therisch, und ich hatte auch das Geruchsverm\u00f6gen f\u00fcr Mercaptan auf einige Minuten verloren.\nAls ich nach stark unangenehm riechenden und reizenden Stoffen mich umsah, machteich auch in Pyridin den Versuch, ob der K\u00f6rper nicht durch intensives Riechen den \u201eUmschlag\u201c ins Angenehme zeigt. Man findet, dafs nach etwa 6 Atemz\u00fcgen der charakteristische Pyridingeruch tats\u00e4chlich nicht mehr so unangenehm ist, aber der auff\u00e4llige Umschlag in eine direkt angenehme Geruchsempfindung fehlt.\nAls Grenze der Verd\u00fcnnbarkeit konnte ich bei Pyridin nur 1 : 250000 feststellen. Wieweit das Verm\u00f6gen eines Riechstoffes, in starker Verd\u00fcnnung noch wahrgenommen zu werden, mit der erw\u00e4hnten Erscheinung des Umschlags zusammenh\u00e4ngt, soll sp\u00e4ter noch besprochen werden.\nEs ist bekannt, dafs die Senf \u00f6le sehr unangenehm und stechend riechen, besonders gilt dies vom Allylsenf\u00f6l, das widerlich knoblauch\u00e4hnlich riecht. Beim Riechen an einer konzentrierten L\u00f6sung tritt ein starkes Brennen und Beifsen in der Nase und auch in den Augen auf. Wenn man vermag, dieses unangenehme, fast schmerzhafte Riechen l\u00e4ngere Zeit durchzuf\u00fchren, so bemerkt man, allerdings erst nach 10 Luftz\u00fcgen, dafs der typische Knoblauchgeruch, die Komponente, die an Schwefelkohlenstoff erinnert, mehr und mehr verschwindet, und das Beifsende, Senfartige vorherrscht. Es eignet sich dieser K\u00f6rper nicht gut zu Riechversuchen, weil die Trigeminuswirkung eine zu intensive ist, und das Riechen, wie bei keinem anderen der erw\u00e4hnten Stoffe, schmerzt, ferner der ganze Riechstoff mehr, etwa wie starke S\u00e4uren (Salzs\u00e4ure), durch seine D\u00e4mpfe die Nasenschleimhaut reizt. Einen Umschlag zum Angenehmen konnte ich bei diesem K\u00f6rper nicht bemerken.","page":276},{"file":"p0277.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber eigent\u00fcmliche Geruchsanomalien einiger chemischer K\u00f6rper. 277\nBei dem Versuch, die gr\u00f6fstm\u00f6glichste Verd\u00fcnnung zu er-zielen, fand ich die Grenze schon bei 1 : 262500; der K\u00f6rper l\u00e4fst sich also im Vergleich zu den anderen sehr wenig verd\u00fcnnen, ist folglich \u201eein nicht so starker Geruch\u201c. Auch bei der gr\u00f6fstm\u00f6glichsten Verd\u00fcnnung konnte man noch immer das Beifsende deutlich wahrnehmen, vielleicht sogar war dieses charakteristischer, als der eigentliche an Knoblauch erinnernde Geruch.\nReines Phenylsenf\u00f6l riecht etwas widerlich, indessen ist der Geruch lange nicht zu vergleichen mit dem des Trimethylamin oder des Mercaptan. Von diesen verschieden ist es auch dadurch, dafs es seinen Geruch auch nach l\u00e4ngerem Arbeiten mit demselben beibeh\u00e4lt. Bez\u00fcglich der Verd\u00fcnnbarkeit n\u00e4hert es sich mehr dem Pyridin, es l\u00e4fst sich n\u00e4mlich nur 1/468000 in 1 g destilliertem Wasser noch riechen, weitere Verd\u00fcnnungen sind geruchlos. Wir sehen also hier wieder, \u00e4hnlich wie beim Pyridin, dafs, vielleicht weil der K\u00f6rper nicht so stark verd\u00fcnnungsf\u00e4hig, also als Geruchsk\u00f6rper nicht so virulent ist, ein eigentlicher Umschlag nicht eintritt.\nBez\u00fcglich des p-Chlorphenols ist in den Lehrb\u00fcchern der Chemie angegeben, dafs es \u00e4ufserst unangenehm riecht. Ich mufs konstatieren, dafs keine der Versuchspersonen mir den Geruch als widerlich bezeichnet hat; ich selbst kann ihn nicht als unangenehm bezeichnen. Analysiert man die Geruchsempfindung bei demselben, so bemerkt man wenig Reiz, f\u00fcr mich war der K\u00f6rper absolut reizlos. Trotzdem er also, auf die Haut gebracht, stark \u00e4tzend wirkt, ist der Geruch nicht mit Trigeminuskomponenten vermischt. Dieser K\u00f6rper zeigte keinen Umschlag. Der Geruch blieb sich immer gleich.\nEin anderer h\u00f6chst unangenehm riechender K\u00f6rper, das Skatol, zeigt auch keine \u00dcbereinstimmung mit den oben erw\u00e4hnten. Als Verd\u00fcnnungsgrenze habe ich 1 : 19200000 gefunden. Der K\u00f6rper ist also stark verd\u00fcnnbar, aber absolut reizlos. Intensives Riechen an reinem Skatol erzeugt wohl leicht Kopfschmerzen, dagegen fehlt jedes Beifsen, Prickeln, Brennen und irgend ein \u00e4therischer Geruch.\nBei vielen angenehm riechenden K\u00f6rpern, beispielsweise bei Benzaldehyd, Pfefferm\u00fcnz\u00f6l, Apfel\u00e4ther, ist auch bei l\u00e4ngerem Riechen keine Ver\u00e4nderung der Geruchsempfindung\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 42.\t19","page":277},{"file":"p0278.txt","language":"de","ocr_de":"278\nM. Kaufmann.\nzu konstatieren, aufser, dafs sie schw\u00e4cher wird. Dies Kann man als Erm\u00fcdung oder als Anpassung an einen Geruch bezeichnen, Dinge, die schon l\u00e4ngst bekannt sind.\nIch fasse also meine Ergebnisse dahin zusammen, dafs Mercaptan, Akrylester, \u00c4thylsulfid, Isonitril bei intensivem Riechen einen Umschlag ins Angenehme zeigen, alle vier K\u00f6rper sind noch in starker Verd\u00fcnnung riechbar, sie haben ferner sicher nicht nur eine Olfaktoriuskomponente, sondern auch eine solche des Trigeminus, worunter Beifsen, Prickeln, Brennen, W\u00e4rmeoder K\u00e4ltegef\u00fchl etc. zu verstehen ist.\nBekanntlich hat Krause gefunden, dafs nach Exstirpation des Ganglion Gasseri der Geruchssinn auf der operierten Seite geschw\u00e4cht, wenn auch nicht aufgehoben war. Es wird diese Erscheinung meist so erkl\u00e4rt, dafs Geruchsempfindungen auch auf Trigeminuswegen zum Gehirn gelangen. Ich m\u00f6chte eine andere Deutung versuchen \\ sehr viele Riechstoffe haben eine reizende Wirkung, beispielsweise die \u00e4therischen \u00d6le. Die W\u00e4rme- und K\u00e4lteempfindung, das leichte Prickeln etc., sind alles Funktionen des Trigeminus. Und doch sind diese Komponenten \u00e4ulserst wichtig f\u00fcr das Diagnostizieren eines Geruches.\nGerade die vier erw\u00e4hnten K\u00f6rper zeigen nun eine starke Beteiligung des Trigeminus im Gegensatz beispielsweise zum Skatol. Die Senf\u00f6le reizen zwar etwas st\u00e4rker, aber die Riechstoffe sind nicht stark verd\u00fcnnbar.\nDer sogenannte Umschlag besteht nun darin, dafs das \u00c4therische, d. h. das mehr Reizende bestehen bleibt, dafs aber die Olfaktoriuskomponente von einer unangenehmen in eine angenehme Empfindung verwandelt wird. Andere Stoffe, die neben den vier K\u00f6rpern gerochen werden, werden meist m normaler Weise erkannt. Es handelt sich sicher nicht um eine Erm\u00fcdung. Eher m\u00f6chte ich von einer Bet\u00e4ubung des Geruchsnerven sprechen, und zwar einer Bet\u00e4ubung f\u00fcr unangenehme Ger\u00fcche der erw\u00e4hnten Kategorie. Riecht man n\u00e4mlich nach Mercaptan Akrylester oder \u00c4thylsulfid, so f\u00e4llt der unangenehme Geruch \u00fcberhaupt weg, man riecht nur etwas angenehm\n\u00c4therisches.\nSoweit ich in der Literatur sehen konnte, ist dieser eigentliche Umschlag von stark und unangenehm riechenden K\u00f6rpern nicht bekannt. Der Grund davon ist vielleicht der, dafs niemand","page":278},{"file":"p0279.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber eigent\u00fcmliche Geruchsanomalien einiger chemischer K\u00f6rper. 279\nan solchem ekelhaften K\u00f6rper mit aller Gewalt und wiederholt riecht. Es kostet auch eine gewisse \u00dcberwindung, kr\u00e4ftig an dem zum Erbrechen reizenden Mercaptan zu riehen.\nEs erhebt sich nun die Frage: wie ist dieser Umschlag zu erkl\u00e4ren ?\nVon einer Gew\u00f6hnung oder Anpassung an die Stoffe kann man nicht sprechen, denn man kann l\u00e4ngere Zeit beispielsweise mit Mercaptan hantieren, ohne den unangenehmen Geruch nicht mehr zu bemerken. Selbstverst\u00e4ndlich tritt jene Gew\u00f6hnung ein, dafs man, wenn man l\u00e4ngere Zeit mit einem \u00fcblen Geruch zu tun hat, denselben nicht mehr als so stark empfindet. Dies kann als Erm\u00fcdung oder Anpassung gedeutet werden.\nGanz anders ist die Wirkung, wenn man kr\u00e4ftig an einem der erw\u00e4hnten K\u00f6rper riecht, dann tritt schon nach 5 Sekunden der bekannte Umschlag ein. Mir scheint die narkotische Wirkung eines solchen Geruchsstoffes das Wesentliche zu sein. Der Olfaktorius wird bet\u00e4ubt. Man k\u00f6nnte, wie beim Gesichtssinn, an eine Art komplement\u00e4ren Geruch denken, also, dafs nach starkem Rot ein gr\u00fcnes Nachbild entsteht; ich glaube nicht, dafs man solche Erw\u00e4gungen auf den Geruchssinn \u00fcbertragen kann ; schon die Tatsache, dafs w\u00e4hrend des Riechens der eigent\u00fcmliche Umschlag entsteht, ist nicht damit zu vergleichen.\nIch m\u00f6chte hier aus der praktischen Medizin eine Erfahrung anf\u00fchren : Gehirnkranke, die bedeutende Sch\u00e4digungen im Geruchsverm\u00f6gen erlitten haben, geben h\u00e4ufig an, dafs unangenehme Ger\u00fcche angenehm riechen, es wird eben alles als angenehm riechend bezeichnet, soweit es nicht geruchlos erscheint. Es ist m\u00f6glich, dafs eine Bet\u00e4ubung des Olfaktorius vor allen Dingen f\u00fcr unangenehme Ger\u00fcche erfolgt.\nUnter den besprochenen K\u00f6rpern ist jedenfalls der interessanteste das Trimethylamin. Es steht bez\u00fcglich seiner Ver-d\u00fcnnbarkeit in der Mitte. Selbst schw\u00e4chere Verd\u00fcnnungen wie 1 : 1000 werden leicht von einer nicht ganz intakten Nase nur als Ammoniak gerochen. Ich vermag dieses Ph\u00e4nomen nicht zu erkl\u00e4ren. Anzuf\u00fchren w\u00e4re, dafs der Geruch von Aminen ein besonders zarter, subtiler ist.\nDas Mercaptan ist als ein Ester von Schwefelwasserstoff zu \u2022\u2022 \u2022\u2022\nbezeichnen, das Athylsulfid ist ein \u00c4ther desselben, der Akryl-\n19*","page":279},{"file":"p0280.txt","language":"de","ocr_de":"280\nM. Kaufmann.\ns\u00e4ureester ist ein Ester einer unges\u00e4ttigten S\u00e4ure. Rein chemisch betrachtet, w\u00e4re also der angenehme esterartige Geruch nicht so femliegend.\nIch hoffe, vermittels ausf\u00fchrlicher Versuche, die ich mit einem Kollegen, Dr. O. Schultze, durchzuf\u00fchren gedenke, die erw\u00e4hnten eigent\u00fcmlichen Geruchsanomalien sp\u00e4terhin erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen.\n(Eingegangen am 1. Oktober 1907.)","page":280}],"identifier":"lit33507","issued":"1908","language":"de","pages":"271-280","startpages":"271","title":"\u00dcber eigent\u00fcmliche Geruchsanomalien einiger chemischer K\u00f6rper","type":"Journal Article","volume":"42"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:41:27.976189+00:00"}