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Über den Blendungsschmerz

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{"created":"2022-01-31T16:30:28.290202+00:00","id":"lit33511","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Feilchenfeld, Hugo","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 42: 313-348","fulltext":[{"file":"p0313.txt","language":"de","ocr_de":"(Aus der physikalischen Abteilung des physiologischen Instituts zu Berlin.)\n\u2022 \u2022\nUber den Blendungsschmerz.\nVon\nHugo Feilcheneeld.\nWas verstehen wir unter Blendungsschmerz?\nZur Verst\u00e4ndigung \u00fcber die Frage, ob es einen Blendungsschmerz gibt, bedarf es zuvor einer kurzen Definition der in Betracht kommenden Begriffe, da Meinungsverschiedenheiten hier oft nur darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren sind, dafs man mit demselben Worte verschiedene Dinge bezeichnet hat. Unter Schmerz verstehen wir die elementare, darum auch nicht weiter definierbare K\u00f6rperempfindung. Eigent\u00fcmlich ist ihm im Gegensatz zu den \u00fcbrigen Empfindungen, dafs er nicht objektiviertem Gegensatz zu den Gef\u00fchlen, dafs er exzentriert wird. Daran ist er leicht wiederzuerkennen und von anderen psychischen Prozessen zu unterscheiden, die mit ihm nichts gemeinsam haben, aber doch mit ihm verwechselt werden, weil sie seine mehr oder weniger regelm\u00e4fsigen Begleiterscheinungen sind. Ein Beispiel mag dies Verh\u00e4ltnis klar machen: Ein Nadelstich wird in der Haut als schmerzhaft empfunden, also in unserem eigenen K\u00f6rper; der Schmerz wird nicht in die Nadel verlegt, wie der Geruch in das Veilchen oder das von dem Mond ausgehende Licht in den Mond. Also der Schmerz wird nicht objektiviert. Der Schmerz wird aber auch nicht in das Gehirn verlegt, da wo der Schmerzprozefs zustande kommt oder doch seinen Abschlufs findet, auch nicht in den Nerven, der ihn zum Gehirn leitet, sondern er wird exzentriert an die periphere Stelle, die den Ausgangspunkt der Schmerzleitung bildet. Dadurch erweist er","page":313},{"file":"p0314.txt","language":"de","ocr_de":"314\nHugo Feilchenfeld.\nsich f\u00fcr die Selbstbeobachtung als eine reale, jederzeit wiederzuerkennende K\u00f6rperempfindung, die nichts mit der Unlust, die ihn zu begleiten pflegt, zu tun hat, da bei dieser die M\u00f6glichkeit der Exzentrierung schon deswegen fehlt, weil die Unlust \u00fcberhaupt nicht lokalisiert wird. Er hat aber auch nichts mit den verschiedenen \u00fcbrigen Empfindungen zu tun, die gleichzeitig mit der Schmerzempfindung erregt werden k\u00f6nnen, da diese anderen Empfindungen regelm\u00e4fsig objektiviert werden. Am leichtesten mufs diese Unterscheidung bei dem Blendungsschmerz werden, da hier die begleitende Sinnesempfindung \u2014 die Lichtempfindung \u2014 auf eine so grofse Entfernung hinaus objektiviert wird. Wenn ich behaupte, durch einen Blick in die Sonne schmerzhaft geblendet zu werden, so kann ich nach obiger Definition damit nur meinen, dafs ich diesen Schmerz im Auge empfinde resp., wenn die Lokalisation ungenau ist, in dessen Nachbarschaft; die von demselben Beiz \u2014 der Sonne \u2014 ausgel\u00f6ste Lichtempfindung habe ich aber nicht im Auge, sondern am Reizorte ; das gleichzeitig ausgel\u00f6ste Unlustgef\u00fchl habe ich ebenfalls nicht im Auge, sondern in meinem \u201eInnern\u201c, wie man sich auszudr\u00fccken pflegt. Damit ist klargestellt, was wfir unter \u201eSchmerz\u201c, speziell unter \u201eBlendungsschmerz\u201c verstehen, und wir k\u00f6nnen an die Frage herantreten, ob es einen Blendungsschmerz unter physiologischen und pathologischen Bedingungen gibt.\nPhysiologischer und pathologischer Schmerz.\nSchmerz ist diejenige Empfindung, welche in allen mit entsprechenden Nerven ausger\u00fcsteten Organen durch abnorm starke Reize entsteht. Insofern ist die Schmerz Ursache eine einheitliche und die Unterscheidung zwischen physiologischem und pathologischem Schmerz willk\u00fcrlich. Schmerz wird nur durch nicht physiologische Reize bewirkt, d. h. durch solche, die \u00fcber die physiologischen Lebensbedingungen des Organs hinausgehen und ihnen nicht zutr\u00e4glich sind. Es ist darum nur eine verschiedene Entstehungsweise des nicht physiologischen Reizes, ob dieser nun in einem abnorm starken Aufsenreiz besteht, oder in einem Entz\u00fcndungszustande des gereizten Organs selbst, welcher seinerseits auf die Nerven des Organs einen Reiz aus\u00fcbt, was man dann einen spontanen Schmerz nennt. Die durch abnorm starke Aufsenreize bewirkten","page":314},{"file":"p0315.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber den Blendungsschmerz.\n315\nSchmerzen nennen wir physiologische, die spontanen pathologische. Ob ein Reiz als abnorm stark zn bezeichnen ist, daf\u00fcr ist selbstverst\u00e4ndlich nicht seine absolute St\u00e4rke mafsgebend, wie man irrt\u00fcmlich angenommen hat, sondern die relative in bezug auf die Sensibilit\u00e4t des Organes. Ein Staubk\u00f6rnchen ist f\u00fcr die Hornhaut ein abnorm starker Reiz. Entstehen Schmerzen zwar nicht spontan, aber auch nicht durch einen abnorm starken, sondern durch einen \u201ephysiologischen\u201c Aufsenreiz, so rechnen wir auch diese Schmerzen ebenso wie die spontanen zu den pathologischen, weil sie auf einen pathologischen Zustand des Organs selbst oder anderer Organe, die zu ihm in Beziehung stehen, schliefsen lassen. Wir bezeichnen dies alsHyperalgesie. Hier bewirkt die Summierung von Entz\u00fcndungsreiz und sonst unterschmerzlichem Aufsenreiz den Schmerz. Harum werden spontan schmerzende Organe bei Einwirkung eines Aufsenreizes erst recht schmerzen; spontan schmerzende Organe sind in der Regel hyperalgetisch. Aber auch Organe, die nicht spontan schmerzen, k\u00f6nnen hyperalgetisch sein. Leicht entz\u00fcndete Organe sind n\u00e4mlich spontan noch nicht schmerzhaft, man erkennt ihren Entz\u00fcndungszustand erst, wenn man einen Druck aus\u00fcbt, der sonst noch nicht schmerzhaft empfunden sein w\u00fcrde. Je leichter die Entz\u00fcndung, ein um so st\u00e4rkerer Aufsenreiz ist notwendig, um Schmerz hervorzurufen, da ja erst die Summe von Aufsenreiz und Entz\u00fcndungsreiz schmerzerregend wirkt. Wir finden\nalso in der Hyperalgesie, welche zwar ebenfalls einen Aufsenreiz\n\u2022 \u2022\nvoraussetzt, aber nicht einen abnorm starken, die Ubergangsform von dem physiologischen zu dem spontanen Schmerz. Hierdurch wird unsere Auffassung der Schmerzursache als einer einheitlichen gest\u00fctzt. In demselben Sinne erw\u00e4hnt sei hier Lennanders 1 Feststellung, dafs alle Organe, die des physiologischen Schmerzes f\u00e4hig sind, auch im Erkrankungszustande spontan schmerzen und hyper alge tisch sind und diejenigen Organe, die im Erkrankungszustande keinen spontanen Schmerz aufweisen, auch nicht des physiologischen Schmerzes f\u00e4hig sind. Es fragt sich, ob dieses Gesetz auch f\u00fcr den Blendungsschmerz zutrifft.\n1 Lennandeb. Grenzgeb. der Medizin und Chirurgie X, S. 38 u. XV, S. 465.\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 42.\n22","page":315},{"file":"p0316.txt","language":"de","ocr_de":"316\nHugo Feilchenfeld.\nGibt es pathologischen Blendungsschmerz?\nDafs es einen pathologischen Blendungsschmerz gibt, d. h. dafs das entz\u00fcndete Auge gegen Licht schmerzempfindlich ist, scheint keiner weiteren Ausf\u00fchrung zu bed\u00fcrfen ; denn bei akuten Entz\u00fcndungen des vorderen Augenabschnitts (Kornea, Konjunktiva, Iris) ist die Photophobie oft unertr\u00e4glich. Indessen behauptet Friedenberg- *, dafs diese Photophobie nur eine Pseudophotophobie sei ; der Blepharospasmus, den man als reflektorisch wirkendes Schutzmittel gegen grelle Belichtung auflasse, sei vielmehr ein Selbsthilfsmittel gegen andere Sch\u00e4digungen der Aufsen-welt, vor allem gegen die Bewegung der Lider auf dem Augapfel, gegen welche die entz\u00fcndete Augapfeloberfl\u00e4che empfindlich sei. Hierf\u00fcr f\u00fchrt er zwei Beobachtungen ins Feld: 1. auch im Dunklen w\u00fcrden die Augen nicht ge\u00f6ffnet; 2. k\u00e4me ja auch durch die geschlossenen Lider noch eine Menge Licht. Die erste Beobachtung ist zweifellos durchaus irrig. Kinder mit phlyct\u00e4nul\u00e4ren Augenentz\u00fcndungen \u00f6ffnen die Augen im gen\u00fcgend verdunkelten Raume ohne weiteres. F. hat seine Beobachtungen nun freilich bei Fremdk\u00f6rpern und Hornhauterosionen gemacht. Bei diesen ist es selbstverst\u00e4ndlich, dafs nicht nur die auf Entz\u00fcndung beruhende Lichtscheu, sondern auch die Bewegung des Lides auf der Hornhaut mit Schmerzen verbunden ist. Darum kann auch im Dunkelraume dieser auf zwei Ursachen beruhende Schmerz nicht ganz aufh\u00f6ren. Er wird aber regelm\u00e4fsig viel geringer, so dafs es auch diesen Patienten im Dunklen recht gut gelingt ihr Auge zu \u00f6ffnen, was ihnen im Hellen ganz unm\u00f6glich war. Vollends ist nicht klar, vor welchen Sch\u00e4digungen der Aufsen-welt aufser dem Licht die entz\u00fcndete Iris sich sollte zu sch\u00fctzen haben, da doch nun dieses durch die Kornea hindurch bis zur Iris vordringt. Wenn nun ferner zwar Licht durch die geschlossenen Lider hindurchdringt, so ist doch nicht zu verkennen, dafs dieselben einen erheblichen Teil des Lichtes abhalten. Lid-schlufs setzt eine normale Sehsch\u00e4rfe auf quantitative Lichlempfin-dung herab. Oft freilich ist die Photophobie so heftig, dafs auch das nicht gen\u00fcgt. Dann suchen sich die Kinder in der Tat durch die deckende Hand zu helfen oder, indem sie sich in die Kleider der Mutter oder eine dunkle Ecke fl\u00fcchten. Auch ein letzter\n1 Friedenberg. On the Origin of the Pain in Photophobia \u2014 Ophthalm. Record 1905.","page":316},{"file":"p0317.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Blendungsschmerz.\n317\nEinwand ist nicht stichhaltig, dafs amaurotische Augen, wenn in ihnen eine Entz\u00fcndung des vorderen Abschnittes sich entwickelt* ebenfalls jene Lichtscheu zeigen, welche F. Pseudophotophobie nennt. Solange solche Augen quantitative Lichtempfindung habeny die bei ungenauer Untersuchung zuweilen \u00fcbersehen wird, kann diese bei der bestehenden Hyperalgesie zur Erzeugung des Blendungsschmerzes selbstverst\u00e4ndlich ausreichen. Setzt doch F. selbst voraus, dafs die durch das geschlossene Lid dringende Lichtmenge ausreichen m\u00fcfste, echte Lichtscheu zu erzeugen; und wir haben schon bemerkt, dafs dies wirklich der Fall ist, das entz\u00fcndete Auge in der Tat weiterer Verdunkelungsmittel bedarf. Bei einem wirklich amaurotischen Auge habe ich bisher Schmerzempfindlichkeit gegen Licht nicht festgestellt. Bei den von mir kasuistisch gesammelten F\u00e4llen scheint man auf Ausschaltung der W\u00e4rmestrahlung, gegen welche die entz\u00fcndete Augenoberfl\u00e4che recht empfindlich ist, nicht bedacht gewesen zu sein. W\u00e4ren solche F\u00e4lle aber erst sichergestellt, so w\u00fcrden sie nach der Erkl\u00e4rung, welche der Blendungsschmerz im folgenden finden wird, nicht merkw\u00fcrdig sein und keineswegs geeignet F.s Annahme zu st\u00fctzen.\nGibt es physiologischen Blendungsschmerz?\nDer unbefangene Laie ist, wenn man ihm die Frage vorlegt, geneigt, sie ohne weiteres zu bejahen. Es erscheint ihm bei der Reproduktion seiner bisherigen Erfahrungen selbstverst\u00e4ndlich, dafs grelles Licht schmerzhaft empfunden wird. F\u00fchrt man dagegen das Experiment aus, l\u00e4fst in ein grelles Licht hineinsehen, so erh\u00e4lt man von der Mehrzahl eine negative, von der Minderzahl eine positive Angabe. Es scheint also die allt\u00e4gliche, zuf\u00e4llige Wahrnehmung den Schmerz deutlicher hervortreten zu lassen, als es bei der beabsichtigten Beobachtung der Fall ist. Es gibt n\u00e4mlich verschiedene Momente, die den Schmerz, speziell den Blendungsschmerz \u00fcbersehen lassen. Kant hat in seiner Schrift \u201eUber die Macht des Gem\u00fctes, durch den blofsen Vorsatz seiner Gef\u00fchle Herr zu werden\u201c auf die F\u00e4higkeit der Seele hingewiesen, durch willk\u00fcrliche Erweckung von konkurrierenden Vorstellungen oder Affekten heftige K\u00f6rperschmerzen zu unterdr\u00fccken. Dieselbe Wirkung \u00fcben solche Affekte aus, die sich gegen unseren Willen einstellen.\nTolstoj schildert in \u201eAnna Karenina\u201c, wie der Verf\u00fchrer mit\n22*","page":317},{"file":"p0318.txt","language":"de","ocr_de":"318\nHugo Feilchenfeld.\ntiefer Reue von seiner Schuld spricht, w\u00e4hrend dessen aber die Hand an die Wange h\u00e4lt, weil er von einem qu\u00e4lenden Zahnschmerz gepeinigt wird. Da f\u00e4llt sein Blick auf das R\u00e4derwerk der Lokomotive und ruft die Erinnerung an den gr\u00e4fslichen Selbstmord der Verf\u00fchrten in ihm wach. Und in diesem Augenblick ist der Zahnschmerz verschwunden. Eine \u00e4hnliche Wirkung wie die Ablenkung der Aufmerksamkeit vomSchmerz \u00fcbt unter Umst\u00e4nden auch die willk\u00fcrliche Konzentration der Aufmerksamkeit auf den Schmerzaus. Das scheint zwar der gew\u00f6hnlichen Annahme zu widersprechen. Aber der Schmerz \u00fcberf\u00e4llt uns im allgemeinen gegen unseren Willen und \u00fcberraschend. Dann ist er am heftigsten. Sind wir vorbereitet und sehen ihm mit Angst entgegen, so kann er leicht hinter der Erwartung Zur\u00fcckbleiben. Die Differenz zwischen der erwarteten und der wirklich zustande gekommenen Empfindung l\u00f6st ein Gef\u00fchl der Freude aus. Dieses Gef\u00fchl kommt zwar f\u00fcr die Beurteilung der exzentrischen k\u00f6rperlichen Schmerzempfindung nicht in Betracht, oder sollte nicht in Betracht kommen ; aber der unge\u00fcbte Beobachter versteht nicht ohne weiteres die K\u00f6rperempfindung von dem sie in der Regel begleitenden Unlustgef\u00fchle zu trennen. Deutet doch schon der Sprachgebrauch, der f\u00fcr den Seeienschmerz \u2014 eine reine Gem\u00fctsbewegung und den K\u00f6rperschmerz denselben Ausdruck geschaffen hat, auf die enge Verkn\u00fcpfung dieses Gef\u00fchls und dieser Empfindung hin. Man mufs sich von dem Schmerz gewissermafsen unwillk\u00fcrlich \u00fcberfallen lassen. Dann ahmt man die Bedingungen seiner nat\u00fcrlichen Wirkungsweise am besten nach. Einige Momente erschweren nun noch besonders die Wahrnehmung gerade des Blendungsschmerzes: 1. der im allgemeinen geringe Grad des Schmerzes, 2. die besonders intensiv dem Bewufstsein sich einpr\u00e4gende ihn begleitende Sinnesempfindung, die Lichtempfindung, welche die geringgradige Schmerzempfindung leicht \u00fcbert\u00f6nt, w\u00e4hrend die Tastempfindung erstens eine schw\u00e4chere spezifische F\u00e4rbung hat, zweitens der sie begleitende Schmerz dort intensi\\er ist, 3. die ungenaue Lokalisation, 4. der Umstand, dafs sonst Schmerzen am gesunden Organ nur durch dasselbe direkt ber\u00fchrende Reize ausgel\u00f6st werden, hier aber durch einen Fernreiz. Wer eine Empfindung erwartet, als ob sein Auge direkt ber\u00fchrt, gestochen, geschnitten oder gedr\u00fcckt w\u00fcrde, wird einen Blendungsschmerz nicht zugeben. Es gibt also vielerlei Momente, die einen","page":318},{"file":"p0319.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Blendungsschmer\u00a3<\n31\u00d6\nvorhandenen Blendungsschmerz nicht zur Beobachtung oder wie wir uns, nachdem wir den Schmerz als eine Empfindung erkannt haben, ausdr\u00fccken k\u00f6nnen \u2014 die perzipierte Empfindung nicht zur Apperzeption gelangen lassen. Man kann aber feststellen, dafs der Blendungsschmerz nicht ein individuelles, sondern ein universelles Symptom ist, wenn man 1. in R\u00fccksicht auf den geringen Grad des Schmerzes die Lichter m\u00f6glichst intensiv w\u00e4hlt, aufserdem das \u00c4uge dunkeladaptiert, 2. f\u00fcr \u00fcberraschenden Lichteinfall sorgt. Hier fand ich als die wirksamste Methode, dafs der Beobachter nicht aufgefordert wird, selbst in das Licht zu sehen, sondern dafs dieses hinter ihm steht und durch einen Spiegel pl\u00f6tzlich in sein Auge hineinreflektiert wird. Bezeichnend ist, dafs einige F\u00e4lle von heftigstem Blendungsschmerz, die ich in der Literatur mitgeteilt gefunden habe, gerade in dieser Weise zustande gekommen sind. E. v. J\u00e4ger berichtet von einem M\u00e4dchen, welches badete und pl\u00f6tzlich von dem Reflex der sich im Wasser spiegelnden Sonne getroffen wurde und unter heftigem Aufschrei zum Ufer eilte, W. Cooper von einem Studenten, der mit einem Schrei vom Mikroskopieren aufsprang, als pl\u00f6tzlich die bisher verh\u00fcllte Sonne mit voller Kraft auf den Reflektor zu strahlen begann, Arlt von einem 16j\u00e4hrigen M\u00e4dchen, welches im Schatten safs und von einem w\u00fctenden Schmerz befallen wurde, als ihm pl\u00f6tzlich durch einen Spiegel Licht in das Auge hin ein reflektiert wurde. Ebenso geben Elektrotechniker, die durch Kurzschlufs von einem grellen Lichtblitz \u00fcberrascht werden an, neben der Blendung zugleich einen Schmerz empfunden zu haben, der von dem viel sp\u00e4ter auftretenden Entz\u00fcndungsschmerz, welcher mit Blendung nichts zu tun hat, wohl zu unterscheiden ist.\nBenutzt man nun unter Anwendung der Spiegelreflektierung bei Dunkeladaptation m\u00f6glichst intensive Lichter \u2014 mir stand eine Nernstproduktionslampe von 500\u2014600 Mk. und eine Bogenlampe, deren Licht durch zwei Linsen zu einem parallel austretenden Strahlenb\u00fcndel konzentriert war, zur Verf\u00fcgung \u2014 so wird man auch bei denen, die sonst keinen Blendungsschmerz zugeben, die Angabe eines echten \u00e4ufserst heftigen Blendungsschmerzes bekommen. Oft ist derselbe von einem Zusammenzucken des ganzen K\u00f6rpers oder sogar von einem Aufschrei begleitet. Sorgt man f\u00fcr momentane Exposition, so ist keine Sch\u00e4digung zu bef\u00fcrchten. Wenn nach Widmark 1 Personen\n1 Widmark. Skand. Arch. f. Physiol 4, S. 281.","page":319},{"file":"p0320.txt","language":"de","ocr_de":"320\nHugo Feilchenfeld.\ndurch unvorsichtiges Schauen in die Sonne sich Skotome zugezogen haben, ohne durch schmerzhafte Empfindungen gewarnt worden zu sein, so beweist gerade dies, wie sehr der Beobachtungszweck, der mit einer Exposition verbunden ist, den Blendungsschmerz verh\u00fcllt. Auch d\u00fcrfte der erste Moment wohl schmerzhaft empfunden worden sein; der Schmerz hat sich aber im Laufe der Exposition verloren, w\u00e4hrend die Sch\u00e4digung der Netzhaut fortdauerte. Dadurch mag dann nachtr\u00e4glich die anamnestische Angabe entstanden sein, dafs der Defekt sich schmerzlos entwickelt habe. \u00dcbrigens geh\u00f6rt die Lichtintensit\u00e4t der tief stehenden Sonne noch nicht zu denjenigen, welche regel-m\u00e4fsig Schmerz erzeugen. Wir m\u00fcssen also gegen\u00fcber R\u00f6mer 1 mit Nagel 2 an der Existenz des physiologischen Blendungsschmerzes festhalten, haben aber gleichzeitig die Gr\u00fcnde erkannt, aus denen R\u00f6mer an sich \u201eund s\u00e4mtlichen nachpr\u00fcfenden Herren\u201c den Blendungsschmerz nicht feststellen konnte.\nUnlustgef\u00fchl durch Blendung.\nWir haben den Schmerz als eine exzentrierte K\u00f6rperempfindung von der ihn in der Regel begleitenden Unlust gesondert. Auch der Blendungsschmerz ist im allgemeinen mit Unlust verkn\u00fcpft. Jedoch kompliziert sich die Sache hier insofern, als die Blendung zwei Empfindungen repr\u00e4sentiert, die Lichtempfindung und die Schmerzempfindung, von denen jede mit Unlust verbunden sein kann. Das die Lichtempfindung begleitende Unlustgef\u00fchl tritt schon bei wesentlich geringeren Intensit\u00e4ten ein als der Schmerz und das diesen begleitende Unlustgef\u00fchl. Einfach ausgedr\u00fcckt: helles Licht kann uns unangenehm sein, ohne doch zu schmerzen. So konnte man bei oberfl\u00e4chlicher Untersuchung zu der Auffassung gelangen, dafs helles Licht nur unangenehm ist und nicht schmerzt. Doch hat schon Nagel Blendungsunlust und Blendungsschmerz als zwei unabh\u00e4ngige, neben einander aufzufassende psychische Vorg\u00e4nge beschrieben. Die Blendungsunlust zeichnet sich von dem Schmerz, bei dem, wie wir sahen, zahlreiche inkommensurable psychische Faktoren mitspielen, durch gr\u00f6fsere Konstanz aus und ist daher der Messung zug\u00e4nglicher. F\u00fcr jeden Adaptationszustand gibt es ein bestimmtes Licht, welches\n% R\u00f6mer. Zeitschr. f. Augenheilk. 1902, 8, S. 237.\n2 Nagel. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1901 u. 1903.","page":320},{"file":"p0321.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Blendungsschmerz.\n321\nals angenehm empfunden wird. Sowohl bei Steigerung als auch \u2014 freilich weniger deutlich \u2014 bei Abschw\u00e4chung des Lichtes macht sich eine Unlust bemerkbar, welches in dem Gef\u00fchl des \u201ezu hell\u201c oder \u201ezu dunkel\u201c zum Ausdruck kommt. Ich habe gemeinsam mit Nicolai die Untersuchungen in der Weise vorgenommen, dafs der Adaptationszustand genau festgelegt wurde, so dafs er in sp\u00e4teren Tagen und Wochen exakt in derselben Weise wiederhergestellt werden konnte. Zum Zwecke des Helladaptation blickten die Augen, die vorher der gew\u00f6hnlichen Zimmerhelligkeit ausgesetzt gewesen waren, 15 Minuten gegen ein, durch ein Bogenlicht beleuchtetes weifses Laken. Die Dunkeladaptation wurde durch 3/4 st\u00e4ndigen Aufenthalt im Dunkelraume hergestellt. Die Variierung der Lichtintensit\u00e4t erfolgte durch Verschiebung einer gut brennenden Auerlampe auf einer mit Meterskala versehenen Schiene. Die Augen waren in 25 cm Entfernung auf eine im Papprahmen eingelassene Mattglasscheibe 1 gerichtet, die auf der anderen Seite von jener Auerlampe beleuchtet wurde. An drei verschiedenen Tagen wurden je 10 Expositionen vorgenommen in der Weise, dafs der Beobachter \u00fcber die Entfernung der Lampe nicht unterrichtet war. Nach jeder Exposition erfolgte eine neue Helladaptation von 2 Minuten.\n-f- bezeichnet \u201eblendend\u201c oder \u201ezu hell\u201c.\n\u2014 bezeichnet \u201enicht blendend\u201c oder \u201ezu dunkel\u201c.\n+ bezeichnet die Grenze (Optimum).\n\t\t\tDr. N.\t\t\n1.\t8\t+\t1. 8,5 \u2014j\u2014\t1.\t15 \u2014\n2.\t30\t\u2014\t2. 8,5 +\t2.\t8 +\n3.\t25\t\u2014\t3. 6,8 \u2014j\u2014\t3.\t10 +\n4.\t12\t\u00b1\t4. 6,4 +\t4.\t9 -f-\n5.\t7\t+\t5. 10 +\t5.\t12 +\n6.\t15\t\u00b1\t6. 14 -\t\t\n7.\t30\t\u2014\t7. 15 \u2014\t\t\n8.\t9\t\t8. 20 \u2014\t\t\n9.\t10\t+\t9. 7,5 +\t\t\n10.\t12\t+\t10. 12 \u2014j\u2014\t\t\n1 Ein davor angebrachtes fl\u00fcssiges Filter sorgte f\u00fcr Abhaltung der W \u00e4rmestrahlen.","page":321},{"file":"p0322.txt","language":"de","ocr_de":"322\tHugo Feilchenfeld.\nDr. F.\n1.\t20\t\u2014\t16\t\t12\t\u00b1\n2.\t13,3\t\u2014\t11,5\t+\t15\t\u2014\n3.\t8,3\t+\t9\t+\t10\t\n4.\tGO [>\t+\t7\t+\t\t\n5.\t6,0\t+\t20\t\u2014\t\t\n6.\t5,9\t+\t24\t\u2014\t\t\n7.\t8,5\t+\t15\t+\t\t\n8.\t11\t\u2014\t12\t+\t\t\n9.\t9\t\u00b1\t16\t\u00b1\t\t\n10.\t7\t+\t20\t\u2014\t\t\nDas Optimum erweist sich also, wenn man nur die Versuchsbedingungen gen\u00fcgend konstant erh\u00e4lt, keineswegs als , so schwankend, wie man vorausgesetzt h\u00e4tte. Es liegt f\u00fcr Nicolai und mich nahezu an derselben Grenze, in 10\u201415 cm, und wurde auch zu verschiedenen, durch l\u00e4ngere Zwischenr\u00e4ume getrennten Zeitpunkten an etwa derselben Stelle gefunden. Ich habe den Eindruck, dafs es zugleich das Optimum f\u00fcr die Sehsch\u00e4rfe ist. Doch wurden nach dieser Richtung keine Versuche angestellt.\nSchwieriger waren die Feststellungen bei Dunkeladaptation, da hier immer nur der erste Moment, in welchem das Licht sichtbar wird, als mafsgebend angesehen werden darf und man so erst durch eine grofse Zahl von, an verschiedenen Tagen ausgef\u00fchrten Expositionen einen Grenzwert finden konnte. Bei derselben Anordnung wurde die Expositionsdauer auf 2 Sekunden festgesetzt. Die an demselben Tage vorgenommenen Expositionen erfolgten nacheinander und abwechselnd auf beiden Augen, so-dafs jede folgende ein weniger dunkeladaptiertes Auge traf. Demnach ist nur der erste Wert, der sich auf ein volladaptiertes Auge bezieht, mafsgebend; aber die folgenden Werte lieferten immerhin ein anschauliches Bild, in welchem Mafse der Blendungswert abnimmt. Adaptiert wurde binokular 3/4 Stunde, und das zweite Auge blieb w\u00e4hrend der Exposition des anderen durch eine Augenklappe verschlossen.\nJede Reihe ist an einem Tage auf genommen.","page":322},{"file":"p0323.txt","language":"de","ocr_de":"\t\t\u00dcber den Blendungsschmerz.\t\t\t323\n\t\tBeobachter F.\t\t\t\nr.\t1.\tr.\t1.\tr.\t1.\nI. 120 \u2014\t\u2014\tII. 100 +\t\u00b1\tIII. 120 A\t\u2014\n70 -f\t\u2014\t100 +\t\u00b1\t100 \u2014\t\u2014\n50 +\t+\t100 +\t\u00b1\t70 +\t\u00b1\n70 \u00b1\t\u2014\t100 \u2014\t\u2014\t\t\n80 -\t\u2014\t\t\t\t\n50 +\t\u00b1\t\t\t\t\nBeobachter N. (% r.\nL 140 \u2014\n120 \u2014\n80 \u00b1\nAus diesen ja sehr unsicheren Daten kann man entnehmen, dafs die Unlustschwelle bei Dunkeladaptation etwa um das 100fache diejenige bei Helladaptation (Lampenentfernung um das Zehnfache) \u00fcbersteigt. Indessen w\u00e4chst bei mir die Lichtempfindlichkeit, im Schwellenwert gemessen, in der gleichen Zeit um das 1400 fache1. Dies l\u00e4fst, da doch die Unlust direkt mit der Helligkeitsempfindung als solcher verkn\u00fcpft ist, nur die eine Erkl\u00e4rung zu, dafs die Adaptationszunahme am Schwellenwert bedeutender ist als bei den h\u00f6heren Lichtintensit\u00e4ten. Ich hatte bei meinen Beobachtungen den Eindruck, dafs dies sich wirklich so verh\u00e4lt. Interessant ist auch, dafs die Blendungswerte des linken, regelm\u00e4fsig unmittelbar nach dem rechten exponierten Auges durchwegs h\u00f6here Lichtintensit\u00e4ten darstellen als die Biendungs werte des rechten, obwohl der Adaptationszustand des linken Auges im Momente der Exposition dem des rechten genau glich. Dafs dies nicht auf verschiedene Empfindlichkeit beider Augen zur\u00fcckzuf\u00fchren ist, wurde durch Kontrollversuche in umgekehrter Reihenfolge festgestellt. Der vorangegangene Lichteindruck des rechten Auges wirkt also auf den folgenden des linken nach. Der Lichteindruck wird weniger unangenehm empfunden, wenn auf dem anderen Auge ein Lichteindruck vorhergegangen ist.\nStunde dunkeladaptiert, sonst wie oben).\n1.\nr.\t1.\nII. 90 4\u201c\t\u2014\n1 cf. die Angabe bei Pipek \u201e\u00dcber Dunkeladaptation\u201c Zeitschr. f, Psychol. 31, S. 190.","page":323},{"file":"p0324.txt","language":"de","ocr_de":"324\nHugo F Glichen feld.\nSchmerz durch Blendung.\nWas wir von dem Schmerz im allgemeinen gesagt haben, dafs er eine k\u00f6rperliche Empfindung ist, deren Ursprung nie \u00fcber die Grenze des eigenen K\u00f6rpers hinaus (objektiviert), aber regelm\u00e4fsig an den Ausgangspunkt der Schmerzleitung, also meist an die Grenze des K\u00f6rpers verlegt (exzentriert) wdrd, das trifft auch f\u00fcr das Auge zu. Ich empfinde den Blendungsschmerz regelm\u00e4fsig im Auge selbst, stets nur in dem exponierten, keine Spur in dem anderen. Eine n\u00e4here Beschreibung der Schmerzqualit\u00e4t ist unm\u00f6glich, wie ja \u00fcberhaupt eine elementare Empfindung sich nicht beschreiben l\u00e4fst; sonst w\u00e4re die Empfindung nicht elementar. Wenn man Schmerzen als bohrend, pochend, schneidend, brennend bezeichnet hat, so beziehen sich diese Eigenschaften nur auf die r\u00e4umliche oder zeitliche Ausdehnung des Schmerzes oder etwaige sinnliche Begleiterscheinungen. In diesem Sinne kann ich meinen Blendungsschmerz zuckend nennen. Als zuckend bezeichnet man Schmerzen, die nicht allm\u00e4hlich, sondern momentan ihre H\u00f6he erreichen und von sehr kurzer Dauer sind. Der Blendungsschmerz erscheint im Moment der Lichtexposition und verliert sich im allgemeinen bald, auch wenn die Lichtexposition andauert. Bei Lichtexpositionen von gr\u00f6fserer Intensit\u00e4t und gr\u00f6fserer Fl\u00e4chenausdehnung dauert eine stechende Empfindung im Auge fort. Jedoch gibt es noch ein zweites Stadium des Blendungsschmerzes, welches unmittelbar nach der Lichtexposition oder, wenn diese l\u00e4nger dauert, w\u00e4hrend derselben einsetzt, l\u00e4ngere Zeit anh\u00e4lt und in der Tiefe des Auges wahrgenommen wird. Wir bezeichnen diesen Schmerz als dumpf, da man hierdurch die ungenaue Lokalisation des Schmerzes auszudr\u00fccken pflegt.\nIndividuelle Differenzen.\nDer Schmerz ist zwar ein universelles Sympton, doch ist die Disposition f\u00fcr denselben verschieden, und es bedarf sehr verschieden starker Lichter, um ihn auszul\u00f6sen. Zur Motivierung dieser individuellen Differenzen kommen zun\u00e4chst die sehr h\u00e4ufigen pathologischen Ver\u00e4nderungen am \u00e4ufseren Augenabschnitt in Betracht, die an sich sehr gering sein k\u00f6nnen, aber doch die Empfindlichkeit gegen Licht erh\u00f6hen. Hier w\u00fcrde es sich also schon um pathologischen Blendungsschmerz handeln.","page":324},{"file":"p0325.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber den Blendungsschmerz.\t325\nNicht in diesem engeren Sinne pathologisch sind dagegen F\u00e4lle starker Blendung, die in der psychischen Disposition begr\u00fcndet sind. Mooren erz\u00e4hlt von einer S\u00fcdamerikanerin, die nicht den Glanz eines fremden Auges ertragen konnte. Albinotischer Fundus und wenig pigmentierte Iris scheinen ebenfalls den Blendungsschmerz zu erh\u00f6hen. Einige besonders ausgesprochene F\u00e4lle betrafen solche Individuen. Doch kann man nicht sagen, dafs die Photophobie in der Regel im umgekehrten Verh\u00e4ltnis zum Pigmentreichtum steht. Jugendliche Individuen sind dem physiologischen Blendungsschmerz in h\u00f6herem Mafse ausgesetzt als alte.1 Mit der verschiedenen Disposition h\u00e4ngt auch die sehr verschiedene Empfindlichkeit derselben Individuen zu verschiedenen Zeiten zusammen. Auch in bezug auf seine Erscheinungsform zeigt der Blendungsschmerz individuelle Differenzen. Die Lokalisation ist oft unbestimmter als bei mir. Indessen geben doch fast alle mit Bestimmtheit an, dafs sie den Schmerz im exponierten Auge und nur in diesem haben. In manchen F\u00e4llen wird der Schmerz in der kn\u00f6chernen Umgebung des Auges empfunden, viel seltener in der Stirn, in der Mitte zwischen beiden Augen. In zwei F\u00e4llen wurden Schmerzen in beiden Augen \u2014 also auch in dem nicht exponierten angegeben. Dabei ist das erste und das zweite Stadium des Schmerzes individuell verschieden entwickelt, manche geben nur das erste, manche nur das zweite Stadium an. Da so der Schmerz selbst aus verschiedenen, nicht immer in gleicher St\u00e4rke hervortretenden Teilen zusammengesetzt ist, da die verschiedensten psychischen Faktoren auf seine St\u00e4rke von Einflufs sind und individuelle Differenzen ebenfalls eine grofse Rolle spielen, konnte ich mir von dem urspr\u00fcnglichen Plan, den Blendungsschmerz bei den verschiedenen Erscheinungsformen des Lichtes messend zu verfolgen, und so \u00fcber das Wesen desselben Aufschlufs zu erlangen, keinen Erfolg versprechen. Der Einflufs, den die zeitliche und \u00f6rtliche Ausdehnung des Lichtreizes etwa haben k\u00f6nnten, konnte gegen\u00fcber den mannigfachen konkurrierenden Momenten nur an den extremen Gegens\u00e4tzen deutlich werden. Auch war es notwendig, die Versuche an Individuen mit ausgesprochenem Blendungsschmerz anzustellen.\n1 Diese Beobachtung findet sich auch in Vischebs, an einer F\u00fclle, dem Alltagsleben entnommener Beobachtungen reichem Roman \u201eAuch Einer\u201c.","page":325},{"file":"p0326.txt","language":"de","ocr_de":"326\nHugo Feilchenfeld.\nEinflufs der Expositionsdauer.\nExpositionen von verschieden langer Dauer wurden durch eine grofse, vor dem Reizlicht rotierende Pappscheibe bewirkt, welche durch einen Motor mit variierbarer Geschwindigkeit getrieben wurde und deren Sektor\u00f6ffnung ebenfalls regulierbar war. Es zeigt sich, dafs eine gewisse Mindestdauer notwendig ist, um Blendungsschmerz zu erzeugen. Auch Lichter von h\u00f6chster Intensit\u00e4t erzeugen keinen Blendungsschmerz, wenn sie nur momentan exponiert werden. Je st\u00e4rker freilich das Licht ist, eine um so geringere Reizdauer ist n\u00f6tig. Bei diesen Momentanexpositionen kann man recht deutlich die Unlust von dem eigentlichen Schmerz unterscheiden ; denn die Unlust ist bei Momentanexpositionen besonders ausgesprochen. Der Blitz macht starke Unlust, aber bei mir niemals Schmerz. Die Notwendigkeit einer gewissen Dauer hat der Blendungsschmerz mit allen \u00fcbrigen Schmerzen gemein. Selbst dem qu\u00e4lendsten Kopfschmerz liegt eine an sich so geringgradige Empfindung zugrunde, dafs er, auf die Dauer einer Sekunde beschr\u00e4nkt, kaum Beachtung finden w\u00fcrde. Um so auffallender k\u00f6nnte das Nachlassen des Blendungsschmerzes bei l\u00e4ngerer Reizdauer erscheinen, wenn nicht auch die Intensit\u00e4t der Lichtempfindung infolge des Ausgleiches der Adaptation so schnell abn\u00e4hme. Man kann also hieraus nicht eine Sonderstellung des Blendungsschmerzes ableiten. Deutlicher wurde jedoch der Einflufs der Expositionsdauer, wenn der Reiz nicht kontinuierlich, sondern in Intervallen geboten wurde. Es gelang bei einer gen\u00fcgend grofsen Zahl von Wiederholungen unterschmerzlicher Lichtreize Blendungsschmerz hervorzurufen. Der Blendungsschmerz war sogar in diesem Falle so ausgesprochen, dafs man ein einigermafsen gesetzm\u00e4fsiges Verhalten zahlenm\u00e4fsig feststellen konnte. Hierzu wurde die rotierende Scheibe ohne Sperrvorrichtung benutzt. Durch Wiedererscheinen des durchsichtigen Sektors wurde der Reiz so oft wiederholt, bis ein typischer Blendungsschmerz erfolgte.\nDr. F., Beobachter (mittlere Adaptation):","page":326},{"file":"p0327.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Blendungsschmerz.\t327 Zahl der Reize, die notwendig sind, Lampenabstand\tum Blendungsschmerz hervorzurufen\t\t\n150\tcm\t> 60\n100\tn\t> 60\n60\t11\t60\n40\tii\t34\n50\tii\t60\n42\t11\t54\n30\tii\t8\n35\tii\t19\n32\tH\t10\n37\tii\t11\nAlso bei den sehr schwachen Lichtintensit\u00e4ten konnte man selbst durch 60, demnach wohl \u00fcberhaupt nicht durch noch so viele Wiederholungen Schmerz hervorrufen. Dagegen bei den mittleren, an sich weit unterschmerzlichen Reizen kann durch hinreichend h\u00e4ufige Wiederholung Schmerz erzeugt werden. Um so weniger Wiederholungen sind notwendig, je intensiver der Reiz ist.\nEinflufs der Fl\u00e4chengr\u00f6fse.\nWir benutzten eine Reihe in eine Irisblende eingelassener Mattglasscheiben. Vorsorge mufs man f\u00fcr hinreichende Zerstreuung des Lichtes treffen, damit nicht ein hellerer zentraler Ring in einem dunklen Hofe entsteht. Um trotzdem starke Lichtintensit\u00e4ten zu erhalten, mufs man starke Lichtquellen w\u00e4hlen. Man kann feststellen, dafs grofse Fl\u00e4chen geringere Lichtintensit\u00e4ten erfordern, um Schmerz zu erzeugen und bei hinreichender Verkleinerung der Fl\u00e4che selbst st\u00e4rkste Intensit\u00e4ten schmerzlos ertragen werden. Am deutlichsten wird dieses Gesetz an m\u00f6glichst extremen Gegens\u00e4tzen. Man mache sich mit dem Locheisen ein 2 mm grofses Loch in einen grofsen schwarzen Karton und halte diesen vor das parallele Strahlenb\u00fcndel, welches die Bogenlampe aussendet, so dafs nur durch das Loch Strahlen hindurchdringen. Man kann so bei dieser ungew\u00f6hnlich starken Lichtquelle jeden Blendungsschmerz ausschliefsen. Blickt man andererseits gegen den grauen, ganz bedeckten Wolkenhimmel, dessen Lichtintensit\u00e4t ziemlich gering ist, so erh\u00e4lt man intensiven Blendungsschmerz.","page":327},{"file":"p0328.txt","language":"de","ocr_de":"328\nHugo Feilchenfeld.\nMonokulare und binokulare Reizung.\nEine Vergr\u00f6fserung der Reizfl\u00e4che bedeutet es auch, wenn man von der monokularen zur binokularen Reizung \u00fcbergeht. Die binokulare Reizung ergibt gegen\u00fcber der monokularen ein erhebliches \u00dcbergewicht der Schmerzvalenz. Auch dies weist auf eine Zunahme des Schmerzes bei Vergr\u00f6fserung der gereizten Netzhautfl\u00e4che hin. Doch bedingt die binokulare Reizung gegen\u00fcber der monokularen einen wesentlich gr\u00f6fseren SchmerzzuwTachs als die Verdoppelung einer monokularen Reizfl\u00e4che. Eine solche Verdoppelung bewirkt man, indem man den Radius der Irisblende um das }/2fache seiner L\u00e4nge, also nahezu das 1,5fache ver-gr\u00f6fsert. Es kommt aber auf Feinheiten bei diesem Versuch nicht an. Man kann den Radius 4fach, also die Reizfl\u00e4che 16fach w\u00e4hlen, und der 16 fache Reiz ist monokular weniger schmerzhaft als der einfache binokular.1 Hieraus kann man den Schlufs ziehen, dafs die zentralen Reize gr\u00f6fsere Schmerz valenz haben als die peripheren: Das Hinzuf\u00fcgen eines kleinen zentralen Reizes auf dem anderen Auge ist ausschlaggebender als das Hinzuf\u00fcgen eines grofsen peripheren Reizes auf demselben Auge.\nZentraler und peripherer Reiz.\nDiese Annahme l\u00e4fst sich durch das Experiment direkt erh\u00e4rten, indem man kleine zentrale Reize mit parazentralen und peripheren vergleicht. Der Schmerz nimmt nach der Peripherie hin sehr schnell ab. Merkw\u00fcrdigerweise scheint dies selbst f\u00fcr das dunkeladaptierte Auge, wenn auch nicht in demselben Grade zuzutreffen. Bei der schnellen Abnahme der Adaptation ist es hier zwar schwierig, genaue Vergleiche zwischen peripheren und zentralen Reizen vorzunehmen. Immerhin ist sicher, dafs die Schmerzvalenz des Lichtreizes auch f\u00fcr das Dunkelauge nach der Peripherie abnimmt, w\u00e4hrend die Helligkeitsvalenz zunimmt. Noch schlagender l\u00e4fst sich die vorwiegende Beteiligung des Netzhautzentrums an der Blendung beweisen, wenn man von einer stark \u00fcberschmerzlichen Lichtquelle das Zentrum abblendet, indem man durch Aufkleben eines runden St\u00fcckes lichtundurchl\u00e4ssigen Stoffes auf die Aufsenseite der Glaslinse ein entsprechendes\n1 Hierauf beruht die Gewohnheit, im blendenden Licht ein Auge zu zukneifen. Die Sehdeutlichkeit wird dadurch fast gar nicht, der Blendungsschmerz erheblich herabgesetzt.","page":328},{"file":"p0329.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\n\u00fcber den Blmdungsschmerz.\n329\nzentrales St\u00fcck aus dem parallelen Strahlenb\u00fcndel des Bogenlichtes ausschaltet. Man kann so den Schmerz ganz beseitigen. \u00c4hnlich kann man bei dem Blick in den Wolkenhimmel durch fortgesetzte Ann\u00e4herung eines runden schwarzen Pappkartons an das fixierende Auge einen immer gr\u00f6fseren Teil der Netzhautzentren abblenden.\nDisparate Beize.\nDurch Schielen gelingt es nicht, den binokularen Reiz auf disparate Netzhautstellen zu bringen, weil das blendende Licht im Augenblick, wo es erscheint, mit Gewalt die Augen zur zentralen Fixation zwingt. Dagegen kann man durch Prismen sich bequem Doppelbilder verschaffen, am besten h\u00f6hendistante, da diese sehr nahe liegen k\u00f6nnen, ohne der Fusion zu verfallen. Immerhin werden auf diese Weise parazentrale Netzhautstellen exponiert, die, wie wir sahen, in verringertem Mafse schmerzempfindlich sind. Man kann also zum Vergleich nur solche, auf korrespondierende Stellen fallenden Reize heranziehen, die ebenfalls parazentral wirken, also bei etwas seitlicher Fixation erzielte. Es ergibt sich dann: Der Blendungsschmerz ist gleich grofs, wenn disparate oder wenn korrespondierende Stellen getroffen werden und \u00fcbertrifft in jedem Falle erheblich den monokularen Schmerz. Dasselbe Gesetz gilt auch, wenn man den beiden disparaten Reizen verschiedene Helligkeit gibt, indem man entweder vor das eine Auge ein Rauchglas h\u00e4lt oder indem man ein Auge dunkel-, das andere helladaptiert. Auch dann erfolgt keine gegenseitige Hemmung der Schmerzempfindungen, sondern eine Summation ; der Schmerz nimmt zu, wenn man das zweite Auge frei gibt. Dies ist selbstverst\u00e4ndlich, wenn das zweite Auge den st\u00e4rkeren disparaten Reiz erh\u00e4lt. Es trifft aber auch dann zu, wenn das zweite Auge den schw\u00e4cheren Reiz erh\u00e4lt.\nDer paradoxe Versuch.\nWir haben bisher den Blendungsversuch ausgef\u00fchrt, wenn korrespondierenden Netzhautstellen gleich starke Lichteindr\u00fccke geboten wurden (einfacher binokularer Versuch), wenn disparaten Netzhautstellen gleich starke, und wenn ihnen verschieden starke Lichteindr\u00fccke geboten wurden. Wir wollen jetzt den Blendungs-Schmerz untersuchen, wenn korrespondierende Stellen verschieden","page":329},{"file":"p0330.txt","language":"de","ocr_de":"330\nHugo Feilchenfeld.\nstarke Lichteindr\u00fccke erhalten. Dies ist der Fall bei dem sog. FECHNEKschen paradoxen Versuch.1 Man blickt mit beiden Augen in ein blendendes Licht, h\u00e4lt aber vor ein Auge ein Rauchglas. Dadurch erscheint das Licht dunkler. Schliefst man nun das mit dem Rauchglase bewaffnete Auge vom Sehakt ganz aus, so erscheint das Licht wieder heller, fast so hell wie vorher, als es mit beiden Augen ohne Rauchglas betrachtet wurde. Hier bewirkt also Fortnahme von objektivem Licht subjektive Erhellung. Entfernt man wiederum die deckende Hand von dem mit Rauchglas bewaffneten Auge, so tritt Verdunklung ein. Hinzuf\u00fcgen von objektivem Licht bewirkt subjektive Verdunklung. Nach den bisher bei korrespondierenden gleich starken und bei disparaten ungleich starken Reizen festgestellten Befunden konnte man erwarten, dafs sich bei diesem Versuch die Schmerzempfindung anders verhalten w\u00fcrde als die Lichtempfindung, dafs Hinzuf\u00fcgen von objektivem Licht auch subjektive Erhellung bewirken w\u00fcrde. Das ist auch wirklich der Fall, und wir haben so das interessante Ph\u00e4nomen, dafs in dem Moment, in dem die deckende Hand das mit Rauchglas bewaffnete Auge freigibt, die Lichtempfindung abnimmt, die Schmerzempfindung zunimmt.\nDunkeladaptation.\nWir hatten bereits festgestellt, dafs Unlustgef\u00fchle bei Dunkeladaptation erst durch viel st\u00e4rkere Lichtintensit\u00e4ten bewirkt werden, als wir nach den Ergebnissen bei Helladaptation voraussetzen konnten. Dies liefs sich nur darauf zur\u00fcckf\u00fchren, dafs die Lichtempfindlichkeit durch Dunkeladaptation bei den h\u00f6heren Lichtintensit\u00e4ten \u00fcberhaupt nicht in demselben Grade zunimmt, wie es am Schwellenwert der Fall ist. Ein \u00e4hnliches Resultat wie die Pr\u00fcfung des Unlustgef\u00fchls gibt auch die Pr\u00fcfung der Schmerzempfindung. Man sollte erwarten, dafs wenn im helladaptierten Auge 100 Mk Blendungsschmerz bewirken, im dunkeladaptierten schon 0,1 Mk hierzu ausreichen mufsten. Es ist aber 1 Mk hierzu notwendig. Diese Zahlen sind nicht genau zu nehmen, da, wie wir sahen, im Gegensatz zu der ziemlich stabilen Lage des Unlustgef\u00fchls, die Schmerzschwelle sehr schwankend ist. Sie geben jedoch ein ungef\u00e4hres Bild der Ver-\n1 Fechner: \u00dcber einige Verh\u00e4ltnisse des binokularen Sehens. Kgl. s\u00e4chs. Gesellschaft d. Wissenschaften, Mathem.-physikal. Klasse Bd. V. 1861.","page":330},{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"Uber den BlendimgsscJimerz.\n331\nh\u00e4ltnisse. Man kann ans denselben also nicht den Schlufs ziehen auf eine Disharmonie zwischen Licht- und Schmerzempfindung, wie uns dieselbe bei den vorigen V ersuchsanordnungen entgegengetreten ist. Bemerkenswert ist dagegen, dafs auch die Schmerzempfindlichkeit durch Dunkeladaptation zunimmt; ob in demselben Grade wie die Lichtempfindlichkeit oder in geringerem, lassen wir dahingestellt, da unsere Versuche f\u00fcr zahlenm\u00e4fsige Vergleiche keine Unterlage bieten. Dafs die Schmerzempfindlichkeit durch Dunkeladaptation jedenfalls in hohem Grade zunimmt, ist eine handgreifliche Tatsache, die man sich auch an groben Versuchen leicht deutlich machen kann, z. B. indem man nachts bei gelegentlichem Erwachen ein Streichholz ansteckt, wodurch ein Blendungsschmerz h\u00f6chsten Grades erzeugt wird.\nFarbige Lichter.\nFarbiges Licht von betr\u00e4chtlicher Intensit\u00e4t k\u00f6nnen wir im allgemeinen nur erhalten, indem wir vor die Lichtquelle farbige Medien (Fl\u00fcssigkeiten oder Glas) bringen. Dadurch wird die Lichtintensit\u00e4t und somit auch der Blendungswert immerhin erheblich herabgesetzt. Diese Schwierigkeit erh\u00f6ht sich f\u00fcr Rot dadurch, dafs seine Intensit\u00e4t bei Dunkeladaptation nur wenig zunimmt und man sich so auch auf diese Weise keinen intensiven Eindruck verschaffen kann. Dies ist wohl der Grund, weshalb ich \u00fcberhaupt bei Rot keinen deutlichen Blendungsschmerz erhalten habe. Intensiv blaue Lichter kann man ohne Ewischenf\u00fcgung farbiger Gl\u00e4ser erhalten. Die Quecksilberlampe gew\u00e4hrt ein solches. Man bekommt so einen intensiven Blendungsschmerz. Ob ein blaues Licht lebhafteren, ein rotes geringeren Blendungsschmerz ausl\u00f6st als ein gleich hell empfundenes weifses, oder umgekehrt, dar\u00fcber l\u00e4fst sich schwer ein Urteil abgeben. Hinzu kommt die Gef\u00fchlsbetonung gerade der farbigen Lichter, die das Urteil \u00fcber die Schmerzempfindung als solche irref\u00fchrt. Diese Gef\u00fchlsbetonung, die bei manchen Tieren (Stier, Truthahn) eine bekannte Rolle spielt und auch in der menschlichen Irrenpflege Verwendung findet (aufreizende Wirkung des Rot, beruhigende des Blau auf Maniakalische) hat wohl auch Blessio 1 veranlafst, dem Rot eine gr\u00f6fsere Schmerzvalenz zuzuschreiben als dem Blau.\n1 Blessig, Petersburg. Med. Wochenschr. 1906, Nr. 86. Dafs man Rot \u201ebrennend\u201c nennt, wenn es allzu hell und ges\u00e4ttigt auftritt, r\u00fchrt wohl Zeitschr. f. Sinnesphysiol. 42.\t23","page":331},{"file":"p0332.txt","language":"de","ocr_de":"332\nHugo Feilchenfeld.\nDer pathologische Blendungsschmerz.\nMan kann drei Gruppen unterscheiden : den funktionellen, den retinalen, den peripheren Blendungsschmerz. Funktionell nenne ich denjenigen, der bei funktionellen Neurosen auftritt, bei Hysterie, Neurasthenie, traumatischer Neurose. Die Hyperalgesie ist oft bedeutend. Freilich bleibt unentschieden, wie weit die Schmerzempfindung an sich gesteigert ist, wie weit das mit derselben verbundene Unlustgef\u00fchl. Bei einer hysterischen Dame, die dem Blendungsschmerz in hohem Mafse ausgesetzt ist, habe ich festgestellt, dafs nicht nur bei wirklich blendenden Lichtern der Schmerz heftiger als von Normalen geschildert wird, was man allein auf das Gef\u00fchlsmoment der Schmerzempfindung zur\u00fcckf\u00fchren k\u00f6nnte, sondern dafs auch die Schmerz sch welle herabgesetzt ist. Schon der Blick in die Flamme einer Petroleumlampe erzeugte Schmerz, nicht nur ein Unlustgef\u00fchl. Wenn nun Schmerz schon in F\u00e4llen erzeugt wird, wo er bei Normalen noch nicht vorhanden ist, so l\u00e4fst sich daraus der Schlufs ziehen, dafs nicht nur das mit einer gegebenen Schmerzempfindung verbundene Unlustgef\u00fchl vermehrt, sondern dafs auch die Schmerzempfindlichkeit selbst erh\u00f6ht ist. Hierher geh\u00f6rt auch die Lichthyperalgesie der Onanisten. Einen \u00dcbergang zur folgenden Gruppe bildet wohl bereits die Lichthyperalgesie bei Schwerkranken, Rekonvaleszenten, An\u00e4mischen. Diese Hyperalgesie mag zum Teil auch auf funktioneller Basis beruhen, zum Teil ist sie wohl als eine retinale* 1 aufzufassen.\nAls eigentlich retinale Hyperalgesie bezeichne ich n\u00e4mlich diejenige, die bei Fehlen sonstiger funktioneller oder k\u00f6rperlicher St\u00f6rungen auftritt als einziges Symptom. Sie scheint auf einer herabgesetzten Energie der chemischen Umsetzung der Sehstoffe zu beruhen. Man findet sie bei Leuten, die fortgesetzt mit hellen Gegenst\u00e4nden zu tun haben, Gold-, M arm or arb eitern, Weifsstickerinnen, auch Schreibern, die dauernd auf das weifse\nnicht, wie der Antor annimmt, von dessen Schmerzvalens, sondern nur von der \u00c4hnlichkeit her, welche die Farbe unter diesen Umst\u00e4nden mit dem Feuer hat.\n1 Auch Blessig (a. a. 0.) spricht von retinaler \u201eBlendung , hat aber etwas anderes dabei im Sinne als ich, nicht etwas Subjektives, sondern die objektiv zerst\u00f6rende Eigenschaft des Lichtes, insbesondere des blauen, auf die Netzhaut, welche er gerade der weniger sch\u00e4dlichen aber seiner Meinung nach mehr schmerzenden Wirkung des Rot gegen\u00fcberstellt.","page":332},{"file":"p0333.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber den Blendungsschmerz.\n333\nPapier blicken m\u00fcssen. Eine ungeheuerliche Lichtscheu trat nach wochenlangen photographischen Aufnahmen im hellen Sonnenschein auf. Patient konnte noch nach 7 Whchen nur in einem absolut dunklen Raume sich aufhalten. Noch nach IV2 Jahren bestand Empfindlichkeit gegen helle Beleuchtung.1 Diese retinale Hyperalgesie hat mit Asthenopie nichts zu tun und ist leicht von ihr zu unterscheiden. W\u00e4hrend Asthenopen im D\u00e4mmerungssehen am meisten klagen, f\u00fchlen sich unsere Patienten bei demselben sehr wohl, obwohl die Sehdeutlichkeit doch gerade dann verringert ist. Dementsprechend bed\u00fcrfen sie auch nicht prismatischer oder korrigierender Gl\u00e4ser, sondern rauchgrauer Schutzbrillen. Nat\u00fcrlich kann aber die Hyperalgesie mit Asthenopie verkn\u00fcpft sein und eine allgemeine Ern\u00e4hrungsst\u00f6rung z. B. zu einer Kombination f\u00fchren von funktioneller, retinaler Hyperalgesie und Asthenopie.\nVon der genannten Form der retinalen Hyperalgesie ist die entz\u00fcndliche Form zu unterscheiden. Bei den meisten Netzhautentz\u00fcndungen finden wir freilich keine Hyperalgesie gegen Licht. Insbesondere fehlt sie auch regelm\u00e4fsig bei jenen frischen zentralen Entz\u00fcndungen, die sich in myopischen aber auch in sonst normalen Augen ausbilden und in Metamorphopien, positiven oder negativen Skotomen zum Ausdruck kommen, obwohl doch gerade das Zentrum, welches, wie wir sahen, durch Schmerzempfindlichkeit gegen Licht ausgezeichnet ist, auch im Erkrankungsfalle eine Hyperalgesie gegen Licht am ehesten erwarten liefse. Dem stehen andere seltenere F\u00e4lle von reiner Retinitis, deren Entstehungsursache verschieden ist (Syphilis, Nephritis, Diabetes), gegen\u00fcber mit einer zuweilen ganz intensiven Hyperalgesie. Es scheinen besonders die diffusen, grau-weifsen \u00f6demat\u00f6sen Netzhauttr\u00fcbungen zu sein, welche durch eine solche Photophobie ausgezeichnet sind.\nDie periphere Form des pathologischen Blendungsschmerzes findet sich bei den Entz\u00fcndungen des vorderen Augenabschnittes, Konjunktiva, Kornea, Iris. Sie ist die bekannteste Form des Blendungsschmerzes, mit welcher der praktische Augenarzt am h\u00e4ufigsten zu tun hat. Kinder fl\u00fcchten sich in die dunkle Ecke, und selbst bei den Erwachsenen kann\n1 Charles Steele, \u00e0 severe case of retin. hyperaesth. from prolonged exposure to strong light. Edinburgh Med. Journ. 1897.\n23*","page":333},{"file":"p0334.txt","language":"de","ocr_de":"334\nHugo Feilchenfeld.\nman nur mit M\u00fche die seitliche Beleuchtung vornehmen. Auch hier zeigen aber verwandte Erkrankungsformen eine sehr ver-schiedengradige Hyperalgesie. Ein Hornhautinfiltrat ist das eine Mal mit starker Lichtscheu verbunden, das andere Mal findet sich keine Lichtscheu. Ebenso steht es mit den Iritiden. Hervorzuheben ist, dafs zwischen dem Grade der Lichthyperalgesie und dem der Druckhyperalgesie bei diesen Erkrankungen keine \u00dcbereinstimmung besteht. Bei der Konjunktiva und Keratitis ist das selbstverst\u00e4ndlich, da bei diesen Leiden eine nennenswerte Druckhyperalgesie \u00fcberhaupt nicht besteht, wie sie ja auch keinen Spontanschmerz aufweisen. Bei Iritiden ist Druckhyperalgesie die Regel, in schweren F\u00e4llen auch Spontanschmerz vorhanden. Aber in F\u00e4llen, in denen die Lichthyperalgesie gering ist, kann die Druckhyperalgesie stark sein und umgekehrt.\nEinwirkung von Medikamenten.\nAn\u00e4sthesierung der Bulbusoberfl\u00e4che ist ohne Ein-flufs auf den physiologischen Blendungsschmerz. Ich habe Kokain, Alypin, Eucain, Holocain ben\u00fctzt und die Versuche erst begonnen, wenn die An\u00e4sthesie solchen Grad erreicht hatte, dafs Nadelstiche auf der Kornea nicht empfunden wurden. Diese Mittel erh\u00f6hen nur den Blendungsschmerz, soweit sie gleichzeitig mehr oder weniger pupillenerweiternd wirken, was man wiederum durch stenop\u00e4ische L\u00f6cher oder durch gleichzeitige Instillation von Mioticis ausgleichen kann. Nach Krause1 br\u00e4chte zwar Exstirpation des Ganglion Gasseri den Blendungsschmerz auf der operierten Seite zum Erl\u00f6schen. Doch nimmt Krause selbst nicht an, dafs dies auf der An\u00e4sthesie der Bulbusoberfl\u00e4che beruhe. Vielmehr f\u00fchrt ihn sein Symptom zu der Voraussetzung, dafs die Netzhaut mit besonderen sensiblen Fasern ausgestattet sei, welche ihr vom Trigeminus in der Bahn der Ciliarnerven zugef\u00fchrt w\u00fcrden. So w\u00fcrde Krauses Beobachtung, wie sie von ihm selbst gedeutet wird, unserer Beobachtung nicht widersprechen, da jene retinalen Ciliarfasern von den oberfl\u00e4chlich wirkenden Anaestheticis offenbar nicht erreicht werden. Ich habe aber an anderer Stelle dargelegt2, dafs die Beobachtung sich wohl nicht auf den Blendungsschmerz als solchen bezieht.\n1\tKrause. Die Neuralgie des Trigeminus. Leipzig 1886.\n2\tFeilchenfeld. Wesen des Sclimerzes. Zeitschr. f. Simiesphysioi. 42, S. 184.","page":334},{"file":"p0335.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fcber den Blendungsschmerz.\n335\nDurch Atropin vermochte ich den Blendungsschmerz bei mir und den von mir Untersuchten nicht zu beseitigen. Vielmehr konnte ich durch Vergleich des atropinisierten mit dem anderen Auge feststellen, dafs ersteres mehr schmerzte. Doch liefs sich diese Differenz durch Vorsetzen stenop\u00e4ischer L\u00f6cher beseitigen. Ebenso blieb Eserin oder Pilocarpin ohne Ein-flufs. In der Latenzzeit, d. h. bis die erweiternde oder verengernde Wirkung zustande gekommen ist, sind Atropin und Eserin ohne jeden Einflufs auf den Blendungsschmerz. R\u00f6mer1 hielt gegen\u00fcber Nagel gerade Eserinversuche w\u00e4hrend der Latenzzeit f\u00fcr besonders wichtig, um den Einflufs der Pupillar-reaktion festzustellen. Er behauptete, w\u00e4hrend der Latenzzeit m\u00fcfsten die Lichtreaktionen der Pupille energischer ausfallen, wohl in der Annahme, dafs der Sphinkter w\u00e4hrend dieser Zeit unter einer latenten Spannungstendenz stehe. Ich habe aber festgestellt, dafs diese Voraussetzung irrig ist. Die Pupillar-reaktionen des eserinisierten Auges sind w\u00e4hrend der Latenzzeit weder schw\u00e4cher noch st\u00e4rker als die des anderen Auges.\nDals An\u00e4sthetika den pathologischen Blendungsschmerz lindem oder beseitigen, gilt im allgemeinen als feststehend. Man pflegt, wenn das erkrankte Auge der seitlichen Beleuchtung durch forcierte Anstrengung der Blickheber zu entfliehen sucht und keine \u00dcberredung den Kranken zur richtigen Einstellung des Auges zu veranlassen vermag, Kokain zu geben. In der Tat wdrd das Auge dann ruhiger und der Belichtung eher zug\u00e4nglich. Jedoch ist das nur bei der peripheren Hyperalgesie und auch dann nur in wechselndem Grade der Fall. Bei den ganz oberfl\u00e4chlichen Alterationen, den Erosionen der Kornea, wird die Hyperalgesie durch Kokain zum gr\u00f6fseren Teil, aber nie ganz aufgehoben. Bei Iritis wird sie nur in geringem Grade beeinflufst. Bei jedem lichtscheuen Iritiker kann man folgenden Versuch anstellen: Im Dunkelraum h\u00e4lt er das Auge l\u00e4nger offen als im Hellen, selbst minutenlang. Erhellt man dann den Raum und gibt Kokain, so kann der Patient auch jetzt das Auge l\u00e4nger offen halten als ohne Kokain, aber doch nur recht kurze Zeit. Verdunkelt man nun wieder den Raum, so wird das Auge beliebig lange offen gehalten wie ein\na. a. 0.","page":335},{"file":"p0336.txt","language":"de","ocr_de":"336\nHugo Feilchenfeld.\nnormales. Daraus geht hervor, 1. dafs der pathologische Blendungsschmerz bei Iritis zum gr\u00f6fseren Teil ein wirklicher Blendungsschmerz ist; 2. dafs dieser gr\u00f6lsere Teil, welcher den wirklichen Blendungsschmerz darstellt, durch An\u00e4sthesierung zwar beeinflufst wird, aber nicht erheblich.\nDie funktionelle und die retinale Form der Hyperalgesie werden durch An\u00e4sthetika gar nicht beeinflufst. Ich glaube auch nicht, dafs in der Praxis die Anwendung derselben gegen jene Formen der Photophobie gebr\u00e4uchlich ist. Jedenfalls ist sie aussichtslos.\nAtropin soll den pathologischen Blendungsschmerz herabsetzen. \u201eBei Blepharospasmus beginnen die lichtscheuen Kinder oft und nicht nur bei iritischer Beizung auffallend schnell das lange geschlossene Auge zu \u00f6ffnen.\u201c1 Man kann wohl demgegen\u00fcber hervorheben, dafs phlyct\u00e4nul\u00e4re und keratitische Prozesse, auch wenn eigentlich iritische Reizungen fehlen, mit einer Hyper\u00e4mie der Iris und des perikornealen Gef\u00e4fsnetzes verbunden zu sein pflegen. Darum hat Atropin bei solchen Zust\u00e4nden oft eine therapeutische Wirkung. Dafs dann mit der Schmerzursache \u2014 der Entz\u00fcndung \u2014 der Schmerz nachl\u00e4fst, ist selbstverst\u00e4ndlich. Eine Wirkung des Atropin auf den Schmerz als solchen kann man daraus nicht herleiten. Sonst m\u00fcfste das Atropin auch die Hyperalgesie bei Konjunktivitiden mildern, was nie der Fall ist. Ebenso bleibt bei einem Teil der phlyc-t\u00e4nul\u00e4ren und der oberfl\u00e4chlich keratitischen Prozesse, die mit maximaler Lichtscheu verbunden sind, das Atropin ganz wirkungslos. Wir kommen somit zu dem Resultat, dafs der physiologische Blendungsschmerz durch keines der auf den \u00e4ufseren Augenabschnitt einwirkenden Medikamente \u2014 Atropin, Eserin, An\u00e4sthetika \u2014 beeinflufst wird, dafs die Hyperalgesie gegen Licht, welche bei pathologischen Zust\u00e4nden auftritt und die man als pathologischen Blendungsschmerz bezeichnet hat, ebenfalls von Atropin, Eserin gar nicht beeinflufst wird. An\u00e4sthetika beeinflussen die periphere Hyperalgesie, aber auch diese weniger, als man anzunehmen pflegt.\n1 Axenfeld. Anm. zu Nagels Mitteilung. Klin. Monatsbl\u00e4tter f. Augenheilkunde 1902.","page":336},{"file":"p0337.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Blendungsschmerz.\n337\nZusammenfassung der Tatsachen.\nJede Empfindung kann eine Lust- oder Unlustbetonung haben. Bei Einwirkung des Lichtes auf das Auge k\u00f6nnen zwei verschiedenartige Empfindungen zustande kommen: die Lichtempfindung und die Schmerzempfindung. Jede dieser beiden Empfindungen kann also ihre besondere Lust-Unlustbetonung haben. Freilich ist der Schmerz wohl regelm\u00e4fsig stark unlust betont. Die Licht empfindung dagegen hat eine Lust-Un lu st phase. Es gibt eine mittlere Helligkeit, welche als wohltuend empfunden wird, w\u00e4hrend die Abschw\u00e4chung sowohl wie die Verst\u00e4rkung der Lichtintensit\u00e4t zunehmende Unlust erzeugt. Diese Unlust ist nichts als eine Gef\u00fchlsbetonung der Licht empfindung. Der Schmerz tritt erst bei h\u00f6heren Lichtintensit\u00e4ten auf, ist eine besondere Empfindung, die ihrerseits unlustbetont ist. Als besondere Empfindung nachgewiesen ist er dadurch, dafs er bei verschiedenen Versuchsanordnungen seiner Intensit\u00e4t nach unabh\u00e4ngig ist von der Intensit\u00e4t der Lichtempfindung. Wir haben die Versuchsanordnung variiert nach dem Gesichtspunkt der zeitlichen und der r\u00e4umlichen Ausdehnung des Reizes.\nIn erster Hinsicht ergab sich die wichtige Tatsache, dafs unterschmerzliche Lichtreize bei Wiederholung Blendungsschmerz erzeugen k\u00f6nnen. Da der Lichtreiz bei seiner Wiederholung nicht eine st\u00e4rkere, sondern eine schw\u00e4chere Helligkeitsempfindung ausl\u00f6st, so finden wir hierin eine Unabh\u00e4ngigkeit der Schmerzempfindung von der Lichtempfindung. In zweiter Hinsicht ergab sich, dals der Blendungsschmerz stark w\u00e4chst bei Ausdehnung der Reizfl\u00e4che, die Helligkeitsempfindung bekanntlich unter gleicher Bedingung wenig; dafs der Blendungsschmerz stark w\u00e4chst bei Zentrierung des Reizes (im Vergleich zu einem peripheren), die Helligkeitsempfindung wenig, dafs dies selbst bei Dunkeladaptation, wenn auch in geringerem Grade der Fall zu sein scheint, w\u00e4hrend hier f\u00fcr die Helligkeitsempfindung das umgekehrte Verh\u00e4ltnis besteht ; dafs binokularer Reiz erhebliche Vergr\u00f6fserung des Blendungsschmerzes bewirkt, geringe der Helligkeit.\nDie Unabh\u00e4ngigkeit von Blendungsschmerz und Helligkeit konnte noch an einer anderen Reihe von Versuchen best\u00e4tigt","page":337},{"file":"p0338.txt","language":"de","ocr_de":"338\nHugo Feilchenfeld.\nwerden. Ich habe gemeinsam mit L\u00f6ser1 die \u201eBeeinflussung einer Lichtempfindung durch eine andere gleichzeitige Lichtempfindung\u201c einer Pr\u00fcfung unterzogen. Es galt nun unter denselben Bedingungen die gegenseitige Beeinflussung der Schmerzempfindungen zu pr\u00fcfen. Wie wir schon bei korrespondierenden Beizen (binokular) eine Summierung der Schmerzempfindungen fanden \u2014 im Gegensatz zu der Helligkeitsempfindung \u2014, so fanden wir genau dieselbe Summierung bei disparaten Reizen, w\u00e4hrend disparate Reize in bezug auf ihre Helligkeit sich im Gegenteil hemmen. Dieselbe Summierung der Schmerzempfindungen kam auch bei ungleich starken Reizen zustande, gleich ob sie auf korrespondierende oder auf disparate Stellen trafen. Das trat besonders eindringlich bei dem sogen. FECHNERschen paradoxen Versuche hervor.\nNoch deutlicher w\u00fcrde die gegenseitige Unabh\u00e4ngigkeit beider Empfindungen, wenn es Blendungssehmerz bei e r -loschener Lichtempfindung g\u00e4be. Ich selbst habe einen solchen Fall bisher nicht beobachtet. Doch begegnet man in der Literatur solchen Angaben: Ein seit seiner Jugend total erblindeter Patient erkrankte an einem Hornhautgesehw\u00fcr und konnte seitdem hell und dunkel unterscheiden2 und vermittels einer unangenehmen Empfindung, die er dabei hatte, richtig angeben. Der Blepharospasmus nahm zu, wenn die Lichtquelle verst\u00e4rkt wurde. Ph. v. Walther3 scheint \u00e4hnliche F\u00e4lle beobachtet zu haben. Nach ihm dauert die Photophobie bei manchen Amaurosen, auch wenn sie vollkommen sind, fort ; und die Einwirkung des Lichtes ist \u00e4ufserst schmerzhaft, obwohl der Patient dasselbe von der Dunkelheit nicht zu unterscheiden vermag. Der Einwand, welcher sich gegen solche Beobachtungen machen l\u00e4fst, ist bereits S. 316 hervorgehoben worden. Ist die Beobachtung aber einmal einwandsfrei festgestellt, so w\u00fcrde sie in der Tat ein weiteres und vielleicht das beweiskr\u00e4ftigste Argument sein f\u00fcr die Unabh\u00e4ngigkeit von Blendungsschmerz und Lichtempfindung.\nUnter pathologischem Schmerz verstanden wir die Hyperalgesie, welche sich in ihrem h\u00f6chsten Grade zum\n1\tFeilchenfeld und L\u00f6ser, v. Gr\u00e4fes Arch. f. Ophthalm. 40, S. 97.\n2\tAnnals of Oplith. and Otol. 1895. (Zentralbl. f. Augenheilk. 1895.)\n3\tJourn. f. Chirurgie u. Augenheilk. 30, S. 860.","page":338},{"file":"p0339.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Blendungsschmerz.\n339\nSpontan schmerz steigert, so dafs es dann gar keines Aufsenreizes mehr bedarf. Wir erkl\u00e4rten uns das Ph\u00e4nomen so, dafs der Entz\u00fcndungszustand eine Druckwirkung auf die Schmerznerven aus\u00fcbt, welcher den sonst zur Schmerzausl\u00f6sung notwendigen starken Aufsenreiz ersetzt. Damit ist der Spontanschmerz und auch die Hyperalgesie als gesteigerter Ber\u00fchrungs-(Kompressions-) schmerz gekennzeichnet. Wir werden also auf dem Gebiete des nicht durch einen Ber\u00fchrungsreiz, sondern durch einen Fernreiz bedingten Blendungsschmerzes nicht ebenfalls ohne weiteres eine Hyperalgesie voraussetzen k\u00f6nnen. Undenkbar ist nat\u00fcrlich hier der Sp ont an schmerz, da der Blendungsschmerz erst durch die ihn ausl\u00f6sende Ursache \u2014 den Lichtreiz \u2014 als solcher charakterisiert wird. Der Spontanschmerz dagegen ist als Ber\u00fchrungs schmerz charakterisiert, bei ihm ist eine von a u f s e n \u2014 aufserhalb des K\u00f6rpers \u2014 kommende Ursache undenkbar. Sobald das Licht Ursache des Schmerzes ist, ist damit der Schmerz nicht mehr spontan. Der Licht h y peralgesie sind wir dagegen in der Tat in drei verschiedenen Formen begegnet. Unter diesen bedarf die funktionelle Hyperalgesie keiner weiteren Erl\u00e4uterung. Die Intensit\u00e4t der Empfindungen insbesondere der Schmerzempfindung kann je nach dem Zustande des Bewufstseins schon bei dem psychisch Normalen sowohl eine Herabsetzung als eine Steigerung erfahren. Die hysterische Ver\u00e4nderung besteht nun gerade darin, dafs die \u201egesetzm\u00e4fsigen Wechselbeziehungen zwischen der psychischen und materiellen Reihe gest\u00f6rt sind und zwar in der doppelten Richtung, dafs 1. f\u00fcr bestimmte Reihen materieller Rindenerregungen die psychischen Parallelprozesse ausfallen oder schwach erweckt werden, 2. einer materiellen Rindenerregung ein \u00dcbermafs psychischer Leistung entspricht\u201c.1 Es ist also nur die allgemeine Erscheinung, dafs Empfindungen, speziell die Schmerzempfindung bei funktionellen St\u00f6rungen gesteigert sein k\u00f6nnen, welcher sich der Blendungsschmerz anschliefst. Man kann demnach auch aus der funktionellen Lieht-hyperalgesie keinen Schlufs ziehen auf Ort und Ursache des Blendungsschmerzes. Eher liefse sich die durch lokale Ursachen bedingte Lichthyperalgesie \u2014 die periphere und die retinale zu solchen Schlufsfolgerungen verwerten. Es liegt n\u00e4mlich der Gedanke nahe, dafs diejenigen Organ teile, deren Erkrankung Licht\n1 Binswanger. Hysterie. Nothnagels Handbuch XII 1.","page":339},{"file":"p0340.txt","language":"de","ocr_de":"340\nHugo Fetlchenfeld.\nbyperalgesie bedingt, auch an dem Zustandekommen des Blen-dungssclnnerzes beteiligt sind, also einerseits der vordere Augenabschnitt, andererseits die Netzhaut. Die sensiblen Fasern des vorderen \u2014 ja in erster Linie vom Licht getroffenen \u2014 Augenabschnittes (Konjunktiva, Kornea, Iris) k\u00f6nnten schmerzempfindlich gegen Licht sein. Diese Annahme, dafs solche Organteile des Auges den Lichtschmerz vermitteln, welche mit der Helligkeitsempfindung nichts zu tun haben, wird gest\u00fctzt durch unsere Versuchsresultate, die nach so vielen Richtungen den Blendungsschmerz von der Lichtempfindung unabh\u00e4ngig erscheinen liefsen. Um die Wahrscheinlichkeit der Annahme zu untersuchen, pr\u00fcfte ich, ob vielleicht die \u00e4ufsere Hautsinnesdecke \u00fcberhaupt Lichtreize als schmerzhaft zu empfinden imstande ist. Ich benutzte hierzu h\u00f6chstgradige Lichtintensit\u00e4ten, die das Auge nicht mehr ertragen kann: die grofse Finsenlampe (nach Filtrierung der W\u00e4rmestrahlen) und das Quarzlicht, welches fast ausschliefs-lich Lichtstrahlen erh\u00e4lt.1 Ich konnte feststellen, dafs die Haut absolut schmerzunempfindlich ist gegen Licht. Dafs viel sp\u00e4ter eine schmerzhafte Dermatitis eintreten kann, hat mit unserer Frage ebensowenig zu tun wie die schmerzhafte Konjunktivitis electrica mit dem sofort bei Kurzschlufs eintretenden Blendungsschmerz. Immerhin k\u00f6nnte der \u00e4ufsere Augen ab schnitt nach dieser Richtung sich anders verhalten als die \u00fcbrige Hautsinnesdecke. Doch wird die Hypothese vollends widerlegt durch folgende Tatsachen: 1. Durch An\u00e4sthesierung des vorderen Augenabschnittes wird der physiologische Blendungsschmerz gar nicht, der pathologische, soweit er die periphere Form betrifft, in nur geringem Mafse, soweit er die \u00fcbrigen Formen betrifft, gar nicht beeinflufst, 2. der Blendungsschmerz w\u00e4chst mit der Dunkeladaptation in \u00e4hnlicher Weise (wenn auch vielleicht in geringerem Grade) wie die Lichtempfindung, der Blendungsschmerz w\u00e4chst mit der Zentrierung des Reizes in \u00e4hnlicher Weise (wenn auch vielleicht in h\u00f6herem Grade) wie die Lichtempfindung. W ir wissen aber, dafs die Adaptation und die Pr\u00e4valenz zentraler Reize eigent\u00fcmliche Reaktionsformen der Netzhaut und durch ihre besondere anatomische Struktur bedingt wird.\n1 Levy-Dokn hat mir in der seiner Leitung unterstehenden Abteilung des Virchowkrankenhauses Gelegenheit zu diesen Versuchen gegeben, wof\u00fcr ich ihm an dieser Stelle danke.","page":340},{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"Uber den Blendungsschmerz.\n341\nEine zweite Hypothese, welche ebenfalls den Sitz im vorderen Augenabschnitt annimmt, aber alle genannten Bedenken beseitigt, ist die F\u00dfEY-NAGELsche1 : Die Lichtpupillarreaktion bedingt den Blendungsschmerz. Es war unwahrscheinlich erschienen, dafs, w\u00e4hrend die gesamte Hautsinnesdecke nicht schmerzempfindlich ist gegen Licht, gerade der \u00e4ufsere Augenabschnitt, der von der Helligkeit des Lichtes ebensowenig empfindet wie die Haut, doch f\u00fcr den Schmerz des Lichtes empfindlich sein sollte. Diese Hypothese nimmt aber als direkte Schmerzursache nicht mehr das Licht an, sondern den Druck, welcher durch die Iriskontraktion auf die sensiblen Irisfasern ausge\u00fcbt wird. Dadurch wird die Annahme einer besonders gearteten Irissensibilit\u00e4t \u00fcberfl\u00fcssig und nur vorausgesetzt, dafs die sensiblen Fasern, welche die Iris ja in reichem Mafse besitzt, f\u00fcr denselben Reiz empfindlich sind, der als der allgemeine Schmerzreiz bekannt ist, den direkten Ber\u00fchrungsreiz. Da die Iris von aufs en kommenden Ber\u00fchrungsreizen \u00fcberhaupt nicht ausgesetzt ist, so sind jene durch Iriskontraktion bewirkten Kompressionsreize in der Tat die einzigen, welche sensiblen Irisfasern eine physiologische Existenzberechtigung geben. Bekanntlich sind die im Inneren des K\u00f6rpers liegenden Organe, welche keinerlei Ber\u00fchrungsreizen ausgesetzt sind, auch nicht mit schmerzempfindlichen Fasern ausger\u00fcstet.2 Dafs dagegen die Iris schmerzempfindliche Fasern besitzt, beweisen die unter 2 darzulegenden Erfahrungen bei Iridektomie. Wenn nun die Iris in dieser Weise vor anderen Binnenorganen des K\u00f6rpers ausgezeichnet ist, so liegt die Vermutung nahe, dafs der besondere Zweck ihrer sensiblen Fasern auch mit ihrer besonderen Struktur und Funktion zusammenh\u00e4ngt und gerade in der schmerzhaften Perzeption \u00fcberstarker Iriskontraktionen besteht. 2. An\u00e4sthesierung des vorderen Augenabschnittes trifft zwar auch die Iris, aber doch nicht in dem Mafse wie Konjunktiva und Kornea. Man kann die normale Iris ziemlich \u2014 aber nie ganz \u2014 schmerzunempfindlich machen (optische, pr\u00e4paratorische Iridektomie); die entz\u00fcndete beh\u00e4lt einen recht hohen Grad von Schmerzempfindung gegen Ber\u00fchrung. Die Beobachtung, dafs\n1\tv. Fbey. Die Gef\u00fchle und ihr Verh\u00e4ltnis zu den Empfindungen. Leipzig, Besold 1894, S. 11. Nagel a. a. 0.\n2\tLeknahdeb a. a. 0.","page":341},{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"342\nHugo Feilchenfeld.\nKokainisierung den Blendungsschmerz nicht aufhebt, widerspricht also nicht der Hypothese. 3. Die Untersuchungen, die ich gemeinsam mit Abelsdorff 1 ausgef\u00fchrt habe \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeit der Pupillarreflexempflndlichkeit von Art und Ausdehnung des Lichtreizes haben dargetan, dafs auch die Reflexempfindlichkeit in \u00e4hnlicher Weise wie die Liehtempfindung zunimmt mit der Dunkeladaptation und der Zentrierung des Reizes. Es ist sogar wahrscheinlich, dafs die Reflexempfindlichkeit mit der Zentrierung des Reizes in weit h\u00f6herem Mafse zunimmt als die Lichtempfindung, auf welcher Erscheinung die \u00e4ltere Annahme beruht, dafs nur der zentrale Reiz reflexerregend wirkt.1 2 Diese besondere Bevorzugung des zentralen Reizes trifft nun auch f\u00fcr die Schmerzempfindung zu. Eine Verschiedenheit zwischen Lichtempfindung und Reflexempfindlichkeit hatten wir bei Binokularreizen nachgewiesen: W\u00e4hrend die binokulare Helligkeit die monokulare wenig \u00fcbertrifft, ist der binokulare Reflex erheblich gr\u00f6fser als der monokulare. Dasselbe trifft in ganz ausgesprochenem Mafse f\u00fcr den Blendungsschmerz zu. Also unsere Beobachtung, dafs der Blendungsschmerz \u00e4hnlich wie die Lichtempfindung die charakteristischen Reaktionsformen der Netzhaut zeigt, widerspricht der Hypothese nicht, befindet sich vielmehr in der gl\u00fccklichsten \u00dcbereinstimmung mit derselben. 4. R\u00f6mers Einwand, dafs Muskelkontraktionen nicht schmerzhaft empfunden w\u00fcrden, ist von Nagel bereits zur\u00fcckgewiesen. Bekanntlich sind Muskelkr\u00e4mpfe intensiv schmerzhaft. Es fragt sich nur, ob die Iris-kontraktion energisch genug ist, um solchen Schmerz ungezwungen zu erkl\u00e4ren. Wer die Iriszuckung bei pl\u00f6tzlichem Einfall von blendendem Licht einmal beobachtet hat, mufs das zugeben. Die Erscheinung, dafs der Pupillarreflex bei Jugendlichen im allgemeinen besonders lebhaft ist, befindet sich auch in guter Uber-\n1\tAbelsdorff u. Feilchenfeld. Zeitschr. f. Physiol, u. Psychol, d. Sinnesorgane 34.\n2\tDiese Annahme wird durch die neuesten Versuche von Hess (Arch, f. Augenheilk. 58 (2/3) wiederum gest\u00fctzt. Doch ist zu bemerken, dafs die Reflexempfindlichkeit anscheinend proportional der Lichtempfindung bei Dunkeladaptation w\u00e4chst. In der Fovea w\u00e4chst aber die Lichtempfindung viel weniger. Wenn trotzdem Reflexempfindlichkeit nur von der Fovea ausgel\u00f6st wird, so m\u00fcfsten wir annehmen, dafs die beiden Formen der Dunkeladaptation (f\u00fcr Reflex und f\u00fcr Licht) an verschiedenen Orten sich abspielende und voneinander unabh\u00e4ngige Prozesse sind.","page":342},{"file":"p0343.txt","language":"de","ocr_de":"JJber den Blendungsschmerz.\n343\neinstimmung mit unserer Beobachtung, dafs in diesem Lebensalter der Blendungsschmerz intensiver ist. Ber\u00fccksichtigen wir nun, dafs der Blendungsschmerz zwei verschiedene Phasen zu zeigen pflegt, die individuell verschieden entwickelt sind und \u00fcberhaupt nach Grad und Art individuellen Schwankungen unterworfen ist, so werden wir nicht notwendig eine einzige Ursache dem Blendungsschmerz supponieren. Es k\u00f6nnten mehrere Momente Zusammentreffen, die bei den einzelnen Individuen verschieden stark hervortreten. Wenn bei Nagel der Blendungsschmerz im atropinisiertenAuge sich nicht ein stellt, so ist bei diesem Forscher offenbar die Pupillarreaktion der ausschlaggebende Faktor.1 Wir m\u00fcssen aber demgegen\u00fcber die Momente hervorheben, die die Pupillarreaktion als einziges und universelles Erkl\u00e4rungssymptom unzureichend erscheinen lassen: 1. Bei mir selbst und den von mir Untersuchten, die einen ausgesprochenen Blendungsschmerz haben, beeinflufst Atropin den Blendungsschmerz nicht. Auch bei Patienten mit reflektorischer Pupillenstarre fand ich manchmal ausgesprochenen Blendungsschmerz. 2. Wie Bjerbum2 zutreffend einwendet, m\u00fcfste die, der direkten doch nahezu gleiche konsensuelle Reaktion auch im zweiten Auge Blendungsschmerz hervorrufen. Bei mir und der \u00fcberwiegenden Mehrzahl der Untersuchten ist der Schmerz aber durchaus im gereizten Auge lokalisiert. 3. Die periphere Lichthyperalgesie ist zwar mit der Hypothese in guter \u00dcbereinstimmung; denn abgesehen von der Iritis kann man wohl auch bei vielen Formen der Keratitis und bei manchen selbst der Konjunktivitis einen erh\u00f6hten Reizzustand der Iris annehmen. Immerhin bleiben manche Formen von oberfl\u00e4chlicher akuter Konjunktivitis \u00fcbrig, die mit starker Lichtscheu verbunden sind, aber gar keine Irishyper\u00e4mie erkennen lassen. Diese Hyperalgesie bedarf also einer anderen Erkl\u00e4rung, wir fassen unsere Auffassung dahin zusammen. \u00dcberstarke Pupillar-reaktionen werden schmerzhaft empfunden und sind am Zustandekommen des Blendungsschmerzes in individuell verschiedenen, bei der Mehrzahl in nur sehr geringem Grade beteiligt.\nDer Ausgangspunkt des Blendungsschmerzes \u2014 in seinem\n1\tNagel kann auf Grund seiner ferneren Beobachtungen die fr\u00fchere Selbstbeobachtung nur vollkommen aufrecht erhalten: Er ist im \u00fcbrigen dem Blendungsschmerz in hohem Mafse ausgesetzt, vermifst ihn aber stets im liomatropinisierten Auge.\n2\tBjerrum. Centralblatt f. Augcnheilk. 1903.","page":343},{"file":"p0344.txt","language":"de","ocr_de":"344\nHugo Feilchenfeld.\nwesentlichen Bestandteil \u2014 ist die Netzhaut selbst. Sie f\u00fchrt neben den Seh- und Pupillenfasern auch Schmerzfasern. Da diese drei Fasergattungen von der St\u00e4bchen-Zapfenschicht ihren Ausgang nehmen, kann es nicht auffallen, dafs sie die charakteristischen Reaktionsformen (Adaptation, stufenweise Steigerung zum Zentrum) gemeinsam haben. Da es immerhin verschiedene Fasern sind, durch welche die drei zentripetalen Erregungen geleitet werden, finden auch die Verschiedenheiten ihres Verhaltens Erkl\u00e4rung und ergibt sich ohne weiteres, dafs der Blendungsschmerz nicht eine gesteigerte Helligkeitsempfindung sein kann, auch nicht die blofse Begleiterscheinung einer solchen ; er mufs vielmehr eine gesonderte Empfindung darstellen. Dafs dabei das Verhalten der Schmerzfasern sich mehr demjenigen der Pupillarfasern als demjenigen der Sehfasern n\u00e4hert, ist in den besonderen Gesetzen des Binokularsehens begr\u00fcndet und aus denselben heraus ohne weiteres begreiflich. Nach den Untersuchungen, die ich gemeinsam mit Loeseb ausgef\u00fchrt habe,1 hemmen sich die Helligkeitseindr\u00fccke beider Augen gegenseitig, so dafs nicht die Summe, sondern nur das arithmetische Mittel ihrer Helligkeiten zum Bewufstsein kommt. Auf diesem Gesetz beruhen die eigenartigen (binokulare Helligkeit = der monokularen), zum Teil sogar als paradox (Fechners Versuch) be-zeichneten Erscheinungen des Binokularsehens. Sie h\u00e4ngen eng mit der eigent\u00fcmlichen Einrichtung unseres binokularen Organs zusammen. Nicht wie bei der Haut entsprechen verschiedenen Punkten der gereizten Fl\u00e4che regelm\u00e4fsig verschiedene \u00e4ufsere Reizpunkte, sondern ein einzelner Aufsenreiz trifft zwei Netzhautpunkte, die man deswegen korrespondierende Punkte genannt hat und die richtig als von einem einzelnen Aufsenreiz herr\u00fchrend aufgefafst werden. Es w\u00fcrde offenbar eine erhebliche Desorientierung herbeif\u00fchren, wenn es anders w\u00e4re. Ebenso hegt es im Interesse der Orientierung, dafs dieser als eins erkannte Aufsenreiz auch seiner Helligkeit nach sich immer im wesentlichen gleich bleibt, ob er nun mit zwei Augen oder mit einem betrachtet wird. Dadurch wird die Auffassung des Aufsenreizes von der wechselnden Einstellung des Subjekts unabh\u00e4ngig gemacht und die Wiedererkennung der objektiven Eigenschaften des Aufsendings erleichtert. Als eine Eigent\u00fcmlichkeit des\n\u00a31\u00ab fi. O.","page":344},{"file":"p0345.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\n\u00fcber den Blendungsschmerz.\n345\nSchmerzes haben wir jedoch erkannt, dafs er nicht objektiviert, sondern nur exzentriert, d. h. seiner Wirkung nach in den K\u00f6rper selbst verlegt wird. Damit entf\u00e4llt auch die teleologische Ursache f\u00fcr jenen Hemmungsmechanismus, der sich vielleicht auf empirischem Wege zum Zwecke einer m\u00f6glichst leichten Orientierung und Wiedererkennung der Aufsendinge ausgebildet haben mag. Vielmehr folgt der Blendungsschmerz dem allgemeinen Gesetz, dafs mit Ausdehnung des Schmerzreizes die Schmerzintensit\u00e4t zunimmt. Nach Weber1 schmerzt ein Finger, in 39\u00b0R warmes Wasser getaucht, nicht, wohl aber bei derselben Temperatur die ganze Hand. Wenn ich den Lichtreiz binokular statt monokular wirken lasse, verdoppele ich damit die Heizfl\u00e4che und habe so einen erheblich gr\u00f6fseren Schmerz zu erwarten. Die Schmerzintensit\u00e4t erwies sich durchaus unabh\u00e4ngig davon, ob die binokulare Lichtempfindung als einheitliche oder als doppelte auf-gefafst wird (korrespondierende oder disparate Heize). Es kam also ausschliefslich die Vermehrung der Heizfl\u00e4che in Betracht.\nAuch die bevorzugte Ausstattung des Netzhautzentrum mit Schmerzfasern d\u00fcrfte ebenso wie die bevorzugte Ausstattung derselben mit Pupillarfasern in der h\u00f6heren physiologischen Bewertung des Netzhautzentrums ihre Begr\u00fcndung finden. 1st es doch ein allgemeines Gesetz, dafs der Reichtum eines Organs an Schmerzfasern der Dignit\u00e4t und der Alterierbarkeit des Organs gegen Aufsenreize parallel l\u00e4uft.\nDie Netzhaut f\u00fchrt diejenigen Endapparate (St\u00e4bchenzapfen), die f\u00fcr den Empfang ihres ad\u00e4quaten Reizes, der \u00c4therwellen, besonders abgestimmt sind. So wird es ohne weiteres begreiflich, dafs keine andere Stelle der Hautsinnesdecke f\u00fcr Lichtreize empf\u00e4nglich und imstande ist, dieselben in eine Empfindung umzusetzen, weder in eine Helligkeitsempfindung noch in eine Schmerzempfindung; dafs aber die Netzhaut, welche die f\u00fcr den Empfang des Lichtreizes geeigneten Endapparate besitzt, denselben auch in diese beiden Empfindungen umzusetzen vermag, in die Schmerzempfindung ebenso wie in die Lichtempfindung.\nWir haben noch zu untersuchen, wie weit auch die Erscheinungen der Hyperalgesie die Netzhaut als Ausgangspunkt des Blendungsschmerzes best\u00e4tigen. In diesem Sinne spricht zun\u00e4chst die retinale Hyperalgesie. Wir haben fest-\n1 Tastsinn und Gemeingef\u00fchl in Wagners Handbuch der Physiologie.","page":345},{"file":"p0346.txt","language":"de","ocr_de":"346\nHugo Feilchenfeld.\ngestellt, clafs bei starker und fortgesetzter Inanspruchnahme der Netzhaut durch blendendes Licht sich schliefslich eine Hyperalgesie derselben gegen Licht ausbildet. Ferner fanden wir eine Hyperalgesie auch bei manchen entz\u00fcndlichen Netzhauterkrankungen, die auf anderen Ursachen, etwa einer Nephritis oder einem Diabetes beruhen. Dafs die Mehrzahl der Retinitiden freilich nicht zur Hyperalgesie f\u00fchrt, ist auch wiederum aus mannigfachen Gr\u00fcnden erkl\u00e4rbar. Man kann aus dem ophthalmoskopischen Befunde allein niemals einen sicheren Schlufs ziehen, wie wreit durch denselben die Gesichtsempfindung beeintr\u00e4chtigt sein wird. Oft bedingt eine ophthalmoskopisch als bedeutend sich darstellende Ver\u00e4nderung eine geringe Sehst\u00f6rung, oft umgekehrt. Entscheidend ist, ob der Prozefs gerade einen f\u00fcr die Empfindung wichtigen Punkt getroffen hat. So wird es auch mit der Schmerzempfindung stehen. Dafs nun gerade die entz\u00fcndlichen Ver\u00e4nderungen des Netzhautzentrums, welche so starke Sehst\u00f6rungen zur Folge haben, keine Lichthyperalgesie bewirken, ist leicht begreiflich. Sollten wir doch viel eher bei ihnen eine Herabsetzung auch der Schmerzempfindung erwarten, die unserer Annahme nach von denselben Schichten ihren Ausgang nimmt, wie die Lichtempfindung. Es wurde bereits oben auseinandergesetzt, dafs die B e r \u00fc h r u n g s hyperalgesie nicht ohne weiteres einen Analogieschlufs auf die Lichthyperalgesie zul\u00e4fst und letztere \u00fcberhaupt nicht mit Notwendigkeit erwarten l\u00e4fst. Die Entz\u00fcndung schafft einen Reiz, welcher als Ber\u00fchrungsreiz wirkt, daher denselben zu ersetzen imstande ist, entweder ganz im Spontan schmerz oder zum Teil, in der Hyperalgesie. Man kann nicht erwarten, dafs der Entz\u00fcndungsreiz auch den Fernreiz, das Licht, in demselben Mafse zu ersetzen imstande ist. Der Blendungsschmerz hat ebenso wie die Lichtempfindung durchaus die Erregung der lichtempf\u00e4nglichen Endapparate zur Voraussetzung.1 Nur soweit ein Reizzustand der Netzhaut eine solche Erregung hervorzurufen, d. h. einen \u00e4hnlichen Vorgang in der St\u00e4bchen-Zapfenschicht wie das Licht zu bewirken imstande ist, k\u00f6nnte er ausnahmsweise zur Unterst\u00fctzung der Schmerzvalenz eines \u00e4ufseren Lichtreizes dienen. Das Ergebnis l\u00e4fst sich also folgendermafsen zusammenfassen: Die retinale Lichthyperalgesie, so weit sie klinisch festgestellt ist, weist auf\n1 Nagel: Nagels Handbuch der Physiologie III (1).","page":346},{"file":"p0347.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Blendungsschmerz.\n347\neinen Zusammenhang hin zwischen Netzhaut und Blendungsschmerz. Sie ist aber keineswegs in der Regel zu erwarten, und es deckt sich vollkommen mit unserer Auffassung des Blendungsschmerzes, dafs sie so h\u00e4ufig ausbleibt.\nDer periphere Blendungsschmerz unterscheidet sich schon durch seine objektiven Begleitsymptome wesentlich von dem retinalen; er ist mit Vermehrung der \u00e4ufseren Reizerscheinung, speziell mit starker Tr\u00e4nensekretion verkn\u00fcpft. Diese objektive Folge der Bestrahlung beruht zweifellos auf direkter Einwirkung des Lichtes auf die entz\u00fcndete Augapfeloberfl\u00e4che. Intensive Bestrahlungen k\u00f6nnen, wie auf der gesamten Hautoberfl\u00e4che, so nat\u00fcrlich auch auf der besonders empfindlichen Augapfeloberfl\u00e4che Entz\u00fcndung hervorrufen. Solche Entz\u00fcndungen sind recht schmerzhaft. Insbesondere gilt das von der uns hier interessierenden Lichtentz\u00fcndung der Augapfeloberfl\u00e4che, der Conjunctivitis electrica. Es ist also nicht verwunderlich, dafs in einer bereits entz\u00fcndeten Augapfeloberfl\u00e4che schon ein schw\u00e4cherer Lichtreiz vermehrte Entz\u00fcndung und Schmerz erregt. Damit wird nicht angenommen, dafs Licht in der Augapfeloberfl\u00e4che unmittelbar Schmerz hervorrufen kann, sondern nur mittelbar auf dem Wege der Entz\u00fcndung, so dafs die periphere \u201eHyperalgesie\u201c nicht als Hyperalgesie gegen Licht, sondern als Spontanschmerz zu deuten sein w\u00fcrde. Mit dieser Auffassung stimmt es \u00fcberein, dafs der physiologische Blendungsschmerz und die retinale Hyperalgesie durch An\u00e4sthesierung der Augapfeloberfl\u00e4che gar nicht, die periphere, die in Wirklichkeit ein Spontanschmerz ist, jedoch bis zu einem gewissen Grade beeinflufst wird. Es wird schon hierdurch wahrscheinlich, dafs der Sitz dieser \u201eHyperalgesie\u201c die Augapfeloberfl\u00e4che ist.\nDafs die \u201eHyperalgesie\u201c durch Kokain nicht vollst\u00e4ndig beseitigt wird, stimmt mit der Tatsache \u00fcberein, dafs der Spontanschmerz eines entz\u00fcndeten Gewebes gegen oberfl\u00e4chliche An\u00e4sthesierung viel widerstandsf\u00e4higer ist als der Ber\u00fchrungsschmerz eines gesunden Gewebes. Je oberfl\u00e4chlicher die Entz\u00fcndung liegt, um so eher kann das Kokain auf ihren Spontanschmerz einwirken. Darum ist es gegen die Licht \u201ehyperalgesie\u201c bei Erosionen der Kornea wirkungsvoller als bei Iritiden. So ist die periphere Hyperalgesie nicht eine SteigeruQg des physiologischen Blendungsschmerzes, sondern ein nur mittelbar mit der Licht-\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 42.\t24","page":347},{"file":"p0348.txt","language":"de","ocr_de":"348\nHugo Feilchenfeld.\neinwirkung zusammenh\u00e4ngender spontaner Entz\u00fcndungsschmerz, der neben dem physiologischen Blendungsschmerz einhergehen kann, aus dem sich aber kein Schlufs ziehen l\u00e4fst auf Sitz und Eigenart des physiologischen Blendungsschmerzes.1\nHerrn Professor Dr. Nagel spreche ich f\u00fcr sein Interesse an dieser Arbeit und Herrn Dr. Nicolai f\u00fcr seine Unterst\u00fctzung bei einem Teil der Versuche meinen besonderen Dank aus.\n1 Bjerrum (Nordisk ophihalm. Tidsskrift 2, 1880, S. 15, mir nicht zug\u00e4nglich cf. Klin. Monatsbl. 1903, S. 98) nimmt zun\u00e4chst von dem pathologischen, dann aber auch von dem physiologischen Blendungsschmerz an, dafs er durch einen Reflex von den Sehnervenbahnen zu den sensitiven Bahnen des Auges vermittelt werde. Die mannigfachen Gegens\u00e4tze zwischen Lichtempfindung und Blendungsschmerz best\u00e4tigen eine solche Annahme nicht, f\u00fcr die auch die anatomische Forschung keine rechte Unteilage gibt. Wenn B. als einzigen analogen Fall anf\u00fchrt, dafs schnarrende Ger\u00e4usche Dys-\u00e4sthesien weit umher im K\u00f6rper hervorrufen, so kann ich f\u00fcr mich feststellen, dafs Geh\u00f6rreize bei mir nur Schmerzen im Ohre selbst, im \u00fcbrigen aber ausgesprochene Unlustgef\u00fchle verursachen, die ich keinesfalls als k\u00f6rperlich empfundene Schmerzen bezeichnen k\u00f6nnte.\n(.Eingegangen am 25. November 1907.)","page":348}],"identifier":"lit33511","issued":"1908","language":"de","pages":"313-348","startpages":"313","title":"\u00dcber den Blendungsschmerz","type":"Journal Article","volume":"42"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:30:28.290208+00:00"}

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