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Über Ewalds Versuch mit dem "pneumatischen Hammer" (Bogengangapparat)

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{"created":"2022-01-31T14:19:47.061559+00:00","id":"lit33514","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Breuer, Josef","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 42: 373-378","fulltext":[{"file":"p0373.txt","language":"de","ocr_de":"373\n\u00ab \u2022\nUber Ewalds Versuch mit dem \u201epneumatischen Hammer\u201c (Bogengangapparat).\nVon\nJosef Beeueb, Wien.\nIn der Zeitschrift f\u00fcr Psychologie 43, S. 376\u2014379 f\u00fchrte Dr. Abels gegen meine Anschauung von der Funktion der Ampullen als zwingendes Argument den Versuch Ewalds mit dem \u201epneumatischen Hammer\u201c an. Bei diesem wird ein kleines Stahl- oder Glasstiftchen auf den blofsgelegten und peripher mit einer Plombe versehenen h\u00e4utigen Bogengang geschnellt und verharrt dann in seiner Lage, so dafs der Druck auf den Kanal nicht sogleich wieder aufgehoben wird. Durch das Aufschlagen des Stiftes mufs Endolymphe in die Ampulle gedr\u00e4ngt und dabei die Cupula (minimal) verschoben werden. Diese Verschiebung wird nicht r\u00fcckg\u00e4ngig gemacht. Da nun aber (meiner Ansicht nach) eben durch diese Verschiebung und die Spannung der Zellhaare der Nystagmus bedingt ist (bei der Taube der Kopf-nystagmus), w\u00e4re zu erwarten, dafs in Ewalds Versuch das Aufschlagen des Stiftes von l\u00e4nger dauerndem Nystagmus gefolgt werde. Diese Forderung der Theorie erf\u00fcllt aber der Versuch nach der Schilderung Ewalds nicht. Es erfolgt, wenn der Versuch am rechten horizontalen Kanal angestellt wird, \u201eeine starke bis 900 betragende Drehung des Kopfes nach links genau in der Ebene des horizontalen Kanales . . . Gew\u00f6hnlich geht nach dieser Bewegung der Kopf unmittelbar darauf in die Normalstellung zur\u00fcck.\u201c 1 Da also eine zwingend geforderte Konsequenz meiner Theorie nicht zutrifft, so erscheint diese selbst durch den Versuch widerlegt. .\n1 Ewald: Nerv, oetav. S. 264. Zeitschr. f. Sinnesphysiol. 42.\n26","page":373},{"file":"p0374.txt","language":"de","ocr_de":"374\nJosef Breuer.\nIch habe hiergegen folgendes eingewendet:1 \u201eIch halte diesen Beweis f\u00fcr durchaus haltlos, weil darin stillschweigend eine nicht zutreffende Voraussetzung enthalten ist; dafs n\u00e4mlich der Versuch an einem intakten Organe gemacht werde oder gemacht werden k\u00f6nne. Dies ist nicht der Fall. . . . Die Cupula ist nur durch die Zellhaare mit der Crista verbunden; jeder Druck auf den Kanal bringt einen Lymphstrom hervor, der die Crista abreifst. Man findet sie dann auf Serienschnitten in einen Winkel der Ampulle geschwemmt. \u00dcber das Epithel der Crista ragen dann nur die St\u00fcmpfe der Zellhaare hervor. . . . Wenn nun das Pr\u00e4parat der \u201eBr\u00fccke\u201c gemacht, wenn in den Bogengang eine Plombe gelegt worden, ja wenn nur die konvexe am Knochen befestigte Wand freigelegt worden ist, schwebt auch ganz gewifs die Cupula nicht mehr \u00fcber der Crista, sondern ist l\u00e4ngst abgerissen. Der durch das Aufschlagen des \u201eHammers\u201c bewirkte momentane Lymphstrom kann also Keine Cupula mehr verschieben \u2014 nicht eine l\u00e4nger dauernde Dehnung der Zellhaare verursachen, sondern nur einen Moment \u00fcber die Haar-st\u00fcmpfe hinfahren. \u2014 Diese Argumentation wird hinf\u00e4llig, sobald jemand eine intakte Cupula in einer Taubenampulle nachweist, an welcher der Versuch mit dem pneumatischen Hammer angestellt worden ist. Aber ich darf wohl diese M\u00fchewaltung den Vertretern der entgegengesetzten Anschauung \u00fcberlassen.\u201c\nIch habe nun dennoch selbst eine Reihe von solchen Versuchen mit nachfolgender anatomischer Untersuchung angestellt und werde hier \u00fcber das Ergebnis berichten.\nIch liefs die Tauben in gewohnter Art aufgebunden und halb narkotisiert, da f\u00fcr meine Frage das v\u00f6llige Wachsein und Freistehen der Tiere keine Wichtigkeit hatte; die Augen waren verklebt. Sonst wurden die Versuche genau so gemacht wie Ewald angegeben hat und der Erfolg war auch wesentlich der von ihm beschriebene. Beim Aufschlagen des \u201eHammers fliegt der Kopf mit grofser Geschwindigkeit um 90\t1100 zur Seite,\nverharrt da kurze Zeit in nystagmischem Vibrieren und geht dann in gleichm\u00e4fsigem Zuge oder mit, an Nystagmus erinnernden, kurzen Halten gegen die Ausgangstellung zur\u00fcck. Die schwach narkotisierte Taube erreicht diese gew\u00f6hnlich nicht sogleich, sondern der Kopf bleibt 50 \u00b0\u2014600 gegen die andere Seite\n1 Zeitschr. f. Psychol. 45, S. 81.","page":374},{"file":"p0375.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber Ewalds Versuch mit dem \u201e'pneumatischen Hammer\u201c.\t375\ngewendet. Wirklicher Nystagmus ist bei dem ganzen Vorgang nicht zu sehen.\nDie anatomische Untersuchung der betreffenden Ampullen ergab folgendes. Ich habe die Befestigung der Cupula untersch\u00e4tzt; bei den Tauben ist sie nicht, wie bei Fischen in toto abgerissen und weggeschwemmt. Ich fand sie immer noch auf der Crista. Aber sie ist an dieser nur mehr durch die Zellhaare der dem Kanal abgewandten Seite befestigt. Auf der Kanalseite ist sie regelm\u00e4fsig losgew\u00fchlt, die Haare abgerissen und die Cupula selbst nach der anderen Seite hin\u00fcbergeworfen. Diese teilweise Zerst\u00f6rung des Apparates fand sich auch, wenn der pneumatische Hammer nicht angewendet, sondern nur der Kanal plombiert worden war.\nEs geht daraus hervor, dafs die durch Pr\u00e4paration, Plombierung und Aufschlagen des \u201eHammers\u201c erzeugten Endolymph-str\u00f6me von einer ganz anderen Gr\u00f6fsenordnung sind, als die funktionell vorkommenden. Die Einrichtungen, welche den sehr zarten Cupulaapparat gegen allzustarke, bei raschen Drehungen auftretende, funktionelle Endolymphst\u00f6fse sch\u00fctzen1, versagen den experimentellen Str\u00f6mungen gegen\u00fcber. Es ist also richtig, dafs der Versuch mit dem pneumatischen Hammer nicht an einem intakten Apparat angestellt wird und dafs eben jene Erscheinung, die durch den Zusammenhang der Cupula mit der Nervenendstelle bedingt ist, dabei fehlen mufs; weil eben dieser Zusammenhang zerst\u00f6rt ist. Diese Erscheinung ist meiner Anschauung nach der Nystagmus. Wie ich schon gegen Dr. Abels bemerkt habe, kann ich es geradezu f\u00fcr ein Argument zugunsten meiner Ansicht halten, dafs ein momentaner Lymphstofs (wie beim Anhalten nach l\u00e4ngerer Drehung) an der intakten Ampulle l\u00e4nger dauernden Nystagmus erzeugt (Nachschwindel); aber nur eine einzelne Kopfwendung, wenn auf der Seite des Lymph-stofses die Cupula nicht mehr in Verbindung mit den Haarzellen steht. Dafs das erstgenannte Verhalten auch experimentell leicht herzustellen ist, werde ich weiter unten zeigen*\nIch habe den EwALDschen Versuch nicht mit einer Glas-capillare an Stelle des st\u00e4hlernen \u201eHammers\u201c angestellt, wie Ewald das getan hat. Es ist wohl m\u00f6glich, dafs bei sorgf\u00e4ltigster\n1 Breuer: Studien \u00fcber d. Yestibularapparat. Sitzungsber. d. k. Akademie d. Wissensch. Wien, 112, Abt. Ill, S. 334 ff.\n26*","page":375},{"file":"p0376.txt","language":"de","ocr_de":"376\nJosef Breuer.\nPr\u00e4paration des h\u00e4utigen Kanals, Unterlassung der Plombierung und Verwendung der gl\u00e4sernen Kapillare, die Cupula nicht losgerissen wird. Der Endolymphstofs wird aber auch bei solcher Einrichtung des Versuchs ganz aufser Verh\u00e4ltnis stehen zu den funktionell wirksamen, und wird einen \u00fcberm\u00e4fsigen Reiz darstellen. Wie ein Auge, das in die Sonne gestarrt hat, dann die normalen Lichtreize nicht empfindet, so werden die Nervenend-stellen der Ampullen die Spannung der Zellhaare nicht empfinden und nicht mit der Erregung von Nystagmus beantworten, wenn eben ein \u00fcberstarker Lymphstofs die Zellhaare gedehnt hat.\nEwald beabsichtigte mit seinem Versuche den Beweis zu liefern, dafs bei einer ungefesselten Taube eine kurzdauernde und nicht in entgegengesetzter Richtung wiederholte Lymph-str\u00f6mung im Bogengang eine Kopfwendung in der Kanalebene hervorruft. Dies hat sein Versuch vollkommen sicher bewiesen. Es wurde dann von Dr. Abels versucht, noch andere Schl\u00fcsse aus der Beschreibung des Versuchs abzuleiten; es hat sich uns nun gezeigt, dafs dies nicht angeht; und zwar wegen der \u00fcberm\u00e4fsigen St\u00e4rke des durch den Hamm er auf schlag erregten Strom-stofses, der den Sinnesapparat zerst\u00f6rt. Aber weder diese \u00fcber-grofse Intensit\u00e4t des Reizes noch die anderen Nebenumst\u00e4nde des EwALDschen Experimentes (wie b reistehen der Taube, breite Er\u00f6ffnung des Kanals, Plombierung) geh\u00f6ren zum Wesen des Versuchs. Dieses besteht nur in der Erzeugung kurzer, nicht sogleich r\u00fcckl\u00e4ufiger Endolymphstr\u00f6me von geringer St\u00e4rke ; bei m\u00f6glichster Schonung des h\u00e4utigen Kanals.\nIch versuchte diese Bedingungen herzustellen, indem ich sehr kleine St\u00fcckchen von Glaskapillaren oder dgl. auf den h\u00e4utigen Bogengang auflegte. Aber hierzu war Freilegung desselben in gr\u00f6fserem Umfange n\u00f6tig und es zeigte sich, dafs schon diese vorg\u00e4ngige Pr\u00e4paration, durch den unvermeidlich ausge\u00fcbten Druck auf den Kanal, die Ampulle sch\u00e4dige. Ganz befriedigende Resultate ergab dagegen die im folgenden beschriebene Versuchsanordnung. Die Tauben waren auf gebunden und in Halbnarkose. Der vordere, obere Quadrant des Bogengangkreuzes wurde er\u00f6ffnet, der kn\u00f6cherne Horizontalkanal an seiner Oberseite pr\u00e4pariert, das schwammige Knochengeb\u00e4lke des Quadranten aber m\u00f6glichst erhalten. Durch dieses wird nun eine kleine Stecknadel von oben durch gestochen, deren (ab-","page":376},{"file":"p0377.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Ewalds Versuch mit dem \u201epneumatischen Rammer\u201c.\t377\ngestumpfte) Spitze die Oberseite des Bogengangs trifft. Die Nadel ist nur mit grofser Reibung in dem Knochengeb\u00e4lke zu bewegen und verbleibt unbeweglich in jeder Stellung. Unter der Nadelspitze wird nun ein kleines St\u00fcckchen der oberen Kanalwand ausgehoben, was gew\u00f6hnlich ohne reaktive Bewegung, d. h. also ohne Ber\u00fchrung des h\u00e4utigen Kanals gelingt. (Denn dieser liegt nur der Konvexit\u00e4t des kn\u00f6chernen Kanals enge an und ist sonst durch eine d\u00fcnne Schicht Perilymphe von der Knochenwand getrennt.) Die linke Hand fixiert nun den Kopf der Taube, w\u00e4hrend ein Finger der rechten die Nadel langsam nach abw\u00e4rts dr\u00fcckt. All das geschieht unter der Lupe.\nSowie die Nadelspitze in die L\u00fccke der kn\u00f6chernen Kanalwand eingetreten ist, f\u00fchlt die fixierende Hand eine Bewegung des Kopfes und hat ihn sogleich freizulassen. Er wendet sich dann in rascher Bewegung um etwa 900 nach der anderen Seite und oszilliert einige Zeit in lebhaftem Nystagmus (die rasche Bewegung nach der operierten Seite). Oszillierend kehrt der Kopf allm\u00e4hlich in die Mittelstellung zur\u00fcck. -\nWenn man, etwa um noch einen anderen Versuch anzustellen, die L\u00fccke in der kn\u00f6chernen Kanal wand verschliefst, indem man ein Kl\u00fcmpchen Wachs darauf dr\u00fcckt, so tritt ebenso wie im vorigen Versuch Nystagmus auf, sobald das eingedr\u00fcckte Wachs den h\u00e4utigen Kanal ber\u00fchrt.\nEs ist bei diesen Versuchen nicht n\u00f6tig, den Bogengang der anderen Seite zu zerst\u00f6ren, zu plombieren oder zu kokainisieren. Auch tritt der Nystagmus bei offenen Augen auf. Aber da er sowohl durch die Perzeptionen der ungereizten Ampulle der anderen Seite, als durch die Gesichtsbilder ruhender Gegenst\u00e4nde (bei Tauben) stark gehemmt wird, ist es n\u00fctzlich, mindestens die Augen der Taube zu verkleben.\nEs zeigt also Ewalds urspr\u00fcnglicher Versuch, dafs ein Endolymphstrom einfach Kopfbewegung hervorruft \u2014 h\u00f6chstens mit Andeutungen von Nystagmus \u2014, wenn er \u00fcber die St\u00fcmpfe der Zellhaare hinf\u00e4hrt; dafs aber l\u00e4ngerdauernder Nystagmus eintritt, gerade wie beim Nachschwindel, wenn ein Lymphstrom von angemessener St\u00e4rke eine intakte Cupula getroffen hat.\nDer Bogengangapparat kann nur durch Winkelb e s chleuni-gungen erregt werden; die Empfindungen aber, die durch solche hervorgerufen werden, sind die von Winkelgeschwindig-","page":377},{"file":"p0378.txt","language":"de","ocr_de":"378\nJosef Breuer.\nkeiten, und die Reflexe (Augen- und Kopfnystagmus, tonische Kontraktionen von Rumpf- und Extremit\u00e4tenmuskeln, \u201eTastschwindel\u201c) sind geeignet, Winkelgeschwindigkeiten (gleichm\u00e4fsige Drehung) zu kompensieren. Dieses teleologisch h\u00f6chst wichtige Verhalten suchte ich1 aus dem Bau der Ampullen zu erkl\u00e4ren. Durch die Beschleunigung wird ein momentaner Lymphstrom hervorgerufen; dieser verschiebt die Cupula (minimal), spannt dadurch die Zellhaare und erregt die Haarzellen. Die Erregung h\u00e4lt an, bis die Cupula wieder ihre normale Stellung eingenommen hat und die Spannung der Haare geschwunden ist. Diese Restitution des normalen Status erfolgt langsam. Die Beschleunigung setzt also Ver\u00e4nderungen, welche im Grade ihr proportional sind, sie aber lange \u00fcberdauern, und w\u00e4hrend ihrer Dauer anhaltende Empfindungen und Reflexe erregen.\nDies Verhalten versuchte ich durch die Er\u00f6rterung des Baues der Ampullen und des Nachschwindels wahrscheinlich zu machen. Die Untersuchung des EwAimschen Versuches mit dem pneumatischen Hammer, hat nun, wie ich glaube, den experimentellen Beweis daf\u00fcr geliefert.\n1 Breuer : Studien \u00fcber den Yestibularapparat. S. 2\u201415.\n(Eingegangen am 13. Januar 1908.)","page":378}],"identifier":"lit33514","issued":"1908","language":"de","pages":"373-378","startpages":"373","title":"\u00dcber Ewalds Versuch mit dem \"pneumatischen Hammer\" (Bogengangapparat)","type":"Journal Article","volume":"42"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:19:47.061565+00:00"}

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