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{"created":"2022-01-31T16:30:58.272360+00:00","id":"lit33536","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Nagel, W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 43: 299-314","fulltext":[{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"299\n(Aus der physikalischen Abteilung des physiologischen Instituts der\nUniversit\u00e4t Berlin.)\n\u00dcber typische und atypische Farbensinnsst\u00f6rungen\nnebst einem Anhang:\nErwiderung an Herrn Dr. A. Guttmann.\nVon\nProfessor Dr. W. Nagel (Berlin).\nIn einen kleinen Artikel \u201eZur Nomenklatur der Farbensinnsst\u00f6rungen\u201c {Diese Zeitschrift 42, S. 65) habe ich k\u00fcrzlich neben anderem auch die Frage ber\u00fchrt, ob es nicht zweckm\u00e4fsig w\u00e4re, die Termini: \u201erotanomal\u201c und \u201egr\u00fcnanomal\u201c f\u00fcr die beiden Typen der anomalen Trichromaten durch andere zu ersetzen, die den engen Zusammenhang der beiden Anomalentypen mit den entsprechenden Dichromatentypen besser zum Ausdruck br\u00e4chten. Als v. Kries jene Ausdr\u00fccke im Jahre 1905 provisorisch vorschlug, vermied er in wohlbegr\u00fcndeter Vorsicht die Wahl von Namen, die theoretisch zu viel pr\u00e4judizierten und f\u00fcgte auch hinzu, es k\u00f6nnte die Auffindung noch weiterer Typen die Bezeichnung der beiden bekannten Formen als rotanomal und gr\u00fcnanomal ungeeignet erscheinen lassen. Dieser Fall ist nun bekanntlich nicht eingetreten, die neuesten Untersuchungen haben nur immer deutlicher die Unterschiede der beiden Anomalentypen untereinander und gegen die normaltrichromatischen Typen erkennen lassen, nicht aber neue Typen ergeben. Gleichzeitig haben diese Untersuchungen, insbesondere die auf meine Veranlassung oder von mir im Berliner physiologischen Institut ausgef\u00fchrten, immer klarer den engen Zusammenhang zwischen Anomalen und Dichromaten zutage treten lassen. Nichts bringt ja diese engen Beziehungen deutlicher zum Ausdruck als die Schwierigkeit, die in manchen F\u00e4llen die Differentialdiagnose : Dichromat oder Anomaler? selbst bei Verwendung spektraler Mischungsgleichungen bieten kann.","page":299},{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"300\nW. Nagel.\n\u2022 \u2022\nDafs die \u00c4hnlichkeit nicht nur eine \u00e4ufsere, sondern eine in der inneren Verwandtschaft der beiden Arten von Farbensinn-St\u00f6rungen begr\u00fcndete ist, werde ich bei anderer Gelegenheit darlegen. Ich erw\u00e4hne es hier nur, um zu begr\u00fcnden, dafs ich Vorschl\u00e4ge, statt der Bezeichnungen rotanomal und gr\u00fcnanomal die Bezeichnungen protanomal und deuter anomal zu benutzen und damit die Verwandtschaft der Protanopie mit der Protanomalie, der Deuteranopie mit der Deuter anomalie ausdr\u00fccklich zu markieren.1\nIch habe die M\u00f6glichkeit, diese Worte der v. KaiEsschen Bezeichnungen Protanop und Deuteranop nachzubilden, schon in dem erw\u00e4hnten ersten Artikel ber\u00fchrt. Ein damals noch bestehendes Bedenken habe ich jetzt fallen gelassen: Aus den Untersuchungen von Fr\u00e4ulein C. v. Maltzew (s. diesen Band S. 76) ergibt sich, dafs die auch schon aus Arthur K\u00f6nigs Erfahrungen bekannten, durch Frl. v. Maltzew mit besseren Methoden nachgewiesenen sehr erheblichen Differenzen der HelligkeitsVerteilung im Spektrum bei verschiedenen normaltrichromatischen Individuen zwar gewissen Differenzen in den Mischungsgleichungen im langwelligen Spektralteil entsprachen, dafs aber die Trennung der drei Typen der Trichromaten vollkommen deutlich bleibt, auch wenn die Vertreter der einzelnen Typen hinsichtlich der Helligkeitsverteilung grofse Ann\u00e4herung und sogar ein v\u00f6lliges Durcheinandergehen (Normale und Deuteranomale) zeigen. Dazu kommt die von mir in den letzten Jahren in zahlreichen F\u00e4llen immer wieder gemachte Beobachtung, dafs die Einstellung der Rayleigh - Gleichung / Rot -f- Gr\u00fcn = Gelb\t\\ bei\n\\\t(\u00c2 > 530)\t(2 = 589)/\nden Anomalen von verschiedensten Graden der Farbenschw\u00e4che doch immer um den gleichen Wert des Rot-Gr\u00fcnverh\u00e4ltnisses balanciert. Kurz, jeder der drei bekannten Trichromatentypen ist zwar, nach der RAYLEiGH-Gleichung beurteilt, an und f\u00fcr sich in gewissem Mafse labil, aber die scharfe Trennung der Typen wird dadurch nicht ber\u00fchrt.\nUnter solchen Umst\u00e4nden ist es nicht nur zul\u00e4ssig, sondern entschieden w\u00fcnschenswert, durch die Terminologie der Tatsache Rechnung zu tragen, dafs je ein Anomalen- und ein Dichromatentypus eng verwandt sind, von dem anderen Paar (Anomaler und\n1 Mit diesem Vorschl\u00e4ge befinde ich mich, wie ich bemerken m\u00f6chte, in \u00dcbereinstimmung mit den Herren v. Kries und Schenck.","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"Uber typische und atypische Farbensinnsst\u00f6rungen.\n301\nDichromat) aber und dem Normalen-Typus scharf getrennt sind. Das bringen die Worte protanomal und deuteranomal gut zum Ausdruck.\nDafs und warum ich die von Guttmann 1 neuerdings empfohlene Benennung der anomalen Trichromaten als \u201eFarbenschwache\u201c zur Verwendung in wissenschaftlichen Arbeiten finde, habe ich schon an anderer Stelle gesagt. Ungl\u00fccklich finde ich vor allem den Gedanken, die Deuteranomalen als \u201eGr\u00fcnschwache\u201c, die Protanomalen als \u201eRotschwache\u201c zu bezeichnen. Man hat die Ausdr\u00fccke \u201erotblind\u201c und \u201egr\u00fcnblind\u201c preisgegeben, weil sie zu der irrigen Ansicht Anlafs geben k\u00f6nnen und oft gegeben haben, der Defekt des Rotblinden \u00e4ufsere sich ausschliefs-lich oder doch \u00fcberwiegend im Nichterkennen des Rot, der des Gr\u00fcnblinden durch entsprechende Fehler im Gr\u00fcn. Das ist bekanntlich ebenso falsch, wie die durch Guttmanns Vorschlag nahegelegte Annahme, dafs der \u201eGr\u00fcnschwache\u201c nur im Gr\u00fcn, der \u201eRotschwache\u201c im Rot seinen Defekt zeige. Die v. KaiESschen Ausdr\u00fccke \u201erotanomal\u201c, \u201egr\u00fcnanomal\u201c weisen auf eine anomale Beschaffenheit der einen und der anderen Komponente im Sehorgan hin, behaupten dagegen nichts dar\u00fcber, ob die betreffenden Anomalen in der einen oder anderen Farbe \u201eschwach\u201c sind. Wer je Anomale genauer untersucht hat, weifs, das sich die \u201eSchw\u00e4che\u201c des Farbensinns sowohl bei Gr\u00fcn- wie bei Rotanomalen vorzugsweise im Gr\u00fcn und Violett \u00e4ufsert, weit weniger auffallend im Rot.\nDas System der typischen Farbensinnsarten gestaltet sich hiernach folgendermafsen :\n1. Achromaten\n(Protanopen Deuteranopen Tritanopen\n3. Trichromaten\nfProtanomale Deuteranomale (Tritanomale ?)\n{Anomale Normale\nVervollst\u00e4ndigt wird dieses System, wenn man aus der grofsen Gruppe der erworbenen Farbensinnsst\u00f6rungen die seltenen und hochinteressanten F\u00e4lle hinzunimmt, die sich als Reduktionsformen zweiter Ordnung charakterisieren, F\u00e4lle in denen durch\n1 Diese Zeitschrift 42, 24.","page":301},{"file":"p0302.txt","language":"de","ocr_de":"302\nW. Nagel\npathologischen Prozefs die eine Komponente eines angeborenen dichromatischen Systems ausgefallen und nur die Rot- oder Gr\u00fcnkomponente \u00fcbrig geblieben ist. Solch einen Fall mit isolierter Gr\u00fcnkomponente hat A. K\u00f6nig1 gefunden, einen mit isolierter Rotkomponente neuerdings K\u00f6llner,2\nMan kann solche F\u00e4lle als Monochromaten bezeichnen, richtiger vielleicht noch, da sie alles farblos sehen, als Achromaten, und zwar k\u00f6nnte man sie, auf der Grundlage der Duplizit\u00e4tstheorie, den bekannten typischen Achromaten, den \u201eSt\u00e4bchen-Achro-maten\u201c, als \u201eZapfen-Achromaten\u201c gegen\u00fcb erstellen.\nEs ist noch eine andere Art von erworbenem achromatischem System beschrieben worden, bei dem die Helligkeitsverteilung nicht der Erregbarkeits - Kurve einer .einzigen Komponente, sondern etwa der Verteilung der Peripherie- oder Flimmerwerte entspricht. Einen solchen Fall hat Piper beschrieben, einen zweiten, viel einfacher liegenden, den Piper auch kurz erw\u00e4hnt, habe ich genauer untersucht. In dem PiPEEschen Fall ist freilich das eine Auge tritanopisch, und weder f\u00fcr dieses Auge noch f\u00fcr die total farbenblinde Fovea des anderen Auges steht es fest, ob der Zustand ein angeborener oder durch Neuritis optica bzw. Retinitis erworbener ist. In dem anderen Fall dagegen liegt bestimmt ein urspr\u00fcnglich normaltrichromatisches System vor, das in der Fovea des einen Auges durch Neuritis zu einem station\u00e4ren achromatischen geworden ist, In beiden F\u00e4llen aber war es sehr deutlich, dafs die Helligkeitskurve f\u00fcr den Achromaten mit der meines deuteranopischen Auges nicht \u00fcbereinstimmte, sondern beispielsweise der Reizwert eines gr\u00fcnen Lichtes von 550 f\u00fcr den Achromaten h\u00f6her war, als mein Rotwert desselben Lichtes. Mit anderen Worten, die Kurve f\u00e4llt nach dem kurzwelligen Ende weniger steil ab, als die Kurve der Rotwerte. Es ist also, wie auch K\u00f6llner mit Recht hervorhebt, nicht erwiesen, dafs es sich hier um Isolierung einer Komponente handelt ; man m\u00fcfste sonst die Erregbarkeitskurven des Komponenten f\u00fcr noch ver\u00e4nderlicher halten, als es bisher geschah und als es meines Erachtens zutreffend ist,\nAllerdings gibt es Hinweise auf eine Labilit\u00e4t der Komponenten wohl, und gerade die sorgf\u00e4ltigen Untersuchungen K\u00f6llners an erworbenen Farbensinnsst\u00f6rungen haben Resultate ergeben, die\n1\tGesammelte Abhandlungen S. 209 und 413.\n2\tDiese Zeitschrift 43, S. 163.","page":302},{"file":"p0303.txt","language":"de","ocr_de":"Uber typische und atypische Farbensinnsst\u00f6rungen.\n303\nohne die Annahme quantitativer und qualitativer Ver\u00e4nderungen der Rot- oder Gr\u00fcnkomponente nicht erkl\u00e4rbar sind.1 2 3\nWenn bei einem Dichromaten die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Helligkeiten herabgesetzt ist und gleichzeitig die Farbentonunterscheidungen unvollkommener sind, als bei anderen Dichromaten (wie in einem von Guttmann 2 beschriebenen Fall und mehreren anderen, die ich beobachtet habe), so sehe ich hierin einen Hinweis auf eine qualitativ abnorm geringe Entwicklung (flacher Verlauf der Kurven) der f\u00fcr die Helligkeit besonders bestimmender Rotkomponente, deren Qualit\u00e4t, ausdr\u00fcck-bar durch die Lage der Eich wertkurve, dabei normal ist.\nAlle \u00ce\u00e4lle von der Art der hier ber\u00fchrten sind einstweilen noch als atypisch aufzufassen und fallen aufserhalb des obigen einfachen Systems der Farbensinnsst\u00f6rungen. Sie lassen sich ihm jedoch \u00e4ufserlich angliedern, in der Art, wie es die untenstehende Zusammenstellung andeutet.\nAufser Zweifel steht das Vorkommen von pathologisch entstandenen dichromatischen Systemen, also pathologischer Ausfall einer Komponente. Ausfall der Violettkomponente ist h\u00e4ufig festgestellt, Ausfall der Rotkomponente meines AVissens nie sicher,0 w\u00e4hrend Vernichtung der Gr\u00fcnkomponente vorkommt, wenn mir auch kein gut untersuchter reiner Fall bekannt ist. Die zahlreichen \u00e4lteren Angaben scheiden aus, weil bei ihnen infolge ungen\u00fcgender Untersuchungsmethoden nicht erkenntlich ist, ob tats\u00e4chlich dichromatisches Sehen entstanden war. Unter den F\u00e4llen, die Herr Dr. K\u00f6llner und andere Kollegen mir vorstellten, waren keine, die man bei genauerer Untersuchung h\u00e4tte f\u00fcr Deuteranopen halten k\u00f6nnen. Die Helligkeitsverteilung und die L\u00e4nge der Endstrecken war stets abnorm. Aufserdem geben die F\u00e4lle ein seltsam regelloses Bild, keine zwei gleichen sich ann\u00e4hernd so, wie etwa zwei F\u00e4lle angeborener Deuteranopie sich gleichen. Auch was man erworbene Tritanopie nennt, ist ja nichts ganz Einheitliches. Gemeinsam ist den von K\u00f6nig, Simon und K\u00f6llner untersuchten F\u00e4llen nur das Fehlen der Violett-\n1\tVgl. diese Zeitschrift 4*2, S. 294 ff.\n2\tDiese Zeitschrift 41, S. 45.\n3\tEinen m\u00f6glicherweise so aufzufassenden Fall haben Best und Haenel als Folgeerscheinung einer Schneeblendung k\u00fcrzlich mitgeteilt, leider aber nur mit unzureichenden Mitteln untersuchen k\u00f6nnen. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk, S. 80.","page":303},{"file":"p0304.txt","language":"de","ocr_de":"304\nW. Nagel.\nkomponente. Die Gr\u00fcnkomponente aber scheint mir nach Quantit\u00e4t und Qualit\u00e4t zu wechseln. Angeborene Tritanopie ist ja sehr selten und manche der beschriebenen F\u00e4lle sind nicht einwandfrei. Man kann mit Sicherheit sagen, dafs die meisten als erworbene Tritanopie beschriebenen Dichromaten eine Alteration mindestens einer der erhalten gebliebenen Komponenten anfweisen. Das ergibt sich vor allem aus der wichtigen Feststellung K\u00f6lleers,1 dafs diese sogenannten Tritanopen die RAYLEiGH-Gleichung ganz anders einstellen als der Normale, im Sinne einer relativen Unterempfindlichkeit f\u00fcr Kot. Das erkl\u00e4rt sich nat\u00fcrlich nicht als Folgeerscheinung des Ausfalls der Violettkomponente.\nAuch die geringeren St\u00f6rungen des Farbensinns, die bei Sehnerven- und Netzhauterkrankungen auftreten, aber nicht bis zur Bildung eines dichr omatisch en oder achromatischen Systems f\u00fchren, lassen bis jetzt wenig regelm\u00e4fsige Eigenschaften erkennen, schliefsen sich auch weder den bekannten Anomalentypen an, noch weisen sie feste, h\u00e4ufig wiederkehrende Typen auf. Sie bieten das Bild eines mehr oder weniger schwachen Farbensinns, und sind bei der Untersuchung nach den meisten praktischen Pr\u00fcfungsmethoden von den Anomalen nicht zu unterscheiden. In einzelnen F\u00e4llen kommt auch noch gesteigerte Kontrasterregbarkeit hinzu (Collie und Nagel,2 K\u00f6lleer3), um die \u00c4hnlichkeit mit den Anomalen noch gr\u00f6fser zu machen. In der Mehrzahl der F\u00e4lle fehlt dies Symptom jedoch, so z. B. bei dem von mir beschriebenen Fall aus der Kostocker Augenklinik.4\nSolche F\u00e4lle, sowie solche von der Art der von K\u00f6lleer k\u00fcrzlich beschriebene, sind fr\u00fcher wohl gr\u00f6fstenteils als \u201eerworbene Kotgr\u00fcnblindheiV bezeichnet worden. In der Tat fiel in meinem Fall die Gr\u00fcnempf in dung, in einem K\u00d6LLEERschen Fall die Kot e mp f indun g im fovealen Sehen v\u00f6llig aus, ohne dafs dadurch das Farbensystem zu einem dichromatischen reduziert wurde. F\u00e4lle der ersteren Art scheinen h\u00e4ufiger zu sein, als solche der letzteren Art und zeigen bekanntlich bei h\u00f6heren Graden der St\u00f6rung das eigenartige Verhalten, dafs die Patienten in einem leuchtend farbigen Spektrum nur das Rot und das Blau farbig sehen; alles \u00fcbrige grau bis schwarz.\n1\tDiese Zeitschrift 42, S. 281.\n2\tDiese Zeitschrift 41, S. 74.\n3\t1. c.\n4\tKlin. Monatsbl. f. Augenheilk.","page":304},{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber typische und atypische Farbensinnsst\u00f6rungen.\n305\nIch habe diese Dinge hier in aller K\u00fcrze erw\u00e4hnt, um zu zeigen, wie gegen\u00fcber den scharf abgegrenzten und klar bestimmten Typen der angeborenen Farbensinnsst\u00f6rungen das Gebiet der erworbenen St\u00f6rungen ein unklareres Bild mit \u00fcberall verschwimmenden Grenzen bietet. Ich glaube, man darf wohl behaupten, dafs diese Verschwommenheit nicht nur durch unsere noch ungen\u00fcgende Kenntnis des Tatsachenmaterials bedingt ist, sondern im Wesen der Sache selbst begr\u00fcndet ist. Es gibt eben keine so festen Typen unter diesen erworbenen Farbenst\u00f6rungen, wie wir sie unter den kongenitalen kennen.\nDas zweite, was ich betonen m\u00f6chte, ist die Tatsache, dafs die Alterationen des Farbensinns durch krankhafte Prozesse im allgemeinen nicht zur Entstehung solcher Formen f\u00fchren, wie wir sie als angeborene typische gut kennen.1 Nicht in einem einzigen Fall ist die Entstehung eines protanopischen, cleuteranopi-schen, protanomalen oder deuteranomalen Systems durch pathologische Ver\u00e4nderung nachgewiesen und auch der Ausdruck \u201eerworbene Tritanopie\u201c ist, wie gesagt, nur mit Vorbehalt zu gebrauchen.\nEs ist nat\u00fcrlich nicht ausgeschlossen, dafs unter den mannigfaltigen Formen pathologischer Deduktionen auch einmal zuf\u00e4llig eine entsteht, die einer typischen, angeborenen, zum Verwechseln \u00e4hnlich ist. Am ehesten w\u00fcrde ich noch die Entstehung des deuteranopischen Systems auf diese Art f\u00fcr m\u00f6glich halten, weil die beiden \u00e4ufseren Komponenten widerstandsf\u00e4higer als die Gr\u00fcnkomponente zu sein scheinen, die besonders im Vergleich mit der Kotkomponente etwas Labiles, Angreifbares, darstellt.\nF\u00fcr die Benennung der erworbenen Farbensinnsst\u00f6rungen\n1 Dies scheint mir namentlich f\u00fcr die Entscheidung der Frage wichtig, in welcher Zone des farbenperzipierenden Apparates (im Sinne der Zonentheorie von v. Kries) der Entstehungsort der Anomalien zu suchen sei. Beachtenswert ist jedenfalls, dafs Neuritis optica zu Ausfall bestimmter Farbenempfindungen ohne Eintritt dichromatischen Sehens f\u00fchren kann (Erl\u00f6schen der Gr\u00fcnempfindung), dafs also die zweite Zone, in der die Grundlage f\u00fcr eine hypothetische Vierfachgliederung der Farbenempfindungen zu denken w\u00e4re, peripheriew\u00e4rts vom Sehnerven, also im Auge selbst liegen m\u00fcfste. Ihr noch vorgelagert h\u00e4tte man die erste Zone zu denken (\u201evor\u201c nat\u00fcrlich nicht im r\u00e4umlichen Sinne, sondern im Sinne der Erregungsleitung').\nIn dieser Richtung wird weitere Erforschung der pathologischen Farbensysteme atypischer Art wohl noch wertvolle Aufkl\u00e4rung bringen, wenn man sich von der hemmenden Schematisierung der Farbensinnsst\u00f6rungen nach der Gegenfarbenlehre frei macht.","page":305},{"file":"p0306.txt","language":"de","ocr_de":"306\nW. Nagel.\nergeben sich auf Grund der vorstehenden Betrachtungen Schwierigkeiten und mehr negative als positive Hinweise. Dringend zu warnen ist jedenfalls vor der Ausdehnung des Begriffes \u201eanomaler Trichromat\u201c auf die atypischen Formen trichromatischer Systeme. Von den erworbenen Formen dichromatischen Sehens hat man ja die eine schon als \u201eBlaublindheit\u201c, \u201eViolettblindheit\u201c oder \u201eTritanopie\u201c bezeichnet, was nicht ganz einwandfrei ist. Man k\u00f6nnte pr\u00e4ziser von \u201eatypischer Tritanopie\u201c sprechen. Am ung\u00fcnstigsten, weil nur Verwirrung schaffend und den Fortschritt der Forschung hemmend ist es, wenn alle F\u00e4lle, bei denen sich in der Bot- oder der Gr\u00fcnempfindung ein Mangel zeigt, oder Anhaltspunkte f\u00fcr Alteration einer der beiden ersten Komponenten (B oder G) vorliegen (z. B. sog. Verk\u00fcrzung des roten Spektralendes) als \u201eBot-Gr\u00fcnblindheit\u201c bezeichnet werden, wie es dem Hering sehen Schema zuliebe noch h\u00e4ufig geschieht. Sehr viele von diesen F\u00e4llen haben mit der Bot-Gr\u00fcnblindheit, also einem dichromatischen Sehen gar nichts zu tun, und \u00e4hneln ihr nur im Verhalten bei der Pr\u00fcfung nach verschiedenen praktischen Proben (Holmgren, Stilling usw.). Aber auch die F\u00e4lle, in denen der krankhafte Prozefs wirklich zur Bildung eines dichromatischen Systems f\u00fchrt, sollte man m. E. nicht ohne weiteres als \u201eBot-Gr\u00fcnblindheit\u201c mit den angeborenen typischen Formen zusammenwerfen, sondern von ihnen mindestens durch den Zusatz atypisch unterscheiden, oder allgemeiner von \u201eatypischen Beduktionsformen\u201c sprechen.\nIn einer Frage d\u00fcrfte die Untersuchung zahlreicher F\u00e4lle mit Spektrallichtern gr\u00f6fsere Klarheit ergeben und vielleicht etwas wie bestimmte Typen pathologischer Farbensinnsst\u00f6rungen hervortreten lassen. Ich meine die auf neuritischer Grundlage entstehenden Farbensinnsst\u00f6rungen, bei denen die Bot- oder die Gr\u00fcnempfindung ausf\u00e4llt, ohne dafs man Anzeichen einer tiefgreifenden Alteration oder gar des Ausfalls der ersten oder zweiten Komponente bemerkt ; wo diese Prozesse intensiv auf-treten, wird dann auf dem Wege \u00fcber ein atypisches di chromatisches System schliefslich ein achromatisches System erreicht. Wo Aderhaut und Netzhaut nicht nennenswert gesch\u00e4digt sind, tritt dann bekanntlich der Fall ein, dafs ein solches Auge zweierlei totalfarbenblinde (achromatische) Systeme enth\u00e4lt, ein zapfenachromatisches und das von Anbeginn vorhandene st\u00e4bchenachromatische.","page":306},{"file":"p0307.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\t4 B \nUber typische und atypische Farbensinnsst\u00f6rungen.\n307\nWill man wegen der H\u00e4ufigkeit dieser St\u00f6rung, namentlich in den leichteren Graden, f\u00fcr diese einen pr\u00e4gnanten Namen haben, so w\u00e4ren die Bezeichnungen \u201eChloranopie\u201c bzw. \u201eErythranopie\u201c vielleicht ganz zweckm\u00e4fsig, um den Ausfall entweder der Gr\u00fcnempfindung oder der Rotempfindung zum Ausdruck zu bringen, im Gegensatz zu den dichromatischen Systemen, in denen das Paar von Empfindungen, Gr\u00fcn-Rot, ausf\u00e4llt, und der Ausfall je einer Komponente durch die v. KRiESschen Termini Protanopie, Deuter anopie, Tri-tanopie bezeichnet wird.\nDiagnosen wie \u201eunvollst\u00e4ndige oder unvollkommene Farben-blindheit\u201c, und \u201eschwacher Farbensinn\u201c, \u201eFarbenschw\u00e4che\u201c k\u00f6nnen h\u00f6chstens als ein unbefriedigendes Provisorium in Betracht kommen. \u201eFarbenschwach\u201c sind eben aufser den anomalen Trichromaten auch manche normale Trichromaten mit gesunden Augen und alle die, bei denen die erw\u00e4hnten atypischen St\u00f6rungen m\u00e4fsigen Grades bestehen. Farbenschw\u00e4che ist also ein gemeinsamer Ausdruck f\u00fcr gewisse, sehr verschiedenartige Abnormit\u00e4ten des Farbensinns, .nicht aber eine typische Anomalie. Auf diese Dinge n\u00e4her einzugehen, hegt nicht im Plan dieser Mitteilung.\nIn der nachfolgenden Tabelle habe ich die haupts\u00e4chlichsten typischen und atypischen Farbensysteme zusammengestellt, entsprechend der oben vertretenen Auffassung. Auf Vollst\u00e4ndigkeit\n\u2022 \u2022\nmacht die nur zur Gew\u00e4hrung eines \u00dcberblickes bestimmte Tabelle nicht Anspruch; nicht einmal alle denkbaren typischen Formen sind darin enthalten. Unber\u00fccksichtigt gelassen habe ich n\u00e4mlich die M\u00f6glichkeit der Existenz von Doppelformen der angeborenen dichromatischen Systeme, die theoretisch sowohl durch Reduktion aus einem normalen wie einem anomalen trichromatischen System entstanden gedacht werden k\u00f6nnen, wie ich1 fr\u00fcher hervorgehoben haben. Herr Prof. G. E. M\u00fcller ist, einer brieflichen Mitteilung zufolge, der Ansicht, dafs es tats\u00e4chlich zwei verschiedene Arten von Deuteranopie gibt, w\u00e4hrend ich einen bestimmten Beweis daf\u00fcr nicht kenne.\nAlle Farbensinnsformen, die in der Tabelle enthalten sind, k\u00f6nnen gegebenenfalls durch Zusammentreffen mit Hemeralopie kompliziert werden, was indessen nur im D\u00e4mmerungssehen in Betracht kommen d\u00fcrfte und das eigentliche Farben system nicht ber\u00fchrt.\n1 Biese Zeitschrift 42, S. 67.\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 43.\n20","page":307},{"file":"p0308.txt","language":"de","ocr_de":"308\nTF. Nagel.\nO O\nMc a O'!\ng P g \u00a7\u00ee\nT3 S'\u00d4 o \u00a7\n5 \u00d6 -73 ^ .\n\u25ba>.C\u00dc fl ho Qj\n~\u00c7u u PhQ ^ *g\nd\u00a3S fl^.P \u00a7 v 45 H*- o\n.9 a &\n\u2022\u00a3 5 ^","page":308},{"file":"p0309.txt","language":"de","ocr_de":"Uber typische und atypische Farbensinnsst\u00f6rungen.\n309\nEbenso k\u00f6nnen alle Formen mit mehr oder weniger starker Pigmentierung der Makula und der Linse verbunden sein und dadurch bei sonstiger Gleichartigkeit kleine Unterschiede aufweisen. Der Typus wird dadurch nicht ver\u00e4ndert.\nDie grofse Gruppe derjenigen Farbensinnsst\u00f6rungen, die sich im Auftreten von Potsehen, Blau-, Gr\u00fcn-, Gelb- oder Violettsehen \u00e4ufsert, die Chrom atop ien, bieten bekanntlich der Erkl\u00e4rung grofse Schwierigkeiten, vor allem weil sie offenbar untereinander ganz unvergleichbar sind. Zum Teil sind sie Begleiterscheinungen der erw\u00e4hnten atypischen Anomalien, zum anderen Teil Vor- oder Nachstadien derselben, wieder andere endlich charakterisieren sich \u00fcberhaupt nicht als Ausdruck von im strengen Sinne pathologischen Zust\u00e4nden des Auges (so gewisse Arten des Blau- und des Gelbsehens). Sie lassen sich jedenfalls von den Anomalien des Farbensystems getrennt behandeln und ich erw\u00e4hne sie hier auch nur der Vollst\u00e4ndigkeit wegen. Hilbeet hat \u00fcber die Chromatopien eine Anzahl interessanter Beitr\u00e4ge und namentlich sehr wertvolle Literaturzusammenstellungen gebracht (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. ; der letzte Beitrag, mit Literaturverzeichnis im M\u00e4rzheft dieses Jahres, Bd. XLVL). Der oben gegebenen Ubersichtstabelle w\u00e4re etwa hinzuzuf\u00fcgen : bei allen Farbensystemen unter II und III kann abnormes Farbensehen auftreten, derart, dafs die Farben anders gesehen werden als in der Norm, ohne dafs darum das Farbensystem als solches gest\u00f6rt zu sein braucht. So wie einzelne Farbenempfindungen ausfallen k\u00f6nnen (Chloranopie usw.), kann eine einzelne Farbenempfindung unter Umst\u00e4nden entstehen, wo normalerweise andere oder gar keine Farbenempfindungen auftreten (Chloropie usw.), jenes ein Ausfall, dieses eine \u00dcberregbarkeit in der zweiten Zone des farbenperzi-pierenden Apparates.\n(Eingegangen am 1. April 1908.)\n20*","page":309},{"file":"p0310.txt","language":"de","ocr_de":"310\nAnhang.\nErwiderung an Herrn Dr. \u00c0. G\u00fcttmann.\nIn einem Anh\u00e4nge zu seinen \u201eUntersuchungen \u00fcber Farbenschw\u00e4che\u201c (diese Zeitschrift 43, S. 290) wendet sich Guttmann gegen meine Bemerkungen \u201eZur Nomenclatur der Farbensinnsst\u00f6rungen\u201c (diese Zeitschrift 42, S. 65), ferner in der vorstehenden \u201eBerichtigung zu der Arbeit von Catharina von Maltzew usw.\u201c gegen zwei meinem Laboratorium entstammende Arbeiten. Gemeinsam ist den beiden Auslassungen Guttmanns die Behauptung, sein Verdienst um die Erforschung der anomaltrichromati-schen Systeme sei nicht gen\u00fcgend gew\u00fcrdigt, insbesondere sei von mir, bzw. von meinen Mitarbeitern irrt\u00fcmlich Donders die Entdeckung einiger Eigenschaften der Anomalen zugeschrieben worden, die in Wirklichkeit, er, Dr. Guttmann entdeckt hat.\nIch mufs diese Behauptungen Guttmanns mit aller Entschiedenheit als irrig bezeichnen. Insbesondere bedauere ich die Art, wie G., der auf S. 295 seiner Arbeit (Bd. 43) die \u201eviel zu wenig beachteten\u201c Arbeiten von Donders gewissermafsen entdeckt, ihm das mit der einen Hand gegebene, mit der anderen Hand wieder nimmt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dafs Donders die Farbenschw\u00e4che der anomalen Trichromaten klar erkannt hat. Nat\u00fcrlich hat Donders den Ausdruck \u201eanomale Trichromaten\u201c nicht ben\u00fctzt, weil dieser erst einige Jahre sp\u00e4ter von A. K\u00f6nig vorgeschlagen wurde. Er widmet aber in seiner Arbeit \u201eUber Farbensysteme\u201c in Graefes Archiv f. Ophthalmologie 27, S. 219, 1877 einen besonderen Abschnitt den \u201e\u00dcbergangsformen\u201c zwischen normalen und dichromatischen Farbensinn.\n\u2022 \u2022\nDafs diese Ubergangsformen mit den anomalen Trichromaten identisch sind, geht aus Donders Beschreibung deutlich hervor. F\u00fcr die \u00dcbergangsformen betont nun Donders als charakteristisch das lange Z\u00f6gern vor der richtigen Erkennung der","page":310},{"file":"p0311.txt","language":"de","ocr_de":"Erwiderung.\n311\nFarbe und vor allem die grofse Bedeutung der Winkelgr\u00f6fse. Er beschreibt sehr anschaulich, wie diese Personen bei der allm\u00e4hlichen Ann\u00e4herung an seine \u201edurchbohrten Scheibe\u201c (die die Darbietung farbiger Lichter unter verschiedenen Winkel-gr\u00f6fsen gestattet) zun\u00e4chst unsicher sind und erst bei einer bestimmten Gesichtswinkelgr\u00f6fse mit Bestimmtheit die Farben erkennen. Diese Abh\u00e4ngigkeit vom Gesichtswinkel bietet f\u00fcr Donders geradezu das Mafs f\u00fcr die Farbenschw\u00e4che, und wenn er in seiner sp\u00e4teren Arbeit vom Jahre 1884 (.Archiv f. Physiologie S. 522), in der er die RAYLEiGHsche Entdeckung der anomalen Mischungsgleichungen best\u00e4tigt, zu seinem Versuche Personen heranzieht, die ihm von fr\u00fcher her als farbenschwach bekannt sind, so ist f\u00fcr jeden, der sehen will, klar, dafs er deren Farbenschw\u00e4che nicht allein nach dem Verhalten gegen die Stilling-schen Tafeln, sondern nach der Abh\u00e4ngigkeit von der Winkelgr\u00f6fse beurteilten. Nebenbei ist das abnorme Verhalten der Anomalen gegen die STiLLiNGschen Tafeln z. T. ebenfalls auf die geringe Winkelgr\u00f6fse der Farbenflecke zur\u00fcckzuf\u00fchren.\nDie Verlangsamung der Farbenerkennung hat Donders nicht systematisch weiter untersucht, aber sie ebenso wie viele andere Autoren als charakteristisch erkannt.\nEs ist unter solchen Umst\u00e4nden schwer zu verstehen, wie Guttmann dazu kommt, Donders die Priorit\u00e4t dieser Beobachtungen abzusprechen, um so mehr als er an mehreren Stellen seiner Arbeit zugeben mufs, dafs Donders die Farbenschw\u00e4che der Anomalen kannte (z. B. Bd. 43 dieser Zeitschrift S. 268: \u201eIn K\u00fcrze mufs ich noch einiges \u00fcber die Untersuchungen der Autoren sagen, die im Gegensatz zu Donders die Farbenschw\u00e4che der Anomalen geleugnet haben\u201c); ferner (Bd. 43, S. 208: \u201eDer Ausdruck \u201eanomale Trichromasie\u201c1 wurde erst 8 Jahre sp\u00e4ter von K\u00f6nig f\u00fcr das, was Donders hier \u201eschwachen Farbensinn\u201c nennt, vorgeschlagen\u201c).\nWie ist es unter solchen Umst\u00e4nden zu erkl\u00e4ren, dafs Guttmann jetzt in seiner Berichtigung pl\u00f6tzlich behauptet, \u201eDonders verstand etwas v\u00f6llig anderes unter Farbenschw\u00e4che?\u201c\n1 Von \u201eanomaler Trichromasie\u201c hat \u00fcbrigens K\u00f6nig damals ebensowenig gesprochen, wie es sp\u00e4ter v. Kries und ich getan haben. Wir haben stets von anomalen trichromatischen Systemen, von anomalen Trichromaten und (ich) von \u201eAnomalen\u201c schlechthin gesprochen.","page":311},{"file":"p0312.txt","language":"de","ocr_de":"312\nErwiderung.\nDas einzig wichtige, was Donders von den hier in Rede stehenden Erscheinungen nicht wufste, ist die Tatsache, dafs die meisten Farbenschwachen, eben die anomalen Trichromaten, abnorme K o n t r a s t Verh\u00e4ltnisse aufweisen. An der Entdeckung dieser Tatsache ist aber Guttmann ebenso unschuldig, wie die Versuchspersonen von Loed Rayleigh und von Donders an der Entdeckung der anomalen Mischungsgleichungen. Die abnormen Kontrasterscheinungen wurden n\u00e4mlich nicht von, sondern an Herrn Guttmann gefunden, als ich von ihm und Herrn Dr. Piper, meinen damaligen Assistenten, vergleichende Bestimmungen der Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Farbent\u00f6ne ausf\u00fchren lassen wollte, die dann daran scheiterten, dafs beim Anomalen (Dr. G.) sich ein ungew\u00f6hnlicher Farbenkontrast st\u00f6rend einmischte.\nDafs diese Erscheinung h\u00e4ufig und geradezu f\u00fcr die Diagnostizierung der anomalen Systeme geeignet ist, habe ich im Jahre 1903 mitgeteilt (Sitzungsber. d. ophthalmol Gesellschaft in Berlin, November, ferner Klin. Monatsbl. f. Augenheill. 1904).\nAuch in den in meinem Laboratorium ausgef\u00fchrten Versuchen \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeit der Anomalen von der Winkel-gr\u00f6fse der farbigen Objekte war G. zun\u00e4chst nur Versuchsperson f\u00fcr Herrn Dr. Feilcheneeld, dem ich diese Untersuchung \u00fcbertragen hatte, und der seine Resultate publizierte, ehe G. sein von ihm so viel zitiertes Referat auf dem Psychologenkongrefs in Giefsen hielt.\nEinzig und allein die Versuche \u00fcber die minimale Erkennungszeit f\u00fcr Farben hat G. aus eigener Initiative begonnen. Als selbst\u00e4ndig durchgef\u00fchrt wird er aber auch diese Versuche wohl selbst kaum bezeichnen wollen.\nDie Angaben von Frl. v. Maltzew \u00fcber die DoNDERSschen Beobachtungen sind also durchaus zutreffend, und Guttmanns Einspruch unbegr\u00fcndet.\nGuttmanns Reklamation gegen Herrn Koeekas Bemerkung, systematische Untersuchungen \u00fcber die Kontrastverh\u00e4ltnisse der Anomalen st\u00e4nden noch aus, ist nicht minder unberechtigt. Denn wenn G. im Jahre 1904 in seiner vorl\u00e4ufigen Mitteilung erw\u00e4hnt, er habe systematische Versuche gemacht, so kann doch von anderer Seite auf solche Versuche nicht eher Bezug ge-","page":312},{"file":"p0313.txt","language":"de","ocr_de":"Erwiderung.\n313\nnommen werden, bis wenigstens einiges n\u00e4here \u00fcber sie ver\u00f6ffentlicht ist. Anfserdem hat Guttmann, soweit mir bekannt \u00fcberhaupt keine \u201esystematischen\u201c Untersuchungen \u00fcber Kontrast gemacht. Was ich gesehen habe, war ein gelegentliches Herumprobieren ohne jede Konsequenz und Geduld, so dafs ich es schliefslich als aussichtslos aufgab, Herrn G. bei seinen Versuchen anzuleiten. Wer den Abschnitt \u00fcber Kontrast bei Guttmann (Bd. 43, S. 146\u2014162) liest, wird auch nicht den Eindruck gewinnen, dafs hier gr\u00fcndliche Versuche den vielen Worten zugrunde liegen.\nDas ernsteste Bedenken bieten die statistischen Untersuchungen, deren Mitteilung durch G. mir eine unliebsame \u00dcberraschung boten. Den Hergang seiner Untersuchungen kenne ich allerdings nur bez\u00fcglich der Pr\u00fcfung des II. Garde-Regiments zu Fufs genauer, die aber von G. gerade als \u201eaufserordentlich sorgf\u00e4ltig\u201c hervorgehoben wird. Hiergegen mufs ich auf das entschiedenste protestieren, da ich nicht zulassen kann, dafs derartig unrichtige Angaben \u00fcber Untersuchungen aus dem von mir geleiteten Laboratorium unwidersprochen ver\u00f6ffentlicht werden. Tats\u00e4chlich konnte jene Durchpr\u00fcfung der Mannschaften, so wie sie gehandhabt wurde, ausschliefslich den Wert haben, Herrn Dr. Guttmann eine gr\u00f6fsere Zahl von Anomalen zu Gesicht zu bringen und ihn etwas in der Diagnostik zu \u00fcben. Es ist nicht richtig, dafs G. die Leute mit meinem Farbenapparat (\u201eNagels Lampe\u201c) meinen und Stillings Tafeln \u201euntersucht\u201c hat, sondern er hat, entgegen meinen Rat und entgegen den Gebrauchsvorschriften f\u00fcr diese Untersuchungsmittel, ihnen einige wenige herausgegriffene Tafeln vorgelegt und einige wenige Einstellungen am Farbengleichungsapparat ansehen lassen, die noch dazu meistens von nicht sachkundigen Hilfspersonen eingestellt wurden. Die ganze Statistik Guttmanns ist hierdurch in meinen Augen wertlos. Da ich gerade in den letzten 10 Jahren Gelegenheit hatte zu zeigen, wie unvollkommen die Farbenblindheitsstatistiken bisher grofsenteils waren, darf ich um so weniger zu diesem Mifsbrauch meiner eigenen Untersuchungsmethoden schweigen. Ich h\u00e4tte aus diesem Grunde Herrn Guttmanns Arbeit in die Zeitschrift \u00fcberhaupt nicht aufgenommen, wenn ich gleich das ganze Manuskript zur Einsicht erhalten h\u00e4tte.\nGuttmann vermerkt es sehr \u00fcbel (s. o. S. 296), dafs ich seine Untersuchungen nach dem Durchlesen nur des ersten Teils","page":313},{"file":"p0314.txt","language":"de","ocr_de":"314\nErwiderung.\nseiner Arbeit als einen \u201esch\u00e4tzenswerten Beitrag\u201c zur Anomalen-frage bezeichnet habe. Ich mufs in der Tat sagen, dafs ich diesen Ausdruck jetzt nicht mehr anwenden w\u00fcrde. Ich w\u00e4re \u00fcbrigens auf die G\u00fcTTMANNsche Arbeit, die sich durch ihren Ton selbst charakterisiert, nicht nochmals zur\u00fcckgekommen, wenn mich der Autor nicht durch die ganz ungerechtfertigten Angriffe auf zwei meiner Mitarbeiter dazu gezwungen h\u00e4tte.\n(Eingegangen am 25. Oktober 1908.)","page":314}],"identifier":"lit33536","issued":"1909","language":"de","pages":"299-314","startpages":"299","title":"\u00dcber typische und atypische Farbensinnsst\u00f6rungen nebst einem Anhang: Erwiderung an Herrn Dr. A. Guttmann [Zeitschr. f. Sinnesphysiol., 1909, Bd. 43, S. 255-296]","type":"Journal Article","volume":"43"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:30:58.272366+00:00"}