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Über den Begriff der zusammengesetzten Farbe

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{"created":"2022-01-31T13:34:22.417949+00:00","id":"lit33539","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Petronievics, Branislav","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 43: 364-408","fulltext":[{"file":"p0364.txt","language":"de","ocr_de":"364\n\u2022 \u2022\nUber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\nVon\nDr. Bk Anislay Petkonieyics.\nNach Hering gibt es bekanntlich in dem Farbenkreis vier ausgezeichnete Stellen, die er als Hanptfarben oder Urfarben im Unterschied von den \u00fcbrigen als den Zwischen- oder Nebenfarben bezeichnet.1 Sind nun diese Zwischenfarben aus den Hauptfarben in wahrem Sinne zusammengesetzt, oder ob Haupt- und Zwischenfarben beide in gleichem Sinne als absolut einfache zu gelten haben?\nAuf diese Frage lassen sich im wesentlichen drei Antworten geben und sind auch gegeben worden. Man kann erstens \u00fcberhaupt die Behauptung Herings von den vier ausgezeichneten Stellen im Farbenkreis leugnen und jede Farbennuance als Hauptoder Zwischenfarbe im HERiNGschen Sinne betrachten.2 Man kann zweitens die Behauptung Herings gelten lassen, aber leugnen, dafs die Zwischenfarben in irgendwelchem Sinn, weder an sich noch in der unmittelbaren Wahrnehmung, als aus den Hauptfarben bestehend aufzufassen sind.3 Und man kann drittens behaupten, dafs die Zwischenfarben sowohl an sich wie in der unmittelbaren Wahrnehmung aus den Hauptfarben bestehen.4\nDie folgende Abhandlung stellt sich zur Aufgabe, diese drei Antworten der Reihe nach auf ihre Richtigkeit zu pr\u00fcfen, wobei\n1\tVgl. E. Hering, Grundz\u00fcge der Lehre vom Lichtsinn, Sonderabdruck aus dem \u201eHandbuch der Augenheilkunde\u201c von Graefe-S\u00e4misch 1. Lieferung, 1905, \u00a7 12, S. 40-48.\n2\tVgl. W. Wundt, Grundz\u00fcge der physiologischen Psychologie, 5. Auf!., II. Bd., S. 2411\n3\tH. Ebbinghaus, Grundz\u00fcge der Psychologie, 2. Aufl., 1905, I. Bd., S. 203 ff.\n4\tFr. Brentano, Untersuchungen zur Sinnespsychologie, 1907, S. 13\u201424.","page":364},{"file":"p0365.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u00ab\nUber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n365\nsich die dritte als die allein richtige her ausstellen wird. Wir werden versuchen, sowohl die Art und Weise der unmittelbaren psychischen Zusammensetzung der Zwischenfarbe aus den Hauptfarben wie diejenige ihrer wirklichen psychischen Zusammensetzung aus den letzteren n\u00e4her zu bestimmen, wobei wir uns nur auf die aus zwei Komponenten bestehenden zusammengesetzten Farben beschr\u00e4nken.\nWir beginnen also mit der ersten Antwort, die die Ansicht Wundts in dieser Frage darstellt. Wundt behauptet n\u00e4mlich, dafs jede Farbe nach ihrem absoluten Empfindungswert einfach sei. \u201eEine Farbe, die zwischen je zwei anderen nicht allzu entfernten liegt, erscheint aber beiden in gewissem Grade verwandt, und wir fassen sie daher in diesem Sinne als eine Zwischenfarbe auf. H\u00e4tten wir uns aus irgendwelchen Gr\u00fcnden daran gew\u00f6hnt, Purpur und Orange als Hauptfarben anzusehen, so w\u00fcrde wahrscheinlich niemand sich bedenken dem Rot die Rolle einer Zwischenfarbe zwischen beiden zuzuschreiben.--------Der Be-\ngriff der Hauptfarbe hat also nur in dem Sinne eine Bedeutung, dafs er gr\u00f6fsere relative Unterschieds maxi ma innerhalb der in sich geschlossenen Farbenkurve andeutet.\u201c1\nUm die Ansicht Wundts widerlegen zu k\u00f6nnen, m\u00fcssen wir zuerst die Gr\u00fcnde kennen lernen, die Hering f\u00fcr seine grundlegende Behauptung von den vier fixen ausgezeichneten Stellen im Farbenkreise angef\u00fchrt hat.\nDer wichtigste Grund, den Hering in dieser Hinsicht anf\u00fchrt, lautet folgendermafsen. Nachdem Hering die Teilung des Farbenkreises in vier Quadranten durch die vier Urfarben hervorgehoben hat, f\u00e4hrt er fort: \u201eJeder Quadrant eines solchen aus m\u00f6glichst vielen und gleich freien Farbent\u00f6nen bestehenden Zirkels wird gebildet von den zwischen je zwei Urfarben liegenden Zwischent\u00f6nen. Greifen wir irgendeine solche Zwischenfarbe, z. B. ein beliebiges Orange heraus und suchen uns klar zu machen, welche \u00c4hnlichkeiten und welche Unterschiede zwischen dem Tone dieses Orange und den nach beiden Seiten angrenzenden Farbent\u00f6nen bestehen. \u00c4hnlich sind alle Farbent\u00f6ne dieser kleinen Strecke insofern, als sie erstens alle r\u00f6tlich und zweitens alle gelblich sind, und zwar nimmt, wenn wir die Farben in der einen Richtung durchmustern, die R\u00f6te zu und die Gilbe ab, w\u00e4hrend\n1 Wundt, a. a. O. S. 241\u2014242.\n24*","page":365},{"file":"p0366.txt","language":"de","ocr_de":"366\nBranislav Petronievics.\nin der entgegengesetzten Richtung die Gilbe zu und die R\u00f6te abnimmt. Was die einzelnen Farbent\u00f6ne dieser Strecke unterscheidet, ist also lediglich das verschiedene Verh\u00e4ltnis der Deutlichkeit ihrer R\u00f6te zur Deutlichkeit ihrer Gilbe.\nGanz anders verh\u00e4lt es sich, wenn wir eine Urfarbe, z. B. das Urgelb, mit den sich beiderseits anreihenden Farbent\u00f6nen vergleichen. Da finden wir, dafs die Gilbe, welche im Urgelb am ausgesprochensten ist, nach beiden Richtungen hin abnimmt, und dafs daf\u00fcr in der einen Richtung eine immer deutlicher hervortretende R\u00f6te, in der anderen Richtung eine zunehmende Gr\u00fcne bemerkbar ist. Die nach der einen Seite an das Urgelb grenzenden Farben zeigen also neben ihrer Gilbe eine Eigenschaft, von welcher in der nach der anderen Seite angrenzenden keine Spur bemerklich ist; denn jene spielen ins Gr\u00fcne, diese ins Rote, und das Urgelb bildet den Wendepunkt, vor welchem die Gr\u00fcnlichkeit aufh\u00f6rt und hinter welchem die R\u00f6tlichkeit beginnt. Nur eine bunte Eigenschaft, die Gilbe, ist allen Farben dieser kleinen Strecke gemeinsam, w\u00e4hrend den Farben einer zwischen zwei Urfarben liegenden Strecke stets zwei bunte Merkmale gemeinsam sind, deren eines in demselben Mafse an Deutlichkeit gewinnt, als das andere verliert.\u201c 1\nDerjenige nun, der, wie Wundt und viele andere, die absolute Einfachheit jeder Farbennuance im Farbenkreis in allem Ernste behauptet, k\u00f6nnte dieser Argumentation Herings folgendes vorwerfen. Gewils wird, wenn z. B. vom (mittleren) Orange ausgegangen wird, wie Hering behauptet, die R\u00f6tlichkeit nach der einen, die Gelblichkeit nach der anderen Seite stetig zunehmen bis man zuletzt zu einem Gelb und Rot gelangen wird, die keine \u00c4hnlichkeit mehr untereinander haben \u2014 aber die Sachlage wird sich so verhalten nur wenn vorausgesetzt wird, dafs dem Orange die Gilbe und die R\u00f6te als bunte Merhmale zukommen. Wenn aber Orange in der unmittelbaren Wahrnehmung ebenso absolut einfach wie Rot und Gelb ist, dann ist man nicht nur berechtigt zu behaupten, dafs in den an dasselbe angrenzenden Farbent\u00f6nen einerseits die Gilbe anderseits die R\u00f6te zunimmt, sondern auch, dafs auf diesen beiden Seiten die Orangeheit stetig ab nimmt. Man hat dann also auch bei einer Zwischen-\n1 Hering, a. a. O. S. 42.","page":366},{"file":"p0367.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n367\nf\u00e4rbe genau dieselben Verh\u00e4ltnisse zu den angrenzenden Farbent\u00f6nen, die nach Hering den Hauptfarben zukommen: man hat in beiden F\u00e4llen sowohl ein Abnehmen des einen bunten Merkmals der Ausgangsfarbe wie das Auftreten und Zunehmen von zweien neuen bunten Merkmalen (in unserem Beispiel m\u00fcfsten n\u00e4mlich offenbar R\u00f6te und Gilbe in bezug auf das Orange als neue bunte Merkmale auf gef afst werden). Damit aber der von Heeing in dieser Hinsicht gemachte Unterschied ganz verschwindet, mufs man noch voraussetzen, dafs die beiden neuen bunten Merkmale, die in den an das Gelbe angrenzenden Farbent\u00f6nen auftreten, nicht die Gr\u00fcne und die R\u00f6te sondern die Orangeheit und die Gr\u00fcngelbheit sind, was \u00fcbrigens selbstverst\u00e4ndlich ist, sobald die absolute Einfachheit dieser letzteren Farbennuancen vorausgesetzt wird.\nEs ist nun nicht viel Reflexion n\u00f6tig um einzusehen, dafs auf diesem Wege der von Hering auf gestellte Unterschied nicht aufzuheben ist. Wird n\u00e4mlich die absolute Einfachheit des Orange behauptet und Gilbe und R\u00f6te als ganz neue bunte Merkmale aufgefafst, die in dem mittleren Orange als solchem nicht gegeben sind, so ist damit die \u00c4hnlichkeit der zwischen Gelb und Rot liegenden Farbent\u00f6nen zwar nicht ausgeschlossen \u2014 denn alle diese Farbent\u00f6ne haben ja dann der Voraussetzung gem\u00e4fs die Orangeheit als buntes Merkmal gemeinsam -\u2014 es ist aber damit die \u00c4hnlichkeit dieses mittleren Orange mit dem reinen Gelben einerseits und mit dem reinen Roten andererseits ausgeschlossen, was doch der unmittelbaren Wahrnehmung widerspricht, die uns eine \u00c4hnlichkeit des mittleren Orange mit Gelb und Rot unzweifelhaft darbietet.\nAber nicht nur dafs durch diese notwendige Konsequenz die Voraussetzung der absoluten Einfachheit des Orange mit der Erfahrung in Widerspruch ger\u00e4t, sondern sie ger\u00e4t auch mit sich selbst in Widerspruch, indem man weiter gen\u00f6tigt ist, diese selbe \u00c4hnlichkeit als bestehend zu behaupten. Wenn wir n\u00e4mlich nicht das mittlere Orange, sondern eine zwischen Orange und Gelb in der Mitte liegende Farbennuance, also das Orange-Gelb, zur Ausgangsfarbe nehmen, so werden auf den beiden Seiten dieser letzteren einerseits das Gelb-Gelbgr\u00fcne (die Farbennuance zwischen Gelb und Gelbgr\u00fcn) und das Rot-Orange als neue bunte Merkmale auftreten, andererseits aber im Gelben und Orangen die einfache Gelb-Orange-Nuance im Abnehmen erscheinen. Ist dies","page":367},{"file":"p0368.txt","language":"de","ocr_de":"368\nBranislav Petronievics.\nletztere aber der Fall, dann hat man damit eine \u00c4hnlichkeit des Gelben mit dem Orangen zugegeben, womit man in Widerstreit mit der fr\u00fcheren Leugnung einer solchen ger\u00e4t. Da aber sowohl diese Leugnung wie jene Behauptung mit gleichem Rechte aus der Annahme der absoluten Einfachheit der Zwischenfarben folgt, so ist daraus mit Notwendigkeit auf die Unhaltbarkeit dieser Voraussetzung zu schliefsen.\nAufser dem eben besprochenen l\u00e4fst sich aber noch ein zweiter Weg denken, auf dem man die Aufrechterhaltung derselben versuchen k\u00f6nnte. Der erste Weg bestand darin, den Zwischenfarben dieselben grundlegenden Eigenschaften beizulegen, die nach Hering den Hauptfarben zukommen ; man kann nun umgekehrt versuchen, den Hauptfarben die grundlegenden Eigenschaften der Zwischenfarben beizulegen. In der Tat ist es dieser zweite Weg, auf dem man den von Hering gemachten Unterschied gew\u00f6hnlich aufzuheben sucht, was auch bei Wundt der Fall ist, wie dies aus seinen oben zitierten \u00c4ufserungen erhellt. Nach ihm soll ja dem Begriff der Hauptfarbe nur in dem Sinne eine Bedeutung zukommen, dals er ..gewisse relative Unter-schiedsmaxima\u201c im Farbenkreis \u201eandeutet\u201c, es soll aber sonst jede Farbennuance als Zwischenfarbe gelten k\u00f6nnen, es soll z. B. das Rote ganz ebenso als Zwischenfarbe zwischen Purpur und Oiange (genauer Orange-rot) aufzufassen sein, wie man Orange als Zwischenfarbe zwischen Gelb und Rot auffafst.\nWill man nun in allem Ernste diese Behauptung Wundts, gegen\u00fcber der von Hering gemachten Unterscheidung auf st eilen\u2019 so mufs man ihr zun\u00e4chst folgende Formulierung geben. Im Farbenkreise sind gewisse Farbennuancen vorhanden, die untereinander gai keine \u00c4hnlichkeit zeigen. Wenn von einer Farbennuance in demselben ausgegangen wird, dann gelangt man auf drei Stellen, deren Farbennuancen mit der Ausgangsfarbe keine \u00c4hnlichkeit zeigen, und dies gilt ausnahmslos, welche Farbennuance man auch zur Ausgangsfarbe w\u00e4hlen mag. Die zwischen je zwei n\u00e4chsten von diesen vier jeweiligen Hauptfarben liegenden Zwischenfarben sind dagegen sowohl untereinander, wie mit ihren beiden Hauptfarben \u00e4hnlich. So werden, wenn vom mittleren Orange ausgegangen wird, Orange, Gelb-gr\u00fcn, Gr\u00fcn-blau und Violett die vier untereinander keine \u00c4hnlichkeit zeigenden Hauptfarben sein. Das Gelbe, welches zwischen Orange und Gr\u00fcngelb liegt, ist einerseits mit dem Orange und andererseits mit dem Gelbgr\u00fcnen","page":368},{"file":"p0369.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n369\n\u00e4hnlich, und die zwischen diesen beiden letzteren Hauptfarben liegenden (gelblichen) Farbennuancen werden sich nur durch das verschiedene Verh\u00e4ltnis der \u00c4hnlichkeit derselben mit dem einfachen Gelbgr\u00fcnen und dem Orangen voneinander unterscheiden.\nAuf den ersten Blick scheint diese Formulierung logisch tadellos zu sein. Denn behauptet man f\u00fcr eine Zwischenfarbe, dafs sie mit ihren beiden entsprechenden Hauptfarben nicht deshalb \u00e4hnlich sei, weil sie diese letzteren als bunte Merkmale in sich enthielte, sondern dafs sie als absolut einfache mit ihnen \u00e4hnlich sei, dann scheint in der Tat die Relativit\u00e4t des Begriffs der Hauptfarbe aufser Frage zu stehen. Dem w\u00e4re es unzweifelhaft so, wenn der relative Unterschied der Hauptfarbe von der Zwischenfarbe selbst logisch widerspruchslos w\u00e4re, d. h. wenn es wirklich unter der gemachten Voraussetzung im Farbenkreise relative untereinander keine \u00c4hnlichkeit zeigenden Hauptfarben geben k\u00f6nnte. Solche Hauptfarben sind aber bei der vorausgesetzten absoluten Einfachheit aller Farbennuancen gar nicht denkbar. Sind n\u00e4mlich z. B. zwei verschiedene Nuancen von Orange nur deshalb untereinander \u00e4hnlich, weil jede von ihnen sowohl mit dem Roten wie mit dem Gelben \u00e4hnlich ist, dann m\u00fcssen ebenso umgekehrt Gelb und Rot (also die beiden relativen Hauptfarben in bezug auf das Orange) untereinander \u00e4hnlich sein, da ja ebenso jede von ihnen sowohl mit der einen, wie mit der anderen Nuance von Orange \u00e4hnlich ist, und es m\u00fcfsten dann \u00fcberhaupt zwei Farbennuancen, die mit einer dritten \u00e4hnlich sind, auch untereinander \u00e4hnlich sein (da offenbar, wenn dieser Satz nicht gelten w\u00fcrde, auch der Satz, dafs, wenn zwei Farbennuancen mit zweien anderen \u00e4hnlich sind, sie auch untereinander \u00e4hnlich seien, der in unserem Beispiel liegt, nicht gelten k\u00f6nnte). Damit ist aber der Begriff der relativen Hauptfarben aufgehoben.\nUnsere Gegner m\u00fcfsten nun entweder die Unrichtigkeit der Behauptung, der Begriff der Hauptfarbe im f arbenkreis sei ein blofs relativer, bekennen oder dieselbe auf eine neue Art und Weise zu verteidigen suchen. Es er\u00f6ffnen sich hierf\u00fcr wiederum zwei Wege. Entweder wird man behaupten, dafs Gelb und Rot untereinander nicht ganz un\u00e4hnlich sind, sondern nur relativ un\u00e4hnlicher als es die dazwischenliegenden Nuancen des Orange untereinander sind, oder dafs diese letzteren ebenso untereinander ganz un\u00e4hnlich seien, wie dies die ersteren untereinander sind.","page":369},{"file":"p0370.txt","language":"de","ocr_de":"370\nBranislav Petronievics.\nDer erste Weg f\u00fchrt, konsequent ausgedacht, zu der Behauptung, alle Farbennuancen im Farbenkreis seien untereinander \u00e4hnlich. Denn sollen Gelb und Bot deshalb untereinander \u00e4hnlich sein, weil beide mit dem Orange \u00e4hnlich sind, dann m\u00fcfsten auch, nach demselben oben ausgesprochenen Prinzip (dafs n\u00e4mlich, wenn zwei Farben mit einer dritten \u00e4hnlich sind, sie dies auch untereinander seien), das Rote und das Blaue untereinander \u00e4hnlich sein, weil ja beide mit dem Violetten \u00e4hnlich sind. Sind aber Gelb und Rot einerseits, Rot und Blau andererseits untereinander \u00e4hnlich, dann m\u00fcfsten auch Gelb und Blau untereinander \u00e4hnlich sein, weil ja beide mit dem Roten \u00e4hnlich sein sollen. In derselben Weise ist dann aber auch das Gr\u00fcne sowohl mit dem Gelben wie mit dem Blauen und demnach auch mit dem Roten \u00e4hnlich, und \u00fcberhaupt sind dann alle Farbennuancen im Farbenkreis untereinander \u00e4hnlich. Diese letztere Behauptung involviert aber die Behauptung in sich, dafs eine Farbe und die ihr im Farbenkreise gegen\u00fcberliegende Gegenfarbe untereinander \u00e4hnlich seien, und diese letztere Behauptung steht in Widerstreit mit der unmittelbaren Wahrnehmung. Dafs Gelb und Blau keine \u00c4hnlichkeit untereinander zeigen, dafs in dem Gelben nichts Blaues (oder nichts was an das Blaue erinnern w\u00fcrde),, in dem Blauen nichts Gelbes wahrzunehmen ist, und dafs ebenso m dem (mittleren) Orange nichts von mittlerem Blaugr\u00fcnen m dem Violetten nichts vom Gelbgr\u00fcnen usw. wahrzunehmen ist, das sind alles unmittelbare Wahrnehmungstatsachen, die man ebensowenig bezweifeln kann, wie die Tatsache, dafs in dem (reinen) Weifs nichts schwarzes, in dem (reinen) Schwarz nichts weifses wahrzunehmen ist. Die Tatsache der vollkommenen Verschiedenheit der Gegenfarben vernichtet also diesen ersten Weg,\nauf dem man den Begriff der relativen Hauptfarbe retten wollte vollst\u00e4ndig. 1\n1 Streng genommen gen\u00fcgt schon die Tatsache der Un\u00e4hnlichkeit einiger unter den benachbarten relativen Hauptfarben vollst\u00e4ndig, um diesen ersten Weg zu vernichten. Denn dafs z. B. in dem Gelben nichts Kotes, in dem oten nichts Gelbes wahrzunehmen ist, ist ebenso sicher, wie der vollkommene Unterschied zwischen einer Farbe und ihrer Gegenfarbe. Wer also die \u00c4hnlichkeit aller Farbennuaneen im Farbenkreis behauptet, ist schon durch die volle Un\u00e4hnlichkeit der besagten benachbarten relativen auptfarben widerlegt. Dafs aber mindestens drei solche Hauptfarben im Farbenkreis existieren m\u00fcssen, folgt unmittelbar aus der Geschlossenheit des letzteren. Es ist selbstverst\u00e4ndlich, dafs es sich dabei nur um spezi-","page":370},{"file":"p0371.txt","language":"de","ocr_de":"Uber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n371\nF\u00fchrt das Prinzip : wenn zwei Farbennuancen mit einer dritten \u00e4hnlich sind, so sind sie auch untereinander \u00e4hnlich, bei der vorausgesetzten Einfachheit der Farbennuancen im Farbenkreis zu der absurden Behauptung, dafs sie alle darin miteinander \u00e4hnlich seien, so mufs man, wenn man diese absolute Einfachheit noch aufrechterhalten will, dieses Prinzip vollst\u00e4ndig negieren. Seine vollst\u00e4ndige Negation f\u00fchrt aber zu der anderen ganz entgegengesetzten Behauptung, wonach keine Farbennuance mehr mit einer anderen \u00e4hnlich sei. Sind Gelb und Rot nicht untereinander, trotz ihrer \u00c4hnlichkeit mit dem Orange, \u00e4hnlich, dann sind auch Gelb und Blau nicht, aber auch die verschiedenen Nuancen des Orange nicht mehr untereinander \u00e4hnlich. Sind aber die verschiedenen Nuancen des Orange sowohl untereinander wie mit dem Gelben und Roten un\u00e4hnlich, dann gilt dasselbe auch f\u00fcr die verschiedenen Nuancen des Gelbgr\u00fcnen, des Blau-gr\u00fcnen und des Rotblauen, und es ist dann \u00fcberhaupt keine Farbennuance im Farbenkreis mit einer anderen \u00e4hnlich. Damit wird aber dieser letztere selbst als solcher aufgehoben, denn ist jede Farbennuance von jeder anderen vollkommen verschieden, dann ist es schlechterdings unm\u00f6glich, einer Farbennuance eine feste Stelle im Farbenkreise anzuweisen, die Farbennuancen w\u00fcrden dann keine in sich geschlossene Linie bilden, sondern h\u00f6chstens eine Gerade, in der die Stelle einer Farbennuance eine ganz willk\u00fcrliche w\u00e4re. Der Farbenkreis ist aber eine Tatsache der unmittelbaren Erfahrung und damit ist auch dieser zweite Weg, den Begriff der relativen Hauptfarbe zu retten, vernichtet.\nDamit ist aber auch dieser Begriff definitiv widerlegt und der von Hering gemachte Unterschied als zu Recht bestehend nachgewiesen. Es l\u00e4fst sich aber der von Hering gegebenen Formulierung dieses letzteren eine neue hinzuf\u00fcgen,* 1 die uns viel\nfische Unterschiede der einzelnen Farbenempfindungen als solche handelt, denn alle Farben als Farben haben, im Unterschied z. B. von T\u00f6nen, etwas Gemeinsames, doch dieses Gemeinsame meinen wir nicht, wenn wir von \u00c4hnlichkeiten derselben untereinander reden.\n1 Aufser dem oben mitgeteilten Unterscheidungsgrund zwischen Haupt-und Nebenfarben, f\u00fchrt Hering noch zwei solche an, die einander erg\u00e4nzen. Teilt man den Farbenkreis durch die vier Urfarben in vier Quadranten ein, dann bekommt man \u201eeine gelbhaltige und eine blauhaltige, und ebenso eine rot haltige und eine gr\u00fcnhaltige H\u00e4lfte des Farbenzirkels\u201c. Wird aber der Farbenkreis so geh\u00e4lftet, \u201edafs die Teilungslinie nicht durch zwei Urfarben, sondern zwei beliebige einander gegen\u00fcber-","page":371},{"file":"p0372.txt","language":"de","ocr_de":"372\nBranislav Petronievics.\neinleuchtender und entscheidender als die seinige zn sein scheint. Der Unterschied der Haupt- und der Zwischenfarbe findet n\u00e4mlich seinen einfachsten und klarsten Ausdruck in dem Unterschiede der Anzahl der Farbennuancen, mit denen dieselben \u00e4hnlich sind. Um diesem Zahlenunterschiede einen von der spezifisch HERiNGschen Einteilung des Farbenkreises in Quadranten ganz unabh\u00e4ngigen Ausdruck zu verleihen, k\u00f6nnen wTir denselben folgendermafsen formulieren :\n1.\tEine Hauptfarbe ist mit allen Farbennuancen im Farbenkreis \u00e4hnlich, die in den beiden ihr unmittelbar anliegenden Quadranten liegen, die beiden Grenz f\u00e4rb en dieser letzteren ausgenommen.\n2.\tEine Zwischenfarbe ist mit allen Farbennuancen im Farbenkreis \u00e4hnlich, die in den beiden ihr unmittelbar anliegenden Quadranten liegen, die beiden Grenzfarben dieser letzteren inbegriffen.\nUm sich von der Richtigkeit dieser beiden S\u00e4tze zu \u00fcberzeugen, wollen wir den Farbenkreis in vier Quadranten durch die vier HERiNGschen Hauptfarben ein teilen und dann zusehen, mit wie vielen Farbennuancen eine Haupt- und mit wie vielen eine Zwischenfarbe im HERiNGschen Sinne \u00e4hnlich ist. Wenn wir z. B. vom (mittleren) Orange ausgehen, so finden wir, dafs mit dieser Zwischenfarbe \u00e4hnlich sind: 1. alle Farbennuancen, die in dem Quadranten zwischen gelb und rot liegen (sie haben ja alle etwas Gelbliches und R\u00f6tliches an sich), diese beiden Grenzfarben des Quadranten inbegriffen; 2. alle Farbennuancen, die in dem benachbarten Quadranten zwischen gelb und gr\u00fcn liegen (sie haben alle etwas Gelbliches an sich), die gr\u00fcne Grenzfarbe ausgenommen und 3. alle Farbennuancen, die in dem benachbarten Quadranten zwischen rot und blau liegen (sie haben alle etwas R\u00f6tliches an sich), die blaue Grenzfarbe ausgenommen. Wenn wTir aber z. B. vom Gelb ausgehen, so finden wir, dafs mit dieser Hauptfarbe \u00e4hnlich sind nur: 1. alle Farbennuancen, die in dem ihr unmittelbar anliegenden Quadranten gelb-gr\u00fcn liegen (sie sind alle gelblich), die Grenzfarbe gr\u00fcn ausgenommen und 2. alle Farbennuancen,\nliegende Zwischenfarben geht, z. B. durch ein bestimmtes Violett und ein bestimmtes Gr\u00fcngelb, und vergleicht man die Farbent\u00f6ne je einer H\u00e4lfte untereinander, so findet man kein allen diesen T\u00f6nen gemeinsames buntes Merkmal\u201c (a. a. O. S. 42\u201443).","page":372},{"file":"p0373.txt","language":"de","ocr_de":"Uber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n373\ndie in dem ihr unmittelbar anliegenden Quadranten gelb-rot .liegen (diese sind ebenso alle gelblich), die Grenzfarbe rot ausgenommen. Allgemein gesprochen ist, bei Zugrundelegung der HERiNGschen Quadranteneinteilung des Farbenkreises :\n1.\teine Hauptfarbe mit allen Farbennuancen \u00e4hnlich, die in den beiden ihr unmittelbar anliegenden Quadranten liegen, die beiden Grenzfarben dieser letzteren ausgenommen.\n2.\tehre Zwischenfarbe mit allen Farbennuancen \u00e4hnlich, die in demselben Quadranten liegen, in dem sie liegt, die beiden Grenzfarben dieses Quadranten inbegriffen, und die in den beiden benachbarten Quadranten liegen, die beiden \u00e4ufseren Grenzfarben dieser letzteren ausgenommen.\nLassen wir nunmehr die Hering sehe Quadranteneinteilung fort und teilen wir den Farbenkreis in Quadranten durch irgendwelche vier anderen Zwischenfarben, dann verwandelt sich der jetzige Satz 2, wie sich leicht einsehen l\u00e4fst, in die Form des obigen Satzes 2, w\u00e4hrend Satz 1 in beiden F\u00e4llen gleichlautend bleibt. Damit ist aber gesagt, dafs der Begriff der Hauptfarbe im Farbenkreise ein absoluter ist, dafs die vier HERiNGschen Hauptfarben ganz eigenartige ausgezeichnete Stellungen in demselben einnehmen, und dafs somit die erste Antwort auf unsere Hauptfrage definitiv widerlegt ist.\nWir gehen nunmehr zur Diskussion der zweiten Antwort auf dieselbe \u00fcber, deren Vertreter Ebbinghaus und auch Hering selbst sind. Volle \u00dcbereinstimmung zwischen diesen beiden besteht dabei zwar nicht, doch sind sie in der Leugnung einer wirklichen Zusammengesetztheit der Zwischenfarben aus den Hauptfarben beide einig. Wir wollen uns zun\u00e4chst mit den Behauptungen von Ebbinghaus als dem konsequenteren Vertreter dieser Ansicht bekannt machen.\nNach Ebbinghaus soll es n\u00e4mlich entschieden irrig sein, den Gegensatz von Haupt- und Zwischenfarben als einen solchen der Einfachheit und Zusammengesetztheit aufzufassen.1 Es \u201ewird niemand\u201c, sagt er, \u201eder nicht zuf\u00e4llig weifs, dafs die Farbe der Apfelsine durch Mischung roter und gelber Pigmente dargestellt werden kann, durch blofse psychologische Analyse auf den Glauben kommen, aus ihr gleichzeitig Bot und Gelb herauszusehen, in\n1 Ebbinghaus, a. a. O. S. 203.","page":373},{"file":"p0374.txt","language":"de","ocr_de":"374\nBranislav Petronievics.\n\u00e4hnlicher Weise etwa, wie er aus dem Geschmack der Frucht allerdings S\u00e4uerliches und S\u00fcfses herauszuschmecken vermag. Die Farben des Gr\u00fcnspans oder des Veilchens machen, lediglich als psychische Inhalte betrachtet, in bezug auf Einfachheit und Zusammengesetztheit schlechterdings keinen anderen Eindruck als die der Kornblume und des Blutes. Was hier wirklich vorliegt, ist allein die Tatsache, die vorhin zur Anordnung der Farben benutzt wurde: jede Farbe zeigt gleichzeitig nach verschiedenen Seiten hin \u00c4hnlichkeiten mit anderen Farben, sie erinnert an mehrere andere. . .. Aber an anderes erinnern und sich aus anderem zusammensetzen sind verschiedene Dinge.\u201c1\nEbenso darf man diesen Gegensatz nach ihm nicht darin suchen,\n\u2022 \u2022\ndafs nur den Nebenfarben die zweiseitige \u00c4hnlichkeit (mit den Hauptfarben) zukommt, den Hauptfarben dagegen nicht. \u201eEbensowenig aber, wie der Unterschied der Hauptfarben von den Nebenfarben in dem Gegensatz von Einfachheit und Zusammengesetztheit gesucht werden darf, liegt er darin, dafs nur etwa bei\n\u2022 \u2022\nden Nebenfarben jene eben erw\u00e4hnte zweiseitige \u00c4hnlichkeit vorhanden sei, bei den Hauptfarben nicht. Sondern auch hierin verhalten sich alle Farben gleich. .. . Nur wenn man mehrere \u00e4hnliche Farben nacheinander durchl\u00e4uft, empfindet man deutlich die ausgezeichnete Stellung der Hauptfarben durch den hier stattfindenden Richtungswechsel der \u00c4hnlichkeiten. Vielleicht spielen f\u00fcr das Bewufstsein des Unterschiedes noch andere Momente mit, indes eine Formulierung f\u00fcr sie ist noch nicht gelungen.\u201c 2\nWas den ersten der beiden eben angef\u00fchrten Streitpunkte anbetrifft, n\u00e4mlich die Leugnung der zusammengesetzten Natur der Zwischenfarben, scheint Hebino mit Ebbinghaus vollst\u00e4ndig \u00fcbereinzustimmen. Auch nach ihm soll es sich bei dem Unter-schiede der Zwischenfarben von den Hauptfarben nicht um den Unterschied von zusammengesetzten und einfachen Empfindungen handeln, sondern \u201ees handelt sich lediglich darum, dafs diesen Ph\u00e4nomenen [den Gesichtsempfindungen] gewisse Merkmale oder Eigenschaften zukommen, dafs bestimmte Merkmale oder Eigenschaften ganzen Gruppen dieser Ph\u00e4nomene gemeinsam sind, wenn auch den einzelnen Gliedern einer Gruppe in verschiedenem\n1\tEbbinghaus, a. a. O. S. 203.\n2\tEbbinghaus, a. a. 0. S. 204.","page":374},{"file":"p0375.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n375\nMafse der Deutlichkeit, und dafs eben hierauf die mehr oder minder grofse \u00c4hnlichkeit der einzelnen Glieder einer Gruppe beruht. Bo charakterisiert eine gewisse R\u00f6te und eine gewisse Bl\u00e4ue alle zwischen dem Urrot und dem Urblau liegenden T\u00f6ne des Farbenzirkels. Ob ich nun die R\u00f6te und Bl\u00e4ue des Violett als Bestandteile oder Komponenten, oder ob ich sie als Merkmale oder Eigenschaften des Violett bezeichne, scheint mir hier gleichg\u00fcltig. \u201c 1\nDagegen weicht Hering in dem zweiten der beiden Streitpunkte , in der Behauptung der zweiseitigen \u00c4hnlichkeit der Hauptfarben, entschieden von Ebbinghaus ab. In diesem Sinne setzt er seine eben angef\u00fchrte Auseinandersetzung unmittelbar fort. \u201eWesentlich aber scheint mir, dafs man Violett und Orange nicht in demselben Sinne als Merkmale des Urrot nehmen kann, wie Gelb und Rot als Merkmale des Orange, oder Blau und Rot als solche des Violett, obwohl das Rot ganz ebenso zwischen Orange und Violett steht, wie Orange zwischen Rot und Gelb oder Violett zwischen Rot und Blau.\u201c 2\nWir wenden uns nun zun\u00e4chst diesem zweiten Streitpunkte zu, weil er mit der Frage der Zusammengesetztheit der Zwischenfarben aus den Hauptfarben in der unmittelbaren Wahrnehmung in engstem Zusammenh\u00e4nge steht, und es uns hier offenbar zun\u00e4chst darauf ankommt, diese letztere Zusammengesetztheit als wirklich bestehend nachzuweisen. W\u00e4hrend Ebbinghaus ausdr\u00fccklich hervorhebt, dafs sich in bezug auf die zweiseitige \u00c4hnlichkeit \u201ealle Farben gleich\u201c verhalten und dafs \u201ewie Orange gleichzeitig dem Rot und Gelb \u00e4hnlich ist, so Gelb gleichzeitig dem Orange und Gelbgr\u00fcn\u201c,3 leugnet Hering ebenso ausdr\u00fccklich diese letztere \u00c4hnlichkeit, indem er, nur mit anderen Worten, behauptet, \u201edafs man Violett und Orange nicht in demselben Sinne als Merkmale des Urrot nehmen kann, wie Gelb und Rot als Merkmale des Orange\u201c. Freilich hat Ebbinghaus mit seiner Behauptung insofern recht, inwiefern, wenn Orange und Gelbgr\u00fcn mit dem Gelben \u00e4hnlich sind, auch dies letztere mit ihnen \u00e4hnlich sein mufs, aber diese \u00c4hnlichkeit des Gelben mit dem Orangen und Gelbgr\u00fcnen ist eine von der \u00c4hnlichkeit dieser\n1\tHering, a. a. O. S. 45\u201446.\n2\tHering, a. a. 0. S. 46.\n3\tEbbinghaus, a. a. 0. S. 204.","page":375},{"file":"p0376.txt","language":"de","ocr_de":"376\nBranislav Petronievics\nbeiden letzteren Farben mit dem Gelben grunds\u00e4tzlich verschiedene, und diese grunds\u00e4tzliche Verschiedenheit der beiden \u00c4hnlichkeiten ist eben dasjenige, was Hering hervorheben will. Orange und Gelbgr\u00fcn sind mit dem Gelben deshalb \u00e4hnlich, weil sie beide das Gelbe als buntes Merkmal in sich enthalten, dagegen ist Gelb mit dem Orange und Gelbgr\u00fcn nicht deshalb \u00e4hnlich, weil dasselbe diese beiden in derselben Weise als bunte Merkmale in sich enthielte, sondern wiederum nur deshalb, weil es selber als buntes Merkmal in ihnen beiden auftritt. Die \u00c4hnlichkeit der Hauptfarben mit den Nebenfarben ist also wesentlich verschieden von der \u00c4hnlichkeit der Nebenfarben mit der Hauptfarbe, und wer diese Verschiedenheit leugnen w\u00fcrde, m\u00fcfste konsequenterweise auch den absoluten Unterschied der HERiNGschen Hauptfarben von den Nebenfarben im Farbenkreis leugnen. In der Tat liefse sich schwer einsehen, worin der Richtungswechsel der \u00c4hnlichkeiten beim Passieren der Hauptfarben im Farbenkreis noch bestehen sollte, wenn man den wesentlichen Unterschied zwischen der \u00c4hnlichkeit der Hauptfarben von den Nebenfarben und der \u00c4hnlichkeit der Nebenfarben von den Hauptfarben aufheben wollte. Haben wir ja schon gesehen, zu was f\u00fcr Widerspr\u00fcchen der Versuch, denselben aufzuheben, f\u00fchrt! \u00dcbrigens erkennt dies Ebbinghaus selbst indirekt an, indem er hervorhebt, dafs vielleicht noch andere Momente dabei mitspielen, die noch nicht formuliert worden sind.\nEs l\u00e4fst sich aber auch direkt beweisen, dafs den Neben-f\u00e4rben im Farbenkreis notwendigerweise zwei bunte Merkmale zukommen m\u00fcssen im Unterschied von den Hauptfarben, denen nur ein solches zukommt. Aus den beiden auf S. 372 angef\u00fchrten S\u00e4tzen in bezug auf die Farbennuancen, die mit einer Haupt-und die mit einer Nebenfarbe \u00e4hnlich sind, lassen sich leicht die beiden folgenden Korollars\u00e4tze deduzieren:\n1.\tFarbennuancen, die mit einer Hauptfarbe \u00e4hnlich sind, sind alle auch untereinander \u00e4hnlich.\n2.\tFarbennuancen, die mit einer Zwischenfarbe \u00e4hnlich sind, sind nicht alle untereinander \u00e4hnlich.\nDer erste Satz folgt unmittelbar aus dem Satze, dafs \u201eeine Hauptfarbe mit allen Farbennuancen \u00e4hnlich ist, die in den beiden ihr unmittelbar anliegenden Quadranten liegen, die beiden Grenzfarben dieser letzteren ausgenommen\u201c, wenn man bedenkt, dafs diese \u00c4hnlichkeit nur davon herr\u00fchrt, dafs die Hauptfarbe","page":376},{"file":"p0377.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n377\nin allen diesen Farbennnancen als buntes Merkmal auf tritt. Der zweite Satz folgt ebenso ans dem Satze, dafs \u201eeine Zwischenfarbe mit allen Farbennuancen \u00e4hnlich ist, die in demselben Quadranten liegen, in dem sie liegt, die beiden Grenzfarben dieses Quadranten inbegriffen und die in den beiden benachbarten Quadranten liegen, die beiden \u00e4ufseren Grenzfarben dieser letzteren aus-genommen\u201c, wenn man bedenkt, ^dafs nur die Farbennuancen des mittleren Quadranten, in dem eine Zwischenfarbe liegt, untereinander alle \u00e4hnlich sind, w\u00e4hrend weder die beiden Grenzfarben dieses Quadranten untereinander noch die Zwischenfarben des einen \u00e4ufseren Quadranten mit denjenigen des anderen irgendeine \u00c4hnlichkeit zeigen.\nWenn nun zwei Farbennuancen, die mit einer dritten \u00e4hnlich sind, dies auch untereinander sind, so ist dies logisch nur so denkbar, dafs sie beide diese dritte als buntes Merkmal in sich enthalten. Sind aber zwei Farbennuancen mit einer dritten \u00e4hnlich, nicht aber auch untereinander, dann k\u00f6nnen sie diese dritte als buntes Merkmal in sich nicht enthalten, sonst m\u00fcfsten sie ja nach dem eben formulierten Satze auch untereinander \u00e4hnlich sein. Wie ist dann aber ihre \u00c4hnlichkeit mit der dritten denkbar? Im ersten Falle, wo die mit einer dritten Farbennuance \u00e4hnlichen Farbennuancen es auch untereinander sind, l\u00e4fst sich ganz wohl die absolute Einfachheit dieser dritten Vergleichsfarbe denken (so die absolute Einfachheit des Gelben, mit dem zwei Nuancen des Orange \u00e4hnlich sind, auch, rein formell genommen, die absolute Einfachheit einer Nuance des Orange, mit denen zwei andere Nuancen desselben \u00e4hnlich sind). Im zweiten Falle dagegen, wo die zwei mit einer dritten \u00e4hnlichen Farbennuancen nicht untereinander \u00e4hnlich sind, ist die absolute Einfachheit der Vergleichsfarbe gar nicht denkbar, es m\u00fcssen derselben mindestens zwei solche zukommen. Denn ist dies letztere der Fall, dann besteht keine Antinomie mehr: die beiden mit der Vergleichsfarbe \u00e4hnlichen Farbennuancen k\u00f6nnen dann ganz wohl untereinander un\u00e4hnlich sein, wenn n\u00e4mlich jede von ihnen nur in einem von den beiden bunten Merkmalen der Vergleichsfarbe mit dieser \u00fcbereinstimmt. So brauchen Gelbgr\u00fcn und Violett, obgleich sie beide mit Orange \u00e4hnlich sind, nicht auch untereinander \u00e4hnlich zu sein, weil Gelbgr\u00fcn mit dem Orange in dem bunten Merkmal des Gelben, Violett in demjenigen des Roten \u00fcbereinstimmt, und Gelb und Rot beide voneinander verschiedene bunte Merkmale","page":377},{"file":"p0378.txt","language":"de","ocr_de":"378\nBranislav Petronievics.\nsind (aus demselben Grande sind auch diese letzteren als selbst\u00e4ndige Farbennuancen, obgleich sie beide mit dem Orange \u00e4hnlich sind, untereinander un\u00e4hnlich). Da nun zwei Farbennuancen, die mit einer dritten im Farbenkreise \u00e4hnlich sind, es entweder auch untereinander sind oder nicht sind, so mufs es unter den Farbennuancen des Farbenkreises auch solche geben, denen zwei bunte Merkmale zukommen, und zwar sind es die Zwischenfarben, f\u00fcr die dies* nach dem obigen Satze 2 gelten mufs. Dagegen w\u00fcrde die Voraussetzung, dafs auch den Hauptfarben zwei bunte Merkmale zukommen, im Widerspruche mit dem Satze 1 stehen, denn es k\u00f6nnten dann nicht alle mit denselben \u00e4hnlichen Farbennuancen es auch untereinander sein, es m\u00fcfsten dann unter den letzteren auch solche Vorkommen, die es nicht sind, wodurch der tats\u00e4chlich bestehende in den S\u00e4tzen 1 und 2 zum Ausdruck gebrachte Unterschied zwischen Haupt-und Zwischenfarben aufgehoben w\u00e4re.\nErkennt man nun aber einmal an, dafs ein wesentlicher begrifflicher Unterschied zwischen den Haupt- und den Nebenfarben darin besteht, dafs den ersteren nur ein buntes Merkmal zukommt, w\u00e4hrend den letzteren zwei solche zukommen, so mufs diesem Unterschied ein Unterschied in den Farbenindividuen beider Klassen als unmittelbaren W a h r n e h m u n g s -Objekten entsprechen. Damit sind wir zur Diskussion der ersten These der zweiten Antwort auf unsere Hauptfrage, der Behauptung von der absoluten Einfachheit des Eindrucks der Zwischenfarbe in der unmittelbaren Wahrnehmung, angelangt. Ebbinghaus stellt, wie wir sahen, diese Behauptung mit aller Entschiedenheit auf, w\u00e4hrend Heeing die Sache unbestimmt l\u00e4fst und sich mit der Feststellung des besagten begrifflichen Unterschieds der Haupt- und der Nebenfarbe begn\u00fcgt. Erkennt man aber diesen letzteren an, dann mufs, wie gesagt, die Doppelheit der Merkmale in den Zwischenfarben auf irgendeine Art und Weise in der unmittelbaren Wahrnehmung gegeben sein, denn es handelt sich hierbei nicht um Merkmale und Eigenschaften von abstrakten, sondern um solche von ganz konkreten unmittelbaren Wahrnehmungsdingen. Hat die Zwischenfarbe im Unterschied von der Hauptfarbe zwei bunte Merkmale in sich, dann mufs diese Zweiheit ihrer Merkmale auch irgendwie wahrgenommen werden, die Zwischenfarbe kann nicht denselben absolut einfachen Eindruck machen wie die Hauptfarbe, es","page":378},{"file":"p0379.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n379\nkann dieselbe als Empfin dung nicht in demselben Sinne wie diese einfach sein. In der Tat lehrt uns die unmittelbare Wahrnehmung, dafs wir in dem (reinen) Blau nicht in demselben Sinne das (mittlere) Violett und das (mittlere) Gr\u00fcnblau wahrnehmen, in dem wir das Bote und das Blaue in dem Violetten, das Gr\u00fcne und Blaue in dem Blaugr\u00fcnen wahrnehmen, ein Unterschied in dem Eindruck einer Zwischenfarbe und einer Hauptfarbe besteht also ganz gewifs und es kann sich nur darum handeln, m\u00f6glichst genau zu beschreiben, wie zwei Hauptfarben, die wir als bunte Merkmale einer Zwischenfarbe zuschreiben, in dieser letzteren unmittelbar gesehen wTerden.\nEs ist nun ohne weiteres einleuchtend, dafs sie in dieser nicht so gesehen werden, wie man sie sieht, wenn sie aufser-einander und nebeneinander liegen. W\u00fcrden wir z. B. das Orange als Rotgelb so sehen, dafs darin das Bote und das Gelbe qualitativ ganz getrennt voneinander erscheinen (also darin qualitativ ganz so getrennt vork\u00e4men, wie wenn sie in zwei aufsereinander liegenden Raumfl\u00e4chen w\u00e4ren), dann k\u00f6nnte man die zusammengesetzte Natur desselben in der unmittelbaren Wahrnehmung gar nicht bestreiten, denn dann w\u00fcrde man das Orange als eine Summe zweier an einem und demselben Orte im Raume existierenden resp. einander durchdringenden Farbenfl\u00e4chen wahrnehmen, die in ihrer qualitativen Beschaffenheit ganz unabh\u00e4ngig voneinander w\u00e4ren und von denen sich die eine um die Existenz der anderen gleichsam gar nicht k\u00fcmmern w\u00fcrde.\nWird nun die Zwischenfarbe nicht in dieser Weise als das blofse Durchdrungensein der beiden Hauptfarben, die dabei qualitativ ganz distinkt voneinander bleiben, wahrgenommen, so wird sie andererseits, wie gesagt, auch nicht so absolut einfach wie die Hauptfarbe wahrgenommen. Der Eindruck, den die Zwischenfarbe in der unmittelbaren Wahrnehmung macht, liegt also und mufs zwischen diesen beiden Extremen liegen, und wir m\u00fcssen nunmehr versuchen, ihn n\u00e4her zu beschreiben. In der Zwischenfarbe werden nun die beiden Hauptfarben als Komponenten weder so gesehen, dafs sie darin in ihrer spezifischen qualitativen Beschaffenheit ganz verschwinden \u2014 denn dann w\u00fcrde dieselbe in der unmittelbaren Wahrnehmung ebenso absolut einfach erscheinen wie die Hauptfarbe \u2014 noch so, dafs sie, sich gegenseitig durchdringend, in ihrer spezifischen\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 43.","page":379},{"file":"p0380.txt","language":"de","ocr_de":"380\nBranislav Petronievics.\nqualitativen Beschaffenheit darin ganz erhalten werden, sondern sie werden darin so gesehen, dafs sie, sich gegenseitig durchdringend, zu einer mittleren Qualit\u00e4t verschmelzen. Diese mittlere Qualit\u00e4t ist eben weder eine blofse mechanische Summe der beiden in dieselbe eintretenden Komponenten, noch sind diese letzteren in ihr ganz aufgehoben, sondern sie ist eben ein Etwas, das eine Abschw\u00e4chung, aber nicht eine volle Aufhebung des qualitativen Unterschieds ihrer Komponenten darstellt. Sie stellt also eine Verbindung dar, die in der Mitte liegt zwischen der blofsen mechanischen Verbindung, in der die Bestandteile deutlich zu unterscheiden sind, und der chemischen Verbindung, in der die Bestandteile in dem Ganzen ganz verloren gehen und darin gar nicht mehr zu unterscheiden sind. Ein volles psychisches Analogon der letzteren ist in der Tat unm\u00f6glich, denn eine solche Verschmelzung der qualitativen Komponenten einer unmittelbaren Wahrnehmungstatsache, dafs sie in dieser ganz verschwinden, ist logisch undenkbar, da ja die unmittelbare Wahrnehmungstatsache alssolche aus den Komponenten besteht. Das Analogon der chemischen Verbindung kann also psychisch nur in der besagten nicht-mechanischen Verschmelzung der Komponenten zu einer mittleren Qualit\u00e4t liegen.1\nDafs die Zwischenfarbe als psychische Verbindung nicht die volle Aufhebung des qualitativen Unterschieds der beiden in sie eintretenden Komponenten, sondern nur eine Abschw\u00e4chung dieses Unterschieds darstellt, wird auch indirekt dadurch best\u00e4tigt, dafs Grade dieser Abschw\u00e4chung existieren. W\u00e4ren z. B. in dem Violetten die blaue und die rote Komponente so aufgehoben, dafs darin keine Spur mehr von ihnen wahrzunehmen w\u00e4re, so w\u00e4ren das dem Roten n\u00e4here (z. B. Purpurrot) und das\n1 Streng genommen k\u00f6nnte man von dem wirklichen Bestehen der Elemente in einer chemischen Verbindung gar nicht sprechen, sondern nur davon, dafs diese aus denselben entsteht und wiederum in dieselben zerf\u00e4llt. In der Tat sind es, wie dies Mach treffend ausgef\u00fchrt hat, nur Gr\u00fcnde der Denk\u00f6konomie, die uns veranlassen, von einem wirklichen Bestehen der Elemente in einer chemischen Verbindung zu sprechen (vgl. E. Mach, Popul\u00e4r-wissenschaftliche Vorlesungen, 3. Aufl., 1903, S. 231). Dagegen besteht eine psychische Verbindung in wahrem Sinne aus ihren Elementen, und es kann demnach die Verschmelzung der Elemente in einer solchen Verbindung nur eine qualitative Abschw\u00e4chung derselben herbeif\u00fchren, nicht aber deren volle Aufhebung.","page":380},{"file":"p0381.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n381\ndem Blauen n\u00e4here Violett (z. B. Indigo) gar nicht m\u00f6glich, es w\u00e4ren die verschiedenen Nuancen des Violetten gar nicht denkbar, denn in ihnen w\u00e4ren die beiden Komponenten ebenso wie in dem mittleren Violett absolut aufgehoben, und ein Unterschied zwischen denselben in der unmittelbaren Wahrnehmung best\u00fcnde nicht mehr. Hier wollen wir nun zugleich versuchen zu bestimmen, an welchen Stellen dieser Nuancen des Violetten der qualitative Unterschied der beiden Komponenten den relativ gr\u00f6bsten Grad erreicht. Man k\u00f6nnte zun\u00e4chst meinen, diese Stelle liege in der Mitte, das mittlere Violett stelle den gr\u00f6bsten qualitativen Unterschied der in ihm vorhandenen blauen und roten Komponente dar, da diese beiden darin quantitativ in gleicher Gr\u00f6hse gegeben sind. Aber gerade die quantitative Gleichheit der beiden einander durchdringenden Komponenten (es ist wohlgemerkt hier nur von den unmittelbaren Wahrnehmungstatsachen die Rede, nicht von der ansichseienden wirklichen Zusammensetzung der Zwischenfarbe aus ihren Komponenten, wovon sp\u00e4ter die Rede sein wird) gibt den beiden verschiedenen Qualit\u00e4ten derselben die M\u00f6glichkeit, m\u00f6glichst vollst\u00e4ndig zu verschmelzen. Je gr\u00f6fser also die quantitative Ungleichheit der beiden Komponenten, desto weniger vollst\u00e4ndig kann ihre Verschmelzung zustande kommen, desto mehr m\u00fcfsten sie in der Wahrnehmung qualitativ auseinandertreten. Da aber dabei die eine Komponente immer st\u00e4rker, die andere immer schw\u00e4cher wird, so wird in einer mittleren Lage der g\u00fcnstigste Fall liegen, die beiden Komponenten s o w o h 1 in gen\u00fcgender St\u00e4rke w i e in gen\u00fcgendem qualitativem Unterschied wahrzunehmen und hier wird die qualitative Geschiedenheit der Komponenten in der unmittelbaren Wahrnehmung ihren relativ gr\u00f6bsten Grad erreichen. Diese Folgerungen werden von der unmittelbaren Erfahrung best\u00e4tigt. YTon den deutlich wahrnehmbaren Nuancen des Violetten n\u00e4hert sich das mittlere Violett, was die Einfachheit des unmittelbaren Eindrucks anbetrifft, am meisten den beiden reinen Komponenten Rot und Blau, und am meisten von diesen entfernen sich in dieser Hinsicht das Violett, das in der Mitte zwischen Rot und dem mittleren Violett liegt (das Purpurrot wird in der Tat als ein Rot mit einem bl\u00e4ulichen Schimmer wahrgenommen) und das Violett, das in der Mitte zwischen Blau und dem mittleren Violett liegt (das Indigo wird als ein Blau mit einem r\u00f6tlichen Schimmer wahrgenommen), w\u00e4hrend die dazwischenliegenden Nuancen je nach ihrer Stellung","page":381},{"file":"p0382.txt","language":"de","ocr_de":"382\nBranislav Petronievics.\nsich in ihrem Eindruck mehr den reinen Komponenten Kot und Blau, dem mittleren Violett oder dem Purpurrot und dem Indigo n\u00e4hern. Was f\u00fcr die Nuancen des Violetten gilt, l\u00e4fst sich leicht auf die Nuancen des Orange, des Gelbgr\u00fcn und des Blaugr\u00fcn \u00fcbertragen (vielleicht l\u00e4fst sich die Richtigkeit der Sache am deutlichsten an den Nuancen des Orange einsehen).\nDamit ist die erste Behauptung der zweiten Antwort auf unsere Hauptfrage widerlegt, und wir gehen nunmehr zur Diskussion ihrer zweiten Behauptung, der Behauptung, dafs die Zwischenfarbe an sich ebenso absolut einfach sei wie die Hauptfarbe, \u00fcber.\nW\u00e4re nun die Zwischenfarbe in der unmittelbaren Wahrnehmung so aus den Hauptfarben zusammengesetzt, dafs diese letzteren in ihr ganz deutlich in ihrer gesonderten Qualit\u00e4t wahrzunehmen w\u00e4ren, dann w\u00e4re daraus unmittelbar auf ihre wirkliche Zusammengesetztheit aus den letzteren zu schliefsen nach dem unzweifelhaften Prinzip, dafs das unmittelbar Wahrgenommene an sich bestehen m\u00fcsse.1 Da aber dem nicht so ist, so l\u00e4fst sich auf Grund der wahrgenommenen Zusammengesetztheit der Zwischenfarbe nicht mit absoluter Gewifs-heit auf ihre wirkliche Zusammengesetztheit schliefsen. Es ist\n1 Genauer lautet dieses Prinzip : das unmittelbar Wahrgenommene mufs an sich so sein, wie es wahrgenommen wird. Es ist indessen hervorzuheben, dafs dieses Prinzip den immanenten Wahrnehmungsschein nicht ganz ausschliefst, sondern dafs ein solcher in einem ganz bestimmten Sinne mit demselben wohl vertr\u00e4glich sei. Das Prinzip des Ansichsoseins des unmittelbar Wahrgenommenen bedeutet, streng genommen, nur soviel, dafs das unmittelbar Wahrgenommene an sich nicht das gerade Gegenteil dessen sein kann, was es unmittelbar ist. Wo das Wahrgenommene aber sich in einer bestimmten Beziehung unbestimmt zeigt, da ist es m\u00f6glich, dafs es an sich anders ist, als es unmittelbar wahrgenommen wird. W\u00e4re die Zwischenfarbe in der unmittelbaren Wahrnehmung eine blofse Summe der einander durchdringenden Hauptfarben, so w\u00e4re sie in bezug auf ihre Zusammengesetztheit aus den letzteren als Wahrnehmungstatsache ganz bestimmt und mtifste also auch an sich zusammengesetzt sein. Da sie aber in der Hinsicht unbestimmt ist, so besteht sowohl die M\u00f6glichkeit, dafs sie an sich zusammengesetzt, wie dafs sie an sich einfach sei. \u00dcber das Prinzip des Ansichsoseins des unmittelbar Wahrgenommenen und dessen Verh\u00e4ltnis zu dem Begriff des immanenten Erfahrungsscheins vergleiche man mein metaphysisch-mathematisches Werk \u201ePrinzipien der Metaphysik, I. Bd., 1. Abtl. Mit einem Anhang: Elemente der neuen Geometrie, Heidelberg 1904\u201c. Einleitung S. XXI ff. und das 1. Kap. S. 1\u201418.","page":382},{"file":"p0383.txt","language":"de","ocr_de":"Uber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n383\naber ausdr\u00fccklich hervorzuheben, dafs aus dem wahrgenommenen Eindruck der Zwischenfarbe die entgegengesetzte Annahme ihrer ansichseienden Einfachheit ebenfalls nicht mit absoluter Gewifs-heit deduziert werden k\u00f6nne, denn das k\u00f6nnte man nur dann tun, wenn dieser Eindruck ebenso ein absolut einfacher w\u00e4re, wie es derjenige der Hauptfarbe ist (diese letztere mufs nach dem Prinzip des Ansichsoseins des unmittelbar Wahrgenommenen auch an sich absolut einfach sein). Es l\u00e4fst sich also aus der unmittelbaren Wahrnehmung der Zwischenfarbe weder auf ihre wirkliche Einfachheit noch auf ihre wirkliche Zusammengesetztheit mit Gewifsheit schliefsen, die letztere Annahme ist aber insofern wahrscheinlicher, inwiefern man auf Grund der ansichseienden Einfachheit der Hauptfarbe indirekt schliefsen kann, dafs, wenn auch die Zwischenfarbe an sich einfach w\u00e4re, ihr unmittelbarer Eindruck ebenso ein absolut einfacher wie derjenige der Hauptfarbe sein sollte. Die Annahme der wirklichen Zusammengesetztheit der Zwischenfarbe steht also mit den unmittelbaren Wahrnehmungstatsachen nicht in Widerstreit, l\u00e4fst sich aber daraus nicht direkt deduzieren. Da dies letztere nicht der Fall, so m\u00fcssen wir uns nach rein logischen Gr\u00fcnden umsehen, die uns in den Stand setzen werden, die Streitfrage zur Entscheidung zu bringen.\nDamit stehen wir aber schon auf dem Boden der dritten Antwort auf unsere Hauptfrage, als deren Repr\u00e4sentanten wir Brentano angef\u00fchrt haben. Im Gegensatz zu denjenigen nun, die die absolute Einfachheit des unmittelbaren Eindrucks der Zwischenfarben behaupten, behauptet Brentano, dafs die Komponenten einer solchen darin ganz deutlich wahrzunehmen sind. \u201eDie \u00c4hnlichkeit, die Orange einerseits mit Rot und andererseits mit Gelh hat, ist nicht derjenigen zu vergleichen, die etwa einem Ton zwischen c und e, z. B. dem zwischen ihnen gelegenen d, mit jenem tieferen und diesem h\u00f6heren Ton zugeschrieben werden kann, sondern offenbar derjenigen, welche der Zweiklang c e mit den beiden Komponenten zeigt. Man erkennt darin die beiden Farben, wie man dort die beiden T\u00f6ne heraush\u00f6rt.\u201c 1 Dafs diese Behauptung Brentanos von der deutlichen Zusammengesetztheit der Zwischenfarbe aus Hauptfarben in der unmittelbaren Wahrnehmung unrichtig ist, d\u00fcrfte nach dem oben Aus-\n1 Bkentano, a. a. O. S. 16.","page":383},{"file":"p0384.txt","language":"de","ocr_de":"384\nBranislav Petronievics.\ngef\u00fchrten aufser Frage stehen. Auf den inneren Widerspruch dieser seiner Behauptung mit seiner Theorie von der Art und Weise der wirklichen Zusammensetzung der Zwischenfarbe aus den Hauptfarben werden wir sp\u00e4ter hin weisen.\nViel wichtiger sind die logischen Gr\u00fcnde, die Brentano f\u00fcr die zweite Behauptung der dritten Antwort auf unsere Hauptfrage, die Behauptung des wirklichen Bestehens der Zwischenfarbe aus Hauptfarben, vorbringt. In seinem Beweise hierf\u00fcr wdll Brentano den inneren Widerspruch nachweisen, der in der Annahme der einfachen Zwischenqualit\u00e4ten zwischen zwei einfachen extremen Qualit\u00e4ten liegt. Der Beweis lautet folgender-mafsen: \u201eFragt man z. B. ob die gerade Linie, welche von Rot zum Gelb durch das Orange f\u00fchren soll, eine weitere Fortsetzung \u00fcber das Rot oder Gelb hinaus als denkbar zulasse, so wird erkl\u00e4rt, eine solche erscheine nicht blofs tats\u00e4chlich, sondern von vornherein unm\u00f6glich. Die Natur des Rot wie des Gelb schliefse dies sichtlich aus. Und es w\u00fcrde darum keineswegs ebenso passend sein, statt des Rot und Gelb zwei Nuancen von reinem Orange auszuw\u00e4hlen, sie mit besonderen Namen zu bezeichnen und alle anderen Farben, die mit ihnen sozusagen zu derselben geraden Farbenlinie geh\u00f6ren, durch Angabe des Abstandes von jeder dieser beiden Nuancen zu charakterisieren. Doch ist es leicht, zu zeigen, wie unhaltbar eine solche Lehre ist. Denn wenn Rot nicht einfacher w\u00e4re als eine gewisse Nuance von Orange, wenn es sich nicht dadurch unterschiede, dafs diese noch einen Teil Gelb in sich hat, w\u00e4hrend jene noch nicht ganz von Gelb frei ist, so w\u00e4re es gar nicht abzusehen, wie es zu einem nat\u00fcrlichen Maximum des Abstandes von Gelb in ein und derselben Richtung kommen sollte (!). Die Farbenlinie soll ja gerade sein in einem der Geraden im ebenen Raume entsprechenden Sinne. Und wie also die gerade Linie im ebenen Raume ihrer Natur nach eine Verl\u00e4ngerung ins Unendliche zul\u00e4fst, so m\u00fcfste auch die Orangelinie zweifellos eine indefinite Verl\u00e4ngerung sowohl \u00fcber das Rot als \u00fcber das Gelb hinaus (wie immer sie sich vielleicht tats\u00e4chlich f\u00fcr uns als unm\u00f6glich erwiese) doch als an und f\u00fcr sich denkbar erscheinen lassen. Das Gegenteil gilt nur auf dem Standpunkt derer, welche das Orange nicht als Zwischenqualit\u00e4t, sondern als wahre Doppelqualit\u00e4t fassen. Denn die Abnahme der einen im Verh\u00e4ltnis zur anderen hat dann in","page":384},{"file":"p0385.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n385\ndem Nullpunkt ihre durch die Vernunftgesetze gebotene Grenze.\u201c 1 Der Sinn dieser BRENTANOschen Beweisf\u00fchrung d\u00fcrfte, soviel sich dies dieser seiner stellenweise recht unklaren Darstellung entnehmen i\u00e4fst, folgender sein. Es k\u00f6nnten, wenn die Zwischenqualit\u00e4ten des Orange in der Orangelinie an sich ebenso einfach w\u00e4ren wie die Grenzqualit\u00e4ten derselben, Gelb und Bot, diese letzteren als nat\u00fcrliche Maxima resp. Extremqualit\u00e4ten gar nicht zustande kommen, da dann die Orangelinie als Gerade im euklidischen Sinne ins Unendliche verl\u00e4ngerbar w\u00e4re und also weder Anfang noch Ende h\u00e4tte. Sind dagegen die Zwischenqualit\u00e4ten des Orange an sich zusammengesetzt, dann hat die Abnahme des Gelben auf der einen und die des Roten auf der anderen Seite dieser Geraden ein Ende und Gelb und Rot als extreme Grenzqualit\u00e4ten sind dann ganz wohl m\u00f6glich.\nSo scharfsinnig nun dieser Beweis Brentakos gegen die einfachen Zwischenqualit\u00e4ten auch ist, so beruht er doch auf einer stillschweigenden Voraussetzung, die selbst einer Begr\u00fcndung bedarf. Es ist richtig, dafs die gerade Orangelinie sich ins Unendliche fortsetzen liefse, wenn jede Orangenuance auf derselben eine an sich ebenso einfache Qualit\u00e4t w\u00e4re, wie dies die beiden Endqualit\u00e4ten Gelb und Rot sind, dies gilt aber nur dann, wenn die qualitativen Differenzen zwischen den einzelnen Orangenuancen nicht unendlich klein, sondern endlich sind. Sind n\u00e4mlich diese Differenzen endlich, dann sind auf der Orangelinie unendlich viele Orangenuancen denkbar und dann ist diese Linie selbst unendlich grofs, sind aber diese Differenzen unendlich klein, dann ist diese letztere ganz ebenso endlich, wie eine lineare Gr\u00f6ise, die aus unendlich vielen unendlich kleinen linearen Gr\u00f6fsen bestehend gedacht wird, endlich ist, auf derselben sind dann also ganz wohl Gelb und Rot als extreme einfache Grenzqualit\u00e4ten denkbar.\nEs h\u00e4ngt nun ganz davon ab, wie man sich im allgemeinen zu dem Unendlichkeitsbegriff stellt, ob man den Beweis Brentanos gelten lassen will oder nicht. Sind das unendlich Kleine und das unendlich Grofse im Gebiete der extensiven Gr\u00f6fsen unm\u00f6glich, dann sind sie ebenso im qualitativen Gebiete unm\u00f6glich, dann sind also einfache Zwischenqualit\u00e4ten zwischen zweien extremen Grenzqualit\u00e4ten deshalb undenkbar, weil ihre Anzahl eine unendlich grofse und ihre Differenzen untereinander unendlich\n1 Bbentano, a. a. O. S. 160f.","page":385},{"file":"p0386.txt","language":"de","ocr_de":"386\nBranislav Petroniev\u00efcs.\nklein w\u00e4ren. Nur also wenn man das aktuelle Unendliche in jedem m\u00f6glichen Sinne bestreitet,1 ist der Beweis Brentanos ein unantastbarer.\nOhne nun den Beweis Brentanos im geringsten anzutasten \u2014 ich als Finitist habe ja am wenigsten Veranlassung, das zu tun \u2014 will ich hier einen anderen Beweis f\u00fcr die wirkliche Zusammengesetztheit der farbigen Zwischenqualit\u00e4ten Vorbringen, der von der Streitfrage des Finitismus und des Infinitismus unabh\u00e4ngig ist. Dieser unser Beweis gr\u00fcndet sich auf der Eigenschaft der Farbennuancen, in einem Farbenkreise angeordnet sein zu k\u00f6nnen. Sobald man nun einmal in diesem letzteren den wesentlichen Unterschied von Haupt- und Zwischenfarben anerkennt, l\u00e4fst sich mit logischer Evidenz nachweisen, dafs die Zwischenfarben darin notwendigerweise an sich aus den Hauptfarben bestehen m\u00fcssen, sonst best\u00fcnde der Farbenkreis als in sich zur\u00fccklaufende Farbenlinie nicht.\nDer Beweis lautet folgendermafsen. Da Rot und Gelb voneinander so verschieden sind, dafs es in dem Roten nichts Gelbes und in dem Gelben nichts Rotes gibt, w\u00e4hrend die dazwischenliegenden Nuancen des Orange sowohl das eine wie das andere in sich enthalten und zwar so, dafs vom Gelben angefangen das Gelbe darin stetig ab- und das Rote stetig zunimmt, so lassen sich Rot und Gelb zusammen mit den dazwischenliegenden Orangequalit\u00e4ten in eine gerade Linie bringen, die Gerade im absoluten Sinne, d. h. eine Gerade im Sinne des ebenen Raumes ist. W\u00fcrden wir voraussetzen, dafs diese Linie Biegungen hat, so w\u00fcrde das bedeuten, dafs es Orangequalit\u00e4ten gibt, die \u00e4hnlicher untereinander sind als gewisse der zwischen ihnen liegenden Orangequalit\u00e4ten, was jedoch der stetigen Abnahme und Zunahme des Gelben und Roten darin widersprechen w\u00fcrde (so w\u00fcrden in Fig. 1, wenn die Orangelinie im mittleren Orange 0\nR\nFig. 1.\n1 Wie dies z. B. meine finitistische Metaphysik tut, vgl. \u201ePrinzipien der Metaphysik usw.\u201c S. 187\u2014247.","page":386},{"file":"p0387.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n387\neine Biegung erf\u00fchre, die beiden Nuancen des Gelborangen GO (1) und des Orangeroten OB (2) untereinander \u00e4hnlicher sein als die ihnen n\u00e4chstliegenden, mit 3 und 4 bezeichnten, in der Richtung des mittleren Orange zu, da die gerade Linie 1, 2 kleiner als die gebrochene 3, 4 ist. Man k\u00f6nnte diesen Widerspruch noch mannigfach variieren). Dasselbe l\u00e4fst sich nun weiter auch f\u00fcr das Rote und Blaue zusammen mit den dazwischenliegenden Qualit\u00e4ten des Violetten, dasselbe dann weiter f\u00fcr das Blaue und Gr\u00fcne mit den dazwischenliegenden Qualit\u00e4ten des Blaugr\u00fcnen, und dasselbe f\u00fcr das Gr\u00fcne und Gelbe mit den dazwischenliegenden Qualit\u00e4ten des Gelbgr\u00fcnen ausf\u00fchren, so dafs wir an die Stelle des Farbenkreises das Farbenviereck zu stellen haben, an dessen Ecken die vier Hauptfarben stehen. W\u00e4ren nun alle die in den vier geraden Seiten des Farbenvierecks liegenden Nebenfarben ebenso an sich absolut einfach wie die vier Eckfarben, so w\u00e4re das Farbenviereck undenkbar. Denn \u2014 und darin liegt der zu liefernde Beweis \u2014 wenn das qualitative Verh\u00e4ltnis der Nebenfarben, die zwischen zweien Hauptfarben liegen, es mit logischer Notwendigkeit fordert, dafs man sie r\u00e4umlich durch eine gerade Linie darstellt, an deren Enden die beiden Hauptfarben liegen, dann fordert dieses selbe qualitative Verh\u00e4ltnis weiter, dafs, wenn mehrere solche Hauptnebenfarbengeraden gegeben sind, dieselben Bestandteile einer einzigen Geraden sein m\u00fcssen, solange die Nebenfarben an sich ebenso einfach sein sollen wie die Hauptfarben. Wie n\u00e4mlich die Zwischenqualit\u00e4ten des Orange sich deshalb in einer Geraden, auf deren Enden Gelb und Rot liegen, befinden m\u00fcssen, weil eine stetige Abnahme des Gelben und eine stetige Zunahme des Roten (et vice versa) in denselben stattfindet, ebenso m\u00fcssen sich die Zwischenqualit\u00e4ten des Orange einerseits und diejenigen des Violetten andererseits auf einer Geraden befinden, auf deren Enden Gelb und Blau liegen, weil darin von dem (mittleren) Roten aus beiderseits eine stetige Abnahme des Roten und daneben auf der einen Seite eine stetige Zunahme des Gelben und auf der anderen eine solche des Blauen stattfindet. Wenn eine Biegung in der Orangelinie f\u00fcr sich und eine solche in der Violettlinie f\u00fcr sich undenkbar ist, dann kann eine solche auch in der Summe beider, in der Orange-Violettlinie (resp. Gelb-Blaulinie) nicht denkbar sein, denn auch hier w\u00fcrde sie bedeuten, dafs es Qualit\u00e4ten des Orange und des Violett gibt, die untei-einander \u00e4hnlicher sind als gewisse der zwischen ihnen liegenden,","page":387},{"file":"p0388.txt","language":"de","ocr_de":"388\nBranislav Peironievics.\n;was jedoch unm\u00f6glich und undenkbar ist. Da nun aber die Biegung der Orange-Violettlinie wirklich besteht \u2014 was aus der Tatsache des Farbenvierecks unmittelbar folgt \u2014 so m\u00fcssen wir schliefsen, dafs die Zwischenqualit\u00e4ten des Orange und des Violett an sich nicht einfach, sondern zusammengesetzt sind. Sind sie n\u00e4mlich an sich zusammengesetzt, dann lassen sich aus jedem Paare von einfachen Hauptfarben Zwischenfarben zusammensetzen, und es h\u00e4ngt dann nur von den jeweiligen physiologischen Bedingungen ab, welche von diesen Kompositionen psychisch wirklich bestehen werden und welche nicht, logisch sind dann aber nicht nur das Gelb-Bote, das Bot-Blaue, das Blau-Gr\u00fcne (diese drei Arten von Zwischenqualit\u00e4ten w\u00e4ren nach Obigem logisch allein denkbar, wenn Zwischenqualit\u00e4ten an sich einfach w\u00e4ren) und das Gr\u00fcn-Gelbe, sondern auch das Rot-Gr\u00fcne und das Gelb-Blaue denkbar.\nBevor wir nun zur Diskussion der Art und Weise, in der die Zwischenfarben aus den Hauptfarben an sich bestehen, \u00fcbergehen, wollen wir hier im Zusammenhang mit unserem eben gegebenen Beweise von der alleinigen ansich seienden Einfachheit der Hauptfarben die Frage ihrer qualitativen Gegens\u00e4tzlichkeit kurz ber\u00fchren.\nW\u00e4hrend bekanntlich die Mehrzahl der Forscher die qualitative Gegens\u00e4tzlichkeit des Schwarzen und des Weifsen ohne weiteres zugibt, gibt es nur sehr wenige, die eine solche auch bei den Farbenqualit\u00e4ten annehmen. Einer dieser wenigen ist Hering. Er betrachtet bekanntlich das Gelbe und Rote ebenso f\u00fcr spezifisch helle Sehqualit\u00e4ten wie weifs eine helle Sehqualit\u00e4t ist, und das Blaue und Gr\u00fcne f\u00fcr spezifisch dunkle Sehqualit\u00e4ten wie schwarz eine dunkle Sehqualit\u00e4t ist,1 und setzt Gelb zu Blau einerseits und Rot zu Gr\u00fcn andererseits in dasselbe qualitative Gegensatzverh\u00e4ltnis, in dem sich Weifs in bezug auf das Schwarz befindet. Herings Lehre von der spezifischen Helligkeit der vier Hauptfarben ohne weiteres anerkennend, scheint uns die Notwendigkeit der von ihm auf gestellten Gegensatzpaare derselben psychologisch nicht ohne weiteres einleuchtend zu sein. Auf Grund der blofsen spezifischen Helligkeiten der Hauptfarben scheinen uns auf Grund der unmittelbaren Wahrnehmung auch andere Gruppierungen in dieser Hinsicht ganz wohl denkbar zu sein.\n1 Hering, a. a. O. S. 60 f.","page":388},{"file":"p0389.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n389\nWie n\u00e4mlich gelb als spezifisch helle (oder positive) zum Blau als spezifisch dunklen (oder negativen) Qualit\u00e4t in Gegensatz gebracht werden kann, ebenso kann dasselbe als helle Sehqualit\u00e4t auch zum Gr\u00fcnen als spezifisch dunklen Sehqualit\u00e4t in Gegensatz gebr\u00e4cht werden. Dasselbe gilt f\u00fcr das Rote in bezug auf das Blaue und Gr\u00fcne. Die M\u00f6glichkeit dieser mehrfachen Gegens\u00e4tzlichkeit scheint mir aber zu einer Notwendigkeit zu werden, wenn man, vorausgesetzt dafs die vier Hauptfaiben einzig und allein unter den Farbenqualit\u00e4ten an sich einfach sind, \\on dei innigen qualitativen \\ erwandtschaft derselben untereinander Rechenschaft geben will. In der Tat, wenn nur gelb und blau einerseits, rot und gr\u00fcn andererseits Gegensatzpaare bildeten, worin l\u00e4ge dann dasjenige, was sie miteinander in tine n\u00e4heie qualitative Verwandtschaft br\u00e4chte und jedes von ihnen von dem Gegensatzpaare weifs-schwarz (von Gegensatzpaaren auf anderen Sinnesgebieteil nicht zu reden) qualitativ trennte 1 Ein solcher Grund liefse sich dann nicht herausfinden, jedes dieser drei Gegensatzpaare w\u00e4re dann von jedem der beiden anderen qualitativ gleich weit entfernt, weil qualitativ beziehungslos. Setzen wir aber mehrfache Gegensatzverh\u00e4ltnisse obiger Ait untei den Farbenqualit\u00e4ten voraus, dann wird uns die Sachlage sofort verst\u00e4ndlich. Wir haben dann die beiden obigen Reihen:\n^ Brentano will diese Zahl sogar auf drei reduzieren, indem er in seinem erw\u00e4hnten Buche die Zusammensetzung des Gr\u00fcnen aus dem Gelben und Blauen (sowohl in der unmittelbaren Wahrnehmung als an sich) nachzuweisen sucht (a. a. O. S. 1-49 und S. 129-158). Wir k\u00f6nnen uns hier in die Diskussion der vielen von ihm daf\u00fcr angef\u00fchrten Grunde nicht einlassen, wir wollen nur zwei Gr\u00fcnde anf\u00fchren, die uns gegen diese seine Behauptung entscheidend zu sein scheinen. Erstens kann das Gr\u00fcn als spezifisch dunkle Sehqualit\u00e4t nicht aus dem Gelben als einer spezifisc i hellen und dem Blauen als einer spezifisch dunklen Sehquaht\u00e4t bestehen, weil es diesem Falle in bezug auf spezifische Helligkeit neutral sein mufste. Zweitens aber \u2014 und dieser Grund scheint mir ganz entscheidend zu sein - kann an einem (reinen) Gr\u00fcngelben nichts Bl\u00e4uliches, an einem Blaugr\u00fcnen (besonders auffallend tritt dies beim Gelbgelbgr\u00fcnen und beim Blaublaugr\u00fcnen auf) nichts Gelbliches wahrgenommen werden (wie dies Hering a. a. 0. S. 46 hervorgehoben hat), was doch notwendigerweise der Fall sein m\u00fcfste, wenn Gr\u00fcn wirklich aus Gelbem und Blauem best\u00fcnde.\nDafs eine weitere Reduktion der Anzahl der einfachen Farben im Farbenkreise unter drei schon formell undenkbar ist, folgt unmittelbar aus unserem Nachweise, dafs der Farbenkreis in Wahrheit ein Farbenviereck darstellt und daraus, dafs die Dreieckslinie die einfachste geschlossene\nLinie ist.","page":389},{"file":"p0390.txt","language":"de","ocr_de":"390\nBranislav Betronievics.\ngr\u00fcn \u2014 gelb \u2014 blau\n+\t\u2014\ngr\u00fcn \u2014 rot \u2014 blau\n+\t\u201c\nin eine einzige zusammenzufassen, was entweder so geschehen kann, dafs dadurch die Reihe:\nrot \u2014\tgr\u00fcn\t\u2014\tgelb\t\u2014\tblau\n+\t+\t\u2014\noder so, dafs die Reihe:\ngelb \u2014\tgr\u00fcn\t\u2014\trot\t\u2014\tblau\n+\t+\t\u2014\nentsteht (es sind noch zwei solche m\u00f6glich), und die innige qualitative Zusammengeh\u00f6rigkeit der Farbenqualit\u00e4ten ist da.1\nVon den beiden obigen Reihen halte ich die erstere f\u00fcr die wahrscheinlichere, denn in ihr sind auch die beiden HERiNuschen Gegensatzpaare vorhanden, die auf Grund der physiologischen Unvertr\u00e4glichkeit ihrer entsprechenden Glieder (resp. des Fehlens der \u00dcbergangsqualit\u00e4ten zwischen den letzteren) auch psychologisch aufser Frage zu stehen scheinen. V ie dem nun auch sei, jedenfalls k\u00f6nnen wfir uns die innigere qualitative Zusammengeh\u00f6rigkeit der Farbenqualit\u00e4ten unter den Gesichtsempfindungen nur auf Grund einer solchen Reihe denken. Wir haben uns dann n\u00e4mlich nur weiter vorzustellen, dafs keines der Glieder des Gegensatzpaares wTeifs-schwarz mit einer der Endqualit\u00e4ten jener Reihe verbunden ist und der qualitative Unterschied der beiden Gruppen der Gesichtsempfindungen wird verst\u00e4ndlich. Wollten wir freilich wiederum von der engeren qualitativen Zusammengeh\u00f6rigkeit derselben untereinander im Verh\u00e4ltnis zu den Empfindungsgruppen anderer Sinnesgebiete Rechenschaft geben, so k\u00f6nnten wir uns vorstellen, dafs die obige Reihe der vier Farbenqualit\u00e4ten eine Fortsetzung entweder nach r\u00fcckw\u00e4rts oder nach vorw\u00e4rts an sich hat und dafs in dieser Fortsetzung auch das Gegensatzpaar weifsschwarz liegt. Schliefslich k\u00f6nnten wir uns noch vorstellen, dafs, wenn man die so fortgesetzte Reihe der Farbenqualit\u00e4ten noch weiter fortsetzte, man dann auch auf Empfindungen aller anderen Sinnesgebiete gelangen w\u00fcrde, so dafs alle Empfindungen auf eine einzige Reihe einfacher gegens\u00e4tzlicher Qualit\u00e4ten zur\u00fcckf\u00fchrbar w\u00e4ren. Diese letztere Annahme ist freilich nur als eine sehr hypothetische Vermutung zu betrachten, denn in der Tat scheint es schwer einzusehen, wie man durch Mittelglieder von den Farben zu den T\u00f6nen, Ger\u00fcchen usw. gelangen k\u00f6nnte. Geradezu unm\u00f6glich ist aber eine solche Annahme nicht, wenn man einmal die obige Reihe der mehrfach gegens\u00e4tzlichen Farbenqualit\u00e4ten und ihre Fortsetzung m der Richtung des Gegensatzpaares weifs-schwarz zugibt, denn dann w\u00fcrde der qualitative Unterschied z. B. zwischen Farben und T\u00f6nen auf","page":390},{"file":"p0391.txt","language":"de","ocr_de":"Uber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n391\nWir kommen nunmehr auf den letzten Punkt unserer Ausf\u00fchrungen, auf den Nachweis der Art und Weise, wie der eigent\u00fcmliche einheitlich-doppelartige Eindruck der Zwischenfarbe aus der wirklichen Zusammensetzung derselben aus den Hauptfarben entstehen kann, wobei wir uns, wie im Anfang der Abhandlung bemerkt, auf eine solche Zusammensetzung aus zweien Komponenten beschr\u00e4nken.\nW\u00e4re nun der unmittelbare Eindruck der Zwischenfarbe ein solcher, dafs darin die qualitative Verschiedenheit der beiden Komponenten ganz deutlich zum Vorschein k\u00e4me, oder, anders ausgedr\u00fcckt, stellte die Zwischenfarbe in unserer unmittelbaren Wahrnehmung das blofse einfache Durchdrungensein der beiden Komponenten dar, dann m\u00fcfste man, auf Grund des Prinzips des Ansichsoseins des unmittelbar Wahrgenommenen, mit dem Schl\u00fcsse der wirklichen ansichseienden Zusammengesetztheit der Zwischenfarbe aus den beiden Hauptfarben zugleich auch den Schlufs machen, dafs die Farbenfl\u00e4che der Zwischenfarbe an sich in derselben Weise aus den Farbenfl\u00e4chen der Hauptfarben besteht, in der sie dies in der unmittelbaren Wahrnehmung tut, d. h. dafs sie auch an sich in dem blofsen Inein and ersein der letzteren an einem und demselben Raumorte besteht. Brentano, der, wie wir sahen, die ganz deutliche Wahrnehmbarkeit der Komponenten in der Zwischenfarbe lehrt (er vergleicht ja diese letztere in der Hinsicht mit dem Akkord c-e), bestreitet entschieden das wirkliche Durchdrungensein derselben darin, was, wie man sieht, eine Inkonsequenz von seiner Seite ist. Nur wenn in der Zwischenfarbe die beiden Komponenten nicht ganz\neiner ungleich gr\u00f6fseren Anzahl von (in unserer unmittelbaren Erfahrung fehlenden) Mittelgliedern beruhen, als es die Anzahl der (fehlenden) Mittelglieder zwischen den Farben und dem Weifs-Schwarz ist.\nSchliefslich bemerke ich noch, dafs die obige Annahme der mehrfachen qualitativen Gegens\u00e4tze unter den Farhenqualit\u00e4ten eine wesentliche St\u00fctze darin erhalten w\u00fcrde, wenn man den qualitativen Unterschied zwischen weifs und hell (wie ich dies in meiner Abhandlung \u201e\u00dcber die Wahrnehmung der Tiefendimension\u201c, erschienen im \u201eArchiv f\u00fcr systematische Philosophie\u201c 12 (1906), zu tun versucht habe) mit aller Evidenz feststellen k\u00f6nnte. Denn dann w\u00e4re es unzweifelhaft, dafs das Schwarze (denn ein vom Schwarzen verschiedenes Dunkles l\u00e4fst sich nicht annehmen) sowohl den Gegensatz zu Weifs wie zu Hell bildet, dann h\u00e4tten wir also die Reihe:\nhell \u2014 schwarz \u2014 weifs\n\u2014\t_j_","page":391},{"file":"p0392.txt","language":"de","ocr_de":"392\nBranislav Petronievics.\ndeutlich in ihrer gesonderten Qualit\u00e4t wahrgenommen werden, nur dann kann man behaupten, dafs sie an sich nicht in dem Durchdrungensein derselben besteht, nur dann kann man behaupten, dafs verschiedene Qualit\u00e4ten in dem Sinnesraum des Gesichts nicht f\u00fcreinander durchdringlich sind, sonst w\u00fcrde uns gleichsam der Augenschein selbst davon lehren, dafs sie dies sind. Abgesehen von dieser Inkonsequenz nun mufs man bekennen, dafs Brentano in seinem erw\u00e4hnten Buche den ersten rationellen Versuch gemacht hat, die Art und Weise des wirklichen Bestehens der Zwischenfarbe aus den Hauptfarben zu bestimmen.\nNachdem er n\u00e4mlich in besagter inkonsequenter Weise die unmittelbare Wechseldurchdringung der Komponenten einer multiplen Farbenqualit\u00e4t abgelehnt hat,1 f\u00fchrt Brentano das Ph\u00e4nomen der letzteren auf die gleichm\u00e4fsige Verteilung der unmerklich kleinen Teile der Komponenten zur\u00fcck. Dar\u00fcber sagt er folgendes : ,, Wenn aber nicht auf diese (gemeint ist die Wechseldurchdringung), so kann man auf eine andere und sehr einfache Weise solche Erscheinungen mit dem Gesetze der Undurchdringlichkeit in Einklang bringen. Man braucht nur daran zu erinnern, dafs es f\u00fcr dieMerklichkeit eine Schwelle gibt. So wird denn auch bei der Kollokation verschieden er Qualit\u00e4ten im Empfindungsraum eine Un merklich-keit der Abst\u00e4nde und ebenso eine zwischen mehreren Qualit\u00e4ten inunmerklich kleinen Teilen wechselnde Empfindung m\u00f6glich sein, bei der die Vielf\u00e4ltigkeit der Teile im ganzen, nicht aber die Besonderheit ihrer Verteilung im einzelnen dem undeutlich Apperzipierenden sich verr\u00e4t.\u201c2 Noch deut-\n1\tBrentano a. a. O. S. 58. Die wirkliche Wechseldurchdringung der Komponenten einer multiplen Farbenqualit\u00e4t lehnt Brentano deshalb ab, weil sonst mannigfache Tatsachen auf allen Sinnesgebieten gegen eine Wechseldurchdringung verschiedener Qualit\u00e4ten sprechen, unter denen die des Wettstreits der Sehfelder besonders auffallend ist (s. 57). Diese Tatsache der Undurchdringlichkeit qualitativ ve rschiedener Empfindungen erkennen wir vollkommen an, es braucht aber daraus nicht die Notwendigkeit der Undurchdringlichkeit qualitativ gleicher Empfindungsteile zu folgen, wie dies Brentano folgert, indem er die Intensit\u00e4t der psychischen Inhalte im Sinne einer urspr\u00fcnglichen Quantit\u00e4tskategorie, bestreitet (\u00fcber diese BRENTANOsche Leugnung der Intensit\u00e4t wird weiter unten \u2014 vgl. die Anm. S. 406 \u2014 ausf\u00fchrlicher die Kede sein).\n2\tBrentano a. a. 0. S. 58\u201459.","page":392},{"file":"p0393.txt","language":"de","ocr_de":"Uber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n393\nlicher spricht er dasselbe an einer anderen Stelle ans. \u201eAber mit dieser (ph\u00e4nomenalen) Undurchdringlichkeit ist es recht wohl vereinbar, dafs wir mehrere Farben zugleich sehen, wie z. B. wenn die eine die rechte, die andere die linke H\u00e4lfte des Gesichtsfeldes einnimmt. Und so k\u00f6nnte auch das ganze Gesichtsfeld in kleinere Teile zerlegt gedacht werden, welche abwechselnd von einer von mehreren Farben eingenommen w\u00fcrden. Ist dies zugestanden, so ist es leicht ersichtlich, wie es bei voller Wahrung der Undurchdringlichkeit zu einer Mischfarbe kommen kann. Es ist n\u00e4mlich bekannt, dafs sehr kleine ph\u00e4nomenale Teile f\u00fcr sich unmerklich sind. Denken wir nun das Gesichtsfeld in unmerklich kleinen Teilen wechselweise von zwei Farben, z. B. von Rot und Blau erf\u00fcllt, so wird keiner f\u00fcr sich merklich sein, das ganze Gesichtsfeld aber recht wohl bemerkt werden, und seine Farbe ohne deutliche Unterscheidung der verschiedenen Parzellen doch als eine Vereinigung von Rot und Blau erscheinen. Sie wird das sein, was wir jetzt violett nennen.\u201c 1\nDafs die Zwischenfarbe an sich aus der gleichm\u00e4fsigen r\u00e4umlichen Verteilung der irgendwie f\u00fcr sich unmerklichen Teile der Hauptfarben bestehen mufs, darauf l\u00e4fst sich mit absoluter Ge-wifsheit daraus schliefsen, dafs sie in der unmittelbaren Wahrnehmung nicht in dem blofsen Durchdrungensein der Hauptfarben besteht. Best\u00fcnde n\u00e4mlich die Farbenfl\u00e4che der Zwischenfarbe an sich aus den einander durchdringenden Farbenfl\u00e4chen der Hauptfarben, dann m\u00fcfsten diese letzteren in der unmittelbaren Wahrnehmung qualitativ ebenso deutlich voneinander unterschieden sein, wie wenn sie ganz aufser einander im Raume w\u00e4ren. Denn das Durchdrungensein als solches m\u00fcfste ja nur die F\u00e4higkeit der beiden verschiedenen Farbenqualit\u00e4ten bedeuten, an einem und demselben Orte im Raume bestehen zu k\u00f6nnen, sobald man voraussetzen w\u00fcrde, dafs dieses Bestehen an einem Orte irgendwie ihre gesonderte qualitative Beschaffenheit tangieren w\u00fcrde, so w\u00fcrde man dasselbe offenbar sofort damit in Frage stellen. Aus dem tats\u00e4chlichen Tangieren der beiden einander in der unmittelbaren Wahrnehmung durchdringenden, die Farbenfl\u00e4che der Zwischenfarbe konstituierenden Farbenfl\u00e4chen der Plaupt-f\u00e4rben mufs man also schliefsen, dafs die erstere nicht auch wirk lieh aus dem Durchdrungensein der letzteren besteht, sondern\n1 Brentano a. a. O. S. 18.","page":393},{"file":"p0394.txt","language":"de","ocr_de":"394\nBranislav Petronievics.\ndafs sie, wenn sie aus den Hauptfarben besteht, aus f\u00fcreinander undurchdringlichen Teilen der letzteren bestehen mufs, womit die von Brentano vertretene These bewiesen ist.\nDie spezielle Form, die Brentano dieser These gegeben hat, die Behauptung, dafs es sehr kleine Teile w\u00e4ren, die unmerklich werden, m\u00fcssen wir dagegen bestreiten. Die Frage, wie es solche unmerkliche Teile der Farben geben k\u00f6nne, er\u00f6rtert Brentano gar nicht, er setzt es einfach als selbstverst\u00e4ndlich voraus, dafs es dergleichen Teile gibt und dafs sie eben in ausgedehnten sehr kleinen Teilen bestehen. \u201eEs ist n\u00e4mlich bekannt\u201c, sagt er, \u201edafs sehr kleine ph\u00e4nomenale Teile f\u00fcr sich unmerklich werden\u201c,1 und an einer anderen Stelle, \u201eman braucht nur zu erinnern, dafs es f\u00fcr die Merklichkeit eine Schwelle gibt\u201c.2\nDafs es nun eine Gr\u00f6fsenschwelle der Empfindung in bezug auf den physikalischen Reiz sowohl in extensiver, wie in intensiver Beziehung gibt, ist unzweifelhaft. Entweder ist der physikalische Reiz seiner extensiven Gr\u00f6fse nach zu klein, um auf das Sinnesorgan noch einwirken zu k\u00f6nnen \u2014 so sind z. B. die K\u00f6rpermolek\u00fcle ihrer Kleinheit wegen nicht imstande durch Lichtwellen auf das Auge einzuwirken \u2014 oder er ist seiner intensiven Gr\u00f6fse nach so klein, dafs er durch Verlust seiner Energie infolge der Umwandlung in den physiologischen Prozefs einen solchen im Grofshirn nicht mehr hervorzubringen vermag. Sofern wir also die Empfindung mit dem \u00e4ufseren physikalischen Reiz in Beziehung setzen, durch den sie entsteht, sind w7ir im vollen Rechte, von einer Schwelle bei derselben zu reden: es handelt sich ja dabei eigentlich nicht um Empfindungs-, sondern um Reizschwelle. Wenn wir dagegen die Enrpfindung rein als solche betrachten, wenn wir sie als das betrachten, was sie ist \u2014 das innere psychische Objekt \u2014 dann haben wir nicht so ohne weiteres Recht, auch hier von einer Schwelle zu reden, es mufs vielmehr besonders untersucht werden, ob und unter welchen Umst\u00e4nden eine solche hier m\u00f6glich und denkbar sei?\nIch will hier nun nicht die Frage der psychischen Empfindungsschwelle in ihrer vollen Allgemeinheit behandeln, ich beschr\u00e4nke mich hier nur auf die extensiven Raumgr\u00f6fsen, denn\n1\tBrentano a. a. O. S. 18.\n2\tBrentano a. a. 0. S. 58.","page":394},{"file":"p0395.txt","language":"de","ocr_de":"Uber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n395\n\u00abbei den Farben haben wir nur mit solchen zu tun. Es ist nun eine Erfahrungstatsache, dafs wir uns eine wahrgenommene extensive Raumgr\u00f6fse ins Endlose geteilt denken k\u00f6nnen, dafs wir z. B. eine Gerade in zwei H\u00e4lften und wiederum jede von diesen in zwei solche u. s. f. teilen k\u00f6nnen, ohne bei dieser Teilung auf einen letzten weiter nicht teilbaren einfachen Empfindungspunkt oder auf eine noch weiter teilbare unendlich kleine Empfindungsstrecke zu stofsen. Eine begrenzte wahrgenommene Empfindungsstrecke (und jede wahrgenommene Empfindungsstrecke ist eine solche) l\u00e4fst sich durch Teilung immer wieder nur in kleinere begrenzte Empfindungsstrecken zerlegen. Auch wenn wir diese Teilung nicht besonders (durch Anlegen kleiner Querstrecken \u2014 Fig. 2 \u2014 in der Empfindung, oder durch Anlegen von solchen\nI\u2014H\u2014 i---1--------!-----------------!\nA\tDC\tB\nFig. 2.\nin der blofsen Phantasie) ausf\u00fchren, bleibt die unmittelbare intuitive Tatsache bestehen, dafs wir in einer solchen weder einfache Empfindungspunkte noch etwa unendlich kleine Bestandst\u00fccke wahrnehmen. Eine begrenzte Empfindungsstrecke homogener Qualit\u00e4t ist f\u00fcr unsere unmittelbare Wahrnehmung ein Continuum,1 das nach unten potentiell ins Endlose teilbar, das aber als solches in diese Teile nicht selbst aktuell geteilt ist.\nEine aktuelle Geteiltheit der begrenzten Empfindungsstrecke tritt f\u00fcr unsere unmittelbare Wahrnehmung erst dann ein, wenn ihre Teile nicht mehr von einer und derselben Qualit\u00e4t sind. W\u00e4hrend eine rote Empfindungsstrecke auf weifsem Grunde f\u00fcr unsere Wahrnehmung keine Geteiltheit in H\u00e4lften zeigt, tritt eine solche in einer Empfindungsstrecke ein, deren eine H\u00e4lfte rot und die andere blau (oder gelb oder irgendwie andersfarbig oder schwarz) ist (Fig. 3). Denken wir uns nun weiter jede von\nFig. 3.\n1 Sie ist dies letztere im Sinne eines keine L\u00fccken zeigenden Raumes. Ob der so unmittelbar l\u00fcckenlos wahrgenommene Raum an sich ein absolutes Continuum oder ein l\u00fcckenloses Diskretum sei : in der Beziehung l\u00e4fst uns die Wahrnehmung im Stich. Auch hier haben wir also den Fall des immanenten Erfahrungsscheins vor uns. Vgl. dar\u00fcber ausf\u00fchrlicher meine ,. Prinzipien der Metaphysik usw.\u201c S. 306\u2014307.\nZeitsehr. f. Sinnesphysiol. 43.\t26","page":395},{"file":"p0396.txt","language":"de","ocr_de":"396\nBranislav Petronievics.\ndiesen beiden H\u00e4lften wiederum in zwei H\u00e4lften so geteilt, dafs* die jeweilige erste rot, die jeweilige zweite blau ist und jede von diesen wiederum in derselben Weise in H\u00e4lften geteilt (Fig. 4),.\nFig. 4.\nso ist es klar, dafs man auf diese Weise die aktuelle leilung einer begrenzten Empfindungsstrecke so weit fortsetzen kann, wie man dies will.\nWir fragen uns nunmehr, ob bei dieser stetigen Verkleinerung der aktuellen roten und blauen Teilstrecken einer solchen rot-blauen Empfindungsstrecke ein Augenblick eintreten wird, in dem die Teilstrecken nicht mehr in ihrer gesonderten roten und blauen Qualit\u00e4t werden wahrgenommen werden? Soll so was in der wahrgenommenen Empfindungsstrecke als solcher eintreten \u2014 und hier handelt es sich nur darum \u2014 so will das besagen, dafs es die begrifflichen Merkmale derselben selbst sind, die das zulassen und erfordern. Nun sind aber die begrifflichen Merkmale einer solchen Empfindungsstrecke offenbar nur einerseits ihre rote und blaue Qualit\u00e4t und andererseits ihre r\u00e4umliche Ausdehnung. In dem Begriffe der roten und blauen Qualit\u00e4t liegt aber nichts, was die r\u00e4umliche Ausdehnung derselben bei einer gewissen Gr\u00f6fse resp. Kleinheit zu einer unmerklichen machen w\u00fcrde, es bleibt also nur der Begriff der r\u00e4umlichen Ausdehnung selbst, in dem der Grund davon zu suchen w\u00e4re. In dem Begriffe der endlichen r\u00e4umlichen Ausdehnung liegt nun offenbar ebenso gar nichts, was dieselbe bei einer bestimmten Gr\u00f6fse resp. Kleinheit zu einer unmerklichen machen w\u00fcrde. Wenn die H\u00e4lfte einer gegebenen Empfindungsstrecke bei der obigen aktuellen Teilung derselben noch in der Wahrnehmung liegt, dann m\u00fcssen auch die H\u00e4lften dieser H\u00e4lften ebenso in der Wahrnehmung liegen, und dasselbe mufs gelten, solange man mit endlichen H\u00e4lften noch zu tun haben wird. Gr\u00f6fse und Kleinheit sind ja im Gebiete der endlichen Raumgr\u00f6fsen, die, wTie die von uns unmittelbar wahrgenommenen, ins Endlose teilbar sind, rein relative Begriffe, und es kann demnach nie eine endliche extensive Empfindungsstrecke, so klein sie auch sein mag, gedacht werden, die nicht mehr als wahrnehmbares Bestandst\u00fcck der wahrgenommenen aktuell geteilten Empfindungsstreckeauftreten w\u00fcrde.","page":396},{"file":"p0397.txt","language":"de","ocr_de":"Uber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n397\nDamit ist die obige \u25a0 Brentanos che Behauptung widerlegt \u2014 denn was f\u00fcr die Strecken gilt, gilt ohne weiteres auch f\u00fcr die Fl\u00e4chen und f\u00fcr den Baum \u00fcberhaupt \u2014 und es fragt sich nur noch, ob dasselbe auch f\u00fcr die absolut einfachen und die unendlich kleinen Bestandst\u00fccke des Gesichtsraumes gelten w\u00fcrde. Wir wollen zun\u00e4chst diese zweite M\u00f6glichkeit in Betracht ziehen.\nDafs in einer wahrgenommenen begrenzten Empfindungsstrecke unendlich kleine Bestandst\u00fccke als wahr genommene Bestandst\u00fccke nicht gegeben sind, ist eine unmittelbare Erfahrungstatsache, die wohl niemand in Abrede stellen kann. Wer nun die mathematische Notwendigkeit der unendlich kleinen Gr\u00f6fse in einer ins Endlose teilbaren endlichen Baumstrecke behauptet,1 der mufs aus dem Begriffe derselben deduzieren, dafs sie nicht wahrgenommen werden k\u00f6nne.\nDies letztere nun l\u00e4fst sich nicht tun. Denn zwar ist die unendlich kleine Baumstrecke in bezug auf die endliche nicht mehr von derselben Gr\u00f6fsenkategorie wie dies die sehr kleine endliche Strecke ist, sie hat aber mit ihr noch immer das Gemeinsame, eine ausgedehnte Baumstrecke zu sein, oder, anders ausgedr\u00fcckt, die unendlich kleine Strecke ist zwar in bezug auf das Gr\u00f6fsenti u an tum von der endlichen verschieden, nicht aber in bezug auf das Gr \u00f6f sen qu\u00e4le, da beide gleichermafsen ausgedehnt sind. Ist dem nun so, dann m\u00fcfsten in einer endlichen wahrgenommenen Empfindungsstrecke, sobald sie darin wirklich gegeben (resp. die aneinander angrenzenden qualitativ verschieden voneinander) w\u00e4ren, wahrgenommen werden, denn es w\u00e4re widersprechend, das Ausgedehnte wahrzunehmen, ohne alle seine ausgedehnten Bestandteile wahrzunehmen, da ja dasselbe aus diesen letzteren zusammengesetzt ist. Die unendlich kleine Baumstrecke mufs also ebenso wie die sehr kleine endliche in einer\n1 Unter den Mathematikern der Gegenwart, die sich mit der Frage der unendlich kleinen Raumgr\u00f6fse besch\u00e4ftigt haben, bestreiten die einen entschieden die begriffliche M\u00f6glichkeit einer solchen (Cantor, Peano), w\u00e4hrend die anderen an derselben ebenso entschieden festhalten (so Veronese). Ich. habe in meiner Schrift \u201eDie typischen Geometrien und das Unendliche\u201c, Heidelberg 1907 versucht, die Bedingungen n\u00e4her zu bestimmen* unter denen eine solche notwendigerweise im Raume gegeben w\u00e4re, und ebenso die Bedingungen, unter denen dies nicht der Fall zu sein braucht (S. 70-75).\n26*","page":397},{"file":"p0398.txt","language":"de","ocr_de":"398\nJBranislav Petronievics.\naktuell geteilten endlichen Empfindungsstrecke wahrnehmbar sein.1\nWir haben uns im Obigen bem\u00fcht, direkte Argumente gegen die M\u00f6glichkeit der Un Wahrnehmbarkeit qualitativ distinkter endlichen und unendlich kleinen Raumstrecken vorzubringen. Es lassen sich aber noch zwingende indirekte Argumente Vorbringen, die diese beiden Annahmen zugleich vernichten. Wir haben bisher von den sehr kleinen und unendlich kleinen Bestandst\u00fccken der wahrgenommenen Empfindungsstrecke so gesprochen, als ob diese letztere eine breitlose mathematische Gerade w\u00e4re. Dem ist nun nicht so, da bekanntlich jede wahrgenommene Gerade eine Breite hat, m\u00f6ge diese dabei noch so klein sein. W\u00e4hrend man nun demjenigen, der eine Empfindungsschwelle f\u00fcr die sehr kleinen und unendlich kleinen Bestandst\u00fccke der wahrgenommenen Geraden annimmt, innere Widerspr\u00fcche, in die er sich dabei verwickeln w\u00fcrde, nicht nachzuweisen vermag, solange man mit breitlosen mathematischen Geraden zu tun hat, treten solche Widerspr\u00fcche deutlich hervor, wenn wir mit Raumfl\u00e4chen zu tun haben.\nSetzen wir z. B. voraus, es bestehe eine Farbenfl\u00e4che aus wechselweise aufeinanderfolgenden schmalen Farbenst\u00fccken von rot und blau (Fig. 5) und es werde dann ein solches fl\u00e4ehen-haftes Farbenst\u00fcck seiner Breite nach so schmal, dafs es unter die (angenommene) Empfindungsschwelle zu stehen kommt. Wir fragen uns nun, ob ein solcher Teil noch in seiner spezifischen Qualit\u00e4t f\u00fcr sich wahrgenommen werden wird (resp. ob die aus\n1 M\u00fcfste die unendlich kleine Strecke in einer aktuell geteilten Empfindungsstrecke wahrgenommen werden, dann m\u00fcfste sie in Wahrheit auch in der aktuell nicht geteilten Empfindungsstrecke wahrgenommen werden, zwar nicht in derselben Weise wie im ersten Falle, aber doch in derselben Weise, in der die H\u00e4lfte einer qualitativ homogenen Empfindungsstrecke wahrgenommen wird, d. h. rein intuitiv. M\u00fcfste nun mathematisch die unendlich kleine Strecke notwendigerweise in einer ins Endlose teilbaren Strecke bestehen, so m\u00fcfsten wir aus dem Fehlen einer solchen schliefsen, dafs die wahrgenommene Empfindungsstrecke nicht auch an si ch ins Endlose teilbar sei, sondern dafs sie an sich aus einfachen unteilbaren Teilen besteht. Der mathematische Streit zwischen den Vertretern des unendlich Kleinen und dessen Gegnern ist also auch f\u00fcr die Psychologie von Bedeutung, wie umgekehrt eine genauere Analyse der diesbez\u00fcglichen Wahrnehmungstatsachen f\u00fcr die Mathematik von Bedeutung w\u00e4re, was die Mathematiker noch nicht einzusehen scheinen.","page":398},{"file":"p0399.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n399\nso schmalen roten und blauen Farbenst\u00fccken bestehende Farbenfl\u00e4che noch den Eindruck einer Farbenmischung oder den Eindruck des Violetten machen wird)? Sagt man, dafs er f\u00fcr sich wahrgenommen werden wird, dann mufs man zugeben, dafs er es auch dann noch sein wird, wenn er auch in der Dimension der L\u00e4nge so schmal wird, dafs er unter die Empfindungsschwelle zu stehen kommt. Damit aber w\u00e4re die Behauptung, ein sehr\nFig. 5.\nkleiner (fl\u00e4chenhafter) Raumteil h\u00f6re auf f\u00fcr sich wahrnehmbar zu sein, aufgehoben. Sagt man dagegen umgekehrt, dafs ein solcher Teil nicht f\u00fcr sich wahrgenommen werden wird, und zwar deshalb nicht, weil er in der einen Richtung seiner Ausdehnung die Grenze der Empfindungsschwelle nicht erreicht, dann liefse sich wiederum nicht einsehen, warum er bei der eventuellen Erreichung derselben in dieser Richtung wahrgenommen werden sollte, wenn diese Wahrnehmung in der anderen Richtung, die die Empfindungsschwelle \u00fcberschreitet, nicht stattfindet. Wie man hieraus sieht, die beiden einander entgegengesetzten Antworten sind beide ebenso berechtigt wie unberechtigt, und darin kommt der innere Widerspruch in der Annahme einer Empfindungsschwelle f\u00fcr die endliche Raumgr\u00f6fse deutlich zum V orschein.\nDerselbe Widerspruch ist auch bei der Annahme der unendlich kleinen Raumst\u00fccke vorhanden. Denn wenn man den fl\u00e4chenhaften Teil im vorigen Beispiel seiner Breite nach unendlich klein werden l\u00e4fst, dann wird die Wahrnehmbarkeit eines solchen mit","page":399},{"file":"p0400.txt","language":"de","ocr_de":"400\nBranislav JPetronievics.\nganz demselben Rechte zu behaupten sein, wie seine Unwahrnehmbarkeit, was widersprechend und unm\u00f6glich ist.\nNachdem wir nun sowohl die Annahme des Unwahrnehmbarwerdens sehr kleiner endlicher wie die der unendlich kleiner qualitativ verschiedener Bestandteile einer Farbenfl\u00e4che widerlegt haben, bleibt uns nur noch die dritte Annahme \u00fcbrig, die Annahme der absolut einfachen unausgedehnten Farbenpunkte. Dafs diese Annahme keine inneren Widerspr\u00fcche in sich enth\u00e4lt, l\u00e4fst sich unschwer nachweisen. W\u00e4hrend n\u00e4mlich die sehr kleinen Teile einer endlichen ausgedehnten Raumgr\u00f6fse mit dieser letzteren sowohl dem Gr\u00f6fsenquantum wie dem Gr\u00f6fsenquale nach von derselben Kategorie waren, und die unendlich kleinen zwar nicht dem Gr\u00f6fsenquantum aber noch dem Gr\u00f6fsenquale nach, sind die absolut einfachen Raumpunkte sowohl in der einen wie in der anderen Hinsicht von ihr verschieden, denn als absolut einfache haben sie kein Quantum mehr und keine Ausdehnung.1 Wenn eine endliche Empfindungsstrecke also aus einfachen wechselweise aufeinanderfolgenden roten und blauen Punkten besteht, so besteht f\u00fcr die letzteren keine Notwendigkeit mehr f\u00fcr sich wahrgenommen zu werden, und eine solche Strecke wird in der Wahrnehmung den Eindruck einer violetten Geraden machen.\nDafs qualitativ verschiedene einfache Punkte in einer Geraden dieser Art miteinander verschmelzen werden, positive Gr\u00fcnde werden wir daf\u00fcr hier nicht geben, denn das w\u00fcrde uns zu weit f\u00fchren. F\u00fcr denjenigen, der auf Grund des von uns fr\u00fcher vorgebrachten Arguments zugibt, dafs die Zwischenfarben aus den Hauptfarben an sich zusammengesetzt sind, kann es nicht mehr zweifelhaft sein, dafs es nur absolut einfache Punkte der letzteren sein k\u00f6nnen, die die ersteren konstituieren, nachdem\nTV ir sehen hier ganz von den mathematischen Schwierigkeiten ab, mit denen die Annahme einer Zusammensetzung des .Raumes aus einfachen ausdehnungslosen Punkten zu k\u00e4mpfen hat. Diese Schwierigkeiten habe ich in meinem oben erw\u00e4hnten metaphysisch mathematischen Werke \u201ePrinzipien der Metaphysik usw.\u201c zu bew\u00e4ltigen versucht, und eine auf der Annahme der diskreten Struktur des Raumes beruhende Geometrie zu entwickeln gesucht. Dafs nun die logische und psychologische Analyse des Begriffs der zusammengesetzten Farbe, die wir in dieser Abhandlung vorgenommen haben, zu der Annahme einfacher Raumpunkte f\u00fchrt, betrachte ich als eine wichtige indirekte Best\u00e4tigung meiner geometrischen Theorie, Tvie umgekehrt auf Grund dieser letzteren eine solche Analyse zu erwarten war (vgl. \u201ePrinzipien der Metaphysik\u201c, Anm. S. 303).","page":400},{"file":"p0401.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n401\n-wir die beiden anderen Annahmen einer solchen Zusammensetzung widerlegt haben. Es kann sich hier also nur darum handeln, die Art und Weise n\u00e4her zu bestimmen, in der die einfachen Farbenpunkte der einfachen Hauptfarben die zusammen- ^ gesetzten Zwischenfarben konstituieren.\nWenn es nun feststeht, dafs die Farbenfl\u00e4chen der Zwischenfarben aus einfachen Farbenpunkten der Hauptfarben bestehen, so ist damit eo ipso gesagt, dafs auch die Farbenfl\u00e4chen der Hauptfarben aus Farbenpunkten bestehen, dafs jede farbige (oder weifs-schwarze) Raumfl\u00e4che aus einfachen Punkten besteht. Wir fragen uns nun zun\u00e4chst, warum in einer aus Farbenpunkten von einer und derselben Qualit\u00e4t bestehenden Farbenfl\u00e4che die einfachen Farbenpunkte nicht gesondert zur Wahrnehmung gelangen? Offenbar deshalb nicht, weil jeder einzelne von denselben von den n\u00e4chstbenachbarten so umgeben ist, dafs es zwischen ihnen keine L\u00fccken gibt, denn nur wenn es solche g\u00e4be, k\u00f6nnten die qualitativ gleichen Punkte voneinander gesondert zur Wahrnehmung gelangen. Hieraus folgt nun das folgende ausnahmslose Gesetz f\u00fcr die Wahrnehmung der einfachen qualitativ gleichen Farbenpunkte :\nEinfache Farbenpunkte gleicher Qualit\u00e4t, wenn sie in einer Farbenfl\u00e4che (oder Farbenraume \u00fcberhaupt) l\u00fcckenlos nebeneinander gegeben sind, verschmelzen in der Wahrnehmung zu einem einheitlichen Farbeneindruck.\nAuf Grund dieses Gesetzes ist uns nicht nur die in demselben zum Ausdruck gebrachte Tatsache der Un Wahrnehmbarkeit qualitativ gleicher Punkte in einer qualitativ homogenen Farbenfl\u00e4che verst\u00e4ndlich, sondern auch die Tatsache der gesonderten Wahrnehmung zweier qualitativ verschiedener r\u00e4umlich nebeneinander gegebenen Farbenfl\u00e4chen. Nach diesem Gesetze m\u00fcssen n\u00e4mlich die untereinander gleichen Farbenpunkte in jeder von den beiden Fl\u00e4chen zu einem einheitlichen Eindruck verschmelzen, was, da das Gesetz ausnahmslos gilt, auch f\u00fcr die qualitativ verschiedenen Farbenpunkte der beiden aneinander anstofsenden Grenzlinien der beiden Fl\u00e4chen gelten mufs (Fig. 6), es werden also diese Punkte nicht miteinander, sondern mit den qualitativ gleichen Punkten ihrer entsprechenden Fl\u00e4chen verschmelzen. W\u00fcrden dieselben miteinander verschmelzen, dann w\u00fcrden wir nicht zwei durch eine breitlose mathematische Grenzlinie voneinander scharf","page":401},{"file":"p0402.txt","language":"de","ocr_de":"402\nBranislav Petronievics.\ngetrennte qualitativ verschiedene Farbenfl\u00e4chen wahrnehmenr wie dies in der unmittelbaren Erfahrung tats\u00e4chlich geschieht, sondern zwei durch eine qualitative Linie 1 von mittlerer Qualit\u00e4t voneinander getrennte qualitativ verschiedene Farbenfl\u00e4chen. Das Gesetz gilt aber ausnahmslos und daher die in der Erfahrung gegebene Tatsache.\no\u2014Q\n\u25a0Q~\nO\u20146\n6\u2014\u00f4\n6\u20146\u20146\u2014\u00f4\u20146\nFig.\n6.\nGilt das Gesetz ausnahmslos, so wird eine aus zweifarbigen schachbrettartig angeordneten Farbenquadraten bestehende Fl\u00e4che auch dann noch aus solchen in der Wahrnehmung zusammengesetzt erscheinen, wenn die Anzahl der einfachen Punkte in der Seite jeden Einzelquadrats nur zwei betr\u00e4gt, da es keinen Grund gibt, der das Gesetz bei einer bestimmten Anzahl von qualitativ gleichen Punkten in einer Linie aufser Wirksamkeit setzen sollte. (Fig. 7.) Die Sachlage \u00e4ndert sich aber vollst\u00e4ndig, wenn\no\u2014o o\u2014o\nn\no-o\n\u00f6\u2014d\nnnn\nn\nFig. 7.\nO\u2014Q\no\u2014o\n|6T\t\u2014 1\n>\u2014c\t\nm\t\n>\u2014o\u2014i\t\n\u2014ii\u2014r\t\nan\no\no\n-o\no\no\n0\nFig. 8.\nin der Fig. 7 an Stelle einfacher Quadrate (d. h. der Quadrate deren Seiten die kleinstm\u00f6glichen Geraden oder einfache Elementargeraden darstellen) einfache Punkte zu stehen kommen, d. h. wenn eine Farbenfl\u00e4che aus schachbrettartig angeordneten Farbenpunkten zweier Farbenqualit\u00e4ten besteht (Fig. 8). Denn in einer solchen Farbenfl\u00e4che (Farbenquadrat) treten gleiche Punkte nur in Diagonalrichtungen auf. Nun ist aber die Verschmelzung\n1 Es w\u00e4re dies aber nicht eine einfache d. h. vollkommen breitlose qualitative Linie, sondern eine aus zweien solchen bestehende, also eine solche, deren Breite die kleinstm\u00f6gliche w\u00e4re.","page":402},{"file":"p0403.txt","language":"de","ocr_de":"403\n\u00dcber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\neinfacher gleicher Punkte in diesen Diagonalrichtungen nicht m\u00f6glich. Denn durch eine solche m\u00fcfste ja jede Diagonallinie in der Figur in der unmittelbaren Wahrnehmung als eine kontinuierliche einfache qualitative Linie erscheinen, und die ganze Figur als ein Netz von solchen sich schneidenden Diagonallinien. Unter diesen letzteren bef\u00e4nden sich aber auch solche, die verschiedener Qualit\u00e4t sind (in der Figur sind zwei solche besonders bezeichnet), und sie m\u00fcfsten sich, ebenso wie die anderen, in der Wahrnehmung in einem Punkte schneiden (an sich ist dieser Punkt, wie die Figur zeigt, imagin\u00e4r, d. h. besteht gar nicht) und ein solcher Punkt ist unm\u00f6glich. Denn ist, wie in der Figur, die eine Diagonallinie rot und die andere blau, so m\u00fcfste der Punkt entweder rot oder blau sein, und zwar beides mit gleichem Rechte, was widersprechend und unm\u00f6glich ist. Daraus folgt also, dafs diese beiden Diagonallinien in der Wahrnehmung nicht bestehen k\u00f6nnen, dafs also die einfachen qualitativ gleichen Punkte in denselben miteinander in der Wahrnehmung zu einem einheitlichen Eindruck nicht verschmelzen k\u00f6nnen und dafs demnach \u00fcberhaupt solche Punkte in solchen Linien (der Fig. 8) nicht miteinander verschmelzen k\u00f6nnen.\nK\u00f6nnen aber die qualitativ gleichen Punkte der Fig. 8 in den Diagonalrichtungen in der Wahrnehmung nicht miteinander A^erschmelzen, so mufs, damit diese unm\u00f6gliche Verschmelzung vermieden werde, eine Verschmelzung in den Seitenrichtungen der Quadrate eintreten, wto qualitativ verschiedene Punkte nebeneinander gegeben sind. Der in der Mitte liegende rote Punkt der Fig. 8 wird so mit den vier blauen Punkten, mit denen er sich unmittelbar (oder seitenm\u00e4fsig) ber\u00fchrt, gleichzeitig verschmelzen, der blaue neben ihm rechts gegebene mit den vier roten, mit denen er sich ebenso unmittelbar ber\u00fchrt usw., so dafs das Ganze in der Wahrnehmung den Eindruck einer kontinuierlichen Farbenfl\u00e4che machen wdrd, deren Qualit\u00e4t in der Mitte zwischen rot und blau liegen wdrd, also den Eindruck des Violetten. Da die einfachen roten und blauen Punkte f\u00fcr sich nicht wahrgenommen werden, so folgt daraus ohne weiters, dafs wir das Blaue und Rote in dem Violetten nicht so erblicken k\u00f6nnen, dafs sie darin deutlich in ihrer qualitativen Verschiedenheit zum Vorschein kommen, denn das w\u00fcrde offenbar in unserem Falle (wrenn n\u00e4mlich die violette Farbenfl\u00e4che wdrklich aus Farbenpunkten besteht) die Wahrnehmung der roten und blauen Punkte selbst","page":403},{"file":"p0404.txt","language":"de","ocr_de":"404\njBranislav Petronievics.\nals solcher bedeuten. Da nun aus demselben Grunde auch der kleinste von uns noch wahrnehmbare Teil der violetten Farbenfl\u00e4che violett erscheinen mufs, so heifst das nichts anderes als dafs, wenn Blaues und Rotes in dem Violetten doch unmittelbar wahrgenommen werden sollen, dies nur in der von uns beschriebenen Art und Weise stattfinden kann d. h. so als ob die violette Farbenfl\u00e4che aus einer roten und aus einer blauen best\u00e4nde, die sich gegenseitig durchdringen, wobei ihre Qualit\u00e4ten miteinander zu einer mittleren Qualit\u00e4t verschmelzen.\nWir k\u00f6nnen nunmehr, nachdem wir so durch die Voraussetzung der einfachen Farbenpunkte die Wahrnehmungstatsache der Zwischenfarbe deduziert haben, ihre Beschreibung sogar noch in gewisser Hinsicht erg\u00e4nzen. Wenn n\u00e4mlich eine Raumstrecke aus einfachen Raumpunkten so besteht, dafs darin die einfachen Punkte f\u00fcr sich nicht wahrgenommen werden und ihre Vielheit in der unmittelbaren Wahrnehmung nur als die Ausdehnung der kontinuierlichen Strecke zum Vorschein kommt, die einer Teilun g f\u00e4hig ist, so wird es dann begreiflich, wfle in einer Zwischenfarbe die beiden qualitativ verschiedenen Komponenten miteinander so verschmelzen k\u00f6nnen, dafs sie darin nicht f\u00fcr sich wahrgenommen werden, ihre Mannigfaltigkeit aber in der unmittelbaren Wahrnehmung in der Mit tel-heit der einheitlichen Qualit\u00e4t zum Vorschein kommt, die eine \u00c4hnlichkeit mit den beiden Komponenten zeigt. Durch die Analogie mit der quantitativen Verschmelzung der einfachen Punkte in der r\u00e4umlichen Ausdehnung l\u00e4fst sich also die qualitative Verschmelzung der einfachen Qualit\u00e4ten in der einheitlichen Zwischenqualit\u00e2t fast genau beschreiben.\nDamit w\u00e4re die Aufgabe unserer Abhandlung vollendet. Es ist aber noch auf eine wichtige Konsequenz aus der von uns bestimmten Art und Weise der wirklichen Zusammensetzung der Zwdschenfarbe aus ihren hauptfarbigen Komponenten hinzuweisen, eine Konsequenz, die eine der prinzipiellsten Fragen der empirischen Psychologie, die Frage der Intensit\u00e4t der psychischen Inhalte, mit einem Schlage l\u00f6st.\nKann n\u00e4mlich die Farbenfl\u00e4che der Zwischenfarbe in der unmittelbaren Wahrnehmung nur dann entstehen, wenn die einfachen Farbenpunkte ihrer beiden Komponenten darin so verteilt sind, dafs nirgends zwrei qualitativ gleiche Punkte nebeneinander zu stehen kommen (da diese ja nach dem bekannten","page":404},{"file":"p0405.txt","language":"de","ocr_de":"Uber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\n405\nGesetze miteinander qualitativ verschmelzen m\u00fcfsten), besteht also nur eine einzige r\u00e4umliche Verteilung (die schachbrettartige 1) der eine Zwischenfarbe komponierenden Farbenpunkte, so k\u00f6nnen die verschiedenen Nuancen einer solchen nicht mehr auf das extensive Mehr oder Weniger dieser letzteren zur\u00fcckgef\u00fchrt werden (da ja z. B. in einem violetten Farben quadrat, dessen Seite eine gerade Zahl von Punkten hat, die Anzahl der roten und blauen Punkte stets einander gleich, in einem solchen, dessen Seite eine ungerade Zahl von Punkten hat, die Anzahl der einen diejenige der anderen stets um eins \u00fcberschreitet). K\u00f6nnen sie aber auf die extensiven Verh\u00e4ltnisse der komponierenden Farbenpunkte nicht zur\u00fcckgef\u00fchrt werden, dann muls man sie auf die intensiven Verh\u00e4ltnisse dieser letzteren zur\u00fcckf\u00fchren, da sie ja auf einem Mehr oder Weniger dieser Punkte beruhen m\u00fcssen, wenn man die Zwischenfarbe aus den Farbenpunkten der Hauptfarben bestehen l\u00e4fst, Wir m\u00fcssen also voraussetzen, dafs z. B. in einem purpurroten Farbenquadrat jeder rote Punkt mehrere rote und jeder blaue mehrere blaue Punkte in sich enth\u00e4lt, und dafs die Anzahl der in jedem roten Punkte einander durchdringenden roten Punkte gr\u00f6fser als diejenige der in jedem blauen einander durchdringenden blauen Punkte ist, denn nur dadurch kann auf unserem Standpunkt in\ndem unmittelbaren Eindruck des Purpur die rote Komponente\n\u2022 \u2022\ndie blaue \u00fcberwiegen. Ebenso haben wir umgekehrt das Uberwiegen der blauen Komponente in dem Indigo \u00fcber die rote auf die gr\u00f6fsere Anzahl der einander durchdringenden blauen Punkte in den blauen Baum punkten, als es diejenige der roten in den roten Raumpunkten ist, zur\u00fcckzuf\u00fchren, w\u00e4hrend in dem (mittleren) Violett diese Anzahl beiderseits eine gleiche sein mufs.\nWie man hieraus sieht, beruhen die verschiedenen Nuancen der Zwischenfarben, die von der einen Hauptfarbe zu der anderen kontinuierlich den \u00dcbergang bilden, auf reinen Intensit\u00e4tsunterschieden dieser letzteren darin, und damit ist die Intensit\u00e4t auf dem Gebiete des Gesichtssinnes unzweifelhaft fest-\n1 Auch Brentano (a. a, \u00fc. S. 61) l\u00e4fst seine unmerklich kleinen Teile der Hauptfarben, die eine Zwischenfarbe konstituieren, schachbrettartig angeordnet sein, ohne einen Grund daf\u00fcr anzuf\u00fchren. H\u00e4tte er das versucht, so h\u00e4tte sich ihm das Widersprechende seiner Annahme deutlich ergeben.","page":405},{"file":"p0406.txt","language":"de","ocr_de":"406\nBranislav Petronievics.\ngestellt. Ob die Hauptfarben als solche auch rein f\u00fcr sich Intensit\u00e4tsunterschiede zeigen, das wollen wir hier nicht untersuchen,1 nur soviel wollen wir bemerken, dafs, wenn einmal die Intensit\u00e4t in einem Gebiete der psychischen Inhalte feststeht, wir dann keinen Grund mehr haben, dieselbe auf anderen Gebieten dieser Inhalte in Zweifel zu ziehen.2\n1\tWenn von der Intensit\u00e4t der Gesichtsempfindungen gesprochen wird, so wird bekanntlich darunter gew\u00f6hnlich ihre Helligkeit resp. Weifs-lichkeit verstanden, indem man voraussetzt, dafs die reinen Helligkeitsstufen (weifs \u2014 grau \u2014 schwarz) reine Intensit\u00e4tsunterschiede einer und derselben Empfindung darstellen (der Empfindung weifs, so dafs dann das reine Schwarz konsequenterweise keine selbst\u00e4ndige Empfindung mehr, sondern den Mangel einer solchen darstellt). Auf unserem Standpunkte nun m\u00fcssen in der Tat die verschiedenen Nuancen des Grau, vom Schwarz angefangen, verschiedene Intensit\u00e4tsstufen der darin vorhandenen Weifsempfindung darstellen, und dadurch werden wir in den Stand gesetzt, die sogenannten Helligkeitsstufen als Intensit\u00e4tsstufen zu betrachten, ohne die Selbst\u00e4ndigkeit der Schwarzempfindung preiszugeben. Da nun die Helligkeitsstufen dem WEBERSchen Gesetze gehorchen (vgl. dar\u00fcber Ebbinghaus, a. a. O. S. 519), das sich auf anderen Sinnesgebieten und auch sonst auf das Verh\u00e4ltnis der St\u00e4rke des objektiven Reizes zu der Intensit\u00e4t der Empfindung bezieht (\u00fcber die scheinbaren Ausnahmen davon vgl. Ebbinghaus, a. a. O. S. 527 ft.), so ist daraus zu schliefsen, dafs es sich bei Helligkeitsstufen wirklich um Intensit\u00e4ts- und nicht um blofse Qualit\u00e4tsunterschiede handelt, wodurch unsere Theorie indirekt best\u00e4tigt wird.\n2\tBrentano hat in seinem angef\u00fchrten Buche den Versuch gemacht, die Intensit\u00e4t der psychischen Inhalte als selbst\u00e4ndiger Quantit\u00e4tskategorie ganz in Abrede zu stellen. Er leugnet dieselbe als selbst\u00e4ndige Erfahrungstatsache nicht (er will sie nicht auf Qualit\u00e4tsunterschiede und \u00e4hnliches zur\u00fcckf\u00fchren), aber er will sie aus extensiven Raumverh\u00e4ltnissen der Empfindungen deduzieren. Diese seine Deduktion steht im engsten Zusammenhang mit der Deduktion der zusammengesetzten Farbe aus den einfachen. Indem er das Gesetz der Undurchdringlichkeit von den qualitativ verschiedenen auf qualitativ gleiche Empfindungen ausdehnt, f\u00fchrt er die Intensit\u00e4t einer Empfindung ebenso auf die Unmerklichkeit sehr kleiner leerer Stellen im Sinnesraume zur\u00fcck, wie er die Multiplizit\u00e4t einer Farbe auf die Unmerklichkeit erf\u00fcllter Stellen in demselben zur\u00fcckf\u00fchrt (a. a. O. S. 60, 1). Er sagt, dafs man sich die Entstehung der Intensit\u00e4t am besten veranschaulichen k\u00f6nne, wenn man sich jedes blaue Feld in einer aus schachbrettartig angeordneten roten und blauen Feldern bestehenden Farbenfl\u00e4che leer d\u00e4chte. Dann \u201ew\u00e4re der blaue Stich des Violett verschwunden, und nur die R\u00f6tlichkeit bliebe (ungeschw\u00e4cht sowohl als unverst\u00e4rkt) bestehen. Dem undeutlich Apperzipierenden w\u00fcrde das Ganze dann rein rot, aber dennoch im Vergleich mit dem Falle l\u00fcckenloser Erf\u00fcllung mit dieser Farbe nicht entfernt so stark ger\u00f6tet erscheinen. Es b\u00f6te sich,","page":406},{"file":"p0407.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber den Begriff der zusammengesetzten Farbe.\t407\nZum Schl\u00fcsse der Abhandlung angelangt, fassen wir die Hauptresultate derselben in folgenden S\u00e4tzen zusammen:\n1.\tDie vier von Heeinu im Farbenkreise angegebenen ausgezeichneten Stellen (die Hauptfarben gelb, rot, blau und gr\u00fcn) lassen sich in keiner Weise hinwegdisputieren und bestehen zu Recht.\n2.\tDie Zwischenfarben werden unmittelbar anders wahrgenommen als die Hauptfarben: w\u00e4hrend der unmittelbare Eindruck der Hauptfarbe ein absolut einfacher ist, ist derjenige der Zwischenfarbe ein einheitlich doppelartiger, indem die beiden hauptfarbigen Komponenten darin in undeutlicher Weise qualitativ voneinander unterschieden werden.\n8. Es gibt Grade dieser Undeutlichkeit resp. Deutlichkeit der Wahrnehmung der Komponenten einer Zwischenfarbe: den gr\u00f6l sten Grad erreicht dieselbe in den beiden Farben t\u00f6nen, die in der Mitte zwischen der mittleren Zwischenfarbe zweier Hauptfarben und diesen letzteren liegen, und den kleinsten in dieser mittleren und den \u00e4ufsersten Zwischenfarben.\n4.\tDie Hauptfarben stehen in mehrfachen qualitativen Gegensatzverh\u00e4ltnissen zueinander.\n5.\tDie Zwischenfarben bestehen an sich aus den Hauptfarben, und zwar ist eine zwischenfarbige Farbenfl\u00e4che aus Farbenpunkten ihrer hauptfarbigen Komponenten zusammengesetzt.\nwenn auch rein r\u00f6tlich, doch eigentlich nicht r\u00f6tlicher als das zuvor erschienene Violett.\nWegen der Erscheinung des Schwarz bei mangelndem Lichtreiz und wegen der Gesetze des simultanen Kontrastes und der Lichtinduktion, kann es heim Gesichtssinn zu solchen ph\u00e4nomenal leeren Stellen nicht kommen. Bei allen anderen Sinnen sind sie aber recht wohl denkbar\u201c (a. a. 0. S. 61). So ist also nach Brentano die Intensit\u00e4t \u201eals ein gewisses Mats von Dichtigkeit der Erscheinung im allereigentlichsten Sinne zu begreifen\u201c (ib.).\nDafs es leere Stellen in den Empfindungsgebieten aller anderen Sinne aufser dem Gesichtssinn gibt, ist richtig (wie solche m\u00f6glich seien, ist eine andere Frage), dafs es aber f\u00fcr dieselben als solche (als ausgedehnte) keine Merklichkeitsschwelle geben kann, das folgt unmittelbar aus unseren Beweisf\u00fchrungen gegen eine solche bei den erf\u00fcllten Raumstellen, wodurch die ganze B\u00dfENTANOsche Intensit\u00e4tstheorie hinf\u00e4llig wird.","page":407},{"file":"p0408.txt","language":"de","ocr_de":"408\nBranislav Petronievics.\n6.\tEs gibt nur eine einzige r\u00e4umliche Verteilung der haupt-farbigen Raumpunkte, die das Ph\u00e4nomen der Zwischenfarbe in der unmittelbaren Wahrnehmung hervorbringen kann: die schachbrettartige.\n7.\tDie verschiedenen qualitativen Nuancen der Zwischenfarbe beruhen auf den Intensit\u00e4tsunterschieden der hauptfarbigen Raumpunkte, aus denen sie besteht.\n(Eingegangen am 18. September 1908.)","page":408}],"identifier":"lit33539","issued":"1909","language":"de","pages":"364-408","startpages":"364","title":"\u00dcber den Begriff der zusammengesetzten Farbe","type":"Journal Article","volume":"43"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:34:22.417954+00:00"}

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