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Über das Lebensgeschehen in den belichteten und verdunkelten Netzhäuten: Auf Grund von Versuchen über die chromatische Hautfunktion der Amphibien

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{"created":"2022-01-31T15:53:12.638890+00:00","id":"lit33561","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Bab\u00e1k, Edward","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 44: 293-314","fulltext":[{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"293\n(Aus dem k. k. physiologischen Institut der b\u00f6hm. Universit\u00e4t Prag.)\n\u2022 \u2022\nUber das Lebensgeschehen in den belichteten und\nverdunkelten Netzh\u00e4uten.\nAuf Grund von Versuchen \u00fcber die chromatische\nHautfunktion der Amphibien.\nVon\nProf. Dr. Edward Babak.\n\u00dcber das Lebensgeschehen in den Netzh\u00e4uten im Lichte und in der Dunkelheit sind wir wegen der Feinheit und Kompliziertheit der Verh\u00e4ltnisse bisher nur wenig orientiert. Im ganzen ist es unzweifelhaft, dafs die s u b j e k t i v e n Erscheinungen \u2014 die Lichtempfindungen \u2014 in ihrer Beziehung zur Intensit\u00e4t, Qualit\u00e4t, Dauer usw. der Beize uns m\u00e4chtigere St\u00fctze f\u00fcr die Beurteilung der Netzhautt\u00e4tigkeit verleihen, als die bisher bekannten objektiv nachweisbaren Ver\u00e4nderungen in den Netzh\u00e4uten bei verschiedenen Belichtungsverh\u00e4ltnissen.\nDie objektiven Erscheinungen in den Netzh\u00e4uten k\u00f6nnte man vielleicht in drei Kategorien einteilen, sofern dieselben durch die Lichtreize (u. a.)\n1.\tin den Netzh\u00e4uten direkt hervorgerufen werden, und sogar am isolierten Auge Vorkommen k\u00f6nnen;\n2.\tin den Netzh\u00e4uten indirekt ausgel\u00f6st werden, aus einer Netzhaut in der anderen (oder von anderen K\u00f6rperteilen, wohl reflektorisch) ;\n3.\taus den Netzh\u00e4uten in anderen K\u00f6rperteilen objektiv nachweisbare Wirkungen verursachen (wohl reflektorisch).\nIn die erste Kategorie geh\u00f6ren die \u00c4nderungen des einzigen eingehender studierten ,,Sehstoffes\u201c oder (Hering) \u201eEmpfangstoffes\u201c (wie man die hypostasierten durch Licht ver\u00e4nderlichen,","page":293},{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"294\nEdward Babctk.\nin den photorezejAorischen Elementen vorkommenden Substanzen zu nennen pflegt), des Sehpurpurs: derselbe bleicht im Lichte aus und wird in der Dunkelheit neugebildet, wozu nach gewissen Erfahrungen die Ber\u00fchrung mit dem Pigmentepithel n\u00f6tig ist. Die Belichtung soll weiter die alkalische Reaktion der verdunkelten Netzhaut in die saure ver\u00e4ndern. Der Bestandstrom des verdunkelten Auges, wobei die \u00e4ufsere Netzhautschicht elektrisch negativ gegen die innere Fl\u00e4che ist, zeigt (Gabten, v. Bb\u00fccke) bei Belichtung eine kurzdauernde negative Schwankung, nachher folgt eine gr\u00f6fsere positive \u00c4nderung, welche sich bei dauernder Belichtung allm\u00e4hlich verkleinert; bei der Verdunkelung erscheint eine positive Schwankung mit langsamer R\u00fcckkehr zum normalen Werte der Dunkelheit; bei den Warmbl\u00fctern erfolgt nach Pipee 1 auf Verdunkelung entweder eine meist ziemlich langsam ablaufende R\u00fcckkehr des Stromes zu dem vor der Lichtreizung innegehabten Werte oder h\u00e4ufiger eine ausgesprochene negative Stromschwankung (darauf Wiederanwachsen bis zum urspr\u00fcnglichen Dunkelwert). Bei niederen Wirbeltieren kommen noch weitere Erscheinungen zum Vorschein, welche beim Affen (Gabten) und wohl auch beim Menschen kaum merklich sind: durch Belichtung wird der protoplasmatische Teil des Zapfe ninnengliedes verk\u00fcrzt und verdickt, wogegen die St\u00e4bchen innenglieder oft sich strecken ; das Pigment der Pigmentepithelzellen wandert im Lichte aus der Zellbasis in die zwischen den St\u00e4bchen und Zapfen sich erstreckenden Protoplasmaforts\u00e4tze vor; in der Dunkelheit werden umgekehrte Bewegungen ausgef\u00fchrt. \u2014 Man hat auch verschiedene Unterschiede der F\u00e4rbbarkeit der belichteten und verdunkelten Netzh\u00e4ute oder der St\u00e4bchen und Zapfen, und Form- sowie Struktur\u00e4nderungen der Kerne histologisch sichergestellt (Mann u. a.).\nVielleicht kann man noch andere Erscheinungen in diese Kategorie einreihen, so z. B. die sich im Sehorgan infolge der Belichtung wahrscheinlich entwickelnde funktionelle Hyper\u00e4mie, ,,wie solche von vielen nicht stetig fungierenden Organen bekannt ist\u201c (z. B. Hebing 1 2) usw.\n1\tH. Piper, Untersuchungen \u00fcber das elektromotorische Verhalten der Netzhaut bei Warmbl\u00fctern. Arch. f. Physiol. 1905. Suppl.-Bd. S. 133 usw.\n2\tE. Hering, Grundz\u00fcge der Lehre vom Lichtsinn. Leipzig, W. Engelmann. 2. Liefg. 1907. S. 114.","page":294},{"file":"p0295.txt","language":"de","ocr_de":"fiber das Lebensgeschehen in den belichteten u. verdunkelten Netzh\u00e4uten. 295\nVon den angef\u00fchrten Erscheinungen k\u00f6nnen einige auch indirekt (zweite Gruppe) hervorgerufen werden: so kommt besonders die Zapfenkontraktion und Pigmentbewegung auch im verdunkelten Auge vor, wenn das andere Auge oder auch die Haut belichtet wird, ja sogar \u00fcberhaupt bei verschiedenartigen Reizungen der verschiedenen zentripetalen Nerven; nach der Vernichtung des Gehirns verschwindet diese Reaktion, welche augenscheinlich durch eigene retinomotorische Nerven vermittelt ist. Auch in bezug auf die elektrischen Erscheinungen hat Engelmann \u00e4hnliches gefunden: durch Belichtung des einen Auges konnte beim Frosch in dem anderen verdunkelten Auge positive Stromes-schwTankung hervorgebracht werden (aber die Verdunkelung war ohne Wirkung).\nDer dritten Gruppe hat man bisher wenig Aufmerksamkeit gewidmet, abgesehen von den elektrischen Erscheinungen am Nervus opticus und den in Sehsph\u00e4ren des Gehirnes bei der Lichtreizung der Netzh\u00e4ute zustandekommenden T\u00e4tigkeitsstr\u00f6men. Es besteht aber kein Zweifel dar\u00fcber, dafs die Netzh\u00e4ute vermittels des Zentralnervensystems das Lebensgeschehen im ganzen \u00fcbrigen K\u00f6rper stark beeinflussen.\nVor allem d\u00fcrfte man auf die mehr allgemeine Beeinflussung der Reizbarkeit des Zentralnervensystems denken, \u00e4hnlich wie sie bei verschiedenen afferenten Nervenbahnen stattfindet und z. B. einerseits in der Reflexbef\u00f6rderung, Bahnung, andererseits in der Reflexhemmung sich kundgibt. Einige solche Angaben finden wir z. B. bei Charpentier *, nach welchem die Belichtung der Netzh\u00e4ute hemmend auf die Kontraktionskraft der Augenmuskeln, auf die Geruchs-, Geschmacks- und Geh\u00f6rsempfindungen ein wirkt. G. Emanuel 2 hat die Tonuskurve, welche durch die infolge des Zuges an den Extremit\u00e4ten ausgel\u00f6sten sensiblen Reize als reflektorische R\u00fcckenmarksreaktion zustandekommt, unter dem Einfl\u00fcsse von Seiten der Labyrinthe gefunden und sich die Frage gestellt, ob\n1\tA. Charpentier, Influence inhibitoire de l\u2019excitation de la r\u00e9tine sur la contraction des muscles de l\u2019oeil. Compt. Rend, de la Soc. de Biol. 1888. S. 596.\n2\tGustav Emanuel, \u00dcber die Wirkung der Labyrinthe und des Thalamus opticus auf die Zugkurve des Frosches. Pfl/\u00fcg. Arch. 99, 1903, S. 363.\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 44.\t19","page":295},{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"296\nEdward Bab\u00e2k.\nnicht vom Auge aus eine \u00e4hnliche Ver\u00e4nderung der Zugkurve bewirkt w\u00fcrde : w\u00e4hrend aber nach Labyrinthexstirpation \u201eLeichenkurve\u201c erscheint, wird nach der Entfernung der Augen oder nach der Durchschneidung der Nervi optici im Gegenteile meist eine Verst\u00e4rkung des Muskeltonus beobachtet. Bei Carcinus maenas gibt Bethe 1 an, dafs nach Schw\u00e4rzung der Cornea die reflektorische Reizbarkeit der ersten Antennen gr\u00f6fser ist, was f\u00fcr den hemmenden Einflufs der Augen im Lichte zeugen w\u00fcrde; \u00e4hnlich fand er, dafs das Licht \u00fcberhaupt die Bewegungen dieser Tiere hemmt, w\u00e4hrend nach der Entfernung der sog. Globuli oder nach der Durchschneidung des Tractus opticoglobularis immerw\u00e4hrende Unruhe vorkommt. Man findet auch sonst in Bethes, Loebs u. a, Untersuchungen \u00fcber die Funktionen des Zentralnervensystems der Wirbellosen zahlreiche Feststellungen \u00fcber die hemmende und tonische T\u00e4tigkeit der mit den Photorezeptoren verbundenen Abschnitte des Zentralnervensystems, wobei aber die n\u00e4here Analyse der Bedeutung der lichtempfindlichen Organe ausbleibt.\nNeuerdings hat Bauer 2 bei den Mysiden ganz klare Ergebnisse betreffend den Einflufs der Augen auf die Schwimmbewegungen ver\u00f6ffentlicht: Reizung der Augen macht die Beine langsamer schlagen oder bringt sie zum v\u00f6lligen Stillstand, Ausschaltung der Augen dagegen beseitigt die Hemmung; einseitige Reizung durch Zu- oder Abnahme der Lichtintensit\u00e4t bewirkt eine Hemmung der F\u00fcfse der gegen\u00fcberliegenden Seite, so dafs die F\u00fcfse derselben Seite \u00fcberwiegend oder allein t\u00e4tig sind ; der Erfolg ist die Entfernung vom Reizort. Dasselbe Tier flieht den Schatten, wenn es sich l\u00e4ngere Zeit im Hellen, das Licht, wenn es sich l\u00e4ngere Zeit im Dunkeln aufgehalten hat. Die dauernde Einwirkung des Lichtreizes steigert die Erregbarkeit f\u00fcr den Schattenreiz. Der Autor kommt zu dem Schl\u00fcsse, dafs die Reizbarkeit der Augen f\u00fcr Licht und Schatten als ein doppelsinnigerVorgang in derselben lichtempfindlichen Substanz im Sinne Herings aufgefafst werden kann. Von den beiden Reizen, welche denselben reflektorischen Effekt,\n1\tA. Bethe, Das Nervensystem von Carcinus maenas. I. TL 1. Arch, f. mikr. Anat. u. Entwicht. B. 50, 1897, S. 460. II. TI. 3. B. 51, 1898, S. 382.\n2\tV. Bauer, \u00dcber die reflektorische Regulierung der Schwimmbewegungen usw. Zeitschr. f. allg. Physiol. 8, 1908, S. 343.","page":296},{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Lebensgeschehen in den belichteten u. verdunkelten Netzh\u00e4uten. 297\nn\u00e4mlich Verlangsamung des Ruderschlages der gekreuzten K\u00f6rperseite zur Folge haben, ist die Lichtzunahme ein direkter (Dissimilations-) Reiz, die Lichtabnahme dagegen ein indirekter (Assimilations-) oder Sukzessivreiz; ist das Tier adaptiert, so befinden sich beide Vorg\u00e4nge im allonomen Gleichgewicht.\n\u00c4hnliche Reaktionen, n\u00e4mlich die Orientierung gegen eine Lichtquelle und eine zum Licht gerichtete Flucbtbewegung hat Bauer1 bei Jungfischen von Smaris alcedo zum Nachweis allgemeinphysiologischer Erscheinungen am Auge benutzt. Die Fischchen schwimmen im Aquarium, wo l\u00e4ngere Zeit hindurch konstante Helligkeit geherrscht hat, hin und her unabh\u00e4ngig von der Richtung des Lichteinfalles und in allen Tiefen; bei pl\u00f6tzlicher st\u00e4rkerer Beleuchtung (von oben) tauchen sofort alle bis zum Boden, bei Verdunkelung aber sammeln sie sich an der Oberfl\u00e4che an ; n\u00e4hert man den adaptierten, also gleichm\u00e4fsig im Gef\u00e4fs verteilten Fischchen von der Seite her eine Lichtquelle, so wenden sie derselben sofort den Kopf zu und schwimmen auf sie zu, indem sie so bald eine Ansammlung an der hellsten Stelle des Aquariums bilden; nach einiger Zeit folgt wiederum Adaptation : bringt man nun derartig helladaptierte Tiere in schw\u00e4cheres Licht zur\u00fcck, so dauert zun\u00e4chst die positive Einstellung noch k\u00fcrzere oder l\u00e4ngere Zeit nach, und alsdann wird eine pl\u00f6tzliche Umkehr der Reaktion bemerkbar \u2014 alle Tiere richten den Kopf gegen das dunkle Ende des Trogs und sammeln sich an diesem Ende an. (Darauf kehrt wiederum positive Phototaxis zur\u00fcck.) Der Reiz geht in diesem Falle scheinbar von derjenigen Stelle des Gef\u00e4fses aus, welche am wenigsten Licht entsendet, also am wenigsten dissimilatorisch wirkt. Der Verfasser spricht vom Assimilationsreiz und macht darauf aufmerksam, dafs auch wir, um das negative Nachbild weifsgereizter Netzhautstellen am\nschw\u00e4rzesten zu sehen, die Augen auf die dunkelste Stelle im\n\u2022 \u2022\nZimmer richten. Auch sonst findet er eine grofse \u00dcbereinstimmung dieser objektiven Reaktionen mit den sukzessiven Helligkeitskontrasten.\nBei den Wirbeltieren k\u00f6nnte man auch auf die von Fano 2 gemachten Beobachtungen an Schildkr\u00f6ten und Kr\u00f6ten hin-\n1\tY. Baues, \u00dcber sukzessiven Helligkeitskontrast bei Fischen. Zentralblatt f. Physiol. 23, 1909, S. 593.\n2\tFano nach Luciaei, Physiol, d. Menschen. III. Bd. Jena, bischer. 1907. S. 432, 514 nsw.\n19*","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"298\nEdward Bab\u00e4k.\nweisen; diese gehen nach Exstirpation des ganzen Mittelhirns kontinuierlich oder periodisch automatisch umher, wogegen bei Erhaltung des Mittelhirns bei der Schildkr\u00f6te jede spontane T\u00e4tigkeit aufh\u00f6rt und sich vollkommene Unbeweglichkeit einstellt, wobei allerdings die spontane Aktionsf\u00e4higkeit nicht vernichtet, sondern nur vom Mittelhirn gehemmt wird, denn nach Abtragung desselben erscheint wieder das automatische Gehen; dies hat Bickel 1 ebenfalls gefunden; nach Fano entfernt das Vorder- und Zwischenhirn zeitweise die vom Mittelhirn ausge\u00fcbte tonische Hemmung. Ich k\u00f6nnte noch eine F\u00fclle von \u00e4hnlichen, wenn auch nicht so klaren F\u00e4llen anf\u00fchren, doch es wurde, soviel ich weifs, nirgends \u00fcber die Herkunft dieser tonischen Hemmungswirkung des Mittelhirns nachgeforscht, so dafs wir die Ansicht, dafs es sich um Netzhaut-einflufs handelt, nur als Hypothese aussprechen d\u00fcrfen.\nDurch den Einflufs der Netzh\u00e4ute besonders auf die Tonusverh\u00e4ltnisse und Kontraktionen der quergestreiften Muskeln k\u00f6nnte der allgemeine Stoffwechsel im Lichte und in der Dunkelheit verschiedenartig ver\u00e4ndert werden, im Vergleiche mit dem Verhalten nach Entfernung der Augen. Heutzutage stehen hier aber, wie ich nach sorgf\u00e4ltiger Durchmusterung der Literatur finde, nur einige experimentelle Untersuchungen \u00fcber den Einflufs des Lichtes und der Dunkelheit (besonders auf den Gaswechsel h\u00f6herer Tiere) zur Verf\u00fcgung, und die Schl\u00fcsse weichen stark voneinander ab.\nNach den ersten diesbez\u00fcglichen Versuchen von Moleschott1 2, Selmi und Piacentini3, Pott4 schien das Licht die Kohlens\u00e4ureausscheidung bei Fr\u00f6schen, Hunden, M\u00e4usen zu erh\u00f6hen. Pel\u00fcgek5 6 hat v. Platen 6 angeregt an Kaninchen genaue Ver-\n1\tA. Bickel, Beitr\u00e4ge zur R\u00fcckenmarksphysiologie der Amphibien und Reptilien. Pfl\u00fcg. Arch. 71, 1898.\n2\tMoleschott, \u00dcber den Einflufs des Lichtes usw. Wien. Med. Woch. 1855, S. 681. 1858, S. 161.\n3\tA. Selmi e G. Piacentini, Dell\u2019influenza dei raggi colorati sulla re-spirazione. R, d. Ist. Lomb. II, 3, 1870, S. 51\u201463; nach v. Platen s. weiter.\n4\tR. Pott, Yergl. Unters, \u00fcb. d. Mengenverh\u00e4ltn. d. durch Respir. u. Perspir. ausgesch. C02 usw. Jena 1875.\n5\tE. Pfl\u00fcgeb, \u00dcber den Einflufs des Auges auf den tierischen Stoffwechsel. Pfl\u00fcg. Arch. 11, 1875, S. 263.\n6\t0. v. Platen, \u00dcber den Einflufs des Auges auf den tierischen Stoffwechsel. Pfl\u00fcg. Arch. 11, 1875, S. 272.","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Lebensgeschehen in den belichteten u. verdunkelten Netzh\u00e4uten. 299\nsuche anzustellen, wodurch sichergestellt wurde, dafs bei tracheo-tomierten festgebundenen Tieren unter dem Einflufs des Lichtes durch die Erregung der Retina Kohlens\u00e4ureausscheidung und Sauerstoffaufnahme eine erhebliche Steigerung (bis 16%) erfahren. Moleschott und Fubini1 haben dasselbe nicht nur an frei beweglichen Fr\u00f6schen, M\u00e4usen, Sperlingen u. a. beobachtet, sondern auch f\u00fcr isolierte Organe, allerdings kaum berechtigt behauptet. Speck2 3 hat den \u00e4lteren Versuchen gegen\u00fcber eingewendet, dafs es sich um st\u00e4rkere Bewegungen der Tiere im Lichte gehandelt hatte; in Platens Versuchen aber waren die Tiere so zugerichtet, dafs sie v\u00f6llig ungeeignet zum Studium so geringer physiologischer Ver\u00e4nderungen waren, und auch bei der Fesselung war im Lichte gr\u00f6fsere Muskelunruhe vorhanden. Er selbst hat an sich mit offenen und mit Tuch sicher verbundenen Augen beim ruhigen Sitzen Kohlens\u00e4ureausscheidung und Sauerstoffverbrauch gemessen; die \u00e4ufserst unerhebliche Zunahme derselben im Hellen (1\u20147%) erkl\u00e4rt er durch eine geringe Ventilationssteigerung der Lungen im Lichte ; wenn Moleschott und Fubini auch bei den der Augen beraubten Tieren im Lichte eine, wenn auch geringere Steigerung der Kohlens\u00e4ureausscheidung sichergestellt haben, weist Speck auf die M\u00f6glichkeit hin, dafs \u201eimmer noch eine Empfindlichkeit der Stummel der Sehnerven bei den geblendeten lieren \u00fcbrig geblieben ist, die durch den Reiz des Lichts Veranlassung zu Bewegungen gabu, was allerdings unzul\u00e4ssig ist. Loeb 3 hat bei den gr\u00f6fstenteils unbeweglichen Schmetterlingspuppen keine Steigerung der physiologischen Oxydationen im Lichte konstatieren k\u00f6nnen; er gibt aber zu, dafs der Gedanke Moleschotts, dafs das Licht die Oxydationsvorg\u00e4nge steigert, zweifellos richtig ist unter der Voraussetzung, dafs das Zentralnervensystem dabei mitwirkt und die Muskeln des Tieres wirksam sind. Aducco4 hat bei den Tauben, welche ohne Nahrung\n1\tMoleschott u. Fubini, \u00dcb. d. Einflufs gemischten u. farbigen Lichtes auf d. Ausscheidung d. Kohlens\u00e4ure bei Tieren. Molesch. Unters. XII, 1880.\n2\tC. Speck, Physiol, d. menschl. Atmens. Leipzig 1892. S. 146 usw.\nu. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 12, 1879.\n3\tJ. Loeb, Der Einflufs des Lichtes auf die Oxydationsvorg\u00e4nge im\ntierischen Organismus. Pfl\u00fcg. Arch. 42, 1888.\n4\tV. Aducco, Action de la lumi\u00e8re sur la dur\u00e9e de la vie etc. Arch.\nit. de Mol. 12, 1889 nach Cent. f. Physiol 1889, S. 522.","page":299},{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"300\nEdward Bab\u00e2k.\nund Wasser gehalten wurden, im Dunkeln bedeutend langsamere Gewichtsverringerung und merklich l\u00e4ngere Lebensdauer gefunden als im Lichte unter sonst gleichen Bedingungen. Martin und Friedenwald 1 haben bei normalen, aber bis zu gewissem Grade auch bei den der Hemisph\u00e4ren oder der Hemisph\u00e4ren und der Augen zugleich beraubten Fr\u00f6schen im Lichte st\u00e4rkere Kohlens\u00e4urebildung sichergestellt: der Einflufs des Lichtes bedeutet einen reinen Reflexakt, welcher haupts\u00e4chlich durch die Augen, schw\u00e4cher durch die Haut zustandekommt. Fubini und Benedicenti 2 haben es versucht, den Einwand der Wirkung von Muskelbewegungen dadurch zu entkr\u00e4ften, dafs sie an den Winterschl\u00e4fern (Siebenschl\u00e4fern, Haselm\u00e4usen, Flederm\u00e4usen) Untersuchungen angestellt haben; auch hier haben sie merkliche, ja oft sehr bedeutende Steigerung der Kohlens\u00e4ureausscheidung im Lichte beobachtet, wobei allerdings seltsam grofse Schwankungen bei einem und demselben Versuchstiere Vorkommen. Ewald1 2 3, welcher an kuraresierten Fr\u00f6schen experimentiert hatte, hat im ganzen keine Unterschiede des Gaswechsels im Lichte und in der Dunkelheit gesehen. Graeeenberger 4 5, welcher die niederl\u00e4ndische Arbeit von Pesch zitiert, wo bei dem Erbsenk\u00e4fer (Bruchus pisi) im Lichte eine auffallend vermehrte Sauerstoffaufnahme sichergestellt worden war, fand, dafs das Licht auf den Stickstoff-Um- und Ansatz der Kaninchen ohne erheblichen Einflufs ist, den Kohlenstoffwechsel aber merklich vergr\u00f6fsert; in der (nicht absoluten) Dunkelheit kommt zuerst Fettansatz zum Vorschein, aber sp\u00e4ter auch Verminderung des H\u00e4moglobingehaltes und Verkleinerung des gesamten Blutquantums; ebenfalls die Ausbildung des Knochenger\u00fcstes wird etwas aufgehalten. Nach Kohan 5 aber soll in der\n1\tH. N. Martin and J. Friedenwald, Some observations on the effect of light etc. nach Cent. f. Physiol. 1889, S. 754.\n2\tFubini u. Benedicenti, \u00dcb. d. Einflufs d. Lichtes auf den Chemismus der Atmung. Mobeschotts Unters. 14, 1892, S. 623.\n3\tC. A. Ewald, Influence of light on the gase exchange in animal tissues. Journ. of physiol. 13, 1892, S. 847.\n4\tL. Graffenberger, Versuche \u00fcber die Ver\u00e4nderungen, welche der Abschlufs des Lichtes in d. ehern. Zusammensetzung d. tierischen Organe u. dessen N-Umsatz hervorruft. Pfl\u00fcg. Arch. 53, 1893, S. 238.\n5\tB. S. Kohan, \u00dcb. d. Wirkung d. weifsen Lichtes usw. auf d. Stickstoffmetamorphose b. Tiere. Petersb. Diss. 1905 nach Virch. Jahresb. S. 167.","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Lebensgeschehen in den belichteten u. verdunkelten Netzh\u00e4uten. 301\nDunkelheit auch der Stickstoffwechsel sich verringern. Manca und Casella 1 haben bei Gongylus ocellatus im Hungerzustande keine so sicheren und auffallenden Unterschiede im Lichte und im Dunkeln gesehen, wie dieselben Anucco angibt.\nWir stimmen Jaquet 2 zu, dafs es n\u00f6tig ist, neue Untersuchungen anzustellen, um \u00fcber den Einflufs des Lichtes auf den Stoffwechsel orientiert zu sein. Doch schon aus den bisherigen Erfahrungen k\u00f6nnen wir einiges hervorheben. 1. Specks Versuche an sich selbst, wo durch Willensanstrengung die Muskelt\u00e4tigkeit bei offenen oder zugebundenen Augen wom\u00f6glich unterdr\u00fcckt wurde, beweisen gar nicht, dafs das Licht auf den Stoffwechsel ohne Einflufs ist, sondern nur, dafs unter der Ausschaltung der quergestreiften Muskulatur durch Willenskraft, \u00e4hnlich wie bei Ewalds Versuchen durch Kurare (oder sogar bei den LoEBschen \\ ei-suchen an Schmetterlingspuppen, welche fast unbeweglich sind und aufserdem keine Augen besitzen) der Stoffwechsel im Hellen und Dunkeln gleich ist; man k\u00f6nnte sogar Specks Versuchsergebnisse gegen ihn selbst deuten, denn er mufs wenigstens f\u00fcr die Atemmuskulatui zugeben, dafs sie auch wider seinen Willen im Lichte ausgiebiger t\u00e4tig ist (dies hat auch Christiani nach Loeb sichergestellt). 2. Es herrschen wohl verschiedene Vei-h\u00e4ltnisse bei verschiedenen lieren: bei den Tag-tieren wird wahrscheinlich das Licht durch Vermittlung der Augen haupts\u00e4chlich bewegungsausl\u00f6send, die Dunkelheit vielleicht hemmend einwirken, bei den Nacht tier en umgekehrt. 3. Es sind Vergleichsversuche n\u00f6tig \u00fcber das Verhalten der normalen sowie der geblendeten Tiere im Lichte und in der Dunkelheit; denn das verdunkelte Auge beeinflufst doch das Zentralnervensystem: das Verhalten in der Dunkelheit und ohne Augen kann v\u00f6llig verschiedenes bedeuten. Gelegentlich meinerweiter folgenden Untersuchungen an Amblystomalarven habe ich eine Reihe von Beobachtungen gemacht, welche nach gr\u00fcndlicher Bearbeitung\n1\tG. Manca et D. Casella, Le cours de l\u2019inanition absolue chez le Gongylus ocellatus \u00e0 la lumi\u00e8re diffuse et dans l\u2019obscurit\u00e9. Arch. it. de biol. 40, 1903, S. 247.\n2\tA. Jaquet, Der respiratorische Gaswechsel. Ergebnisse d. Physiol. II, 1903, 1, S. 517.","page":301},{"file":"p0302.txt","language":"de","ocr_de":"302\nEdward \u00dfab\u00e4k.\nwohl manch Neues bringen werden: die Tiere sind eher als Nachttiere anzusehen; am Vormittage werden die normalen Tiere oft im schlafartigen Zustande angetroffen; die geblendeten Tiere sind weit reizbarer, munterer, beweglicher und gedeihen wohl demzufolge bei guter F\u00fctterung besser als die normalsehenden usw.\nAber aufser der allgemeinen Beeinflussung des Zentralnervensystems durch die Augen, wie sich dieselbe in dessen Reizbarkeits\u00e4nderungen, in Allgemeinbewegungen und in Stoffwechselunterschieden im Lichte und im Dunkeln kundgeben, bestehen noch spezielle Einwirkungen: als Beispiel derselben kann die schon angef\u00fchrte Vergr\u00f6fserung der Lun gen ventilation beim Menschen im Lichte gegen\u00fcber der Dunkelheit gelten, welche sich durch den Willensakt nicht unterdr\u00fccken l\u00e4fst (Speck). In ganz regelm\u00e4fsiger Beziehung zu den Reizungszust\u00e4nden der Netzhaut stehen weiter die Irisbewegungen (welche allerdings nach Steinach auch durch eigene Lichtreizbarkeit der Muskelzellen hervorgebracht werden k\u00f6nnen). Nach Tschermaks Zusammenstellung der betreffenden Literatur1 2 erkl\u00e4rte Schirmer zuerst die Pupillenweite und die Pupillenreaktion als wesentlich abh\u00e4ngig vom Adaptationszustande des Auges; den vollen Parallelismus der pupillomotorischen Wirkungen und der optischen Empfindungseffekte ist von Sachs erkannt worden, welcher auch den Vorschlag gemacht hat, die Pupillarreaktion auf farbige Lichter zur heterochromatischen Photometrie und zur objektiven Untersuchung der relativen Helligkeitswerte farbiger Lichter bzw. des Farbensinnes zu verwenden, zumal in F\u00e4llen, wo eine \u00c4ufserung \u00fcber den Empfindungsinhalt nicht zu erhalten ist. Abelsdorfe benutzte dann die SACHssche Methode zur Untersuchung des Helligkeitsund Farbensinnes der Tiere.\nEndlich kommen wir zu der uns am meisten interessierenden objektiven Erscheinung, welche mit den Lebensvorg\u00e4ngen in den Netzh\u00e4uten verkn\u00fcpft zu sein pflegt, zur chromatischen Hautfunktion. \u00dcber den Einflufs der Augen auf die Bewegungen der Hautchromatophoren haben van Rynberk 2 bei\n1\tA. Tschekmak, Die Hell-Dunkeladaptation des Auges u. die Funktion der St\u00e4bchen u. Zapfen. Ergehn, d. Physiol. I, 1902, 2, S. 774 usw.\n2\tG. van Rynberk, \u00dcber den durch Chromatophoren bedingten Farbenwechsel der Tiere (sog. chromatische Hautfunktion). Ergebn. d. Physiol. V, 1906, S. 397.","page":302},{"file":"p0303.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Lebensgeschehen in den belichteten u. verdunkelten Netzh\u00e4uten. 303\nWirbellosen und Wirbeltieren, Gaupp1 bei Amphibien zusammen-\u2022 \u2022\nfassende \u00dcbersichten verfafst; auf Grund dieser Autoren habe ich in meiner Arbeit2 3 \u00fcber die chromatische Hautfunktion der Amphibien dar\u00fcber berichtet. Von den wenig klaren oder ungen\u00fcgend durchgeforschten Beziehungen zwischen den Augen und Hautchromatophoren abgesehen finden wir besonders bei den Schizopoden, Dekapoden, Isopoden und Fischen enge Verkn\u00fcpfung zwischen dem Farben Wechsel und der Netzhautt\u00e4tigkeit. Bei den Schizopoden und Dekapoden sind nach Keeble und Gamble die Chromatophoren selbst f\u00fcr Lichtreize rezeptiv und reagieren wenigstens auf starke Reizung; normalerweise aber kommt ihre Reaktion nicht zur Beobachtung, da die entgegengesetzte reflektorische Beeinflussung der Chromatophoren vom Auge aus \u00fcberwiegend ist. Bei den Isopoden hat Bauer 3 bei Idotea tricuspidata sichergestellt, dafs die Chromatophoren gegen direkte Licht Wirkung unempfindlich sind, aber durch Vermittlung der Augen werden sie im diffusen Tageslichte auf weifsem Grunde in wenigen Minuten maximal kontrahiert, auf schwarzem Grunde nach etwa einer halben Stunde bedeutend ausgedehnt. Die Lichtintensit\u00e4t spielt bei diesen Umf\u00e4rbungen keine Rolle; durch Versuche mit Inversion der Lichtquelle liefs sich zeigen, dafs auch die Annahmen, dafs nur der ventrale Augenteil mit den Chromatophoren zu einem Reflexboden verbunden sei, oder dafs die Augen eine Dorsiventralit\u00e4t aufweisen, indem die Belichtung des dorsalen Abschnittes Verdunkelung, Belichtung des ventralen dagegen (auch bei gleichzeitiger Reizung des dorsalen Teiles) Aufhellung des Tieres zur Folge h\u00e4tte, unzul\u00e4ssig sind. Der Autor hat aber auch zeigen k\u00f6nnen, dafs in den vom Lichte nicht getroffenen Teilen des Auges ein Vorgang stattfindet, welcher der Wirkung des durch Licht gereizten Teiles entgegenwirkt und dieselbe (wenn eine H\u00e4lfte des Auges unbelichtet ist) \u00fc b erw iegt. Einseitiger Lichtabschlufs erzeugt Schwarz, vollkommener Lichtabschlufs erzeugt Mittelgrau (wie die Tiere auch im mit Pflanzen besetzten Aquarium tags\u00fcber gef\u00e4rbt sind,\n1\tE. Gaupp, Anatomie des Frosches, III. Abt., S. 497. Braunschweig 1904.\n2\tE. Babak, Zur chromatischen Hautfunktion der Amphibien. Pfl\u00fcg. Archiv 131, 1910.\n3\tV. Bauer, \u00dcber einen objektiven Nachweis des Simultankontrastes bei Tieren. Cent. f. Physiol. 19, 1905, S. 453.","page":303},{"file":"p0304.txt","language":"de","ocr_de":"304\nEdward Babdk.\nwenn der Sandboden grau ist). Dadurch ist der objektive Nachweis des Simultankontrastes erbracht\nMeine experimentellen Untersuchungen an Anurenlarven und an Axolotln (Amblystomalarven) machen die Annahme wahrscheinlich, dafs bei den Amphibien eine funktionelle Verkn\u00fcpfung zwischen den Netzh\u00e4uten und Hautchromatophoren nur auf gewisse (und zwar bei Anuren und Urodelen sehr verschieden lange) Lebensabschnitte beschr\u00e4nkt ist. Bei den metamorphosierten Anuren haben neuere Forschungen von Steinach, Biedermann u. A. ergeben, dafs den Augen \u00fcberhaupt keine oder h\u00f6chstens sehr geringe Bedeutung f\u00fcr den Farbenwechsel zukommt, w\u00e4hrend die Druckreizung, Feuchtigkeitsverh\u00e4ltnisse usw. wesentlich die Hautf\u00e4rbung bestimmen. Doch bei den Larven von verschiedenen Anuren (besonders von Rana fusca und Rana esculenta) konnte ich in einer Reihe von F\u00e4llen unzweideutige, wenn auch individuell bedeutend verschiedenartig ausgepr\u00e4gte Beziehung zwischen den Netzh\u00e4uten und Hautchromatophoren sicherstellen, besonders in der Mitte des Larvenlebens, welche Beziehung aber mit der sich n\u00e4hernden Metamorphose allm\u00e4hlich verschwindet und nach der Metamorphose nur selten aufzufinden ist. H\u00f6chstwahrscheinlich hat diese im Larvenleben der Anuren vorkommende Verkn\u00fcpfung der chromatischen Hautfunktion mit den Augen eine wichtige \u00f6kologische Bedeutung, w\u00e4hrend im Landleben der Geschlechtstiere andere nerv\u00f6se Regulations mechanism en des Farbenwechsels eingeschaltet werden. Nun kann ich auf Grund der weiter zu besprechenden Ergebnisse, welche an Amblystomalarven gewonnen wurden, die Meinung aussprechen, dafs die Herrschaft der Netzh\u00e4ute \u00fcber den Hautchromatophoren in der Ontogenie verh\u00e4ltnism\u00e4fsig sp\u00e4t sich entwickelt, so dafs der abweichende Farbenwechsel der den Eih\u00fcllen entschl\u00fcpften Larven im Lichte und in der Dunkelheit durch direkte Chromatophorenreizung, \u00e4hnlich wie auch sp\u00e4ter wieder bei den Geschlechtstieren, zustande kommt.\nDie Amblystomalarven besitzen, den Anuren gegen\u00fcber, einen ausgesprochenen Farbenwechsel in Beziehung zu den Belichtungsverh\u00e4ltnissen, besonders in der Jugend. Die ausgewachsenen Tiere (dunkelgraubrau oder schmutzig olivengr\u00fcn mit verschieden grofsen unregelm\u00e4fsigen schwarzen Flecken) und j\u00fcngere Stadien (braungelb) werden im Lichte allm\u00e4hlich heller,","page":304},{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fcber das Lebensgeschehen in den belichteten u. verdunkelten Netzh\u00e4uten. 305\nin der Dunkelheit dunkler; schnelle Umf\u00e4rbungen werden besonders \u2014 bei gleicher Belichtungsintensit\u00e4t \u2014 durch den Wechsel des Untergrundes erzielt. H\u00f6chst auffallende und rasche Farbenwechselerscheinungen kommen besonders bei ganz jungen Larven (etwa von 2. Woche nach der Entschl\u00fcpfung aus Eiern) vor. Dieser Farbenwechsel ist von den Augen vollkommen beherrscht, also reflektorisch durch die im Lichte und in der Dunkelheit in den Netzh\u00e4uten verlaufenden Vorg\u00e4nge reguliert und zwar so genau, wie es bisher nur bei einigen Crustaceen bekannt war. Nach der Entfernung der Augen werden die Amblystomalarven entgegengerichtet um gef\u00e4rbt als die normalen Tiere, indem sie im Lichte dunkler, bis v\u00f6llig schwarz, im Dunkeln hell, bis durchscheinend werden. Die Netzh\u00e4ute beeinflussen vermittels des Zentralnervensystems die Richtung, Amplitude und Schnelligkeit der Chromatophor en beweg ungen; ohne die Augen wird ein umgekehrter, extremer aber langsamer Farbenwechsel ausgef\u00fchrt. Bei den j\u00fcngsten Larvenstadien findet man noch keine pigm en to moto rise he Funktion der Netzh\u00e4ute, wogegen die direkte Reizbarkeit der Chromatophoren vorhanden ist, welchem Umstande zuzuschreiben ist, dafs die j\u00fcngsten Larvenstadien in der Dunkelheit heller, im Lichte dunkler werden, was wir sp\u00e4ter nur bei geblendeten Larven beobachten; man findet auch w\u00e4hrend der ersten Tage nach der Ausschl\u00fcpfung noch keinen bestimmten Unterschied in der F\u00e4rbung der normalen und geblendeten Tiere, welcher sich erst sp\u00e4ter und zwar individuell sehr verschieden bald und stark einstellt; endlich habe ich in den soeben gemachten Untersuchungen \u00fcber den Ein flu Cs des Untergrundes gefunden, dals ganz junge Amblystomalarven auf schwarzem und weifsem Grunde in den ersten Tagen gleich gef\u00e4rbt sind, erst sp\u00e4ter auf schwarzem Grunde geschwT\u00e4rzt, auf weifsem aufgehellt werden \u2014 was mit der Entwicklung der pigmentomotorischen Netzhautt\u00e4tigkeit im Zusammenh\u00e4nge steht.\nAuf der ersten Stelle m\u00fcssen wir das Verhalten der augenlosen Tiere hervorheben gegen\u00fcber den normalen, aber unter vollkommenem Lichtabschlufs lebenden. Die augenlosen Tiere stellen gleichsam \u2014 was den Farbenwechsel betrifft \u2014 onto-genetisch urspr\u00fcgliches Stadium vor (wo die Augen die chromatische Hautfunktion noch nicht beeinflussen). Die Tiere","page":305},{"file":"p0306.txt","language":"de","ocr_de":"306\nEdward Bab\u00e4k.\nwerden in der Dunkelheit hell; aber, wenn die Netzh\u00e4ute mit den Chromatophoren funktionell verbunden sind, kommt in der Dunkelheit Verdunkelung bis vollkommene Schw\u00e4rzung der Haut zustande. Also die verdunkelten Netzh\u00e4ute sind Quelle einer immerw\u00e4hrenden tonischen Innervation, welche in ihrem Effekte in den Hautchromatophoren derjenigen entgegengesetzt ist, welche den belichteten Netzh\u00e4uten entspringt. Die Chromatophoren-Ausbreitungsinnervation der verdunkelten Netzh\u00e4ute kann die Tendenz der gleichfalls verdunkelten Chromatophoren sich extrem zusammenzuballen \u00fcberwinden und im Gegenteil Verdunkelung der Haut hervorbringen; die Chromatophoren-Zusammenballungsinnervation der beleuchteten Netzh\u00e4ute aber bewirkt Erbleichung der Haut, indem sie die Tendenz der belichteten Chromatophoren sich extrem auszubreiten bezwingt.\nDas Lebens geschehen der Netzh\u00e4ute im Dunkeln und im Hellen, sofern es sich in den Chromatophorenbewegungen kundgibt, scheint also entgegengerichtet zu sein \u2014 dar\u00fcber werden wir noch im weiteren handeln; vorderhand aber legen wir auf die unzweideutige Tatsache das Gewicht, dafs die Netzh\u00e4ute in der Dunkel-heit gleich stark das Zentralnervensystem beeinflussen, wie wenn sie, wie man zu sagen pflegt, \u201et\u00e4tig\u201c sind d. h. durch das Licht gereizt werden. Man k\u00f6nnte mit demselben Rechte, wie man von \u201eLichtreizung\u201c spricht, auch von \u201eDunkelreizung\u201c sprechen. In der Tat hat schon Br\u00fccke auf Grund seiner Untersuchungen \u00fcber den Farbenwechsel der Cham\u00e4leonen 1 die Behauptung aufgestellt, \u201edafs sowohl das Licht wie die Dunkelheit als Reize aufgefafst werden sollten\u201c ; allerdings van Rynberk hat gezeigt, dafs man die Ergebnisse seiner Versuche durch die Hypothese einer doppelten, und zwar gegensinnigen Erregbarkeit, einer f\u00fcr Licht und einer f\u00fcr nerv\u00f6se Reize, erkl\u00e4ren kann. Das Nervensystem erh\u00e4lt die Chromatophoren in einem m\u00e4fsigen Tonus; f\u00e4llt dieser weg, da dehnt das Pigment sich aus ; steigert er sich, so ballt es sich zusammen. Bei m\u00e4fsigem nerv\u00f6sen Tonus kann intensiver Lichtreiz eine Ausdehnung des Pigments bewirken, und Dunkelheit\n1 Br\u00fccke in k. k. Akad. d. Wiss. nach van Rynberk, \u00dcber den durch Chromatophoren bedingten Farbenwechsel der Tiere, Ergeh, d. Physiol. V. 1906. S. 444.","page":306},{"file":"p0307.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Lebensgeschehen in den belichteten u. verdunkelten Netzh\u00e4uten. 307\neine Zusammenballung. Tritt aber eine starke nerv\u00f6se Erreguug auf, da ballt das Pigment sich auch bei starkem gleichzeitigem Lichtreiz zusammen ; fehlt der tonische nerv\u00f6se Reiz, da ist auch der st\u00e4rkste negative Lichtreiz : absolute Dunkelheit, nicht imstande das Pigment zusammenzuballen und es dehnt sich passiv aus. Bei den Amblystomalarven nun sind die Augen Quelle der tonischen Beeinflussung der Chromatophoren ;diese tonische Inervation f\u00e4llt nach der Blendung weg: w\u00fcrden die Verh\u00e4ltnisse denen der angef\u00fchrten Hypothese entsprechen, so w\u00fcrden sich die Hautchromatophoren im Lichte durch eigene Lichtreizbarkeit ausdehnen \u2014 dies geschieht in der Tat \u2014 zugleich aber findet man, dafs sie sich in der Dunkelheit zusammenballen, was f\u00fcr ihre Reizbarkeit durch die Dunkelheit zeugt, und, wenn die Augen vorhanden sind, so entspringt ihnen in der Dunkelheit eine starke tonische Ausbreitungsinnervation, derjenigen im Lichte entgegengesetzt, wTas wiederum die Annahme st\u00fctzt, dafs die Dunkelheit als Reiz einwirkt. Die ge blendeten Tiere, bei denen das Zentralnervensystem durch die Netzh\u00e4ute \u00fcberhaupt nicht beeinflufst wird, zeigen in der Dunkelheit umgekehrte Einstellung der Hautchromatophoren, als die normalen Tiere in der Dunkelheit.\nF\u00fcr vergleichend sinnesphysiologische u. a. Untersuchungen k\u00f6nnen wir also aus diesen Erfahrungen die Belehrung nehmen, dafs die Blendung nicht immer durch die Schw\u00e4rzung der Augen ersetzt werden kann : die verdunkelten Lichtrezeptoren entsenden wohl zuweilen einen starken Innervation sstrom in das Zentralnervensystem.\nVon der Sinnesphysiologie des Menschen aber d\u00fcrfen wir bei dieser Gelegenheit auf die fr\u00fcher \u00f6fters diskutierte Frage aufmerksam machen, ob das Schwarz eine Sehqualit\u00e4t, Gesichtsempfindung ist ebenso wie jede andere Farbe. Nach Helmholtz1 ist \u201edas Schwarz eine wirkliche Empfindung d. h. Wahrnehmung eines bestimmten Zustandes unseres Organs, wenn es auch durch Abwesenheit alles Lichts hervorgebracht wird. Wir unterscheiden die Empfindung des Schwarz deutlich von dem Mangel aller Empfindung. Ein Fleck unseres Gesichtsfeldes, von welchem kein Licht in unser Auge f\u00e4llt, erscheint uns schwarz; aber die\n1 H. v. Helmholtz, Handbuch d. physiol. Optik. II. Aufl. 1896. S. 324.","page":307},{"file":"p0308.txt","language":"de","ocr_de":"308\nEdicard Bab\u00e2k.\nOkjekte hinter unserem R\u00fccken, von denen auch kein Licht in unser Auge f\u00e4llt, m\u00f6gen sie nun dunkel oder hell sein, erscheinen uns nicht schwarz, sondern f\u00fcr sie mangelt alle Empfindung. Bei geschlossenen Augen sind wir uns sehr wohl bewufst, dafs das schwarze Gesichtsfeld eine Grenze hat, wir lassen es keineswegs sich bis hinter unseren R\u00fccken erstrecken.\u201c \u201eEs gibt freilich keine schwarzwirkenden Strahlungen, w7ie es weifs- oder rotwirkende gibt\u201c, sagt Herino1, \u201ewenn man aber nur diejenigen Ph\u00e4nomene des Gesichtssinnes als \u201eEmpfindungen\u201c gelten lassen wollte, welche unter der unmittelbaren Wirkung der Lichtstrahlen entstehen, so d\u00fcrfte eine grofse Mannigfaltigkeit von Gesichtserscheinungen, welche man jetzt unbedenklich als Empfindungen zu bezeichnen pflegt, diesen Namen nicht mehr f\u00fchren. Alle Farben sind f\u00fcr den Physiologen Erscheinungen, nach deren physiologischem Korrelat er zu suchen hat, das Schwarz ebenso wie das Weifs oder das Rot.\u201c Wundt2 3 weist darauf hin, \u201edafs das Schwarz aus irgend einem von allen \u00e4ufseren Lichterregungen verschiedenen inneren Erregungszustand der Netzhaut hervorgeht\u201c.\nvon Kries 3 pflichtet sonst der Anschauung bei, dafs \u201edas Schwarz als eine Empfindung erscheint\u201c, allerdings \u201eanderer Art als Weifs, und ihrerseits ganz \u00e4hnlich wie das Weifs einer zunehmend reineren Auspr\u00e4gung f\u00e4hig ist\u201c ; aber gelegentlich einer Betrachtung \u00fcber \u201epositives Empfinden\u201c und \u201eNichtempfinden\u201c macht er die Bemerkung von der \u201eeinigermafsen naiven Zuversichtlichkeit, mit der man aus dem Empfindungscharakter des Schwarz Schl\u00fcsse auf die psychophysischen Vorg\u00e4nge (wom\u00f6glich bis zur Netzhaut) zu ziehen liebt\u201c ; damit ist wohl haupts\u00e4chlich die weiter zu besprechende Hering sehe Stoffwechseltheorie der Sehsubstanz gemeint. Doch die Suche nach den objektiven Lebensvorg\u00e4ngen in den verdunkelten Netzh\u00e4uten ist vollkommen berechtigt, man k\u00f6nnte vielmehr den Mangel an diesbez\u00fcglichen Forschungen bis heutzutage hervorheben ; von Kries k\u00f6nnen wTir darin beistimmen, dafs man sich gr\u00f6fsten-teils damit begn\u00fcgt hat, aus dem Schwarzempfinden \u00fcber das\n1\tE. Hering, Grundz\u00fcge der Lehre vom Lichtsinn. 1905. S. 29.\n2\tW. Wundt, Grundz\u00fcge der physiol. Psychol. II. 1902. S. 163.\n3\tJ. v. Kries, Hie Gesichtsempfindungen in Nagels Handb. d. Physiol, d. Menschen III. 1905. S. 136 u. 273.","page":308},{"file":"p0309.txt","language":"de","ocr_de":"Tiber das Leb en sgeschehen in den belichteten u. verdunkelten Netzh\u00e4uten. 309\nLebensgeschehen in den verdunkelten Netzh\u00e4uten zu schliefsen, anstatt auch physiologische Untersuchungen \u00fcber dieses Lebensgeschehen anzustellen. Durch unsere Versuche an Amblystoma-larven ist wohl der Nachweis erbracht, dafs die Netzh\u00e4ute in der Dunkelheit m\u00e4chtig auf das Zentralnervensystem einwirken, wobei sich gewifs die in ihnen beim Lichtabschlufs verlaufenden Stoffwechselvorg\u00e4nge von denjenigen im Lichte bedeutend unterscheiden werden. Wir wollen nun versuchen zu zeigen, dafs unsere Ergebnisse noch weitere Schl\u00fcsse \u00fcber das Lebensgeschehen in den Netzh\u00e4uten zulassen.\nHerino1 findet, was die tonfreien Farben betrifft, in der Dissimilation und Assimilation der Sehsubstanz zwei Variable ihres Stoffwechsels, die sich als die somatischen Korrelate der beiden Variabein Weifs und Schwarz betrachten lassen. Wie in den verschiedenen tonfreien Farben das Verh\u00e4ltnis der Deutlichkeit der Weifse und Schw\u00e4rze (TL : S) ein verschiedenes ist, so im korrelativen Stoffwechsel das Verh\u00e4ltnis zwischen der Gr\u00f6fse der Dissimilation und der gleichzeitigen Assimilation (D : \u00c4). Sind beide gleich grofs, so entspricht dieser Stoffwechselweise das mittle Grau, in welchem die Schw\u00e4rze und Weifse gleich undeutlich sind, usw. Unter dem Einflufs der zun\u00e4chst als konstant angenommenen Lebensbedingungen, denen die hypostasierte Sehsubstanz vollkommen angepafst ist, kommt autonomer Stoffwechsel vor, dessen psychische Korrelate jedes Hell und jedes Dunkel sind, die wir bei Ausschlufs des Lichts und anderer gelegentlicher Reize sehen. Sobald aber der Stoffwechsel unter der Einwirkung eines gelegentlichen Reizes steht, nennt er ihn allonom. Von der mittel wertigen Beschaffenheit der Sehsubstanz, welche sie nach hinreichend langem Schutze des Auges vor jedem Licht angenommen hat, wird, so k\u00f6nnen wir uns denken, infolge einer Belichtung das * Verh\u00e4ltnis zwischen Dissimilation und Assimilation zugunsten der ersteren ge\u00e4ndert : eine absteigende \u00c4nderung kommt zustande, wobei die Substanz unterwertig ist. Aber die durch den Lichtreiz gesetzte Alteration wird selbst zu einem Hemmnis ihres weiteren Fort-schreitens, und so werden Dissimilation und Assimilation gleich-\n1 E. Hering, Grundz\u00fcge der Lehre vom Lichtsinn. 2. Lief. 1807. S. 100 usw.","page":309},{"file":"p0310.txt","language":"de","ocr_de":"310\nEdward Babdk.\ngrofs bleiben, solange der D-Reiz unver\u00e4nderlich fortwirkt (die erscheinende Farbe wird das Mittelgrau sein). Nach Aufh\u00f6ren des Reizes tritt ein H-\u00dcberschufs auf, der eine aufsteigende \u00c4nderung der Sehsubstanz mit sich bringt, bis zur mittel wertigen Beschaffenheit.\nIn unseren Versuchen sind die Zust\u00e4nde der hypostasierten Sehsubstanz in die Einstellungen der Hautchromatophoren projiziert und so anschaulich gemacht. Dem autonomen Stoffwechselgleichgewichte der Sehsubstanz in l\u00e4nger andauerndem Lichtausschlufs entspricht die Ausdehnungsphase der mit derselben nerv\u00f6s verbundenen Chromatophoren. Die allonomen Stoffwechselgleichgewichte unter verschieden starker andauernder Belichtung geben sich durch verschiedene Mitteleinstellungen der Chromatophoren zwischen der extremen Ausdehnung und Zusammenballung kund. Wenn wir uns vergegenw\u00e4rtigen, dafs in Herings Theorie allen D \u2014 M-Zu-st\u00e4nden der Sehsubstanz die gleiche Mittelgrauempfindung entspricht, so sehen wir hier, dafs sich die verschiedenen D = H-Zust\u00e4nde der Sehsubstanz in den verschiedenen Einstellungen der Chromatophoren auspr\u00e4gen. Man kann allerdings einwenden, dafs die Hautchromatophoren keinesfalls genau das Lebensgeschehen in den Netzh\u00e4uten wdderspiegeln. Aber angenommen, dafs die Chromatophorenbewegungen getreu das Netzhautgeschehen wiedergeben, k\u00f6nnen wir fragen, auf welche Weise wir unsere Erfahrungen an Amblystomalarven mit Herings Theorie in Einklang bringen m\u00f6chten. Hering erkennt als eine notwendige Folge des Grundgedankens seiner Hypothese, dafs bei demselben Verh\u00e4ltnisse zwischen Dissimilation und Assimilation die Gr\u00f6fse beider eine sehr verschiedene sein\n\u00bb\nkann : er nimmt an, dafs die Gr\u00f6fse des Sehsubstanzstoffwechsels das bestimmt, was er als das Gewicht der Farbe bezeichnet, und diesem Gewichte soll unter sonst gleichbleibenden Umst\u00e4nden die Energie entsprechen, mit der sich die Farbe unserem Be-wufstsein aufdr\u00e4ngt. Die Gr\u00f6fse des Stoffwechsels der Sehsubstanz ist abh\u00e4ngig von der Menge der auf einer Fl\u00e4cheneinheit des somatischen Sehfeldes befindlichen Sehsubstanz, von der St\u00e4rke der wirkenden D-Reize, von Ungest\u00f6rtheit der Assimilationsbedingungen (insbesondere von der normalen Zufuhr der Assimilationsstoffe). Wie sich also die Intensit\u00e4tsunterschiede des Sehsubstanz-Stoffwechsels bei verschiedenen allo-","page":310},{"file":"p0311.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Leben*geschehen in den belichteten u. verdunkelten Netzh\u00e4uten. 311\nnomen Zust\u00e4nden in ihrem Einfl\u00fcsse auf das Zentralnervensystem durch verschiedenes Gewicht der Empfindung kundgeben, so werden sie objektiv durch verschiedene Einstellungen der Chromatophoren sichtbar. Die l\u00e4ngere Zeit verdunkelten Netzh\u00e4ute weisen einen ganz geringen Stoffwechsel auf, dem die Ausdehnungsphase der Chromatophoren entspricht; mit der Steigerung der D-Reize w\u00e4chst die Zusammenballungsinnervation.\nNun verf\u00fcgen wir aber \u00fcber Beobachtungen, welche mit dieser Erkl\u00e4rung kaum in \u00dcbereinstimmung zu bringen sind. W\u00e4re der autonome Stoffwechsel von geringer Intensit\u00e4t, so ist nicht einzusehen, wie er die in der Dunkelheit sonst zur extremen Zusammenballung hinstrebenden Chromatophoren in der extremen Ausdehnung zu halten vermag \u2014 nach der Augenexstirpation kommt ja in der Dunkelheit \u00e4ufserste Erbleichung der Haut zum Vorschein. Die verdunkelten Netzh\u00e4ute \u00fcben gewifs gleich st arke Wirku ng auf die Chromat oph or en aus (allerdings in umgekehrter Richtung) wie die belichteten. Wir reichen eben damit nicht aus, wenn wir dem sog. \u201eRuhezust\u00e4nde\u201c der Augen (dem autonomen Stoffwechselgleichgewichte) unbedeutende und den sog. \u201et\u00e4tigen\u201c (unter dem Einfl\u00fcsse der \u00cf)-Reize sich befindenden) Netzh\u00e4uten gleichsinnige starke Beeinflussung des Zentralnerversystems zuschreiben : so werden wir wiederum dazu gezwungen, zwei verschiedene Arten von aus den Netzh\u00e4uten str\u00f6menden Einfl\u00fcssen anzuerkennen. Die Netzh\u00e4ute sind sowohl im Dichte als auch in der Dunkelheit t\u00e4tig, und zwar nicht quantitativ, sondern qualitativ verschieden t\u00e4tig.\nAuch bei den Netzh\u00e4uten, auf welche niemals D-Reize eingewirkt haben (bei den vom Blastulastadium an in vollst\u00e4ndiger Dunkelheit gez\u00fcchteten Amblystomalarven), kann die m\u00e4chtige Ausbreitungsinnervation der Hautchromatophoren konstatiert werden, was von der Intensit\u00e4t der Lebensvorg\u00e4nge in den Netzh\u00e4uten zeugt, unabh\u00e4ngig von den D-Reizen. Ebenfalls die Erfahrungen, dafs langandauernde Verdunkelung keinesfalls die Reizbarkeit f\u00fcr D-Reize steigert, sondern im Gegenteile abschw\u00e4cht, und zwar fast ausgiebiger, als es die Belichtung bei der Dunkelreizbarkeit bewirkt, k\u00f6nnte man in diesem Zusammenh\u00e4nge anf\u00fchren.","page":311},{"file":"p0312.txt","language":"de","ocr_de":"312\nEdward Bab\u00e2k.\nBauer (s. oben) sieht in seinen Versnchsergebnissen durchwegs eine \u00dcbereinstimmung mit der HERiNGschen Theorie des Stoffwechsels der Schwarz-Weifs Substanz. Bemerkenswert ist es, dafs in seiner Arbeit \u00fcber den Farbenwechsel von Idotea andere Verh\u00e4ltnisse sichergestellt worden sind: die Mittelgrauf\u00e4rbung der Tiere kommt sowohl bei vollst\u00e4ndigem Lichtabschlufs, als auch im diffusen Tageslichte am grauen Sandboden vor, also die Chromatophoreneinstellung \u201emittelgrau\u201c erfolgt sowohl beim autonomen als auch beim gewissen allonomen Stoffwechselgleichgewichte der Sehsubstanz ; aber wir finden wiederum Abweichungen, welche Zweifel erwecken: im diffusen Lichte auf weifser Unterlage wird maximale Kontraktion der Chromatophoren beobachtet, obwohl sich gewifs auch hier nach einiger Zeit allonomes Gleichgewicht einstellt.\nAuf Grund von Forschungen \u00fcber die photoelektrischen Reaktionen der Netzh\u00e4ute ist Gotch 1 ebenfalls zu etwas abweichenden Schl\u00fcssen \u00fcber die Natur der Lebens Vorg\u00e4nge in den Netzh\u00e4uten gekommen, als dieselbe in Herings Theorie dargestellt wird. In \u00dcbereinstimmung mit dem oben angef\u00fchrten schliefst er, dafs die Verdunklung (er spricht dies allerdings nur von rascher Verdunkelung aus) \u201ereal retinal stimulus\u201c ist und dafs die Schwarzempfindling eine Dunkelreizung zur Basis hat; der sukzessive Kontrast scheint ihm nicht blols eine Erm\u00fcdungserscheinung zu sein, sondern ein aktiver Reizvorgang einer eigenen reagierenden Substanz \u2014 \u201ethe dark afterimages following illumination being the visual effect produced by such stimulation of the dark reacting substance\u201c; er nimmt wie Hering Weifs und Schvvarz als zwTei verschiedenartige Reizungsvorg\u00e4nge an, da er aber in beiden F\u00e4llen denselben allgemeinen Typus der photoelektrischen Erscheinungen vorfindet, widerspricht er der HERiNGschen Auffassung, dafs die betreffenden Lebensprozesse umgekehrt gerichtete sind (dissoziativ, assoziativ). \u2014 Es handelt sich also um eine Theorie von zwei Sehsubstanzen (Weifssubstanz, Schwarzsubstanz).\nMeine Versuchsergebnisse an Amblvstomalarven liefsen sich ebenfalls eher mit einer solchen Theorie in Einklang bringen als mit der HERiNGschen. Aber ohne den weiteren Untersuchungs-\n1 F. Gotch, Further observations on the photoelectric responses of the frog\u2019s eyeball. Proc. of the physiol. Soc. J. of Physiol. 80, S. 1, 1903.","page":312},{"file":"p0313.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Lebensgeschehen in den belichteten u. verdunkelten Netzh\u00e4uten. 313\nergebnissen vorzugreifen will ich nur auf die gr\u00f6fste Wahrscheinlichkeit hinweisen, dafs die Dunkelheit v\u00f6llig anderes, aber ebenso reges Lebensgeschehen in den Netzh\u00e4uten bedingt wie die starke Belichtung; obgleich die resultierenden Chromatophorenbewegungen einander gegengeri cht et sind, ist man nicht gezwungen daraus auf das Entgegengerichtetsein des zugeh\u00f6rigen Stoffwechselgeschehens in verdunkelten und belichteten Netzh\u00e4uten zu schliefsen. Inwieweit es sich um die T\u00e4tigkeit des \u201eTagseh-\u201c und ,,Dunkelsehapparates\u201c handeln w\u00fcrde, l\u00e4fst sich nichts sicheres aussagen.\nEndlich will ich noch auf eine \u00dcbereinstimmung zwischen den Ergebnissen meiner objektiven Untersuchungen \u00fcb.er das Lebensgeschehen in den Netzh\u00e4uten und den Ergebnissen der Sinnesphysiologie des Menschen hinweisen. Nach Piper 1 hat die Empfindlichkeit beider Augen zusammen bei vorgeschrittener Dunkeladaptation einen sehr viel h\u00f6heren Wert als die jedes einzelnen Auges und zwar betr\u00e4gt der binokulare Empfindlichkeitswert stets ann\u00e4hernd das Doppelte des monokularen. Bei Beobachtungen mit beiden Augen im Zustande der vorgeschrittenen Dunkeladaptation summieren sich also die beiden jedes einzelne Auge treffenden Lichtreize (dies gilt aber nicht f\u00fcr das helladaptierte Auge). Diese Sonderfunktion hat allerdings nicht wie wahrscheinlich die meisten bereits bekannten Eigent\u00fcmlichkeiten des \u201eDunkelapparates *' ihren Sitz im peripheren Endorgane, sondern mufs wohl in mehr zentralen Teilen des Gesamtsehapparates lokalisiert sein. Man hat sich vorzustellen, dafs s\u00e4mtliche monokular unter-, dagegen binokular \u00fcberschwelligen Reize vom Endorgan aus weiter geleitet werden und zwar sicher bis zu dem Punkte, wo sie mit den Leitungen vom anderen Auge in gemeinsame Bahnen einm\u00fcnden. Addiert sich an dieser Stelle eine Erregung vom anderen Auge, so entsteht eine Empfindung, bleibt ein solcher Zuschufs von seiten des anderen Auges aus, so erlischt die Erregung auf der Strecke, welche durch die Stelle des Zusammentreffens mit den Bahnen des anderen Auges und dem Ort der Entstehung der bewufsten Gesichtsempfindung begrenzt ist.\n1 H. Piper, \u00dcber Dunkeladaptation. Zeitschr. f. Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorg. 31, 1903, S. 200.","page":313},{"file":"p0314.txt","language":"de","ocr_de":"314\nEdward Bab\u00e2k.\nIn den Untersuchungen an Amblystomalarven scheint sich die pigmentomotorische T\u00e4tigkeit der beiden Netzh\u00e4ute zu summieren und vom Zentralnervensystem vereint auf die s\u00e4mtlichen Chromatophoren zu erstrecken. Nach der Reduktion der Netzhautfl\u00e4che auf die H\u00e4lfte wird die chromatische Hautfunktion stark beeintr\u00e4chtigt (die extreme Umf\u00e4rbbarkeit wird in der Regel vollends vernichtet); nur aus beiden Augen fliefst dem Zentralnervensystem der n\u00f6tige Innervationsstrom zu, damit die Chromatophorenbewegungen vollst\u00e4ndig beherrscht werden k\u00f6nnten.\nNachtrag.\nIch mache noch kurz (w\u00e4hrend der Korrektur) auf die soeben erschienenen zwei Abhandlungen aus der Biologischen Versuchsanstalt in Wien aufmerksam {Arch. f. Entwicklungsmechanih der Organismen 28: F. Mayerhofer, Farbenwechselversuche am\nV\nHechte (Esox lucius) S. 546 und S. Secerov, Farbenwechselversuche an der Bartgrundel (Nemachilus barbatula) S. 629. Der Einflufs der Netzh\u00e4ute auf die Hautchromatophoren ist bei diesen Fischen verschieden von demjenigen bei Amblystomalarven, aber trotzdem bemerkt Mayerhofer (S. 554), ohne der Erscheinung eingehenderes Interesse zu widmen, ,,dafs die absolute Dunkelheit bei sehenden Fischen nicht erschlaffend auf die Chromatophoren einwirkt, wie man es vielleicht erwarten m\u00f6chte, sondern im Gegenteil als starker Reiz aufzufassen ist\u201c; auf Grund meiner Betrachtungsweise w\u00fcrde man wahrscheinlich auch f\u00fcr die Fische zu \u00fcbereinstimmenden Schl\u00fcssen gelangen. Was die Pigmentvermehrung und Pigmentreduktion bei den normalen und geblendeten Tieren im Lichte und im Dunkeln betrifft, habe ich, wie die Autoren bei den Fischen, bei den Amblystomalarven Beobachtungen gemacht, welche mir aber bisher unzureichend erschienen; ich glaube, dafs ich nach kurzer Zeit eingehender \u00fcber den Einflufs der Augen auf die Pigmentbildung; und Pigmenterhaltung werde berichten k\u00f6nnen.","page":314}],"identifier":"lit33561","issued":"1910","language":"de","pages":"293-314","startpages":"293","title":"\u00dcber das Lebensgeschehen in den belichteten und verdunkelten Netzh\u00e4uten: Auf Grund von Versuchen \u00fcber die chromatische Hautfunktion der Amphibien","type":"Journal Article","volume":"44"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:53:12.638896+00:00"}

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