Open Access
{"created":"2022-01-31T15:57:48.717651+00:00","id":"lit33572","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Ovio, Giuseppe","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 45: 37-50","fulltext":[{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"37\n\u00dcber den Sehwinkel.\nVon\nProf. Giuseppe Ovio,\nDirektor der k\u00f6nigl. Augenklinik zu Modena.\n(Mit \u00f6 Figuren im Texte.)\n1. Die Lage des Scheitelpunktes des Sehwinkels.\nDie alte Frage \u00fcber die Lage des Scheitelpunktes des Sehwinkels harrt noch der bestimmten L\u00f6sung. Welchem von den verschiedenen vorgeschlagenen Punkten \u2014 Knotenpunkt, Hauptpunkt, Pupillarzentrum, Brennpunkt \u2014 geb\u00fchrt der Vorzug?\nBesonders infolge der Untersuchungen Listings und Dondeks schien es fr\u00fcher unstreitig, dafs der Scheitel des Sehwinkels nach dem Knotenpunkte zu bestimmen sei. Helmholtz 1 dagegen sprach sich f\u00fcr das Pupillarzentrum aus, man schenkte ihm jedoch wenig Geh\u00f6r. Von Gullstrand1 2 wurde sowohl der Hauptpunkt als auch der Brennpunkt vorgeschlagen und bei seinen Untersuchungen h\u00e4lt er sich an diesen Punkten.\nNach diesem letzteren Autor d\u00fcrfte man den Sehwinkel mit dem Scheitelpunkt am Brennpunkte kurzweg als Brennwinkel, denjenigen mit dem Scheitelpunkt im Pupillarzentrum als Pupillarwinkel, und denjenigen mit dem Scheitelpunkt am Knotenpunkte als Knotenwinkel bezeichnen.\nDer Pupillarwinkel kann, wie schon Helmholtz angab, mit dem Hauptwinkel identifiziert werden, denn zwischen beiden bestehen minimale Entfernungsunterschiede; der von Gullstrand besonders angewandte Brennwinkel betreffs der Sehsch\u00e4rfe hat solche Eigenschaften, die dem Hauptwinkel sehr nahe stehen.\n1\tH. Helmholtz, Phys. Optik. II. Aufl., S. 127.\t(1. Aufl., S. 99;\nfranz\u00f6sische \u00dcbersetzung, S. 135.)\n2\tA. GuLLSTftAND, Nordiskt Arkiv 9. 1891.","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nGiuseppe Ovio.\nEs lohnt sich daher, nur Haupt- und Knotenpunkt gegen\u00fcberzustellen, um zugunsten des einen oder des anderen klare Begriffe zu erlangen und entscheiden zu k\u00f6nnen, welchem man den Vorzug geben solle, um ihn rationellerweise f\u00fcr den echten Sehwinkel zu betrachten.\nZu diesem Zwecke mufs man das Sehen unter zwei verschiedenen Bedingungen betrachten:\nA. Sehen bei akkommodiertem Auge. B. Sehen bei nicht akkommodiertem Auge.\nA. Akkommodiertes Auge.\nIch setze voraus, dafs im Folgenden immer angenommen werde, dafs das Sehen mit minimalen Sehwinkeln vorkomme, wobei man die zwischen Bogen, Sinus, Tangenten usw. eines und desselben Winkels vorkommenden Verschiedenheiten \u00fcbersehen darf. Es lehnt sich dies an die gew\u00f6hnliche Abgrenzung an, die in fast allen unseren dioptrischen Fragen Anwendung findet. Diese Abgrenzung als solche benimmt \u00fcbrigens den best\u00e4tigten Gesetzen nicht den Charakter von allgemeinen Gesetzen, weil das gew\u00f6hnliche Sehen fast ausschliefslich unter diesen minimalen Winkeln vor sich geht, wobei die oben erw\u00e4hnten Unterschiede durchaus nicht wichtig sind.\n1. Betrachten wir zuerst den Fall eines einzelnen Gegenstandes, f\u00fcr welchen das Auge akkommodiert ist, oder mehrerer Gegenst\u00e4nde von verschiedener Gr\u00f6fse, die hintereinander in gleicher Entfernung aufgestellt sind und f\u00fcr die das Auge gleichfalls akkommodiert. In diesem Falle ist es selbstverst\u00e4ndlich gleichg\u00fcltig, ob man den Hauptwinkel oder den Knotenwinkel als Sehwinkel w\u00e4hlt; denn in einem solchen Falle entwirft sich das Retinalbild eines Objektpunktes, f\u00fcr welches das Auge akkommodiert, immer am Vereinigungspunkte der Knotenlinie mit der Hauptlinie. Wenn es sich um kleine Winkel handelt, kann man folglich glauben, dafs das Netzhautbild proportional mit dem Sehwinkel ist, sowohl wenn dieser letztere mit dem Scheitel am Knotenpunkte, als auch, wenn er am Hauptpunkte angenommen wird. Kurz, man kann das Netzhautbild ebenso am Knotenwinkel als auch am Hauptwinkel als proportional betrachten.\nNehmen wir z. B. den linearen Gegenstand AB (Fig. 1) an. Das Netzhautbild des Punktes A befindet sich in a, d. h. am","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber den Sehwinkel.\n39\nVereinigungspunkte der Hauptlinie p a mit der Knotenlinie Je a. Verdoppelt man die Gr\u00f6fse des Objektes A B, so verdoppelt sich auch die Gr\u00f6fse des Hauptwinkels (tt), somit wird auch das Bild verdoppelt; vermindert man die Gr\u00f6fse des Objektes AB um die H\u00e4lfte, so vermindert sich auch die Gr\u00f6fse des Bildes um die H\u00e4lfte.1 Das gleiche geschieht, wenn man statt des Hauptwinkels den Knotenwinkel (v) in Betracht zieht ; man w\u00fcrde sogar mit diesem Winkel zu gr\u00f6fserer Genauigkeit gelangen; denn bei ihm fehlen die oben erw\u00e4hnten Abgrenzungen.\n2. Betrachten wir mehrere Objekte in verschiedener Entfernung, f\u00fcr die das Auge nacheinander akkommodiert und stellen wir uns zwei verschiedene F\u00e4lle vor.\nA. Die zwei Objekte A B und A\u2018 B\u2018 (Fig. 2) z. B. werden zuerst in verschiedene Entfernungen gestellt, die Gr\u00f6fse mufs\nA\nFig. 2.\n1 Wegen der erw\u00e4hnten Abgrenzungen abstrahiert man hier immer von Tangenten- und Sinnesver\u00e4nderungen und nimmt an, dafs sie sich wie die Winkel ver\u00e4ndern.","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nGiuseppe Ovio.\naber derart sein, dafs dieselben in dem gleichen Winkel n auf-gefafst werden.\nF\u00fcr beide ist das Retinalbild la. W\u00e4hrend f\u00fcr beide Objekte des Winkels it der einzige und unver\u00e4nderte ist, ist dagegen der Winkel v verschieden.\nBei den zwei Objekten A B und A\u2018 B\u2018 ist nat\u00fcrlich die Gr\u00f6fse proportional mit der Entfernung ihres Fufses vom Scheitelpunkte des Winkels, weil die Objekte innerhalb desselben Winkels n sind. Und da sie unter solchen Verh\u00e4ltnissen auf die Netzhaut Bilder von gleicher Gr\u00f6fse entwerfen, so kann man leicht auf Grund dieses Winkels n schliefsen, dafs die Gr\u00f6fse der Bilder im allgemeinen direkt proportional mit der Gr\u00f6fse des Winkels ist, welcher das Objekt umfafst; sie ist dagegen indirekt proportional mit der Entfernung des Objektes.\nDas d\u00fcrfte man dagegen nicht aus dem Winkel v schliefsen, welcher f\u00fcr die zwei Objekte verschieden ist.\nSo ist es also ersichtlich, dafs es F\u00e4lle gibt, in denen die Hauptwinkel in Vergleich zu dem Knotenwinkel die besten Anhaltspunkte zur Beurteilung der Bildgr\u00f6fse bietet.\nB. Stellen wir nun einen einzigen Gegenstand in zwei verschieden hintereinanderstehende Entfernungen (Fig. 3). Hier sieht man leicht, dafs die Gr\u00f6fse des Winkels it proportional der Enfernung des Objektes und dafs die Gr\u00f6fse des Bildes pro-\nFig. 3.\nportional mit dem Winkel ist. Wenn also in einer gewissen Stellung der Winkel n doppelt so grofs ist als in der anderen Stellung, so wird auch das eine der entsprechenden Bilder um das Doppelte gr\u00f6fser sein als das andere. Die Gr\u00f6fse dieser","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"41\n\u00bb\u00bb\nUber den Sehwinkel.\nBilder wird also das Verh\u00e4ltnis 1: 2 haben, wenn die aufeinanderfolgenden Stellungen im Verh\u00e4ltnis von 2 :1 stehen.\nF\u00fcr den Winkel v gelten nicht die gleichen Gesichtspunkte, weil dieser Winkel, wie im vorigen Fall, infolge der zur Akkommodation n\u00f6tigen Verschiebung am Knotenpunkte eine Ver\u00e4nderung erleidet.\nIm Falle A k\u00f6nnte man a priori glauben, dafs f\u00fcr den Winkel v die gleichen Erw\u00e4gungen gelten k\u00f6nnten, wenn man zwei Objekte unter dem Winkel v statt unter dem Winkel rt betrachtet. Das ist jedoch nicht der Fall; denn der Winkel v, der allein unver\u00e4nderlich w\u00e4re, wenn die Akkommodation nicht variierte, hier auch variiert, weil der Knotenpunkt bei der eintretenden Akkommodation, um von Objekt AB zum Objekt A\u2018 B\u2018 zu wandern, sich verschiebt, und somit die zwei Objekte sich nicht mehr auf einem einzigen Knotenpunkte befinden.\nDies alles beweist nun, dafs bei akkommodiertem Auge der Knotenwinkel nur in gewissen F\u00e4llen zur Messung der Bilder in Betracht gezogen werden kann, w\u00e4hrend der Hauptwinkel in den meisten F\u00e4llen sehr gute Dienste leistet. Diese \u00dcberlegenheit des Hauptwinkels gegen\u00fcber dem Knotenwinkel tritt noch deutlicher in den F\u00e4llen hervor, wo das Auge nicht akkommodiert.\nB. Nicht akkommodiertes Auge.\nBei fl\u00fcchtiger Betrachtung k\u00f6nnte man annehmen, dafs die Analyse des Sehens in diesen F\u00e4llen blofs vom theoretischen Standpunkt aus wichtig sei, denn das Sehen ohne Akkommodation d\u00fcrfte als Ausnahme angesehen werden. Dies ist jedoch ein gew\u00f6hnlicher Sehakt: Wenn wir uns gegen\u00fcberstehende Objekte betrachten wollen, ist es klar, dafs wir nur f\u00fcr ein Objekt akkommodieren ; alle anderen werden aber doch wahrgenommen, wenngleich das Auge f\u00fcr sie nicht akkommodiert ist. Wenn wir jedoch genau \u00fcber Stellung und Gr\u00f6fse der Objekte (oder \u00fcber die verschiedenen Punkte eines und desselben Gegenstandes) urteilen wollen, so wandert der Blick von dem einen zum anderen und akkommodiert f\u00fcr jeden derselben nacheinander, latsaehe ist aber, dafs in einem gewissen Moment die Akkommodation nur dem fixierten Punkt gilt, allen anderen aber nicht. Somit urteilen wir immer, auch unter diesen Bedingungen, \u00fcber Objekte im Brennpunkte in Vergleich mit Objekten aufs er -halb des Brennpunktes.","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nGiuseppe Ovio.\nIn diesen gew\u00f6hnlichen F\u00e4llen also, in welchen das Auge nur teilweise akkommodiert, dient der Knotenwinkel, wie leicht ersichtlich, nicht mehr zur Beurteilung der Gr\u00f6fse und der Entfernung. Es werden nun z. B. wieder zwei Objekte A B und A1 B' in einem gleichen Hauptwinkel (Fig. 4) eingeschlossen, aber sie befinden sich voneinander verschieden entfernt. Wie auch immer das Auge akkommodiert sei, haben wir stets gleichgrofse retinische Bilder; die Endobjektpunkte entwerfen n\u00e4mlich Bilder auf dieselben Punkte der Netzhaut.\nFig. 4.\nWenn das Auge f\u00fcr einen der zwrei Objekte akkommodiert, bringen die entsprechenden Endpunkte auf der Netzhaut zwei deutliche Bilder hervor, die aus den zwTei Bildpunkten ab bestehen; und die zwei Endpunkte des anderen Objektes bringen auf der Netzhaut zwei diffuse Bilder hervor, deren Mittelpunkte aber den Punkten a b des fr\u00fcheren deutlichen Bildes entsprechen.\nWenn das Auge weder f\u00fcr das eine noch f\u00fcr das andere Objekt akkommodiert, bringen alle Endobjektpunkte A B und A\u2018 B\u2018 Zerstreuungskreise auf der Netzhaut hervor; aber die Mittelpunkte derselben befinden sich immer an der n\u00e4mlichen Stelle der Punkte ab) diese je zwei sich befindenden Punkte decken einander.\nWie bestimmen wir in solchen F\u00e4llen die Lage der Bilder? Wir bestimmen sie vermittels der Hauptlinie und nicht etwa durch die Knotenlinie ; auch hierf\u00fcr haben wir Beispiele :","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber den Sehwinkel.\n43\nI. Nehmen wir an (s. Fig. 4), das Ange akkommodiere weder f\u00fcr Objekt A R, noch f\u00fcr Objekt A\u2018B\\ aber es akkommodiere f\u00fcr eine gr\u00f6fsere Entfernung. Sowohl das Bild des Punktes A als jenes des Punktes A' befinden sieh auf der Hauptlinie paa\u201c. Vorausgesetzt, dafs der Knotenpunkt in Je sei, ist a V das deutliche Objektbild von AB; jenes des Objektes AB1 ist a\"bli. Beide befinden sich aufserhalb der Netzhaut.\nWenn das Auge f\u00fcr einen Punkt akkommodiert, der diesseits der zwei Objekte liegt, werden sich die zwei deutlichen Bilder dagegen diesseits der Netzhaut befinden.\nDiese deutlichen Bilder, die aufserhalb der Netzhaut liegen, bilden sich bekanntlich in jenem Punkte, wo sich Haupt- und Knotenlinie kreuzen, so dafs ihre Gr\u00f6fse bequem sowohl am Haupt- als auch am Knotenpunkte gemessen werden kann. Auf der Netzhaut erh\u00e4lt man jedoch diffuse Bilder, f\u00fcr deren Gr\u00f6fse wir aus der Knotenlinie keine Schl\u00fcsse ziehen k\u00f6nnen. Hierin sind nur die Hauptlinien von Nutzen.\nF\u00fcr die Punkte A und A\u2018 aufserhalb des Auges gilt nur die Hauptlinie Ap, die innerhalb des Auges in der Linie p et, nicht geradeaus, fortsetzt. Die Richtung letzterer ist blofs durch den Brechungsindex, d. h. durch eine Konstante bestimmt, folglich bei jeglicher Akkommodation unver\u00e4nderlich.\nDiese Linie p a stellt die Achse des Lichtkegels dar, der an der Pupille fufsend, das deutliche Bild des Objektpunktes am eigenen Scheitel bildet. Bei unrichtiger Akkommodation f\u00e4llt dieser Scheitel aufserhalb der Netzhautfl\u00e4che und auf dieser bildet sich ein Zerstreuungskreis. Der Mittelpunkt dieses letzteren befindet sich nat\u00fcrlich auf der Achse des genannten Kegels d. h. auf der Hauptlinie ; und da wir die Lage des diffusen Bildes aus dem Mittelpunkte des Zerstreuungskreises entnehmen, so erkl\u00e4rt es sich, warum die Hauptlinie einen genauen Begriff der Lage des Retinalbildes darbietet.\nDurch die Knotenlinie dagegen wird uns dies nicht erm\u00f6glicht, weil diese die Netzhaut in ganz verschiedenen Punkten trifft, als den der von der Hauptlinie getroffen wird. In der Tat ist diese Knotenlinie nichts anderes als einer der Strahlen, welche den erw\u00e4hnten Lichtkegel bilden, und der, wie alle anderen, die in die Pupille eindringen, zu einem Punkte l\u00e4uft, der stets der Scheitelpunkt des Kegels ist.\nIm betreffenden Fall reicht also vom Punkte A ein Licht-","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nGiuseppe Ovio.\nkegel bis zur Pupille und die Achse dieses Kegels ist Ap; von der Pupille aus geht gegen die Netzhaut ein zweites dem ersten entgegengesetzten Kegel, dessen Achse pa\u201c ist und dessen Scheitel sich im Punkte a\u2018 befindet. In diesem Punkte sammeln sich alle Strahlen, welche durch die Pupille eindringen und von A kommen, folglich auch der Knotenstrahl ka\\ Vom Punkte A' geht noch ein Lichtkegel zur Pupille, aber dessen Achse geht noch nach derselben Hauptlinie Ap; von der Pupille aus richtet sich seinerseits ein entgegengesetzt gerichteter Kegel der Netzhaut zu, dessen Achse auch nach der Linie p a\u201c gerichtet ist. Der Scheitel dieses Kegels liegt aber im Punkte aDurch diesen Punkt l\u00e4uft auch der betreffende Knotenstrahl, der nichts anderes ist, als einer der den Kegel bildenden Strahlen. Da die Achse dieser zwei intrabulb\u00e4ren Kegel immer nach der Geraden pali gerichtet ist, so wird der Mittelpunkt der betreffenden Zerstreuungskreise auf der Netzhaut immer der Punkt a sein.\nDies ist also die Ursache, weshalb der Hauptwinkel sich f\u00fcr die Bildermessung so sehr eignet, w\u00e4hrend der Knotenwinkel dabei von keinem Nutzen ist. Auf letzteren gest\u00fctzt, w\u00fcrde man zwei gleich grofse Bilder als verschieden grofs betrachten.\n2. Nehmen wir nun an, dafs das Auge f\u00fcr eins der zwei Objekte akkommodiert, z. B. f\u00fcr AB (s. Fig. 5). Das Bild des Punktes A trifft die Netzhaut in a. Das deutliche Bild des Punktes \u00c4 ist in d aufserhalb der Netzhaut, man hat jedoch auf der letzteren ein diffuses Bild, dessen Mittelpunkt noch auf a","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"45\n\u2022 \u2022\nUber den Sehwinkel.\nsteht. Somit treffen die zwei Bilder, das deutliche und das diffuse zusammen.\nDaraus ersieht man ohne weitere Erkl\u00e4rung, dafs man f\u00fcr die Messung des Bildes von AB in diesem Falle auch den Knotenpunkt benutzen kann, nat\u00fcrlich aber nicht f\u00fcr die Messung des Bildes von \u00c4 B'. Dagegen kann man sehr gut den Hauptwinkel sowohl f\u00fcr das Bild von A B als auch f\u00fcr das Bild von A' Br benutzen, da er f\u00fcr beide gleichwertig ist. Auf diese Art wird die \u00dcberlegenheit des Hauptwinkels \u00fcber den Knotenwinkel ohne weiteres auch in diesem Falle bewiesen. Das gleiche w\u00fcrde auch gelten, wenn das Auge statt f\u00fcr AB, f\u00fcr AB' akkommo-dieren w\u00fcrde.\nIn den F\u00e4llen, wo das Auge nur f\u00fcr eins der zwei Objekte oder f\u00fcr keins von beiden akkommodieren w\u00fcrde, nimmt man an, dafs Je unbeweglich sei. Gest\u00fctzt auf diese Voraussetzung d\u00fcrfte man annehmen, dafs nur der Knotenwinkel zur Messung der Bilder beider Objekte von Wert ist, insofern als die Objekte, statt innerhalb des Winkels ft zu sein, innerhalb des Winkels v w\u00e4ren. Unter solchen Bedingungen w\u00fcrden sich z. B. die Objekte A B und A' B befinden.\nDies w\u00e4re ein Irrtum, denn auf die einzige Knotenlinie gest\u00fctzt, m\u00fcfste man zugeben, dafs die Objekte A B und A\" B' auf der Netzhaut gleiche Bilder hervorbr\u00e4chten, w\u00e4hrend im Gegenteil das Bild A\" B' gr\u00f6fser ist. In der Tat befindet sich das Bild des Punktes A\" nicht mehr auf der Hauptlinie p a, sondern auf einer Hauptlinie p al\\ welche die Netzhaut mehr peripher trifft.\nDies w\u00fcrde in der Praxis kein grofser Fehler sein. Die Rechnung ergibt, dafs, wenn z. B. die Retinalbilder von A B und von A B' auf eine Gr\u00f6fse von 100 berechnet werden, das Bild A\u201d B\u2019 eine Gr\u00f6fse von 103 annimmt. Immerhin ist dies ein Fehler, der \u00fcberhaupt zu irrt\u00fcmlichen Schl\u00fcssen \u00fcber andere wichtigere Punkte f\u00fchren k\u00f6nnte.\nAuf den Knotenpunkt gest\u00fctzt w\u00fcrde man also zwei Bilder verschiedener Gr\u00f6fse f\u00fcr beide Objekte finden, die sich in einem und demselben Hauptwinkel befinden. Das Grundprinzip, dafs die Gr\u00f6fse der Bilder proportional (umgekehrt) zur Entfernung ist, w\u00fcrde sich in diesem Falle nicht mehr bewahrheiten. Diese Proportion erh\u00e4lt man einfach aus den elementaren Eigenheiten der gleichen Dreiecke, die am Knotenpunkte ihren Scheitel haben ;","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nGiuseppe Ovio.\nman sollte sich dabei die Objekte so entfernt y or stellen, dafs ihr Bild immer mit der Netzhautfl\u00e4che zusammenfallend zu denken w\u00e4re, wenngleich das Auge nicht f\u00fcr beide akkommodieren w\u00fcrde. Dies d\u00fcrfte nat\u00fcrlich f\u00fcr naheliegende Objekte nicht m\u00f6glich sein.\nAuf den Hauptwinkel gest\u00fctzt tritt dagegen in jedem Fall ganz genau das gleiche Gesetz und nach kurzer Betrachtung ein, d. h. : man bekommt auf der Netzhaut gleiche Bilder durch Objekte, die innerhalb eines und desselben Hauptwinkels enthalten sind; n\u00e4mlich Objekte, deren Gr\u00f6fse proportional mit ihrer Entfernung sind. Infolgedessen bringen gleichgrofse Objekte in verschiedener Entfernung solche Bilder hervor, deren Gr\u00f6fse im umgekehrten Verh\u00e4ltnis zur Entfernung steht.\nMir scheint, dafs diese einfachen Betrachtungen ein f\u00fcr allemal dartun, wie zweckm\u00e4fsig es ist, den Hauptpunkt als Scheitel des Sehwinkels zu betrachten und also den Sehwinkel mit dem Hauptwinkel zu identifizieren.\nWas soll aber dieser in Rede stehende Sehwinkel vorstellen? Nicht einmal hier\u00fcber stimmen alle Forscher \u00fcberein. Mir scheint, dafs der Sehwinkel jenen Winkel vorstellen soll, in welchem die eigentlich betrachteten Objekte enthalten sind. Als solcher w\u00e4re er seinerseits derjenige, der die Gr\u00f6fse der Bilder auf der Netzhaut bestimmt.\nNach einigen Forschern (und in solchem Sinne spricht besonders Bad al x), d\u00fcrfte der Sehwinkel nicht derjenige sein, unter welchem sich die Objekte befinden, sondern derjenige, unter welchem man die Objekte sieht. Der Sehwinkel w\u00fcrde auf diese Art der Pro j ektions winkel sein. Da die Projektion gew\u00f6hnlich in der Knotenlinie stattfindet, so w\u00fcrde man wiederum den Knotenwinkel als Sehwinkel betrachten.\nMir scheint dies nicht richtig. Denn, wie ich selbst bewiesen habe, geschieht die Projektion nicht immer in der Knotenlinie. Dieser Projektionswinkel gestaltet sich \u00fcbrigens nach dem bereits entstandenen Bilde ; wollte man also diesen zur Messung ben\u00fctzen, so hiefse das nach r\u00fcckw\u00e4rts schreiten; und weil das Vorw\u00e4rtsschreiten nicht mit dem R\u00fcckw\u00e4rtsgehen identisch ist, m\u00fcfste man das eine und das andere in jedem einzelnen Falle studieren.\nUm mehr Klarheit in der Frage zu gewinnen, wollen wir\n1 Badal, Etudes d\u2019optique physiol. Archives d\u2019ophtalm. 1881, S. 58.","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber den Sehwinkel.\n47\neinige bereits erw\u00e4hnte Beispiele wieder vornehmen. Betrachten wir zuerst nochmals den Fall der Figur 2. Bei Akkommodation f\u00fcr das Objekt A B w\u00fcrde die Projektion sowohl f\u00fcr den Objektpunkt A als f\u00fcr A' \u2014 welche beide Netzhautbilder im Punkt a hervorbringen \u2014 nach der Linie a Je A stattfinden, und der Projektionswinkel w\u00fcrde folglich f\u00fcr beide Objekte der Winkel v sein. Bei Akkommodation f\u00fcr das Objekt \u00c4 B' w\u00fcrde die Projektion f\u00fcr beide Objekte nach der geradlinigen a Je \u00c4 erfolgen und der Projektionswinkel w\u00fcrde v sein. So h\u00e4tte man zwei verschiedene Winkel bekommen, welche nach der Messung des Winkels tc , nach Berechnung des entsprechenden Refraktions-wdnkels und \u2014 auf dessen Basis \u2014 des Punktes a, deduziert w\u00fcrden.\nIm Falle Figur 4 k\u00f6nnte, statt dessen, ein einziger Projektionswinkel gen\u00fcgen, denn diese Projektion k\u00f6nnte f\u00fcr beide Objekte in einer geraden Linie a Je erfolgen.\nEs d\u00fcnkt mich also, dafs der Projektionswinkel ungewisse und unbest\u00e4ndige Begriffe hervorrufen k\u00f6nnte, welche der anatomischen St\u00fctze entbehren, die bei Beachtung des Hauptwinkels von der Lage des Netzhautbildes geboten sein w\u00fcrde.\nWie ich bereits in meiner Arbeit \u00fcber die Projektion bewies, scheint es nicht, dafs Objekte, die gleiche Bilder hervorbringen, immer gleichgrofs erscheinen. Aber es w\u00fcrde sich um Unterschiede handeln, die wegen ihrer Geringf\u00fcgigkeit nicht von Belang sind. Dann handelt es sich vielleicht nicht um Unterschiede, sondern nur um Erscheinungen, da man das Objekt in einer ganz verschiedenen Entfernung als in der richtigen vermuten kann. Drittens, sollte wirklich ein Unterschied vorhanden sein, dann d\u00fcrfte er durchaus keinen Einflufs auf den psychischen Sehakt aus\u00fcben, insofern als der Eindruck auf der Netzhaut immer derselbe ist. Unter den gleichen Bedingungen geschieht es z. B., dafs im Sehfelde die gleichen Objekte, oberfl\u00e4chlich und in einer gewissen Entfernung gesehen, nicht ver\u00e4ndert erscheinen, wenn man sie bei verdoppelter Gr\u00f6fse in verdoppelter Entfernung betrachtet.\nIn der Praxis k\u00f6nnen also diese Unterschiede vernachl\u00e4ssigt werden. Zum Schl\u00fcsse wiederhole ich, dafs es in keinem Falle geeignet scheint, den Projektionswinkel als Sehwinkel zu betrachten , w\u00e4hrend sich der Hauptwinkel als der geeignetste empfiehlt.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nGiuseppe Ovio.\n2. Berechnung der Bildgr\u00f6fse aus dem SehwinkeL\nWenn man zur Messung der Bildgr\u00f6fse den Scheitel des Sehwinkels im Hauptpunkte voraussetzt, so k\u00f6nnen ohne weiteres die gew\u00f6hnlichen Formeln angewendet werden, welche die verschiedenen Brennweiten als Faktor haben, weil eben diese Brennweiten vom Hauptpunkte aus gemessen werden. Die geeignetste Formel scheint mir aber folgende :\nwobei i das Bild, o das Objekt, f\" f die konjugierte Brennweite, n den Brechungsindex des Auges bedeutet.\nDiese Formel gilt gew\u00f6hnlich f\u00fcr die Gr\u00f6fse der deutlichen Bilder, folglich kann f\u201d, der die hintere Brennweite vorstellt, sowohl bis zur Netzhaut als auch bis zu einem aufserhalb der Netzhaut gelegenen Punkt reichen. In unserem Falle aber ist es n\u00f6tig, die Gr\u00f6fse des Bildes auf der Netzhaut, sei dasselbe deutlich oder diffus, zu erkennen, nicht aber das Bild aufserhalb der Netzhaut. Diese Formel dient nun eben auch in solchen\nF\u00e4llen.\nWill man also f\" mit der Achsenl\u00e4nge des Auges (l) identifizieren, so kann man die Formel auch so schreiben:\no l\tI\nDie Ursache, weshalb diese Formel sowohl f\u00fcr das deutliche als f\u00fcr das diffuse Bild dient, wird man leicht verstehen: Beide Bilder befinden sich immer innerhalb des Winkels, der von den Richtungslinien selbst gebildet wird, die Gr\u00f6fse der Bilder steht also im direkten Verh\u00e4ltnis zu der Entfernung. Ein Blick auf die Figur 2 gibt einen Beweis daf\u00fcr: die Bilder ci\u201c b\u2018\\ et b, ab befinden sich immer zwischen p b\u201c und p a\u201c ; p b, pb , p b\u201c sind\neinfach die Entfernungen der f\u201c.\nDie Gr\u00f6fse des Bildes wird also in jedem Falle durch die Richtung der Hauptlinie (Fig. 5 p\u00ab) bestimmt und diese Richtung ist sehr genau bestimmt. F\u00fcr die Gr\u00f6fse des Bildes w\u00fcrde man die nat\u00fcrliche Formel haben\ni = I X 0 rP-\nII","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber den Sehwinkel.\n49\nDiese Formel scheint sehr einfach, aber die Zahlenl\u00f6sung ist dagegen nicht gleich einfach. In der Tat kann man den Wert des Winkels cp (Winkel b p a) nur aus dem Wert des Winkels 7t (Winkel A p B) auf Basis der Grundformel der Refraktion folgern :\nsm 7t\n\u2014---= n:\nsm cp\ndenn die zwei Winkel werden beziehungsweise als Einfallswinkel\n\u2022 \u2022\nund Brechungswinkel betrachtet. \u00dcbrigens mufs man den Wert des Winkels tz aus der trigonometrischen L\u00f6sung des Dreiecks A B p berechnen.\nMan erkennt aber leicht, dafs die Formeln I und II im Grunde sich sehr nahe stehen, so dafs man aus der zweiten die erste herleiten kann. So haben wir von der Trigonometrie die Formel\ni = i X tg %\ndie, l = p a vorausgesetzt, ohne erheblichen Fehler zu\n\u00ab\ni = l X sin cp wird. Wir haben dann noch\nsin cp = sin tz\\ n,\nebenso\nsin 7t = o: Ap,\nwelches, Ap = Bp = f vorausgesetzt, zu\no\nsm 7t \u2014 y\nwird. Daraus folgert man auf diese Weise\no\nsm cp = -\u00ff \u2022 f n\nund\no l f'ri\nAus dieser letzteren Formel erh\u00e4lt man auf die elementarste Weise den Wert des Netzhautbildes. Dieselbe Formel veranschaulicht auch die haupts\u00e4chlichsten Verh\u00e4ltnisse zwischen der Bild-gr\u00f6fse und der Objektgr\u00f6fse bzw. Distanz. Sie sagt uns n\u00e4mlich (die als konstant betrachteten Faktoren l und n unbeachtet lassend), dafs die Bildgr\u00f6fse direkt proportional mit der Objektgr\u00f6fse und indirekt proportional mit der Entfernung ist.\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 45.\t4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nGiuseppe Ovio.\nWenn man in dieser Formel f\u00fcr den vorher gefundenen\nWert einf\u00fchrt, reduziert sie sich wie folgt:\n. __ l X sin 7t\nn\nund es ergibt sich daraus eine dritte Eigenschaft, d. h. das direkte Verh\u00e4ltnis der Bildgr\u00f6fse zu dem Sehwinkel.\nUm zur Identifikation der obenerw\u00e4hnten zwei Formeln zu\ngelangen :\ni = l X ty <P und i =\nhaben wir gesehen, dafs verschiedene L\u00e4ngen als gleiche betrachtet werden mufsten. Man hat in der Tat die Gerade A p mit Bp und p b mit p a f\u00fcr ganz gleich betrachtet ; man hat n\u00e4mlich in rechteckigen Dreiecken eine Kathete und die Hypotenuse f\u00fcr gleich betrachtet. Dies geschieht sehr oft in den elementaren dioptrischen Berechnungen; denn auf diese Art vereinfacht man die Berechnung, ohne in nennenswerte Ungenauigkeiten zu verfallen.\nIn der Tat handelt es sich beim gew\u00f6hnlichen Sehen immer um sehr kleine Winkel; denn die Objekte sind stets betreffs ihrer Gr\u00f6fse \u00e4ufserst entfernt. Ein Beispiel gen\u00fcgt, um diese Tatsache zu beweisen.\nDurch Berechnung ersieht man, dafs ein Gegenstand von 1 mm Durchmesser in einer minimalen Entfernung von 100 mm vom p, einen Winkel von 34' 22\" einschliefst und ein Netzhautbild von 0,15 mm hervorbringt. Wenn in diesem Falle B p 100 mm gleichkommt, erh\u00e4lt man durch Berechnung f\u00fcr A p eine L\u00e4nge von 100,03 mm ; und w\u00e4hrend f\u00fcr a p wir 20 mm finden* hat die Gerade b p eine L\u00e4nge von 20,0005 mm. \u2014 Man w\u00fcrde kaum f\u00fcr einen zehnmal gr\u00f6fseren Winkel (von 5 0 \u2014 folglich f\u00fcr das Sehen \u00fcbertrieben) finden, dafs Ap, um eine nennenswerte Gr\u00f6fse \u2014 fast 4/10 mm \u2014 B p \u00fcbertrifft.","page":50}],"identifier":"lit33572","issued":"1911","language":"de","pages":"37-50","startpages":"37","title":"\u00dcber den Sehwinkel","type":"Journal Article","volume":"45"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:57:48.717656+00:00"}