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{"created":"2022-01-31T16:48:50.644512+00:00","id":"lit33582","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Liebermann, Paul v.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 45: 117-128","fulltext":[{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"117\n(Aua dem physiologischen Institut der Universit\u00e4t Freiburg i. Br.)\nVerschmelzungsfrequenzen von Farbenpaaren.\nVon\nPaul v. Liebermann.\nBekanntlich lassen die herrschenden Theorien der Gesichtsempfindungen den Teil des Sehorganes, dessen Funktion f\u00fcr die Qualit\u00e4tsunterscheidungen bestimmend ist, aus Bestandteilen zusammengesetzt sein, die eine gewisse funktionelle Unabh\u00e4ngigkeit voneinander haben sollen. Je nach den Tatsachen, von denen die Theorie ausgeht, denkt sie sich die Natur dieser Bestandteile verschieden. Wer von der psychologischen Betrachtung ausgeht, unterscheidet zun\u00e4chst solche, die den farblosen und solche, die den farbigen Empfindungen dienen.1 \u00dcber die Einrichtung dieser Bestandteile sind wiederum verschiedene Vorstellungen entwickelt worden. Unter den Beobachtungstatsachen, denen solche Vorstellungen Rechnung zu tragen haben, nehmen die Gegens\u00e4tzlichkeiten von Empfindungen eine hervorragende Stelle ein. Es sind bekanntlich die der Gegenfarben im Bereich der farbigen, und die von Schwarz und Weifs im Bereich der farblosen Empfindungen. Je nachdem, ob man die Gegens\u00e4tzlichkeiten in den beiden Bereichen f\u00fcr analog genug h\u00e4lt oder nicht, wird man \u00e4hnliche Anordnungen zur Erzeugung der farbigen und der farblosen antagonistischen Empfindungen annehmen oder nicht. Bekannt sind die Schwierigkeiten, die hier der rein psychologischen Betrachtung im Wege stehen, wo sich der Streit um die \u201eEmpfindungsnatur\u201c des Schwarz und die damit zusammenh\u00e4ngenden Fragen dreht. Um so mehr\n1 Hier wie \u00fcberall im folgenden ist der achromatische Apparat der Zapfen gemeint.","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nPaid v. Liebermann.\nwird es von Vorteil sein, die physiologischen Beziehungen der antagonistischen Empfindungspaare, oder genauer: der Wirkungen der Reise, die antagonistische Empfindungen erzeugen, so ausf\u00fchrlich wie m\u00f6glich zu studieren.\nIm Hinblick auf Erw\u00e4gungen dieser Art wurden auf Vorschlag von Herrn Professor von Kries die zu beschreibenden Beobachtungen \u00fcber die zeitliche Unterscheidungsf\u00e4higkeit im farbigen Bereiche ausgef\u00fchrt, um die hier geltenden Zahlen mit denen vergleichen zu k\u00f6nnen, die von fr\u00fcheren Beobachtern im farblosen Bereiche gefunden worden sind, und so eine erste Orientierung dar\u00fcber zu gewinnen, ob die quantitativen Verh\u00e4ltnisse in den beiden Bereichen wesentlich verschieden sind oder nicht. Wenn auch an eine unmittelbare theoretische Verwertung aus dem Grunde nicht zu denken ist, dass gleiche quantitative Beziehungen bei ganz verschiedener Einrichtung des supponierten chromatischen und achromatischen Apparates bestehen k\u00f6nnen, und umgekehrt quantitative Verschiedenheiten bei gleicher Einrichtung, so scheint eine solche Verwertung sp\u00e4ter, wenn wir mit den Beziehungen des achromatischen Apparates zum chromatischen ausf\u00fchrlicher bekannt sein werden, doch nicht undenkbar. Die eingangs erw\u00e4hnte funktionelle Unabh\u00e4ngigkeit scheint n\u00e4mlich auch nicht vollst\u00e4ndig zu sein : man denke etwa an die Beziehung der Helligkeiten zu den Rot-Valenzen, oder an die theoretischen Vorstellungen G. E. M\u00fcllers \u00fcber die inneren Weifswerte farbiger Lichter.\nEin Mafs f\u00fcr die zeitliche Unterscheidungsf\u00e4higkeit haben wir in den Verschmelzungsfrequenzen, die bekanntlich definiert werden als die kleinste Zahl von ganzen Intermittenzperioden pro Sekunde, bei der kein Flimmern wahrgenommen wird. Meine Aufgabe war es, solche Frequenzen f\u00fcr verschiedene Farbenpaare zu bestimmen. Was die Wahl der Farben angeht, so bieten im Sinne des oben ausgef\u00fchrten entgegengesetzte Farben das meiste Interesse, also komplement\u00e4re, und unter diesen w\u00e4ren wiederum einfache Farben (Urfarben) zu bevorzugen, die im Sinne von Herings Vorstellungen die einfachsten Versuchsbedingungen geben m\u00fcfsten (ein Paar w\u00fcrde nur einen der beiden chromatischen Apparate zur T\u00e4tigkeit bringen). Bei der Schwierigkeit jedoch, unter Pigmentfarben solche aufzufinden, sah ich von einer genaueren Bestimmung oder Aufsuchung solcher Farben ab. Dagegen wurde, wo es","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Verschmelzungsfrequenzen von Farbenpaaren.\n119\nanging, das komplement\u00e4re Verh\u00e4ltnis mit m\u00f6glichster Genauigkeit festgehalten. Genaueres \u00fcber die angewendeten Farben folgt unten.\nUm durch solche Bestimmungen auch richtig die Unterscheidungsf\u00e4higkeit des chromatischen Apparates zu pr\u00fcfen, mufs das Mitwirken des achromatischen m\u00f6glichst ausgeschaltet werden. Der achromatische Apparat der St\u00e4bchen wird ausgeschlossen durch zentrales Fixieren bei geringer Feldgr\u00f6fse, ferner durch Helladaptation und Anwendung nicht zu geringer Lichtst\u00e4rken. Verwickelter steht\u2019s mit dem der Zapfen, da kein Teil der Netzhaut bekannt ist, wo der chromatische Apparat von diesem getrennt vorhanden w\u00e4re.1 Er kann also von der Beteiligung an der zeitlichen Unterscheidung nur dadurch ausgeschlossen werden, dafs ihm keine Beize geboten werden, die einer solchen Unterscheidung f\u00e4hig w\u00e4ren. Es sind also die Weifswerte der angewendeten Farben gleich zu machen. Setzen wir Weifswert = Helligkeit \u2014 auf das Recht oder Unrecht dieser Annahme wollen wir hier nicht eingehen \u2014, so haben wir Farben anzuwenden, die laut einer der heterochrom - photometrischen Methoden helligkeitsgleich sind. Bei der Schwierigkeit, \u00fcber die physiologische Bedeutung dieser Methoden zu urteilen, bliebe die Wahl der Methode zun\u00e4chst der Willk\u00fcr \u00fcberlassen. Doch bietet sich im gegebenen Falle die Methode der Flimmer\u00e4quivalenz nicht nur als die technisch bequemste, sondern auch theoretisch wohl richtigste oder doch einfachste dar ; wir d\u00fcrfen wohl annehmen, dafs die so erhaltenen Verschmelzungsfrequenzen, da sie ja der Definition der Flimmer\u00e4quivalenz gem\u00e4fs die kleinsten sind, am ehesten von Erregungsschwankungen in nur einem Apparate abh\u00e4ngig sein werden. Ich ging also so vor, dafs ich vor jeder einzelnen Bestimmung das Helligkeitsverh\u00e4ltnis der beiden Farben derart abstufte, dafs das Flimmern minimal wurde 2, und hierauf erst die zur Verschmelzung eben gen\u00fcgende Frequenz der Intermission auf suchte. Zur Herstellung\n1\tDer Einfachheit halber spreche ich in der \u00fcblichen Weise nur von der Netzhaut und ihren Elementen, womit nat\u00fcrlich gar nichts dar\u00fcber gesagt werden soll, ob die supponierten Apparate nicht vielmehr in den damit verbundenen Hirnteilen zu suchen seien.\n2\tS. hier\u00fcber ausf\u00fchrliches bei Polimanti: \u00dcber die sog. Flimmerphotometrie, (diese Zeitschrift 19, 263; auch i. d. Abhandlg. zur Physiol, d. Gesichtsempf. aus dem physiol. Inst. Freiburg i. B., 2. Heft, S. 83.\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 45.\t8","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nPaul v. Liebermann.\ndes gew\u00fcnschten Helligkeitsyerh\u00e4ltnisses gen\u00fcgt es nat\u00fcrlich, die Intensit\u00e4t einer der beiden Farben zu variieren. Um das bequem ausf\u00fchren zu k\u00f6nnen, verwendete ich f\u00fcr diese Farbe spektrales Licht, dessen Intensit\u00e4t durch Erweiterung und Verengerung des Kollimatorspaltes variiert werden konnte. Die Anordnung war im ganzen \u00e4hnlich der von Polimanti 1. c. beschriebenen. Der geradsichtige Spektralapparat erhielt sein Licht von einer Nernstlampe, der eine Mattscheibe vorgesetzt war, und sandte es durch den Ausschnitt (180 \u00b0)1 einer davor rotierenden farbigen Scheibe. Nahe davor befand sich ein mittelgrauer Schirm, der ein kreisf\u00f6rmiges Loch von 4,5 mm Durchmesser als Diaphragma hatte. Vom hier durchgelassenen Teil des Spektrums schnitt der 11 cm davor stehende Okularspalt einen schmalen Streifen aus. 1/2 bis 1 cm hinter dem Okularspalt befand sich das Auge des Beobachters, das den Rand des Diaphragmas scharf sah. Um Erm\u00fcdung durch Akkommodationsanstrengung zu vermeiden, war am Okularspalt eine Lupe von 7 D aufgeklebt. Die Feldgr\u00f6fse betrug also ca. 2 Vs Orad.\nIch beobachtete stets mit demselben (linken) Auge, w\u00e4hrend ich das andere verdeckt hielt. Die Beobachtungen geschahen bei Tageslicht, fast ausschliefslich in den Vormittagsstunden (11 bis 1 Uhr, im Februar und M\u00e4rz), um das Auge gen\u00fcgend helladaptiert zu halten. Freilich brachte das Arbeiten bei Tageslicht den Nachteil der oft wechselnden Beleuchtung mit sich, der zwar durch erneutes Aufsuchen des Flimmerminimums vor jeder Bestimmung tunlichst vermieden wurde, aber doch nicht ganz ausgeschlossen werden konnte, da an wolkigen Tagen die Beleuchtung oft rasch wechselt und sich selbst w\u00e4hrend einer einzigen Bestimmung ver\u00e4ndern kann. Da dies nur auf die Helligkeit der farbigen Scheibe \u2014 nicht auf die des Spektrallichtes \u2014 Einflufs hat, so mufs beim Wechsel der Bew\u00f6lkung die eingestellte Flimmer\u00e4quivalenz ung\u00fcltig werden, wodurch dann die Verschmelzungsfrequenzen zu hoch ausfallen. Doch\n1 Ein Ausschnitt von 180 Grad hat mehreren kleineren gegen\u00fcber den Vorteil, dafs erstens die Perioden streng identisch werden, zweitens f\u00fcr jede einzelne Frequenz der Intermission die gr\u00f6fstm\u00f6gliehe Geschwindigkeit erforderlich ist, so dafs Ungleichm\u00e4fsigkeiten der Scheibe am wenigsten st\u00f6ren. Auf die Bedeutung dieses Umstandes haben Schenck u. Just aufmerksam gemacht. (\u00dcber intermittierende Netzhautreizung 9, Pfl\u00fcgers Archiv 82, S. 192.)","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Verschmelzungsfrequenzen von Farbenpaaren.\n121\nglaube ich, dafs diese Fehlerquelle den Wert der erhaltenen Zahlen nicht allzusehr beeintr\u00e4chtigt, da die an klaren Tagen gefundenen Werte von denen bei wechselnd bew\u00f6lktem Himmel keine typische Abweichung in diesem Sinne zeigen, oft auch eine im entgegengesetzten, so dafs diese Schwankungen offenbar durch anders begr\u00fcndete \u00fcbert\u00f6nt werden. Auch hat ein Versuch gezeigt, dafs geringe Abweichungen des Helligkeitsverh\u00e4ltnisses vom optimalen keinen merklichen Einflufs auf die Verschmelzungsfrequenz haben. (Genaueres in den Tabellen.)\nAuf streng zentrales Fixieren habe ich stets geachtet.1\nDie meisten Beobachtungen habe ich an Farben von betr\u00e4chtlicher S\u00e4ttigung ausgef\u00fchrt, indem ich zur spektralen eine m\u00f6glichst satte Pigmentfarbe als Paar w\u00e4hlte. Einige Versuche wurden zum Vergleich auch mit unges\u00e4ttigten Farben ausgef\u00fchrt, wovon sp\u00e4ter. Im folgenden ist von den Versuchen mit ges\u00e4ttigten Farben die Rede.\nZwei Farbenpaare wurden zur Beobachtung verwendet. 1. Ein rein aussehendes Blau (Pigmentfarbe) mit einem spektralen Gelb von 568 (.ui (der komplement\u00e4ren). Zu vielen Versuchen nahm ich auch 574 /au, das gew\u00f6hnlich als reines Gelb bezeichnet wird (mir etwas gr\u00fcnlich erscheint). Der Unterschied der beiden Wellenl\u00e4ngen war zu gering, einen merklichen Unterschied im Ergebnis zu machen. 2. Ein mir rein erscheinendes Rot (Pigmentfarbe), das allerdings in der dichromatischen Zone gelb erschien, mit einem spektralen Gr\u00fcnblau von 492 iqq wiederum der komplement\u00e4ren. Die Anordnung bot die M\u00f6glichkeit, die Komplement\u00e4re mit ziemlicher Genauigkeit aufzusuchen, da ich durch Verschieben des Kollimatorrohres das Spektrum \u00fcber den Okularspalt hinwandern lassen konnte. Liefs ich nun die farbige Scheibe mit solcher Geschwindigkeit rotieren, dafs die Farben verschmolzen, so konnte ich Licht jeder beliebigen Wellenl\u00e4nge mit der Pigmentfarbe mischen und durch Variieren der Weite des Kollimatorspaltes das Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis aufsuchen, bei dem die Mischung am wenigsten farbig er-\nDa das Urteil \u00fcber Flimmern oder \u201estetige Empfindung\u201c an der Grenze schwierig ist, und man bei l\u00e4ngerer Betrachtung im Urteil schwankt, so w\u00e4re es wohl von Vorteil, das Urteil stets nur nach einem kurzen Blick auf das Feld, nach dem dabei empfangenen ersten Eindruck, zu f\u00e4llen. Es wird dies durch die Notwendigkeit streng zentralen Fixierens, zumal bei einem Felde, das nicht als Punkt aufgefafst wird, erschwert.\n8*","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nPaul v. Liebermann.\nschien; f\u00fcr einen kleinen Bereich von Wellenl\u00e4ngen war diese\nbl\u00e4sseste Mischung farblos.\t#\t.\nBei der Ausf\u00fchrung der Verschmelzungsversuche ging ich\nnun, wie schon erw\u00e4hnt, so vor, dafs ich zun\u00e4chst bei einer beliebigen unterkritischen Frequenz der Intermission die Weite des Kollimatorspaltes aufsuchte, bei der das Flimmern minimal wurde. Wie Polimanti 1. c. ausf\u00fchrt, ist es nat\u00fcrlich am vorteilhaftesten, diese Frequenz so zu w\u00e4hlen, dafs das Flimmern bei einem bestimmten Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis eben ganz aufh\u00f6rt. In diesem Falle f\u00e4llt die Bestimmung des Flimmerminimums mit der der Verschmelzungsfrequenz zusammen. Da es jedoch Sache des Zufalls ist, ob man diese Frequenz trifft, und da sich das Flimmerminimum auch bei kleineren Frequenzen, wo also auch beim g\u00fcnstigsten St\u00e4rkeverh\u00e4ltnis etwas Flimmern bestehen bleibt, sehr gut aufsuchen l\u00e4fst (was ebenfalls schon Polimanti angegeben hat), so ging ich ans von einer solchen, nicht gar zu kleinen Frequenz, die ich bei jedem Versuche aufs neue beliebig w\u00e4hlte, suchte die g\u00fcnstigste Weite des Kollimatorspaltes auf, behielt dann diese Weite bei und steigerte die Rotationsgeschwindigkeit der Scheibe allm\u00e4hlich, bis die Empfindung eben \u201estetig\u201c erschien.1 Die hierbei erreichte Zahl der Umdrehungen in der Sekunde registrierte ich, und hatte so die gew\u00fcnschte Zahl. Die Ver\u00e4nderung der Geschwindigkeit der elektrisch betriebenen Scheibe geschah durch Ver\u00e4nderung eines stetig abstufbaren Widerstandes. W\u00e4hrend ich die Frequenz steigerte, blickte ich nicht st\u00e4ndig auf das Beobachtungsfeld, sondern ich liefs den Blick, wenn das Urteil \u201estetig oder nicht gef\u00e4llt war, auf der sehr blafs gef\u00e4rbten (schwach gelblichen) Wand ruhen, w\u00e4hrend ich die n\u00e4chste Frequenz emsteilte.\nEine Versuchsreihe bestand aus 5 bis 10 hintereinander ausgef\u00fchrten Bestimmungen; nach jeder Bestimmung wurde eine Ruhepause von einigen Minuten eingeschaltet.\nUm einigermafsen beurteilen zu k\u00f6nnen, wie weit die Beleuchtung w\u00e4hrend einer Versuchsreihe konstant blieb, las ich bei jeder einzelnen Bestimmung die zum I limmerminimum erforderliche Weite des Kollimatorspaltes ab und berechnete f\u00fcr\n1 Bei der nicht unbedeutenden Streuung der Zahlen h\u00e4tte die Anwendung des auf- und absteigenden Verfahrens kaum wesentlich genauere Werte ergeben.","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Verschmelzungsfrequenzen von Farbenpaaren.\n123\njede Beobaehtungsreihe die mittlere Abweichung dieser Spaltweiten. Wollte ich hier den relativen Fehler der Ablesungen nicht gar zu grofs bekommen, so mufsten sehr kleine Spaltweiten vermieden werden. Bei den Versuchen mit blauer Scheibe und spektralem Gelb war gleiche Helligkeit, d. h. Flimmer\u00e4quivalenz, nur bei sehr engem Spalte vorhanden; in diesen F\u00e4llen schw\u00e4chte ich das Licht der Nernstlampe durch ein bis zwei Milchgl\u00e4ser ab). Kommt es auf die Kenntnis der Spaltweiten gar nicht an, so sind enge Spalte vorzuziehen, da sie nach dem WEBERschen Gesetze eine sch\u00e4rfere Einstellung des Flimmerminimus gestatten, wovon man sich leicht \u00fcberzeugen kann. (Dieselbe absolute \u00c4nderung der Spaltweite ist bei engem Spalt relativ gr\u00f6fser, wodurch eine genaue Einstellung, wenigstens subjektiv, sehr erleichtert wird.)\nDie Versuche, bei denen vor der Bestimmung der Verschmelzungsfrequenz die Farben flimmer\u00e4quivalent gemacht werden, k\u00f6nnen wir \u201eVersuche unter besten Bedingungen\u201c oder Optimalversuche nennen. Zur Orientierung dar\u00fcber, in welchem Mafse die Bedingungen durch ungleiche Helligkeit der intermittierenden Farben verschlechtert werden, habe ich einige Versuche ausgef\u00fchrt, wo ich die Helligkeiten in verschiedenem Grade ungleich machte. In einer Gruppe von Versuchen verschlofs ich den Spalt ganz, so dafs die Pigmentfarbe mit Schwarz inter-mittierte. In einer anderen erweiterte ich den Spalt auf das 1,1-, 1,5- und 2,0-fache der optimalen Weite. Ich ging dabei so vor, dafs ich zun\u00e4chst eine Anzahl von optimalen Beobachtungen ausf\u00fchrte, von den dabei angewandten Spaltweiten das Mittel nahm, dieses mit 1,1 resp. 1,5 multiplizierte, und die so gefundene Spaltweite f\u00fcr die unmittelbar folgenden Versuche einstellte und beibehielt. Auch bei den Versuchen mit \u201eFarbe + Schwarz\u201c machte ich unmittelbar davor eine Reihe optimaler Beobachtungen, da mir der Vergleich der nicht optimalen Werte mit den optimalen so am sichersten erschien.\nNach Abschlufs der Versuche mit satten Farben ging ich zu unges\u00e4ttigten \u00fcber. Die angewandten Farbenpaare waren Himmelblau -f- Gelb und Rosa -j- Gr\u00fcn. Gelb und Gr\u00fcn waren die Pigmentfarben der rotierenden Scheibe. Die anderen beiden erhielt ich, indem ich das Prisma aus dem Spektralapparat entfernte und der Lampe farbige Gl\u00e4ser vorsetzte. Bei der Herstellung des Rosa fand ich nur die dunkelsten Rubingl\u00e4ser in-","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nPaul v. Liebermann.\ntensiv genug gef\u00e4rbt, eine deutliche Farbe zu liefern. Diese Gl\u00e4ser gaben aber ein so sattes Rot, dafs ich durch Vorsetzen eines Milchglases, wovon weifses Licht ins Kollimatorrohr reflektiert ward, Weifs zumischen mufste. Die dadurch bewirkte Schw\u00e4chung des Lichtes hatte die unliebsame Folge, dafs ich gezwungen war, sehr weite Spalte anzuwenden, wmdurch die Einstellung der Flimmer\u00e4quivalenz ungemein erschwert wird (s. oben).\nNat\u00fcrlich konnte bei diesen Versuchen das komplement\u00e4re Verh\u00e4ltnis nicht genau eingehalten werden. Vielmehr hatte die \u201ebl\u00e4sseste Verschmelzungsfarbe\u201c beim Blaugelbpaar einen allerdings sehr blassen r\u00f6tlichen Ton, beim Rotgr\u00fcnpaar einen nicht sehr blassen gelben. \u2014\nEs w\u00e4re freilich w\u00fcnschenswert gewesen, die zu verschmelzenden Farben nicht nur in gleicher Helligkeit, sondern auch in gleicher S\u00e4ttigung anzuwenden. Selbst wenn wir Methoden f\u00fcr heterochrome S\u00e4ttigungsvergleichung bes\u00e4fsen, w\u00e4re dies eine schwere Aufgabe gewesen. Ob es berechtigt ist, bei komplement\u00e4ren Paaren die beiden Farben dann als s\u00e4ttigungsgleich zu betrachten, wenn sie bei gleicher Helligkeit ein farbloses Gemisch geben, steht dahin. Jedenfalls aber gibt die Verschmelzungsfarbe, die bei gleicher Helligkeit erhalten wird, eine gewisse Vorstellung vom Verh\u00e4ltnis der beiden S\u00e4ttigungsgrade, ich f\u00fchre also diese Farbe im folgenden an:\n1.\tF\u00fcr die Paare : Sattes Pigmentblau -f- 574 resp. 568 liu : ein unges\u00e4ttigtes, aber doch sehr deutliches Blau.\n2.\tF\u00fcr das Paar : Sattes Pigmentrot -f- 492\t: Grau. (Dieses\nPaar w\u00e4re also nach dem oben angedeuteten Prinzip s\u00e4ttigungsgleich.)\n3.\tF\u00fcr Himmelblau -j- Gelb : Ein etwas r\u00f6tliches Hellblau.\n4.\tF\u00fcr Rosa-|-(xr\u00fcn : Ein blasses Orange.\nDa die Einstellung gleicher Helligkeit nicht ganz konstant ist, so schwanken diese Farben ein wenig; f\u00fcr die unmittelbare Beobachtung allerdings sehr unbedeutend.\nIch lasse nun die tabellarische Zusammenstellung der Ergebnisse folgen. Zun\u00e4chst sind die einzelnen Versuchsreihen f\u00fcr jedes einzelne Farbenpaar in chronologischer Folge angef\u00fchrt; sie bestehen, wie erw\u00e4hnt, aus unmittelbar hintereinander ausgef\u00fchrten Beobachtungen. Die nicht optimalen Reihen sind durch besonderen Druck unterschieden; eine Klammer deutet an, dafs die davor stehenden optimalen Zahlen unmittelbar da-","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Versclimelzimgsfreqiienzen von Farbenpaaren.\n125\nvor erhalten wurden. Auf die einzelnen Reihen folgt eine Zusammenstellung der Gesamtmittel.\nEinzelne Versuchsreihen.\nDurchschnittliche\tMittlere\t\tDurchschn.\tMittlere\t\nVerschmelzungs-\tAbweichung\tn\tSpaltweite Abweichg.\t\nfrequenz\t\t\t(0,1 mm).\t\n\tSattes Blau -f- 568 fiu\t\t\t\n17,1\t0,7\t10\t23 V\u00ab\t3%\n18.1\t1,1\t10\t23 %\t2\n\tSattes Blau -f- 574 uu\t\t\t\n16,5\t1,0\t5\t20 V*\tiv.\n16,9\t1,1\t10\t23\t2 Va\n12,7\t1,7\t5\t7\t0,9\n12,1\t1,5\t8\t5\t0,6\n16,1\t2,2\t5\t17\t5 Va\n19,1\t1,6\t5\t00\t3\n( 22,5\t3,6\t5\t25\t4 Va\nX 32,0\t1,3\t5\t0\t0\n18,1\t0,6\t5\t36\t0,8\ni 20,3\t2,6\t5\t38\t3 Va\nV 32,7\t1,0\t5\t76 \u2014 2,0 opt.\t0\n( 19,5\t2,2\t5\t27 Vb\t0,7\nX 18,6\t0,8\t10\t30 = 1,1 opt.\t0\n\tHimmelblau + Gelb\t\t\t\n23,2\t1,5\t10\t25 Vb\t2 V.\n24,0\t0,8\t7\t32\t5 Vb\n22,1\t1,6\t10\t25 Vb\t6\n\tSattes\tRot -j- 492 uu\t\t\n24,0\t3,0\t7\t15 Va\t7\n24,7\t1,0\t8\t23\t0,7\n23,1\t0,9\t10\t25\t4\n20,6\t1,7\t5\t12\t5 Va\n/ 21,3\t1,9\t5\t9\t2\n1 31,0\t2,1\t5\t0\t0\n25,3\t1,8\t5\t39 Vb\t4\ni 23,5\t1,4\t5\t29\t2\nX 36,1\t1.0\t5\t58 = 2,0 opt.\t0\n/ 22,2\t1,4\t0\t18\t1,5\n1 28,9\t0,8\t10\t27 = 1,5 opt.\t0\n\tRosa -f- Gr\u00fcn\t\t\t\n25,5\t1,4\t10\t108\t24\n26,3\t1,5\t10\t71\t9\n\tSattes Rot -f- 574 uu\t\t\t\n24,1\t3,0\t10\t50 Va\t10 V2","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"3 Durchschnittliche Verschmelzungs-\tPaul v. Liebermann. Gesamtmittel. Mittlere\tZahl der Abweichung\tBestimmungen\t\tSpaltweite\nfrequenz 17,6\tSattes Blau + 568 0,9\t20\toptimal\n17,1\tSattes Blau -f- 574 it/u 1,7\t58\toptimal\n18,6\t0,8\t10\t1,1 opt.\n32,7\t1,0\ttor .\u00bb\t2,0 opt.\n32,0\tSattes Blau + Schwarz 1,3\t5\t0\n23,1\tHimmelblau + Gelb 1,4\t27\toptimal\n23,2\tSattes Rot -j- 492 1,6\t50\toptimal\n28,9\t0,8\t10\t1,5 opt.\n36,1\t1,0\tP* 9\t2,0 opt.\n31,0\tSattes Rot -|- Schwarz 2,1\t5\t0\n25,9\tRosa -f- Gr\u00fcn 1,5\t20\toptimal\n24,1\tSattes Rot-(-574 uu 3,0\t10\toptimal\nWie ersichtlich,\tzeigen die f\u00fcr ein-\tund dasselbe\tFarben-\npaar gefundenen Zahlen nicht unbedeutende Schwankungen. Insbesondere fallen zwei der Blaugelbwerte sehr aus der Reihe, indem sie wesentlich niedriger als der Durchschnitt liegen. Ich kann keinen Grund hierf\u00fcr angeben. Vielleicht gibt es flinkere und tr\u00e4gere Stimmungen des Sehorgans. Diese abnormen Reihen\ngeh\u00f6ren \u00fcbrigens zu den ersten, die ich ausf\u00fchrte, was an einen\n\u2022 \u2022\nEinflufs der \u00dcbung denken l\u00e4fst.\nIm Gegensatz zu diesen niedrigen Zahlen beobachtete ich\ngelegentlich innerhalb einer Versuchsreihe sehr hohe\nFrequenzen, die g\u00e4nzlich aus der Reihe fielen. Dies mag allen-\n\u2022 \u2022\t__\nfalls an raschen \u00c4nderungen der Beleuchtung gelegen haben, wovon schon die Rede war. Die zuweilen etwas hohen Werte der mittleren Variationen r\u00fchren zum Teil von einzelnen solchen hohen Frequenzen her, die den sonst gleichm\u00e4fsigen Verlauf der Reihe st\u00f6ren.\nDie Tabellen zeigen, dafs unter den als optimal bezeichneten Bedingungen, (n\u00e4mlich Wechsel von Lichtern verschiedener","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"Verschmelzungsfrequenzen von Farbenpaaren.\n127\nFarbe, aber gleicher Helligkeit im Sinne der Flimmer\u00e4qnivalenz) Verschmelzungsfrequenzen erhalten werden die zwischen 17 und 26 p. Sek. liegen. Diese Werte liegen ja nun sehr viel niedriger als die in der Literatur f\u00fcr den Fall der Intermission angegebenen, die sich etwa zwischen 40 und 60 p. Sek. bewegen.1 Indessen w\u00fcrde man den Unterschied des Helligkeits- und des Farbenwechsels doch wohl stark \u00fcbersch\u00e4tzen, wenn wir die Zahlen in dieser Weise sich gegen\u00fcberstellen wollten. Denn es ist ja bekannt, wie sehr im ersteren Falle die Verschmelzungsfrequenzen von verschiedenen Umst\u00e4nden, namentlich von der absoluten Helligkeit, aber auch der Feldgr\u00f6fse u. a. abh\u00e4ngen. Ich habe in meinen Versuchen auch bei Wechsel eines Lichtes mit Schwarz (verschlossenem Spalt) nur relativ niedrige Verschmelzungsfrequenzen erhalten (3L und 32 pro Sek.). Es ist daher wohl wahrscheinlich, dafs auch f\u00fcr den Wechsel der Farbe h\u00f6here Zahlen als die von mir gefundenen unter anderen Bedingungen erhalten werden w\u00fcrden. Die hier gewonnenen Zahlen k\u00f6nnen, wie schon eingangs bemerkt nur die Bedeutung einer ersten Orientierung auf dem an sich ziemlich ausgedehnten Gebiete beanspruchen.\nDeutlicher als in den Beobachtungen Polimantis tritt bei mir der Einflufs hervor, den eine Abweichung von der Flimmer\u00e4quivalenz auf die Verschmelzungsfrequenz aus\u00fcbt. Beim Blaugelbpaar ist allerdings noch kein merklicher Unterschied da, wenn das Gelb auf 1,1 der optimalen Intensit\u00e4t verst\u00e4rkt ist, ein sehr deutlicher aber schon bei der Verst\u00e4rkung aufs Doppelte. Beim Rotgr\u00fcnpaar macht sich eine Erh\u00f6hung des Gr\u00fcn auf 1,5 der optimalen St\u00e4rke schon sehr deutlich bemerkbar, noch mehr die Verdoppelung. Stark erh\u00f6ht wird die Frequenz auch durch Herabsetzung einer der beiden Intensit\u00e4ten auf Null.\nWie die Tabellen lehren, haben die Versuche durchweg h\u00f6here Frequenzen f\u00fcr Rot -j- Gr\u00fcn ergeben, als f\u00fcr Blau -j- Gelb. Das kann in Verschiedenheiten der An- und Abklingungszeiten der chromatischen Apparate seinen Grund haben. Wenn etwa die besten Verschmelzungsbedingungen (Flimmer\u00e4quivalenz) beim Rotgr\u00fcnpaar weniger genau hergestellt gewesen w\u00e4ren als beim Blaugelbpaar (ich meine die Versuche mit satten Farben und\n1 Bei sehr hohen Lichtst\u00e4rken erhielt Cords neuerdings Werte bis zu 160 pro Sek. Archiv f. Ophthalm. 67 (1), S. 149.","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128\nPaul v. Liebermann.\nSpektrallichtem), so m\u00fcfste das in den mittleren Abweichungen der Spalt weiten zum Ausdruck kommen, was nicht der Fall ist. Allerdings mag bemerkt werden, dafs die Einstellung des Flimmerminimums beim Blaugelbpaar subjektiv leichter empfunden wurde. \u2014 Dafs etwa Mischfarben \u00fcberhaupt schwerer verschm\u00f6lzen, als reine (das Rotgr\u00fcnpaar bestand, wie erw\u00e4hnt, aus einem Blaugr\u00fcn und einem peripherisch gelb erscheinendem Rot), erscheint nicht undenkbar, doch ist dar\u00fcber vorderhand nichts auszusagen.\nWir kommen zum Einflufs des S\u00e4ttigungsgrades. Da eine stete Verminderung der S\u00e4ttigung zweier gleich heller Farben zu zwei identischen Graut\u00f6nen f\u00fchren mufs, wenn die gleiche Helligkeit gewahrt bleibt, so ist es klar, dafs bl\u00e4ssere Farben kleinere Frequenzen ergeben m\u00fcssen. Die Frage ist nur quantitativer Art : w o dies merklich wird und in welchem Mafse. Dafs meine Versuche das Gegenteil zeigen, daf\u00fcr gibt die Erkl\u00e4rung erstens der Umstand, dafs ich als blasse Farben nicht genau dieselben Farben t\u00f6ne verwenden konnte, wie als satte1, zweitens dafs meine Pigmentfarben, insbesondere das Gr\u00fcn, nicht sehr unges\u00e4ttigt waren. Beim Farbenpaar Rosa-f- Gr\u00fcn k\u00f6nnen auch die ung\u00fcnstigen Bedingungen zum Aufsuchen der Flimmer\u00e4quivalenz im Spiele gewesen sein. F\u00fcr eine Beantwortung der aufgeworfenen Fragen m\u00fcfste man eine Serie von S\u00e4ttigungsgraden einer Farbe herstellen, und die aufgez\u00e4hlten Fehlerquellen ausschliefsen.\nDie Bedeutung des entgegengesetzten (komplement\u00e4ren) Verh\u00e4ltnisses f\u00fcr die Verschmelzung zu untersuchen, wTar nicht beabsichtigt; doch f\u00fchrte ich zum Vergleich eine (optimale) Beobachtungsreihe mit den nicht kontr\u00e4ren Farben Rot und Gelb aus (satt rote Scheibe, dieselbe wie bei den Rotgr\u00fcnversuchen, und spektrales Gelb von 574 jn/n). Die Verschmelzungsfrequenz war innerhalb der Beobachtungsschwankungen dieselbe wie f\u00fcr Rot und 492 ^i.\nHerrn Professor von Kries und Herrn Professor Trendelenb\u00fcro geb\u00fchrt f\u00fcr die Anregung und freundliche Unterst\u00fctzung der Arbeit mein herzlicher Dank.\n1 Inwieweit \u00fcberhaupt die Qualit\u00e4t bei \u00c4nderung der S\u00e4ttigung beibehalten werden kann, braucht hier nicht diskutiert zu werden.","page":128}],"identifier":"lit33582","issued":"1911","language":"de","pages":"117-128","startpages":"117","title":"Verschmelzungsfrequenzen von Farbenpaaren","type":"Journal Article","volume":"45"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:48:50.644518+00:00"}