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{"created":"2022-01-31T13:21:26.810237+00:00","id":"lit33587","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Siebrand","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 45: 204-216","fulltext":[{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204\n(Ans dem physiologischen Institut der Universit\u00e4t Rostock.)\nUntersuchungen \u00fcber den K\u00e4ltesinn.\nVon\ncand. med. Siebrand.\n1. Einleitung.\nAuf Anregung meines verehrten, leider so fr\u00fch verstorbenen Lehrers, Herrn Prof. Nadel, habe ich im physiologischen Institut zu Rostock einige Untersuchungen \u00fcber den K\u00e4ltesinn vorgenommen, deren Resultate ich im folgenden niederlegen m\u00f6chte. Ich ging dabei von der Tatsache aus, dafs \"V ersuche \u00fcbei die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr K\u00e4lte- und W\u00e4rmereize meist zu einer Zeit angestellt waren, als man besondere K\u00e4lte- und W\u00e4rmeendorgane noch nicht kannte. Dadurch fehlte eine Auseinanderhaltung der beiden Reize, und die Versuche waren unklar. Auf diese Unterschiedsempfindlichkeit beziehen sich daher meine Untersuchungen, und zwar wurde bei einer Versuchsreihe die Unterschiedsempfindlichkeit bei verschiedener Temperatur und gleichartiger Reizung, bei einer zweiten Reihe das Unterscheidungsverm\u00f6gen bei gleicher Temperatur und verschiedenartiger Reizung gepr\u00fcft. Aufserdem stellte ich noch einige Versuche \u00fcber die absolute Reizschwelle an, die ich den eben erw\u00e4hnten Untersuchungen vorausschicken m\u00f6chte.\nEhe ich darauf eingehe, d\u00fcrfte es vielleicht zweckdienlich sein, einen kurzen Blick auf die Literatur der Temperatursinne zu werfen. Obwohl auch auf diesem Gebiete Weber als bahnbrechend angesehen werden mufs, wurden genauere Untersuchungen doch erst m\u00f6glich durch die Entdeckung der K\u00e4lte-und W\u00e4rmepunkte durch Blix im Jahre 1882. Schon viel fr\u00fcher hatten Weber und Hering \u00fcber den ad\u00e4quaten Reiz f\u00fcr die","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber den K\u00e4ltesinn.\n205\nTemperaturorgane ihre Theorien aufgestellt, welche dann den durch die Entdeckung von Blix gegebenen Verh\u00e4ltnissen entsprechend modifiziert wurden. Die Frage der G\u00fcltigkeit der einen oder der anderen Theorie ist jedoch zurzeit noch nicht entschieden. Eingehend dar\u00fcber schreibt Thunberg 1 in Nagels Handbuch der Physiologie. Goldscheider 2 untersuchte die St\u00e4rke der Temperaturempfindungen und gab eine Empfindlich-keitseinteiiung des K\u00f6rpers f\u00fcr den K\u00e4lte- und W\u00e4rmesinn; auch best\u00e4tigte er als erster die Bnixsche Entdeckung. Die Empfindlichkeit der Temperatursinne pr\u00fcften auch Leegaard 3 und Thunberg4 * 6. Ersterer f\u00fchrte f\u00fcr die Indifferenztemperatur \u2014 die Ber\u00fchrungstemperatur, die weder als kalt noch als warm empfunden wird und von Hering als physiologischer Nullpunkt bezeichnet worden war \u2014 den Ausdruck \u201ethermische Indifferenzbreite\" ein, da sie auf der Thermometerskala eine kleine Strecke yon ca. 0,50 C einnimmt. Die Schwellenwerte der Temperaturreize wurden von Eulenburg 5 gemessen, der auch eine W\u00e4rme-und K\u00e4ltesinnesskala aufstellte (N\u00e4heres siehe wieder Nagels H. d. Ph.). Unter den neuesten Untersuchungen endlich seien die von Alrutz 6 angef\u00fchrt. Alrutz untersucht in seiner Arbeit die auf der gleichzeitigen Reizung der K\u00e4lte- und W\u00e4rmeendorgane beruhende Hitzeempfindung und die paradoxe K\u00e4lteempfindung, besonders in bezug auf ihre Latenzzeit und Reizschwelle. Aufser-dem unterzieht er die Topographie des W\u00e4rmesinnes einer Revision, da die GoLDscHEiDERsehen Karten nicht genau sind. Goldscheider hatte n\u00e4mlich wahrscheinlich durch zu hohe Temperaturen auch die K\u00e4lteendorgane gleichzeitig mitgereizt. Alrutz findet drei Intensit\u00e4tsstufen f\u00fcr den W\u00e4rmesinn des ganzen K\u00f6rpers (Goldscheider erheblich mehr) und glaubt, dafs die K\u00e4lteempfindlichkeit bei K\u00e4ltereizen st\u00e4rker ist und mehr Feinheitsgrade auf weist.\n1\tF. Thunberg, Physiologie der Druck-, Temperatur- und Schmerzempfindungen. Nagels Handb. d. Physiol. Bd. 3 S. 647. 1905.\n2\tGoldscheider, Eine neue Methode der Temperatursinnepr\u00fcfung. Archiv f. Psychiatrie u. Nervenkrankheiten 1887.\n3\tVgl. Thunberg 1. c.\n4\tThunberg, Unders\u00f6kningar \u00f6fver hudsinnenas fysiologi. Upsala L\u00e4kare-f\u00f6renings F\u00f6rhandlingar XXX.\n0 Eulenburg, Zeitschrift f\u00fcr klinische Medizin, 1886.\n6 Alrutz, Untersuchungen \u00fcber die Temperatursinne. Zeitschrift f\u00fcr Physiologie und Psychologie der Sinnesorgane, 1908.","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206\nSiebrand.\n2. Methodik.\nWas zun\u00e4chst die Methodik anlangt, so verwandte ich f\u00fcr meine Versuche kompakte Messingzylinder, die an dem einen Ende eine Ausbohrung hatten. In diese war mittels Gummist\u00f6psels ein Thermometer eingesetzt. Der Zwischenraum zwischen Thermometer und Metallwandung war mit Quecksilber ausgef\u00fcllt, um einen m\u00f6glichst guten Kontakt zu geben. Das andere Ende (Reizende) des Messingzylinders trug je nach der Art des Versuches eine ziemlich scharfe Spitze, eine abgestumpfte Spitze (ca. 11/2\u20142 mm Durchmesser) oder eine ebene Fl\u00e4che von ca. 12 mm Durchmesser. Letztere wird im Verlauf der Untersuchung als Gr\u00f6fse I a bezeichnet. Als Handhabe f\u00fcr die Messingzylinder diente ein dar\u00fcber geschobener Kork. Von einer Zirkulation des Wassers in den Reizapparaten wurde also g\u00e4nzlich abgesehen, da die einzelnen Versuche stets nur ganz kurze Zeit dauerten und eine etwaige Abk\u00fchlung resp. Erw\u00e4rmung an den Thermometern sofort kontrolliert werden konnte. Der Versuch, durch Isolation der Zylinder mit Filz die W\u00e4rmeausstrahlung zu vermindern, ergab kein befriedigendes Resultat, so dafs ich auch davon absah. Zu einigen Versuchen endlich, bei denen zwei Reizapparate mit Fl\u00e4chen erforderlich waren, verwandte ich zwei Eisenst\u00e4be mit einer Reizfl\u00e4che von 12 mm und 6 mm Durchmesser, die als Gr\u00f6fse Ib und Gr\u00f6fse II bezeichnet werden. Da sie nur bei der zweiten Versuchsreihe gebraucht wurden, waren bei ihnen Thermometer nicht unumg\u00e4nglich notwendig. Als Versuchspersonen hatten sich mir in liebensw\u00fcrdiger Weise zur Verf\u00fcgung gestellt Herr stud. med. Timm und Herr Westien jun. ; bei den Versuchen mit diesen Herren diente ich also als Experimentator. Aufserdem hatte Herr Privatdozent Dr. Wintee-stein die G\u00fcte, mich bei meiner Arbeit mit Rat und dat zu unterst\u00fctzen und bei den Versuchen an mir selbst die Rolle des Experimentators zu \u00fcbernehmen (vgl. Fig. 1\u20143).\n3. Die absolute Reizschwelle.\nMeine ersten Versuche beziehen sich, wie schon erw\u00e4hnt, auf die absolute Reizschwelle, d. h. die m\u00f6glichst dicht unter dem physiologischen Nullpunkt gelegene Temperatur, die an K\u00e4ltepunkten schon K\u00e4lteempfindung gibt. (Selbstverst\u00e4ndlich","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber den K\u00e4ltesinn.\n207\nist hier nur von der normalen, nicht von der paradoxen K\u00e4lteempfindung die Rede.) Der physiologische Nullpunkt wiederum ist, wie schon Leegaard nachgewiesen hat, innerhalb gewisser\nFi g. 1.\nK\u00e4ltepunktbezirk bei mir. Daumenballen und Handteller.\nFig.\n2.\nK\u00e4ltepunktbezirk bei Herrn Timm. Volar-Unterarm.\nFig. 3.\nK\u00e4ltepunktbezirk bei Herrn Westien.\nVolare Handgelenkgegend.\nGrenzen abh\u00e4ngig von der Hauttemperatur. Bei diesen Versuchen fand ich nun, dafs die absolute Reizschwelle keineswegs f\u00fcr alle K\u00e4ltepunkte dieselbe ist, sondern dafs hierbei Verh\u00e4ltnis-","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208\nSiebrand.\nm\u00e4fsig erhebliche Unterschiede bestehen. Die Versuche wurden angestellt sowohl an nackten Hautstellen (Daumenballen) wie auch an solchen, die gew\u00f6hnlich bekleidet sind (Unterarm). Es reagierten nun bei einem Versuch an der Volarseite des linken Unterarms von 45 K\u00e4ltepunkten 10 bereits bei einer Temperatur von ca. + 29,5 0 C kalt, die \u00fcbrigen bei + 27 0 bis 28 0 C ; ebenso am Daumenballen einige bei + 28,50 C, die anderen bei + 27,5\u00b0 bis 28 0 C, bei einem zweiten Versuch eine Anzahl bei -[\u201c27,50 C, die \u00fcbrigen erst bei + 260 C (bei Herrn Timm und bei mir). Worauf diese Tatsache beruht, konnte ich nicht feststellen. Es kommen da aber wohl vor allem zwei M\u00f6glichkeiten in Betracht, n\u00e4mlich entweder besitzen die einzelnen K\u00e4ltepunkte in der Tat eine verschiedene Empfindlichkeit, oder aber ihre Nervenendigungen liegen verschieden tief in der Haut, so dafs vielleicht die Reizleitung bei den oberen schneller resp. intensiver stattfindet wie bei den tiefer liegenden.\nWie ich oben anf\u00fchrte, wechselt die Indifferenztemperatur ihre Lage mit der Hauttemperatur. Nach Leegaard betr\u00e4gt sie normal 28\u201429 0 C (nach meinen Resultaten etwas mehr), ist am bedeckten K\u00f6rper nicht niedriger als 280 und nicht h\u00f6her als 300 C, kann aber an nackten Hautstellen bis 23 0 herunter und \u00fcber 33 0 hinaufgehen (s. Thunberg in Nagels H. d. Ph.). Diese Werte sind aber noch keine Extreme, wof\u00fcr ich folgenden Versuch anf\u00fchren kann : Es wurden drei K\u00e4ltepunkte am linken Unterarm, also an einer bekleideten Hautstelle, auf gesucht, deren Reizschwelle bei einer Hauttemperatur von -f- 340 C bei 30 0 G lag. Dann wurde die Hauttemperatur auf ca. 39 0 bis 400 C erh\u00f6ht, und es ergab sich auch eine Erh\u00f6hung der Reizschwelle auf + 35 0 C und damit der Indifferenztemperatur auf \u00fcber 35 0 C. Darauf wurde die Hautstelle abgek\u00fchlt, indem sie bei einer Zimmertemperatur von ca. 180 C eine Stunde lang unbedeckt blieb. Die Hauttemperatur betrug danach nicht ganz 33 \u00b0C, und die Reizschwelle der drei K\u00e4ltepunkte wrar auf -}- 29 0 C gesunken, damit also die Indifferenztemperatur auf etwas \u00fcber 290 C. Aus diesem letzten Versuch ergibt sich zugleich, dafs der Arm als bekleidete Hautstelle normal eine etwas h\u00f6here Temperatur hat wie z. B. der Daumenballen (340 gegen 33 \u00b0) und dafs er bei l\u00e4ngerem Unbedecktsein auch die niedrigere Temperatur annimmt. Ebenso ist es auch umgekehrt, wie der folgende Versuch zeigt: Die Hauttemperatur des Daumenballens","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber den K\u00e4ltesinn.\n209\n(einer nackten Hautstelle) betrug ca. -f- 330 C. Die Reizschwelle dreier K\u00e4ltepunkte wurde hier bei ca. 280 C gefunden. Dann wurde der Daumenballen \u00fcber Nacht mit einem gef\u00fctterten Handschuh bedeckt. Am anderen Morgen betrug die Hauttemperatur etwas \u00fcber 340 C, und die Reizschwelle war auch auf 29 0 C gestiegen.\n4. Die Hntersehiedsempfindlichkeit hei gleichartiger Reizung\nmit verschiedenen Temperaturen.\nIch komme nun zu dem Hauptteil meiner Arbeit, den Untersuchungen \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit. Eine Reihe von Versuchen wurde in der Weise angestellt, dafs zwei der oben beschriebenen Reizvorrichtungen mit gleichen Reizenden (Spitze oder Fl\u00e4che) aber verschiedener Temperatur nacheinander auf denselben K\u00e4ltepunkt resp. K\u00e4ltepunktkomplex aufgesetzt wurden. Es fanden immer je 10 Einzelversuche hintereinander statt, w\u00e4hrend deren die Temperatur gen\u00fcgend konstant blieb. Die einzelnen Versuche bezeichne ich mit r\u00f6mischen Zahlen; f bedeutet falsch, r richtig, u unbestimmt. Als richtig gilt, wenn das k\u00e4ltere Reizende auch als k\u00e4lter empfunden wird. Dabei ergaben sich zun\u00e4chst bei der Reizung einzelner K\u00e4ltepunkte mit Spitze folgende Resultate, die ich aus der grofsen Anzahl der Versuche herausgreife:\nBei mir selbst (Unterarm und Daumenballen):\n+ 19,4\u00b0 und -\t\nlf\tVI r\nII r\tVII r\nIII r\tVIII r\nIV r\tIX r\nV r\tXr ,\nV 20,2\u00b0 und\t\nI r\tVI r '\nII r\tVII r\nIII r\tVIII u >\nIV r\tIX r\nV r\tX r ]\n-f- 20,2\u00b0 und\t\nlu\tVI r\nII r\tVII r\nIII r\tVIII r >\nIV r\tIX f\n1 falsch\n9 richtig 1 unbest.\n8 richtig 1 falsch 1 unbest.\n2,8\u00b0 Differenz\nabgestumpfte\nSpitze\n2,6\u00b0 Differenz\nabgestumpfte\nSpitze\n= 3,2 Differenz\nscharfe\nSpitze","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210\nSiebrand.\n+ 20,6\u00b0 u\nIf VI r II r VII r III r VIII r IYf IX r Yu Xr\nid 23,6\u00b0 C =\n7 richtig \u00bb 2 falsch 1 unbest.\n3\u00b0 Differenz\nscharfe\nSpitze\n-f- 20,40 und + 23,60 C = 3,2\u00b0 Differenz\nIr VI r '\nII\tr VII r\nIII\tr VIII f >\nIV\tr IX r V r Xr\n9 richtig 1 falsch\nscharfe\nSpitze\nAus diesen Tabellen geht also hervor, dafs bei mir die Unterschiedsempfindlichkeit zwischen 2,60 und 30 liegt. Die Versuche mit 2,4 die ich hier nicht anf\u00fchre, waren schon un sicher. Ferner scheint es, als ob das Unterscheidungsverm\u00f6gen bei Reizung mit der abgestumpften Spitze feiner ist als mit scharfer Spitze. Man kann daran denken, dafs eben doch auch bei einzelnen K\u00e4ltepunkten die gr\u00f6fsere Fl\u00e4che eine intensivere und darum deutlichere K\u00e4ltewirkung ausl\u00f6st und dafs bei ihr das Druckgef\u00fchl der scharfen Spitze wegf\u00e4llt. Ich glaube, dafs diese Resultate als normaler Durchschnitt gelten k\u00f6nnen, wenn die Unterschiedsempfindlichkeit auch im einzelnen individuell verschieden ist. So fand ich bei Herrn Westien ein ganz erheblich feineres Unterscheidungsverm\u00f6gen. Er konnte als \u00e4ufserste Grenze sogar 0,4\u00b0 Differenz noch erkennen, wie aus den nachstehenden Tabellen hervorgeht:\n-f- 21,8\u00b0 und + 22,2\u00b0 C = 0,4\u00b0 Differenz\nIr VI r II r VII r\nIII\tr VIII r >\nIV\tu IX r\n9 richtig 1 unbest.\nY r Xr\nabgestumpfte\nSpitze\n-f 22,6\u00b0 und + 23\u00b0 G = 0,4\u00b0 Differenz\nIr Vir II r VII r\nIII\tr VIII f >\nIV\tr IX r Yf Xr\n8 richtig 2 falsch\nabgestumpfte\nSpitze","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber den K\u00e4ltesinn.\n211\n-f- 24\u00b0 und -f- 24,4\u00b0 C = 0,4\u00b0 Differenz\nI r\tVI r\t\nII r\tVII f\t\nIII f\tVIII r\t8 richtig\nIV r\tIX r\t2 falsch\nV r\tXr\t\n+ 25,6\u00b0 und + 26\u00b0 C =\t\t\nI r\tVI r\t\nII r\tVII r\t\nIII r\tVIII r\t9 richtig > \u00f6\nIV r\tIX/*\t1 falsch\nV r\tXr\t\nscharfe\nSpitze\n= 0,4\u00b0 Differenz\nscharfe\nSpitze\nLeider standen mir nicht mehr Versuchspersonen zur Verf\u00fcgung, so dafs ich nicht feststellen konnte, ob dieser Fall eine ungew\u00f6hnliche Ausnahme bildet.\nZwei Fragen sind bei diesen Untersuchungen noch von Wichtigkeit, n\u00e4mlich erstens, ob die isolierte oder dichte Lage der K\u00e4ltepunkte Einflufs auf ihr Unterscheidungsverm\u00f6gen hat. Dahin angestellte Versuche ergaben jedoch kein Resultat, das daf\u00fcr sprach, sondern zum mindesten blieb die Frage unentschieden. Eine zweite Frage ist die nach dem Einflufs der Fl\u00e4che. Wie ich oben schon anf\u00fchrte, schien mir das Unterscheidungsverm\u00f6gen bei Reizung mit der abgestumpften Spitze feiner als bei scharfer Spitze. Ich verwandte nun eine noch gr\u00f6fsere Reizfl\u00e4che, Gr\u00f6fse Ia, an isolierten K\u00e4ltepunkten, so dafs immer nur der eine K\u00e4ltepunkt getroffen wurde. Dabei wurde die Unterschiedsempfindlichkeit erheblich gr\u00f6fser, sie ging auch bei mir auf ca. 1,5 0 bis 2 0 hinauf.\nNoch feiner wurde das Unterscheidungsverm\u00f6gen, wenn Gr\u00f6fse Ia nicht auf isolierte K\u00e4ltepunkte, sondern auf Hautstellen mit dichten K\u00e4ltepunkten aufgesetzt wurde, so dafs immer mehrere gleichzeitig reagierten. So ergaben sich bei mir am Daumenballen folgende Resultate :\n+ 22,8\u00b0 und + 23,2\u00b0 C =\t\t\t= 0,4\u00b0 Differenz\nI r\tVI r >\t\t\nII r\tVII r\t| 8 richtig 2 unbest.\t\nIII r\tVIII u\t\tGr\u00f6fse Pa\nIV u\tIX r\t\t\nV r\tXr\t\t","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212\nSiebrand.\n+ 22\u00b0 und -f- 22,3\u00b0 C = 0,3\u00b0 Differenz\nI r II r\nVI\tr\nVII\t/'\nIII r VIII r\nIV r V r\nIX r Xr\n9 richtig 1 falsch\nGr\u00f6fse Ia\n+ 23,60 und + 23,8\u00b0 C = 0,2\u00b0 Differenz\nI r II r\nIII\tu\nIV\tf V r\nVI r VII f VIII r IX r Xr\n7 richtig 2 falsch 1 unbest.\nGr\u00f6fse Ia\nBei Herrn Westien (Handgelenkgegend volar) :\n-j- 24,8\u00b0 und -f- 25,2\u00b0 C = 0,4\u00b0 Differenz\nI\tr\tVI\tr\nII\tr\tVII\tr\nIII\tr\tVIII\tr\nIV\tf\tIX\tr\nV\tr\tX\tr\n9 richtig 1 falsch\nGr\u00f6fse I a\n+ 25\u00b0 und + 25,3\u00b0 C Ir VI r II r VII f\nIII\tf VIII r\nIV\tr IX r V r Xr\n= 0,3\u00b0 Differenz\n8 richtig 2 falsch\nGr\u00f6fse Ia\nBei Herrn W. sowohl wie auch bei mir wurden also 0,3\u00b0 Differenz noch deutlich unterschieden. Die Ursache dieser Verfeinerung liegt offenbar darin, dafs die Empfindung der einzelnen getroffenen K\u00e4ltepunkte sich zu einer intensiven Gesamtwirkung summiert. Auff\u00e4llig bleibt nur die Tatsache, dafs bei Herrn W. das Unterscheidungsverm\u00f6gen bei Reizung einzelner K\u00e4ltepunkte mit der Spitze und mehrerer mit Gr\u00f6fse Ia ann\u00e4hernd gleich ist (0,40 gegen 0,3 \u00b0).\nIm Anschlufs an diese Versuche besch\u00e4ftigte ich mich auch mit der Frage nach der G\u00fcltigkeit des WEBE\u00dfschen Gesetzes. Dieses lautet bekanntlich folgendermafsen : \u201eZwei Reize m\u00fcssen, um eben noch als verschieden erkannt zu werden, immer in einem bestimmten (von der absoluten Intensit\u00e4t unabh\u00e4ngigen) Verh\u00e4ltnis stehen, d. h. der eben merkliche Reizzuwachs stellt immer einen bestimmten Bruchteil des schon vorhandenen Reizes dar.\u201c Auf den K\u00e4ltesinn bezogen, bedeutet das also: Wenn ich","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber den K\u00e4ltesinn.\n213\nin der N\u00e4he der absoluten Reizschwelle noch eine Differenz von z. B. 30 C unterscheide, so wird diese Differenz, und zwar in einem bestimmten Verh\u00e4ltnis, desto gr\u00f6fser werden, je tiefere Temperaturen abw\u00e4rts von der Reizschwelle ich anwende. Nach meinen Beobachtungen nun ist dies nicht der Fall, sondern die Unterschiedsempfindlichkeit betrug stets ca. 30 C, auch wenn ich mit der Temperatur bis in die N\u00e4he des Nullpunktes herunterging. Noch tiefere Temperaturen konnte ich allerdings nicht anwenden, da dann bald ein allgemeines K\u00e4ltegef\u00fchl an der betreffenden Hautstelle jede feinere Unterscheidung unm\u00f6glich machte. Auf Grund der Versuche glaube ich aber behaupten zu d\u00fcrfen, dafs das WEBE\u00dfsche Gesetz beim K\u00e4ltesinn nicht zu gelten scheint.\n5. Die Untersehiedsempfindiichkeit bei verschiedenartiger Reizung mit gleichen Temperaturen.\nBei der zweiten Reihe von Versuchen wurde die Unterschiedsempfindlichkeit bei gleicher Temperatur und verschiedenartiger Reizung gepr\u00fcft. Es wurde also entweder mit einem Reizapparat nacheinander eine verschiedene Anzahl von K\u00e4lte* punkten gereizt, oder es wurden zwei verschiedenartige Reizvorrichtungen benutzt, die aber beide dieselbe Temperatur hatten (gew\u00f6hnlich Zimmertemperatur). Es kam mir bei diesen Versuchen darauf an, den Einflufs dreier Momente zu untersuchen, die z. T. schon weiter oben behandelt wurden, n\u00e4mlich der Zahl der K\u00e4ltepunkte, der Fl\u00e4che und der Dichte. Um zun\u00e4chst den Einflufs der Zahl festzustellen, wurde mit Gr\u00f6fse I a nacheinander eine verschiedene Anzahl von K\u00e4ltepunkten gereizt. Als richtig gilt, wenn die gr\u00f6fsere Zahl k\u00e4lter empfunden wird. Dabei ergaben sich folgende Resultate, bei denen ich das Zahlen Verh\u00e4ltnis der gereizten K\u00e4ltepunkte hinzuf\u00fcge.\nBei Herrn Timm (linker Unterarm) :\nTemperatur -f- 19\u00b0 C\nI 1 : 6 r\tVI 2 : 6u\nII 2 : 7 r VII 5 : 1 r\nIII\t1 : 8 r VIII 4:1 r\nIV\t1:6 f IX 2 : 7 r\nV 6 : 1 r XI:6r .\n8 richtig > 1 falsch 1 unbest.","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214\nSiebrand.\nTemperatur + 18,5\u00b0 C\nI 1 II 3\nIII\t5\nIV\t5 V 6\n7 r 1 r\n1\tr\n2\tr\n1 r\nVI 7 VII 2 VIII 5 IX 2 X 3\n2 r 6 w 2 r 5 r 1 r\n1 I1\n9 richtig unbest.\nBei Herrn Westien (Handgelenkgegend):\nTemperatur + 20 0 0\nI 1 II 4\nIII\t2\nIV\t3\nV\t1\nI 1 II 3\nIII\t2\nIV\t1\nV\t2\n3 r 2 r\n1\tr\n2\tf\n3\tr\nVI 4 VII 2 VIII 3 IX 1 X 4\n2\tr\n3\tr\n2\tr\n3\tr 2 r\n9 richtig 1 falsch\nTemperatur -)- 20\u00b0 C\n3 r 1 r\n3\tr\n4\tr 4 r\nVI 1 VII 3 VIII 6 IX 3 X 3\n4 r 1 r\n1\tr\n2\tr 4 r\n> 10 richtig\nBei mir (rechter Unterarm):\nTemperatur 18\u00b0 11:4/* VI 1 : 7 r II 1 : 7 r VII 1 : 6 r\nIII\t2 : 7 r VIII 2 : 7 r\nIV\t4 : 7 r IX 8 : 4 r\nC\n9 richtig 1 falsch\nV 1 : 4 r X 2 : 4 r\nTemperatur -f- 18\u00b0 C 11:3\tr\tVI 2 : 5 r\nII\t6\t:\t3\tr\tVII 4 : 2 r\nIII\t2\t:\t4\tr\tVIII 6 : 3 r >\nIV\t1\t:\t5\tr\tIX 4 : 1 r\n10 richtig\nV 3 : 6 r X 2 : 7 r )\nDiese Zahlen beweisen also deutlich, dafs die Reizung einer gr\u00f6fseren Zahl von K\u00e4ltepunkten k\u00e4lter empfunden wird als die einer kleineren Zahl. Ja, dieser Einflufs der Zahl kann sogar soweit gehen, dafs die kleinere Fl\u00e4che (Gr\u00f6fse II) ein intensiveres K\u00e4ltegef\u00fchl ausl\u00f6st als die gr\u00f6fsere (Gr\u00f6fse Ib), wenn die erstere auf mehrere K\u00e4ltepunkte aufgesetzt wird, die letztere dagegen auf einen isolierten. Dahin angestellte Versuche n\u00e4mlich ergaben stets 80\u201490 \u00b0/0 richtige Angaben, richtig in dem eben erw\u00e4hnten Sinne. Hierbei \u00fcberwiegt also der Einflufs der Zahl \u00fcber den der Fl\u00e4che.","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber den K\u00e4ltesinn.\n215\nAndererseits aber kann ich auch eine Anzahl von Beobachtungen anf\u00fchren, bei denen die Fl\u00e4che ganz offenbar von Bedeutung ist. Schon nach Weber hat die Gr\u00f6fse der Hautstelle, die von einem kalten oder warmen K\u00f6rper affiziert wird, Einflufs auf die Empfindung. Wenn man z. B. in dieselbe Fl\u00fcssigkeit (kalt oder warm) den Zeigefinger der einen und die ganze andere Hand eintaucht, so ist in ihr das Gef\u00fchl intensiver. Ebenso verhalten sich nach meinen Untersuchungen auch einzelne K\u00e4ltepunkte. Ein Vergleich n\u00e4mlich zwischen abgestumpfter Spitze und Gr\u00f6fse Ia auf isolierten K\u00e4ltepunkten ergab folgende Resultate :\nTemperatur -f- 20\u00b0 C. Es wurde als k\u00e4lter empfunden:\nI Spitze\tVI Fl\u00e4che\nII Spitze\tVII Fl\u00e4che\nIII Fl\u00e4che\tVIII Spitze\nIV Fl\u00e4che\tIV Fl\u00e4che\nV Fl\u00e4che\tX Fl\u00e4che\nI Spitze\tVI Fl\u00e4che\nII Fl\u00e4che\tVII Fl\u00e4che\nIII Fl\u00e4che\tVIII Fl\u00e4che\nIV Spitze\tIX Fl\u00e4che\nV Fl\u00e4che\tX Fl\u00e4che\nBei 10 Versuchen erregte also immer 7\u20148 mal die Fl\u00e4che ein k\u00e4lteres Gef\u00fchl wie die abgestumpfte Spitze. Die Ursache f\u00fcr diese Erscheinung ist wohl darin zu suchen, dafs die gr\u00f6fsere Fl\u00e4che der Haut auch mehr W\u00e4rme entzieht.\nEndlich war noch der Einflufs der Dichte zu untersuchen. Dabei wurde die abgestumpfte Spitze nacheinander auf einen isolierten K\u00e4ltepunkt und auf einen solchen in einem dichten Bezirk aufgesetzt. Richtig war die Angabe, wenn letzterer ein st\u00e4rkeres K\u00e4ltegef\u00fchl gab. Die Resultate waren folgende :\nTemperatur + 20\u00b0 C\nIr VIr\tI\nII\tr VII r\nIII\tr VIII r\nIV\tu IX r V r Xr J\n9 richtig 1 unbest.\nabgestumpfte\nSpitze","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216\nSiebrand.\nTemperament 4~ 210 C\nh\u20141\tr\tVI\tr\nII\tr\tVII\tr\nIII\tr\tVIII\tr\nIV\tf\tIX\tr\nV\tr\tX\tr\n9 richtig 1 falsch\nscharfe\nSpitze\nOb diese guten Resultate als normal anzusehen sind, ist allerdings fraglich. Die Versuche wurden n\u00e4mlich bei Herrn W. angestellt, der, wie sich oben gezeigt hat, ein aufserordentlieh feines Temperaturgef\u00fchl besitzt. Daher ist es leicht m\u00f6glich, dafs die Versuche bei anderen Personen weniger g\u00fcnstig aus-fallen w\u00fcrden. Falls diese Ergebnisse aber normal sind, so beweisen sie, dafs von einem K\u00e4ltepunkt eine Ausbreitung zu den benachbarten stattfindet, wobei es jedoch unentschieden bleibt, ob eine physikalische oder physiologische Ausbreitung vorliegt.\n6. Zusammenfassung.\nDie Resultate meiner Versuche lassen sich folgendermafsen zusammenfassen :\n1.\tDie Gr\u00f6fse der absoluten Reizschwelle ist abh\u00e4ngig von der normalen Temperatur des Reizortes.\n2.\tDie Unterschiedsempfindlichkeit bei gleichartiger Reizung mit verschiedenen Temperaturen ergibt individuelle Differenzen. Sie w\u00e4chst mit der Seite der Reizfl\u00e4che. Eine G\u00fcltigkeit des WEBEKschen Gesetzes ist nicht erweisbar.\n3.\tBei Reizung mit gleichen Temperaturen w\u00e4chst die Intensit\u00e4t der K\u00e4lteempfindung mit der Zahl der gereizten K\u00e4ltepunkte (bei gleicher Reizfl\u00e4che) und mit der Gr\u00f6fse der Reizfl\u00e4che (bei gleicher Anzahl von K\u00e4ltepunkten). \u2014 Auch die Dichte der benachbarten K\u00e4ltepunkte scheint die Intensit\u00e4t der K\u00e4lteempfindung unter sonst gleichen Bedingungen zu beeinflussen.","page":216}],"identifier":"lit33587","issued":"1911","language":"de","pages":"204-216","startpages":"204","title":"Untersuchungen \u00fcber den K\u00e4ltesinn","type":"Journal Article","volume":"45"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:21:26.810243+00:00"}