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{"created":"2022-01-31T16:49:58.126796+00:00","id":"lit33596","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Lohmann, W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 46: 129-134","fulltext":[{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"129\n(Aus der Kgl. Univers.-Klinik und Poliklinik f\u00fcr Augenkranke in M\u00fcnchen.\nVorstand Geh. Hofrat Prof. Dr. Eversbusch.)\n\u00dcber die theoretische Bedeutung gewisser Erscheinungen aus der Farbenpathologie.\nVon\nDoz. Dr. W. Lohmann,\nOberarzt der Klinik.\nNeben den sog. \u201eChromatopsien\u201c, d. i. Sehst\u00f6rungen, welche sich z. B. bei gewissen Nervenerkrankungen oder im Gefolge von Infektionskrankheiten usw. finden, und dadurch ausgezeichnet sind fiafs der Patient das Tageslicht nicht mehr weifs, sondern je nachdem rot, gr\u00fcn, blau oder gelb sieht, werden zumeist jene Prozesse in der Farbenpathologie namhaft gemacht, welche durch Ver\u00e4nderungen des perzipierenden Organes bedingt sind. Das sind die Erkrankungen des Augenhintergrundes (der Seh- und Aderhaut und des Sehnerven); hierhin rechnen wir auch zumeist die angeborenen Farbenfehler. Diese Empfindungsausf\u00e4lle, denn darum handelt es sich zumeist, gestatten uns bekanntlich gewisse Schl\u00fcsse auf die Natur der Farbensysteme und ihre terminalen Bedingtheiten.\nWeniger h\u00e4ufig werden bei der Farbenpathologie gewisser abnormer zentraler Beschaffenheiten gedacht, welche sich aus angeborenem Verhalten der Assoziation oder pathologischen Zustands\u00e4nderungen des Zentralorgans ergeben. Ich m\u00f6chte im folgenden auf die theoretische Bedeutung hinweisen, die sich aus der genauen Betrachtung bzw. Analysierung gewisser Erscheinungen des farbigen H\u00f6rens (audition color\u00e9e) und des Flimmerskotoms (Migraine ophthalmique) ergeben.\nWenn es n\u00e4mlich dabei gelingen sollte, durch experimentelle Anordnung Ergebnisse zu erzielen, wie sie sich f\u00fcr gew\u00f6hnlich\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 46.\t9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nW. Lohmann.\nbei terminaler Reizung des Sehorgans erzielen lassen, so w\u00fcrde dadurch ein Verfolgen des \u201esomatischen Korrelates\u201c der Empfindung bis zur Zentralstelle der nerv\u00f6sen Substanz erm\u00f6glicht ; und indem das terminale Organ in diesen Versuchen bis zu einem gewissen Grade ausgeschlossen werden kann, ein eng begrenzteres \u201epsychisches\u201c Ergebnis erzielt werden. W\u00fcrde so best\u00e4tigt werden k\u00f6nnen, dafs auch mit m\u00f6glichstem Ausschlufs der peripheren Teile die nerv\u00f6se Substanz des Auges in weiterem Sinn denselben Gesetzen gehorcht, wie es die gew\u00f6hnliche Art des physiologischpsychologischen Experimentes ergibt, so w\u00fcrde dadurch in unzweideutiger Weise dargetan, dafs die Gesetze der Farbenmischung und der Kontrasterscheinungen (ich charakterisiere kurz die sich zug\u00e4nglich erweisenden Erscheinungen) nicht an Zustands\u00e4nderungen des terminalen Teiles des Sehorgans allein gebunden zu sein brauchen. \u2014\nA. v. Reuss 1 beobachtete als erster ein eigent\u00fcmliches Verhalten des Flimmerskotoms in farbigem Licht. Er stellte fest, dafs die in Form eines Hufeisens 1 2 sich darstellende Sehst\u00f6rung dann in der Komplement\u00e4rfarbe erschien, wenn er durch farbige Gl\u00e4ser im Dunkelraum beobachtete. Diese Farbenerscheinung trat am besten zutage, wenn R. durch ein blaues und gr\u00fcnes Glas beobachtete. Am wenigsten sch\u00f6n ausgesprochen fand er die Erscheinung, wenn er durch ein gr\u00fcnes Glas beobachtete. Er fand dann die Zackenlinien gleichfalls gr\u00fcn, und erst sp\u00e4ter bl\u00e4ulichpurpurn werdend. Auch im Nachbild trat die komplement\u00e4re Farbe in die Erscheinung. Hatte v. R. w\u00e4hrend langer Zeit durch ein rotes Glas beobachtet, so erschien nach Schliefsen der Augen das Gesichtsfeld in komplement\u00e4rem Gr\u00fcn, die vorhin aber gr\u00fcnen Zackenlinien des Skotoms erschienen purpurn. Aber obwohl das Flimmerskotom bei geschlossenen Augen sich \u201ebrillanter\u201c pr\u00e4sentierte, war doch die Erscheinung der Komplement\u00e4rfarbe bei ob-\n1\tArchiv f. Augenheilkunde 53.\n2\tAlso im zweiten Stadium des Anfalls. Zun\u00e4chst tritt ein kleines zentrales oder parazentrales Skotom auf, welches als unbehagliche St\u00f6rung des Sehens empfunden wird. Erst dann tritt eine leuchtende, flimmernde Bewegung auf, die sich als eine bogenf\u00f6rmige, hufeisenf\u00f6rmige Sehst\u00f6rung darstellt und vom Zentrum zur Peripherie des Gesichtsfeldes oder umgekehrt fortschreitet.","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die thematische Bedeutung gewisser Erscheinungen usw.\n131\njektiv farbigem Grund viel auff\u00e4lliger, als wenn der farbige Grund als Nachbild hervorgerufen wurde.\nAus Selbstbeobachtungen kann ich diese Angaben von v. Reuss best\u00e4tigen. Auch mir stellt sich die Zickzacklinie des Skotoms in sch\u00f6ner F\u00e4rbung dar, wenn ich zeitig genug durch ein farbiges Glas z. B. eine plane weifse Fl\u00e4che betrachte. Aber nicht der ganze flimmernde Bogen erscheint mir dabei in der Komplement\u00e4rfarbe, sondern meistens einzelne Zacken. Auch h\u00e4ngt die Farbe von dem Stadium des Skotoms ab, und ist anders gestaltet, wenn dasselbe sich zentral oder mehr peripher findet. Im folgenden gebe ich ein Protokoll einer Selbstbeobachtung.\nI. Das Skotom ist in der N\u00e4he des Fixierpnnktes.\nEs wird betrachtet:\t1 Die Zickzacklinie erscheint:\ndurch gr\u00fcnes Glas \u201e\tgelbes \u201e \u201e\tblaues \u201e \u201e\trotes\t\u201e II. Das Skotom\teinzelne Zacken blau, einzelne gelb und zinnoberrot einzelne leuchtend gelb, einzelne blau bis hellgr\u00fcn gelb, einzelne deutlich blau dazwischen blau, himmelblau ist in der Mitte des Gesichtsfeldes.\nEs wird betrachtet:\tDie Zickzacklinie erscheint:\ndurch gr\u00fcnes Glas\tblau\n\u201e\tgelbes \u201e\tweifslich bis blau\n\u201e\tblaues \u201e\teinzelne blau, einzelne gelb\n\u201e\trotes\t\u201e\tt\u00fcrkisblau\nIII. Das Skotom ist nahe an der Grenze der Peripherie.\t\nEs wird betrachtet: 1\tDie Zickzacklinie erscheint:\ndurch gr\u00fcnes Glas\teinzelne blau, einzelne gelb\n\u201e\tgelbes \u201e\tunges\u00e4ttigt graugr\u00fcn\n\u201e\tblaues \u201e\tblau\n\u201e\trotes\t\u201e\tgrauweifs\n9*","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nW. Lohmann.\nW\u00e4hrend bei v. Reuss die Komplement\u00e4rfarbe sich am schwierigsten bei Betrachtung durch gr\u00fcnes Glas zu erkennen gab, war das bei mir bei Beobachtung durch rotes Glas der Fall; ich habe dabei niemals das zu erwartende reine Gr\u00fcn gesehen. Wesentlich beeinflufst wird die Erscheinung, wenn die Zickzacklinie sich der Peripherie n\u00e4hert. Es ist zu naheliegend, dabei an die physiologische Farbenblindheit zu erinnern, die sich normaler Weise in der Peripherie findet.\nDas Flimmerskotom ist mit gutem Grunde aufzufassen als eine zentrale St\u00f6rung. Es geht also aus dem Vorgebrachten hervor, dafs eine solche zentrale St\u00f6rung unter gewissen Bedingungen \u2014 allerdings bei terminaler Reizung mit verschieden farbigen Lichtern \u2014 \u00e4hnliche, wenn nicht gleiche Farbenkontrasterscheinungen sich hervorbringen lassen, wie sie sich aus rein terminalen Ver\u00e4nderungen und Bedingtheiten ergeben.\nV\u00f6llig ausschliefsen kann man das Endorgan des Sehens bei jenen Erscheinungen, zu deren Besprechung ich nunmehr \u00fcbergehe, und welche unter dem Namen des \u201efarbigen H\u00f6rens\u201c bekannt sind.\nAls \u201efarbiges H\u00f6ren\u201c bezeichnet man zwangsm\u00e4fsig sich einstellende Farbenerscheinungen, die sich bei Reizung des Ohres ergeben. Es erscheinen entweder die Vokale unserer Sprache, oder Wochen- und Eigennamen, oder T\u00f6ne und Kl\u00e4nge der Musik in farbiger T\u00f6nung.\nAls gute orientierende Arbeiten empfehle ich die Monographie von Bleuler und Lehmann 1 und das Buch des franz\u00f6sischen Autors Flournoy.1 2 Von zahlreichen von mir selbst beobachteten F\u00e4llen bespreche ich in diesem Zusammenhang nur den folgenden.\nBei meinem Gew\u00e4hrsmann stellt die Farbenerscheinung beim H\u00f6ren von Vokalen sich ein; sie wird diffus im Gehirn in der Gegend der Augen empfunden und ist von der Aufsenwelt und ihren Farben v\u00f6llig unabh\u00e4ngig.\nDer Vokal a erscheint blau, e = karmoisinrot, u=dunkel (dunkelgr\u00fcn), o \u2014 gelb, i = hell (gelb).\n1 Zwangsm\u00e4fsige Lichtempfindungen durch Schall und verwandte Erscheinungen auf dem Gebiete der anderen Sinnesempfindungen. \u2014 Leipzig 1881.\n2 Paris, Gen\u00e8ve. 1893.","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber die theoretische Bedeutung gewisser Erscheinungen usw.\nm\nBeim H\u00f6ren des Diphthongen au erscheint das Blau, wie beim a, nur mit einem dunklen Ende. Das gleiche ist der Fall bei eu ; hier ist das dunkle rote Ende nicht nach rechts, sondern nach links gelagert. Bei ai erscheint blau mit einen gelblich weifsen Ende. Bei ei findet sich zun\u00e4chst eine Mischfarbe von karmoisin und gelb \u2014 ocker, und dann ein gelbes Ende.\nW\u00e4hrend also bei diesem Diphthongen eine Verschmelzung der Farben nicht eintritt, sondern gem\u00e4fs der lautlichen Erkennbarkeit seiner Elemente, die diesen eigent\u00fcmlichen Farben gesehen werden, kommt es zu einer v\u00f6lligen Vermischung, zum Sehen einer Mischfarbe bei den Diphthongen \u00f6 und \u00fc.\nDer Vokal o erscheint schmutzig gelb, e karmoisinrot ; \u00d6 stellt die Mischfarbe, ein ges\u00e4ttigtes Orange dar, welches mehr nach der Farbe des e als nach jener des o gelegen erscheint. Der Buchstabe u, welcher in Diphthongen verdunkelnd die jeweilige Farbe des anderen Komponenten erscheint, ist dunkelgr\u00fcn; i hingegen hellgelb; \u00fc zeigt die Mischfarbe: ein helles Gr\u00fcn.\nDen naheliegenden Ein wand, dafs ebenso wie mit o gelb und mit e rot habituell sich assoziiert habe, so auch eine solche Assoziierung von \u00f6 und orange die Veranlassung gefunden habe in einer anschaulichen Vergewisserung der optischen Mischung, glaube ich abweisen zu k\u00f6nnen mit Hinweis auf die Tatsache, dafs das farbige H\u00f6ren schon seit fr\u00fchester Jugend konstant besteht, wo noch nicht das Bewufstsein jener Mischungen vorhanden sein kann.\nAn dieser Stelle m\u00f6chte ich des Engl\u00e4nders Erw\u00e4hnung tun, \u00fcber den Hering1 referiert. \u201eBeim H\u00f6ren eines bestimmten, akustisch wirkungsvollen Wortes (three) sah derselbe eine rote Fl\u00e4che so deutlich vor sich, dafs eine vorhandene gelbe Fl\u00e4che sich f\u00fcr ihn orange f\u00e4rbt.\u201c\nBei verschiedenen Individuen stellt sich das Farbenh\u00f6ren verschieden dar. Dabei kann nur gesagt werden, dafs die tieferen T\u00f6ne und Vokale den dunkleren Farben, die helleren T\u00f6ne auch den helleren Farben entsprechen. Es ist gewifs interessant, wenn Lomner2 auf die Analogie hinweist, die bez\u00fcglich der Schwingungszahlen der Vokale und jener der zugeh\u00f6rigen Farben bestehen. Nach Schwingungszahlen geordnet lauten die Vokale: u, o, a, e, i.\n1\tZeitschr. f. Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorgane 10.\n2\tArchiv f. Psych, u. Nervenkrankheiten 40.","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134\nW. Lohmann.\nEntsprechend sind auch vielfach die Farben der durch geringere\nLuftschwingungszahlen charakterisierten Vokale durch Farben\n\u2022 \u2022\ngekennzeichnet, die geringeren Atherschwingungen entsprechen.\nImmerhin deckt sich diese Theorie nicht v\u00f6llig mit den beobachteten Tatsachen, die \u00fcberhaupt einer Klassifizierung grofse Schwierigkeiten entgegenbringen. Um so mehr glaube ich die physiologische Bedeutung des farbigen H\u00f6rens in der von mir gezeigten Richtung erkennen und einer weiteren Pr\u00fcfung empfehlen zu m\u00fcssen, ob und in wie weit allgemein sich bei den Farben der Diphthonge Mischfarben der Komponenten finden.\nW\u00e4hrend die Vorg\u00e4nge der Adaptation auf terminale Zustands\u00e4nderungen in der Retina (St\u00e4bchen und Zapfen) zur\u00fcckgef\u00fchrt werden k\u00f6nnen, scheinen die Farbenempfindungen nicht an das Aufnahmeorgan gebunden zu sein. Und wenn schon bestimmte Erkrankungen der Ader- und Sehhaut, sowie des Sehnerven die Farbenperzeption in mehr minder typischer Weise, die eine gewisse Analogisierung mit den angeborenen Farbenfehlern gestattet, ver\u00e4ndern, so weisen doch Beobachtungen, wie sie im vorhergehenden er\u00f6rtert sind, darauf hin, dafs auch die Gesetze der Farbenempfindung bei tunlicher Ausschaltung des Perzeptionsorgans sich zu erkennen geben wie bei peripherer Reizung. \u2014","page":134}],"identifier":"lit33596","issued":"1912","language":"de","pages":"129-134","startpages":"129","title":"\u00dcber die theoretische Bedeutung gewisser Erscheinungen aus der Farbenpathologie","type":"Journal Article","volume":"46"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:49:58.126802+00:00"}