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{"created":"2022-01-31T16:47:55.511398+00:00","id":"lit33615","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Zimmer, Arnold","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 47: 106-158","fulltext":[{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nAus dem Physiologischen Institut zu Kiel.\nDie Ursachen der Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen.\nVon\nArnold Zimmer.\nEinleitung...................................................107\nA.\tLiteraturbericht und Kritik..............................113\nI.\tPhysiologische Erkl\u00e4rungen der Inversionen............114\n1.\tFixationstheorie....................................114\n2.\tAugenbewegungen als Grund f\u00fcr Inversionen...........115\na)\tTheorie von Wundt...................,\t.\t.\t. .\t115\nb)\tKritik...........................................120\n3.\tAkkommodation und Konvergenz als Grund f\u00fcr Inversion 125\na)\tLoebs Theorie....................................125\nb)\tKritik der LoEBSchen Theorie.....................127\nII.\tPsychologische Theorien..............................131\nB.\tExperimenteller Teil.....................................133\nAufgabe. .\t 133\nI.\tEntersuchungen \u00fcber die Zusammenh\u00e4nge von Inversionen\nund \u00e4ufseren Ver\u00e4nderungen am Auge.....................133\nErste Versuchsanordnung..................................133\nZweite\t\u201e\t 135\nErgebnisse...............................................137\n1.\tZeitverh\u00e4ltnis zwischen Inversionen und Augenbewegungen 137\n2.\t\u00dcber die Art und Richtung der Augenbewegungen und die\nsie eventuell begleitende Akkommodation.............144\nSchlufsfolgerung und Erkl\u00e4rungsversuch...........147\nII.\tUntersuchungen \u00fcber den Einflufs psychischer Vorg\u00e4nge auf\nInversionen............................................148\nDritte Versuchsanordnung.................................149\nVierte\t\u201e\t 150\nZusammenfassung..........................................156","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. 107\nEinleitung.\nDie Erscheinung der umkehrbaren Perspektive ist im t\u00e4glichen Leben fast allgemein bekannt. Wissenschaftlich wurde sie zum ersten Male von Necker 1 bearbeitet. Er machte seine Versuche an der Konturenzeichnung eines W\u00fcrfels.\nDei erste Eindruck, den der Beobachter von dieser Figur (Fig. 1) hat, ist tats\u00e4chlich der eines W\u00fcrfels, und zwar scheint von dem schr\u00e4g gestellten K\u00f6rper meist die Kante A B dem Beschauer am n\u00e4chsten zu liegen, so dafs er von oben und links auf ihn heraufzusehen glaubt.\nNun kann die Vorstellung des K\u00f6r-\tFigur 1.\npers, indem, wie man es kurz nennt. \u00a3\tH\n\t\t\t\n\t\t6\n\t\t\neine Inversion eintritt, sich so \u00e4ndern, dafs wir die Kante A B in die Tiefe lokalisieren, w\u00e4hrend Kante H G nach vorn gewandert erscheint. Es sieht also so aus, als ob wir nicht mehr von A oben und links auf den W\u00fcrfel heraufschauen, sondern ihn von rechts unten betrachten.\t\u00cfNECKERscher W\u00fcrfel:\nDie r\u00e4umliche Umstellung der Bereits erschienen in den\nLinien braucht aber nicht immer genau AbBan^lungen der ^\u00f6mgl.\n, .\t\u00b0\ts\u00e4chs. Gesellsch. f. Wissen-\ndie umgekehrte Anschauungsform sch\u00e4ften B. 42 math.-phys. der urspr\u00fcnglichen Erscheinung hervor- Klasse B. 24, 2, S. 68. zurufen. Es kann auch, falls die Figur\nes zul\u00e4fst, eine Inversion einzelner Teile allein eintreten, so dafs damit nicht nur die scheinbare Lokalisation des K\u00f6rpers im Raume sich \u00e4ndert, sondern der K\u00f6rper als solcher in ein ganz anderes Gebilde \u00fcbergeht. Bei einer Inversion von Fig. 1 ist es also nicht unbedingt n\u00f6tig, dafs, wenn sich dabei die zuerst scheinbar in der Tiefe liegende Ecke G nach vorn herausst\u00fclpt, zu gleicher Zeit auch die Ecke A die Gegenbewegung in die liefe macht, sondern es k\u00f6nnen jetzt beide Ecken A und G vorn oder, nach nochmaliger vollst\u00e4ndiger Inversion, beide hinten erscheinen. Damit verschwindet aber auch der Eindruck eines W\u00fcrfels und macht anderen Auffassungsarten Platz, die in diesem\n1 Poggendorffs Annalen Bd. 27. 1833. S. 502.","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\nArnold Zimmer.\nFalle bedeutend komplizierter und schwerer vorzustellen sind. Wir k\u00f6nnen zuerst einmal, besonders wenn wir nur den Punkten A und G die Aufmerksamkeit zuwenden, die Vorstellung erhalten, dafs zwei ineinander verschr\u00e4nkte k\u00f6rperliche Ecken spitz in den Raum hineinragen.1 Aufserdem ist noch ein anderer Fall m\u00f6glich, der, weil er schwerer vorzustellen ist, noch nicht gesehen oder wenigstens nicht ver\u00f6ffentlicht worden ist. In dieser Vorstellungsart bilden die gesamten \u00e4ufseren Konturen die Grundfl\u00e4che, w\u00e4hrend das innere Rechteck die Oberfl\u00e4che ist. Der K\u00f6rper stellt also eine rechtwinklige abgestumpfte Pyramide dar, bei der noch zwei Ecken der Grundfl\u00e4che wieder abgestumpft sind. Es erscheinen daher in diesem Falle die Geraden A B und G F und A D und G H in ihren Schnittpunkten gebrochen, wodurch die M\u00f6glichkeit, die Figur tats\u00e4chlich in dieser Auffassungsform zu sehen, ganz bedeutend erschwert wird.\nFigur 2.\nServiettenring.\nSchon erschienen in den Abhandl. a. a. O. S. 73.\nPhil. Studien, Bd. 14.\nS. 41.\nEine bedeutend geeignetere Figur f\u00fcr dieses Ph\u00e4nomen der teilweisen Inversion ist eine Zeichnung, die Wundt2 angegeben hat (Fig. 2).\nSie kann einen flachen Zylinder darstellen, dessen Bogen A und B einerseits und B und S andererseits zusammengeh\u00f6ren. Die Figur \u00e4ndert aber sofort ihr Aussehen, wenn die Bogen A und S und B und B als zusammengeh\u00f6rig aufgefafst werden. In diesem Falle erscheint sie uns als Siegelring, der an der einen Seite schmal, an der anderen breit ist. Am einfachsten jedoch\n1\tWundt. Abhandl. d. K\u00f6nigl. Sachs. Gesellech. f. Wissensch. B. 42. Mathem. Physik. Klasse. B. 24. 2. 1898. S. 72.\n2\tWundt. Abhandl. a. a. O. S. 73.\nFigur 3.\nKreise.","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen, 109\nund variabelsten ist die Verschiedenheit der r\u00e4umlichen Lokalisation nat\u00fcrlich an solchen Zeichnungen, in denen mehrere Gebilde unabh\u00e4ngig voneinander im R\u00e4ume zu liegen scheinen. Die drei Kreise in Fig. 3 k\u00f6nnen wir in einer Ebene sehen. Doch f\u00e4llt es auch nicht schwer, sie in verschiedene Ebenen zu lokalisieren, und zwar so, dafs zwei in derselben, die dritte davor oder dahinter,\u2019 oder dafs alle drei in verschiedenen Ebene n liegen. Man bekommt dabei alle nach der Permutationslehre m\u00f6glichen Inversionen. Es ist aber gar nicht n\u00f6tig, dafs wir die Kreise immer so auffassen, als ob sie in parallelen Ebenen gelegen seien, sondern sie k\u00f6nnen auch gegeneinander geneigt erscheinen. Den dadurch entstehenden perspektivischen Fehler \u00fcbersieht man sehr leicht, wie bei sehr vielen \u00e4hnlichen Figuren, oder man mufs sich die Kreise als schr\u00e4ggestellte Ellipsen vorstellen. Auch hier gibt es wieder die verschiedenartigsten Auffassungsm\u00f6glichkeiten.\nNach dieser kurzen \u00dcbersicht, bei der aus der unendlichen Menge von derartigen Figuren willk\u00fcrlich einige herausgegriffen worden sind, erscheint es unbedingt n\u00f6tig, ehe wir uns fragen, wodurch solche Erscheinungen physiologisch oder psychologisch bedingt sind, in groben Umrissen die Grenzen der Erscheinung zu fixieren, um uns dadurch vor Fehlern und Einseitigkeiten, wie wir ihnen in diesem Falle in der Literatur sehr h\u00e4ufig begegnen, zu sch\u00fctzen. Wir haben also die Frage zu beantworten : Wie mufs ein e Figur b es chaff en sein, um invertieren zu k\u00f6nnen?\nWundt1 entscheidet die Frage folgendermafsen : \u201eDie umkehrbaren perspektivischen T\u00e4uschungen grenzen am n\u00e4chsten an die nicht unter die optischen T\u00e4uschungen zu rechnenden perspektivischen Vorstellungen, bei denen die gew\u00f6hnlichen Motive der zeichnerischen und malerischen Perspektive oder die stereoskopischen Unterschiede der Netzhautbilder wirksam sind. Sie unterscheiden sich aber von ihnen dadurch, dafs ihnen die Merkmale fehlen, die bei der gew\u00f6hnlichen perspektivischenWirkung eine eindeutige Perspektive erzeugen, da im Gegenteil hier die in der Zeichnung vorhandenen Motive das Bild in der perspektivischen Vorstellung mehrdeutig machen.\u201c Mir dagegen scheint es, dafs theoretisch jede Figur r\u00e4umlich verschieden aufgefafst werden k\u00f6nne, und dafs man die mehr oder minder grofse\n1 Wundt, Philosophische Studien. B. 14. 1898. S. 29.","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110\nArnold Zimmer.\nEindeutigkeit in der verschieden grofsen, den Regeln der gel\u00e4ufigsten Vorstellungselemente entsprechenden Wahrscheinlichkeit und Vorstellungsm\u00f6glichkeit eines dieser Auf f assung d er Figur entsprechenden Gebildes suchen m\u00fcsse, dafs man dagegen keine besonderen Motive anzunehmen brauche, die nur den mehrdeutigen perspektivischen Figuren als Merkmal zuk\u00e4men.\nGehen wir einmal die einzelnen Momente durch, die besonders geeignet sind, eine Eindeutigkeit in den Figuren hervorzurufen.\nDie Perspektive als solche ist wohl bei Zeichnungen von Gegenst\u00e4nden, deren nat\u00fcrliche Gr\u00f6fsenverh\u00e4ltnisse wir kennen,\no\t7\t^\t.\nimstande, uns dar\u00fcber aufzukl\u00e4ren, wie eine solche Figur gew\u00f6hnlich aufgefafst werden soll, und wird ohne bestimmten Willensentschlufs zum Gegenteil fast immer eine Eindeutigkeit hervor bringen. Figur 4 stellt eine keilf\u00f6rmige Reihe von Kegeln\nFigur 4.\nKegel frei.\ndar. Kein Mensch wird zuerst im Zweifel dar\u00fcber sein, dafs uns der Kegel A n\u00e4her steht als der Kegel R, ebensowenig wird er glauben, dafs der Kegel B ganz wesentlich kleiner ist als A, und er sieht in der tats\u00e4chlichen bildlichen Verk\u00fcrzung nur die Einwirkung der Perspektive. Aber diese Auffassung ist trotz ihrer grofsen Wahrscheinlichkeit keineswegs zwingend. Sowie wir erst einmal unsere Vorstellung davon \u00e4ndern, dafs die Kegel auch wirklich fast alle dieselbe Grofse haben m\u00fcssen, sondern im Gegenteil annehmen, dafs der Kegel B wesentlich kleiner ist als sein Nachbar, und dieser kleiner als der folgende und so fort, so gelingt es uns sogleich oder nach einiger Zeit, A in der Ferne und B ganz vorn zu sehen. Diese Schwierigkeiten in der Inversionsm\u00f6glichkeit fallen aber fort, wenn man Figuren neben-","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. Hl\neinander hat, \u00fcber deren relative Gr\u00f6fse man gar nichts anssagen kann. Setzen wir an Stelle der Kegel einfache gerade Linien (Figur 5), so wird die Inversion mit Leichtigkeit erfolgen.\nDie Perspektive kann allerdings einen anderen unbedingten Einflufs auf die Inversionsm\u00f6glichkeit haben. Sie verhindert n\u00e4mlich bei vielen Figuren, dafs man von einer bestimmten Auffassungsform durch eine Inversion eine andere hervorrufen kann, die sich zu der prim\u00e4ren wie ein Spiegelbild verh\u00e4lt. Bei Figur 1 k\u00f6nnen wir in der Auffassung, dafs A und G entgegengesetzte Ecken sind, ohne perspektivischen Fehler nicht die Umkehrung der ersten Auffassung sehen. Fafst man sie n\u00e4mlich als W\u00fcrfel auf, so \u00fcbersieht man dabei, dafs bei der Hinterfl\u00e4che die Verk\u00fcrzung fehlt. Sieht man sie dagegen perspektivisch richtig, so stellt die Figur eine abgestumpfte Pyramide mit quadratischer Grundfl\u00e4che dar, die dem Beobachter stets abgekehrt sein mufs, da sich tats\u00e4chlich Gr\u00f6fse und perspektivische Verk\u00fcrzung so kompensieren, dafs sich auch am wirklich r\u00e4umlichen Gebilde die so verk\u00fcrzte Hinterfl\u00e4che dem Auge in derselben Gr\u00f6fse wie die Vorderfl\u00e4che darbietet. Nicht m\u00f6glich ist die Umkehrung dieser richtigen perspektivischen Auffassung in dem Sinne, dafs wir den Eindruck haben, als ob die Grundfl\u00e4che uns zugekehrt sei, weil in diesem Falle die perspektivische Verk\u00fcrzung das schon am r\u00e4umlichen Gebilde selbst kleinere Quadrat treffen w\u00fcrde, und deshalb die perspektivische Verk\u00fcrzung den Fehler nicht kompensiert, sondern ihn vergr\u00f6fsert.\nLeichter liegen die Verh\u00e4ltnisse an der Figur einer zylindrischen R\u00f6hre (Fig. 6).\nDie R\u00f6hrenumkehrung ist hierbei unm\u00f6glich.\nDagegen sehen wir, wenn der kleinere Kreis vom erscheint, einen abgestumpften Kegel, den wir seinerseits wieder umkehren k\u00f6nnen, so dafs wir, auch wenn der kleine Kreis hinten liegt, nicht notwendig eine zylindrische R\u00f6hre sehen m\u00fcssen \u2014 also den kleinen Kreis seiner perspektivischen\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 47.\nFigur 6.\nR\u00f6hre.\nFigur 5.\n8\nfl\t/?\nSenkrechte gerade Linien.","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112\nArnold Zimmer.\nVerk\u00fcrzung gem\u00e4fs dem grofsen gleich grofs denken \u2014, sondern die Figur uns als abgestumpfter Kegel erscheint, dessen Grundfl\u00e4che uns zugekehrt ist.\nWesentlicheren Einflufs auf die Eindeutigkeit von Figuren \u00fcbt die Erfahrung aus, dafs die vorderen Gegenst\u00e4nde die dahinterliegenden verdecken. Besonders wieder bei Gegenst\u00e4nden des allt\u00e4glichen Lebens, die wir genau kennen, ist dieses Moment fast unbedingt entscheidend. Figur 7 zeigt dieselbe Kegelreihe, die hier allerdings so gezeichnet ist, dafs die Figuren sich untereinander teilweise decken. Hier kann uns die Vorstellung, xlafs der Kegel B bedeutend kleiner als A ist, allein nicht mehr zur Inversion verhelfen, wir m\u00fcfsten denn schon annehmen, dafs\nFigur 8.\nKegel (bedeckt).\tVier kulissenartige Fl\u00e4chen.\ntats\u00e4chlich keine Teile der Kegel verdeckt seien, sondern dals \u00fcberhaupt nur die auf der Figur sichtbaren Teile die Reihe zusammensetzen, ein Gedanke, der allerdings der praktischen Vorstellung so widerspricht, dafs wir nur mit gr\u00f6fster Anstrengung eine Inversion erhalten. Leichter sind auch hier wieder theoretische Figuren, \u00fcber deren Bedeutung man vorher nichts weifs. In Figur 8 scheinen uns mehrere Fl\u00e4chen vor- oder hintereinander gestellt zu sein. Im allgemeinen wird nun die urspr\u00fcngliche Auffassung die Figur so interpretieren, als ob durch den Ausschnitt von a, b durch den von b, c und von c die Fl\u00e4che d zu sehen sei, so dafs die Perspektive die scheinbaren Gr\u00f6fsenunterschiede wieder kompensiert und d dem Ausschnitt von a gleich grofs erscheint. Die Fl\u00e4chen sind also kulissenartig hintereinander auf-\nFigur 7.","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. H3\ngestellt. Fast ebenso leicht bekommen wir fiber die Vorstellung dafs eine kleinere Fl\u00e4che d eine gr\u00f6fsere und ferner liegendere c, diese h und diese a teilweise verdeckt und die einzelnen Fl\u00e4chen nach hinten an Gr\u00f6fse schnell zunehmen. Diese Figur, die theoretisch sich von der vorigen durch nichts unterscheidet, leidet nur nicht an dem Mangel, dafs uns die gel\u00e4ufigsten Vorstellungselemente eine ganz bestimmte Auffassungsart aufdringen, so dafs beide Arten der Auffassungsm\u00f6glichkeit nach einiger \u00dcbung im Betrachten der Figur gleich h\u00e4ufig sind.\nAuch andere Merkmale wie Schattierung und Sch\u00e4rfe verst\u00e4rken oft erheblich die Eindeutigkeit. Doch liegt es nicht im Rahmen dieser Arbeit, auch hierauf noch n\u00e4her einzugehen. Vom praktischen Wert hingegen ist es, zu erw\u00e4hnen, an welchen Figuren die Inversionen besonders ausgepr\u00e4gt sind, so dafs sie zur Untersuchung dieser Vorg\u00e4nge geeignet sind. Aus alledem, was wir bisher gesagt haben, geht hervor, dafs zusammen mit der gr\u00f6fseren Einfachheit der Figuren, besonders bei Fehlen von Verdeckungen, Schattierungen und Deutlichkeitsabstufungen der einzelnen Teile der Figur, auch die Leichtigkeit der Inversion zunimmt. Es empfehlen sich deshalb zu ihrem Studium besonders Konturen Zeichnungen von K\u00f6rpern, die m\u00f6glichst, wo es n\u00f6tig ist, durchsichtig gedacht sind, so dafs man s\u00e4mtliche Konturen von der Figur sieht. Eingeb\u00fcrgert in der Literatur haben sich besonders zu diesem Zwecke : Der NncKERsche 1 W\u00fcrfel, die Tm\u00c9RYsche2 Figur, der Serviettenring von Wundt3, die ScHR\u00d6DERsche Treppe4 und das LoEBsche Buch.5 6\nA. LITERATURBERICHT und KRITIK.\nSeitdem Necker 6 1833 die Fragestellung \u00fcber Inversionen aufgeworfen und versucht hat, sie zu beantworten, haben sich eine ganze Anzahl von Autoren mit diesem Problem besch\u00e4ftigt. Ihre L\u00f6sungen weichen aber ganz aufserordentlich voneinander ab und stehen sich scharf gegen\u00fcber. Diese Theorien besitzen\n1\tNecker a. a. \u00f6.\n2\tPhilosophische Studien. B. 11. S. 319.\n3\tWundt a. a. 0. Phil. Stud. S. 41 ; Abh. a. a. O. S. 73.\n4\tSchr\u00f6der. Poggendorffs Annalen. B. 105. 1858. S. 298.\n5\tLoeb. Pfl\u00fcgers Archiv f\u00fcr Physiol. B. 40. 1887. S. 274.\n6\ta. a. 0.\n8*","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nArnold Zimmer.\nf\u00fcr die Figuren, f\u00fcr die sie aufgestellt worden sind, eine gewisse Wahrscheinlichkeit, versagen aber sofort, wenn man die Inversionen etwas andersgearteter Figuren damit zu erkl\u00e4ren sucht. Auch Wundt, der selber diesen Vorwurf erhebt1, ist diesem Fehler nicht ganz entgangen, und seine Theorie erweist sich daher auch als unzureichend.\nIn der Literatur \u00fcber Inversionen stehen sich besonders zwei Klassen von Theorien gegen\u00fcber. Bei der einen verlegt man den Grund der Inversion in rein physiologische Vorg\u00e4nge, bei der anderen sieht man ihn in verschiedenartigen psychischen Erscheinungen.\nI. Physiologische Erkl\u00e4rungen der Inversionen.\n1. Fixationstheorie.\nNECKEKsche Theorie.\nNeckek 2, der die scheinbare Lage Ver\u00e4nderung von Zeichnungen , die \u201eKristallfiguren oder geometrische K\u00f6rper\u201c vorstellen, zum ersten Male in einer kurzen Notiz beschrieb, legte darin zugleich den Grundstein f\u00fcr alle kommenden physiologischen Erkl\u00e4rungsweisen. Er stellte n\u00e4mlich eine bestimmte Empfindung im Auge fest, die regelm\u00e4fsig mit einer Inversion zusammen erfolgte, gleichviel ob er monokular oder binokular die Figur betrachtete. Daraus schlofs er, dafs die Inversionserscheinung nicht auf irgendwelchen psychischen Vorg\u00e4ngen beruhen k\u00f6nne, sondern durch eine Ver\u00e4nderung des Auges verursacht werden m\u00fcsse. Aufserdem glaubte er zu beobachten, dafs der Vorstellungswechsel stets mit einer Fixationsschwankung verbunden w\u00e4re, und erkl\u00e4rte deshalb die Inversionen folgendermafsen : Der direkt gesehene Punkt, der die macula lutea trifft, scheint, da er deutlicher als die \u00fcbrigen indirekt gesehenen Punkte wahrgenommen wird, uns n\u00e4her und hervorspringend, w\u00e4hrend die undeutlichen Punkte f\u00fcr ferner und zur\u00fcckliegend gehalten werden.\nDafs diese Erkl\u00e4rung richtig sei, schliefst er aus drei Versuchen :\n1\ta. a. O. Philosophische Studien. S. 28.\n2\tPoggendorffs Annalen. B. 27. 1833. S. 502.","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. H5\n1.\tIhm scheint immer der fixierte Punkt vorn zu liegen.\n2.\tWenn er bei dem W\u00fcrfel (Fig. 1) Punkt A fest fixiert und dann eine Konvexlinse so zwischen Auge und Zeichnung bringt, dafs ihm Punkt G fixiert erscheint, so tritt Inversion ein.\n3.\tWenn er durch ein kleines Loch in einer Karte auf die Figur blickt, so erscheint ihm stets der sichtbare Teil vorn zu liegen, w\u00e4hrend er sich die anderen Teile, der Figur entsprechend, als dahinterliegend erg\u00e4nzt.\nGegen Necker wendet sich Wheatstone 1 mit folgenden Gegenbeobachtungen :\n1.\tDa die beiden betreffenden Punkte entgegengesetzter Tendenz in derselben Ebene liegen, mithin auch gleich weit vom \u00c4uge entfernt sind, mufs der einmal gew\u00e4hlte Akkommodationszustand f\u00fcr das deutlichste Sehen des einen Punktes zugleich auch f\u00fcr den des anderen gelten.\n2.\tEs findet genau derselbe Wechsel statt, es mag das Auge f\u00fcr weitere oder k\u00fcrzere Strecken akkommodiert sein.\n3.\tInversionen treten oft ein, wenn das Auge einen Punkt dauernd fixiert.\n2. Augenbewegungen als Grund f\u00fcr Inversionen.\na. Theorie von Wundt. 1 2\nWundt hat von allen Autoren sich am meisten mit der umkehrbaren Perspektive besch\u00e4ftigt, weil er in ihrem Studium ein ausgezeichnetes Mittel f\u00fcr die tiefere Erkenntnis der einfachen psychischen Vorg\u00e4nge sieht. Aufserdem leitet er aus den Resultaten seiner Untersuchungen \u00fcber umkehrbare Perspektive auch das aktive T\u00e4uschungsmoment f\u00fcr einen grofsen Teil der geometrisch-optischen T\u00e4uschungen ab. F\u00fcr ihn ist die Blick-\n1\tPoggendorefs Annalen. Erg\u00e4nzungsband I. 1842. S. 25 f.\n2\tWundts Theorie \u00fcber umkehrbare Perspektive findet sich in folgenden Schriften:\na)\tAbhandl. der K\u00f6nigl. S\u00e4chs. Gesellsch. der Wissenschaften. B. 42 Math, physik. Klasse. B. 24. 1897\u20141899.\nb)\tPhilosophische Studien. B. 14. 1898.\nc)\tWundt. Physiol. Psychologie. Leipzig, Engelmann. 6. Aufl. 1910. B. IL S. 575 ff.","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nArnold Zimmer.\nbewegung und die Augenstellung das Motiv f\u00fcr die Raumvorstellung; er sucht deshalb auch aus ihrer Eigenart heraus die T\u00e4uschungen zu erkl\u00e4ren.\n\u201eAls die entscheidende und in allen F\u00e4llen unweigerlich wirksame unmittelbare Bedingung f\u00fcr die Beschaffenheit der k\u00f6rperlichen Vorstellung erweist sich hiermit die Richtung der Blickbewegung und der Augenstellung. Denn alle diese umkehrbaren perspektivischen T\u00e4uschungen folgen der Regel: Die Teile des Bildes, von denen die Blickbewegung ausgeht, erscheinen dem Beschauer n\u00e4her als jene, nach denen die Blickbewegung erfolgt; und bei ruhendem Auge: die Grenzpunkte des Objektes, die der Blick fixirt, erscheinen n\u00e4her als solche Punkte, die sich im indirekten Sehen befinden, sofern die letzteren nicht etwa nach der Beschaffenheit der Zeichnung in gleicher Entfernung mit dem Fixirpunkte liegen m\u00fcssen.\u201c 1\nDieser allgemeinen Regel ordnet Wundt die Inversionserscheinungen in drei Gruppen unter.\nErste Gruppe.\n\u201eDabei ist das Verh\u00e4ltnis der ruhenden Stellung (des Auges2) und der Bewegung zueinander in der Regel dies, dafs schon eine bestimmte Fixationsstellung, wenn sie sogleich bei der ersten Betrachtung einer Figur eingenommen wird, einen gewissen plastischen Effekt beg\u00fcnstigt, dafs aber dieser bedeutend erh\u00f6ht wird, wenn jene neue Fixirstellung in die entsprechende Bewegung \u00fcbergeht.\u201c 3\nAls Beispiel w\u00e4hlt er f\u00fcr diese Gruppe besonders den Necker-schen W\u00fcrfel (Fig. 1). Fixiert man einen Punkt auf der Kante A B, so erscheint diese vorn, so dafs also der W\u00fcrfel so vor uns liegt, dafs wir von oben links auf ihn hinaufsehen. Fixiert man dagegen einen Punkt der Kante H G, so tritt diese in den Vordergrund, und wir scheinen rechts unter dem W\u00fcrfel zu stehen. In beiden F\u00e4llen wird diese Auffassung stark erh\u00f6ht, wenn wir unseren Blick auf den Fixationslinien A D, A E und B C, B F oder im zweiten Falle H E, H D oder G C, G F in die Tiefe bewegen.\nZweite Gruppe.\n\u201eUnter gewissen Bedingungen kann es nun aber geschehen, dafs diese in der Regel in gleicher Richtung wirksamen Momente der ruhenden Fixation und einer an diese sich anschliefsende Blickbewegung die Tendenz zur Erzeugung entgegengesetzter Reliefvorstellungen in sich tragen. Dies geschieht n\u00e4mlich naturgem\u00e4fs dann, wenn die Bewegung des Auges not-\n1\ta. a. 0. Philosoph. Studien. S. 33.\n2\tVom Autor hinzugef\u00fcgt.\n3\tAbhandl. S. 70.","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. H7\nwendig in eine zweite Fixirstellung \u00fcberf\u00fchrt, welche die entgegengesetzte perspektivische Wirkung aus\u00fcbt. In diesem Falle ist eine bestimmte Form der Perspektive ausschliefslich an eine bestimmte Fixirstellung des Auges gebunden, und eine etwa an diese sich anschliefsende Bewegung verst\u00e4rkt nicht den Effekt, wie im vorigen Falle, sondern hebt ihn auf, um ihn durch eine Inversion in den entgegengesetzten \u00fcberzuf\u00fchren.\u201c 1\nFixieren wir bei der Scmt\u00d6DERschen Treppe den Punkt A (Fig. 9), so erscheint uns die Figur als eine normal gerichtete\nFigur 10.\nScHR\u00d6DERsche Treppe. S. Abh. a. a. O., S. 67.\nTm\u00c9RYsche Figur.\nS. Abh. a. a. O., S. 71.\nWundt : Phys. Psychologie, B. II, S. 577.\nTreppe. Eine Blickbewegung l\u00e4ngs der Vorderkanten der einzelnen Stufen hat gar keinen Einfiufs auf die Vorstellung, weil sie alle in der gleichen Ebene erscheinen. Anders dagegen verh\u00e4lt es sich, wenn der Blick von A nach B her\u00fcberschweift. B ist hier ein Fixationspunkt entgegengesetzter Tendenz; eine Blickbewegung von A nach B f\u00fchrt also unbedingt zur Inversion, so dafs wir nun statt einer Treppe ein \u00fcberh\u00e4ngendes Mauerst\u00fcck sehen. Im Prinzip dasselbe ist die Figur, die von Thi\u00e9ry2 ver\u00f6ffentlicht worden ist. Sie ist vielleicht f\u00fcr die Inversion noch geeigneter, da uns keine von den beiden Inversionsm\u00f6glichkeiten wahrscheinlicher als die andere ist (Fig. 10).\nDritte Grup pe.\n\u201eDaneben gibt es auch Konturenzeichnungen, deren Beschaffenheit aufser einem, durch gewisse Blickbewegungen und entsprechenden Blickstellungen zu erzeugenden Relief und seiner Umkehrung noch eine andere davon ganz verschiedene perspektivische Vorstellung und deren Umkehrung\n1\ta. a. 0. Abhandl. S. 70.\n2\tPhilosoph. Studien. B. 11. S. 319.","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nArnold Zimmer.\ngestattet. Wir wollen diese dritte und vierte Perspektive, da sie auch da, wo sie \u00fcberhaupt m\u00f6glich sind, immer als die seltneren auftreten, der K\u00fcrze halber die \u201eungew\u00f6hnlichen\u201c nennen. Die Beobachtung lehrt nun, dafs solche ungew\u00f6hnlichen Reliefs nur bei starrer Fixation bestimmter Punkte einer dazu geeigneten Figur, niemals durch Blickbewegungen hervorgerufen werden k\u00f6nnen.\u201c \u201eAufserdem aber kann das ungew\u00f6hnliche Relief immer nur durch Fixation solcher Punkte der Figur hervorgerufen werden, die keiner der Fixationslinien angeh\u00f6ren, deren Durchwanderung mit dem Blick oder deren Fixation nicht eine der gew\u00f6hnlichen Reliefformen erzeugt.\u201c 1\nDiese Erscheinung erkl\u00e4rt Wundt an der Serviettenringfigur (Fig. 2), die wir schon oben besprochen haben. Es gibt also zwei Auffassungsm\u00f6glichkeiten hierbei, die sich nicht decken, von denen jede wieder vollst\u00e4ndig invertiert werden kann. Die erste ist die eines flachen Zylinders; es geh\u00f6ren also die Bogen AB und B S zusammen. Nach der WuNDTschen Theorie bekommt man diese Auffassungsformen immer dann, wenn man irgendeinen Punkt auf einem Bogen fixiert, oder den Blick l\u00e4ngs der B\u00f6gen f\u00fchrt. Um aber die zweite Auffassungsm\u00f6glichkeit zu erhalten, n\u00e4mlich die eines Siegelringes, dessen eine Seite breit ist, w\u00e4hrend der Bogen nach hinten schmal zusammenl\u00e4uft, mufs man unbedingt starr fixieren und zwar imagin\u00e4re Punkte, die nicht auf den Bogen selber liegen. In dem Falle, dafs wir den schmalen Rand uns zugekehrt sehen wollen, fixieren wir einen Punkt, der zwischen A und S liegt, im anderen Falle, wo die schmale Kante hinten erscheint, suchen wir uns einen Punkt dicht bei B oder B zur Fixation aus.\nDas sind die drei Gruppen, die Wundt der allgemeinen Regel unterordnet. Nun gilt es aber klarzustellen, wie weit psychologische Motive dabei mitzusprechen haben, und besonders zwei Fragen zu beantworten.\n\u201eErstens l\u00e4fst sich fragen, durch welche Motive wir etwa veranlafst werden, eine bestimmte Zeichnung bald so, bald so zu fixiren oder mit dem Blick zu durchlaufen und auf diese Weise eine bestimmte Art perspektivischer T\u00e4uschung oder ihrer Umkehrung hervorzubringen. Zweitens und vor allem bleibt zu untersuchen, wie denn eine bestimmte Art der Fixation oder der Bewegung des Blickes gerade eine bestimmte Art perspektivischer Verstellung und keine andere hervorbringt.\u201c 2\nWas der Grund der Augenbewegungen ist, l\u00e4fst sich leicht einsehen. Wir haben ihn entweder in unbewufsten Mo-\n1\ta. a. 0. Philos. Studien S. 40.\n2\ta. a. 0. Abhandl. S. 76.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. H9\ntiven zu suchen oder wir k\u00f6nnen sie durch Willensaktionen her vorrufen und haben auf diese Weise die M\u00f6glichkeit, wenigstens mittelbar durch unseren Willen Inversionen zu erzeugen.\n\u201eOhne die entsprechende Augenbewegung vermag er (der Wille *) daher auch nicht im geringsten jene Vorstellung hervorzubringen; noch vermag er sich der Augenbewegung irgendwie als eines Hilfsmittels im Dienste einer zuvor schon vorhandenen Vorstellung zu bedienen. Vielmehr k\u00f6nnen wir immer nur unserem Auge willk\u00fcrlich eine Stellung geben oder es in einer bestimmten Richtung bewegen, die von dieser Stellung und Bewegung abh\u00e4ngige perspektivische Vorstellung tritt aber gerade so unwillk\u00fcrlich ein, als wenn jene Stellungen und Bewegungen ganz zuf\u00e4llig erfolgt w\u00e4ren; und die Bewegungen und Fixationsstellungen des Auges bilden integrierende Bestandteile der perspektivischen Vorstellung selbst, so dafs diese immer erst mit jenen eintreten.\u201c 1 2\nZur Erkl\u00e4rung der Wechselbewegungswirkung von Augenbewegung und Vorstellung, stellt Wundt folgende Hypothese auf:\n\u201eDie Stellungen und Bewegungen des Auges l\u00e4ngs der Konturen dieses Bildes aber k\u00f6nnen zwar verschiedene sein, doch diese Bewegungen selbst sind nicht r\u00e4umliche Vorstellungen, sondern sie k\u00f6nnen h\u00f6chstens als Momente betrachtet werden, die bestimmte Vorstellungen oder, wie wir ohne Zweifel es treffender bezeichnen, bestimmte Elemente fr\u00fcher gehabter Vorstellungen in das Bewu\u00dftsein rufen. In der Tat ist es offenbar eine nicht unwahrscheinliche Annahme, dafs eine Augenbewegung, die wir in einer bestimmten Weise ausf\u00fchren, oder eine Augenstellung von bestimmter Richtung die Tendenz in sich tragen werden, Bruchst\u00fccke solcher fr\u00fcherer Vorstellungen in uns zu erw ecken, bei denen die n\u00e4mlichen Bewegungen und Stellungen des Auges stattgefunden hatten\u201c 3 . . . \u201eEs k\u00f6nnen also nicht fertige Vorstellungen, sondern h\u00f6chstens Fragmente gewisser Vorstellungen, oder noch wahrscheinlicher Anlagen zu solchen Partialvor-stellungen sein, die in dem Augenblick in uns wirksam werden, wo eine bestimmte Stellung oder Bewegung des Auges eine ganz bestimmte plastische Anschauung in uns wachruft.\u201c4 . . . \u201eDies vorausgesetzt, bietet denn aber auch die spezielle Regel, dafs bei allen umkehrbaren T\u00e4uschungen jedesmal der fixirte Teil des Objektes sowie derjenige, von dem eine Bewegung ausgeht, als der dem Beschauer n\u00e4here erscheint, der Erkl\u00e4rung keine Schwierigkeiten. Vielmehr bildet diese Regel lediglich einen Beleg f\u00fcr die allgemein sich best\u00e4tigende Wirksamkeit der gel\u00e4ufigsten Vorstellungselemente. Die dem Beschauer n\u00e4chstliegenden Teile eines k\u00f6rperlichen Gegenstandes sind in der weitaus \u00fcberwiegenden Anzahl der F\u00e4lle diejenigen, die zuerst vom Auge fixirt werden, und von denen dann die den Konturen entlanglaufenden Augenbewegungen ausgehen. Bei starrer Fixa-\n1\tVom Autor hinzugef\u00fcgt.\n2\ta. a. 0. Abhandl. S. 76.\n3\ta. a. O. Abhandl. S. 78.\n4\ta. a. 0. Abhandl. S. 80.","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nArnold Zimmer.\ntion mufs daher der fixirte Teil, und bei Bewegungen der Blicklinie der Teil, von dem die Bewegung ausgeht, erhaben erscheinen.\u201c 1\nWir gehen in der Betrachtung r\u00e4umlicher Gebilde meistens von unten herauf resp. von den n\u00e4chsten nach ferner mit unserer Augenbewegung liegenden Elementen, da wir in der Prim\u00e4rstellung die Augen gesenkt haben. Daher auch bei den Figuren die Tendenz, indem man die untersten Konturen zuerst sieht, sich der Vorstellung so darzubieten, als ob wir von oben auf den K\u00f6rper heraufschauten.\nDas Ph\u00e4nomen der Inversionen ist also bei Wundt keine Urteilst\u00e4uschung2, sondern es sind Assoziations- und Reproduktion s Wirkungen3, die auf physiologischen Prozessen, n\u00e4mlich denen der Augenbewegungen basieren.\nb. Kritik.\nDiese Theorie von Wundt wird jedoch keineswegs allgemein angenommen, sondern st\u00f6fst bei vielen Autoren auf Bedenken. Wundt setzt voraus, dafs tats\u00e4chlich Inversionen nur auf Grund von entsprechenden Augenbewegungen entstehen k\u00f6nnen und dais eine bestimmte Augenstellung auch stets dieselbe Auffassungsform der Figur zur Folge haben mufs. Er schliefst dies aus subjektiven Eigenbeobachtungen. Diese Annahme w\u00fcrde eine gewisse Wahrscheinlichkeit besitzen, wenn n\u00e4mlich die Selbstbeobachtung der anderen Autoren zu demselben Resultat gef\u00fchrt h\u00e4tte. Doch hier finden wir ziemlich allgemein Widerspruch. So erkl\u00e4rt K\u00fclpe 4, dafs er die von Wundt geforderte Abh\u00e4ngigkeit der Augenbewegungen und Inversionen an sich nicht habe feststellen k\u00f6nnen, und auch Beckee5 bekommt bei seinen Untersuchungen nicht unbedingt f\u00fcr die entsprechende Blickrichtung auch die vorausgesetzten Auffassungsformen bei der Serviettenringsfigur (Fig. 2). Witasek kommt zu folgendem Schl\u00fcsse : \u201eVor allem gelang es mir durchaus nicht, den bestimmenden\n1\ta. a. O. Abhandl. S. 80.\n2\ta. a. 0. Philos. Stud. S. 45.\n3\ta. a. 0. Philos. Stud. S. 44.\n4\tK\u00fclpe. Grundrifs der Psychologie. Leipzig. 1893. S. 385.\n5\tBecker. Experimentelle und kritische Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Lesens bei kurzen Expositionszeiten. Zeitschrift f\u00fcr Psychologie 36. 1904. S. 69.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen cl. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. 121\nEinflu\u00df, den nach Wundts Theorie die Blickrichtung und die Blickbewegung auf den Ausfall des Beliefs bei den umkehrbaren perspektivischen T\u00e4uschungen aus\u00fcbt, an mir selbst zu erfahren. Meine mit der gr\u00f6fsten Sorgfalt und Ausdauer ausgef\u00fchrten Nach-pi\u00fcfungen ergaben mir vielmehr die v\u00f6llige Unabh\u00e4ngigkeit des einen vom. andern. Dadurch aber wird die vornehmste direkte St\u00fctze der Theorie ersch\u00fcttert\u201c . . . \u201eEs geht ihr doch andererseits jede M\u00f6glichkeit direkter Verifikation ab, weil die postulierten Augenbewegungen zugestandenermafsen der inneren Wahrnehmung nicht zug\u00e4ngig sind. Dann liegt aber gerade in diesem Falle deshalb eine um so f\u00fchlbarere Beeintr\u00e4chtigung der Vertrauensw\u00fcrdigkeit der Hypothese, weil ein Zusammenhang zwischen Augenbewegungsempfindung und Raumwahmehmung durchaus nicht a priori einzusehen ist, und nicht nur dieser Zusammenhang sondern auch die Bewegungsempfindung selbst hypothetisch angenommen werden m\u00fcssen.\u201c 1\nAufserdem begegnen wir bei dieser Theorie noch einer Schwierigkeit, die Wundt selbst schon dazu zwang, Gruppe 1 von Gruppe 2 zu unterscheiden. Fixieren wir in Figur 1 den Punkt A, so mufs dabei dieser uns zugekehrt erscheinen. Bewegen wir den Blick nach D oder E hin, so wird dieser plastische Eindruck verst\u00e4rkt. Aber was geschieht nun mit dem Blick? Bestenfalls lassen wir ihn auf E oder D ruhen. Diese beiden Punkte liegen aber auf der Inversionsachse und bleiben in jedem Falle bei der Auffassung als W\u00fcrfel in ihrer Ebene liegen, k\u00f6nnen also keinen Einflufs auf irgend eine bestimmte Auffassungsform haben. Hier ist also wirklich das Wahrscheinliche, dafs der erste Eindruck erhalten bleibt oder \u00fcberhaupt der plastische Eindruck langsam verschwindet und die ganze Figur fl\u00e4chenhaft wird. Doch ist es kaum anzunehmen, dafs wir ohne einen bestimmten Willensimpuls dazu hier auch wirklich mit dem Blick stehen bleiben, sondern unsere Blickbewegung geht entweder nach R weiter, oder geht nach A zur\u00fcck. Geht sie weiter, so mufs sich der erste plastische Eindruck wieder erh\u00f6hen; denn wir gehen von D oder E mit dem Blick in die Tiefe. Oder es tritt der Fall der Gruppe 2 ein, wie es Wundt bei einer direkten Bewegung von A nach H auch behauptet, dafs die entgegengesetzte Tendenz des Punktes H so sehr \u00fcber-\n1 Zeitschrift f\u00fcr Psychologie 19. 1899. S. 83.","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nArnold Zimmer.\nwiegt, dafs trotzdem Inversion eintritt. Gehen wir aber von E oder B wieder nach A zur\u00fcck, so mufs gleichfalls Inversion ein-treten, denn die Bewegung B\u2014A hat nat\u00fcrlich eine der Bewegung A\u2014B entgegengesetzte Tendenz, so dafs in diesem Falle auch die Punkte E und /), A gegen\u00fcber Punkte entgegengesetzter Tendenz sind. Die Folge ist also, dafs wir, falls wir nicht fixieren, auf Grund dieser beiden verschiedenen Blickbewegungsreihen andauernd unter Inversionen zu leiden h\u00e4tten. Das aber widerspricht v\u00f6llig den Tatsachen. Machen wir n\u00e4mlich Untersuchungen an unge\u00fcbten Versuchspersonen (siehe den experimentellen Teil), so finden wir, dafs es ihnen zuerst gar nicht m\u00f6glich ist, Inversionen zu erhalten, trotzdem sie die vorgeschriebenen Augenbewegungen machen. Erst nach langer Zeit tritt bei ihnen ganz ohne ihre willk\u00fcrliche Hilfe die Inversion ein. Und auch ge\u00fcbte Beobachter erhalten im allgemeinen viel seltener Inversionen und k\u00f6nnen oft den Blick ruhig \u00fcber die Figur hinwegschweifen lassen, ohne einen Umschlag zu bekommen.\nIch m\u00f6chte hier noch einige Beobachtungen hinzuf\u00fcgen,\ndie ich an einigen Figuren gemacht habe, und die den meisten\nanderen Personen, denen ich sie vorlegte, auch gegl\u00fcckt sind.\nNehmen wir als Beispiel die Tm\u00c9KYsche Figur (Fig. 10). Fixieren\nwir ohne bestimmte Tendenz den Punkt A, so liegt er meist\n\u2022 \u2022\nvorn. Es tritt auch tats\u00e4chlich nach einiger \u00dcbung fast regel-m\u00e4fsig Inversion auf, wenn wir von A nach B mit dem Blick wandern, und umgekehrt. Jedoch k\u00f6nnen wir dieses Hinundher-wandern nicht willk\u00fcrlich lange mit demselben Erfolg fortsetzen, sondern sehr bald verschwimmt der ganze k\u00f6rperliche Eindruck der Figur, oder die Inversionen setzen aus. Auch ist es nicht beliebig, wie schnell die Augenbewegungen hintereinander erfolgen. Werden sie zu schnell, dann tritt gar keine deutliche Inversion ein, h\u00f6ren wir dagegen nach einer wohlgelungenen Blickbewegungsreihe pl\u00f6tzlich mit der Bewegung auf, und gehen in starre Fixation des Punktes A oder B \u00fcber, so pendelt die Inversion immer noch in ann\u00e4hernd demselben Rhythmus weiter, so dafs uns der fixierte Punkt einmal vorn, einmal hinten erscheint. Es ist also nicht notwendig, dafs uns der Fixationspunkt immer vorn erscheint. Es gelingt uns sogar, wenn wir uns mit der Tendenz, den Fixationspunkt hinten zu sehen, an die Untersuchung der Figuren begeben, dieselben Versuchs-","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. 123\nreihen wie oben so auszuf\u00fchren, dafs die Figur immer dergestalt invertiert, dafs jedesmal der Fixationspunkt hinten zu liegen scheint.\nWir wenden uns jetzt dem Widerspruche zu zwischen der W\u00fcNDTschen Theorie der eindeutigen und der mehrdeutigen Perspektive und derjenigen, die ich in der Einleitung auseinandergesetzt habe.\nIm einfachsten Falle stellt Wundt eine horizontale oder vertikale Gerade einer schr\u00e4g gestellten Geraden gegen\u00fcber (Fig. 11, a\u2014 c).1 F\u00fcr unbedingt eindeutig h\u00e4lt er die beiden\nFigur 11.\n6\n3 Gerade (horizontal, vertikal, schr\u00e4g).\nGeraden a und b. Sie sollen \u00fcberhaupt nicht r\u00e4umlich, d. h. aufserhalb der Papierebene aufzufassen sein. Dagegen k\u00f6nnen wir die Gerade c neben dem Eindruck, dafs sie in der Papierebene liegt, aufserdem noch so sehen, als ob sie entweder mit ihrem oberen oder unteren Ende uns n\u00e4her l\u00e4ge. Auf den\nFigur 12.\nR\u00e4dersystem.\nersten Blick hat dies wohl viel Wahrscheinlichkeit f\u00fcr sich. Die Folge aber davon w\u00e4re, dafs wir von manchen Figuren die Auffassungsform gar nicht erhalten k\u00f6nnte, die dem abgebildeten r\u00e4umlichen Gebilde entspricht. Figur 12 z. B. l\u00e4fst sich in sehr vielen Auffassungsformen sehen. Wir wollen versuchen, ob wir\n1 A. a. O. Abhandl.","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nArnold Zimmer.\nvon ihr den Eindruck eines Gebildes bekommen k\u00f6nnen, das in Figur 13 etwas schr\u00e4g von oben wiedergegeben ist. Es sind\nFigur 13.\nR\u00e4dersystem schr\u00e4g von oben.\nzwei R\u00e4der, die in derselben Ebene liegen und durch eine halbkreisf\u00f6rmige Achse verbunden sind. Pr\u00e4gen wir uns diese Auffassungsform erst ein, und gehen nun an die Betrachtung von Figur 12, so werden wir sehr leicht den unmittelbaren Eindruck haben, dafs die Achse nicht gerade, sondern kreisf\u00f6rmig gebogen ist, und zwar kann das R\u00e4dersystem so zu uns gestellt erscheinen, dafs die Achse konkav oder konvex ist.\nJetzt werden wir uns auch leicht erkl\u00e4ren k\u00f6nnen, wie Wundt dazu kommt, z. B. bei der M\u00fcLLER-LYERschen T\u00e4uschung (Fig. 14) eine eindeutige perspektivische Vorstellung zu erhalten, und darin haben wir zugleich wieder ein besonders markantes Beispiel f\u00fcr den Einflufs bestimmter, aus den einfachsten Vorstellungselementen sich ergebenden Tendenzen. Linie a ist tats\u00e4chlich ebenso grofs als b, sie erscheint aber kleiner. Das ist die T\u00e4uschung, wie sie M\u00fcller-Lyer beschreibt.1 Wundt 2 findet\nhierbei noch eine eindeutige perspektivische Vorstellung, in dem er angibt, a l\u00e4ge immer vorn, w\u00e4hrend die beiden Winkel zu beiden Seiten sich nach hinten \u00f6ffneten, b hingegen sei hinten gelegen und die Winkel st\u00e4nden schr\u00e4g nach vorn heraus. Diese perspektivisch eindeutige Vorstellung riefe aber nicht, wie andere es behaupten, die Gr\u00f6fsent\u00e4uschung hervor, sondern\nFigur 14.\n/\tV schw\u00e4chte sie im Gegenteil ab. Es\nAbhandl. a. a. O., S. 88. sei daher nur eine Nebenvorstellung. Wundt, Grundz. a. a. 0., S. 583. Sehen wir nun einmal die Figuren\n1\tZeitschrift f\u00fcr Psychologie 9 und 10, S. 421.\nDubois Reymonds Archiv f\u00fcr Physiologie, 1889. Suppl. S. 269.\n2\tA. a, 0. Philos. S. 61.","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutig er stereometrischer Kontur enzeichnung en. 425\nnicht nebeneinander, sondern einzeln an, so finden wir, dafs jede einzelne keineswegs die Tendenz zur Eindeutigkeit in sich tr\u00e4gt, sondern dafs bei beiden die Winkel fast ebenso leicht nach vorn wie nach hinten verlaufen k\u00f6nnen. Fassen wir aber beide Figuren zusammen auf, so ist der prim\u00e4re Eindruck der der Gr\u00f6fsent\u00e4uschung. Vergleichen wir die beiden Geraden, so haben wir unbewufst die Tendenz, den scheinbaren Gr\u00f6fsen-unterschied durch eine perspektivische Wirkung zu kompensieren und stellen uns nur deshalb die scheinbar gr\u00f6fsere Strecke im Vordergr\u00fcnde, die kleinere als in der Tiefe gelegen vor. Kennen wir aber erst diese Tendenz, so k\u00f6nnen wir durch geeignete Willensrichtung die Figur leicht in die umgekehrte perspektivische Vorstellung umkehren.\nWir sehen hier also wieder, dafs es nicht die Figur als solche ist, die die Tendenz zur Eindeutigkeit mitsichf\u00fchrt, sondern rein subjektive Bed\u00fcrfnisse, die sich durch den Willen beseitigen lassen.\n3. Akkommodation und Konvergenz als Grund f\u00fcr\nInversion.\nWundt und seinen Anh\u00e4ngern stehen die Ansichten der Autoren gegen\u00fcber, die nicht in der Augenstellung und Blickbewegung, sondern in den verschiedenartigen Akkommodationsund Konvergenzzust\u00e4nden die Ursache der Inversion suchen.\na. Loebs Theorie.\nLoeb 1 sieht in der Ver\u00e4nderung der Akkommodation den Grund der Inversionen und glaubt, dies aus folgenden Versuchen schliefsen zu d\u00fcrfen, die er an der Figur eines Buches beschreibt (Fig. 15). Diese Figur stellt ein halbge\u00f6ffnetes Buch vor, in das man in dem einen Falle hineinzusehen glaubt, w\u00e4hrend es uns im anderen den R\u00fccken zuzu- Figur 15. kehren scheint.\n1. Als er sich zum ersten Male mit Inversionen besch\u00e4ftigte, gelang es ihm lange Zeit nicht, sie herbeizuf\u00fchren. Als er aber, erm\u00fcdet von der Fixation, die Augen aus der Fixationsstellung heraus erschlaffen liefs, stellte sie sich\n1 A. a. 0.\ns. Pfl\u00fcgers Archiv 40, S. 274.","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\nArnold Zimmer.\nvon selber ein. Er fand nun, dafs man sie spontan hervorrufen k\u00f6nne, indem man entweder mehr auf die N\u00e4he oder auf die Ferne akkommodierte, und zwar erschien ihm die Figur 15 bei Akkommodation auf die N\u00e4he konvex, bei Akkommodation auf die Ferne konkav.\n2.\tUm die Wirkung der Akkommodation zu studieren, stellte er Versuche an Unbefangenen (auch an Kindern) in der Weise an, dafs er die Figuren in gleichm\u00e4fsiger nicht zu langsamer Bewegung vom Auge entfernte oder ihm n\u00e4herte. Regelm\u00e4fsig traten die entsprechenden Inversionen auf. Den Versuch \u00e4nderte er mit demselben Resultat so ab, dafs die Versuchsperson der ruhenden Figur sich n\u00e4hert oder sich von ihr entfernt.\n3.\tEbenfalls dasselbe erreichte er, wenn er eine Bleistiftspitze zwischen Auge und Fixationspunkt der Figur hin und her bewegte und auf sie akkommodierte.\n4.\tNicht die absolute Entfernung der Zeichnung vom Auge\nist f\u00fcr den Eintritt der Inversion das Entscheidende, sondern\n\u2022 \u2022\t\u2022 \u2022\ndie \u00c4nderung der Entfernung, somit also auch die \u00c4nderung der Akkommodation.\n5.\tBei spontanen Inversionen bemerkte er Konvergenzbewegungen.\n6.\tTrotzdem werden die Inversionen durch Akkommodationsl\u00e4hmungen mittels Atropineinspritzungen nicht gest\u00f6rt.\nIn diesen Versuchen sieht er den Beweis daf\u00fcr, dafs zwar nicht die Akkommodation und die Konvergenz eine Inversion hervorrufen, sondern der Grund dazu in der Innervation zur Verlegung des Fixationspunktes in der Gesichtslinie zu suchen ist.\nSoll eine komplizierte stereometrische Linienzeichnung invertiert werden, so lenkt man die Aufmerksamkeit auf eine k\u00f6rperliche Ecke und l\u00e4fst durch eines der geschilderten Mittel die Inversion dieser Ecke eintreten. Gew\u00f6hnlich zieht die Inversion dieser Ecke auch die \u00fcbrigen St\u00fccke der Zeichnung nach sich.\nEr weicht mit dieser Ansicht aber schon in einem ganz wesentlichen Punkt von Wundt und Necker ab. Nicht mehr das rein physiologische Moment der Akkommodation und Konvergenz ist f\u00fcr ihn ausschlaggebend, sondern er neigt vielmehr der Ansicht Machs zu: \u201eDer Wille, Blickbewegungen aus-","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. 127\nzuf\u00fchren, oder die Innervation (?) ist die Eaumempfindun\u00ab selbst.441\nSomit bildet Loeb mit seiner Theorie den \u00dcbergang von den physiologischen zu den psychologischen Erkl\u00e4rungen. Wie Wundt glaubt Loeb, der Wille habe nur eine mittelbare Gewalt \u00fcber die Inversionen, n\u00e4mlich auf dem Wege der Akkommodations\u00e4nderung.\nb. Kritik der LoEBschen Theorie.\nLoeb sieht, wie oben auseinandergesetzt ist, nicht in dem Akkommodationszustand, sondern in seiner \u00c4nderung den Grund der Inversionen. Es bleibt daher noch die Frage offen, wie w i r dazu kommen, mit unserer Akkommodation und Konvergenz die Bildebene zu verlassen und so zu fixieren, dafs das Bild unscharf erscheinen mufs.\nHier haben wir in den Versuchen von Weiss 2 \u00fcber \u201edas Verhalten der Akkommodation beim stereoskopischen Sehen44 einen Anhaltspunkt. Er hat n\u00e4mlich durch Messungen festgestellt, dafs das Auge beim Beschauen stereoskopischer Bilder verschieden akkommodiert, je nachdem es von einem scheinbar n\u00e4heren Punkte nach einem anderen im Bilde \u00fcbergeht, der uns ferner zu liegen scheint, und umgekehrt. Diese Akkommodationen gehen sehr schnell vor sich, haben aber nat\u00fcrlich, da sie den Fixationspunkt vor oder hinter die Bildfl\u00e4che verlegen, zur Folge, dafs nun das Bild undeutlicher erscheint. Deshalb werden Kompensationsbewegungen ausgef\u00fchrt.\n\u201eDas Nachlassen der Akkommodation erfolgt jedoch langsamer als der Eintritt derselben, so dafs es weniger klar in die Augen f\u00e4llt als die schnell vor sich gehende Zunahme der Akkommodation.\u201c 1 2 3 Die Akkommodation wird also nicht aus dem Grunde veranlafst, dafs sich das Auge tats\u00e4chlich zum deutlicheren Sehen auf eine andere Ebene einstellen mufs. \u201eDie Akkommodationszunahme ist also offenbar auf einen durch die Vort\u00e4uschung des K\u00f6rperlichen ausgel\u00f6sten Impuls zur\u00fcckzuf\u00fchren. Die Vorstellung beherrscht hier die Reaktion. Es ist dieses in dem gegebenen Falle um so bemerkenswerter, als die Beeinflussung des Akkommodationsapparates durch den Willen von den meisten Menschen nur durch lange \u00dcbung erlernt werden kann, ja vielen niemals gelingt. M\u00f6glich w\u00e4re es jedoch auch, dafs der durch die Vorstellung des K\u00f6rperlichen ausgel\u00f6ste Impuls sich sowohl auf die Konvergenzzunahme bezieht als auf die Akkommodation.\n1\tMach. Analyse der Empfindungen. Jena 1902. S. 103.\n2\tPfl\u00fcgers Archiv Physiologie 88. 1902. S. 79 ff.\n3\tA. a. O. S. 90.\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 47.\n9","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128\nArnold Zimme>\\\nNur k\u00f6nnte vielleicht die Konvergenzbewegung schneller gehemmt werden als der Akkommodationsakt, was bei dem Unterschiede der Muskulatur der beiden nichts Wunderbares h\u00e4tte. So w\u00e4re die Akkommodation doch eine synergische, ohne dafs die Konvergenz zustande k\u00e4me.\u201c 1 2\nWeiss nimmt also im Gegensatz zu Loeb das Kausalit\u00e4tsverh\u00e4ltnis zwischen der Vorstellung und der Akkommodation so an, dafs die Akkommodation eine Folge der psychischen Aktion ist. Loeb liefert aber keinen Beweis daf\u00fcr, dafs die r\u00e4umliche Vorstellung tats\u00e4chlich durch Akkommodation hervorgerufen wird, und nicht im Gegenteil die Ver\u00e4nderungen am Auge eine Kompensationsreaktion der ver\u00e4nderten Raumempfindung sind.\nGegen Loebs Untersuchungen richtet sich ein Versuch, den Ewald und Gross 2 gemeinsam angestellt haben. Sie befestigten die Figur des Buches vor einer Schaukel und erhielten gem\u00e4fs dem LoEBschen Versuch (Versuch 2 s. S. 126) Inversionen, indem sie sich durch Schaukeln abwechselnd der Figur n\u00e4herten oder sich von ihr entfernten. Sie erhielten aber auch dasselbe, wenn sie die Figur durch eine Stange senkrecht zur Bewegungsrichtung mit der Schaukel verbanden, so dafs die Figur sich ein St\u00fcck vor dem schaukelnden Beobachter befand und die Bewegungen der Schaukel mitmachte. Auf diese Weise war aber die Figur nat\u00fcrlich in relativer Ruhelage zum Beobachter. Trotzdem trat Inversion ein. Dies geschah aber nicht mehr, sobald die Figur und der Beschauer um 900 gedreht wurden, so dafs sie sich beide parallel zur Bewegungsrichtung bewegten. Die Autoren erkl\u00e4rten deshalb die Inversionserscheinung in diesem Falle in folgender Weise: Man habe nicht die Empfindung, die Figur eines Buches vor sich zu sehen, sondern ein wirkliches Buch. Aus Erfahrung weifs man aber, dafs, wenn man ein wirkliches Buch im ge\u00f6ffneten Zustande in derselben Weise wie die Figur durch die Luft bewegen w\u00fcrde, der Luftwiderstand, den das Buch findet, einen Umschlag desselben, wie man ihn bei der Figur sieht, zur Folge haben w\u00fcrde. Sie setzen also an Stelle der physiologischen Ursache einen komplizierten psychischen Prozefs, dem sie die Veranlassung dieser Erscheinung zuschreiben. Ob und inwieweit man in diesem interessanten Versuche einen absolut zwingenden Gegenbeweis gegen Loebs Auffassungen zu sehen hat, m\u00f6chte ich freilich dahingestellt sein lassen.\n1\tA. a. O. S. 89.\n2\tPfl\u00fcgers Archiv f\u00fcr Physiologie 115, S. 514.","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. ] 29\nEs gibt aber eine Anzahl von Beobachtungen, die sich der LoEBschen Theorie absolut nicht unterordnen lassen, und bei deren Erkl\u00e4rung auch die WuNDTsche Theorie versagt. Wie wir schon sahen, beschrieb Loeb den Zusammenhang von Akkommodation und Inversion an einer sehr einfachen Figur, der Buchfigur. Die Inversionen an dieser Figur lassen sich auch tats\u00e4chlich alle auf der Basis seiner Annahme erkl\u00e4ren. Ich fand nun aber Figuren, f\u00fcr deren Umkehrung mehrere Augenbewegungen resp. Akkommodationsver\u00e4nderungen oder Konvergenzstellungen n\u00f6tig w\u00e4ren. Diese w\u00fcrden sich aber, weil sie entgegengesetzte Richtung haben, untereinander aufheben m\u00fcssen. Trotzdem treten auch hier Inversionen ein. Eine solche Zeichnung ist die Figur 16. Sie stellt zwei ungleich grofse Serviettenoder Siegelringe dar, die ineinander gestellt sind. Die verschiedenen Inversionen an der einfachen Serviettenringsfigur (Figur 2) haben wir bereits oben kennen gelernt. Dieselben Auffassungsformen k\u00f6nnen bei Figur 16 bei allen beiden Ringen gleichzeitig und in derselben Weise auftreten und zusammen invertieren, es k\u00f6nnen aber auch die Inversionen an beiden Figuren ganz unabh\u00e4ngig voneinander erfolgen. Wir haben z. B. prim\u00e4r den Eindruck, als ob beide Ringe Siegelringe seien, und zwar so gerichtet, dafs die schmale Seite des grofsen nach vorn, die des kleinen nach hinten zeigt. Betrachten wir nun besonders aufmerksam die vier mittleren Bogen, von denen die beiden innersten dem grofsen Ringe, die \u00e4ufseren dem kleineren Ringe angeh\u00f6ren, so kann z. B. nun eine v\u00f6llige Inversion beider Ringe eintreten. Die inneren Bogen st\u00fclpen sich dabei in die Tiefe ein, die beiden anderen treten aus dieser nach vorn hervor. Nach der Theorie beansprucht jeder Ring seine eigene Akkommodations\u00e4nderung, der grofse eine solche in die Ferne, der kleine in die N\u00e4he. Diese beiden Bewegungen zusammen auszuf\u00fchren, ist selbstverst\u00e4ndlich nicht m\u00f6glich, weil sie einander aufheben. Schwerlich wird man andererseits aber annehmen k\u00f6nnen, dafs die Bewegungen nacheinander erfolgen und jede nur gerade auf den Ring Einflufs hat, f\u00fcr den sie be-\nFigur 16.\nDoppelring.","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nArnold Zimmer.\nstimmt sein soll. Eben solchen Schwierigkeiten begegnet man, wenn man bei den verschiedenen Inversionsm\u00f6glichkeiten der Figur 17 die Akkommodations- und Konvergenzbewegungen oder\ndie beeinflussenden Blickbewegungen aufzudecken bestrebt ist. Die Figur besteht aus einem abgestumpften Kegel A und einem spitzen, schr\u00e4g auf diesen aufgesetzten Kegel B, oder \u2014 nach v\u00f6lliger Inversion \u2014 aus zwei hintereinander geschachtelten R\u00f6hren. Die Radien sollen als Richtungslinien dienen. Beide vorhergenannten Erkl\u00e4rungen sind anwendbar, wenn es sich um Auffassungen handelt, bei denen beide Teile der Figur (A und B) gleichzeitig erhaben oder eingest\u00fclpt erscheinen. Die Schwierigkeiten stellen sich aber sofort ein, wenn man die Figur so sieht, dafs in den erhabenen Kegel (A) eine kegelf\u00f6rmige Vertiefung (B) eingelassen ist [oder im anderen Falle am Ende einer R\u00f6hre (A) ein Kegel (B) spitz in sie hineinragt]. Diese M\u00f6glichkeiten k\u00f6nnten nur mit Hilfe ganz verwickelter Bewegungsfolgen zustande kommen. Eine solche Erkl\u00e4rung ist aber g\u00e4nzlich ausgeschlossen, wenn man diese Inversionen auch dann erh\u00e4lt, wenn man die Spitze des Kegels B starr fixiert. Nach einiger \u00dcbung wird dies den meisten gelingen.\nDiese drei Theorien geben, wie wir sehen, den Beweis daf\u00fcr ab, dals die rein physiologischen Erkl\u00e4rungsweisen der Inversionen noch keineswegs einwandfrei sind. Wieweit sie \u00fcberhaupt den Tatsachen entsprechen, m\u00fcssen Untersuchungen ergeben, die sich mit dem Nachweis der supponierten physiologischen Ver\u00e4nderung besch\u00e4ftigen und ihr zeitliches Verh\u00e4ltnis zu den Inversionen festzustellen versuchen.\nWir m\u00fcssen jedoch vorher noch eine kurze \u00dcbersicht dar\u00fcber zu gewinnen suchen, was bisher psychologisch auf diesem Gebiete gearbeitet worden ist.\nFigur 17.\nDoppelkegel.","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen, 131\nII. Psychologische Theorien.\nEine vermittelnde Stellung zwischen den physiologischen und psychologischen Erkl\u00e4rungsweisen nimmt Hoppe 1 mit seiner Theorie ein. Das Wesentliche f\u00fcr das Zustandekommen einer Inversion ist f\u00fcr ihn die A or Stellung der invertierten Figur. Diese Vorstellung aber als das leitende Motiv mufs sich bestimmter Augenbewegungen und Akkommodations-\n\u00e4nderungen bedienen, um die Inversionswirkung zustande zu biingen. Fehlt eines dieser Teile, so tritt keine Inversion ein.\n\\ ollkommen durchgearbeitete Theorien der Inversionserscheinungen auf rein psychologischer Basis, wie wir sie auf physiologischer Basis in der Theorie von Wundt kennen gelernt haben, existieien nicht. Psychologische Erkl\u00e4rungsversuche sind immer nur nebenher, besonders bei Untersuchungen \u00fcber geometrisch-optische T\u00e4uschungen ge\u00e4ufsert worden und erheben sich meist nicht \u00fcber eine ganz allgemeine Andeutung.\nLipps - ist der Ansicht, dafs der dreidimensionale Raum nicht durch unser optisches Rezeptionsorgan wahrgenommen werden kann, sondern dafs von diesem alles fl\u00e4chenhaft der Vorstellung \u00fcbermittelt wird. Die Tiefenlokalisation dagegen h\u00e4lt er f\u00fcr eine durch Erfahrung bedingtes st\u00e4ndiges Urteil. Nach dieser Ansicht fielen nat\u00fcrlich die Inversionen auch unter die Urteilst\u00e4uschungen. Wundt hingegen behauptet, eine Vorstellung von einer bestimmten R\u00e4umlichkeit solcher Figuren sei nicht m\u00f6glich, es sei denn, sie sei durch die entsprechende Augenbewegung hervorgerufen worden.\nHering1 2 3 schreibt die Inversionen z. T. der Einbildungskraft zu, indem er angibt, sie hingen teils von der Willk\u00fcr, teils von der mehr oder minder grofsen Wahrscheinlichkeit, oft auch von unberechenbaren Zuf\u00e4lligkeiten ab, w\u00e4hrend er von den Augenbewegungen sagt, sie seien nicht die Raumempfindung, sondern w\u00fcrden erst durch sie hervorgerufen und wirkten vergr\u00f6fsernd auf das Tiefensehen.4\n1\tHoppe. Psychologisch-physiologische Optik. Leipzig 1881. S. 202 ff.\n2\tZeitsehr. f. Psychologie 3. 1892. S. 173.\n3\tHerrmanns Handbuch der Physiologie 3 (1). 1879. S. 580.\n4\tHering. Beitr\u00e4ge zur Physiologie. Heft 5. Leipzig 1864. S. 316.","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nArnold Zimmer.\nAuch Schr\u00f6der 1 und Wheastone1 2 3 4 sehen in den Inversionen eine rein psychische T\u00e4tigkeit. Helmholtz 3 sowie Ewald und Gross 4 glauben, die Inversionen hingen von der Art ab, wie man sich die Figur vor st eilt; doch gibt Helmholtz zu, dafs sie auch oft unwillk\u00fcrlich auftreten. Er experimentiert mit der Schr\u00f6der-schen Treppe und kommt zu folgendem Resultate : \u201eOft wechselt die Vorstellung unwillk\u00fcrlich. Ich finde aber, dafs man sie auch immer willk\u00fcrlich wechseln lassen kann, wenn man lebhaft sich eine andere Deutung vorstellt.\u201c5 Dem scheinen allerdings die Tatsachen zu widersprechen. Bei unge\u00fcbten Versuchspersonen werden wir sehen, dafs die Inversion nur sehr schwer eintritt, auch wenn die andere Anschauungsform bei ihnen schon einmal vorhanden gewesen war, so dafs es nicht am Mangel der Vorstellungsm\u00f6glichkeit fehlt. Auch der ge\u00fcbte Beobachter wird an sich selbst feststellen k\u00f6nnen, dafs die Inversionen oft nicht mit dem Willen, sich die andere Anschauungsform lebhaft zu denken, zeitlich genau aufeinander f\u00e4llt, sondern auch bei ihm manchmal erst nach l\u00e4ngerer Zeit sich herbeif\u00fchren l\u00e4fst. Diese T\u00e4tigkeit des Willens h\u00e4lt Mach6 f\u00fcr eine Leitung der Aufmerksamkeit und der Stimmung des Sehorganes f\u00fcr eine von mehreren in seiner Gewohnheit liegenden F\u00e4llen.\nHiermit w\u00e4ren wir also die einzelnen psychologischen Theorien durchgegangen, und wir sehen, dafs sie wohl zu einer vorl\u00e4ufigen Erkl\u00e4rung und Beschreibung dieses Problems dienen k\u00f6nnen, aber keineswegs die endg\u00fcltige L\u00f6sung vorstellen. Erst genauere Experimente k\u00f6nnen uns in den Zusammenhang zwischen den verschiedenen psychischen Aktionen und den Inversionen tieferen Einblick gew\u00e4hren. Unsere Aufgabe wird es sein, solche nach M\u00f6glichkeit anzustellen und aus ihnen neue Schl\u00fcsse zu ziehen.\n1\tPoggendorffls Annalen 105.\t1858. S. 298.\n2\tA. a. O. S. 26.\n3\tA. a. O. S. 240.\n4\tPfl\u00fcgers Archiv 115. S. 514.\n5\tA. a. O. S. 510.\n6\tMach. Analyse der Empfindungen. Jena 1902.","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"Li sacken d. Inversionen mehrdeutiger stereonietrischer Konturenzeichnungen. 133\nB. EXPERIMENTELLER TEIL.\nAufgabe.\nF\u00fcr uns ergeben sich folgende Fragestellungen :\nI.\tSind die physiologischen Erscheinungen, denen die Autoren der physiologischen Richtung den Grund zur Inversion zuschreiben, tats\u00e4chlich vorhanden und stehen sie in diesem Falle zu den Inversionen in dem angenommenen Kausalit\u00e4tsverh\u00e4ltnis?\nII.\tKann man durch geeignete Versuchsmethoden den Einflufs dieser physiologischen Erscheinungen ausschliefsen, und findet auch in diesem Falle noch Inversion statt? Trifft dies zu, so ergibt sich die weitere Frage: Sind die Inversionen willk\u00fcrlich oder unwillk\u00fcrlich? Und, falls die Inversionen willk\u00fcrlich sind, durch was werden sie beeinflufst?\nI. Untersuchungen \u00fcber die Zusammenh\u00e4nge von Inversionen und \u00e4ufseren Ver\u00e4nderungen am Auge.\nErste Versuchsanordnung.\nEs soll untersucht werden, ob unbewufste Augenbewegungen bei Inversionen stattfinden, wenn wir einen Punkt einer geeigneten Figur starr fixieren.\nAusgef\u00fchrt wurden die Versuche in einem von drei Seiten erhellten Raume bei m\u00f6glichst gleichm\u00e4fsigem Tageslicht. Wir benutzten dabei die Figur des NECKEaschen W\u00fcrfels (Fig. 1), die schwarz auf weifsem Grunde gezeichnet, 10 cm lang und hoch war. Sie stand in einem Abstande von 1 m vom Beobachter entfernt. Dieser safs auf einem Stuhle, und sein Kopf war mittels eines photographischen Kopfhalters gest\u00fctzt, um m\u00f6glichst alle Bewegungen auszuschalten. Sein rechter Arm ruhte so auf einem f\u00fcr ihn in passender H\u00f6he eingestellten Tische, dafs er mit dem Zeigefinger bequem einen leicht beweglichen Taster in Bewegung setzen konnte, der elektrisch mit einem Signal am Kymographion verbunden war. Zur Regi-","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134\nArnold Zimmer.\nstrierung der Augenbewegungen wurde ihm ein ScHACKwiTZscher Nystagmograph 1 aufgesetzt.\nDieser Apparat besteht aus einer mit Luft gef\u00fcllten und mit einer d\u00fcnnen Gummimembran \u00fcberspannten gew\u00f6lbten Pelotte, die an einem Brillengestell befestigt ist. Sie liegt dicht auf dem lateralen Teile des halbgesenkten Lides auf. Durch einen dickwandigen und kleinkalibrigen Schlauch von ungef\u00e4hr 25 cm L\u00e4nge, der von der Brille \u00fcber das Ohr der Versuchsperson gef\u00fchrt wird, steht die Pelotte mit einer MAREYschen Kapsel in Verbindung. Ein T-f\u00f6rmiges Rohr mit Hahn ist dazwischen geschaltet, um die Luftmenge in dem System zu regulieren und so einzustellen, dafs Pelotte wie MAREYSche Kapsel leicht gespannt sind. Durch die Form und den Drehpunkt des Auges wird bedingt, dafs bei Augenbewegungen die auf dem Lide ruhende Gummikalotte verschieden tief eingedr\u00fcckt wird und sich die Bewegungen der MAREYschen Kapsel mitteilen. Nat\u00fcrlich sind besonders bei kleinen Augenbewegungen die Ausschl\u00e4ge der Kapsel sehr klein, und man mufs deshalb eine besonders empfindliche Kapsel mit sehr grofser Hebel\u00fcbertragung anwenden.2 Aufserdem notierte ein JACQUETScher Chronograph die Zeit.\nZur Beurteilung des Ergebnisses m\u00fcssen wir angeben, mit welcher Genauigkeit der Apparat bei den Versuchen gearbeitet hat. Die Konstruktion des Apparates bringt es mit sich, dafs wir \u00fcber die Richtung der Bewegung keinen Aufschlufs bekommen und auch \u00fcber ihre Gr\u00f6fse nur ungenaue Angaben erhalten. Aus der Gestalt des Auges ist leicht zu ersehen, dafs seitliche Bewegungen des Auges gr\u00f6fsere Ausschl\u00e4ge hervorrufen, als solche von oben nach unten. Zur Bestimmung der Gr\u00f6fse der Ausschl\u00e4ge haben wir folgenden Versuch gemacht: Im Abstand von einem Meter wurde eine begrenzte Strecke im Takte eines Metronomes, dafs seine Schl\u00e4ge elektrisch auf dem Kymo-graphion registrierte, regelm\u00e4fsig mit den Augen durchlaufen. Diese Strecke wurde so lange verkleinert, bis die Ausschl\u00e4ge der Augenbewegungen am Kymographion gerade noch sichtbar blieben. Wir stellten auf die Weise fest, dafs eine seitliche Augenbewegung bis zu 1 \u00b0, eine vertikale bis lx/2 0 noch registrierbar waren. Das entspricht ungef\u00e4hr einer horizontalen Strecke von 2 cm und einer vertikalen von 3 cm L\u00e4nge bei 1 m Entfernung.\nDie ziemlich regelm\u00e4fsig auftretenden Lidbewegungen unterscheiden sich durch ihre ganz charakteristische Form von den zu untersuchenden Augenbewegungen (vgl. Schackwitz).\n1\tSchackwitz. Zeitschrift f. Psychologie 63, S. 442 ff.\n2\tTigerstaedt. Handbuch der physiologischen Methodik. Bd. V. 4. Abt.","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen 'mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. 135\nUnsere Untersuchung ergab nun, dafs dort, wo die Versuchsperson Inversionen angegeben hatte, (die sie erhielt, wenn sie einen Punkt starr zu fixieren versucht hatte,) weder zu gleicher Zeit, noch dicht vorher oder nachher eine Augenbewegung auf der Kurve verzeichnet war. Daraus ergibt sich : Wenn \u00fcberhaupt, so k\u00f6nnen nur solche Augenbewegungen stattfinden, die weniger als 1 oder 172 0 betragen. Wir k\u00f6nnen also nicht mit unserer Blickbewegung den Fixationspunkt so weit verlassen haben, dafs dieser auf einen Punkt entgegengesetzter Tendenz gefallen w\u00e4re. Fixiert war der Punkt A (Fig. 1). Der n\u00e4chste Punkt entgegengesetzter 1 endenz ist H. Doch ist die Strecke A\u2014H 3 */2 cm grofs, also ungef\u00e4hr 3 mal so grofs als eine Strecke, die noch registrierbar ist. H\u00e4tten wir diese Bewegung ausgef\u00fchrt, so h\u00e4tte man die Ausschl\u00e4ge auf der Kurve gut wahrnehmen m\u00fcssen.\nAuf Grund dieser Methode k\u00f6nnen wir dagegen nichts \u00fcber die Ver\u00e4nderung des Akkommodationszustandes aussagen. Wir werden deshalb eine zweite Versuchsanordnung anwenden m\u00fcssen, die uns hier\u00fcber Aufschlufs gibt und zu gleicher Zeit auch Genaueres \u00fcber die Bewegungen des Auges angibt.\nZweite Versuchsanordnung.\nAn Stelle der direkten Registrierung der Augenbewegungen tritt ein neuer Beobachter, der die Aufgabe der Registrierung \u00fcbernimmt.\nAm Ende eines 2 m langen Tisches sitzt der Beobachter der Inversionen. Zur Fixierung seines Kopfes dient ein kleines Brettchen, das durch zwei starke Stative so befestigt ist, dafs es nicht verschoben werden kann. In dieses beifst der Beobachter hinein. Das Kinn des Beobachters wird durch einen Klotz gest\u00fctzt. Auf diese Weise k\u00f6nnen seine Kopfbewegungen nur sehr gering sein. Mit der rechten Hand ber\u00fchrt er wieder einen Taster, der mit dem obersten Signal am Kymographion in Verbindung steht. Die Figur ist die gleiche wie in Versuch 1 (Fig. 1) und steht 1 m vom Beobachter entfernt. Fixiert war Punkt G. Am anderen Ende des Tisches ist ein Fernrohr aufgebaut, das so eingestellt ist, dafs in ihm gerade ein Teil des am meisten beleuchteten Auges des ersten Beobachters sichtbar ist. Wir stellen das Fadenkreuz entweder auf ein besonders mar-","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"136\nArnold Zimmer.\nkantes Gef\u00e4fs im Auge oder auf die Grenze zwischen Iris und dem Weifsen des Auges ein. Auch dem Beobachter am Fernrohr steht ein Taster zur Verf\u00fcgung, der mit dem zweiten Signal verbunden ist. Beide Taster sind so eingerichtet, dafs das durch das Herunterdr\u00fccken entstehende Ger\u00e4usch so gering ist, dafs es vom anderen Beobachter nicht geh\u00f6rt werden kann, um auf diese Weise gegenseitige Beeinflussung zu vermeiden. Der Chronograph gibt wieder in Sekunden die Zeit auf der Kurve an. Ein dritter Herr ist behilflich, indem er das Kymographion bedient.\nAus den Versuchen ging hervor, dafs man tats\u00e4chlich bei Inversionen Augenbewegungen ausf\u00fchrt; diese erfolgen aber im Gegensatz zu der WuNDTschen Theorie regel-m\u00e4fsig nach der Inversion.\nZur Beurteilung war nur ein Teil aller Beobachtungen zu verwenden. Besonders unbrauchbar waren die Angaben, die unge\u00fcbte Beobachter gemacht hatten. Bei ihnen fanden die Inversionen, nachdem sie sie erst einige wenige Male gesehen hatten, so schnell statt, dafs sie meist in jeder Sekunde eine Umkehr angaben. Dabei konnte nat\u00fcrlich das zeitliche Verh\u00e4ltnis zwischen der beobachteten Inversion und den Augenbewegungen, welche meist nur alle 3 bis 6 Sekunden deutlich stattfanden, nicht festgestellt werden. Dazu kommt noch, dafs auch die Angaben \u00fcber die Augenbewegungen, die unge\u00fcbte Beobachter machten, sehr ungenau waren, weil diese nicht gewohnt wTaren, scharf zu beobachten und dabei noch pr\u00e4zise den Taster zu bedienen. Aber auch die Versuche ge\u00fcbter Beobachter waren nicht durchweg einwandfrei. Sowohl der erste wie der zweite Beobachter erm\u00fcden sehr leicht oder werden durch irgendeinen \u00e4ufseren Reiz in ihrer Aufmerksamkeit bei den Untersuchungen behindert. Deshalb gaben wir nach jedem Versuche \u2014 alle Versuche wurden nat\u00fcrlich nur \u00fcber kurze Zeit ausgedehnt \u2014 dem Herrn, der das Kymographion bediente, ehe wir die Kurve selber betrachteten, an, von welchen Teilen des Versuches wir der Meinung seien, dafs sie mit unserer ganzen Aufmerksamkeit ausgef\u00fchrt w7orden w\u00e4ren, oder wo wir Fehler im Registrieren gemacht h\u00e4tten. Zur exakten Beurteilung wTollen wir zun\u00e4chst nur die Teile der Kurven benutzen, die von beiden Beobachtern als v\u00f6llig einwandfrei erkl\u00e4rt wurden. Solche Kurven habe ich besonders mit Herrn Prof. Bethe auf gestellt, wobei wir als Beweis der Richtigkeit","page":136},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturen Zeichnungen. 137\nden Umstand ansahen, dals das Resultat sich fast nicht \u00e4nderte, wenn wir die Versuche in umgekehrter Besetzung Vornahmen.\nErgebnisse.\n1. Zeitverh\u00e4ltnis zwischen Inversionen und Augen-\nbe wegungen.\nFigur 18a stellt einen Ausschnitt aus einer solchen wohlgelungenen Kurve dar. Die oberste Zeile enth\u00e4lt die Signalzeichen der im Fernrohr beobachteten Augenbewegungen (verzeichnet von Prof. Bethe), die folgende die der Inversionen (verzeichnet vom Autor), w\u00e4hrend die dritte Sekunden angibt. Wir finden darin, dafs regelm\u00e4fsig nach jeder Inversion eine Augenbewegung1 eintritt, und dafs der Zwischenraum zwischen beiden ziemlich konstant ist. Er betr\u00e4gt im Durchschnitt eine Sekunde.\nFigur 18a.\nFigur 18b.\nDer Kurve, die in Figur 18a wiedergegeben ist, gleicht diejenige, die wir in umgekehrter Besetzung vorgenommen haben, fast v\u00f6llig (Fig. 18b).\n1 Zu erw\u00e4hnen ist hier noch, dafs, wie bekannt, das Auge in seiner","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138\nArnold Zimmer.\nIn Tabelle I gebe ich ans je drei Versuchsreihen die zeitlichen Intervalle zwischen den Inversionen und Augenbewegungen an.\nTabelle I.\nZeitintervalle zwischen Inversionen und nachfolgenden Augenbewegungen in Sekunden.\nGe\u00fcbte Beobachter.\n\tA\t\t\tB\t\t\nBeob-\tInversionen: Zimmer\t\t\tInversionen : Bethe\t\t\nachter\tAugenbewegungen :\t\tBethe\tAugenbewegungen :\t\tZimmer\nNr.\tZeitinter-\tVersuchs-\tMittlere\tZeitinter-\tVersuchs-\tMittlere\n\tvalle in Sek.\treihe\tZeit\tvalle in Sek.\treibe\tZeit\n1\t0,7\t\t\t1,2\t\t-\n2\t- 0,6\t\t\t1,1\t\t\n3\t1,0\t\t\t1.0\t\t\n4\t0,7\t1\t0,76\t1,1\t1\thl\n5\t0,5\t\t\t1.2\t\t\n6\t0,6\t\t\thl\t\t\ni\t1,2\t\t\t0,9\t\t\n8\t0,9\t\t\t1,1\t\t\n9\t1,1\t\t\t0,9\t\t\n10\t0,7\t\t\t0,6\t\t\n11\t1,4\t2\t1,0\th;l\t2\t1,0\n12 ,\t0,8\t\t\t0,3\t\t\n13\t1,2\t\t\t1,6\t\t\n14\t0,9\t\t\t1,2\t\t\n15\t1,1\t\t\t0,7\t\t\n16\t1,4\t\t\t1,0\t\t\n17 18\t0,8 1,6\t>\t3\t1,2\t1,0 1,5\t>\t3\t1,0\n19\t0,5\t:\t\t0,9\t\t\n20\t1,5\t\t\ti,i L\t\t\n\t19,2\tGesamt mittel\t0,96\t20,6\tGesamt- mittel\tCO o r\\ rH\nAus der Tabelle ist zu ersehen:\n1. Das Gesamtmittel beider Beobachter weicht nur um 0,07\" voneinander ab und gruppiert sich um 1\".\nFixationsstellung nie fest verharren kann und oft kleine Bewegungen macht.1 Diese kleinen, schnell vor sich gehenden Fixationsschwankungen unterscheiden sich aber meist ziemlich deutlich von den Augenbewegungen, die nach einer Inversion eintreten, und wurden nicht mitregistriert.\n1 H. Oehrwald. Die Bewegungen des Auges w\u00e4hrend des Fixierens. Skandinav. Archiv f. Physiologie 27 (1, 2, 3). S. 65.\nKlein. Du Bois-Reymondsches Archiv f\u00fcr Anatomie u. Physiol. 1904. Physiol. Abteil. S. 312.","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Kontur en Zeichnung en. 139\n2. In Tabelle I, A ist das Mittel der einzelnen Gruppen sehr verschieden und liegt zwischen 0,76\" und 1,2\". Es schwankt also um ungef\u00e4hr 0,4\", w\u00e4hrend in Tabelle I, \u00df die mittleren Zeiten nur um 0,1\" verschieden sind.\nIn Tabelle II f\u00fcge ich einige an halbge\u00fcbten Beobachtern gefundenen Zeitdifferenzen zwischen Inversionen und Augenbewegungen hinzu.\nTabelle II.\nZeitintervalle zwischen Inversionen und nachfolgenden Augenbewegungen in Sekunden.\nHalbge\u00fcbte Beobachter.\n\t1 Inversionen : H. Augenbewegungen: Zimmer\t2\nBeobachter\t\tInversionen: B. Augenbewegungen: Zimmer\nNr.\tZeitintervalle in Sekunden\tZeitintervalle in Sekunden\n\t1\t1,2\t0,8\n\t2\t1,3\t\u2014 0,2\n\t3\t0,9\tId\n\t4\t1.6\t2,8\n\t5\t1,0\t0,8\n\t6\t1,5\t1,2\n\t7\t1,8\t0,8\n\t8\t1,5\t0,3\n\t9\t1.0\t1,2\n\t10\t1,2\t1,3\n\t\t13,0\t10.1\n\t\tmittlere Zeit 1,3\tmittlere Zeit 1,0\nDie Tabelle zeigt ungef\u00e4hr dasselbe Resultat, aber grofse mittlere ATariationen, ein Beweis daf\u00fcr, dafs nicht mit der \u00dcbung im Sehen von Inversionen eine Ver\u00e4nderung der relativen Zeitverh\u00e4ltnisse Hand in Hand geht.\nBisweilen finden sich nun aber auf den Kurven Inversionen angegeben ohne nachfolgende Augenbewregung und Augenbewegungen ohne Inversionsvermerk. Es sei hervorgehoben, dafs diese Erscheinung bei ge\u00fcbten Beobachtern dann einzutreten pflegte, wenn ihre Aufmerksamkeit gest\u00f6rt wurde, oder zu erm\u00fcden anfing, und dals sie bei den Versuchen an unge\u00fcbten Beobachtern auch w\u00e4hrend der ganzen Dauer des Versuches zu finden wrar. Danach scheint es uns aufserordentlich wahrscheinlich, dafs bei Eintreten der Erm\u00fcdung jeder der beiden Beob-","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nArnold Zimmer.\nachter Augenbewegungen resp. Inversionen zu markieren unterliefe. Es kommt noch hinzu, clafs die Augenbewegungen, die den Inversionen folgen, oft nur durch ihre relative Gr\u00f6fse von den gew\u00f6hnlichen Fixierbewegungen zu unterscheiden sind und deswegen in Zweifelsf\u00e4llen mitmarkiert wurden. Durch Einmischung dieser Fixationsbewegungen kann es nat\u00fcrlich zu allen m\u00f6glichen Kombinationen kommen, unter anderem dazu, dafs eine solche Augenbewegungsmarke gerade auf einen Inversionsvermerk trifft oder kurz vor diesem liegt.\nTabelle III.\nUnvollst\u00e4ndig gelungene Versuchsreihen.\nInversionen, Beobachter: Bethe. Augenbewegungen, Beobachter: Zimmer.\nVersuchs- reihe\t1\t2\t1 3 1\t4\t5\n\tAugenbewegungen . . \t\t\t\tInversion allein\n\t- nach Inversion\tvor Inversion\tgleichzeitig\tallein\t\n1\t1 6\t1\t\t1\t7\n2\t6\t1\t1\t\t6\n3\t14\t\u2014\u2022\t1\t1\t8\n4\t1 1\t6\t\t\u2014\t\u2014\t5\n\t32\t2\t2\t2\t26\nTabelle IV.\nUnvollst\u00e4ndig gelungene Versuchsreihen.\nInversionen, Beobachter: Zimmer. Augenbewegungen, Beobachter: Bethe.\nVersuchs- reihe\t1\t2\t3\t4\t\t5\n\tAugenbewegungen\t\t\t\t\tInversion allein\n\tnach Inversion\tvor Inversion\tgleichzeitig\tallein\t\t\n1\t14\t\t5\t5\t\t1\n2\t8\t\u2014\t\u25a0\t\t\t\t\t\t\t2\n3\t6\t\t\t\t\t\t\t1\t\t\t\n4 !\t8\t\u2014\t\u2014-\t1\t\t1\n36\t|\t\u2014\t5\t7 i 4\nIn Tabelle III\u2014V ist eine \u00dcbersicht \u00fcber mehrere solcher unvollst\u00e4ndig gelungenen Versuche wiedergegeben. Es sind darin","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. 141\naus je vier verschiedenen Versuchsreihen verzeichnet: 1. Augenbewegungen, die nach Inversionen aufgetreten waren, 2. solche, die vor den Inversionen lagen, 3. solche, die mit ihnen zusammen trafen, 4. Augenbewegungen, die ohne Zusammenhang mit Inversionen stattgefunden hatten und 5. Inversionen, die von keiner markierten Augenbewegung begleitet waren.\nIn Tabelle V sind Resultate verschiedener halbge\u00fcbter Beobachter angef\u00fchrt.\nTabelle V.\nUnvollst\u00e4ndig gelungene Versuchsreihen.\nHalbge\u00fcbte Beobachter.\n\t1\t2\t3\t4\t5\nVersuchs- reihe\tAugenbewegungen\t\t\t\tInversion allein\n\tnach Inversion\tvor Inversion\tgleichzeitig\tallein\t\ni 1\t8\t1\t_\t4\t\n2\t8\t1\t\u2014\t\t4\n3 1\t5\t3\t4\ti\t2\n4\t7\t1\t1\t2\t\u2014\n1\t28\t6\t5\t7\t6\nIn den beiden letzten Tabellen ist die Anzahl der Inversionsvermerke, die von keiner Augenbewegung begleitet sind, verh\u00e4ltnism\u00e4fsig bedeutend geringer, als diejenige solcher Inversionsmarken, denen Augenbewegungen folgen, wie in Tabelle III. W\u00e4hrend das Verh\u00e4ltnis in dieser Tabelle wie 16 : 13 ist, steht es in Tabelle IV 9:1 und in Tabelle V 14 : 3. Augen-bewregungen allein sind \u00fcberall nur wTenige vorhanden.\nDas Vorkommen von fehlerhaften Kurven dieser Art kann bei der doppelt subjektiven Methode nicht wundernehmen, und man mufs es als ein sehr gutes Resultat ansehen, dafs bei ge\u00fcbten Beobachtern h\u00e4ufig Reihen von mehr als 10 Inversionen Vorkommen, denen regelm\u00e4fsig eine Augenbewegung folgt. Ich bin daher der \u00dcberzeugung, dafs tats\u00e4chlich einer jeden Inversion eine Augenbewegung folgt, zum wenigsten eine Tendenz daf\u00fcr vorhanden ist.\nDiese Beobachtungen k\u00f6nnten aber alle durch zwei Fehler hervorgerufen worden sein. Wir m\u00fcssen deshalb zuerst, um uns aller Zweifel \u00fcber die Richtigkeit zu entheben, feststellen, ob die Augenbewegung nicht vielleicht auf eine gleichzeitige Innervation","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142\nArnold Zimmer.\nder Augenmuskulatur mit der Handbewegung beim Herabdr\u00fccken des Tasters zur\u00fcckzuf\u00fchren ist.\nZu diesem Zwecke fixierte ich einen beliebigen Punkt aufser-halb der Figur, der keine ver\u00e4nderliche Raumvorstellung erwecken konnte. Dabei dr\u00fcckte ich ganz nach Belieben und regellos auf den Taster, w\u00e4hrend meine Augenbewegungen von einem anderen Beobachter aufgeschrieben wurden. Figur 19\nFigur 19.\ngibt einen Teil dieser Kurve wieder. Sie hat gar keine \u00c4hnlichkeit mit der ersten. Wir sehen am Anfang allerdings eine Augenbewegung mit einem vorhergehenden Tasterdruck. Ihr folgen aber weitere 10 Tasterzeichen ohne Augenbewegungen, bis dann ohne wahrnehmbaren Zusammenhang mit den Tastervermerken zwei Augenbewegungsmarken verzeichnet sind. Fixierte ich aber wieder die Figur, so erhielt ich sofort die n\u00e4mliche Kurve, wie vorher.\nAufserdem verhindert das doppelt psychische Moment in dieser Methode ein vollkommen exaktes Resultat. Die Markierungen der Inversionen und der Augenbewegungen geschehen als Reaktion auf die betreffenden Reize. Wir werden deshalb die Reaktionszeiten der beiden Beobachter untereinander vergleichen m\u00fcssen und danach, wo n\u00f6tig, das Resultat zu korrigieren haben.\nLeicht ist es, die Reaktionszeit des Beobachters am Fernrohr festzustellen. Dieser reagiert ja auf einen \u00e4ufseren, durch das Auge aufgenommenen Reiz. Ausgef\u00fchrt haben wir die Messung wenigstens an einem der Beobachter und ein Ergebnis von 0,25\"\u20140,3\" erhalten. Dagegen ist eine solche Messung ausgeschlossen bei dem anderen Beobachter, der auf die Inversionen reagiert. Denn es handelt sich bei den Inversionen ja nicht um eine psychische Reaktion auf einen bestimmten \u00e4ufseren, durch","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. 143\ndie Sinnesorgane \u00fcbermittelten Reiz, sondern der \u00e4ufsere Reiz, die beobachtete Figur, bleibt konstant, und die Ver\u00e4nderungen, die wahrgenommen werden, geh\u00f6ren allein dem Subjekte an. Und sogar diese Vorg\u00e4nge erfolgen nicht mit einer sich stets gleichbleibenden Pr\u00e4zision. Jeder wird beobachten k\u00f6nnen, dafs eine Inversion oft nicht so vor sich geht, dafs in einem Augenblick die eine Auffassungsform, im n\u00e4chsten die andere vorhanden ist, sondern sie gehen oft allm\u00e4hlich, indem eine Zeitlang die ganze k\u00f6rperliche Vorstellung verschwommen ist, ineinander \u00fcber. Wir k\u00f6nnen h\u00e4ufig ganz deutlich verfolgen1, wie die hinteren Teile der Figur die vorderen, die sich in die Tiefe bewegen, durchdringen und sich langsam auf den neuen richtigen Lokalisationsplatz einstellen. Dieser Vorgang ist aber auch, ehe er noch beendigt ist, reversibel, so dafs es manchmal gar nicht zu einer v\u00f6lligen Inversion kommt. Auch invertieren nicht immer s\u00e4mtliche Teile der Figur mit einmal, so dafs die Inversion an einigen Stellen schon beendet ist, ehe sie an anderen begonnen hat. Diese Vorg\u00e4nge sind nicht jedesmal zu beobachten. Oft tritt f\u00fcr das Bewufstsein des Beobachters momentan eine andere Auffassungsform ein, so dafs der ge\u00fcbte Beobachter solche Inversionen verh\u00e4ltnism\u00e4fsig ziemlich genau zeitlich fixieren kann. Der unge\u00fcbte Beobachter ist dagegen sich oft \u00fcber den Augenblick des Umschlages gar nicht im Klaren. Er gibt an, pl\u00f6tzlich wahrgenommen zu haben, dafs die Figur ihm jetzt anders erscheine, jedoch die Empfindung zu haben, dafs dieser neue Auffassungszustand schon eine ganze Zeit bestanden haben m\u00fcsse, ehe er ihm recht zum Bewufstsein gekommen w\u00e4re. Er hat damit also gar nicht die M\u00f6glichkeit der zeitlichen Fixation dieses Vorganges, ist also zu den Versuchen, die sich damit besch\u00e4ftigen, unbrauchbar.\nBei der Art, wie sich die Inversionen entwickeln, haben wir also allen Grund anzunehmen, dais die Reaktionszeit auf den Inversions Vorgang l\u00e4nger ist, als eine solche auf einen \u00e4ufseren optischen Reiz. W\u00fcrde also die Augenbewegung stets gleichzeitig mit der Inversion auftreten, so m\u00fcfste die Inversion auf der Kurve immer hinter der Augenbewegung markiert sein. Aber erst recht m\u00fcfste dies der Fall sein, wenn die Augenbewegung, als Ursache der Inversion aufgefafst, der Inversion\n1 Vgl. Wundt a. a. 0. Philosophische Studien S. 52. Zeitschr. f. Sinnesphysiol. 47.\n10","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"144\nArnold Zimmer.\nvoranginge. Da nun aber die Inversionsmarke stets vor der Markierung der Augenbewegung liegt, so m\u00fcssen wir den Schlufs als gesichert ansehen, dafs die Augenbewegung der Inversion zeitlich folgt.\n\u2022 \u2022\n2. Uber die Art und Richtung der Augenbewegungen und die sie eventuell begleitende Akkommodation.\nF\u00fcr die Art der Augenbewegungen, die den Inversionen folgen, fanden wir bei der letzten Untersuchungsmethode auch bestimmte Anhaltspunkte. Wir konnten feststellen, dafs der jeweiligen Auffassungsform eine bestimmte \u00c4nderung der Blickrichtung entspricht, die sich regelm\u00e4fsig mit jener wieder einstellt. Dadurch wird denn auch die M\u00f6glichkeit gegeben, ans der Beobachtung der Augenstellung heraus zu entscheiden, in welcher Auffassung die Figur sich der Versuchsperson pr\u00e4sentiert und wann und in welcher Richtung sie invertiert. Zur Untersuchung dieser Erscheinung erwies sich wieder der NECKERsche W\u00fcrfel am vorteilhaftesten. Die Versuchsanordnung blieb die gleiche wie in Versuch 2 (S. 137). Betrachtete die Versuchsperson die Figur des W\u00fcrfels, so liefs sich zweierlei im Fernrohr beobachten, n\u00e4mlich die \u00c4nderung der Fixation nach einer jeden Inversion und die schon oben erw\u00e4hnten (S. 137 und 140) regel-m\u00e4fsigen Fixationsschwankungen. Diese letzten waren bei den verschiedenen Versuchspersonen sehr wechselnd in ihrer Gr\u00f6fse und konnten deshalb die Beobachtung der ersten manchmal stark beeintr\u00e4chtigen. Oft waren sie jedoch so klein und regelm\u00e4fsig, dafs sie ein immer gleichbleibendes Bild darboten, und leicht von den pl\u00f6tzlichen Schwankungen der Fixation nach einer Inversion zu unterscheiden waren. Diese hingegen hatten ein ganz typisches Aussehen. War ein Punkt auf der Geraden HG (Fig. 1 S. 107) fixiert und erschien dieser Punkt der Versuchsperson vorn, so geschah bei einer Inversion, bei der die Kante H G in die Tiefe wanderte, eine Blickbewegung nach aufsen, d. h. auf die Kante JD C zu. Bei einer neuen Inversion, die die urspr\u00fcngliche Auffassung wieder mit sich brachte, erfolgte die entgegengesetzte Blickbewegung nach innen und der Kante E F zu. Diese \u00c4nderungen der Fixation waren ganz konstant und erlaubten ihrerseits den Schlufs auf die zugeh\u00f6rige Auffassungsform.","page":144},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. 145\nDer bei jeder Inversion neugew\u00e4hlte Fixationspunkt jedoch blieb nur bei einigen Versuchspersonen w\u00e4hrend der ganzen Dauer derselben Auffassung erhalten, w\u00e4hrend sich bei anderen die Fixation langsam wieder auf ein Mittel einstellte, das dem\nurspr\u00fcnglich fixierten Punkte entsprach.\n\u2022 \u2022\nUber die Gr\u00f6fse derFixationsabweichungen hatten wir schon bestimmte objektive Resultate in Versuch 1 (Seite 133) erhalten und konnten feststellen, dafs sie eine Maximalgrenze von 1\u20141*/2 0 nicht erreichen. Dem entsprechen auch die Resultate, die wir mit dieser Methode durch Vergleich der Fixationsschwankungen, die den Inversionen folgen, mit Augenbewegungen l\u00e4ngs bestimmter gerader Strecken von bekannter L\u00e4nge erhielten. Dabei zeigte sich zun\u00e4chst einmal, dafs die Gr\u00f6fse dieser Augenbewegungen sich nicht immer gleich blieb und ihr Maximum bei der immer wiederkehrenden Neuheit der Inversionserscheinungen am Anfang der wiederaufgenommenen Versuche sich vorfand. Sobald aber die Versuchsperson wieder daran gew\u00f6hnt war, wurden die Bewegungen kleiner und konstant und betrugen ungef\u00e4hr 25\u201435 Bogenminuten. Das entsprach auf unserer Figur gem\u00e4fs ihrer Entfernung vom Auge einer Strecke von 4\u20146 mm. Die Breite der Konturen aber betrug allein, wie oben angegeben ist (Seite 133), 4 mm bei einer Gesamtgr\u00f6fse der Figur von 10 X 10 cm. Die Fixationsabweichungen waren demnach so klein, dafs sie sich kaum von der fixierten Kontur entfernten. Es zeigte sich aufserdem, dafs bei der halben Entfernung der Figur vom Auge sich keineswegs die Gr\u00f6fse der Augenbewegungen wesentlich \u00e4nderten. Diese letzte Beobachtung ist um so wichtiger, als sie den Beweis daf\u00fcr enth\u00e4lt, dafs der Zusammenhang zwischen Inversion und Augenbewegung in etwas Anderem als einer zweckm\u00e4fsigen, die Inversion bewirkenden Verlegung des Fixationspunktes zu suchen ist.\n2. Die Augenver\u00e4nderungen, die den Inversionen folgen, sind nicht nur objektiv festzustellen, sondern sind den meisten Beobachtern deutlich f\u00fchlbar. Hieraus ist wohl auch zu erkl\u00e4ren, dafs man ihnen in der Literatur, ohne ihre zeitliche Beziehung zur Inversion festzustellen, so grofsen Wert f\u00fcr die Entstehung der Inversionen zusprach. Aufserdem haben wir dabei auch oft ein sehr starkes Empfinden von einer Akkommodations\u00e4nderung, an der einige Beobachter bemerken wollen, dafs sie der Inversion auch stets folge.","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146\nArnold Zimmer.\nNun k\u00f6nnte man ja der Meinung sein, dafs die dadurch entstehende Unscharfe im Bilde von uns als solche sofort bemerkt werden m\u00fcsse. Doch bezweifle ich nach meinen Beobachtungen dafs wir \u00fcberhaupt bei der Betrachtung solcher Figuren, besonders, wenn wir einen m\u00f6glichst plastischen Effekt hervor-rufen wollen, genau akkommodieren. Wir haben n\u00e4mlich das Bestreben, m\u00f6glichst den Eindruck der Ebenheit der Zeichnung zu verwischen. Aus diesem Grunde betrachten wir schon die Figur nach M\u00f6glichkeit monokular. Ich selber f\u00fchle aber, dafs ich dabei auch recht unscharf akkommodiere, um die Deutlichkeit der k\u00f6rperlichen Vorstellung noch st\u00e4rker hervorzuheben. Wir werden daher kleine Akkommodationsschwankungen nicht durch unser Empfinden der verschiedenen Sch\u00e4rfe im Bilde klar erkennen k\u00f6nnen.\nEin anderes Gef\u00fchl fiel mir besonders in der ersten Zeit meiner Untersuchungen auf. Fand n\u00e4mlich eine Inversion statt, besonders eine solche, die uns einen K\u00f6rper einmal von oben, einmal von unten sichtbar zu machen schien, wechselte also die scheinbare r\u00e4umliche Lage des K\u00f6rpers zu mir als dem Beobachter, so hatte ich die Empfindung einer Bewegung, die nicht der K\u00f6rper, sondern ich selber auszuf\u00fchren schien. Ich m\u00f6chte diese Empfindung derjenigen vergleichen, welche man im anfahrenden Fahrstuhle hat, oder den Bewegungsnachbildern nach einer Seefahrt. Ganz hat mich seitdem diese Empfindung noch nicht verlassen. Sie tritt besonders deutlich bei Inversionen des W\u00fcrfels auf, wenn sie ganz pl\u00f6tzlich und gegen den Willen erfolgen. \u00c4hnliches wurde mir auch von anderen Beobachtern best\u00e4tigt.\nUm Akkommodationen nachzuweisen, beobachteten wir nach Helmholtz 1, ob wir die synergischen Pupillenver\u00e4nderungen feststellen k\u00f6nnten. Da solche Pupillenver\u00e4nderungen vor den Augenbewegungen nicht festgestellt werden konnten, so m\u00fcssen wir annehmen, dafs auch eine Akkommodation vor den Augenbewegungen und vor der Inversion unterbleibt. Jedenfalls kann es sich um keine Akkommodations\u00e4nderung von irgendwelcher nennbaren Gr\u00f6fse handeln. Jedoch ist es wahrscheinlich, und wir sind der festen \u00dcberzeugung, dafs eine Akkommodations\u00e4nderung mit der Augenbewegung zusammen eintritt, da man\n1 Helmholtz, Handb. der Physiologischen Optik. 1. Aufl. 1867. S. 103.","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. I47\naus subjektiven Gef\u00fchlen ihre Existenz erschliefsen kann (s. 0.). Objektiv nachzuweisen ist in diesem Falle aber weder eine Pupillenver\u00e4nderung, noch eine Linsen\u00e4nderung, weil die Augen eben in Bewegung sind. Dafs wir in den verschiedenartigen Akkommodationen nicht den Grund zur Inversion suchen d\u00fcrfen, m\u00fcssen wir deshalb annehmen, weil wir eine Pupillenver\u00e4nderung vor den Inversionen nicht haben nach-weisen k\u00f6nnen. Aufserdem zeigten wir oben (S. 1291; an zusammengesetzten Figuren, dafs Erkl\u00e4rungen der Inversionen durch bei ihnen auftretende Akkommodations\u00e4nderungen nicht m\u00f6glich sind.\nSchlufsfolgerung und Erkl\u00e4rungsversuch.\nMit der Tatsache, dafs die Augenbewegungen ungef\u00e4hr eine ganze Sekunde sp\u00e4ter erfolgen als die Inversionen, ist meiner Ansicht nach erwiesen, dafs diese Bewegungen nicht die Ursache der Inversionen sein k\u00f6nnen. Im Gegenteil m\u00fcssen wir annehmen :\nDie Augenbewegung ist eine Folgeerscheinung der Inversion, und zwar eine Kompensationsbewegung, hervorgerufen durch die ver\u00e4nderte Raumvorstellung.\nDie Art der Bewegung und die subjektiven Gef\u00fchle geben uns dar\u00fcber Aufschlufs, wie eine solche Kompensationsbewegung aufgefafst werden kann. Wir haben uns den Vorgang bei einer Inversion folgendermafsen zu erkl\u00e4ren : Unsere Raumempfindung ist ebenso an die Figur wie an alle anderen gesehenen Gegenst\u00e4nde gebunden, und sie ist direkt abh\u00e4ngig von ihr durch unsere Vorstellung. Tritt eine Inversion ein, \u00e4ndert sich also die Vorstellung von der r\u00e4umlichen Lage der Figur zu uns, so hat dies zweierlei zur Folge :\na)\tEine bestimmte Empfindung und zwar eine Bewegungsempfindung, die wir mit derjenigen vergleichen k\u00f6nnen, die wir haben, wenn wir in einem stehenden Eisenbahnwagen sitzen und sehen, wie ein neben uns stehender Zug sich langsam in Bewegung setzt.\nb)\tEine durch die wahrgenommene Raumver\u00e4nderung veranlafste Bewegung. Dieser Bewegung werden wir zwei Aufgaben zuschreiben m\u00fcssen:","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nArnold Zimmer.\n1.\tSie wird versuchen, ob sie den alten Zustand wiederherstellen kann.\n2.\tWenn dies nicht gelungen ist, so hilft sie, die neu erworbene Raumvorstellung in uns zu befestigen.\nBesonders stark wird eine solche Bewegung vom Auge ausgef\u00fchrt werden, weil wir durch dieses in st\u00e4ndiger Verbindung mit dem \u00e4ufseren Objekte stehen. Damit ist jedoch nicht gesagt, dafs nicht auch als Reaktion der Anfang zu anderen Bewegungen oder die Tendenz dazu geschaffen wird.1\nII. Untersuchungen \u00fcber den Einflu\u00df psychischer Vorg\u00e4nge\nauf Inversionen.\nUm \u00fcber den Einflufs des Psychischen einen einigermafsen einwandsfreien Aufschlufs zu erhalten, werden wir nach M\u00f6glichkeit die physiologischen Bedingungen, denen man bisher das Zustandekommen der Inversionen oft zugeschrieben hat, auszu-schliefsen haben. Ich wandte deshalb ein Mittel an, auf das mich Herr Prof. Bethe aufmerksam gemacht hatte. Ich erzeugte n\u00e4mlich von den Figuren Nachbilder und beurteilte die Vorg\u00e4nge in den Nachbildern.\nDie Nachbilder schliefsen allerdings weder die Akkommodation noch die Augenbewegungen aus. Aber bei ihnen f\u00e4llt die verschiedenartige Fixation der Figur fort. Wir m\u00fcssen das Bild also immer mit dem einmal gew\u00e4hlten Fixierpunkte betrachten und beurteilen. Augenbewegungen den Konturen entlang lassen sich nicht ausf\u00fchren, weil das nach aufsen projizierte entoptische Bild diese Bewegungen des Auges alle mitmachen mufs und uns stets der gleiche Punkt fixiert erscheint. Willk\u00fcrliche Akkommodationen hatten aber, falls man dabei nicht seine Aufmerksamkeit zugleich auf andere Teile der Figur lenkte, keinen nachweisbaren Einflufs auf die Umkehrungen in der Figur. Wie wir in Versuch 2 nachzuweisen versuchten (S. 145), finden unwillk\u00fcrliche Akkommodationen vor den Inversionen nicht statt.\n1 Dies Causalit\u00e4tsverh\u00e4ltnis zwischen Augenbewegungen und Inversionen ist bereits von Hering angenommen worden, jedoch fehlte bisher der experimentelle Nachweis. N\u00e4heres siehe S. 131 f. \u2014 Siehe auch Weiss, S. o. S. 127 f.","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. 149\nDritte Versuchsanordnung.\nAuf tiefseliwarzes, mattes Papier wurden die aus weifsem Papier ausgeschnittenen Konturen einer geeigneten Figur aufgeklebt. Die Figur war ungef\u00e4hr 5 cm grofs und ihre einzelnen Konturen 4 mm breit. Wir w\u00e4hlten einen beliebigen, m\u00f6glichst in der Mitte der Figur liegenden Fixationspunkt und fixierten denselben bei hellem. Tageslicht entweder monokular oder binokular 30\u201460 Sekunden lang. Schlossen wir dann das Auge und verdunkelten es mit der Hand, oder sahen wir auf eine schwarze Fl\u00e4che, so entwickelte sich ein deutliches positives Nachbild von der Figur. Wenn dies verschwand, liefsen wir entweder durch die geschlossenen Augenlider Licht ins Auge fallen, oder blickten auf eine helle Fl\u00e4che und bekamen das entsprechende negative Nachbild, bis auch dieses verging und wir das positive Nachbild auf eine der eben beschriebenen Weisen wieder erzeugten und so fort.\nDie entstehenden Nachbilder leiden bei dieser Methode an dem grofsen Mangel, dafs bei ihnen die bekannten Ausfallserscheinungen des Nachbildes so stark auftreten, dafs nur ganz kurze Zeiten die ganze Figur auf einmal sichtbar wird.\nDer Eindruck dieses Nachbildes ist bei weitem plastischer als der, den man von der direkt betrachteten Figur erh\u00e4lt. Selbst die einzelnen Teile der Figur, die beim Auftreten von Ausfallserscheinungen noch sichtbar bleiben, machen stets noch einen\n\u2022 \u2022\nstark k\u00f6rperlichen Eindruck. Das Wichtige und \u00dcberraschende nun ist, dafs dieser k\u00f6rperliche Eindruck nicht immer derselbe bleibt, sondern dafs er durch Inversionen ebenso h\u00e4ufig und vielseitig sich ver\u00e4ndert, wie die Vor-stellung des direkt gesehenen Bildes.\nDie Art der prim\u00e4ren Fixation bewirkte nicht einmal ein bestimmtes \u00dcbergewicht einer einzelnen Auffassungsform. Wenn wir z. B. bei der Figur des W\u00fcrfels Punkt G fixiert hatten, so schien die Fl\u00e4che E F G H schon im ersten Nachbild ebenso h\u00e4ufig im Hintergr\u00fcnde wie vorn zu liegen. Ein Vergleich der H\u00e4ufigkeit und der L\u00e4nge der einzelnen Auffassungsformen scheiterte an den vielen Ausfallserscheinungen, die nur kurze Zeit einen \u00dcberblick \u00fcber die ganze Figur gew\u00e4hrten.\nWenn nur einzelne Teile der Figur im Nachbilde sichtbar waren, erstreckten sich die Inversionen entweder auf alle sichtbaren","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150\nArnold Zimmer.\nTeile der Figur oder nur auf einzelne. Sahen wir z. B. von dem W\u00fcrfel nur die Linien B A, AD und F G, GH, so konnte G vor oder hinter A erscheinen. Ebenso konnten z. B. die Linien A B und D C, wenn sie allein sichtbar waren, aussehen, als ob sie verschieden weit von uns entfernt w\u00e4ren, und dabei noch invertieren, so dafs einmal A R, einmal JD C uns n\u00e4her erschienen und so fort. Auch erschien eine Figur, die in einer bestimmten Auffassungsform g\u00e4nzlich verschwunden war, wenn sie wieder auftauchte, nicht unbedingt in derselben wieder, sondern h\u00e4ufig auch in ihrer Umkehrung.\nGanz auff\u00e4llig war es, dafs von dem W\u00fcrfel sehr leicht die ungew\u00f6hnliche Vorstellungsart1 zu erhalten war, dafs man also den K\u00f6rper als zwei durcheinander gelegte k\u00f6rperliche Ecken auffafste, deren Spitzen A und B entweder beide vorn oder beide hinten lagen. Diese Form trat fast regelm\u00e4fsig dann auf, wenn wir bei der Erzeugung des Nachbildes versucht hatten, den Punkt A zu fixieren und dabei unsere Aufmerksamkeit auf Punkt G zu lenken. Es geh\u00f6rt allerdings eine gewisse \u00dcbung dazu, die Aufmerksamkeit vom Fixationspunkte abzulenken.\nZu genaueren Untersuchungen \u00fcber den Einflufs unseres Willens auf die Inversionserscheinungen ist die Methode, die zwar zur kurzen Nachpr\u00fcfung der .Resultate wegen ihrer Einfachheit geeignet ist, besonders durch die allzugrofsen Ausfallserscheinungen unbrauchbar. Wir mufsten also eine andere Versuchsanordnung einf\u00fchren, die diese M\u00e4ngel beseitigte.\nVierte Versuchsanordnung.\nDas Prinzip dieser Methode besteht darin, durch ganz kurze Pr\u00e4sentation des Bildes in einem dunklen Raume Nachbilder desselben zu erzeugen. Zu diesem Zwecke safs der Beobachter in einem verdunkelten Zimmer vor einer undurchsichtigen schwarzen Pappwand. In dieser war ein Ausschnitt von 12 X. 17 cm angebracht, in welchen vermittelst eines Rahmens Platten hineingeschoben werden konnten. Diese Glasplatten waren v\u00f6llig undurchsichtig gemacht und nur die Konturen einer entsprechenden Zeichnung, wie die des W\u00fcrfels, des Buches usf. waren frei und durchsichtig geblieben. An der R\u00fcckseite der Pappwand war eine Milchglasscheibe und ein grofser photo-\n1 S. o. S. 107 f.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen\nmehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen.\n151\ngraphischer Schlitz verschlufs angebracht worden. Als Lichtquelle diente eine Projektionslampe mit Condensor, welche dicht hinter dem Schlitzverschlufs aufgestellt war und ihr Licht bei Ge\u00f6ffnetem Verschl\u00fcsse durch die Konturenfigur in das Auge des Beobachters sandte. Die Belichtungsdauer (1/10\u20141/3\") reichte vollkommen aus, um gute Nachbilder zu erzeugen \\ die viel weniger Ausfallserscheinungen aufwiesen, wie die Nachbilder bei der vorigen Versuchsanordnung.\nUm nach Verschwinden des positiven Nachbildes das negative deutlich sichtbar zu machen, verfuhren wir in folgender Weise : Wir stellten in einer geringen Entfernung vom Beobachter einen Schirm auf, der mit weifsem Zeichenpapier bespannt war, und von hinten durch eine matte elektrische Gl\u00fchbirne, die sich in einem Kasten befand, der nur nach vorn offen war, schwach beleuchtet wurde. Der Beobachter hatte einen Schalter zur Hand, um die Lampe an- und ausschalten zu k\u00f6nnen. War also das positive Nachbild verschwunden, so wandte sich der Beobachter nach dem Schirm hin, schaltete das Licht an und sah jetzt auf dem matt erleuchteten Papier das negative Nachbild wie eine Zeichnung, ohne dadurch nat\u00fcrlich den Eindruck des K\u00f6rperlichen an der Figur zu verlieren. Verschwand nun das negative Nachbild, so drehte er das Licht aus und erhielt in dem dunklen Raume sofort das positive wieder usf.\nIn diesen Nachbildern kann man nun mit aufserordentlicher Klarheit das Auftreten von Inversionen beobachten. Bald erfolgen sie schnell, bald langsam, so dafs sich ein und derselbe plastische Eindruck lange Zeit erh\u00e4lt. Der Umschlag erfolgt bei manchen Beobachtern besonders h\u00e4ufig beim \u00dcbergang der einen Nachbildsform in die andere (positiv in negativ und umgekehrt), dann aber auch oft w\u00e4hrend ein und derselben Nachbildsphase. Wird auf dem erhellten Schirm eine Fixationsmarke angebracht und l\u00e4fst man einen bestimmten Punkt des Nachbildes auf diesen fallen, so bemerkte keine der beobachtenden Personen vor dem Eintritt der Inversion eine Bewegung der Figur im Verh\u00e4ltnis zum fixierten Punkte. Dies m\u00fcfste aber eintreten, wenn der Inversion eine Blickbewegung voranginge. So k\u00f6nnen wir also auch aus diesem Versuche den Schlufs ziehen, dafs Blick-\n1 Helmholtz, a. a O. S. 358.","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152\nArnold Zimmer.\nbewegungen oder die durch dieselben hervorgerufenen Empfindungen nicht die Ursache der Inversionen sind. Eine andere Frage ist es, ob die Inversion mit der Akkommodation in urs\u00e4chlichem Zusammenhang steht. Eine Ver\u00e4nderung der Sch\u00e4rfe des Bildes kann ja, da es sich um ein Nachbild handelt, durch die Akkommodation nicht hervorgerufen werden. Es entzieht sich also von dieser Seite her unserer subjektiven Wahrnehmung, ob eine Akkommodationsbewegung vor, w\u00e4hrend, oder nach der Inversion stattgefunden hat. Wohl aber gaben verschiedene Beobachter an, dafs sie eine Akkommodationsempfindung im Zusammenhang mit der Inversion versp\u00fcrten. Dafs aber Akkommodationsbewegungen und deren Empfindung nicht, oder wenigstens nicht allem die Ursache der Inversionen sein k\u00f6nnen, wurde bereits oben (siehe S. 129) nachgewiesen. Es konnte ferner wahrscheinlich gemacht werden (siehe S. 147), dafs, wenn solche Akkommodationsbewegungen Vorkommen, sie zeitlich der Inversion nicht vorangehen, sondern ihr folgen m\u00fcssen.\nEs fiel bei den ersten Beobachtungen mit der neuen Methode auf, dafs bei einigen Beobachtern die Umschl\u00e4ge sehr fr\u00fchzeitig in Erscheinung traten (bei manchen Figuren leichter als bei anderen), w\u00e4hrend bei anderen Beobachtern die Umkehr erst nach sehr langer Zeit eintrat und bei manchen Figuren ganz ausblieb. Die ersteren Beobachter gaben dann bald an, dafs sie imstande w\u00fcren, willk\u00fcrlich die Inversion hervorzurufen ; bei den Beobachtern der anderen Gruppe zeigte sich, dafs, wenn der Umschlag erst einmal erfolgt war, er nun auch h\u00e4ufiger in Erscheinung trat.\nEs stehen also den Beobachtern (a), die einen unbedingten Einflufs ihres Willens auf die jeweilige Auffassungsform der Figur wahrnahmen, solche (b) gegen\u00fcber, bei denen nur teilweise mit dem Willen etwas zu erreichen war, und solche (c), die den Inversionen gegen\u00fcber v\u00f6llig machtlos waren. Es sei dies durch folgende Beispiele erl\u00e4utert:\na. Herr Prof. Bethe erhielt regelm\u00e4fsig willk\u00fcrlliche Inversionen und konnte eine bestimmte Auffassungsform willk\u00fcrlich l\u00e4ngere Zeit beibehalten. Schliefslich schlug sie aber doch unwillk\u00fcrlich um. Um die Figur umzukehren, liefs er seine Aufmerksamkeit von dem Teile der Figur, der ihm zun\u00e4chst vorn erschien, nach solchen wandern, welche scheinbar in der Tiefe lagen. Da die Punkte aber, die er in die Aufmerksamkeit","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"bi sacken d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. 153\nnahm, selbst bei entgegengesetzter Willensrichtung ihm stets ^ orn erschienen, so trat jetzt eine Inversion ein. Das konnte er solange fortsetzen wie er wollte. Besonders gut gelang dies beim W\u00fcrfel, bei anderen Figuren (Fig. 6, 9, 12, 15, 17) war es schwerer. Unwillk\u00fcrliche Umschl\u00e4ge kamen bei ihm nur dann zustande, wenn er unwillk\u00fcrlich seine Aufmerksamkeit abschweifen liefs, oder wenn die Figur allzulange in einer Auffassungsform beibehalten worden war.\n\u00c4hnlich verhielten sich auch die Inversionen bei Herrn cand. med. Paul Buschmann, der von Anfang an mit grofser Geduld an den Untersuchungen teilgenommen und sich durch die lange \u00dcbung ein sicheres und glaubw\u00fcrdiges Urteil \u00fcber die hier behandelten Erscheinungen verschafft hat. Seine Untersuchungen bezogen sich auf die Inversionen des NECKEnschen W\u00fcrfels, und er stellte sie ausschliefslich au Nachbildern an. Das Resultat seiner Beobachtungen war folgendes : Die Inversionen sind abh\u00e4ngig vom Willen. Man kann also am NECKEKschen W\u00fcrfel (Fig. 1) willk\u00fcrlich das Quadrat AB CB oder das Quadrat E F G E vorn sehen. Doch spielt bei ihm die Aufmerksamkeit ebenso, wie bei Herrn Prof. Bethe eine wichtige, ja bestimmende Rolle. Sie mufs auf das Quadrat gerichtet sein, das man vorn sehen will. Es gelingt also nicht die Fl\u00e4che AB C B vorn zu sehen, wenn die Aufmerksamkeit auf die EF GH gerichtet wird. Die physiologischen Vorg\u00e4nge, die bei der Erfassung eines Quadrates mit der Aufmerksamkeit sich abspielen, sind unentschieden geblieben. Das Festhalten einer bestimmten r\u00e4umlichen Deutung des W\u00fcrfels ist aber nicht beliebig lange Zeit m\u00f6glich. Die Maximalzeit einer Auffassungsform wurde festgestellt, indem man kymographisch markierte, wie lange man bei angestrengtem Willen und Aufmerksamkeit die Vorstellung beibehalten konnte, ehe sie in eine andere umschlug. Einmal wurde als Maximalzeit 6 Sekunden beobachtet. Gew\u00f6hnlich schwankte sie zwischen 4 und 5 Sekunden. Herr Buschmann f\u00fchrt diese Erscheinung auf eine Erlahmung der Aufmerksamkeit zur\u00fcck. Best\u00e4tigt wurde das Resultat seiner Untersuchungen auch von Herrn cand. med. Wilmers.\nb. Autor : Auch bei mir traten h\u00e4ufig Inversionen ein, ich konnte aber eine unbedingte Abh\u00e4ngigkeit derselben von der Richtung der Aufmerksamkeit nicht feststellen. Im Gegenteil erschien mir der Aufmerksamkeitspunkt g\u00e4nzlich unabh\u00e4ngig","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154\nArnold Zimmer.\nvon seiner scheinbaren Lage zu mir. Es war mir ebenso leicht, die Teile, denen ich meine Aufmerksamkeit zuwandte, hinten wie vorn zu sehen. Gelangen mir \u00fcberhaupt willk\u00fcrliche Inversionen, was zuweilen stattfand, so war es nicht die Richtung der Aufmerksamkeit, sondern die Art der Vorstellung, in der ich die Figur sehen wollte. Diese Vorstellung beherrschte die Figur, und die Aufmerksamkeit konnte ich bei derselben Auffassungsform von einem Punkt zum anderen wandern lassen. Doch war\nm \u2022\nder Einflufs dieser Vorstellung trotz der langen \u00dcbung keineswegs immer ausschlaggebend. Im Gegenteil blieb oft die Auffassungsform meiner Willk\u00fcr entzogen. W\u00e4hrend meiner letzten Untersuchungen, bei denen ich vielleicht wegen ihrer grofsen Anzahl etwas angestrengt war, erhielt ich manchmal eine halbe Stunde lang \u00fcberhaupt keine einzige Inversion. Trat sie doch ein, so fiel sie meist nicht mit dem Willen zu einer solchen zeitlich zusammen. \u00dcberhaupt schien mir, dafs ich durch den Willen nicht die Veranlassung zur Inversion geben konnte, sondern nur die Tendenz dazu schuf, der die prim\u00e4re Auffassung manchmal folgte, jedoch nicht unbedingt folgen mufste.\nc. Andere Beobachter, z. B. Herr Prof. H\u00f6ber, konnten durch den Willen \u00fcberhaupt keine Inversion hervorrufen oder sie verhindern. Vor allem konnte Herr Prof. H\u00f6ber nicht angeben, dafs die Aufmerksamkeit eine entscheidende Rolle bei dem Eintritt der Inversion spiele, wie Herr Prof. Bethe, Herr Buschmann und Herr Wilmers bestimmt annahmen.\nNach alledem scheint es mir sicher zu sein, dafs die Inversionen \u00fcberhaupt nicht die Folge somatischer Vorg\u00e4nge sind, sondern h\u00f6chstens von solchen begleitet werden. Dafs somatische Vorg\u00e4nge (Blickrichtung, Augenbewegung, Akkommodation usw.) ihren Eintritt beg\u00fcnstigen k\u00f6nnen, soll aber keineswegs geleugnet werden, es scheint mir sogar sehr wahrscheinlich. Die eigentliche Ursache der Inversionen mufs auf psychischem Gebiete liegen. Die Verschiedenartigkeit der Aussagen in den beschriebenen Versuchen deutet darauf hin, dafs die Ursachen auch hier nicht einheitlicher Natur sind. Richtung der Aufmerksamkeit und derWille zur ver\u00e4ndertenVorstellung kommen hier in erster Linie in Betracht; es wird aber an eine dritte unbekannte Ursache gedacht werden k\u00f6nnen, welcher wir das unwillk\u00fcrliche Umschlagen zuschreiben w\u00fcrden. Ob diesen unwTill-","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. 155\nk\u00fcr liehen Motiven das treibende Moment f\u00fcr die Inversionen zugesprochen werden mufs, und diese nur durch Aufmerksamkeit und Vorstellung zum Teil beeinflufsbar sind, oder ob sie f\u00fcr diese beiden nur als hemmendes Moment angesehen werden d\u00fcrfen, wage ich nach den Versuchen, die ich bisher gemacht habe, nicht zu entscheiden. Ich bin vielmehr der Ansicht, dafs wir den Grund der Inversionen gar nicht in einem bestimmten einzelnen Momente zu suchen haben, sondern ein ganzer Komplex verschiedenartiger T\u00e4tigkeiten hier zusammenwirkt, dessen einzelne Teile bei verschiedenen Personen ungleich grofsen Einflufs auf die Inversionen haben, die aber nie allein eine solche hervorbringen k\u00f6nnen. Eine sichere Entscheidung, was das Wesentliche ist, l\u00e4ist sich zurzeit nicht herbeif\u00fchren.\nWenn die Aufmerksamkeit eine entscheidende Rolle spielt, so mufs man erwarten, dafs sich die spontanen Schwankungen derselben wie beim Fluktuieren der Empfindung in einem bestimmten Rhythmus der Inversionen kundtun. Ich habe darauf hin eine Anzahl von Beobachtungen an mir und an anderen in der W eise angestellt, dafs bei Fixation eines Punktes der Figur die Umschl\u00e4ge durch ein mit der Hand bedientes Signal auf dem Kymographion verzeichnet wurden. Bei einigen Versuchen waren allerdings Andeutungen eines Rhythmus zu erkennen, in anderen F\u00e4llen fehlte er ganz. Es wird hier also auch wieder der Aufmerksamkeit eine gewifse Rolle zugeschrieben.\nF\u00fcr den Einflufs der Aufmerksamkeit auf die Inversionen \u2014 wenigstens bei bestimmten Versuchspersonen \u2014 spricht auch folgende Beobachtung: Man kann n\u00e4mlich in der b lofs en Vorstellung (nachts, im Dunkeln) eine Figur z. B. zwei ineinander gestellte Kreise (oder das LoEB\u2019sche Buch zum Umschlagen bringen; aber auch hier gibt z. B. Herr Prof. Bethe an, dafs er es durch verschiedene Verteilung der Aufmerksamkeit bewirkt und dafs er, wenn er den kleinen Kreis nach vorne bringt, eine kleine Akkommodationsanstrengung f\u00fchlt. Der Autor dagegen stellt auch bei dieser Untersuchungsform an sich eine g\u00e4nzliche Unabh\u00e4ngigkeit der Inversion von der Aufmerksamkeitsrichtung fest, w\u00e4hrend wieder die Vorstellungsart f\u00fcr ihn zum Teil mafsgebend scheint.\nDaf\u00fcr, dafs die Vorstellung, wie man die Figur auffassen will, eine bedeutende Rolle spielt, k\u00f6nnen wir vor allem die Beobachtungen an Unge\u00fcbten anf\u00fchren. Sie bekommen,","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156\nArnold Zimmer.\nwenn sie zum ersten Male eine solche leicht inversible Figur ansehen, zuerst lange Zeit gar keine Inversionen, selbst wenn sie einen Punkt fixieren, der ihnen hinten zu liegen scheint. Auch hilft es nichts, wenn man ihnen sagt, wie man die Figur auch anders auffassen k\u00f6nne. Oft tritt die Inversion erst nach vielen Minuten auf, dann aber meist pl\u00f6tzlich und unerwartet. Jetzt, nachdem sie eine andere Vorstellungsm\u00f6glichkeit erfahren haben, kommen die Inversionen h\u00e4ufiger, sind aber keineswegs immer durch den Willen sofort hervorzurufen. Nach einiger Zeit treten sie aber bei ihnen \u2014 ganz gegen den Willen \u2014 so h\u00e4ufig auf, dafs wir bei kymographischen Aufnahmen oft in jeder Sekunde einen Umschlag von ihnen verzeichnet fanden.\nErst sp\u00e4ter werden sie wieder seltener und k\u00f6nnen von einigen dann auch stets willk\u00fcrlich herbeigef\u00fchrt werden. \u00c4hnlich geht es auch den ge\u00fcbten Beobachtern mit Vorstellungsarten, die ihnen bisher fremd waren. Von allein stellen sich solche bisher unbekannte Auffassungsformen selten ein, ehe sie theoretisch bekannt sind; doch erschien z. B. Prof. Bethe beim W\u00fcrfel einmal pl\u00f6tzlich die ungew\u00f6hnliche Form (siehe Seite 1071), ehe er von dieser M\u00f6glichkeit etwas wufste. Es k\u00f6nnten auch noch andere Beispiele hierf\u00fcr angef\u00fchrt werden.\nZusammenfassung.\n1.\tDie Ursache der Inversion (d. h. der Umschlag einer perspektivischen Auffassung einer geeigneten Konturen Zeichnung in eine andere Auffassungsart) schreiben einige Autoren einer bestimmten Fixierstellung des Auges (Necker, siehe Seite 114), andere Blickbewegungen l\u00e4ngs bestimmter Konturlinien (Wundt, siehe Seite 115 ff.), noch andere Akkommodations- und Konvergenz\u00e4nderungen zu (Loeb, siehe Seite 1251).\nUnsere Untersuchungen, die wir an Konturenzeichnungen eines W\u00fcrfels, eines Buches usw. ausgef\u00fchrt haben, widersprechen diesen Theorien.\n2.\tAuch bei gewollter Fixation eines Punktes treten Inversionen ein; trotzdem k\u00f6nnten unbeabsichtigte Bewegungen im Sinne dieser Theorien auftreten. Durch gleichzeitige Registrierung der Augenbewegungen und der Inversionen (bei gewollter Fixation eines Punktes der Figur, Fernrohrmethode siehe Seite 135) wurde festgestellt, dafs zwar Augenbewegungen mit den Inversionen im","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen d. Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen. 157\nZusammenh\u00e4nge stehen, dafs dieselben aber stets nach den Inversionen stattfinden. Die Augenbewegungen k\u00f6nnen also nicht die Ursache der Inversionen sein. Mit Hilfe des ScHACKWiTzschen Nystagmographs (S. 134) und der vergleichenden Fernrohrmethode (S. 145) wurde festgestellt, dafs das Ausmafs der sukzessiven Augenbewegungen viel kleiner ist, als die W\u00fcNDT\u2019sche Lehre erfordert.\n3.\tEs wurde wahrscheinlich gemacht, dafs Akkommodationsver\u00e4nderungen vor dem Eintritt der Inversionen nicht stattfinden, dafs aber solche mit den Augenbewegungen zusammen auftreten. Dafs die Akkommodationsbewegungen nicht die Ursache der Inversionen sein k\u00f6nnen, geht aus den Beobachtungen an gewissen zusammengesetzten Figuren hervor, bei welchen Inversionen auftreten, die gleichzeitig Akkommodationsbewegungen entgegengesetzter Tendenz erfordern w\u00fcrden (Seite 129 f.j.\n4.\tDie in der Tat zu beobachtenden physiologischen Vorg\u00e4nge am Auge fassen wir als Kompensationsbewegungen infolge der ver\u00e4nderten BaumvorStellung auf (Seite 147).\n5.\tDurch Betrachten geeigneter Figuren im Nach bilde (Seite 149, 150) kann man den eventuellen Einflufs der \u00e4ufseren Ver\u00e4nderung am Auge auf die Inversionen in hohem Grade ausscheiden.\n6.\tSowohl w\u00e4hrend der Dauer der positiven wie der negativen Nachbildsphase als auch w\u00e4hrend des Umschlages von einer Nachbildsphase in die andere k\u00f6nnen Inversionen auftreten. Diese Inversionen erfolgen bei manchen Beobachtern nur spontan, bei anderen k\u00f6nnen sie auch durch den Willen hervorgerufen werden, entweder durch Ver\u00e4nderung der Aufmerksamkeitsrichtung oder durch Ver\u00e4nderung der Vorstellung.\n7.\tNachdem wir die physiologischen Vorg\u00e4nge am Auge als Ursache der Inversionserscheinungen ausgeschaltet zu haben glauben, sind wir zu der Ansicht gelangt, dafs f\u00fcr ihr Zustandekommen lediglich psychologische Momente verantwortlich gemacht werden k\u00f6nnen, dafs diese psychologischen Momente aber nicht einheitlicher Natur sind.","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158\nArnold Zimmer.\nIch m\u00f6chte am Schl\u00fcsse nicht vers\u00e4umen, Herrn Prof. Bethe, der mir die Anregung zu dieser Arbeit gegeben hat, mit Interesse alle Experimente verfolgte und mir mit Rat und Tat zur Seite stand, meinen besten Dank auszusprechen. Aufserdem habe ich besonders Herrn cand. med. Paul Buschmann f\u00fcr seine eifrige Hilfe bei den Untersuchungen viel zu danken, ebenso Herrn Dr. Schackwitz, der mir freundlichst seinen Apparat zur Registrierung der Augenbewegungen zur Verf\u00fcgung stellte, und auch manchen anderen Damen und Herren, die die Freundlichkeit hatten, als Versuchspersonen mich bei meinen Experimenten zu unterst\u00fctzen.","page":158}],"identifier":"lit33615","issued":"1913","language":"de","pages":"106-158","startpages":"106","title":"Die Ursachen der Inversionen mehrdeutiger stereometrischer Konturenzeichnungen","type":"Journal Article","volume":"47"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:47:55.511404+00:00"}