The Virtual Laboratory - Resources on Experimental Life Sciences
  • Upload
Log in Sign up

Open Access

Die Natur der menschlichen Sprachlaute

beta


JSON Export

{"created":"2022-01-31T16:02:32.588300+00:00","id":"lit33619","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Jaensch, E. R.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 47: 219-290","fulltext":[{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"219\n(Aus dem Physiologischen Institut der Universit\u00e4t Strafsburg.)\nDie Aatiu* der menschlichen Sprachlaute.\nVon\nDr. E. R. Jaensch,\nPrivatdozenten der Philosophie an der Universit\u00e4t Strafsburg.\nInhalt.\nSeite\nDie Natur der menschlichen Sprachlaute.\nEinleitung: Die Methode der akustischen Grund versuche\nund die Lehre von den menschlichen Sprachlauten 220\nErstes Kapitel: Die \u00dcberf\u00fchrung der T\u00f6ne in Vokale durch systematische Variation der Schallkurve \u00a7 1. Die Versuchsmethode.\nI.\tDie Selensirene.......................... 222\nII.\tDie Herstellung der Schallkurven.................. 226\n\u00a7 2. Die Wirkung der St\u00f6rungsreize.\nI. Die Vokale der gemischten Sinuskurven.\n1.\tDie Herstellung der Vokale...................... 228\n2.\tDer Reinheitsgrad der Vokale......................232\n3.\tDie Qualit\u00e4t der Vokale...........................233\n4.\tDie H\u00f6he der Vokale bei den geschilderten Versuchen 237\n5.\tDie Bedeutung der St\u00f6rungsreize bei verschiedenen\nVokalen............................................. 239\nII. Die Vokale der Kurven mit Phasenverschiebung .... 242\nIII.\tDer Vokalcharakter der zusammengesetzten Sinuskurven 247\nIV.\tDer Vokalcharakter infolge von Versuchsfehlern .... 249\n\u00a7 3.\tExperimentelle Diskussion der Vokalkurven.................251\nZweites Kapitel: Die V okale als Qualit\u00e4ten des Ger\u00e4usch* sinns und die Duplizit\u00e4t des Geh\u00f6rs.\n\u00a7 1.\tDas Wesen der Vokale......................................255\n\u00a7 2. Revision der Einteilung der Schallempfindungen und Grundlegung der Lehre vom Ger\u00e4usch..................................256\n\u00a7 3.\tDie Beziehung der Vokale zu den T\u00f6nen.....................262\n\u00a7 4.\tZusammenfassung der bisherigen Ergebnisse.................268\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 47.\t15","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220\nE. R. Jaensch.\n\u00a7 5. Die sogenannte Unzerst\u00f6rbarkeit der Sprachlaute............269\n\u00a7 6. Die Erzeugung der Sprachlaute..............................271\n\u00a7 7. Der Unterschied gesprochener und gesungener Vokale .\t.\t.\t273\n\u00a7 8. Der Streit um die Formantentheorie.........................276\nDrittes Kapitel: Die Tonh\u00f6he der Vokale.\n\u00a7 1. Die Tonh\u00f6he der Vokale beim Vorhandensein einer Stimmnote 283 \u00a7 2. Die Tonh\u00f6he der Vokale beim Fehlen einer Stimmnote . . 287\n\u00a7 3. Ph\u00e4nomenologie der Vokalh\u00f6he..............................288\n\u00a7 4. Die Abweichungen von der Konstanz der Vokalqualit\u00e4t bei\nwechselnder Stimmnote .\t................................ 289\u00bb\nEint e itung.\nDie Methode der akustischen Grundyersuehe und die Lehre\nyon den menschlichen Sprachlauten.\nWer die Lehre von den Sprachlauten \u00fcberblickt, wird die Bemerkung machen k\u00f6nnen, dafs die Methode, der wir in der Lehre von den Tonempfindungen im engeren Sinne unsere grundlegenden Einsichten verdanken, im Gebiete der Sprachlaute noch niemals angewandt worden ist.\nDie Darstellung der Lehre von den Tonempfindungen pflegt durch die Anf\u00fchrung jener einfachen S\u00e4tze eingeleitet zu werden, welche von den Beziehungen der Tonempfindungen zu den \u00e4ufseren Reizen handeln. Die Fundamental versuche, auf Grund deren wir wissen, dafs die Tonh\u00f6he von der Schwingungszahl, die Tonst\u00e4rke von der Amplitude und die Klangfarbe von der Zusammensetzung der Schallkurve abh\u00e4ngt, sind nach einer im Prinzip durchweg gleichartigen Methode durchgef\u00fchrt.\nJene allereinfachsten Versuche der Lehre von den Tonempfindungen laufen, wie bekannt, s\u00e4mtlich darauf hinaus, dafs die Schallkurve in einer gewissen Hinsicht variiert wird, w\u00e4hrend sie in allen anderen R\u00fccksichten unver\u00e4ndert bleibt. So findet man z. B., dafs sich die Tonst\u00e4rke \u00e4ndert, wenn allein die Amplitude variiert wird. Die Schallkurve wird also in systematischer Weise abge\u00e4ndert, und die Methode, nach welcher die Fundamental versuche der Lehre von den Tonempfindungen durchgef\u00fchrt sind, liefse sich demnach nicht unpassend als \u201eMethode der systematischen Variation der Schallkurve\u201c bezeichnen. Die systematische Variation der Schallkurve aber wird erm\u00f6glicht durch eine s}7stematische Variation der Reize.","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n221\n\u00dcber die Gestalt der Schallkuryen, welche den Vokalen zugrunde liegen, sind wir durch die klassischen Arbeiten L. Hermanns und die seiner Nachfolger bereits seit langer Zeit mit w\u00fcnschenswerter Genauigkeit unterrichtet. War doch das \u201ephonophotographische\u201c Verfahren, d. h. die Methode, denSchwin-gungsvorgang einer angesprochenen Phonograph en mem bran mittels der photographischen Platte festzuhalten, bisher das Hauptinstrument bei der Erforschung der Vokale. Was wir auf diesem Wege erhalten, sind Schwingungsvorg\u00e4nge von teilweise aufserordentlich hoher Kompliziertheit. Wie eine Bergkette auf den ersten Blick eine wahrhaft verwirrende Mannigfaltigkeit von Formen darbietet, w\u00e4hrend dann die Geologie einige wenige Z\u00fcge des Bildes als charakteristisch f\u00fcr die betreffende Formation, das \u00fcbrige als zuf\u00e4lliges Beiwerk erweist, so erhebt sich auch bei den Vokalkurven die Frage, welche Eigenschaften des Schwingungsvorgangs denn nun eigentlich f\u00fcr das Zustandekommen eines Vokales \u00fcberhaupt wesentlich und unerl\u00e4sslich sind, welche andere Eigenschaften nur durch zuf\u00e4llige und unwesentliche Eigent\u00fcmlichkeiten der Versuchsumst\u00e4nde bedingt wurden, also etwa durch die Individualit\u00e4t des vorliegenden Vokals, durch die Klangfarbe der hineinsprechenden Stimme oder durch die Resonanzverh\u00e4ltnisse der Aufnahmemembran. Hermann selbst hat bekanntlich, wTenn auch mit Vorbehalt, der Vermutung Ausdruck gegeben, dafs die Unterbrechung eines Schwingungsvorgangs dasjenige sei, wras T\u00f6ne von bestimmter Schwingungszahl in Vokale verwandle. Zur Aufstellung dieser Hypothese veranlalste ihn die Beobachtung, dafs der Schwingungsvorgang bei zahlreichen Vokalkurven in gewissen Intervallen aussetzt. Demgegen\u00fcber sind die Vokale nach der Ansicht von Helmholtz nichts anderes als spezielle K1 \u00e4n ge. Wie infolge des Auftretens einer ganz bestimmten Kombination von Obert\u00f6nen aus dem reinen Ton ein Trompetenton oder ein Geigenton wird, so wird infolge des Hinzukommens und \u00dcberwiegens ganz bestimmter Obert\u00f6ne aus dem reinen Ton ein A oder ein O. \u2014 Indessen geben die Tatsachen, wie aus der nachfolgenden Untersuchung hervorgeht, keiner dieser beiden Hypothesen Recht.\nDa sich auch die komplizierten Schwingungsvorg\u00e4nge, welche die phonophotographischen Untersuchungen aufgezeigt haben, als Ab\u00e4nderungen einfacher Sinusschwingungen ansehen lassen, so ist das Grundproblem der Lehre von den Vokalen nun\n15*","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222\nE. B. Jaensch.\nfolgendcrmafsen zu formulieren: Welche Ab\u00e4nderungen sind an einer Sinusschwingung yorzunehmen, damit aus dem Ton ein Vokal wird? Das heifst mit anderen Worten: Die Fundamentalversuche der Lehre von den Tonempfindungen im engeren Sinne m\u00fcssen uns bei der Untersuchung der Vokale als Vorbild dienen. Das V erfahren der \u201esystem a tisch en Variation der Schallkurve\u201c, welches bei den Grundversuchen der Lehre von den Tonempfindungen eingehalten wird, mufs auch den Fundamentalversuchen der Lehre von den Sprach-1 a Uten zugrunde gelegt werden. Dem ersten und grundlegenden Schritte L. Hermanns mufs dieser zweite nachfolgen. Einen anderen Weg zur systematischen Fortsetzung der Vokalerforschung gibt es nicht; bei jedem anderen Verfahren sind wir auf zuf\u00e4llige Entdeckungen angewiesen. Die Methode der systematischen Ab\u00e4nderung mufs die Aufl\u00f6sung des Problems erbringen.\nAllerdings lassen sich nicht alle Ab\u00e4nderungen des Schwingungsvorgangs in so einfacher Weise durchf\u00fchren wie die Variation der Schwingungszahl oder wie diejenige der Amplitude. Die gew\u00f6hnliche Lochsirene ist wegen der Un\u00fcbersichtlichkeit ihrer Verh\u00e4ltnisse zu wissenschaftlichen Versuchen wenig geeignet. Allein diese Schwierigkeiten sind zu \u00fcberwinden, seitdem uns die physikalische Technik ein hinreichend erprobtes und bew\u00e4hrtes Hilfsmittel in die Hand gibt, um beliebige Schwingungsvorg\u00e4nge zu reproduzieren. Dieses Hilfsmittel ist die Selenzelle, welche in der Telephonie und Fernphotographie in j\u00fcngster Zeit eine so ausgedehnte Verwendung gefunden hat.\nErstes Kapitel.\nDie \u00dcberf\u00fchrung der T\u00f6ne in Vokale durch systematische\nVariation der Schallkurve.\n\u00a71. Die Versuchs method e.\nI. Die Selensirene.\nDer elektrische Leitungswiderstand der Selenzelle nimmt zu oder ab, je nachdem die Lichtmenge, welche die Selenschicht trifft, verringert oder gesteigert wird. \u00c4ndert man die Licht-","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natm' der menschlichen Sprachlaute.\n223\nmenge in einem bestimmten Rhythmus, so \u00e4ndert sich der Widerstand im selben Rhythmus.\nDie Lichtwechsel bzw. Widerstands\u00e4nderungen kann man als einen Schwingungsvorgang auffassen; die Zahl der Lichtwechsel bzw. Widerstands\u00e4nderungen in der Zeiteinheit ist seine Schwingungszahl, die vorkommenden Werte der Lichtmenge bzw. Widerstandsgr\u00f6fse liefern die Amplituden. Schaltet man die Selenzelle in einen Stromkreis, in dem sich ein Telephon befindet, so h\u00f6rt man in demselben einen Schall. Die Schwingungszahl des Schallph\u00e4nomens ist gleich der Schwingungszahl der Widerstands\u00e4nderungen oder Lichtwechsel; die Amplituden des Schallph\u00e4nomens h\u00e4ngen ab von den Amplituden der Widerstands\u00e4nderungen (Lichtwechsel). Die von mir benutzte Zelle ist von Herrn Ingenieur E. P. Pressen (Berlin) geliefert und zum Zwecke der Untersuchung mit besonderer Sorgfalt hergestellt. Bei einigen tausend Schwingungen in der Sekunde geht die Zelle in korrekter Weise mit und befindet sich dabei noch lange nicht an der Grenze ihrer Leistungsf\u00e4higkeit. Bei unserer Untersuchung ist das um so weniger der Fall, als wir bei den Hauptversuchen nur eine Frequenz von ca. 1000 Schwingungen ben\u00f6tigen. Ist z. B. die Schwingungskurve des Lichtwechsels eine Sinuskurve und hat sich durch objektive Bestimmung der Wert 960 als Schwingungszahl ergeben, so h\u00f6rt man im Telephon einen Ton von der Schwingungszahl 960, wie sich bei der Vergleichung mit dem Tonmesser oder Variator herausstellt.\nDafs die Amplituden des Schallph\u00e4nomens den Amplituden des Lichtwechsels proportional seien, darf nicht allgemein, sondern nur innerhalb gewisser Grenzwerte der Lichtmenge vorausgesetzt werden. Denn wenn die Lichtmenge um gleiche Betr\u00e4ge zunimmt, nimmt im allgemeinen nicht auch der Widerstand der Selenzelle um gleiche Betr\u00e4ge ab. Die Widerstands\u00e4nderung erfolgt, graphisch dargestellt, nicht in Gestalt einer geraden Linie, sondern in Gestalt einer Exponentialkurve. Die Exponentialfunktion kann aber nur innerhalb eines gewissen Gebietes in erster Ann\u00e4herung als Gerade betrachtet werden. Trotzdem brauchen wir nicht erst zu untersuchen, innerhalb welchen Gebietes der Lichtintensit\u00e4ten die Annahme vom proportionalen Wachstum der Widerst\u00e4nde zutrifft. Es wird sich n\u00e4mlich sehr bald herausstellen, dafs es bei unseren Untersuchungen gar nicht darauf ankommt, ob die Gr\u00f6fsenverh\u00e4ltnisse der Amplituden genau wiedergegeben","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224\nE. R. Jaensch.\nwerden; genug, dafs der Rhythmus, der in unserer Frage fast ausschliefslich von Bedeutung ist, bei den vorkommenden Frequenzen richtig reproduziert wird. \u2014 Schon aus der ausgedehnten und erfolgreichen Verwendung der Selenzelle in der Telephonie ergibt sich, dafs die Selenzelle die Sprachlaute richtig \u00fcbeitr\u00e4gt. Warum es sich so verhalten mufs, werden wir alsbald erkennen.\nDie Methode, deren wir uns bedienen, ist eine Modifikation des Verfahrens, welches O. Weiss1 auf mehreren Kongressen angewandt hat, um Herzt\u00f6ne und Herzger\u00e4usche zu demonstrieren. Vor der spaltf\u00f6rmigen .Lichtquelle, die die Selenzelle belichtet, rotiert eine Scheibe, an deren Rand die Schallkurve ausgeschnitten ist. W\u00e4hrend die Schallkurve in dieser Weise rotiert, wird der Spalt abwechselnd l\u00e4nger und k\u00fcrzer, dementsprechend wird die Lichtmenge, welche die Zelle trifft, bald gr\u00f6fser, bald kleiner; die Kurve des Belichtungswechsels hat denselben Rhythmus und dieselbe Amplitude wie die rotierende Schallkurve. Die Reproduktion der Herzt\u00f6ne und Herzger\u00e4usche erfolgte mit solcher Genauigkeit, dafs daraufhin von den Anwesenden die Diagnose sofort gestellt werden konnte.\nDie Versuchsanordnung, deren wir uns bedienen, ist eine Modifikation der Apparatur von Weiss. Die empfindliche Fl\u00e4che ist bei den P\u00dfESSERschen Selenzellen kreisf\u00f6rmig. Das von der Lichtquelle ausgesandte Strahlenb\u00fcndel mufs also zun\u00e4chst in einem schmalen Spalt vereinigt werden und dann weiterhin einen kreisf\u00f6rmigen Querschnitt besitzen. Diesen Anforderungen gen\u00fcgt der Strahlengang der konvexen Zylinderlinse mit kreisf\u00f6rmiger Begrenzung (zylindrisches Brillenglas).\nFigur I.\nO\to\t-\nV\t5\t6\nSteht der Zylindermantel vertikal und ist die Begrenzung der brechenden Fl\u00e4che kreisf\u00f6rmig (wie bei einem Brillenglase), so hat der Querschnitt des Strahlenb\u00fcndels zuerst die Form einer Ellipse mit vertikaler grofser Achse (bei 1) ; bei 2 bildet er eine\n1 Zwei Apparate zur Reproduktion von Herzt\u00f6nen und Herzger\u00e4uschen. Zeitschr. f. biol. Technik u. Methodik, herausg. von M. Gildemeister, 1, S. 121. 1908.","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n225\nvertikale Grade, die vordere Brennlinie, bei 3 eine Ellipse mit vertikaler grofser Achse, die sich in dem Mafse, als man sich von der Linse entfernt, dem Kreise n\u00e4hert. Bei 4 bildet der Querschnitt einen wirklichen Kreis, den Brennkreis, bei 5 eine Ellipse mit horizontaler grofser Achse und bei 6 eine horizontale Grade, die hintere Brennlinie. Der Forderung, dafs der Strahlen-gang zun\u00e4chst spaltf\u00f6rmig, dann kreisf\u00f6rmig sein m\u00fcsse, wird durch die vordere hrennlinie und den Brennkreis gen\u00fcgt. Das Strahlenb\u00fcndel ist an allen Punkten eines Querschnitts, und somit auch l\u00e4ngs der vorderen Brennlinie, gleich hell. Damit gen\u00fcgt das Strahlenb\u00fcndel einer weiteren, f\u00fcr uns unerl\u00e4fslichen Bedingung. \u2014 Im einzelnen ist die Anordnung die folgende:\nFigur II.\nVAAAAA/VI\nK\nlAAAAAA/Nl\nIM\nDie Lichtquelle, eine automatisch regulierende Bogenlampe, befindet sich im Kasten eines Projektionsapparates (Pr), von dem alle Linsen bis auf die Kondensorlinse (Ko) entfernt sind. Letztere entwirft an der Stelle A von der Lichtquelle ein Bild, welches hinfort als Lichtquelle betrachtet werden kann. (Die Hinausversetzung der Lichtquelle soll lediglich dazu dienen, einen Gewinn an Lichtstrahlen zu erzielen.) Die Strahlen werden durch die Linse L parallel gemacht und fallen dann bei Z auf eine kreisf\u00f6rmig begrenzte Zylinderlinse (+ 8 Dioptrien) mit vertikaler Mantelfl\u00e4che. In den Band der von einem Motor (Mo) getriebenen Sirenenscheibe (Sch) ist die Schallkurve eingeschnitten.","page":225},{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"226\nE. R. Jaensch.\nDie punktiert gezeichnete vordere Brennlinie B wird von der Sirenenscheibe, und damit von der Schallkurve, durchschlagen. Bei M befindet sich der Brennkreis. Um die Abbildung des Brennkreises auf die (gr\u00f6fsere) Kreisfl\u00e4che der Selenzelle zu erm\u00f6glichen, machen wir das Licht diffus, indem wir es bei M auf eine Mattscheibe fallen lassen, die genau die Gr\u00f6fse des Brennkreises besitzt. Alle Linsen und die Mattscheibe sind mit seitlichen, lichtundurchl\u00e4ssigen Schirmen versehen.\nAuf dem Hintergr\u00fcnde der photographischen Kamera K ist die Selenzelle S angebracht; ihre empfindliche Schicht hat kreisf\u00f6rmige Begrenzung. Die Kamera wird so eingestellt, dafs das auf ihrer Hinterwand entstehende Bild des Brennkreises genau die Gr\u00f6fse der empfindlichen Schicht besitzt und mit ihr zusammenf\u00e4llt. In den von der Elementenbatterie B (40\u201450 Volt) erzeugten Stromkreis ist aufser der Selenzelle das Telephon T eingeschaltet (hochempfindliches Telephon mit grofsem Widerstand von Mixt & Genest, Berlin).\nDer Durchmesser der Zylinderlinse, somit auch die L\u00e4nge der vorderen Brennlinie und der Durchmesser des Brennkreises betr\u00e4gt 3,5 cm. Bei guter Einstellung erschien der Spalt meist weniger als 1 mm breit. Brennlinie und rotierende Scheibe wurden gegeneinander so justiert, dafs das tiefste Tal der Kurve mit dem unteren Ende der Brennlinie zusammenfiel. Der h\u00f6chste Berg fiel dann entweder mit dem h\u00f6chsten Punkte der Brennlinie zu sammen oder er lag nur wenig tiefer ; niemals lag er h\u00f6her. Es wurde also immer die ganze Amplitude reproduziert; bei der Herstellung der Kurven war hierauf besondere R\u00fccksicht genommen worden. \u2014 Jede Scheibe ist mit einer Schicht schwarzen alkoholischen Lackes \u00fcberzogen, weil die aufserordentlich lichtstarke Brennlinie beim Fehlen eines solchen \u00dcberzuges selbst noch durch dickes Kartonpapier hindurchschien.\nII. Die Herstellung der Schallkuryen.\nHermann hat schon in seiner Arbeit aus dem Jahre 1890 (Pfl\u00fcgers Archiv 47, S. 353) die Gestalt der A-Kurve genau angegeben, indem er die L\u00e4nge einer Periode in 40 gleiche Teile zerlegte und zu jeder dieser 40 Abszissen die zugeh\u00f6rige Ordinate angab. Bei unserer Untersuchung verwenden wir Hermanns \u201eA\u201c auf Stimmnote G (Schwingungszahl 98), und \u201eA\u201c auf Stimmnote H (Schwingungszahl 123,5) gesungen.","page":226},{"file":"p0227.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n227\nSollen die Kurven auf dem Rande einer Kreisperipherie dargeboten werden, so m\u00fcssen sie, eventuell mit geeigneter Ver-gr\u00f6fserung der Amplituden, in Polarkoordinaten dargestellt werden. Zu dem Behuf stellten wir uns ein Schema her, in dem von Grad zu Grad\tFigur III.\nRadien, und in Abst\u00e4nden von je 1 mm konzentrische Kreise gezeichnet waren ; der innerste der 36 Kreise hat einen Radius von 8 cm. Die \u00dcbersetzung der Kurven in das Polarkoordinatensystem erfolgt nun in der Weise, dals man die Ordinaten l\u00e4ngs der Radien auftr\u00e4gt. Hat z. B. ein Kurvenpunkt die Ordinate Null, so wird er im Schnittpunkt des ersten (innersten) Kreises mit dem Radius aufgetragen ; hat er die Ordinate 5 (oder 30), so wird er im Schnittpunkt des 6. (oder 31.) Kreises mit dem Radius aufgetragen. Ordinaten, die bei Hermann zu \u00e4quidistanten Abszissenpunkten geh\u00f6ren, liegen bei uns auf Radien, die gleichen Winkelabstand voneinander haben.\nDieses Schema wird bei allen vorkommenden Konstruktionen benutzt, auch bei Sinuslinien und zusammengesetzteren Kurven. Die Eintragung erfolgt auf Pauspapier, welches \u00fcber dem Schema ausgespannt ist, die \u00dcbertragung vom Pauspapier auf den Karton durch Nadelstiche. Alle vorkommenden Kurven sind berechnet und geometrisch genau konstruiert.\nDie Durchf\u00fchrbarkeit des zeitraubenden Unternehmens danke ich der Opferfreude und dem Idealismus meiner Strafsburger Mitarbeiter; insbesondere Herr Josee Kintz hat mir bei der m\u00fchsamen Herstellung der Kurven wochenlang von fr\u00fch bis sp\u00e4t geholfen.\nAlle zu beschreibenden Erscheinungen sind so deutlich, dafs sie jeder in akustischen Beobachtungen nicht ganz Unge\u00fcbte sofort h\u00f6rt. Herr Prof. St\u00f6rring, dem ich die wichtigsten Versuche demonstrieren durfte, bezeichnete die Erscheinungen im Einklang mit den \u00fcbrigen Beobachtern durchweg als aufserordentlich deutlich. Am \u00f6ftesten fungierten bei jedem einzelnen Versuch Herr Kintz und ich selbst als Beobachter, ersterer bei unwissentlichem Verfahren. (Ich hatte ihn bei der Herstellung der Kurven noch nicht in das Ziel der Untersuchung eingeweiht.) Zur Kontrolle wurden noch mehrere andere Beobachter hinzugezogen.","page":227},{"file":"p0228.txt","language":"de","ocr_de":"228\nE. R. JaenscE\n\u00a7 2. Die Wirkung der St\u00f6rungsreize.\nI. Die Yokale der gemischten Sinuskurven.\n1. Die Herstellung der Vokale.\nDie Untersuchung nach der Methode der systematischen Variation f\u00fchrt zu folgenden S\u00e4tzen:\nWird das Ohr von Sinusschwingungen gleicher Wellenl\u00e4nge getroffen, so entsteht ein Ton.\nWird das Ohr im raschen Wechsel von Sinusschwingungen ganz verschiedener Wellenl\u00e4nge getroffen, so entsteht ein Ger\u00e4usch.\nBis hierher handelt es sich um die Best\u00e4tigung allbekannter Tatsachen. Vorstehende S\u00e4tze erfahren nun aber eine ganz wesentliche Erg\u00e4nzung durch unseren dritten Satz:\nWird das Ohr im raschen Wechsel von Sinusschwingungen getroffen, deren Wellenl\u00e4nge nur wenig verschieden ist, so entsteht ein Vokal. Die Qualit\u00e4t des Vokales ist bedingt durch die mittlere Schwingungszahl.\n\u00c4ndert man die Schallkurve, von der Sinuskurve ausgehend, in der Weise ab, dafs die Verschiedenheit der aufeinanderfolgenden Wellenl\u00e4ngen, d. h. die mittlere Variation der Schwingungszahlen, fortgesetzt zunimmt, dabei aber unter einer gewissen Grenze bleibt, so gewinnt das Schallph\u00e4nomen in zunehmendem Mafse Voka 1 Charakter, w\u00e4hrend es gleichzeitig seinen Toncharakter in zunehmendem Mafse einb\u00fcfst. Hat man auf diese Weise durch Vergr\u00f6fserung des Unterschieds der Wellenl\u00e4ngen den tonfreien oder nahezu tonfreien Vokal erreicht, und steigert man den Unterschied der Wellenl\u00e4ngen, d. h. die mittlere Variation der Schwingungszahlen, noch weiter, so n\u00e4hert sich das Schallph\u00e4nomen in zunehmendem Mafse dem undifferenzierten Ger\u00e4usch, indem es gleichzeitig seinen Vokalcharakter in zunehmendem Mafse einb\u00fcfst.\nEs wurden z. B. folgende Kurven miteinander verglichen: Kurve I: Sinuskurve mit der Periodenl\u00e4nge 24\u00b0; [d. h. auf der Kreisperipherie dieser Sirenenscheibe sind lauter Sinuswellen angebracht, von denen sich jede einzelne \u00fcber 24\u00b0 der Kreisperipherie erstreckt; somit gehen 15 Wellenl\u00e4ngen auf die ganze Kreisperipherie (vgl. Fig. IV)].","page":228},{"file":"p0229.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n229\nKurve II : Sirenenscheibe, bestehend aus Sinuskurven mit den Weilenl\u00e4ngen :\n22\u00b0;\t23\u00b0;\t24\u00b0;\t25\u00b0;\t26\u00b0.\nDiese Wellenl\u00e4ngen sind auf der Sirenenscheibe in folgender, horizontal zu lesender Reihenfolge angebracht :\n22 0\t24\u00b0\t23\u00b0\t26\u00b0\t25\u00b0\nto o\t25\u00b0\t26\u00b0\t23\u00b0\t22\u00b0\n23\u00b0\to Cv]\t25\u00b0\t24\u00b0\t26 \u00b0.\nV III: Dasselbe, aber die Gr\u00f6fse der Wellenl\u00e4ngen betr\u00e4gt:\n20\u00b0;\t22\u00b0;\t24\u00b0;\t26\u00b0;\t28\u00b0.\nReihenfolge der Wellenl\u00e4ngen auf der Sirenenscheibe (genau entsprechend der Reihenfolge bei II und IV):\no O CN\t24\u00b0\t22\u00b0\t28\u00b0\t26\u00b0\n24\u00b0\t26\u00b0\t28\u00b0\t22\u00b0\t20\u00b0\n22\u00b0\t20\u00b0\t26\u00b0\t24\u00b0\t28\u00b0.\nDasselbe, aber die Gr\u00f6fse der Wellenl\u00e4ng\t\t\t\ten ist\n18\u00b0;\t21\u00b0;\t24\u00b0;\t27\u00b0;\t30 \u00b0.\nReihenfolge\tder Wellenl\u00e4ngen:\t\t\t\n18\u00b0\t24\u00b0\t21\u00b0\t30\u00b0\t27\u00b0\n24\u00b0\t27\u00b0\t30\u00b0\t21\u00b0\t18\u00b0\n21\u00b0\t18\u00b0\t27\u00b0\t24\u00b0\t30\u00b0\nKurvenz\u00fcge, bei denen im schnellen Wechsel Wellen von verschiedener L\u00e4nge aufeinander folgen, sollen \u201egemischte Sinuskurven\u201c heifsen. I ist eine reine, II\u2014IV sind gemischte Sinuskurven. Die mittlere Variation der Wellenl\u00e4ngen ist bei jeder folgenden Kurve gr\u00f6fser als bei der voraufgehenden.\nBei\n11\n??\n11\nI besitzt die mittlere Variation den Wert 0\u00b0\nIT\t1 \u00b0\t1\t9'\n??\t11\t\u00ab\t??\tii\tii\tx\nTTT\t9 0\t94'\n-L-L-L\t??\th\tii\tii\tii\tii \"\nIV\t3\u00b0\nA 11\t11\t11\t11\t11\t''\t* > .\nMacht die Sirenenscheibe 65\u201470 Umdrehungen in der Sekunde, betr\u00e4gt also die mittlere Schwingungszahl, entsprechend der mittleren Periodenl\u00e4nge 24 \u00b0, ca. 1000, so ergeben die verschiedenen Kurven Folgendes:","page":229},{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230\nE. B. Jaensch.\nKurve I gibt einen reinen Ton ohne merkbaren vokalartigen Einschlag,\nn II: Ton mit vokalartigem Einschlag. Qualit\u00e4t des vokal-artigen Einschlags: A. \u2014 Der Schall erscheint gleichzeitig rauher und weniger glatt als der von Kurve I.\n\u201e III gibt ein gutes A. \u2014 In vereinzelten F\u00e4llen besteht der Eindruck, dafs bereits geringe ger\u00e4uschartige Beimischungen vorhanden sind.\n\u201e IV : Ger\u00e4usch mit vokalartigem Einschlag. Qualit\u00e4t des vokalartigen Einschlags: A. \u2014 Zuweilen suchen die Beobachter das Ph\u00e4nomen auch durch die Angabe zu charakterisieren, bei ausdr\u00fccklicher Aufmerksamkeit auf den Vokalcharakter k\u00f6nne zwar noch ein A herausgeh\u00f6rt werden, der Vokal sei aber durch fremde Beimischungen stark verunreinigt, bei ungezwungenem Verhalten fast verdeckt.\nBei allen diesen Kurven wird der Vokal- bzw. Ger\u00e4uschcharakter dadurch hervorgebracht, dafs der Vorgang der Sinusschwingung gest\u00f6rt1 wird. Im vorliegenden Falle bringen wir die St\u00f6rung dadurch hervor, dafs wir Schwingungen einf\u00fcgen, deren Wellenl\u00e4nge von der Durchschnittswellenl\u00e4nge abweicht.\nBei allen bisher verwandten Scheiben war die mittlere Wellenl\u00e4nge, die Umdrehungsgeschwindigkeit und die Zahl der eingef\u00fcgten St\u00f6rungsschwingungen gleich; verschieden war nur die mittlere Variation der Schwingungszahlen. Die Abweichung von der reinen Sinuskurve ist umso gr\u00f6fser, je gr\u00f6fser die mittlere Variation der Schwingungszahl ist. Wir k\u00f6nnen darum in derartigen F\u00e4llen, d. h. bei Gleichheit der mittleren Wellenl\u00e4nge und der Umdrehungsgeschwindigkeit, sowie bei gleicher Zahl der eingef\u00fcgten St\u00f6rungsschwingungen, die \u201eGr\u00f6fse des St\u00f6rungsreizes\u201c ausdr\u00fccken durch die Gr\u00f6fse der mittleren Variation der Schwingungszahl. Ist die\n1 Schon in sehr alter Zeit ist ein Versuch angestellt worden, dessen Weiterverfolgung auf die richtige Ansicht vom Wesen der Vokale h\u00e4tte f\u00fchren m\u00fcssen. In Birchs History of the Royal Society (1757) heilst es auf S. 96, da\u00df der Physiker Robert Hooke am 27. Juli 1681 einen Versuch zeigte, musikalische und andere T\u00f6ne mit Hilfe der Z\u00e4hne von Messingr\u00e4dern zu erzeugen und dafs diese Z\u00e4hne gleich breit waren f\u00fcr musikalische T\u00f6ne, ungleich breit f\u00fcr die T\u00f6ne der menschlichen Stimme (ich entnehme dieses Zitat Gutzmanns Physiologie der Stimme und Sprache 1909 S. 115).","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n231\nmittlere Variation, und damit der St\u00f6rungsreiz, zun\u00e4chst klein, so steht das Schallph\u00e4nomen dem reinen Ton zun\u00e4chst noch nahe, wird aber im allgemeinen doch schon vokalartiger sein als der reine Ton. Bei Zunahme der mittleren Variation, und damit des St\u00f6rungsreizes, nimmt der Vokalcharakter fortgesetzt zu, der Toncharakter fortgesetzt ab, bis bei einem gewissen Werte der mittleren Variation der tonfreie oder nahezu tonfreie Vokal erreicht ist. Vergr\u00f6fsern wir die mittlere Variation, und damit den St\u00f6rungsreiz, noch weiter, so erscheint der Vokal sehr bald durch \u201eger\u00e4uschartige Tr\u00fcbungen\" oder \u201efremde Beimischungen\u201c verunreinigt. In dem Mafse als wir die mittlere Variation noch weiter vergr\u00f6fsern, nimmt der Vokalcharakter ab, der Ger\u00e4uschcharakter zu. Anfangs noch als \u201eVokal mit ger\u00e4uschartiger Tr\u00fcbung\u201c zu charakterisieren, erscheint das Schallph\u00e4nomen weiterhin als \u201eGer\u00e4usch mit Vokalcharakter\u201c. Die Deutlichkeit des Vokal Charakters nimmt bei weiterer Steigerung der mittleren Variation fortgesetzt ab, bis dann endlich \u2014 bei einem gewissen Werte des St\u00f6rungsreizes \u2014 ein Ger\u00e4usch geh\u00f6rt wird, dessen Vokalqualit\u00e4t entweder garnicht oder wenigstens nicht mit Sicherheit angegeben werden kann. Zwischen den reinen Ton und den reinen Vokal, und ebenso zwischen den reinen Vokal und das vokalfreie Ger\u00e4usch lassen sich beliebig viele Zwischenstufen einschalten, wofern man nur die Gr\u00f6fse der mittleren Variation um hinreichend kleine Werte \u00e4ndert. Also kontinuierlich geht der reine Ton in den reinen Vokal \u00fcber \u2014 unter fortgesetzter Abnahme des Toncharakters und fortgesetzter Zunahme des Vokalcharakters \u2014, und ebenso kontinuierlich erfolgt die Abwandlung des reinen Vokals in das reine Ger\u00e4usch.\nFolgendes sind die Hauptstadien des zur\u00fcckgelegten Weges : Reiner Ton \u2014 Ton mit Vokalcharakter \u2014 Vokal mit Toncharakter \u2014 reiner Vokal \u2014 Vokal mit Ger\u00e4uschcharakter \u2014 Ger\u00e4usch mit Vokalcharakter \u2014 reines Ger\u00e4usch. Es entspricht dem unmittelbaren Beobachtungseindruck, wenn man den zur\u00fcckgelegten Weg als ein fortgesetztes Sichentfernen vom reinen Tone auffafst. Wir k\u00f6nnen somit den Satz formulieren: Der Abstand zwischen dem von einer gemischten Sinuskurve gelieferten Schallph\u00e4nomen und dem reinen Ton ist um so gr\u00f6fser, j e gr\u00f6fser der St\u00f6rungsreiz ist.\nDie vorstehenden S\u00e4tze, deren G\u00fcltigkeit hier nur an der Hand eines Beispiels erwiesen wird, fassen die Ergebnisse sehr","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232\nE. R. Jaensch.\nzahlreicher, an den verschiedensten Kurven und zu den verschiedensten Zeiten immer wieder best\u00e4tigten Beobachtungen zusammen. \u2014\nWir sind auf den Einwand gefafst, vom Standpunkt der HELMHOLTzschen Resonanztheorie aus habe man beim Vorhandensein mehrerer verschiedener Schwingungszahlen das Auftreten mehrerer T\u00f6ne, nicht aber die Entstehung eines ganz anderen Schallph\u00e4nomens zu erwarten. Unsere in K\u00fcrze erscheinende Abhandlung \u201eZur Grundlegung der Tonpsychologie\u201c wird dieses Bedenken an der Wurzel anfassen; erst sie wird in voller Deutlichkeit erkennen lassen, wie haltlos jener Einwand ist. Nur zur vorl\u00e4ufigen Beschwichtigung jenes Einwandes sei darauf hingewiesen, dafs auch die traditionelle Auffassung nicht umhin kann, die F\u00e4higkeit des Ohres zur Analyse begrenzt zu denken. Auch die herk\u00f6mmliche Lehre mufs zugeben, dafs ein Ger\u00e4usch und nicht eine Mannigfaltigkeit von T\u00f6nen entsteht, wenn das Ohr in rascher Aufeinanderfolge von verschieden langen Wellen getroffen wird.\nFigur IV.\tFigur V.\nDie Herm anns che A-Kurve (Fig. V). Bei der Hek-MANNschen A-Kurve (Kurve V) treten immer 4 grofse und darauf eine Anzahl kleiner Schwingungen auf. Bringen wir auf einer Sirenenscheibe zwei Perioden der A-Kurve an, so steht die Durchschnittswellenl\u00e4nge der grofsen Schwingungen gleichfalls dem Werte 24\u00b0 nahe. Aus diesem Grunde wurde den obigen Versuchen dieser Durchschnittswert zugrunde gelegt. Die Hek-MANN\u2019sche A-Kurve gibt, bei derselben Rotationsgeschwindigkeit wie die fr\u00fcheren Kurven dargeboten, gleichfalls den Vokal A.\n2. Der Reinheitsgrad der Vokale. Es war mehrfach davon die Rede, dals ein Vokal durch fremde Beimischungen verunreinigt erscheinen k\u00f6nne. Die Frage, wovon das Auftreten","page":232},{"file":"p0233.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n233\nsolcher ger\u00e4uschartiger Beimischungen, und damit umgekehrt die Reinheit des Vokals abh\u00e4ngt, ist durch die vorstehenden Untersuchungen schon zum Teil beantwortet. Fremde Beimischungen treten umso deutlicher hervor, je gr\u00f6fser die mittlere Variation der Schwingungszahlen ist.\nAber auch bei gleicher mittlerer Variation der Schwingungszahlen kann der Vokal von sehr verschiedener Reinheit sein. Angenommen, eine bestimmte Wellenl\u00e4nge sei in dem Schwingungsvorgang \u00fcberwiegend. Es sind z. B. l\u00e4ngs der Peripherie einer Sirenenscheibe (VI) 12 Sinusschwingungen mit der Periodenl\u00e4nge 240 angebracht und dazwischendurch, in gleichf\u00f6rmiger Verteilung, 5 St\u00f6rungsschwingungen von anderer Periodenl\u00e4nge (18 0 ; 16 \u00b0; 14 0 ; 10 0 ; 14 \u00b0) ; die Amplituden sind durchweg gleich. Zwei weitere Kurven (VII und VIII) unterscheiden sich von der ebenerw\u00e4hnten Kurve nur dadurch, dafs bei ihnen die Amplituden der St\u00f6rungsschwingungen kleiner sind als die Amplituden der vorherrschenden Schwingung: bei VII halb so grofs, bei VIII ein Drittel so grofs.\nDie Kurve mit gleichen Amplituden (VI) gibt bei der entsprechenden Rotationsgeschwindigkeit ein A mit ger\u00e4uschartigen Beimischungen. Die fremden Beimischungen treten zur\u00fcck, wenn die Amplituden der St\u00f6rungsschwingungen auf die H\u00e4lfte herabgesetzt werden (VII), und dieses Zur\u00fccktreten ist noch vollkommener, wenn die Amplituden der St\u00f6rungsschwingungen auf ein Drittel ihres urspr\u00fcnglichen Betrages verkleinert wTerden (VIII). Die Kurven mit St\u00f6rungsschwingungen von kleinerer Amplitude geben somit reinere und von fremden Beimengungen freiere Vokale; andererseits aber erscheint das Schallph\u00e4nomen bei ihnen diskontinuierlicher und rauher, bei den Kurven mit durchweg gleicher Amplitude kontinuierlicher und glatter. Die Gl\u00e4tte des Schallph\u00e4nomens nimmt bei starker Herabsetzung der St\u00f6rungsamplitude mehr ab als bei weniger starker Herabsetzung (bei VIII mehr als bei VII).\n3. Die Qualit\u00e4t der Vokale. Von welcher Beschaffenheit ein Schwingungsvorgang sein mufs, wenn ein Vokal entstehen soll, das war bisher unbekannt. Aber soviel weifs man seit langer Zeit \u2014 Helmholtz und Hermann lehren es \u00fcbereinstimmend \u2014, dafs die Qualit\u00e4t des Vokales von der H\u00f6he eines f\u00fcr den betreffenden Vokal charakteristischen Schall-","page":233},{"file":"p0234.txt","language":"de","ocr_de":"234\nE. R. Jaensch.\nph\u00e4nomens abh\u00e4ngt; nur vermutete man meistens in jenem Schallph\u00e4nomen irrt\u00fcmlicherweise einen Ton.\nDie f\u00fcr die einzelnen Hauptvokale charakteristischen Schallph\u00e4nomene liegen, wie zuerst Rudolph Koenig festgestellt hat, ziemlich genau in Oktaven \u00fcbereinander. Unsere eigenen Ermittlungen \u00fcber die Qualit\u00e4t der Vokale stehen mit jenen \u00e4lteren Befunden durchaus im Einklang, aber wir haben jene \u00e4lteren S\u00e4tze \u00fcber die Vokalqualit\u00e4t nun dahin zu berichtigen, dafs das charakteristische Schallph\u00e4nomen nicht ein Ton ist.\nDas Ergebnis unserer Untersuchungen \u00fcber die Qualit\u00e4t der Vokale l\u00e4fst sich in folgendem Satze zusammenfassen: Die Qualit\u00e4t des von einer gemischten Sinuskurve gelieferten Vokales h\u00e4ngt von der Gr\u00f6fse der mittleren Schwingungszahl ab. Die Mittelwerte der Schwingungszahlen, welche den Hauptvokalen entsprechen, liegen ann\u00e4hernd in Oktaven \u00fcbereinander.\nDie Vokale, welche zwischen zwei Hauptvokalen liegen (z. B. das zwischen 0 und A gelegene 0 mit \u201eA-Tr\u00fcbung\u201c) werden er zeugt durch Schwingungszahlen, welche zwischen denjenigen Mittelwerten liegen, die f\u00fcr die betreffenden beiden Hauptvokale charakteristisch sind. Je n\u00e4her die Schwingungszahl des Zwischenvokals der Schwingungszahl f\u00fcr einen der beiden Hauptvokale liegt, umso n\u00e4her erscheint der betreffende Zwischenvokal jenem Hauptvokal verwandt.\nEntspricht der mittleren Periodenl\u00e4nge 24 0 eine Schwingungszahl von ca. 1000, so ergibt, wie wir sahen,\nKurve I (Sinuslinie, Periode 24 \u00b0) : einen reinen Ton,\n\u201e II (22\u00b0; 23\u00b0; 24\u00b0; 25\u00b0; 26 \u00b0) : einen A-artigen Ton,\n\u201e\tIII (20\u00b0; 22\u00b0; 24\u00b0; 26\u00b0; 28 \u00b0): den Vokal A.\nDagegen ergibt bei einer mittleren Schwingungszahl von ca. 500:\nKurve I: Ton mit schwachem O-artigem Vokaleinschlag,\n\u201e II : den Vokal O (schon schwache ger\u00e4uschartige Tr\u00fcbung).\nMittlere Schwingungszahl ca. 250:\nKurve I: Tonartiger Vokal U,\n\u201e II: Vokal U mit ger\u00e4uschartiger Tr\u00fcbung.\nFerner ergibt II bei einer Schwingungszahl, die \u00fcber 1100 liegt, einen zwischen A und E stehenden Vokal iz. B. E-artiges A);","page":234},{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n235\nfcei einer Schwingungszahl zwischen 1000 und 500 einen zwischen A und O gelegenen Vokal (O-artiges A oder A-artiges 0, je nachdem die Schwingungszahl dem Werte 1000 oder dem Werte 500 naher hegt); bei einer Schwingungszahl zwischen 500 und 250 einen zwischen 0 und U gelegenen Vokal (\u00fc-artiges O oder O-artiges U, je nachdem die Schwingungszahl dem ersten oder \u25a0dem zweiten Grenzwert n\u00e4her steht). Bei kontinuierlicher \u00c4nderung der Schwingungszahl, wie sie durch eine kontinuierliche Verlangsamung der Rotationsgeschwindigkeit hervorgebracht \u2022wird, tritt eine kontinuierliche \u00c4nderung der Vokalqualit\u00e4t auf.\nEine weitere Kurve mit halb so kleinen Perioden und damit doppelt so schnellen Schwingungen (Kurve IX: 11\u00b0;\t115\u00b0-\n12 , 12,5\u00b0; 13\u00b0) gibt bei einer mittleren Schwingungszahl von ca. 2000 den Vokal E, bei mehr als ca. 2200 Schwingungen einen zwischen E und J gelegenen und bei 1000\u20142000 Schwingungen einen zwischen A und E gelegenen Vokal.\nGanz analoge Resultate wie mit den k\u00fcnstlich hergestellten gemischten Sinuskurven erh\u00e4lt man mit der f\u00cfEKMANNschen A-Kurve.\nDie Bestimmung der Rotationsgeschwindigkeit war anfangs nach der Bekannten objektiven Methode mittels Schleifkontakt, Schiefsmyographion und Stimmgabelschreibung vorgenommen worden. Die Anbringung der \u2022Schleifkontakte brachte aber eine geringe Verlangsamung hervor, denn nach Wegnahme der Kontakte ging der Ton etwas in die H\u00f6he. \u2014 W\u00e4hrend der Schleifkontakt angelegt war, wurde die Tonh\u00f6he der reinen Sinuskurve wiederholt zugleich auch mittels des Tonvariators bestimmt, der zuvor durch Vergleichung mit KoENioschen Gabeln korrigiert worden war. Da sich hierbei eine befriedigende \u00dcbereinstimmung ergab zwischen der direkt ermittelten Tonh\u00f6he und der aus der objektiven Bestimmung ermittelten, so war es gestattet, im weiteren Verlauf den Tonvariator zur Bestimmung der Schwingungszahl bzw. Rotationsgeschwindigkeit zu benutzen.1 \u2014 Die \u00c4nderung der Rotationsgeschw\u00f6ndigkeit wurde durch \u00c4nderung des Wider-Stands hervorgebracht.\nVon einer genauen Ermittelung der den Hauptvokalen entsprechenden Rotationsgeschwindigkeiten wurde darum Abstand genommen, weil ich keine Vorrichtung besafs, um die Rotations-\n1 Das Recht zu solchen Bestimmungen nach subjektiver Methode mufs immer erst erwiesen werden. Eine Lochsirene gab, auf den Motor gesetzt und angeblasen, oft unaufgekl\u00e4rterweise ganz andere T\u00f6ne als auf Grund der objektiv ermittelten Rotationsgeschwindigkeit und der Lochzahl zu erwarten war. Die Lochsirene d\u00fcrfte eben wegen der Kompliziertheit ihre Verh\u00e4ltnisse zu Forschungszwecken wenig geeignet sein.\nZeitsclir. f. Sinnesphysiol. 47.\n16","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nE. B. Jaensch.\ngeschwindigkeit hinreichend genau abzustufen; auch war die Konstanz der Umlaufsgeschwindigkeit nicht absolut zuverl\u00e4ssig. \u00dcbrigens d\u00fcrfte wohl jene Frage nach den Ermittelungen R. Koenigs und seiner Nachfolger kein grofses Interesse mehr beanspruchen, um so mehr, als sie f\u00fcr die von uns bearbeitete Seite des Vokalproblems irrelevant ist. \u2014\nWir f\u00fchren noch einige weitere Versuche an, in denen die Abh\u00e4ngigkeit der Vokalqualit\u00e4t von der Schwingungszahl deutlich hervortritt. Wir stellen uns folgende Kurven her:\nKurve X (= VI) : 12 Wellen zu 24\u00b0; als St\u00f6rungsreize, gleich-m\u00e4fsig dazwischen verteilt, die Wellen 18\u00b0; 16\u00b0; 14\u00b0; 10\u00b0; 14\u00b0.\nDaneben als Vergleichskurve:\nKurve XI: 10 Wellen zu 24\u00b0; dazwischen die St\u00f6rungsreize 26\u00b0; 28\u00b0; 32\u00b0; 34\u00b0.\nIn beiden Kurven \u00fcberwiegt die Periodenl\u00e4nge 24\u00b0; als St\u00f6rungsreize dienen bei der ersten Kurve ausschliefslich h\u00f6here, bei der zweiten ausschliefslich tiefere Schwingungszahlen. Bei einer Rotationsgeschwindigkeit, bei der eine Kurve mit gleichviel h\u00f6heren und tieferen St\u00f6rungsreizen (unsere Kurve III: 20\u00b0; 22\u00b0; 24\u00b0; 26\u00b0; 28\u00b0) den Vokal A ergibt, erscheint X als ein ganz wenig nach E, XI als ein ganz wenig nach 0 hin verschobenes A. XI erscheint etwas vokalartiger und rauher, X etwas tonartiger und glatter (die niedrigen Schwingungszahlen sind n\u00e4mlich, wie wir noch sehen werden, wirksamere St\u00f6rungsreize als die h\u00f6heren).\nSchliefslich m\u00f6gen noch einige hierhergeh\u00f6rige Versuche mit der A-Kurve Erw\u00e4hnung finden. Auf der Sirenenscheibe, die die \u00dcERMANNsche A-Kurve darstellt, sind ja zwei Perioden dieser Kurve angebracht, von denen jede eine Gruppe grofser und eine Gruppe kleiner Schwingungen umfafst. Die eine Periode bleibt unver\u00e4ndert, in der anderen werden die grofsen Schwingungen das eine Mal durch halb so schnelle (Kurve XII), das andere Mal durch doppelt so schnelle Schwingungen (Kurve XIII) ersetzt. Das geschieht dadurch, dafs wir die betreffenden Ordinaten konstant lassen, aber die zugeh\u00f6rigen Abszissen entsprechend vergr\u00f6lsern (XII) bzw. verkleinern (XIII)* Der r\u00e4umliche Ausgleich wird erzielt durch Verminderung bzw* Vermehrung der kleinen Schwingungen.","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n237\nBei einer Rotationsgeschwindigkeit, bei der die unver\u00e4nderte A-Kurve ein reines A ergibt, scheint das Schallph\u00e4nomen von XII zwischen A und 0, das von XIII zwischen A und E zu liegen. Entsprechend den Durchschnittsschwingungszahlen erscheint XII am tiefsten, die A-Kurve in mittlerer H\u00f6he, XIII am\nh\u00f6chsten (Beispiel von Einstellungen am Variator: 842 bzw. 1024 und 1200).\nErsetzt man in der A-Kurve die kleinen Schwingungen durch doppelt so schnelle Schwingungen (XIV), so scheint der Vokal A gleichfalls, wenn auch nur wenig, nach \u00c4 hin verschoben.\n4. Die H\u00f6he der Vokale bei den geschilderten Versuchen.\nBei den bisherigen Versuchen erscheint der Vokal immer ann\u00e4hernd in derjenigen H\u00f6he, die dem Durchschnittswert der Schwingungszahlen entspricht. Der Vokal einer Sinuskurve von der mittleren Periodenl\u00e4nge 24\u00b0 erscheint ann\u00e4hernd in derselben H\u00f6he wie der Ton einer reinen Sinuskurve von derselben Periodenl\u00e4nge. Die Bestimmung der H\u00f6he ist darum nur ann\u00e4hernd m\u00f6glich, weil der H\u00f6heneindruck um so undeutlicher wird, je weiter sich das Schallph\u00e4nomen vom Ton entfernt. Schon bei den tonartigen Vokalen ist die H\u00f6he etwas undeutlicher als bei den reinen T\u00f6nen, bei den reinen Vokalen ist sie undeutlicher als bei den tonartigen und bei den reinen Ger\u00e4uschen ist sie wieder undeutlicher als bei den reinen Vokalen. \u2014 Alles was hier von der H\u00f6he der gemischten Sinuskurven gesagt wurde, gilt auch bez\u00fcglich der HERMANNsehen A-Kurve.\nDer Formant (so bezeichnet Hermann das f\u00fcr den Vokal charakteristische Schallph\u00e4nomen) liefert also bei unseren bisherigen Versuchen nicht nur die Vokalqualit\u00e4t, sondern auch die Vokalh\u00f6he. Hiernach sollte man denken, dafs eine bestimmte Vokalqualit\u00e4t immer in einer ganz bestimmten H\u00f6he erscheinen m\u00fcsse und dafs es nicht ang\u00e4ngig sein k\u00f6nne, beide Teilinhalte unabh\u00e4ngig voneinander zu ver\u00e4ndern. Warum es trotzdem m\u00f6glich ist, denselben Vokal in verschiedener H\u00f6he zu singen, wird an einer sp\u00e4teren Stelle unserer Untersuchung, an der wir uns mit der Tonh\u00f6he der Vokale systematisch befassen, vollkommen deutlich werden.\nNur ein naheliegender Irrtum sei hier abgewiesen. Hermann hat beobachtet, dafs eine A-Kurve, die auf die Stimmnote von n\n16*","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238\nE. R. Jaensch.\nSchwingungen gesungen wird, n mal in der Sekunde aussetzt. Hermann schliefst hieraus mit Vorbehalt, dafs das Ohr eben die Zahl der in der Zeiteinheit erfolgenden Intermissionen als H\u00f6he des Vokals perzipiert; hierauf gr\u00fcndet derselbe F-orscher die These, dafs das Ohr jede Periodizit\u00e4t als Ton empfinde, ein Satz, der dann in Hermanns Lehre von den Kombinationst\u00f6nen eine wichtige Rolle spielt. \u2014 Wir lassen die M\u00f6glichkeit offen, ja wir halten es auf Grund gewisser Tatsachen sogar f\u00fcr wahrscheinlich, dafs ein H\u00f6heneindruck tats\u00e4chlich durch die Frequenz der Intermissionen einer Schallkurve geliefert werden kann. An der HERMANNschen A-Kurve l\u00e4fst sich aber deutlich machen, dafs die H\u00f6he nicht von der Frequenz der Intermissionen abh\u00e4ngen mufs, ja dafs diese Intermissionen \u00fcberhaupt keine Rolle f\u00fcr das Geh\u00f6r zu spielen brauchen. Denn die H\u00f6he des Vokales entsprach eben im Falle der A-Kurve nicht der Frequenz der Intermissionen, sondern der Durchschnittsschwingungszahl des Formanten; die Frequenz der Intermissionen wurde in diesem Falle \u00fcberhaupt nicht als Ton perzipiert. Schon hieraus geht hervor, dafs die Intermissionen, so einflufsreich sie in gewissen F\u00e4llen werden m\u00f6gen, doch unter Umst\u00e4nden f\u00fcr die H\u00f6henempfindung belanglos sein k\u00f6nnen.\nBesonders deutlich zeigt sich das, wenn wir unsere Scheibe f\u00fcr A, die ja zwei Perioden und darum zwei gleiche Gruppen grofser Schwingungen enth\u00e4lt, dahin ab\u00e4ndern, dafs entweder nur eine Periode (Kurve XV) oder dafs drei Perioden grofser Schwingungen vorhanden sind (Kurve XVI). Der r\u00e4umliche Ausgleich wird durch Vermehrung bzw. Verminderung der Zahl der kleinen Schwingungen erzielt. W\u00e4re die H\u00f6he durch die Frequenz der Intermissionen bedingt, so m\u00fcfsten sich die Vokalh\u00f6hen der drei Kurven, wenn man die urspr\u00fcngliche A-Kurve hinzunimmt, wie 1:2:3 verhalten. Statt dessen ist die H\u00f6he in den drei F\u00e4llen nicht merklich verschieden, sondern stets durch die Durchschnittsschwingungszahl des Formanten bedingt. Nat\u00fcrlich ist auch die Vokalqualit\u00e2t nicht merklich verschieden. Bei XVI (3 Perioden) waren die Beobachter zuweilen zweifelhaft, ob nicht nebenher doch noch zuweilen ein der Frequenz der Intermissionen entsprechender Ton geh\u00f6rt wurde; jedenfalls aber lieferte nicht er, sondern eben der Formant selbst die H\u00f6he des Vokales.\nWohl aber zeigt sich ein anderer Unterschied zwischen den","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n239\ndrei F\u00e4llen. Die Kurve mit den drei Perioden erscheint im Vergleich mit der zweiperiodischen A-Kurve tonartiger; die einperiodische Kurve erscheint ger\u00e4usch\u00e4hnlicher und rauher als die A-Kurve. [Ganz derselbe Unterschied zeigt sich \u00fcbrigens auch dann, wenn man in diesen drei Kurven die kleinen Schwingungen ganz wegl\u00e4fst und durch glatte Kreislinien ersetzt (XVII\u2014XIX)]. Fs scheint also, dafs sich das Schallph\u00e4nomen dem Tone n\u00e4hert oder von ihm abr\u00fcckt, je nachdem die Periode verk\u00fcrzt oder verl\u00e4ngert wird.\n5. Die Bedeutung der St\u00f6rungsreize bei verschiedenen Vokalen.\nUm aus einer regelm\u00e4fsigen Ton- oder Klangkurve eine Vokalkurve zu machen, m\u00fcssen wir St\u00f6rungsreize einf\u00fcgen. Es erhebt sich die Frage, ob die zur Erzeugung des Vokalcharakters eben hinreichenden St\u00f6rungsreize bei verschiedenen Vokalen gleich grofs sind, oder wie sich anderenfalls ihre Gr\u00f6fsenwerte verhalten.\nNat\u00fcrlich m\u00fcssen wir vor dem Eintritt in die Untersuchung durch eine Definition festsetzen, was unter \u201egleich grofsen\u201c St\u00f6rungsreizen zu verstehen ist. Wenn bei verschiedenen Rotationsgeschwindigkeiten ein und dieselbe aus Haupt- und St\u00f6rungsschwingungen bestehende Kurve verwandt wird, so sagen wir, die St\u00f6rung sei bei diesen verschiedenen Rotationsgeschwindigkeiten von \u201egleicher\u201c Gr\u00f6fse. Wird \u2014 der Voraussetzung nach \u2014 ein und dieselbe Kurve benutzt, so \u00e4ndert sich nat\u00fcrlich die Wellenl\u00e4nge der St\u00f6rungsschwingungen proportional der Wellenl\u00e4nge der Hauptschwingungen. Wenn also nach unserer Definition die St\u00f6rung \u201egleich\u201c bleiben soll, mufs die Wellenl\u00e4nge der St\u00f6rungsschwingungen proportional bleiben der Wellenl\u00e4nge der Hauptschwingungen.\nF\u00fchren wir bei derselben Rotationsgeschwindigkeit immer gr\u00f6fsere und gr\u00f6lsere St\u00f6rungen ein, sorgen wir also z. B. daf\u00fcr, dafs die mittlere Variation der Schwingungszahlen mehr und mehr zunimmt, so wird zun\u00e4chst aus dem vokalfreien Ton ein Ton mit vokalartigem Einschlag, aus diesem dann ein Vokal mit tonartigem Einschlag; weiterhin entsteht ein reiner Vokal, dann ein Vokal mit ger\u00e4uschartigen Beimischungen, sodann ein Ger\u00e4usch mit Vokaleinschlag und schliefslich ein undifferenziertes und vokalfreies Ger\u00e4usch. Alle Stadien gehen kontinuierlich ineinander \u00fcber, und wir haben diese Ver\u00e4nderungen nach unseren","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240\nE. R. Jaensch.\nfr\u00fcheren Ausf\u00fchrungen (S. 231) dahin aufzufassen, dafs sich das Schallph\u00e4nomen fortgesetzt vom Ton entfernt.\nBei unseren Versuchen setzen wir \u2014 immer bei Verwendung ein- und derselben Scheibe \u2014 die Rotationsgeschwindigkeit herab ; unseren Ausgangspunkt nehmen wir dabei immer von Schwingungszahlen, welche ungef\u00e4hr in der Gegend der Durchschnittsschwingungszahl f\u00fcr den Vokal A liegen.1\nDie Untersuchung f\u00fchrt zu folgendem Satz:\nBei Herabsetzung der Rotationsgeschwindigkeit entfernt sich das Schallph\u00e4nomen weiter vom reinen Ton; oder mit anderen Worten: Bei Abnahme der mittleren Schwingungszahl ist ein- und dieselbe St\u00f6rung von gr\u00f6fserer Wirksamkeit im Hinblick auf die Verwandlung von T\u00f6nen in Vokale.\nAls Beispiel f\u00fchren wir die Ergebnisse einer Versuchsreihe an:\nZahl der Umdrehungen (Schwingungen) in der Sekunde\tGO\u201470 (ca. 1000)\tca. 30 (ca. 450)\tca. 15 (ca. 225)\nXX (= I): Sinuskurve, Periodenl\u00e4nge 24\u00b0\tTon\tTon\tTonartiger Vokal (U)\nXXI: 13 X 240;2 22\u00b0; 26\u00b0;\t\tTon mit vokalartigem Einschlag\tNahezu tonfreier Vokal (U)\nXXII: 13 x 240 ; 20\u00b0; 28\u00b0;\t1 ?? i !\t\u00bb\tTonfreier V okal mit ger\u00e4uschartigen Beimischungen\nXXIII: 11 X 240 ;3 4 22\u00b0; 23\u00b0; 25\u00b0; 26\u00b0;\t! \u00bb 1 1\t??\tTonfrei er V okal mit ger\u00e4uschartigen Beimischungen\n1\tAus \u00e4ufseren und technischen Gr\u00fcnden war es mir bisher nicht m\u00f6glich, bei Erh\u00f6hung der Schwingungszahl die entsprechenden Versuche durchzuf\u00fchren.\n2\td. h. aufser 13 Hauptschwingungen von der Periodenl\u00e4nge 24\u00b0 ist auf der Scheibe je eine St\u00f6rungsschwingung von der Periodenl\u00e4nge 22\u00b0 und 26\u00b0 angebracht.\n3\tMarkiert man die Hauptschwingungen durch Punkte, die St\u00f6rungsschwingungen durch Linien, so ist der Wellenzug bei einer Scheibe mit\n4\tSt\u00f6rungsschwingungen von folgender Gestalt : \u2022\u2022 \u2014------ \u2014 \u2022\u2022 \u2014\nDie Reihenfolge, in der hierbei die St\u00f6rungsschwingungen von verschiedener Periodenl\u00e4nge auftreten, ist aus der Tabelle ersichtlich.","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n241\nZahl der Umdrehungen (Schwingungen) in der Sekunde\n60-70 (ca. 1000)\nca. 30 (ca. 450)\nca. 15 (ca. 225)\nXXIV: 11 X 24\u00b0 22\u00b0; 25\u00b0 23\u00b0; 26\u00b0\nXXV: 11 X 240 200; 22\u00b0 260; 28\u00b0\nXXVI: 11 X 24\u00bb;\n20\u00b0; 26\u00b0;\n220; 28\u00b0;\nXXVII (= II):\n3 X 220;\n3 X 23\u00b0;\n3 X 24\u00b0;\n3 X 25\u00b0;\n3 X 260;\nXXVIII (= III) :\n3 X 20\u00b0;\n3 X 22\u00b0;\n3 X 24\u00b0;\n3 X 26\u00b0;\n3 X 280;\nXXIX (= VII):\n12 X 24\u00b0;\n18\u00b0; 16\u00b0;\n2 X 14\u00b0;\ni x io\u00b0;\n(die St\u00f6rungsschwingungen haben halb so\ngrofse Amplitude wie die Hauptschwingungen)\nXXX: Dasselbe; nur haben alle Schwingungen gleich grofse Amplitude\nXXXI (= V): A-Kurve nach Hermann\nXXXII: Dasselbe;! nur sind die klei-1 nen Schwingungen \u00fcberh\u00f6ht\nTon\nTon m. schwachem vokalartigem Einschlag (A)\nV)\n\nVokal (A) mit ton-artigemEinschlag\nVokal (A) mit fremden Beimischungen\nVokal (A) mit fremden Beimischungen\nVokal (A)\nVokal (A) mit ger\u00e4uschartigen Beimischungen\nTon mit vokalartigem Einschlag\nVokal mit schwachem tonartigem Einschlag (zwischen O und U)\nn\nVokal (zwischen O und U)\nVokal (O\u2014U) mit ger\u00e4uschartigen Beimischungen\nVokal mit starker ger\u00e4uschartiger Beimischung\nGer\u00e4usch m. Vokalcharakter\nJJ\nTonfreierVokal mit ger\u00e4uschartigen Beimischungen\n\u00bb\n\u00bb\nVokal (U) mit ge-r\u00e4uschartigenBei-mischungen\nVokal(U), stark verunreinigt durch Ger\u00e4usch\nVokal u. Ger\u00e4usch erscheinen jetzt r\u00e4umlich getrennt, und zwar entsteht der Eindruck, als ob durch das lautere Ger\u00e4usch der leisereVokal hindurchgeh\u00f6rt w\u00fcrde\nGer\u00e4usch ohne ausgesprochenen Vokalcharakter\n))\nyy\nDer Fall der reinen Sinnskurve l\u00e4fst sich in der Serie der eben angef\u00fchrten Kurven als ein Grenzfall betrachten, n\u00e4mlich als der Grenzfall, in dem der St\u00f6rungsreiz den Wert Null besitzt.","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\nE. R. Jaensch\u2019\nAuch in diesem Grenzfalle best\u00e4tigt sich der oben ausgesprochene* Satz, dafs im Falle niedrigerer Schwingungszahl schon bei geringerer Gr\u00f6fse des St\u00f6rungsreizes Vokalcharakter auftritt. Durchl\u00e4uft man die Reihe der einfachen T\u00f6ne oder irgendwelcher Kl\u00e4nge von oben nach unten, indem man von einem Tone ausgeht, dessen H\u00f6he ungef\u00e4hr der mittleren Region des Klavieres entspricht, so wird der Vokalcharakter anfangs entweder gar nicht oder nur in h\u00f6chst undeutlicher Form zu konstatieren sein, um dann mit abnehmender Tonh\u00f6he immer deutlicher zu werden ; die tiefsten T\u00f6ne klingen deutlich wie U. Im Grenzfalle des St\u00f6rungsreizes Null ist also der Vokalcharakter bei den tiefsten T\u00f6nen vorhanden, w\u00e4hrend er bei den mittelhohen T\u00f6nen entweder ganz oder nahezu ganz fehlt.\nII. Die Yokale der Kurven mit Phasenverschiebung1.\nAus dem Ton wird, wie wir sahen, ein Vokal, wenn die L\u00e4nge der aufeinanderfolgenden Wellen fortw\u00e4hrend wechselt,, dabei aber einem gewissen Mittelwert nahe bleibt. Eine Tonkurve kann aber auch auf anderem Wege in eine Vokalkurve umgewandelt werden. Es gilt n\u00e4mlich der Satz:\nEin Ton kann trotz konstant bleibender Wellenl\u00e4nge dadurch in einen Vokal \u00fcberf\u00fchrt werden,, dafs in kurzen Intervallen Phasen\u00e4nderungen hervorgebracht werden.\nBei diesen Versuchen werden unterbrochene Sinuskurven verwandt. W\u00e4re die Sinuskurve, wie es ja f\u00fcr gew\u00f6hnlich der Fall ist, der L\u00e4nge nach ausgestreckt, so h\u00e4tten wir, um eine unterbrochene Sinuskurve herzustellen, einen Teil des Wellenzuges durch eine Grade zu ersetzen, die sich in der H\u00f6he der Gleichgewichtslage befindet. Da bei unseren Versuchen die Sinuskurve den Rand einer Sirenenscheibe bildet und daher kreisf\u00f6rmig gekr\u00fcmmt ist, so haben wir Teile dieser Sinuskurve durch glatte Kreisb\u00f6gen zu ersetzen. Die Periodenl\u00e4nge der verwandten Sinuskurve ist 24\u00b0, die Zahl der auf die Kreisperipherie gehenden Perioden somit 15. Wir bringen zwei Unterbrechungsstellen an, und zwar werden von den 15 Perioden 7 in dieser Weise ersetzt. Die \u00fcbrigen 8 Perioden wrerden so angeordnet, dafs auf 4 zusammenh\u00e4ngende Perioden eine Unterbrechungsstelle folgt. Zwischen der letzten Welle vor der Unterbrechungsstelle und der ersten Welle nach der Unterbrechungs-","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n243\nstelle besteht eine Phasenverschiebung, und zwar besitzt dieselbe wenn wir die Wellenl\u00e4nge mit A bezeichnen, bei\nKurve XXXIII den Betrag 0,\n\" l\n55\n55\n55\nXXXIV\nXXXV\nXXXVI\n55\n55\n55\n55\n2 \u2019 l\n\u201d\t4 \u2019\n3\u00c2\n\u201d\t4'\nDas Ergebnis ist folgendes: Bei der Tourenzahl 65\u201470 (Sehwmgungszahl ca. 1000) gibt die Kurve mit unverschobener Phase (XXXIII) einen reinen Ton, die Kurve mit der Phasenverschiebung \u2014 gibt einen Vokal A, der aber dem Ton noch\nrelativ nahesteht: also ein tonartiges A. Betr\u00e4gt die Phasenver-/L\t3/1\nSchiebung \u2014 oder -j-, so ist der entstehende Vokal noch ton-\nartiger als bei der Phasenverschiebung das Schallph\u00e4nomen\nist wegen der Pr\u00e4valenz des Toncharakters hier eher als \u201evokalartiger Ton zu bezeichnen. Die Scheiben mit der Phasenverschiebung \u2014 und ~ ergeben das gleiche Schallph\u00e4nomen. \u2014\nHebmann hat, wenn auch mit Vorbehalt, auf Grund seiner Kurvenbilder die Vermutung ge\u00e4ufsert, dafs die Unterbrechung derjenige Faktor sei, durch den der Ton zum Vokal werde. Er hatte beobachtet, dafs bei verschiedenen seiner Kurven, z. B. beim A, die Schwingungen in gewissen Intervallen aussetzen, \u00e4hnlich wie es bei den Schwebungskurven der Fall ist. Nun gibt aber die unterbrochene Sinuskurve, wofern nur Phasenverschiebungen ausgeschlossen werden, einen Ton. Hieraus ist zu entnehmen, dafs die Unterbrechung nicht schlechthin als derjenige Faktor angesprochen werden darf, der den Ton in einen Vokal verwandelt. Hermann hat, um seine Vermutung auf ihre Richtigkeit zu pr\u00fcfen, Versuche dar\u00fcber angestellt, ob sich ein Ton durch Unterbrechung in einen Vokal verwandeln l\u00e4fst. Der Ton wurde dem Ohr durch einen Schlauch zugeleitet. An einer Stelle ist die Leitung unteibrochen, und hier befindet sich eine mit L\u00f6chern versehene","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nE. B. Jaensch.\nScheibe, die, in Rotation versetzt, die Welienz\u00fcge abwechselnd durchl\u00e4fst und absperrt. Der unbefriedigende Ausfall dieser Versuche steht mit dem obigen Satze in Einklang.\nEine gewisse Einschr\u00e4nkung ist aber diesem Satze noch hinzuzuf\u00fcgen. Isoliert dargeboten, erscheint die unterbrochene Sinuskurve ohne Phasenverschiebung (XXXIII) als Ton, und erst recht ist das dann der Fall, wenn man sie mit einer Kurve vergleicht, bei der Phasenverschiebung auftritt. Vergleicht man aber die unterbrochene Sinuskurve ohne Phasenverschiebung (XXXIII) mit einer ununterbrochenen Sinuskurve (I), so hat eine ge\u00fcbte Vp. in der Mehrzahl der F\u00e4lle doch den Eindruck, dafs sich der Ton von XXXIII, verglichen mit dem von I, dem Vokal ein wenig n\u00e4hert. Aber der Vokalcharakter der unterbrochenen Sinuskurve ohne Phasenverschiebung ist, wie nochmals betont werden mag, so wenig ausgesprochen, dafs er bei isolierter Darbietung dieser Kurve im allgemeinen gar nicht bemerkt wird.\nDie Phasenverschiebung entfaltet ihren Einflufs bei den verschiedensten Rotationsgeschwindigkeiten.\nVerlangsamen wir, von unseren fr\u00fcheren Versuchen ausgehend, die Rotationsgeschwindigkeit, so sieht es zun\u00e4chst so aus, als ob die Ph\u00e4nomene einen etwas anderen Charakter ann\u00e4hmen; doch ist die Ausnahme nur eine scheinbare.\nWir benutzen zun\u00e4chst wieder die unterbrochene Sinuskurve ohne Phasenverschiebung (Periodenl\u00e4nge 24\u00b0), und zwar wird die Umdrehungsgeschwindigkeit des Motors so weit herabgesetzt, dafs eine gemischte Sinuskurve mit der Durchschnittswellenl\u00e4nge 24\u00b0 den Vokal O ergeben w\u00fcrde. Alsdann tritt folgendes ein: Erstens wird der vokalartige Einschlag der unterbrochenen Sinuskurve ohne Phasenverschiebung erheblich deutlicher als in dem eben besprochenen Falle der schnellen Rotationsgeschwindigkeit (des Vokales A). Diese Erscheinung interessiert uns an dieser Stelle zun\u00e4chst nicht. Hier, wo wir es mit der Phasenverschiebung zu tun haben, besch\u00e4ftigt uns etwas anderes. W\u00e4hrend n\u00e4mlich die unterbrochene Sinuskurve bei Verlangsamung der Rotationsgeschwindigkeit deutlichen Vokalcharakter gewinnt, nimmt gleichzeitig der Unterschied, welcher zwischen den Kurven mit und ohne Phasenverschiebung bestand, deutlich ab. Es\nstellt sich im wesentlichen derselbe Eindruck eines tonartigen Vokales ein,\n,\t.\t.\t.\t\u201e A\ngleichg\u00fcltig ob die Phasenverschiebung fehlt, oder ob sie den Betrag\nA\t3\u00c0\t\u201c\n\u2014 oder besitzt. Zuweilen allerdings erscheint die Kurve ohne Phasenverschiebung etwas tonartiger als die Vergleichskurven, aber der Unterschied ist undeutlich, in seinem Auftreten inkonstant und nicht im entferntesten von der Sinnf\u00e4lligkeit des entsprechenden Unterschiedes bei den schnellen Rotationegeschwindigkeiten. Wird die Rotationsgeschwindigkeit","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n245\nin geringerem Mafse herabgesetzt als bei den eben besprochenen Versuchen, so nimmt der Unterschied zwischen den Kurven mit und ohne Phasenverschiebung gleichfalls ab, aber in entsprechend geringerem Mafse.\nDa die Scheiben unver\u00e4ndert geblieben waren, w\u00e4hrend die Rotationsgeschwindigkeit abnahm, so ist nat\u00fcrlich jede Unterbrechung jetzt von l\u00e4ngerer Dauer als bei den Versuchen mit schneller Rotation. Ich stellte mir daher Sirenenscheiben her, bei denen die Unterbrechungen zahlreicher und von k\u00fcrzerer Dauer waren. Von den 15 Perioden liefs ich wieder 7 ausfallen, und die 8 zur Verf\u00fcgung stehenden Perioden wurden m\u00f6glichst gleichf\u00f6rmig in der Weise verteilt, dafs 4 Unterbrechungsstellen entstanden (w\u00e4hrend es vorher deren nur 2 gab). Es folgen also jetzt immer nur durchschnittlich 2 Wellenz\u00fcge aufeinander, dann kommt eine Unterbrechungsstelle usf. Die in der Zeiteinheit auftretenden F\u00e4lle von Phasenverschiebung sind also jetzt zahlreicher, und aufserdem liegt jetzt zwischen den gegeneinander verschobenen Phasen eine k\u00fcrzere Zwischenzeit, da ja die Unterbrechungen von k\u00fcrzerer Dauer sind. Die Phasenverschiebung besitzt bei\nKurve XXXVII den Betrag\nXX X VIII\nn\n0\n1\n2\nXXXIX\n11 11\n11\nxxxx\n11\n11\nk\nT\nn\nT\nJetzt zeigt sich ein ganz \u00e4hnlicher Unterschied wie vorher bei der\nl\nschnellen Rotation. Die Kurve mit der Phasenverschiebung steht dem\nu\nreinen Ton ferner, ist vokalartiger als die Kurven mit der Phasenverschiebung\nl\t32\n-g- und -g-. Diese Kurven wieder sind vokalartiger, stehen dem reinen\nTon ferner als die Kurven ohne Phasenverschiebung. Allerdings ist der Unterschied nicht ganz so sinnf\u00e4llig wie beim A ; denn die Kurven mit Phasenverschiebung scheinen aufser dem Vokal O bereits fremde Beimischungen zu enthalten, und der Eindruck n\u00e4hert sich bereits dem des Ger\u00e4usches.\nDas Ergebnis des letzten Versuches k\u00f6nnen wir in dem Satze zusammenfassen: Wenn der Unterschied zwischen den Kurven mit und ohne Phasenverschiebung infolge von Verlangsamung der Rotationsgeschwindigkeit bereits unmerkbar geworden ist, so tritt der Unterschied von neuem in Erscheinung, wenn die Frequenz der PhasenwTechsel zunimmt und die trennenden Zwischenzeiten verkleinert werden.1\nEs ist plausibel, dafs der Phasenwechsel mehr und mehr an Wirkung verliert, wenn die Zwischenzeit zwischen den verschobenen Phasen mehr und mehr anw\u00e4chst, wie es ja bei der Verlangsamung der Umdrehungs-\n1 Vermutlich tritt der Unterschied auch schon dann in Erscheinung, wenn nur eine dieser beiden Bedingungen erf\u00fcllt ist. Ich habe diese Frage nicht untersucht.","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nE. R. Jaensch.\ngeschwindigkeit der Fall ist. Ferner werden die Scliallph\u00e4nomene der Kurven mit und ohne Phasenverschiebung bei Verlangsamung der Rotationsgeschwindigkeit einander auch schon darum \u00e4hnlicher werden,, weil hier auch schon die unterbrochene Sinuskurve ohne Phasenverschiebung deutlichen Vokalcharakter gewinnt. \u2014 Es ist verst\u00e4ndlich, dafs der Phasenwechsel wieder an Einflufs gewinnt, wenn man, wie wir es taten,, die gegeneinander verschobenen Phasen zeitlich n\u00e4her aneinander r\u00fcckt und gleichzeitig die Zahl der F\u00e4lle von Phasenverschiebung vermehrt.\nF\u00fcr die wesentlichen Eigenschaften der Vokale ist es gleich-g\u00fcltig, ob Phasenverschiebungen oder abweichende Wellenl\u00e4ngen als St\u00f6rungsreize dienen. Also auch bei den durch Phasenverschiebung hervorgerufenen Vokalen h\u00e4ngt die Qualit\u00e4t von der Schwingungszahl ab. Die H\u00f6he wird \u2014 bei unseren Phasenverschiebungskurven ebenso wie bei den gemischten Sinuskurven \u2014 gleichfalls durch den Formanten geliefert. Wie bei den gemischten Sinuskurven,, so entfernt sich auch hier das Schallph\u00e4nomen um so mehr vom reinen Ton, je gr\u00f6fser der St\u00f6rungsreiz wird, d. h. je gr\u00f6fser ceteris paribus die Zahl der F\u00e4lle von Phasenverschiebung ist. Wie bei den gemischten Sinuskurven, so erweist sich auch bei den Phasenverschiebungskurven ein und derselbe St\u00f6rungsreiz (vgl. unsere fr\u00fchere Definition S. 239) bei Herabsetzung der Schwingungszahl wirksamer, insofern n\u00e4mlich bei Herabsetzung der Umdrehungsgeschwindigkeit der von einer Kurve erzeugte Vokalcharakter zunimmt. Wie bei den gemischten Sinuskurven, so gilt auch bei den Phasenverschiebungskurven der Satz, dafs im Grenzfall des St\u00f6rungsreizes Null der Vokalcharakter bei den tiefen T\u00f6nen vorhanden ist, w\u00e4hrend er den mittelhohen T\u00f6nen ganz oder nahezu ganz fehlt. Nehmen schon die ununterbrochenen periodischen Sinusschwingungen bei gen\u00fcgender Herabsetzung der Schwingungszahl, wenn man von der Durchschnittsschwingungszahl des A-Formanten ausgeht,, Vokalcharakter an, so ist das bei den unterbrochenen Sinusschwingungen in noch weit deutlicherem Mafse der Fall, und zwar auch dann, wenn die Phasenverschiebung den Wert Null besitzt, der St\u00f6rungsreiz also fehlt.\nZu dem letzten Satze sei noch Folgendes bemerkt: Oben (S. 239) sahen wir, dafs bei den \u2014 im Sinne der musikalischen Skala \u2014 mittelhohen Schallph\u00e4nomenen eine Vergr\u00f6fserung der Periodenl\u00e4nge dahin wirken kann,, das Schallph\u00e4nomen vom Tone zu entfernen. Vielleicht hat eine Ver-gr\u00f6fserung der Periodenl\u00e4nge bei den mittelhohen Schallph\u00e4nomenen ganz allgemein die angegebene Wirkung. Die Gesetze w\u00fcrden sich dann vereinfachen. Die beiden besprochenen Grenzf\u00e4lle lassen sich auch als F\u00e4lle","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n247\nauffassen, in denen die Periodenl\u00e4nge vergr\u00f6fsert wird. Herabsetzung der Schwingungszahl eines reinen Tones ist eben zugleich Vergr\u00f6fserung der Wellenl\u00e4nge und somit der Periodenl\u00e4nge. Aber auch wenn wir in dem anderen Grenzfalle, n\u00e4mlich bei der Darbietung einer unterbrochenen Sinuskurve, die Tourenzahl des Motors herabsetzen, vergr\u00f6fsern wir damit die Periodenl\u00e4nge. \u2014 Es scheint somit, dafs bei den mittelhohen T\u00f6nen die Herabsetzung der Periodenl\u00e4nge allgemein die Wirkung hat, das Schallph\u00e4nomen vom Ton zu entfernen. Die fr\u00fcher besprochenen F\u00e4lle von Herabsetzung der Periodenl\u00e4nge und die eben besprochenen Grenzf\u00e4lle w\u00fcrden dann als Speziallf\u00e4lle eines allgemeineren Gesetzes erscheinen.\nDie Gleichartigkeit und das gleichartige Verhalten der durch ganz verschiedene St\u00f6rungsreize hervorgebrachten Vokale weist darauf hin, dafs es f\u00fcr die Erzeugung eines Vokales \u00fcberhaupt nur darauf ankommt, den regelm\u00e4fsigen Schwingungsvorgang durch irgendwelche Faktoren zu st\u00f6ren, wobei nur die Bedingung erf\u00fcllt bleiben mufs, dafs die vorkommenden Schwingungszahlen einem Durchschnittswerte nahebleiben. \u2014 Die in den beiden n\u00e4chsten Teilen beschriebenen Erscheinungen werden die Richtigkeit dieser Auffassnng von neuem best\u00e4tigen.\nIII. Der Yokalcharakter der zusammengesetzten Sinuskurven.\nHermann hat wiederholt darauf hingewiesen, dafs manche Vokalkurven eine auffallende \u00c4hnlichkeit mit den Kurvenbildern zeigen, welche entstehen, wenn sich die Schwingungen von T\u00f6nen verschiedener Wellenl\u00e4ngen superponieren. Die Untersuchung dieses Falles mit der Selensirene f\u00fchrt zu Ergebnissen, die f\u00fcr die Grundfragen der Tonpsychologie von grofser Bedeutung sind.\nAuf jeder der bei dieser Untersuchung benutzten Sirenenscheiben ist durch Superposition von Sinusschwingungen ein Schwingungsvorgang dargestellt, wie er resultiert, wenn zwei T\u00f6ne von verschiedener Schwingungszahl, aber gleicher Amplitude Zusammenwirken. Die superponierten Sinusschwingungen stehen im Quarten- oder Quinten Verh\u00e4ltnis (4 : 3 bzw. 3:2); die Periodenl\u00e4nge der superponierten Schwingungen betr\u00e4gt n\u00e4mlich 240 und 18\u00b0 (XXXXI) bzw. 24\u00b0 und 16 0 (XXXXII). Zum Vergleich werden auch die einfachen Sinuskurven mit den Periodenl\u00e4ngen 24\u00b0, 18\u00b0 und 16\u00b0 dargeboten. Durch Ver\u00e4nderung der Rotationsgeschwindigkeit des Motors ist es m\u00f6glich, die Quarten- und Quintenintervalle in verschiedenen absoluten H\u00f6hen darzubieten.","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\nE. R. Jaensch.\nIch schildere zun\u00e4chst die Erscheinungen, wie sie sich einer musikalischen Yp. darstellen. Die Quarte bzw. Quinte wird herausgeh\u00f6rt; der h\u00f6here Ton erscheint erheblich schw\u00e4cher als der tiefere, und zeitweise kann der h\u00f6here Ton verschwinden. Die auff\u00e4lligste Erscheinung bei diesen zusammengesetzten Kurven besteht darin, dafs der vorwiegend, zuweilen ausschliefslich geh\u00f6rte tiefere Ton deutlich Vokal Charakter erh\u00e4lt, und besonders sinnf\u00e4llig tritt das dann hervor, wenn man zum Vergleich die Kurve darbietet, auf der die Sinusschwingung des tieferen Tones allein dargestellt ist. Je besser es der Vp. bei der Darbietung der Superpositionskurven gelingt, mit Hilfe einer besonders darauf gerichteten Anstrengung der Aufmerksamkeit die beiden T\u00f6ne voneinander zu trennen und den Schwingungsvorgang in seine Komponenten zu zerlegen, um so mehr verschwindet der Vokaleindruck.\nBei Unmusikalischen kann es Vorkommen, dafs bei den Superpositionskurven, wenigstens am Anfang der Versuche, ausschliefslich der tiefere Ton geh\u00f6rt wird; in dem Hinzukommen des Vokalcharakters besteht dann der einzige Unterschied gegen\u00fcber dem einfachen Schwingungsvorgang. Durch oft wiederholtes Anh\u00f6ren der Einzelt\u00f6ne gelingt dann in der Regel die Analyse; ob das immer der Fall ist, vermag ich auf Grund meiner bisherigen Versuche noch nicht zu entscheiden. Jedenfalls aber bleibt das Hinzutreten des Vokal Charakters der auffallendste Unterschied, wenn die Superpositionskurve mit der einfachen Sinuskurve verglichen wird.\nDieses Verhalten der Superpositionskurven ist vollkommen verst\u00e4ndlich und stimmt durchaus zu unseren bisherigen Ergebnissen \u00fcber die Entstehungsbedingungen der Vokale. Super-poniert man zwei Sinuskurven mit gleicher Amplitude, so entstehen im allgemeinen Kurven, bei denen die aufeinanderfolgenden Wellen von etwas verschiedener L\u00e4nge sind. Damit ist aber eine wesentliche Bedingung f\u00fcr das Auftreten des Vokalcharakters gegeben.\nBetrachten wir die zusammengesetzten Sinuskurven, welche einen Vokal ergeben, dessen Qualit\u00e4t im wesentlichen durch die Schwingungszahl des tieferen Partialtons bestimmt wird, so f\u00e4llt dem Auge unmittelbar auf, dafs diese Kurven in ihren groben Umrifslinien eine unverkennbare \u00c4hnlichkeit mit","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n249\nder Sinuskurve des tieferen Tones zeigen. Einem naiven Betrachter, der sich nach Hermanns Vorgang dem optischen Eindruck des Kurvenbildes unbefangen hingibt und der dasselbe nicht einseitig und ausschliefslich unter dem Gesichtswinkel der Resonanztheorie ansieht, wird es naheliegen, jene zusammengesetzte Sinuskurve als eine modifizierte, als eine \u201egest\u00f6rte\u201c Sinuskurve des tieferen Einzeltones aufzufassen. In unserer n\u00e4chstfolgenden Abhandlung, welche einer \u2014 gleichfalls im Physiologischen Institut zu Strafsburg durch gef\u00fchrten \u2014 experimentellen Analyse des synthetischen Vokalversuchs von Helmholtz gewidmet ist, wird uns der Vokalcharakter der zusammengesetzten Sinuskurven noch eingehender besch\u00e4ftigen, und wir werden dann auch Gelegenheit nehmen, derartige Kurven nach dem Vorgang von Stumpe im Bilde vorzuf\u00fchren. L\u00e4fst sich also die Superpositionskurve als eine \u201egest\u00f6rte\u201c Sinuskurve des tieferen Einzeltones auffassen, so ist es nach unseren bisherigen Ergebnissen \u00fcber die Natur des Vokalph\u00e4nomens ganz verst\u00e4ndlich, dafs eine solche Kurve ein Schallph\u00e4nomen mit Vokalcharakter ergeben wird, und dals die Qualit\u00e4t des entstehenden Vokals im wesentlichen durch die Schwingungszahl des tieferen Einzeltones bestimmt ist.\nIY. Der Yokalcharakter infolge von Versuchsfeldern.\nDafs die Telephonmembran den elektrischen Schwankungen nur dann folgen kann, wenn Telephonmembran und Telephonmagnet richtig gegeneinander justiert sind, ist eine Trivialit\u00e4t. Steht die Telephonmembran etwa schief gegen die Polfl\u00e4che des Magneten, so werden aus Gr\u00fcnden der Elastizit\u00e4t und wegen der dadurch bedingten Eigenschwingungen Modifikationen des Schwingungsvorgangs auftreten ; ebenso nat\u00fcrlich dann, wenn die Fassung der Telephonmembran locker geworden ist, so dafs sich die Membran gegen\u00fcber dem Magneten verschiebt, w\u00e4hrend das Telephon in T\u00e4tigkeit ist; in diesem Falle m\u00fcssen auch Induktionswirkungen auftreten, die ihrerseits wieder die elektromagnetischen Vorg\u00e4nge beeinflussen k\u00f6nnen. Modifikationen des Schwingungsvorgangs treten auch schon dann auf, wenn die Entfernung der Membran vom Magneten infolge einer Verstellung\ndes Schraubengewindes einmal zu grofs oder zu klein geworden\n\u2022 \u2022\nist. Im ersten Falle werden die Eigenschwingungen ins Uber-","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250\nE. R. Jaensch.\ngewicht kommen, im zweiten wird die Membran an den Magneten nnstofsen und dadurch in ihren Schwingungen gest\u00f6rt werden.\nDerartige Versuchsfehler kommen \u2014 vor allem durch Fallenlassen des Telephons oder andere mechanische Einwirkungen \u2014 w\u00e4hrend einer l\u00e4ngerdauernden Untersuchung nur allzu h\u00e4ufig vor. Immer war die Wirkung derartiger Versuchsfehler eine ganz eindeutige : Aus dem reinenTon, den man bei Darbietung einer Sinuskurve und bei gut er Einst ellung des Telephons h\u00f6rt, war entweder ein vokalartiger Ton oder ein Vokal, in extremen F\u00e4llen ein Ger\u00e4usch geworden. Entsprach die Schwingungszahl der Sinuskurve der mittleren Schwingungszahl des A-Formanten, so war \u201eA\u201c die Qualit\u00e4t des entstehenden Vokales oder vokalartigen Tones bzw. Ger\u00e4usches.\nVokalcharakter infolge von Versuchsfehlern haben wir beobachtet: bei zu grofsem oder zu kleinem Abstand der Membran vom Magneten, bei Schr\u00e4gstellung der Membran 1 oder bei Lockerheit ihrer Fassung; in letzterem Falle besonders deutlich dann, wenn das Telephon ein wenig gesch\u00fcttelt wurde. Auch bei Lockerheit irgend eines Kontaktes in der Leitung konnte aus dem reinen Ton ein Vokal oder ein vokalartiger Ton werden. Da also infolge von unrichtiger Einstellung der Telephonmembran Vokal-oharakter auftreten kann, machte ich es mir zur Regel, an jedem Versuchstage immer zuerst die reine Sinuskurve darzubieten und damit das Telephon auf Intaktheit seiner Justierung zu pr\u00fcfen. Immer l\u00e4fst sich, wofern dies \u00fcberhaupt n\u00f6tig ist, durch Wiederherstellung der richtigen Justierung erreichen, dafs die Sinuskurve einen reinen Ton gibt, aber niemals \u2014 das sei in Voraus-\n1 Ausgiefsung der Telephonmembran mit Klebwachs in der Dicke eines Kartenblattes, wodurch die Eigenschwingungen nach gelegentlichen Versuchen von Herrn Prof. Ewald praktisch so gut wie ganz hinwegfallen, hatte zur Folge, dafs der Vokalcharakter, der infolge zu grofser Entfernung der Membran vom Magneten oder infolge von Schr\u00e4gstellung der Membran aufgetreten war, wieder verschwand. Aus diesem Grunde glaube ich bei der Entstehung des Vokalcharakters infolge von falscher Einstellung den Eigenschwingungen der Telephonmembran die Hauptrolle beimessen zu m\u00fcssen. \u2014\u2022 CJm naheliegenden Einw\u00e4nden, die sich an diese Bemerkung ankn\u00fcpfen k\u00f6nnten, vorzubeugen, sei ausdr\u00fccklich betont, dafs die Kurven, welche nach den vorstehenden Untersuchungen Vokale geben, das auch dann tun, wenn man die Telephonmembran in der oben geschilderten Weise ausgiefst.","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n251\nsicht m\u00f6glicher Einw\u00e4nde besonders hervorgehoben \u2014 konnte etwa umgekehrt das Schallph\u00e4nomen einer Kurve, die bei einer richtigen Justierung einen Vokal gibt, durch Ab\u00e4nderung der Justierung in einen reinen Ton \u00fcberf\u00fchrt werden.\nDafs die ganz verschiedenartigen Ab\u00e4nderungen des Schwingungsvorgangs, welche infolge der verschiedenen Versuchsfehler auf treten, doch fast im gleichen Sinne wirken, indem sie den reinen Ton nach einem ganz bestimmten Vokal hin verschieben, mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, steht aber mit unseren sonstigen Ergebnissen \u00fcber die Vokale in so vollkommenem Einklang, dafs die Erscheinung von hier aus eigentlich als selbstverst\u00e4ndlich bezeichnet werden mufs. Die angef\u00fchrten Momente m\u00fcssenja s\u00e4mtlich dahin wirken, die Sinusschwingung zu st\u00f6ren und abzu\u00e4ndern, so dafs ein komplizierterer SchwingungsVorgang entsteht ; aber nat\u00fcrlich wird im allgemeinen die mittlere Schwingungszahl mit der Schwingungszahl der dargebotenen Sinuskurve entweder \u00fcbereinstimmen oder ihr wenigstens nahebleiben. \u2014 Das Auftreten des Vokalcharakters infolge ganz verschiedenartiger Versuchsfelder steht also ganz im Einklang mit unseren sonstigen Ergebnissen, nach denen ja ein Vokal dann auftritt, wenn die mittlere Schwingungszahl eines unregelm\u00e4fsigen Schwingungsvorgangs einem bestimmten Durchschnittswerte nahebleibt.\n\u00a7 3. Experimentelle Diskussion der Vokalkurven.\nWir haben gesehen, dafs ein Ton durch ganz verschiedene Faktoren in einen Vokal \u00fcberf\u00fchrt werden kann. Alle diese Faktoren sind bei den HERMANNschen Vokalkurven nachweisbar. Nehmen wir als Beispiel die A-Kurve (vgl. Fig. V auf S. 232). Sie besteht erstens aus Schwingungen von grofser Amplitude den sog. Formantschwingungen, von deren Wellenl\u00e4nge nach Hermann die Qualit\u00e4t des Vokales ausschliefslich oder in erster Linie abh\u00e4ngt, zweitens aus kleinen Schwingungen, deren Wellenl\u00e4ngen sich von den Formantwellen um etwas gr\u00f6fsere Betr\u00e4ge unterscheiden k\u00f6nnen.1\nEin Ton konnte ebensowohl durch Einf\u00fcgung abweichender Wellenl\u00e4ngen wie durch Anbringung von Phasenverschiebungen\nEs ist nicht ausgeschlossen, dafs sie als blofse Nachschwingungen der Aufnahmemembran aufzufassen sind.\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 4\n17","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252\nE. R. Jaensch.\nin einen Vokal \u00fcberf\u00fchrt werden. Der erste Faktor, die Verschiedenheit der Wellenl\u00e4ngen, ist bei den A-Kurven sogar doppelt vertreten. Erstens n\u00e4mlich sind die Schwingungen mit grofser Amplitude, die sog. Formantschwingungen, immer von etwas verschiedener Wellenl\u00e4nge. Die von Hermann ermittelten Schwingungszahlen der Formanten sind ja, wie bekannt, Durchschnittswerte, ermittelt nach einem besonderen Verfahren welches Hermann als \u201eMethode der Proportionalausmessung\u201c bezeichnet. Bringt man z. B. zwei Perioden der A-Kurve am Rande einer Kreisperipherie an, wie das bei unseren Versuchen der Fall ist, so sind die aufeinander folgenden Kulminationspunkte der Formantschwingungen 26\u00b0 bzw. 23\u00b0 30' und 21\u00b0 20\\ also ungleich weit voneinander entfernt. Zweitens haben auch die Maxima der aufeinander folgenden kleinen Schwingungen ungleichen Abstand voneinander (z. B. 23\u00b0 40' ; 20\u00b0 30' ; 18\u00b0 30').\nAber auch der andere Faktor, der f\u00fcr die Verwandlung eines Tones in einen Vokal verantwortlich sein kann, die Phasenverschiebung, ist bei der A-Kurve nachweisbar. Nach dem Ablauf der kleinen Schwingungen setzen die Formantschwingungen im allgemeinen nicht mit der Phase ein, welche an dieser Stelle aufgetreten w\u00e4re, wenn die Formantschwingungen ununterbrochen stattgefunden h\u00e4tten. Auf diese Tatsache der Phasenverschiebung gr\u00fcndet ja Hermann bekanntlich eines seiner Hauptargumente gegen die HELMHOLTZsche Theorie, welche die Mundh\u00f6hle nur als Resonator, nicht (wie Hermann) als Pfeife auffafst.\nDie hier auf tauchende Frage, welchen Anteil diese verschiedenen Faktoren beim Zustandekommen des Vokalcharakters haben, ist dahin zu beantworten, dafs der Verschiedenheit der Wellenl\u00e4ngen bei den Formantschwingungen der wichtigste und ausschlaggebendste Einflufs zukommt, dafs aber auch den anderen namhaft gemachten Faktoren eine mitwirkende Rolle zuzusprechen ist.\nDie ausschlaggebende Bedeutung der Verschiedenheit der Wellenl\u00e4ngen bei den Formantschwingungen tritt deutlich in Erscheinung, wenn man in der A-Kurve die Formantschwingungen durch regelm\u00e4fsige Sinusschwingungen ersetzt, aber alles andere, insbesondere die kleinen Schwingungen und die Phasenverschiebungen beibeh\u00e4lt (XLIII); als Wellenl\u00e4nge jener regel-m\u00e4fsigen Sinusschwingungen ist die Durchschnittswellenl\u00e4nge der Formantschwingungen zu w\u00e4hlen. Das Schallph\u00e4nomen diesef","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n253\nKurve unterscheidet sich ganz erheblich von dem der A-Kurve; es ist unvergleichlich tonartiger und wird meist als \u201eTon mit Vokaleinschlag\u201c bezeichnet. Hinsichtlich der Qualit\u00e4t des Vokaleinschlags und ebenso hinsichtlich der H\u00f6he stimmt die modifizierte Kurve mit der A-Kurve \u00fcberein.\nDafs gleichwohl auch die kleinen Schwingungen bei unseren Versuchen1 einen geringf\u00fcgigen Beitrag liefern, zeigt sich bei der Verwendung einer weiteren Kurve, die sich von der A-Kurve nur dadurch unterscheidet, dafs die kleinen Schwingungen weggelassen, d. h. durch glatte Kreisb\u00f6gen ersetzt sind (XLIV). Das Schallph\u00e4nomen dieser Kurve ist von dem der A-Kurve nur wenig verschieden, erscheint aber bei genauer und aufmerksamer Beobachtung und bei abwechselnder Darbietung beider Kurven doch bestimmt etwas tonartiger als das Schallph\u00e4nomen der A-Kurve. \u2014 Dafs die kleinen Schwingungen nicht ganz irrelevant f\u00fcr das Schallph\u00e4nomen sind, geht auch daraus hervor, dafs eine \u00c4nderung ihrer Wellenl\u00e4nge eine, wenn auch geringf\u00fcgige \u00c4nderung des Schallph\u00e4nomens zur Folge hat. Ersetzt man n\u00e4mlich die kleinen Schwingungen durch doppelt so viele kleine Schwingungen von halb so grofser Wellenl\u00e4nge, so scheint der resultierende Vokal, mit dem Schallph\u00e4nomen der A-Kurve verglichen, ein wenig nach \u00c4 hin verschoben (vgl. XIV S. 237).\nEs ist aber daran festzuhalten, dafs die Verschiedenheit der Formantschwingungen als der f\u00fcr die Entstehung des Vokaleindrucks ausschlaggebende Faktor anzusehen ist, demgegen\u00fcber den anderen Momenten nur eine untergeordnete Rolle zuf\u00e4llt. Die Kurve XLIII ging aus der A-Kurve dadurch hervor, dafs man die Formantschwingungen durch regelm\u00e4fsige Sinusschwingungen ersetzte. Bei dieser Kurve mufs sich zeigen, was es ausmacht, wenn allein die kleinen Schwingungen unregel-m\u00e4fsig sind; die grofsen sind ja regelm\u00e4fsig. Umgekehrt mufs sich bei XLIV zeigen, was es ausmacht, wenn allein die grofsen Schwingungen unregelm\u00e4fsig sind ; denn die kleinen k\u00f6nnen hier, weil sie weggelassen sind, \u00fcberhaupt keine Wirkung entfalten. Das Schallph\u00e4nomen von XLIV erscheint ganz unvergleichlich vokalartiger als das von XLIII. Hieraus folgt, dafs der Verschiedenheit der kleinen Schwingungen beim Zustandekommen\n1 Wir erinnern nochmals daran, dafs diese kleinen Schwingungen m\u00f6glicherweise Kunstprodukt der phonophotographischen Aufnahmen sind.\n17*","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254\nE. R. Jaensch.\ndes Vokalein drucks eine weit geringere Bedeutung zukommt als der Verschiedenheit der Wellenl\u00e4ngen bei den Formantschwin-gungen. Es ist das auch auf Grund unserer fr\u00fcheren Versuche verst\u00e4ndlich; denn wir haben gesehen, dafs die Wirkung von St\u00f6rungsschwingungen abnimmt, wenn deren Amplitude verkleinert wird (S. 233).\nDaraus, dafs die kleinen Schwingungen nur einen ganz untergeordneten Beitrag liefern, erkennt man, dafs die A-Kurve auch dann einen Vokal ergeben m\u00fcfste, falls die kleinen Schwingungen nur ein Kunstprodukt der phonophotographischen Aufnahmen sein sollten.\nDas Moment der Phasenverschiebung ist im Vergleich mit dem angegebenen Hauptfaktor ebenfalls nur von untergeordneter Bedeutung. Auf Kurve XLIV sind zwei Perioden von Formant-schwingungen angebracht, die durch schwingungsfreie Intervalle voneinander getrennt sind. Den Einflufs einer Phasenverschiebung zwischen den beiden Perioden kann man dadurch studieren, dafs man in dieser Kurve die eine Periode gegen\u00fcber der anderen\nX\t2 X\nzun\u00e4chst nach einer Seite hin um dann um dann nach\no\to\nX\t2 X\nder anderen Seite hin um -3- und -3- verschiebt. X ist hierbei\no\to\ndie Durchschnittswellenl\u00e4nge der Formantschwingungen. Bei allen diesen Kurven (XLIV, XLV\u2014XLVIII) ist der Vokalcharakter nicht in deutlich merkbarer Weise verschieden. Die Verschiedenheit der Formantschwingungen ist eben schon von so grofser Wirksamkeit, dafs der hierdurch hervorgebrachte Vokalcharakter durch das Hinzutreten der Phasenverschiebung nicht mehr weiter verdeutlicht wird.\nDafs die HERMANNschen Kurven f\u00fcr 0 und U im allgemeinen eine etwas regelm\u00e4fsigere Gestalt zeigen und den Sinuslinien n\u00e4herstehen als die A-Kurve, wurde bereits erw\u00e4hnt. Wir sahen auch den Grund dieser Erscheinung ein ; denn wir konnten zeigen, dafs bei Abnahme der Schwingungszahl (von der Gegend des A-Formanten aus) die St\u00f6rungsreize immer wirksamer und darum in immer zunehmendem Mafse entbehrlicher werden.","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n255\nZweites Kapitel.\nDie Vokale als Qualit\u00e4ten des Ger\u00e4uschsinns und die Duplizit\u00e4t des Geh\u00f6rs.\n\u00a7 1. Das Wesen der Vokale.\nSchon auf Grund der bisherigen Versuche l\u00e4fst sich die Frage, worin das Wesen der Vokale besteht, beantworten.\nPeriodische Sinusschwingungen ergeben einen Ton. In den vorstehenden Versuchen haben wir diesen Schwingungsvorgang modifiziert. Die Modifikation erfolgte das eine Mal durch Einschiebung von Wellen etwas anderer Schwingungszahl, das andere Mal durch Phasenverschiebung. Was wir aber auch f\u00fcr Ver\u00e4nderungen einf\u00fchrten, die Schwingungszahl des entstehenden Kurvenzuges blieb immer einem bestimmten Durchschnittswerte nahe. Weichen die Schwingungszahlen der einzelnen Elemente eines Kurvenzuges allzu stark voneinander ab, so wird aus dem Vokal ein Ger\u00e4usch, und zwar nimmt der Vokal um so ausgesprocheneren Ger\u00e4uschcharakter an, je weiter sich das Kurvenbild von dem eines periodischen Schwingungsvorgangs entfernt, sei es nun, dafs die Wellenl\u00e4ngen gar zu verschieden oder dafs die Phasenwechsel allzu h\u00e4ufig werden. Das undifferenzierte Ger\u00e4usch ist somit die eine Klippe, welche bei der Herstellung eines Vokales vermieden werden mufs; die andere Klippe ist der Ton. Soll ein Vokal entstehen, so mufs durch irgendwelche St\u00f6rungen verhindert werden, dafs es zu einem periodischen Schwingungsvorgang kommt. Als St\u00f6rungsreiz kann man ebensowohl abweichende Wellenl\u00e4ngen wie Phasenverschiebungen einf\u00fchren. Je mehr sich das Kurvenbild dem periodischen Schwingungsvorgang n\u00e4hert, um so mehr n\u00e4hert sich der Vokal dem Ton bzw. Klang. Wir gelangen also zu folgendem Hauptsatz:\nEin Vokal entsteht, wenn s\u00e4mtliche Schwingungszahlen des betreffenden Kurvenzuges einem bestimmten Durchschnittswert nahebleiben, und wenn sich jener Kurvenzug andererseits durch irgendwelche Faktoren von einem periodischen Schwingungsvorgang unterscheidet. Von dem Durchschnittswert, dem die einzelnen Schwingungszahlen nahe bleiben m\u00fcssen, h\u00e4ngt die Qualit\u00e4t des Vokales ab.","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"256\nE. R. Jaensch.\n\u00a72. Revision der Einteilung der S ch allem p fin dun gen und Grundlegung der Lehre vom Ger\u00e4usch.\nUm den Vokalen ihre Stellung im System der Schallph\u00e4nomene zuzuweisen, m\u00fcssen wir die herk\u00f6mmliche Klassifikation dieses Empfindungsgebietes einer Revision unterziehen. Die herk\u00f6mmliche Klassifikation teilt die Gesamtheit der Schallempfindungen in zwei Hauptgebiete ein : in T\u00f6ne und Ger\u00e4usche. Beide Ph\u00e4nomene sind nach der \u00fcbereinstimmenden Ansicht der mafsgebenden Forscher auf verschiedene Funktionsweisen des H\u00f6rsinnes, wenn nicht gar auf anatomisch getrennte Organe zur\u00fcckzuf\u00fchren. \u2014 Die Vokale finden in diesem Schema keine Stelle.\nHermann hat schon vor Jahrzehnten mit vollem Rechte darauf hingewiesen, dafs die Vokale ein von den T\u00f6nen ganz verschiedenes Schallph\u00e4nomen darstellen, dafs sie aber den Ger\u00e4uschen nahestehen. \u201eIst es nicht bemerkenswert, dafs wir die n\u00e4chsten Analoga der Vokale nicht in der Musik, sondern in der Welt der Ger\u00e4usche finden, dafs zahlreiche Ger\u00e4usche, wie Knattern, Schmettern, Donnern, Klirren ihre Benennung von Ankl\u00e4ngen an Vokale erhalten haben und zwar in allen Sprachen?\u201c\n(.Pfl\u00fcgers Archiv 61, S. 192).\nEs ist bekannt, dafs den Ger\u00e4uschen die Haupteigenschaft der T\u00f6ne, die H\u00f6he, nur in undeutlichem Mafse zukommt; manche Forscher nehmen sogar an, dafs sie unter Umst\u00e4nden ganz fehlen kann. Von den Vokalen gilt dasselbe. Nat\u00fcrlich darf man nur Vokale in Betracht ziehen, die den Vokalcliarakter in wirklich ausgesprochener Form zeigen; auszuschliefsen sind Vokale von deutlich tonartigem Charakter. Man singe einen Vokal, z. B. 0, auf eine beliebige Note. Nat\u00fcrlich hat ein solcher gesungener Vokal eine bestimmte H\u00f6he, aber er zeigt daf\u00fcr auch den Vokalcharakter durchaus nicht in derselben Auspr\u00e4gung wie ein gesprochener Vokal. Jedem S\u00e4nger ist bekannt, dafs die Vokale beim Singen verblassen, namentlich, wenn man sie l\u00e4nger aush\u00e4lt. Beim Singen werden die Vokale eben tonartiger, sie besitzen die charakteristische Eigent\u00fcmlichkeit der Vokale nur in geringerer Auspr\u00e4gung als beim Sprechen. Namentlich bei l\u00e4ngerem Aushalten kann es Vorkommen, dafs ein gesungener Vokal fast wie ' ein vokalfreier Ton klingt. (Wir werden uns noch eingehender mit dieser Erscheinung zu besch\u00e4ftigen haben.) Die wirklich aus-","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n257\ngepr\u00e4gten Vokale, die gesprochenen, zeigen das charakteristische Merkmal der T\u00f6ne, die H\u00f6he, entweder gar nicht oder nur in \u00e4hnlich undeutlicher Weise wie die Ger\u00e4usche. Bedingung ist, dafs man beim Sprechen alles vermeidet, was nur im entferntesten dahin wirkt, der Sprache die Merkmale des Gesanges zu verleihen, also z. B. affektvolles oder pathetisches Sprechen, die \u201esingende\u201c Aussprache mancher Dialekte und \u00fcberhaupt jede ausgepr\u00e4gte \u00c4nderung der Tonh\u00f6he. Bei den Vokalen der ganz ruhigen Sprache des gew\u00f6hnlichen Lebens ist das Merkmal der H\u00f6he in \u00e4hnlicher Weise undeutlich wie bei den Ger\u00e4uschen. Das andere Merkmal der Tonreihe, die neuerdings mit besonderer Sch\u00e4rfe von R\u00e9v\u00e9sz 1 erwiesene musikalische Qualit\u00e4t, fehlt nat\u00fcrlich den Vokalen erst recht.\nIst also der Vokal seiner Erscheinungsweise nach von den T\u00f6nen ganz verschieden, so besitzt er umgekehrt zu den Ger\u00e4uschen eine enge Verwandtschaft. Diese Verwandtschaft kommt bereits in den onomatopoetischen und schallnachahmenden Bezeichnungen zum Ausdruck, welche die Sprache f\u00fcr die verschiedenen Gattungen der Ger\u00e4usche gepr\u00e4gt hat. Je nachdem wir von einem brummenden, knarrenden oder klirrenden Ger\u00e4usch reden, meinen wir ein den Vokalen U, A oder I nahe verwandtes Schallph\u00e4nomen.\nDie Vermutung Hermanns, dafs die Vokale ein von den T\u00f6nen verschiedenes und den Ger\u00e4uschen nahestehendes Schallph\u00e4nomen darstellen, wird durch den Hauptsatz, der die Ergebnisse unserer bisherigen, nach obj ektiv er Methode durchgef\u00fchrten Untersuchung zusammenfafst, in einer so schlagenden Weise gerechtfertigt, wie das von vornherein kaum zu erwarten war, und mit derselben Unzweideutigkeit zeigt sich jetzt das Unzutreffende der HELMHOLTzschen Ansicht, nach der die Vokale nur eine besondere Art musikalischer Kl\u00e4nge sind. Soll ein Ton in einen Vokal \u00fcberf\u00fchrt werden, so mufs nach unserem Hauptsatz der Schallkurve auf irgendeinem Wege die Eigenschaft der Periodizit\u00e4t genommen werden; d. h. die Schallkurve mufs in der Richtung auf die Ger\u00e4uschkurve hin ver\u00e4ndert, mufs ihr angeglichen werden. Auf welchem Wege wir die Schallkurve der Periodizit\u00e4t entkleiden, ob durch Einf\u00fcgung von Schwingungen anderer\n1 Nachrichten der G\u00f6ttinger Gesellschaft der Wissenschaft Math.-\u2022phys. Kl. 1912. (Vgl. auch hierhergeh\u00f6rige Ausf\u00fchrungen von Brentano, Stumpf und Natorp.)","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"258\nE. R. Jaensch.\nWellenl\u00e4ngen oder durch Anbringung von PhasenVerschiebungen,, ist gleichg\u00fcltig.\nDie durch unsere Untersuchung erwiesene Zusammengeh\u00f6rigkeit von Vokal und Ger\u00e4usch, l\u00e4fst die Lehre vom Ger\u00e4usch in einem ganz neuen Lichte erscheinen. Nach der herk\u00f6mmlichen Auffassung besteht zwischen T\u00f6nen und Ger\u00e4uschen der wesentliche Unterschied, dafs sich jene in eine fortlaufende Reihe ordnen lassen, diese hingegen nicht. Jodl (Lehrb. der Psychologie 3. Aufl.r I, S. 357. 1908) gibt allgemeinen \u00dcberzeugungen Ausdruck, wenn er sagt: \u201eDementsprechend ist der Ton eine kontinuierliche Wahrnehmung von einer bestimmten Qualit\u00e4t, das Ger\u00e4usch eine diskontinuierliche Wahrnehmung von unbestimmbarer Qualit\u00e4t. Daraus erkl\u00e4rt sich die unendliche Anzahl von Wahrnehmungen des Ger\u00e4usches, die Unm\u00f6glichkeit, sie gleich den Tonempfindungen in eine fortlaufende Reihe zu ordnen. Da sie keine festen Beziehungen zueinander haben, so entsteht aus ihrer Gruppierung ein Chaos\u201c*\nAus unserem Hauptsatz geht hervor, dafs Kurvenz\u00fcge mit Schwingungen von ungleicher L\u00e4nge nur dann keine Schallempfindung von bestimmter, an fester Stelle einer Reihe stehender Qualit\u00e4t veranlassen, wenn die Ungleichheit der Wellenl\u00e4ngen eine relativ sehr grofse wird, oder wenn die Phasenverschiebungen gar zu sehr \u00fcberhand nehmen. So lange s\u00e4mtliche in dem Kurvenzuge vorkommende Wellenl\u00e4ngen einem Mittelwerte nahebleiben, entstehen sehr wohl bestimmte, gleich den T\u00f6nen in Reihen anzuordnende Qualit\u00e4ten. So geht das U ganz allm\u00e4hlich, unter fortw\u00e4hrender Zunahme des O-Charakters und fortw\u00e4hrender Abnahme des U-Charakters in 0 \u00fcber, wenn der Mittelwert der Schwingungszahl allm\u00e4hlich zunimmt. Bei 0 erf\u00e4hrt die \u00c4nderung einen Richtungswechsel; die \u00c4hnlichkeit zu U h\u00f6rt auf, statt dessen tritt nun die \u00c4hnlichkeit zu A hervor; unter fortgesetzter Abnahme des O-Charakters und zunehmender \u00c4hnlichkeit zu A wird das reine A erreicht. In derselben Weise gelangen wir durch Vergr\u00f6fserung der mittleren Schwingungszahl vom reinen A zum reinen E, von diesem wieder in derselben Weise zum reinen I. Jeder Vokal hat in der so entstehenden Reihe seine ganz bestimmte Stelle, ebenso wie jede ges\u00e4ttigte Farbe ihre bestimmte Stelle im Spektrum hat.\nDie Analogie der Vokalreihe zum Spektrum erstreckt sich noch weiter. Den reinen Vokalen entsprechen die Urfarben* Wie an der Stelle des reinen 0 die \u00c4hnlichkeit zum U aufh\u00f6rt","page":258},{"file":"p0259.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n259\nund statt dessen die \u00c4hnlichkeit zum A auftritt, so h\u00f6rt im\nSpektrum an der Stelle des reinen Gelb die \u00c4hnlichkeit zum\n\u2022 \u2022\nKot auf, um der \u00c4hnlichkeit zum Gr\u00fcn Platz zu machen. Und wie in dem Intervall zwischen den reinen Vokalen, z. \u00df. zwischen 0 und A, jedes mittlere Glied eine \u00c4hnlichkeit zu beiden Endgliedern zeigt, wobei mit zunehmender mittlerer Schwingungszahl die \u00c4hnlichkeit zum 0 f\u00e4llt, diejenige zum A steigt, so ist eine Farbe, deren Wellenl\u00e4nge zwischen der des reinen Gelb und der des reinen Gr\u00fcn gelegen ist, diesen beiden Farben \u00e4hnlich, und zwar erfolgt bei fortgesetzter Verkleinerung der Wellenl\u00e4nge eine kontinuierliche Abnahme der \u00c4hnlichkeit zu Gelb und eine\nfortw\u00e4hrende Zunahme der \u00c4hnlichkeit zu Gr\u00fcn. \u2014 Auf diese\n\u2022 \u2022\n\u00c4hnlichkeit der Vokalreihe mit dem Spektrum hat W. K\u00f6hler (Zeitschr. f. Psychol 58), dessen Grundanschauungen wir uns nach unseren Untersuchungen nicht anschliefsen k\u00f6nnen, in ganz zutreffender Weise hingewiesen.\nDie traditionelle Ansicht, nach der der unperiodische Kurvenzug nicht zu Empfindungsqualit\u00e4ten Anlafs gibt, die sich in eine Keihe ordnen lassen, mufs also aufgegeben werden. Auch der Sinn, mittels dessen wir auf unperiodische Wellenz\u00fcge reagieren, der Ger\u00e4uschsinn, liefert Empfindungsqualit\u00e4ten, die sich in Reihen ordnen lassen, eben dieVokale. Die Vokale sind die Qualit\u00e4ten des Ger\u00e4uschsinns.\nDer Ger\u00e4uschsinn verh\u00e4lt sich also ganz analog wie der Sinn, der auf periodische Wellenz\u00fcge reagiert, der Tonsinn. Wie die Qualit\u00e4ten des Tonsinns von der Schwingungszahl, so h\u00e4ngen die Qualit\u00e4ten des Ger\u00e4uschsinns vom Durchschnittswert der Schwingungszahl ab. Aber trotz der formalen \u00dcbereinstimmung, dafs sich Ger\u00e4usche und T\u00f6ne in Reihen ordnen lassen, besteht inhaltlich zwischen Tonreihe und Ger\u00e4uschreihe weitgehendste Heterogenit\u00e4t. Die Vokale sind etwas ganz anderes als die T\u00f6ne. In gewisser Hinsicht steht die Vokalreihe sogar dem Spektrum n\u00e4her als der Tonreihe; denn die Vokalreihe zeigt, wie oben ausgef\u00fchrt wurde, Eigenschaften, die wir beim Spektrum wiederfinden *, aber bei den T\u00f6nen vermissen.\nWarum sich aber die von uns abgewiesene Ansicht \u00fcber die\n1 Die Ger\u00e4usche bilden ebenso wie die Farben eine \u201eQualit\u00e4tenreihe\u201c im Sinne G. E. M\u00fcllers [Zeitschr. f. Psychol. 10).","page":259},{"file":"p0260.txt","language":"de","ocr_de":"260\nE. R. Jaensch.\nGer\u00e4usche einer so allgemeinen Verbreitung erfreuen konnte, das ist vollkommen durchsichtig. In der weitaus \u00fcberwiegenden Mehrzahl der F\u00e4lle erzeugt eben die Natur Ger\u00e4usche, bei denen die einzelnen Wellenl\u00e4ngen nicht einem bestimmten Mittelwerte nahestehen. F\u00e4hrt ein schwerbeladener Wagen \u00fcber ein holpriges Strafsenpflaster, so ist zu kurzdauernden Tonerregungen der allerverschiedensten Wellenl\u00e4ngen Anlafs gegeben. Mit unperiodischen Kurven, bei denen alle Schwingungszahlen einem Mittelwerte nahestehen, hatte man sich bisher nicht besch\u00e4ftigt. Ein Vergleich erl\u00e4utert die Sache am besten. Angenommen man h\u00e4tte bisher ausschliefslich \u201eMusikinstrumente\u201c gehabt (sit venia verbo!), mit denen sich nur solche Tonkombinationen herstellen liefsen, wie man sie am Klavier durch das gleichzeitige Anschl\u00e4gen einer grofsen Anzahl von lasten erh\u00e4lt] man w\u00fcrde dann die Mannigfaltigkeit der T\u00f6ne f\u00fcr ein \u201eChaos\u201c halten \u2014 in ganz \u00e4hnlicher Weise, wie es im Einklang mit herrschenden Ansichten z. B. Jgdl betreffs der Ger\u00e4usche tut. Die Erfindung des Klavieres oder irgend eines anderen wirklichen Musikinstrumentes m\u00fcfste jenem Irrtum ein Ende bereiten.\nIm Gebiete des Lichtsinns ist heute folgende \u00dcberzeugung wissenschaftliches Allgemeingut : Der Lichtsinn zerf\u00e4llt eigentlich in mehrere Spezialsinne. Zum mindesten sind zwei derartige Sinne zu unterscheiden : Der Sinn f\u00fcr die farblosen und der f\u00fcr die farbigen Qualit\u00e4ten. Wir wissen ferner, dafs der Sinn f\u00fcr die farblosen Helligkeiten der phylogenetisch \u00e4ltere ist, und dafs er also urspr\u00fcnglich allein vorhanden war. Dafs es sich so verh\u00e4lt, ist heute nicht mehr, wie noch bis vor kurzem, eine auf die Betrachtung gewisser Formen der Farbenblindheit und auf das Verhalten der normalen Netzhautperipherie gegr\u00fcndete Hypothese, sondern erwiesene Tatsache. Das Farbensehen der Tiere ist in neuester Zeit von C. Hess 1 eingehend untersucht worden. \u201eAuf Grund meiner Beobachtungen\u201c \u2014 so fafst dieser Forscher seine Ergebnisse zusammen \u2014 \u201edie sich bisher auf Vertreter aller Wirbeltierklassen und \u00fcber 20 Arten von Wirbellosen erstrecken, lassen sich s\u00e4mtliche untersuchte Tierarten hinsichtlich ihres Lichtsinnes in zwei grofse Gruppen teilen: die erste umfafst Amphibien, Reptilien, V\u00f6gel und S\u00e4uger, die zweite die Fische und alle bisher von mir untersuchten Wirbellosen. Die der\n1 Vergleichende Physiologie des Gesichtssinnes. Jena 1912.","page":260},{"file":"p0261.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n261\nersten Gruppe angeh\u00f6renden Tiere verhielten sich bei allen unseren Versuchen so, wie es der Fall sein mufs, wenn ihre Sehqualit\u00e4ten \u00e4hnliche oder die gleichen sind, wie jene des normalen Menschen. Die der zweiten angeh\u00f6renden Tiere, also die Fische und Wirbellosen, verhielten sich so, wie es der Fall sein mufs, wenn ihre Sehqualit\u00e4ten \u00e4hnliche oder die gleichen sind wie jene des total farbenblinden Menschen.\u201c 1\nBeim Ohr verh\u00e4lt es sich ganz \u00e4hnlich. Auch dieses Organ beherbergt zwei verschiedene Sinne, den Tonsinn und den Ger\u00e4uschsinn, dessen Qualit\u00e4ten die Vokale sind. Der Ger\u00e4uschsinn ist der weniger differenzierte, denn er ist eben nicht ein Sinn f\u00fcr Schwingungszahlen, sondern f\u00fcr Durchschnittswerte von Schwingungszahlen. Ich halte es darum f\u00fcr wahrscheinlich, dafs wir in ihm den phylogenetisch \u00e4lteren Sinn zu erblicken haben.2 Wahrscheinlich ist die ganz undifferenzierte Ger\u00e4uschempfindung, welche sich einstellt, wenn die mittlere Variation der Schwingungszahlen sehr grofs wird, als eine dritte, phylogenetisch noch \u00e4ltere Reaktionsweise des H\u00f6rsinns anzusprechen.3\nHensen (.Archiv f\u00fcr Ohrenheilkunde 28, S. 69) und Stumpe (Tonpsychologie II S. 511) sind jederzeit f\u00fcr die Annahme eingetreten, dafs ein besonderer Apparat zur Perzeption der Ger\u00e4usche best\u00fcnde ; Hensen mit besonderem Nachdruck auch wieder in j\u00fcngster Zeit (Ergebnisse der Physiologie. 1. Jahrg., 2. Abt. 1902). Im Zusammenhang mit unseren eigenen Untersuchungen ge-\n1\tUntersucht man z. B. \u2014 um nur einen der grundlegenden Versuche von Hess zu nennen \u2014 die Pupillenverengerung im Auge von Sepia, w\u00e4hrend -dasselbe den verschiedenen Lichtern des Spektrums ausgesetzt wird, so ergibt sich, dafs sich dieses Auge hierbei ebenso verh\u00e4lt wie das Auge eines total farbenblinden Menschen.\n2\tDie Ansicht, dafs wir in der EntwTcklungsreihe Vorfahren gehabt haben m\u00f6gen, welche nur den Sinn f\u00fcr die Durchschnittswerte besafsen, schliefst nat\u00fcrlich die M\u00f6glichkeit nicht aus, dafs sich dieser Sinn auch nach der Hinzukunft des Tonsinns noch weiter entwickelt haben mag. Man wird eine solche sp\u00e4tere Weiterentwicklung sogar f\u00fcr wahrscheinlich halten, und zwar darum, weil das Aufkommen und die fortschreitende Differenzierung der menschlichen Sprache zunehmend h\u00f6here Anforderungen an den Ger\u00e4uschsinn stellen mufste. \u2014 Die gr\u00fcndlichere Inangriffnahme der Frage nach dem H\u00f6ren der Tiere geh\u00f6rt zu den n\u00e4chsten Obliegenheiten der akustischen Forschung.\n3\tSchon Franz Brentanos ph\u00e4nomenologischer Scharfblick fafste die Ger\u00e4usche als \u201eTongrau\u201c auf (Untersuchungen zur Sinnespsychologie. Leipzig 1907, S. 105).","page":261},{"file":"p0262.txt","language":"de","ocr_de":"262\nE. R. Jaensch.\nwinnen die Argumente jener Forscher eine besondere Bedeutung und ein gesteigertes Interesse. Da die Vokale die Qualit\u00e4ten des Ger\u00e4uschsinns sind, so w\u00fcrde das postulierte Organ auch die Perzeption der Sprachlaute vermitteln.\n\u00a7 3. Die Beziehung der Vokale zu den T\u00f6nen.\nVon W. K\u00f6hler ist in einer wichtigen Arbeit (Zeitschrift f\u00fcr Psychologie 58), die trotz ihrer Irrt\u00fcmer bedeutsam bleibt, auf die Tatsache wiederhingewiesen worden, dafs die einfachen T\u00f6ne mit den Vokalen \u00c4hnlichkeit zeigen, und dafs die Schwingungszahlen der T\u00f6ne, die den Hauptvokalen \u00e4hnlich sind, in Oktaven \u00fcbereinander liegen. Schon Rudolph Koenig, der bekannte Physiker und Konstrukteur akustischer Apparate, hatte dieses Oktaven-gesetz ausgesprochen und seine Wichtigkeit betont. Er brachte auch eine Serie von Vokalgabeln in den Handel. Die Serie, von der das Strafsburger Physiologische Institut ein Exemplar besitzt, besteht aus denjenigen Stimmgabeln, deren Ton den f\u00fcnf Hauptvokalen \u00e4hnlich ist; der zugeh\u00f6rige Vokal ist jedesmal in den Schaft der betreffenden Gabel eingraviert. Die tiefste Gabel^ welche wie U klingt und darum diese Aufschrift tr\u00e4gt,1 hat dm Schwingungszahl 234. Die Schwingungszahlen der O-, A-, E- und I-Gabel sind bzw. 469, 939, 1878, 3756, liegen also in Oktaven \u00fcbereinander.\nAn der Richtigkeit des Oktavengesetzes wird niemand zweifeln,, nachdem auch wieder K\u00f6hler durch seine genaueren Einstellungen am Tonvariator zu Werten gelangt ist, welche den Schwingungszahlen der KoENiGschen Vokalgabeln nahestehen und gleichfalls in Oktaven \u00fcbereinander liegen. Die T\u00f6ne mit dazwischen liegenden Schwingungszahlen \u00e4hneln den Vokalen, die zwischen den betreffenden Hauptvokalen liegen. Gehen wir also in der Tonreihe von unten nach oben, so stofsen wir zun\u00e4chst auf T\u00f6ne, die wie U klingen; beim Fortschreiten nimmt das U mehr und mehr den O-Charakter an, bis bei einer bestimmten Schwingungszahl ein dem O \u00e4hnlicher Ton auftritt ; in analoger Weise gelangen wir vom 0 zum A, vom A zum E und vom E zum I. \u2014 Wenn nun aber K\u00f6hler auf Grund dieser Tatsachen zu der weiteren These fortschreitet, dafs die Vokale die eigentlichen Qualit\u00e4ten des Tonsinnes seien, w\u00e4hrend wir in\n1 Die Bezeichnungsweise ist die franz\u00f6sische, also \u201eOu\u201c.","page":262},{"file":"p0263.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n263\nden Tonh\u00f6hen zentralere, den Vorstellungen nahestehende Ph\u00e4nomene zu erblicken h\u00e4tten, so verm\u00f6gen wir, bei voller Anerkennung der in K\u00f6hlees Arbeit enthaltenen Initiativen, diesen Aufstellungen auf Grund unserer eigenen Untersuchungen nicht zu folgen. Dasselbe Mafs r\u00fcckhaltloser Kritik, welches dem Gegner ohne weiteres zugebilligt zu werden pflegt, ist man, wo der Gang eigener Arbeiten darauf f\u00fchrt, auch einem befreundeten Forscher schuldig.\nNachdem erkannt ist, dafs die Vokale von den T\u00f6nen verschiedene Ph\u00e4nomene, n\u00e4mlich Qualit\u00e4ten des Ger\u00e4uschsinnes sind, haben wir die Tatsache, dafs die reinen T\u00f6ne eine mehr oder weniger entfernte \u00c4hnlichkeit mit Vokalen zeigen, nun folgendermafsen zu deuten: Periodische Geh\u00f6rsreize erregen nicht nur den Tonsinn, sondern gleichzeitig in abgeschw\u00e4chtem Mafse auch den Ger\u00e4uschsinn, obwohl diesem letzteren Sinn eigentlich die unperiodische Heizung ad\u00e4quat ist.1\nDiese Tatsache wird verst\u00e4ndlich, wenn wir uns daran erinnern, dafs beim Gesichtssinn ganz Analoges stattfindet. Beim Geh\u00f6r wird der weniger differenzierte \u00e4ltere Sinn gleichzeitig mit-.erregt, wenn eine dem j\u00fcngeren Sinn ad\u00e4quate Reizung vorliegt. Beim Gesichtssinn ist es ganz ebenso. Hier ist der Farbensinn der differenziertere und j\u00fcngere, der Sinn f\u00fcr die farblosen Lichtempfindungen der weniger differenziertere \u00e4ltere. Wie jede Tonempfindung einem bestimmten Vokal \u00e4hnlich ist, so ist jede bunte Farbenempfindung einer bestimmten farblosen Helligkeit \u00e4hnlich. Man verschaffe sich eine Serie verschieden-heller grauer Papiere, in denen die mannigfachsten Zwischenstufen vom reinsten Weifs bis zum tiefsten Schwarz vertreten sind. Legt man jetzt ein farbiges, z. B. rotes Papierschnitzel nacheinander auf die verschieden-hellen grauen Papiere, so wird man finden, dafs jenes Papierschnitzel einigen der farbigen Papiere sehr \u00e4hnlich, anderen sehr un\u00e4hnlich ist. Immer wird sich aus der Reihe der farb-\n1 Im Grande erscheint diese Tatsache gar nicht erstaunlich. Reagiert der Ger\u00e4uschsinn normalerweise auf die Mittelwerte wenig verschiedener Wellenl\u00e4ngen, so ist es ganz plausibel, dafs er in gewissem Mafse miterregt wird, wenn ein aus gleichen Wellen bestehender Kurvenzug vorliegt. Solange es den differenzierten Sinn, den Tonsinn, noch nicht gab, wird der Ger\u00e4uschsinn auf einen Kurvenzug gleicher Wellen offenbar ebenso reagiert haben, wie er jetzt auf einen unperiodischen Kurvenzug mit \u00fcbereinstimmender Durchschnitts weilenl\u00e4nge reagiert.","page":263},{"file":"p0264.txt","language":"de","ocr_de":"264\nE. R. Jaensch.\nlosen Papiere eines ausw\u00e4hlen lassen, dem das farbige besonders \u00e4hnlich ist; beide Papiere erscheinen n\u00e4mlich gleich hell. Wir sagen dann, das farbige Papier besitze die Helligkeit eben jener Graunuance. Das geschilderte Verfahren \u2014 die sog. Methode von Hillebrand 1 \u2014 wird ja bekanntlich vielfach dazu verwandt die Helligkeit farbiger Reize zu bestimmen.\nBei der Erkl\u00e4rung der Tatsache, dafs jede Farbenempfindung in einer ganz bestimmten Helligkeit erscheint, also einer bestimmten farblosen Helligkeitsempfindung besonders \u00e4hnlich ist, hat sich, man kann wohl sagen, die Gesamtheit der Forscher Hering angeschlossen. Hering erkl\u00e4rt jene Tatsache bekanntlich durch die Annahme, dafs bei jeder Farbenempfindung der Schwarz-Weifs-Sinn gleichzeitig miterregt werde. Bei der Mischung von Komplement\u00e4rfarben tritt diese Schwarz-Weifs-Komponente ausschliefslich in Erscheinung, w\u00e4hrend die farbigen Komponenten einander zerst\u00f6ren. Der weniger differenzierte \u00e4ltere Sinn wird also gleichzeitig miterregt, wenn eine dem differenzierteren j\u00fcngeren Sinne ad\u00e4quate Reizung vorliegt.\nDie Analogie geht aber noch weiter. Durchl\u00e4uft man die Tonreihe, so wird man den Vokalcharakter nicht in allen H\u00f6henlagen gleich deutlich finden. Die tiefsten T\u00f6ne klingen sehr deutlich wie U, die h\u00f6chsten, die man z. B. mit einer Galtonpfeife hersteilen kann, sehr deutlich wie I. Niemals habe ich reine T\u00f6ne geh\u00f6rt, welche in wirklich \u00fcberzeugender Weise wie A oder E geklungen h\u00e4tten. (Damit vertr\u00e4gt sich sehr wohl die Tatsache, dafs es immer m\u00f6glich ist, einen reinen Ton herauszufinden, der dem reinen A oder dem reinen E \u00e4hnlicher ist als alle anderen T\u00f6ne.) Die T\u00f6ne in mittlerer Lage, die wie 0 klingen, sind vokalartiger als die h\u00f6heren, A- oder E-\u00e4hnlichen T\u00f6ne, dagegen stehen sie an Deutlichkeit des Vokalcharakters zur\u00fcck hinter den tiefsten T\u00f6nen, die mit U eine \u00e4ufserst enge Verwandtschaft zeigen.\nDie Sache liegt also folgendermafsen : Jeder Ton zeigt mit einem ganz bestimmten Vokal eine gewisse Verwandtschaft; aber diese \u00c4hnlichkeit zum zugeordneten Vokal ist bei den einzelnen T\u00f6nen verschieden grofs. Gehen wir von den U-\u00e4hnlichen T\u00f6nen aus in die H\u00f6he, so nimmt die Vokal\u00e4hnlichkeit der T\u00f6ne erst\n1 Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften. Math.-na\u00fc Klasse 98. 3. Abt. 1889.","page":264},{"file":"p0265.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n265\nfortgesetzt ab, um dann eine Zeitlang ann\u00e4hernd konstant zu bleiben und sehliefslich wieder zuzunehmen. Folgendes Schema diene zur Versinnlichung dieser Beobachtungstatsache:\nFigur VL\nLKH, H, H, H3 H, Hs M>H5\nMan trage die Qualit\u00e4ten des Ger\u00e4uschsinns auf der Abszissenachse ab und die einzelnen T\u00f6ne ordne man in der Weise an,, dafs jeder Ton lotrecht \u00fcber dem Vokal liegt, dem er \u00e4hnlich ist. Das Lot ist kurz oder lang, je nachdem der betreffende reine Ton der zugeh\u00f6rigen Ger\u00e4uschqualit\u00e4t sehr \u00e4hnlich oder sehr un\u00e4hnlich ist. (Der Verwandtschaftsgrad des Tones zum zugeh\u00f6rigen Vokal w\u00e4re also umgekehrt proportional der L\u00e4nge des Lotes.) Durchlaufen wir die Abszissenachse vom \u00fc aus nach rechts, so mufs die L\u00e4nge der Ordinaten zun\u00e4chst zunehmen, mindestens bis zum 0, um dann von einer bestimmten Stelle an konstant zu bleiben und sehliefslich wieder abzunehmen. Links von U und rechts von I liegt eine Stelle, an der die Ordinate bis auf den Wert Null herabsinkt. Die ganz langsamen Sinusschwingungen, die man nur mittels besonderer, beschwerter Gabeln hervorbringen kann, geben ein M-artiges Schallph\u00e4nomen, welches man \u00fcberhaupt nicht mehr als einen Ton, sondern nur noch als ein brummendes Ger\u00e4usch ansprechen kann. Die H\u00f6he ist ganz undeutlich geworden und von musikalischer Qualit\u00e4t (im Sinne von R\u00e9v\u00e9sz) ist bei diesen tiefsten T\u00f6nen erst recht nicht mehr die Rede, da es nicht m\u00f6glich ist, diesen T\u00f6nen die entsprechenden h\u00f6heren Oktavent\u00f6ne zuzuordnen. Schon Helmholtz hat auf diese Eigent\u00fcmlichkeit der tiefsten T\u00f6ne hingewiesen (vgl. neuerdings R\u00e9v\u00e9sz, Nachrichten der G\u00f6ttinger Gesellsch. der Wissenschaften 1912). Die Verwandtschaft de& Tones zur zugeh\u00f6rigen Ger\u00e4uschqualit\u00e4t ist eine absolute oder ideale, der Abstand zwischen beiden Ph\u00e4nomenen, und damit die\nOrdinate, ist gleich Null geworden.\nDie allerh\u00f6chsten mit der Galtonpfeife zu erzeugenden l\u00f6ne verdienen gleichfalls nicht diesen Namen. Sie besitzen keine","page":265},{"file":"p0266.txt","language":"de","ocr_de":"266\nE. li. Jaensch.\ndeutliche H\u00f6he und erst recht keine musikalische Qualit\u00e4t. Sie klingen im allgemeinen S-\u00e4hnlich und erscheinen je nach der H\u00f6he als ein mehr sausendes oder zischendes Ger\u00e4usch. Also rechts vom I stofsen wir auf eine zweite Stelle der Abszissenachse, an der die zugeh\u00f6rige Ordinate bis zum Werte Null herabsinkt.\nBeim Lichtsinn hegen die Dinge so vollkommen analog, dafs wir die obige Zeichnung ohne jede Ver\u00e4nderung auch zur Erl\u00e4uterung der einschl\u00e4gigen Verh\u00e4ltnisse beim Lichtsinn verwenden k\u00f6nnen. Stellen wir ein und dieselbe Farbennuance, z. B. Rot, in verschiedenen Helligkeiten her, so l\u00e4fst sich die Helligkeit der einzelnen Glieder nach Hering-Hillebrand dadurch zum Ausdruck bringen, dafs wir neben jedes Glied die zugeh\u00f6rige farblose Helligkeit legen. Ebenso wie jeder Ton dem ihm zugeordneten Vokal \u00e4hnlicher war als irgend einem anderen \\ okal, so ist jetzt jedes Glied der Rot-Reihe der ihm zugeordneten farblosen Helligkeit \u00e4hnlicher als irgendeiner anderen farblosen Helligkeit. Im Gebiete des H\u00f6rsinnes war der Abstand zwischen Ton und zugeh\u00f6rigem Vokal an verschiedenen Stellen der Skala verschieden grols. Im Gebiete des Lichtsinns ist der Abstand zwischen bunter Farbe und zugeh\u00f6riger farbloser Helligkeit an verschiedenen Stellen der Skala verschieden grofs ; denn sowohl bei betr\u00e4chtlicher Herabsetzung wie bei betr\u00e4chtlicher Steigerung der Intensit\u00e4t farbiger Lichter tritt eine S\u00e4ttigungseinbufse ein, d. h. die sehr hellen und die sehr dunklen Farben stehen der zugeh\u00f6rigen farblosen Helligkeit n\u00e4her, als die mittelhellen Farben den zugeh\u00f6rigen farblosen Nuancen.1\nBei betr\u00e4chtlicher Steigerung der Intensit\u00e4t werden alle Farben w7eifslieh; bei betr\u00e4chtlicher Verminderung ihrer Intensit\u00e4t n\u00e4hern sie sich s\u00e4mtlich dem Grau. Die allerhellsten und die allerdunkelsten Farben besitzen zu der zugeordneten farblosen Helligkeit eine absolute Verwandtschaft, ebenso wie die allerh\u00f6chsten und die allertiefsten T\u00f6ne zu der zugeordneten Ger\u00e4uschqualit\u00e4t. Die einschl\u00e4gigen Verh\u00e4ltnisse beim Liehtsinn haben bereits in alle Lehrb\u00fccher Eingang gefunden.\nDie Dinge liegen also beim Lichtsinn durchweg genau so wie beim Geh\u00f6r. Die obige f\u00fcr das Geh\u00f6r entworfene Figur gilt\nBekanntlich w\u00e4hlt man aus diesem Grunde zur Darstellung der Farbenmannigfaltigkeit das Oktaeder oder den Doppelkegel (vgl. z. B. den H\u00f6PLE\u00dfschen Farbenk\u00f6rper) und nicht den Zylinder.","page":266},{"file":"p0267.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n267\n-auch f\u00fcr den Lichtsinn. Hier wie dort tragen wir als Abszissen die Qualit\u00e4ten des weniger differenzierten Sinnes auf; beim H\u00f6r--sinn waren es die Vokale, hier sind es die farblosen Helligkeiten (Hi, H2 . . . in Figur VI). Hier wie dort werden lotrecht dar\u00fcber die zugeordneten Inhalte des differenzierteren j\u00fcngeren Sinnes angebracht; dort waren es die T\u00f6ne von verschiedener H\u00f6he, hier ist es die Farbennuance in verschiedenen Helligkeiten. Hier wie dort geben die Lote den scheinbaren Abstand an, welcher -zwischen dem Inhalte des differenzierteren Sinnes und dem des weniger differenzierten Sinnes besteht. Dieser Abstand besitzt beim Lichtsinn ebenso wie beim H\u00f6rsinn an den \u00e4ufsersten Punkten den Wert Null; denn die hellsten und die dunkelsten Farben unterscheiden sich von der zugeordneten farblosen Nuance so gut wie gar nicht, sie stehen mit ihr in absoluter oder idealer Verwandtschaft. Schreiten wir von beiden Seiten her nach der Mitte zu vorw\u00e4rts, so steigen \u2014 beim Lichtsinn ebenso wie beim H\u00f6rsinn - die Ordinaten zun\u00e4chst an, um dann in einem gewissen Mittelgebiet ann\u00e4hernd konstant zu bleiben; denn in dem Mafse als wir uns den mittelhellen Farbennuancen n\u00e4hern, wird deren scheinbarer Unterschied gegen\u00fcber den zugeordneten farblosen Helligkeiten gr\u00f6fser.\nUm den durch die Figur ausgedr\u00fcckten Verh\u00e4ltnissen beim Lichtsinn Rechnung zu tragen, nimmt man bekanntlich an, dafs bei den bunten Farben mittlerer Intensit\u00e4t der Schwarz-Weifs-Sinn nur relativ schwach miterregt wird, d. h. die Schwarz-Weifs-Erregung tritt zur\u00fcck gegen\u00fcber der farbigen Erregung; bei der Gesamterregung ist der Farbensinn mit einer relativ .grofsen, der Schwarz-Weifs-Sinn mit einer relativ kleinen Komponente vertreten. Umgekehrt verh\u00e4lt es sich bei den bunten Farben von sehr geringer oder sehr hoher Intensit\u00e4t. Hier ger\u00e4t der Schwarz-Weifs-Sinn in relativ starke Miterregung; d. h. bei der Gesamterregung ist der Schwarz-Weifs-Sinn mit einer relativ grofsen, der Farbensinn mit einer relativ kleinen Komponente vertreten. Wenn wTir es in der Terminologie G. E. M\u00fcllers aus-dr\u00fccken wollen: das \u201eGewicht\u201c der Schwarz-Weifs-Erregung ist bei den sehr hellen und sehr dunklen Farbennuancen gr\u00f6fser als bei den mittelhellen Farbennuancen.\nIn ganz analoger Weise werden wir annehmen m\u00fcssen, dafs bei der Erregung des Tonsinns der Ger\u00e4uschsinn in relativ .schwache Miterregung ger\u00e4t, wenn ein Tonreiz von mittlerer\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 47 .\t18","page":267},{"file":"p0268.txt","language":"de","ocr_de":"268\nE. R. Jaensch.\nSchwingungszahl vorgelegt wird, hingegen wird die Miterregung des Ger\u00e4uschsinns relativ st\u00e4rker, in dem Mafse als wir uns vom Mittelbereieh aus den h\u00f6chsten oder tiefsten T\u00f6nen n\u00e4hern. Wenn wir uns wieder der Terminologie G. E. M\u00fcllers bedienen,, wollen, indem wir sie vom Lichtsinn auf den H\u00f6rsinn \u00fcbertragen : das \u201eGewicht\u201c des Ger\u00e4uschprozesses ist bei den sehr hohen und sehr tiefen T\u00f6nen gr\u00f6fser als bei den mittelhohen T\u00f6nen. \u2014 Die Art, in der die Inhalte des differenzierteren Sinnes denen des weniger differenzierten Sinnes zugeordnet sind, ist also beim Ohr ganz dieselbe wie beim Auge.\n\u00a7 4. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse;\nZusammenfassend ist zu sagen:\nDer H\u00f6rsinn beherbergt gleich dem Lichtsinu verschiedene Spezialsinne von ungleicher Differenziertheit und wahrscheinlich auch von ungleichen! phylogenetischem Alter. Diese Spezialsinne sind der Tonsinn und der Ger\u00e4uschsinn; das Geh\u00f6r besitzt also die Eigenschaft der Duplizit\u00e4t. Die Lehre, welche die Vokale als Kl\u00e4nge auffafst, ist unzutreffend. Ebenso unzul\u00e4ssig ist es, auf die Tatsache, dafs die reinen T\u00f6ne die Eigenschaft der Vokalfarbe besitzen, die Behauptung zu gr\u00fcnden, dafs die Vokale die eigentlichen Qualit\u00e4ten des Tonsinnes seien. Unzutreffend ist ferner die herk\u00f6mmliche Ansicht, nach der es unm\u00f6glich sein soll, die Ger\u00e4usche in eine fortlaufende Reihe zu ordnen. \u2014 EinVokal entsteht, wenn s\u00e4mtlicheSchwin-gungszahlen des betreffenden Kurvenzuges einem bestimmten Durchschnittswerte nahebleiben und wenn sich andererseits jener Kurvenzug durch irgendwelche Faktoren von einem einfachen\nperiodischen Schwingungsvorgang unterscheidet.\n\u2022 \u2022\nDie Natur der \u201eSt\u00f6rungsreize\u201c, welche den \u00dcbergang in einen einfachen periodischen Schwingungsvorgang verhindern, ist innerhalb weiter Grenzen gleichg\u00fcltig. Sowohl durch Einstreuung etwas abweichender Wellenl\u00e4ngen wie durch Anbringung von Phasenverschiebungen l\u00e4fst sich die","page":268},{"file":"p0269.txt","language":"de","ocr_de":"jOie Naim' der menschlichen Sprachlaute.\n269\nTonkurve in eine Vokalkurve \u00fcberf\u00fchren. Die Vokale sind Qualit\u00e4ten des Ger\u00e4uschsinns. Wie die Qualit\u00e4ten des Tonsinns von der Schwingungszahl, so h\u00e4ngen die Qualit\u00e4ten d e s G er\u00e4uschsinns von der mittleren Schwingungszahl ab. Indem der Ger\u00e4uschsinn eine Reaktions weise auf Mittelwerte von Schwingungszahlen darstellt, erweist er sich, mit dem Tonsinn verglichen, als der weniger differenzierte Sinn.\nDieVokalfarbe derreinen T\u00f6neist daraufzu r\u00fcckzuf\u00fchren, dafs bei der ad\u00e4quatenErregung des differenzierteren und j\u00fcngeren Sinnes der weniger differenzierte und \u00e4ltere Sinn miterregt wird. Beim Lichtsinn verh\u00e4lt es sich ebenso. Auch die n\u00e4here Form der Zuordnung zwischen differenzierterem und weniger differenziertem Sinn ist beim Ohr dieselbe wie beim Auge.\n\u00a7 5. Die sogenannte Unzerst\u00f6rbarkeit der\nSprachlaute.\nH. Weber 1 und H. v. Helmholtz 2 haben in Berichtigung\neiner \u00e4lteren, aber unvollst\u00e4ndigen Darlegung Du Bois-Reymonds 1 2 3\nden mathematischen Nachweis geliefert, dafs bei der \u00dcbertragung\nvon Klangkurven durch Mikrophon und Telephon, also beim\nTelephonieren, eine wesentliche \u00c4nderung der Klangkurve auf-\n\u2022 \u2022\ntreten m\u00fcsse. Bei der \u00dcbertragung werden n\u00e4mlich die Amplitudenverh\u00e4ltnisse und die Phasen der Obert\u00f6ne im allgemeinen vollkommen ver\u00e4ndert.\nHermann hat den experimentellen Nachweis gef\u00fchrt, dafs die musikalischen Kl\u00e4nge bei der telephonischen \u00dcbertragung tats\u00e4chlich diejenigen Ver\u00e4nderungen erfahren, welche auf Grund der mathematischen Deduktion zu erwarten sind (Pfl\u00fcgers Archiv, 48, S. 554). Derselbe Forscher hat das Wort von der \u201eUnzerst\u00f6rbarkeit der Sprachlaute\u201c gepr\u00e4gt. Alle Umst\u00e4nde, die\n1\tVierteljahrssehr. d. naturf. Ges, in Z\u00fcrich. 1878. 1. Juli; vgl. dazu auch Hermann, Pfl\u00fcgers Archiv, 48, S. 545.\n2\tMonatsber. d. Preufs. Akademie d. Wissenschaften. 1878. S. 488.\n3\tVerhandl. d. Physiol. Ges. zu Berlin. 1877. 8. Dez.\n18*","page":269},{"file":"p0270.txt","language":"de","ocr_de":"270\nE. R. Jaensch.\nden musikalischen Schall in so weitgehendem Mafse ver\u00e4ndern und entstellen, bleiben nach den Versuchen Hermanns so gut wie ohne jeden Einflufs auf die Erkennbarkeit der Sprachlaute.1 Diese Tatsache ist mit der HELMHOLTzschen Lehre, nach der die Vokale als eine spezielle Gattung von Kl\u00e4ngen anzusehen sind, unvertr\u00e4glich.\nVon unserer Vokaltheorie aus erscheint die \u201eUnzerst\u00f6rbarkeit der Sprachlaute\u201c als eine selbstverst\u00e4ndliche und logisch notwendige Folgerung. Entsteht in allen F\u00e4llen, in denen s\u00e4mtliche vorkommende Wellenl\u00e4ngen einem bestimmten Durchschnittswert nahestehen, ein und derselbe Vokal, wie immer die Schallkurve in ihren n\u00e4heren Einzelheiten beschaffen sein mag, so wird nat\u00fcrlich eine \u00c4nderung im Amplitudenverh\u00e4ltnis und in der Phase der Partialt\u00f6ne keine Verschiebung des Vokalcharakters hervorbringen k\u00f6nnen.\nBei unseren eigenen Versuchen kommt die teleologisch so bedeutsame Unzerst\u00f6rkarkeit der Sprachlaute deutlich darin zum Ausdruck, dafs Kurven, die dem Auge ganz verschieden erscheinen, trotzdem denselben Vokal liefern k\u00f6nnen. Die Hkrmann-sche A-Kurve, ein Kurvenzug wenig verschiedener Sinuswellen, ein Kurvenzug gleicher Sinuswellen mit Phasen\u00e4nderung: diese drei f\u00fcr das Auge so verschiedenen Kurven liefern s\u00e4mtlich den Vokal A, wofern nur die durchschnittliche Periodenl\u00e4nge und die Rotationsgeschwindigkeit \u00fcbereinstimmt. \u2014 Ich habe in der HERMANNschen A-Kurve gelegentlich auch einmal die kleinen Schwingungen \u00fcberh\u00f6ht, indem ich die von der Gleichgewichtslage aus gemessenen Ordinaten der kleinen Schwingungen s\u00e4mtlich mit demselben Faktor multiplizierte und dann in dieser ver-gr\u00f6fserten Form auf trug. Obwohl diese Kurve (XXXIX) nun wieder ein ganz anderes Aussehen hatte als die vorgenannten Kurven, so unterschied sich doch das Schallph\u00e4nomen, gleiche\n1 Weber und Helmholtz nahmen an, dafs beim gew\u00f6hnlichen Telephonieren wenigstens f\u00fcr die h\u00f6heren T\u00f6ne der menschlichen Stimme ein Spezialfall verwirklicht sei, in dem die \u00dcbertragung tats\u00e4chlich ohne \u00c4nderung der Amplitudenverh\u00e4ltnisse und mit unendlich kleiner Phasen\u00e4nderung stattf\u00e4nde. Hermann hat aber gezeigt, dafs diese Annahme unzul\u00e4ssig ist, und dafs die Ergebnisse der Weber HELMHOLTzschen Deduktion in voller Allgemeinheit auch auf den Fall der telephonischen \u00dcbertragung menschlicher Stimmkl\u00e4nge Anwendung finden m\u00fcfsten (Pfi\u00fcyers Archiv, 48, S. 552).","page":270},{"file":"p0271.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n271\nRotationsgeschwindigkeit vorausgesetzt, nur sehr wenig von den Vokalen, die die vorgenannten Kurven lieferten. Nur ger\u00e4usch-artigeBeimischungen waren vorhanden, entsprechend der gr\u00f6fseren mittleren Variation der kleinen Schwingungen (die in diesem Falle \u00fcberh\u00f6ht sind).\n\u00a7 6. Die Erzeugung der Sprachlaute.\nBisher besch\u00e4ftigte uns die psychologische und psychophysische Frage, wie ein Schallreiz beschaffen sein mufs, damit ein Vokal entsteht. Nun werden Vokale in grofser Deutlichkeit von den menschlichen Sprachorganen hervorgebracht. Sind unsere psychophysischen Ermittlungen \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeit der Vokalempfindung von den \u00e4ufseren Reizen richtig, so mufs sich zeigen lassen, dafs die menschlichen Sprachorgane besonders geeignet und geradezu daraufhin eingerichtet sind, Schallreize von der ermittelten Beschaffenheit hervorzubringen. \u2014 Dafs dies der Fall ist, erscheint ganz plausibel, und so best\u00e4tigen sich unsere psychologischen und psychophysischen Ermittlungen auch von der physiologischen Seite her. \u2014\nGleichg\u00fcltig, ob die Mundh\u00f6hle bei der Vokalerzeugung nur die Rolle eines Resonators spielt, der, wie Helmholtz annimmt, gewisse Obert\u00f6ne des Stimmklanges verst\u00e4rkt, oder ob die Mundh\u00f6hle im Einklang mit Hermanns Theorie als selbst\u00e4ndiges schallerzeugendes Instrument, also als Pfeife arbeitet, sicher und unbestritten ist jedenfalls das eine, dafs wir in der Mundh\u00f6hle das f\u00fcr die Vokalerzeugung wesentliche Organ zu erblicken haben. Ebenso sicher aber ist, dafs sich die Mundh\u00f6hle beim Sprechen fortw\u00e4hrend hinsichtlich ihrer Gr\u00f6fse, ihrer Form und des Spannungszustandes ihrer Begrenzungsw\u00e4nde \u00e4ndert. W\u00e4hrend ein Vokal innerhalb eines Wortes ausgesprochen wird, bleiben die Sprachorgane einer bestimmten Stellung nahe, aber die Konstanz ist eben nur eine angen\u00e4herte. Bei der Aussprache des Wortes \u201eMutter\u201c wird ja die Artikulationsstellung f\u00fcr M kontinuierlich in diejenige f\u00fcr U, und diese wieder in die Stellung f\u00fcr T \u00fcberf\u00fchrt. Es verh\u00e4lt sich im allgemeinen nicht so, dafs wir zwischen der Aussprache der einzelnen Laute eines Wortes Abs\u00e4tze machten und den Wechsel der Artikulationsstellung etwa nur in den Zwischenpausen vorn\u00e4hmen. Selbst bei hochdeutscher Aussprache wird es einem geschulten Ohr nicht entgehen, dafs sich das U in \u201eMutter\u201c unmittelbar vor dem Beginn des T nach","page":271},{"file":"p0272.txt","language":"de","ocr_de":"272\nE. R. Jaensch.\neinem anderen Vokal, meist nach I oder E hin, verschiebt; weit deutlicher ist die durch die kontinuierliche \u00c4nderung der Artikulationsstellung bedingte Verschiebung bei Dialekten (\u201eMuater*\u2018 im bayrisch-\u00f6sterreichischen Dialekt). Gleichg\u00fcltig, ob die Mundh\u00f6hle ein Resonator oder eine Pfeife ist, auf jeden Fall ist sie ein Instrument, dessen Abstimmung bei der Aussprache eines Vokales immer einem bestimmten Mittelwerte nahebleibt, aber doch nie ganz konstant ist.\nUnsere Sprachorgane sind also in ganz vorz\u00fcglicher Weise disponiert, gerade diejenigen Schallreize hervorzubringen, die nach unserer Theorie f\u00fcr das Auftreten eines Vokales erforderlich sind.\nVielleicht wird man noch die Frage auf werfen, ob jene fortw\u00e4hrende, aber innerhalb gewisser Grenzen bleibende Verstimmung, die von unserer Theorie gefordert wird, auch dann verwirklicht ist, wenn der Vokal nicht, wie bisher angenommen wurde, innerhalb einer Silbe, sondern wenn er am Anfang derselben steht, oder wenn er isoliert ausgesprochen wird.\nAllein auch in den beiden letztgenannten F\u00e4llen sind die Bedingungen unserer Theorie erf\u00fcllt. Bei der deutlichen isolierten Aussprache von Vokalen, und ebenso bei der Aussprache von Vokalen am Silbenbeginn, wTerden fast immer geringf\u00fcgige Bewegungen des Unterkiefers ausgef\u00fchrt. Spricht man einen Vokal sehr langgezogen aus, so sind auf Grund der Selbstbeobachtung Kieferbewegungen meist nur am Anfang des Vokales merkbar. Diese Tatsache liefert, weit entfernt davon unserer Vokaltheorie zu widerstreiten, f\u00fcr dieselbe vielmehr einen neuen Beleg. Denn wenn der Vokal (z. B. 0) gedehnt und unter m\u00f6glichster Konstanthaltung der Artikulationsstellung ausgesprochen wird, so verliert der Vokalcharakter, nachdem das deutliche Anfangsstadium \u00fcberschritten ist, entschieden etwas an Ausgepr\u00e4gtheit. Ein v\u00f6lliges Verschwinden des Vokalcharakters ist nat\u00fcrlich nicht zu erwarten; denn auch bei absichtlicher Konstanthaltung der Artikulationsstellung mufs schon allein die? deutlich f\u00fchlbare Vibration der Weichteile, welche unter dem Einflufs der Resonanz, vielleicht z. T. auch infolge der ausstr\u00f6menden Luft auf-tritt, eine schnell wechselnde \u00c4nderung der Abstimmung hervorbringen. \u2014 Bei den Vokalen, die mit konstanter Artikulationsstellung ausgesprochen werden, liegen ganz \u00e4hnliche Bedingungen","page":272},{"file":"p0273.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n273\nvor wie bei den gesungenen Vokalen, deren psychologischen 'Charakter wir nunmehr besprechen wollen.\nNachtrag: Auf Grund der Fortschritte, welche meine experimentellen Untersuchungen zur Zeit des Druckes gemacht haben, ist hinzuzuf\u00fcgen, dafs der im letzten Paragraphen hervorgehobene Faktor nicht die einzige Ursache ist, weshalb die von der Mundh\u00f6hle erzeugten Schwingungen gerade diejenige Form besitzen, die nach den Ergebnissen unserer Untersuchung f\u00fcr die Erzeugung des Vokalph\u00e4nomens unerl\u00e4fslich ist. \u00dcber diese andere Komponente der Spracherzeugung wird eine sp\u00e4tere Abhandlung berichten. Hierauf schon jetzt n\u00e4her einzugehen, haben wir um so weniger Anlafs, als die Frage der Spracherzeugung im gegenw\u00e4rtigen Zusammenh\u00e4nge von untergeordnetem Interesse ist.\n\u00a7 7. Der Unterschied gesprochener und gesungener\nVokale.\nMan spreche einen Vokal, z. B. 0, so aus, wie es in der gew\u00f6hnlichen Umgangssprache zu geschehen pflegt. Alsdann singe man denselben Vokal auf eine beliebige Stimmnot\u00e8. Jeder akustisch einigermafsen geschulte Beobachter, der den Versuch anstellt, wird zugeben, dafs das gesprochene 0 den Vokalcharakter in ausgepr\u00e4gterer Form besitzt als das gesungene 0, bei welchem der Vokalcharakter zugunsten des Toncharakters mehr oder weniger stark zur\u00fccktritt. Auch Maetens (Zeitschr. /. Biologie, 25, 1889, S. 289) ist diese Tatsache schon aufgefallen. Wie ich von einem musikalisch hochgebildeten Mitarbeiter erfahre, ist den S\u00e4ngern die Rede vom \u201eVerblassen\u201c der Vokale beim Gesang ganz gel\u00e4ufig, und es ist ihnen bekannt, dafs dieses \u201eVerblassen\u201c beim l\u00e4ngeren Aushalten der Vokale besonders weitgehend ist. Haupts\u00e4chlich aus diesem Grunde ist es vielen Menschen unm\u00f6glich, einer Oper ohne Textbuch zu folgen.\nIst unsere Vokaltheorie richtig, so hat man zu erwarten, dafs das Kurvenbild der gesungenen Vokale regelm\u00e4fsiger ausfallen werde als das der gesprochenen. Diese Folgerung aus unserer Theorie wird durch die Tatsachen voll und ganz best\u00e4tigt. Wendelee, der das Verhalten gesprochener und gesungener Vokale mittelst des HENSENschen Sprachzeichners einer vergleichenden Untersuchung unterzogen hat, stellte fest, dafs die","page":273},{"file":"p0274.txt","language":"de","ocr_de":"274\nE. R. Jaensch.\nKurven von ge sp ro ch en en Vokalen eine auffallende Unregef-m\u00e4fsigkeit in der Form der einzelnen Schwingungen zeigen,, w\u00e4hrend die Wellenbilder der gesungenen Vokale durch die ganze Kurve hindurch ann\u00e4hernd das gleiche Aussehen bieten (.Zeitschrift f\u00fcr Biologie 2B, 1887, S. 303), ein Befund, der durch die neuerlichen Aufnahmen von Martens (a. a. 0.) best\u00e4tigt wurde. \u2014 Der Grund kann uns hier gleichg\u00fcltig sein, z. T. liegt er wohl in Folgendem. W\u00e4hrend bei der gew\u00f6hnlichen Umgangssprache die Mundh\u00f6hle fortw\u00e4hrend ihre Form und Gr\u00f6fse \u00e4ndert, halten wir beim Singen eines Vokals, wie die Selbstbeobachtung lehrt, unsere Mundh\u00f6hle und unsere Sprachorgane \u00fcberhaupt in m\u00f6glichst konstanter Stellung. Diese Konstanz pflegt wieder beim langen Aushalten des Vokales vollkommener zu sein als beim kurzen Angeben, ganz in \u00dcbereinstimmung mit der Tatsache, dafs die langausgehaltenen Vokale die Erscheinung des Verblassens in besonders ausgepr\u00e4gter Form zeigen.\nDafs diese Tatsachen bisher keinen Autor auf die richtige Ansicht vom Wesen der Vokale hingeleitet haben, liegt daran, dafs Hensen den Versuchsergebnissen seiner Mitarbeiter eine unzutreffende Deutung gegeben hat, welche nun aus der diesbez\u00fcglichen Mitteilung bei Martens in die Mehrzahl der Monographien \u00fcbergegangen ist (z. B. auch in das mit Recht verbreitete GuTZMANNsche Werk). Hensen n\u00e4mlich war im Gegensatz zu Wendeler, der die richtige Erkl\u00e4rung bereits angedeutet hatte, der Ansicht, dafs Schwingungs\u00e4nderungen des Mundtons nicht die Ursache der Kurven\u00e4nderung sein k\u00f6nnen, weil dadurch der Charakter des Vokals verwischt werden m\u00fcfste.1 Es bleibe darum wohl nur die Annahme \u00fcbrig, dafs \u201edie Resonanz der Mundh\u00f6hle genau bestehen bleibe, dagegen die Abstimmung der Stimmb\u00e4nder wechsele, somit also Schwankungen in der Tonh\u00f6he die Ursache der wechselnden Tonfiguren seien.\u201c \u2014 Diese von Hensen vorgeschlagene und von Martens akzeptierte Deutung hat sich seitdem in der Literatur eingeb\u00fcrgert. Sie ist aber unzutreffende Vergleicht man n\u00e4mlich die Schwingungsfiguren von Wendeler\n1 Zur Widerlegung von Hessens Grundbedenken, dafs eine \u00c4nderung in der Resonanz der Mundh\u00f6hle den Charakter des Vokals verwischen m\u00fcfste, gen\u00fcgt der Hinweis auf die Tatsache, dafs zur Entstehung de\u00bb Vokals gerade das Auftreten verschiedener Schwingungen erforderlich ist.","page":274},{"file":"p0275.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n275\nund Martens mit den Kuryenbildern Hermanns, so erkennt man sofort, dafs die Schwingungen, deren Regelm\u00e4fsigkeit bei den gesungenen Vokalen und deren Unregelm\u00e4fsigkeit bei den gesprochenen Vokalen von den ersten beiden Autoren festgestellt wurde, identisch sind mit den Formantschwingungen der HERMANNschen Kurvenbilder. Die H\u00f6he der Vokale kommt n\u00e4mlich, wie wir sehr bald sehen werden, dadurch zustande, dafs die unregelm\u00e4fsigen Formantschwingungen, welche die Vokalqualit\u00e4t liefern, auf eine regelm\u00e4fsige Grundschwingung aufgesetzt sind; diese letztere liefert die H\u00f6he des Vokals. Die Formantschwingungen erscheinen als ungleichm\u00e4fsige Zacken auf den regelm\u00e4fsigen Grund wellen. Wendeler hat schon ganz richtig erkannt, dafs die Grundwellen die H\u00f6he des Vokals liefern m\u00fcssen; denn wenn der Vokal auf die Note von 200 Schwingungen gesungen wurde, zeigte die Vokalkurve in der Sekunde ebenso viele Grund wellen. Diese Grundwellen fielen auch bei den gesprochenen Vokalen ganz regelm\u00e4fsig aus; dagegen waren die Zacken nur bei bei den gesungenen Vokalen regelm\u00e4fsig, bei den gesprochenen dagegen unregelm\u00e4fsig. (Wendeler deutet die Zacken sogleich im Sinne einer bestimmten Theorie und spricht darum von \u201eObert\u00f6nen\u201c.) \u201eIn der Tonh\u00f6he des (\u201esc.\u201c gesprochenen) Vokalklanges vermag ich auch bei m\u00f6glichst genauem Z\u00e4hlen keine Schwankungen zu entdecken, die hierf\u00fcr verantwortlich zu machen w\u00e4ren. Dahingegen glaube ich starke Differenzen in dem Verhalten der Obert\u00f6ne des Vokalklanges zu sehen.\u201c \u2014 Auch unsere obigen Einzelausf\u00fchrungen \u00fcber die gesungenen Vokale erhalten durch die WENDELERschen Kurven eine neue Best\u00e4tigung. Die auffallende Regelm\u00e4fsigkeit der\nWellenbilder zeigt sich n\u00e4mlich nur in der Mitte des gesungenen\n_ \u2022 \u2022\nVokals; beim \u00dcbergang zu einem anderen Laut, also am Anfang und am Ende, treten Unregelm\u00e4fsigkeiten auf.\nEs ist nach diesen Darlegungen fast \u00fcberfl\u00fcssig, noch auf Folgendes hinzuweisen: Hermann hat \u00fcber jeden Zweifel sichergestellt, dafs die Frequenz der Formantschwingungen von der Tonh\u00f6he der Stimmnote nahezu unabh\u00e4ngig ist. Es geht also nicht mehr an, die in den WENDELER-MARTENSschen Kurven zutage tretenden \u00c4nderungen der Schwingungen, die ja mit den Formantschwingungen identisch sind, auf eine \u00c4nderung der Tonh\u00f6he zur\u00fcckzuf\u00fchren.","page":275},{"file":"p0276.txt","language":"de","ocr_de":"276\nE. R. Jaensch.\n\u00a7 8. Der Streit um die Formanten-Theorie.\nIn der Lehre von der Erzeugung der Sprachlaute besteht eine Kontroverse zwischen Helmholtz und Hermann. Nach Helmholtz ist die Mundh\u00f6hle nur ein Resonator, der gewisse Obert\u00f6ne des Stimmklanges verst\u00e4rkt. Nach Hermann ist sie ein selbst\u00e4ndiges schallerzeugendes Instrument, eine Art Pfeife, die von dem durch die Atemwege zugeleiteten Luftstrom angeblasen wird.\nUnsere experimentellen und theoretischen Ergebnisse ruhen nirgends auf den Voraussetzungen und Annahmen der einen oder anderen Partei. Wenn wir jene f\u00fcr die Physiologie der Stimmerzeugung so wuchtige, f\u00fcr die Psychologie im Grunde irrelevante Frage hier trotzdem streifen, so geschieht das lediglich darum, weil vom Standpunkte der HELMHOLTZschen Resonatortheorie aus konsequenterweise gegen unsere Vokaltheorie ein Bedenken ins Feld gef\u00fchrt werden m\u00fcfste.\nEin Vokal entsteht nach unseren Versuchsergebnissen dann, wenn wenig-verschiedene Schwingungen aufeinander folgen, deren Schwingungszahl einem Durchschnittswert nahebleibt. Vom Standpunkt der HELMHOLTZschen Theorie aus mufs angenommen werden, dafs alle diese wenig - verschiedenen Schwingungszahlen Obert\u00f6ne des Grundtons sind. Nehmen wir einmal an, f\u00fcr eine aus der Vokalkurve herausgegriffene Welle sei das richtig; d. h. die zu dieser Welle geh\u00f6rige Schwingungszahl sei das n-fache der Schwingungszahl des Grundtons, und n sei eine ganze Zahl. Schon die n\u00e4chste oder wenigstens eine der n\u00e4chsten Wellen hat eine etwas, aber auch nur etwas verschiedene Schwingungszahl. Man kann sich nat\u00fcrlich auch hier wieder in ganz analoger Weise des Ausdrucks bedienen, diese Schwingungszahl sei das n'-fache der Schwingungszahl des Grundtons; n wird jetzt, da eben von n nur wenig verschieden, im allgemeinen ein unechter Bruch sein. Wir w\u00fcrden also fortw\u00e4hrend auf \u201eObert\u00f6ne\u201c stofsen, deren Schwingungszahl kein ganzzahliges Vielfaches von der Schwingungszahl des Grundtons ist, was offenbar eine contradictio in adjecto wT\u00e4re. Der Widerspruch l\u00e4fst sich nur dadurch beheben, dafs wir die Annahme fallen lassen, jene Schwingungen r\u00fchren von ,.Obert\u00f6nen\u201c her. \u2014\n7/\nAn dieser Stelle sind wir auf einen Einwand gefafst. Die Stimmnote bleibt, wird man antworten, nat\u00fcrlich nicht schlechthin","page":276},{"file":"p0277.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur cler menschlichen Sprachlaute.\n277\nkonstant; die kleinen \u00c4nderungen der Schwingungszahl bei den Vokalkuryen werden eben auf kleinen Schwankungen in der H\u00f6he der Stimmnote beruhen. \u2014 Hierauf ist Folgendes zu erwidern :\nWenngleich die Durchschnittsschwingungszahl des A-For-manten nicht konstant ist, sondern mit der Aussprache des Vokals und ein wenig auch mit der Tonh\u00f6he variiert, so war doch die Durchschnittsschwingungszahl des A-Formanten bei den HERMANNschen Untersuchungen immer gr\u00f6fser als 650. Die Stimmnote hatte bei der A-Kurve, mit der wir oben experimentierten, die Schwingungszahl 98. Also auf 6% oder mehr Wellenl\u00e4ngen des f\u00fcr den Vokal charakteristischen Schallph\u00e4nomens kommt hier nur eine Welle des Grundtons. Nun kann sich aber, wie oben gezeigt wurde, die Wellenl\u00e4nge des Formanten von einer Welle zur anderen \u00e4ndern. Versucht man also die H\u00f6hen\u00e4nderung des Formanten auf eine H\u00f6hen\u00e4nderung des Stimmklanges zur\u00fcckzuf\u00fchren, so gelangt man zu der absurden Annahme, dafs sich die Stimmnote schon ge\u00e4ndert haben m\u00fcfste, w\u00e4hrend der Stimmton noch nicht den sechsten Teil einer Schwingung vollendet hat. \u2014 Zweitens ist darauf hinzuweisen, dafs nach den bekannten Feststellungen Hermanns die Wellenl\u00e4ngen der Vokalkurven von der Stimmnote nahezu unabh\u00e4ngig sind ; denn sie bleiben beinahe unver\u00e4ndert, wenn die H\u00f6he des Stimmtons innerhalb weiter Grenzen variiert wird.\nUnsere Untersuchung best\u00e4tigt somit von der psychologischen und psychophysischen Seite her von neuem die Formantentheorie. Mit den Resultaten, die wTir hinsichtlich der Abh\u00e4ngigkeit der Vokalempfindung von den \u00e4ufseren Reizen erhalten haben, steht \u25a0die Formantentheorie in bestem Einklang, w\u00e4hrend die Resonatortheorie mit ihnen unvereinbar ist. Hermanns klassisches Werk steht allen Angriffen gegen\u00fcber, die gerade auch in j\u00fcngster Zeit darauf gerichtet wurden, unersch\u00fcttert da. Erstens erkl\u00e4rt die HERMANNsche Formantentheorie alle Tatsachen der Vokalerzeugung in einfachster und \u00fcberzeugendster Weise, w\u00e4hrend uns die Resonatortheorie auf Schritt und Tritt in R\u00e4tsel und Widerspr\u00fcche verwickelt. Zweitens sind die Versuche, welche gegen die Formantentheorie ins Feld gef\u00fchrt worden sind, nicht beweisend, weil sie von unzutreffenden Voraussetzungen ausgehen.\nWas zun\u00e4chst den ersten Punkt betrifft, so erkl\u00e4rt nur die Formantentheorie die Tatsache, dafs wir beim gew\u00f6hn-","page":277},{"file":"p0278.txt","language":"de","ocr_de":"278\nE. R. Jaensch.\nliehen Fl\u00fcstern, also ohne Stirnmton, ganz deutliche Vokale hervorbringen. Ein in derartigen Beobachtungen besonders ge\u00fcbter Phonetiker, Herr Professor Bremer in Halle, erkl\u00e4rte mir gegen\u00fcber sogar, dafs die gefl\u00fcsterten Vokale den Vokalcharakter in ganz besonderer Deutlichkeit zeigen.\nEs ist sogar m\u00f6glich, unter k\u00fcnstlicher Ausschliefsung des Kehlkopfs zu sprechen. Das gestattet eine im Jahre 1829 von Deleau angegebene Methode, die mit gleichem Erfolg von Bennati (Die physiologischen und pathologischen Verh\u00e4ltnisse der menschlichen Stimme 1833) und von Gutzmann (Physiologie der Stimme und Sprache 1909 S. 124) verwandt wurde. Bl\u00e4st man die Mundh\u00f6hle mittels eines durch die Nase ein gef\u00fchrten Schlauches an, indem man die Sprach Werkzeuge in Bewegung versetzt, den Atem aber anh\u00e4lt, so h\u00f6rt man nach der Angabe der genannten Autoren deutlich verst\u00e4ndliche Worte. \u2014\nDie charakteristische Schwingungszahl f\u00fcr U liegt in der Gegend von 260. Man h\u00f6re sich einen Ton von dieser H\u00f6he an. Niemand wird sich zu der Behauptung entschliefsen k\u00f6nnen, dafs es unm\u00f6glich sei, das U auf eine h\u00f6here Stimmnote zu singen. Diese Unm\u00f6glichkeit mufs aber bestehen, wenn der f\u00fcr den Vokal charakteristische Schwingungsvorgang durch die Verst\u00e4rkung eines Obertons zustande kommen soll. \u2014 Dafs von einer gewissen H\u00f6he der Stimmnote ab das U eine Verschiebung nach 0 hin erf\u00e4hrt, soll keineswegs geleugnet werden. Aber der Hinweis auf diese Tatsache gen\u00fcgt zur Rettung der Resonatortheorie durchaus nicht; dazu m\u00fcfste gezeigt werden, dafs der Vokal U nur auf solche Stimmnoten gesungen werden kann, deren H\u00f6he kleiner oder gleich der des Tones von 260 Schwingungen ist. Die unbestrittene Tatsache, dafs ein h\u00f6her und h\u00f6her gesungenes U schliefslich einmal nach O zu verschoben werden mufs, werden wir, wenn wir uns mit der Tonh\u00f6he der Vokale besch\u00e4ftigt haben werden, ganz verst\u00e4ndlich finden, und zwar durchaus im Einklang mit der Formantentheorie.\nUnvereinbar mit der Resonatortheorie, selbstverst\u00e4ndlich vom Standpunkte der Formantentheorie aus ist das \u201eanaperiodische\u201c Verhalten des Formanten, worunter Hermann die Tatsache versteht, \u201edafs der Formant nicht periodisch fortl\u00e4uft, sondern in einer etwas l\u00e4ngeren Periode jedesmal von neuem mit selbst\u00e4ndiger Phase (anaperiodisch) auftritt\u201c.\nDas von Hermann geltend gemachte Argument, dafs der","page":278},{"file":"p0279.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n279\nI-Formant nicht selten den 28. bis 29. Partialton des Stimmklanges darsteilen m\u00fcfste, wofern wir diesen I-Formanten als Oberton zu deuten h\u00e4tten, ist un widerlegt. Wir geben zu, dafs man auf besonders komplizierte Kl\u00e4nge hinweisen kann, die Partial t\u00f6ne von solcher Gr\u00f6fsenordnung enthalten. Was an Untersuchungen vorliegt, gibt uns kein Recht, den Stimmton als einen derartigen Klang aufzufassen. Katzenstein hat die Stimme mit Ausschaltung des Ansatzrohres aufgenommen, indem er sich ein Rohr unmittelbar auf die \u00d6ffnung des Kehlkopfes schieben liefs. Die so gewonnenen Kurven sind fast reine Sinuskurven.\nAber auch wenn wir in offenkundigem Widerspruch mit vorliegenden Versuchstatsachen einen Augenblick zugeben wollten, dafs der Stimmklang eine solche Mannigfaltigkeit von Partialt\u00f6nen enthalten mag, jedenfalls h\u00e4tten wir dann, wofern wir uns nicht auch mit den Lehren der physikalischen Akustik in Widerspruch setzen wollen, anzunehmen, dafs die verschiedenen Partialt\u00f6ne von ganz verschiedener St\u00e4rke sein m\u00fcfsten. Wenn wir uns nun etwa vornehmen, einen Satz, in dem die verschiedensten Vokale und darum Partialt\u00f6ne von verschieden hoher Ordnung Vorkommen, durchweg gleich laut, d. h. mit gleicher Intensit\u00e4t des Stimmtons zu sprechen, so m\u00fcfste der Erfolg der sein, dafs die verschiedenen Vokale ganz verschieden laut ert\u00f6nen, entsprechend der verschiedenen Intensit\u00e4t der Partialt\u00f6ne. Die Tatsache, dafs die verschiedenen Vokale eines Satzes bei gleichem Stimm aufwand nicht ganz verschieden laut, sondern ann\u00e4hernd gleich laut ert\u00f6nen, ist mit der Resonatortheorie unvertr\u00e4glich, w\u00e4hrend die \u00dcE\u00dfMANNsche Theorie jene Erscheinung in einfachster Weise erkl\u00e4rt. Auch die Tatsache, dafs die Schwingungszahl des f\u00fcr einen bestimmten Vokal charakteristischen Schalles bei Tonh\u00f6hen\u00e4nderungen ann\u00e4hernd konstant bleibt, erscheint vom Boden der Formantentheorie aus als eine geradezu triviale Folgerung, w\u00e4hrend sich die Resonatortheorie h\u00f6chstens nach Hinzunahme weiterer Hilfshypothesen mit der Konstanz des Mundtons abzufinden verm\u00f6chte. \u2014 Auf die Schwierigkeit, die der Resonatortheorie aus unseren eigenen Versuchen, sowie aus der \u201eUnzerst\u00f6rbarkeit der Sprachlaute\u201c erw\u00e4chst, wurde schon hingewiesen.\nHieraus erhellt, dafs uns nur ganz schlagende Versuche veranlassen k\u00f6nnten, die Errungenschaft der klassischen Arbeiten Hermanns preiszugeben. Wir pr\u00fcfen nun die Versuche, welche","page":279},{"file":"p0280.txt","language":"de","ocr_de":"280\nE. R. Jaensch.\nneuerdings W. K\u00f6hler der Hermann sehen Theorie entgegengehalten hat, auf ihre Beweiskraft.\n\u201eL\u00f6scht man s\u00e4mtliche harmonische Teilt\u00f6ne von Vokalen durch Interferenz aus\u201c, so formuliert K\u00f6hler den Grundgedanken seiner zweifellos sinnreichen Gegenversuche, \u201edann kann zweierlei eintreten : entweder sind nur harmonische Teilt\u00f6ne vorhanden gewesen, dann bleibt \u00fcberhaupt nichts \u00fcbrig, oder es gibt Formanten, dann m\u00fcssen sie jetzt \u2014 nach Beseitigung jedes Hindernisses \u2014 deutlich zum Vorschein kommen\u201c.\nAus dem negativen Ausfall der Versuche wird auf die Nichtexistenz der Formanten geschlossen. \u2014 Versuche mit negativem Ausfall sind nur dann beweiskr\u00e4ftig, wenn zugleich der Nachweis geliefert wird, dafs der Faktor, \u00fcber dessenVorhandensein oder Nichtvorhandensein entschieden werden soll, in Erscheinung treten m\u00fcfste, wenn er vorhanden w\u00e4re; d. h. in unserem Falle: Es mufs der Nachweis erbracht werden, dafs bei Ausl\u00f6schung s\u00e4mtlicher\nharmonischer Obert\u00f6ne der etwa noch vorhandene unharmonische\n\u2022 \u2022\nFormant nicht mit ausgel\u00f6scht worden ist. (\u00fcbrigens behauptet Hermann gar nicht, dafs der Formant unharmonisch sein mufs, sondern nur, dafs er es sein kann.) Nat\u00fcrlich werden bei Einstellung des Interferenzapparates auf eine bestimmte Wellenl\u00e4nge auch Nachbart\u00f6ne ausgel\u00f6scht; diese Ungenauigkeit des Apparates ist aus naheliegenden physikalischen Gr\u00fcnden im Prinzip unvermeidbar. \u2014 Die Konstanten verschiedener Apparate sind nat\u00fcrlich verschieden ; ich kann mich nur an meinen eigenen Interferenzr\u00f6hren orientieren, halte aber dieselben nicht f\u00fcr besonders ungenau, da ich ihre Herstellung \u00fcberwachen konnte. Der Bereich der T\u00f6ne, die bei einer bestimmten Einstellung beeinflufst werden, ist nach meinen Erfahrungen und diesbez\u00fcglichen Versuchen ein sehr grofser. Nimmt man noch hinzu, dafs bei Einstellung des Interferenzapparates auf die Schwingungszahl n gleichzeitig alle ungeraden Multipla von n mitausgel\u00f6scht werden, so gelangt man zu dem Schl\u00fcsse, dafs bei Ausl\u00f6schung s\u00e4mtlicher harmonischer Teilt\u00f6ne eine ganz unkontrollierbare Menge von T\u00f6nen mitausgel\u00f6scht wird.\nIndessen mifst K\u00f6hler diesem Versuche aus \u00e4hnlichen Gr\u00fcnden anscheinend selbst keine sehr grofse Bedeutung bei ; f\u00fcr entscheidend dagegen h\u00e4lt er folgendes Experiment: Es wurde Interferenz auf alle harmonischen Teilt\u00f6ne eingeschaltet bis auf denjenigen, der der charakteristischen Note des betreffenden, gesungenen Vokals (0) am n\u00e4chsten kam. Alsdann wurde bestimmt,","page":280},{"file":"p0281.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n281\nob der \u00fcbrig bleibende Ton zur harmonischen Reihe geh\u00f6rte, ob er etwa ein unharmonischer Formant war, den wir in den zuerst geschilderten Versuchen versehentlich mit vernichtet hatten, oder ob gar nicht nur ein harmonischer Oberton, sondern neben ihm noch der Formant zu finden war. \u2014 Aus der Tatsache, dafs hierbei nur ein Ton von der H\u00f6he der betreffenden harmonischen Komponente zu h\u00f6ren war, wird auf die* Nichtexistenz des Formanten geschlossen.\nDieser ganz logisch aufgebaute Gedankengang ruht durchaus auf der als selbstverst\u00e4ndlich hingenommenen Voraussetzung, dafs sich das H\u00f6ren der Formanten ganz \u00e4hnlich verhalte wie das H\u00f6ren der T\u00f6ne. Ist ein Formant mit der Durchschnittsschwingungszahl n in dem Schallph\u00e4nomen enthalten, so mufs in diesem Schallph\u00e4nomen die Tonh\u00f6he n zu entdecken sein: mit dieser Annahme steht und f\u00e4llt die Beweiskraft des Gegenversuches. Diese Annahme ist nun aber unrichtig. Der Formant ist eben kein Ton, sondern eine Ger\u00e4uschqualit\u00e4t, die, wie jedes andere Ger\u00e4usch, trotz konstant bleibender Durchschnittsschwingungszahl die allerverschiedensten H\u00f6hen annehmen kann. Bei der Untersuchung der Tonh\u00f6he der Vokale werden wir sehen, dafs die unregelm\u00e4fsigen Formantschwingungen den regel-m\u00e4fsigen Schwingungen des Stimmklangs superponiert sind. Dabei erscheint die Ger\u00e4uschqualit\u00e4t, zu der die unregelm\u00e4fsigen Formantschwingungen Anlafs geben, immer in der H\u00f6he der gleichzeitig stattfindenden regelm\u00e4fsigen Schwingungen des Stimmklangs. Werden nun bei den Gegenversuchen von K\u00f6hler die Obert\u00f6ne des Stimmklanges bis auf einen entfernt, so kann auch trotz des vorhandenen Formanten an Tonh\u00f6hen nichts anderes \u00fcbrig bleiben als dasjenige, was von den regelm\u00e4fsigen Schwingungen des Stimmklangs in-akt gelassen wurde. Der Formant entzieht sich dem Versuch eben darum, weil er sich \u00fcberhaupt nicht durch eine besondere H\u00f6he verr\u00e4t, solange etwas von den regelm\u00e4fsigen Schwingungen des Stimmklanges \u00fcbrig gelassen wird.\nWenngleich sich dieser Sachverhalt mit voller Sch\u00e4rfe erst aus unseren Versuchen \u00fcber die Tonh\u00f6he der Vokale ergibt, so tritt er doch schon in den \u00e4lteren Beobachtungen Hermanns deutlich hervor. K\u00f6hler selbst zitiert Hermanns ausdr\u00fccklich\u00a9 Erkl\u00e4rung, er erblicke in den \u201eVokalen eine ganz spezifische Art von Schall, deren Natur erst zu ergr\u00fcnden ist und nie ergr\u00fcndet","page":281},{"file":"p0282.txt","language":"de","ocr_de":"282\nE. R. Jaensch.\nwerden wird, wenn man mit aller Gewalt ihr die gel\u00e4ufigen Begriffe der Instrumentalmusik . . . aufzwingen will\u201c. Es sei \u201eaufser-ordentlich schwer, wenn nicht unm\u00f6glich, die Vokalformanten unmittelbar oder mit Resonatoren herauszuh\u00f6ren\u201c. Es ist ganz begreiflich, dafs K\u00f6hler an dieser Auslassung scharfe Kritik \u00fcbt und dafs ihm die Formanten als \u201ewahre R\u00e4tsel\u201c erscheinen; denn seinen konsequenten und logisch geschlossenen Ausf\u00fchrungen liegt durchweg die Voraussetzung zugrunde, die Formanten seien T\u00f6ne und nicht spezifische Schallph\u00e4nomene mit ganz besonderen Eigenschaften.\nK\u00f6hler macht dann weiterhin Hermann einen besonderen Vorwurf daraus, dafs die H\u00f6he des Formanten unter gewissen Umst\u00e4nden doch wieder erkennbar sein soll. \u2014 Beide Beobachtungen Hermanns sind richtig, sowohl die, dafs die H\u00f6he des Formanten im allgemeinen nicht erkannt wird, wie die, dafs sie unter besonderen Umst\u00e4nden doch erkennbar ist. Es mochte allerdings naheliegen, hierin einen Widerspruch zu erblicken. Unsere Untersuchung \u00fcber die Tonh\u00f6he der Vokale kl\u00e4rt diesen scheinbaren Widerspruch restlos auf. Sie stellt n\u00e4mlich die Tatsache heraus, dafs die durchschnittliche Schwingungszahl des Formanten unter besonderen Umst\u00e4nden nicht nur die Ger\u00e4uschqualit\u00e4t, sondern auch deren H\u00f6he bestimmt. Das ist dann der Fall, wenn neben der unregelm\u00e4fsigen Formantschwingung kein regelm\u00e4fsiger Schwingungsvorgang vorhanden ist, von dem die Ger\u00e4uschqualit\u00e4t die H\u00f6he beziehen k\u00f6nnte. Bei den Hermann-schen A-Kurven, die mittels der Phonographenmembran auf-genommen sind, ist dieser Fall verwirklicht. Der regelm\u00e4fsige Schwingungsvorgang, der im allgemeinen die Tonh\u00f6he der Ger\u00e4uschqualit\u00e4t liefert, kommt hier nicht deutlich zum Ausdruck. Es ist hier ganz gleichg\u00fcltig, woran das liegt. Tatsache ist, dafs das Auge die regelm\u00e4fsigen Schwingungen, die sonst die Stimmnote liefern, nicht entdeckt, und Tatsache ist ferner, dafs die von uns verwandte HERMANNsche A-Kurve wirklich die Tonh\u00f6he des A-Formanten und nicht die H\u00f6he der Stimmnote zeigt, auf die der Vokal bei der Aufnahme gesungen worden war. Bei der Ausnahme, die Hermann im Auge hat, und die von K\u00f6hler beanstandet wird, handelt es sich aber gerade um den A-Formanten, und zwar um einen A-Formanten der Hermanjssehen Aufnahmen. Die beanstandete Stelle lautet: \u201eVon den . . . {sc. auf die Phonographenwalze) aufgesungenen A\u2019s h\u00f6rt man","page":282},{"file":"p0283.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n283\n\u2022 \u2022\nn\u00e4mlich beim Ijberlaufen mit dem Spiegelreproducer meist nur den Formanten des A. . . . Die Stimmnote . . . macht sich bei dieser Prozedur meist wenig geltend, so dafs der Formant allein geh\u00f6rt wird\u201c (Pfl\u00fcgers Arch. 83, S. 7). \u2014 Auch hier besteht der scheinbare Widerspruch nur solange, als man die Vokale f\u00fcr T\u00f6ne h\u00e4lt ; er verschwindet, sowie man sich mit den besonderen Eigenschaften besch\u00e4ftigt, die diese spezifischen Schallph\u00e4nomene im Unterschied von den T\u00f6nen besitzen.\nDrittes Kapitel.\nDie Tonh\u00f6he der Yokale.\n\u00a7 1. Die Tonh\u00f6he der Vokale beim Vorhandensein\neiner Stimm note.\nDer neuerdings aufgestellten These, die Vokale seien die 'Qualit\u00e4ten des Tonsinns und die verschiedenen Vokale seien an die T\u00f6ne von verschiedener H\u00f6he gekn\u00fcpft wie die Farben des Spektrums an die verschiedenen Wellenl\u00e4ngen, wird immer mit Recht entgegengehalten werden, man sei doch imstande, einen Vokal, z. B. U, auf ganz verschiedene Stimmnoten und somit in ganz verschiedener H\u00f6he zu singen. Das k\u00f6nnte aber nicht m\u00f6glich sein, wenn jede Schwingungszahl an eine bestimmte Vokalqualit\u00e4t gekn\u00fcpft w\u00e4re.\nIn der Tat wird diese These, deren Kritik uns nach den fr\u00fcheren Versuchen nicht mehr ausdr\u00fccklich zu besch\u00e4ftigen braucht, durch jenen Ein wand in eine weitere ernste Verlegenheit versetzt.\nDie Untersuchung mittels der Selensirene gestattet, das Problem, worauf die Tonh\u00f6he der Vokale beruht, in exakter Weise mifzul\u00f6sen; die Richtigkeit unseres bisherigen Hauptergebnisses, wonach die Vokale Qualit\u00e4ten des Ger\u00e4uschsinns sind, best\u00e4tigt :sich dabei von neuem.\nDie Betrachtung der HERMANNschen Vokalkurven weist uns den Weg, den wir bei unserer eigenen Untersuchung zu gehen haben. Besonders in den Aufnahmen von E und I tritt die Stimmnote deutlich in Erscheinung. Die in diesem Falle sehr raschen Formantschwingungen erscheinen, wie auch Hermann .selbst hervorhebt, auf die Stimmnote aufgesetzt (Pfl\u00fcgers Archiv, 53).\nZeitschr. f. Sinnespkysiol. 47.\t19","page":283},{"file":"p0284.txt","language":"de","ocr_de":"284\nE. R. Jaensch. Figur VII.\nNote\ne _\ng /\\s\\/\\j\\j\\J\\J\\J\\f\\\na\nVokal J (nach Hermann).\nNach unseren bisherigen Untersuchungen kommen die Vokale durch unregelm\u00e4fsige, die Tonh\u00f6hen durch regelm\u00e4fsige Schwingungen zustande. Erstere sind die Qualit\u00e4ten des Ger\u00e4uschsinns, letztere die des Tonsinns. Es liegt jetzt eine Vermutung nahe, die durch ein entscheidendes Experiment alsbald zur Gewifsheit erhoben werden wird. Wir k\u00f6nnen auf eine periodische Kurve, z. B. auf eine Sinuskurve, jederzeit unperiodische Schwingungen auf setzen. Wahrscheinlich reagiert dann der Ger\u00e4uschsinn auf die unperiodische Oberschwingung und der Tonsinn auf die periodische Grundschwingung. Die unperiodische Oberschwingung wird dann wohl die Qualit\u00e4t, die periodische Grundschwingung dagegen die H\u00f6he des Vokales liefern. Ein und denselben Vokal in verschiedenen Tonh\u00f6hen w\u00fcrde man dann dadurch erhalten, dafs man ein und denselben unperiodischen Schwingungsvorgang auf verschieden schnelle periodische Grundschwingungen aufsetzt. Um umgekehrt verschiedene Vokale in gleicher H\u00f6he zu erhalten, m\u00fcfste man verschiedene unperiodische Schwingungsvorg\u00e4nge auf dieselbe Grundschwingung aufsetzen. \u2014 Halten wir die Hebmann-schen Kurvenbilder mit den Ergebnissen unserer eigenen Untersuchung zusammen, so wird diese Vermutung ohne weiteres nahe-","page":284},{"file":"p0285.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n285\ngelegt; durch die Untersuchung mit der Selensirene wird ihre Richtigkeit bewiesen.\nEs gilt n\u00e4mlich folgender Satz :\nSetzt man auf dieselbe Sinuskurve un periodische Schwingungen auf, deren Wellenl\u00e4ngen s\u00e4mtlich einer mittleren, aber von Scheibe zu Scheibe verschiedenen Wellenl\u00e4nge naheliegen, so entstehen verschiedene Vokale von gleicher H\u00f6he. Die Qualit\u00e4t des Vokales h\u00e4ngt von der Durchschnittsfrequenz derunperiodischenOberschwingungab; seine H\u00f6he wird bestimmt durch die Frequenz der periodischen Grundschwingung.\nAls unperiodische Oberschwingung dienten bei diesen Versuchen nicht reine Sinusschwingungen; die Oberschwingungen wurden im Interesse der leichteren Herstellbarkeit diesmal dadurch hervorgebracht, dafs geradlinig begrenzte Spitzen in die Peripherie der Sinuskurve, die als Grundschwingung diente, eingeschnitten wurden (Fig.VIII). Als \u201ePerioden- Figur VIII. l\u00e4nge\u201c einer dieser Oberschwingungen gilt derinWinkel-graden gemessene Abstand der Kulminationspunkte; die tiefste Senkung liegt genau in der Mitte zwischen den Kulminationspunkten. Folgende Kurven gelangten zur Verwendung:\nXL : Sinuskurve, Periodenl\u00e4nge 40 \u00b0.\nXLI : Dasselbe, aber mit unperiodischen Oberschwingungen ;\nmittlere Periodenl\u00e4nge der letzteren 8\u00b0.\nXLII: Dasselbe, aber mittlere Periodenl\u00e4nge der Oberschwingungen 12\u00b0.\nXLIII : Dasselbe, mittlere Periodenl\u00e4nge der Oberschwingungen 16\u00b0.\nWie zu erwarten, gibt XL einen Ton, XLI\u2014XLIII einen Vokal. Bei jeder Rotationsgeschwindigkeit erscheinen die vier Schallph\u00e4nomene in gleicher H\u00f6he. Hieraus folgt, dafs die periodische Grundschwingung die H\u00f6he liefert. Die Einstellungen, die die Vpn. am Tonvariator ausf\u00fchren, stimmen so genau \u00fcberein, als es unter den Umst\u00e4nden zu erwarten ist. Die Einstellungen erfolgten bei 5 verschiedenen Rotationsgeschwindigkeiten. \u2014 Die Qualit\u00e4t der der H\u00f6he nach gleich erscheinenden Vokale XLI\u2014XLIII ist dabei ganz verschieden.\nIst die Rotationsgeschwindigkeit so gew\u00e4hlt, dafs XLI dem\n19*","page":285},{"file":"p0286.txt","language":"de","ocr_de":"286\nE. B. Jaensch.\nI nahesteht, dann liegt XLII zwischen E und I, XL1II etwa bei E; steht XLI dem E nahe, so liegt XLII zwischen A und E, XLIII bei A u. s. f. \u2014 Genau so mufs es sein, wenn die unperiodische Oberschwingung die Vokalqualit\u00e2t liefert. Die Schwingungszahlen von XLI und XLIII liegen in Oktaven \u00fcbereinander, XLII liegt dazwischen. Hieraus liefse sich nach unserer Untersuchung \u00fcber die Qualit\u00e4t Vorhersagen: liefert die h\u00f6chste Schwingungszahl einen Hauptvokal, so mufs die tiefste Schwingungszahl den nach unten zu benachbarten Hauptvokal und die mittlere einen Zwischenvokal liefern.\nGewissermafsen die Umkehrung des obigen Gesetzes ist der\nfolgende Satz :\nWird ein und derselbe unperiodische Schwingungsvorgang auf Sinuskurven von verschiedener Frequenz aufgesetzt, so entsteht ein und derselbe Vokal, aber in verschiedener H\u00f6he.\nVerglichen werden drei Sinuskurven mit gleicher unperiodischer Oberschwingung. Die mittlere Periodenl\u00e4nge der letzteren betr\u00e4gt stets 8\u00b0, die Periodenl\u00e4nge der als Grundkurve dienenden Sinuslinie : 72\u00b0 bzw. 40\u00b0 und 24\u00b0 (XLIV\u2014XLVI). Alle drei Kurven geben denselben Vokal, aber bei jeder Kurve erscheint der Vokal in der H\u00f6he des Tones, den man erh\u00e4lt, wenn man die zugeh\u00f6rige Grundkurve (Sinuslinie) allein darbietet. \u2014 Durch diese beiden S\u00e4tze ist die eingangs ge\u00e4ufserte Vermutung \u00fcber das Zustandekommen der Tonh\u00f6he bei den Vokalen zur Gewifsheit erhoben. Die Vokalqualit\u00e4t wird vom Ger\u00e4uschsinn, die Vokalh\u00f6he vom Tonsinn geliefert, jene h\u00e4ngt von der unperiodischen Oberschwingung, diese h\u00e4ngt von der periodischen Grundschwingung ab.\nMan verlangt wohl noch den Nachweis, dafs bei den vorstehenden Versuchen der Vokalcharakter auch wirklich durch den unperiodischen Charakter der Oberschwingungen hervorgebracht wird, und dafs der Vokaleindruck nicht etwa schon immer dann auftritt, wenn wir Schallkurven in dieser Weise superponieren, gleichg\u00fcltig, ob die Oberschwingung periodisch oder unperiodisch ist. Ich stellte mir darum neben der Kurve XLI (Periodenl\u00e4nge der Grundschwingung 40\u00b0, mittlere Periodenl\u00e4nge der Oberschwingung 8\u00b0) \u00e4hnliche Kurven her, bei denen die mittlere Variation der Oberschwingungen teils gr\u00f6fser, teils kleiner war, als bei der eben genannten Kurve; auch der","page":286},{"file":"p0287.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n287\nGrenzfall der mittleren Variation Null, d. h. der Fall periodischer Oberschwingungen, war vertreten.\nFigur IX.\nTon\tVokal\tGer\u00e4usch\nDiese letztgenannte Kurve gibt einen Klang. Je mehr nun die mittlere Variation zunimmt, um so mehr sinkt der Toncharakter und steigt der Vokalcharakter des Schallph\u00e4nomens, bis bei einem bestimmten Werte der mittleren Variation der optimale Vokal erreicht ist. Je weiter die mittlere Variation \u00fcber diesen Wert hinaus zunimmt, um so mehr gewinnt das Schallph\u00e4nomen mit dem undifferenzierten Ger\u00e4usch Verwandtschaft. Von der Gr\u00f6fse der mittleren Variation der Oberschwingungen h\u00e4ngt also der Abstand des Schallph\u00e4nomens vom Ton, bzw. vom Klange ab. Die H\u00f6he wird durch die Grundschwingung geliefert, bei den Klang-und Ger\u00e4uschkurven ebenso wie bei den Vokalkurven.\nSchliefslich war noch zu untersuchen, wie sich das Schallph\u00e4nomen bei unseren Versuchen \u00e4ndert, wenn bei unver\u00e4nderter Unter Schwingung die Amplitude der Oberschwingung variiert wird. Zu dem Behufe stellte ich Kurven her, die sich von den eben verwandten Vokal- und Ger\u00e4uschkurven nur dadurch unterschieden, dafs die Amplitude der Oberschwingungen nur halb so grofs war. Die Kurven mit kleiner Amplitude der Oberschwingungen zeigten durchweg das Merkmal der Tonh\u00f6he in deutlicherer Form und standen also den T\u00f6nen bzw. Kl\u00e4ngen n\u00e4her als die entsprechenden Kurven mit grofser Amplitude der Oberschwingungen.\n\u00a7 2. Die Tonh\u00f6he beim Fehlen einer Stimmnote.\nDurch die vorstehenden Ergebnisse wird die Frage nahegelegt, wie es sich denn mit der Tonh\u00f6he des Vokals verh\u00e4lt, wenn nur ein unperiodischer Schwingungsvorgang gegeben ist,","page":287},{"file":"p0288.txt","language":"de","ocr_de":"288\nE. E. Jaensch.\nohne dafs derselbe einem periodischen Schwingungsvorgang superponiert w\u00e4re. Tats\u00e4chlich besitzen auch die Vokale, welche auf diesem Wege erzeugt werden, eine H\u00f6he und zwar haben sie, wie wir fr\u00fcher (S. 237) sahen, die H\u00f6he des Tones, dessen Schwingungszahl der Durchschnittsschwingungszahl des Vokales gleich ist; die Tonh\u00f6he erscheint hierbei im allgemeinen um so weniger deutlich, je gr\u00f6fser die mittlere Variation der Schwingungszahlen ist.\nDie Erkl\u00e4rung dieser Erscheinung kann nicht schwer fallen, wenn man sich gegenw\u00e4rtig h\u00e4lt, dafs beim Vorhandensein einer reinen Sinusschwingung der Ger\u00e4uschsinn in abgeschw\u00e4chtem Mafse miterregt wird. Die Tatsache, dafs auch die reinen T\u00f6ne eine Vokalfarbe besitzen, n\u00f6tigte uns zu diesem Schl\u00fcsse. Zur Erkl\u00e4rung der umgekehrten Erscheinung, dafs auch beim ausschliefslichen Gegebensein eines unperiodischen Schwingungsvorgangs der mehr oder weniger bestimmte Eindruck einer Tonh\u00f6he vorhanden ist, brauchen wir nur die ganz analoge Annahme zu machen, dafs beim Vorhandensein eines unperiodischen SchwingungsVorgangs der Tonsinn in abgeschw\u00e4chtem Mafse miterregt wTird. Dafs selbst die ganz undifferenzierten Ger\u00e4usche, die bei der Aufeinanderfolge sehr verschiedenerWellenl\u00e4ngen entstehen, das Merkmal der Tonh\u00f6he nicht ganz zu entbehren brauchen, ist schon von Stumpf nach Geb\u00fchr hervorgehoben worden.\n\u00a73. Ph\u00e4nomenologie der Vokalh\u00f6he.\nAus den Versuchen mit der Selensirene folgte, dafs der Vokal im allgemeinen die H\u00f6he des Stimmtones annehmen wird, dafs aber unter Umst\u00e4nden die Vokalqualit\u00e4t auch in der H\u00f6he des Formanten erscheinen kann. Dasselbe Resultat ergibt sich bei der einfachen Beobachtung gesungener Vokale : sie erscheinen in der H\u00f6he des Stimmtons. Aber damit scheint auch gesagt zu sein, dafs der Parallelismus zu den Versuchen mit der Selensirene kein vollkommener ist; denn der Fall, dafs der Formant selbst die H\u00f6he der Vokalqualit\u00e4t liefert, scheint sich bei der einfachen Beobachtung gesungener Vokale nicht auf weisen zu lassen. Die herk\u00f6mmliche Ansicht geht ja dahin, dafs der Stimmton die H\u00f6he nicht nur liefern kann, sondern liefern mufs. Indessen zeigt eine einfache, \u00fcberall anzustellende Beobachtung, dafs der Formant auch bei den gesungenen Vokalen unter Umst\u00e4nden die H\u00f6he der Vokalqualit\u00e4t liefern kann.","page":288},{"file":"p0289.txt","language":"de","ocr_de":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute.\n289\nMan singe die Tonleiter anf die verschiedenen Vokale, am besten indem man von den hohen T\u00f6nen nach der Tiefe geht. Wenn man den Versuch zum erstenmale anstellt, empfiehlt es sich, die T\u00f6ne nicht miteinander zu verbinden, sondern \u2014 wie man zu sagen pflegt \u2014 etwas \u201eabgehackt\u201c zu singen. Singt man I zuerst auf hohe, dann auf immer tiefere Noten und konzentriert man dabei die Aufmerksamkeit scharf auf den V okal, indem man von der Stimmnote zu abstrahieren sucht, so gewinnt man sehr leicht den Eindruck, dafs sich das I vom Stimmton trennt. Anstatt mit der Stimmnote in die Tiefe zu gehen, bleibt die H\u00f6he der Vokalqualit\u00e4t konstant auf einer sehr hohen Note. Dasselbe \u2014 vielleicht nicht ganz so deutlich \u2014 zeigt sich beim E ; unsicher ist der Ausfall des Versuches beim A. Beim O haben wir die Erscheinung fast nie, beim U mit Sicherheit niemals beobachtet. \u2014 Musikalische, besonders solche, die selbst singen, scheinen als Beobachter weniger geeignet zu sein; einer meiner Vpn., einem S\u00e4nger, gelang es nie, die Erscheinung zu beobachten.\nHat man die Erscheinung bei \u201eabgehacktem\u201c Singen deutlich beobachtet, so wird man sie k\u00fcnftig auch bei gebundenem Singen der Tonleiter unschwer wiederfinden. Gelingt es, den Vokal von der Tonh\u00f6he durch Abstraktion zu trennen, so liefert d.er Formant die H\u00f6he der Vokalqualit\u00e4t.\nBei visuellen Vpn. f\u00fchrt die Trennung von Vokal und Stimmton oft zu einer Art von Diagramm, indem Vokal und Stimmton im Vorstellungsraum als verschiedene und verschieden lokalisierte Schemata erscheinen.\n\u00a7 4. Die Abweichungen von der Konstanz der Vokalqualit\u00e4t bei wechselnder Stimm note.\nEs ist nicht m\u00f6glich, ein reines U, O, A u. s. w., auf beliebig hohe Stimmnoten zu singen, ohne dais eine \u00c4nderung der Vokalqualit\u00e4t eintr\u00e4te.\nVersucht man es, so erf\u00e4hrt das U eine Verschiebung nach O hin; das 0 n\u00e4hert sich dem A, das A dem E. K\u00f6hler verwendet diese Tatsache als Argument gegen die HERMANNsche Formantentheorie und f\u00fcr die HELMHOLTzsche Resonatortheorie. Wir k\u00fcndigten bereits an einer fr\u00fcheren Stelle unserer Arbeit an, dafs es im Zusammenhang mit unserer Untersuchung \u00fcber die Tonh\u00f6he der Vokale nicht schwer fallen w\u00fcrde, jene be-","page":289},{"file":"p0290.txt","language":"de","ocr_de":"290\nE. B. Jaensch.\nkannte Tatsache im Einklang mit den Grund vor Stellungen der Formantentheorie zu erkl\u00e4ren.\nBisher haben wir immer F\u00e4lle betrachtet, in denen die regel-m\u00e4fsige Sinusschwingung das Ohr zu einer besonderen Reaktion veranlafst, welche von der Reaktion auf die unregelm\u00e4fsige Formantschwingung zu unterscheiden ist.\nGleichg\u00fcltig ob sich der Stimmton von der Vokalqualit\u00e4t abzul\u00f6sen scheint, oder ob er die H\u00f6he der Vokalqualit\u00e4t liefert, auf jeden Fall gibt der Stimmton in den bisher behandelten Beispielen Anlafs zu einem Ph\u00e4nomen der H\u00f6he. Es gibt aber auch Sonderf\u00e4lle, in denen das Ohr durch den Stimmton nicht zu einer besonderen Reaktion veranlafst wird, wrelche von der Reaktion auf den Formanten zu unterscheiden w\u00e4re.\nMan singe das Wort \u201ean\u201c auf immer h\u00f6her werdende Noten. H\u00f6rt man nur fl\u00fcchtig hin, so hat man den Eindruck, dafs der Vokal und der Konsonant in gleich deutlicher Weise h\u00f6her werden. Die Vokalqualit\u00e2t erf\u00e4hrt in den h\u00f6heren Lagen eine Verschiebung nach e. Bei genauerer Beobachtung wird man die Bemerkung machen, dafs das a seine H\u00f6he bei weitem nicht so deutlich \u00e4ndert wie das n; ja es kommen F\u00e4lle vor, in denen man zweifelhaft ist, ob das a seine H\u00f6he \u00fcberhaupt ge\u00e4ndert hat, w\u00e4hrend das beim n ganz deutlich der Fall war. Wenn man trotzdem auch in diesen F\u00e4llen bei fl\u00fcchtigem Hinh\u00f6ren den Eindruck hat, dafs der Vokal in ganz gleicher Weise in die H\u00f6he geht wie der Konsonant, so kann das nur daran liegen, dafs man die Tonh\u00f6he des Konsonanten auf den Vokal \u00fcbertr\u00e4gt. Nun erzeugt aber der Kehlkopf einmal die Stimmnote, und irgend einen akustischen Effekt mufs der hierdurch entstehende Schwingungsvorgang doch haben. Da sich die Qualit\u00e4t des a bei hohen Stimmlagen nach e zu verschiebt, so liegt die Annahme nahe, dafs sich der hohe Stimmton in die Formantschwingungen mit einmischt und darum die Vokalqualit\u00e4t nach dem h\u00f6heren Vokal zu verschiebt. \u2014 Ich gebe zu, dafs diese Darlegung nur hypothetisch ist und an Gewifsheitsgrad hinter unseren sonstigen Ergebnissen zur\u00fcckbleibt. Es sollte nur gezeigt werden, dafs es jedenfalls m\u00f6glich ist, sich auch vom Standpunkte der Formantentheorie aus mit den Abweichungen von der Konstanz der Vokalqualit\u00e4t abzufinden.","page":290}],"identifier":"lit33619","issued":"1913","language":"de","pages":"219-290","startpages":"219","title":"Die Natur der menschlichen Sprachlaute","type":"Journal Article","volume":"47"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:02:32.588306+00:00"}

VL Library

Journal Article
Permalink (old)
http://vlp.uni-regensburg.de/library/journals.html?id=lit33619
Licence (for files):
Creative Commons Attribution-NonCommercial
cc-by-nc

Export

  • BibTeX
  • Dublin Core
  • JSON

Language:

© Universitätsbibliothek Regensburg | Imprint | Privacy policy | Contact | Icons by Font Awesome and Icons8 | Powered by Invenio & Zenodo