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{"created":"2022-01-31T14:28:54.989576+00:00","id":"lit33626","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Gertz, Hans","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 47: 420-431","fulltext":[{"file":"p0420.txt","language":"de","ocr_de":"420\n(Aus dem physiologischen Institut der Universit\u00e4t Lund.)\n\u2022 \u2022\nUber die kompensatorische Gegen wen dung der Augen\nbei spontan bewegtem Kopfe.\nVon\nHans Gertz.\nI.\nDie aus Selbstbeobachtung leicht konstatierbare, wohl allbekannte Tatsache, dafs bei Kopfbewegungen in irgendwelchem, die Blickrichtung deviierenden Sinne, also namentlich bei Kopfdrehungen um frontal gelegene Achsen, der Blick eine gegensinnige, kompensatorische Ablenkung erf\u00e4hrt, scheint bis jetzt in quantitativer Beziehung wenig verfolgt worden zu sein, sondern lediglich nach ihrer qualitativen Seite hin bekannt zu sein. Sie bildet in solcher Hinsicht den Gegensatz zu der ganz unscheinbaren, dennoch aber messender Beobachtung gut zug\u00e4nglichen und genau studierten Erscheinung der kompensatorischen Augenrollung bei Seitw\u00e4rtsneigung des Kopfes. Unsere Kenntnis von jener erstgenannten d\u00fcrfte wesentlich in den Angaben Nagels1 resummiert werden k\u00f6nnen. \u201eBreuer hat gefunden, dafs Blinde Diehungen des Kopfes um die Querachse (also mit Hebung und Senkung des Kinnes) mit Hebung und Senkung der Augenachsen kompensieren. Am Sehenden kann man dies weniger leicht demonstrieren, weil die Fixationstendenz hemmend wirkt. Kleine Kinder zeigen dagegen diese Kompensationsbewegungen, die entschieden reflektorischen Charakter tragen, zuweilen sehr deutlich. Im Dunkelzimmer fehlen \u00fcbrigens diese Reflexbewegungen auch beim sehenden Erwachsenen nicht ganz, wovon man sich unter anderem durch Momentbeleuchtung \u00fcberzeugen kann (auch durch\n1 Handbuch der Physiologie 3, S. 774.","page":420},{"file":"p0421.txt","language":"de","ocr_de":"Kompensatorische Gregenwendung der Augen bei spontan bewegtem Kopfe. 421\nNachbilder). Wechselt man bei geschlossenen Augen zwischen aufrechter und vorn\u00fcbergebeugter Stellung und betastet w\u00e4hrenddessen mit leicht aufgelegten Fingern die Lider, so f\u00fchlt man deutlich, wie bei der Neigung nach vorn die Hornhaut nach oben, bei der Aufrichtung nach abw\u00e4rts rollt.\u201c Es ist hier die Rede allein von Kopfdrehungen um die Transversalachse. \u00c4hnliches gilt indessen offenbar von Drehungen um frontale (vertikale oder schr\u00e4ge) Achsen, sowie \u00fcberhaupt um Achsen, die hinl\u00e4nglich zur Blickrichtung geneigt sind. Die umfangreichen und bedeutungsvollen Untersuchungen von B\u00e4e\u00e4ny und von Bartels haben ebenfalls kaum etwas neues \u00fcber die quantitativen Verh\u00e4ltnisse der in Rede stehenden Erscheinung ergeben. Es d\u00fcrfte zurzeit allgemein die Ansicht herrschen, dafs die fragliche Gegenwendung des Blickes vom Vestibularapparate reflektorisch ausgel\u00f6st wird. Dafs dies einen blickkompensierenden Mechanismus darstellt, erscheint auch evident. Da aber jene Erkl\u00e4rung f\u00fcr den gegenw\u00e4rtigen Umfang unserer Kenntnisse zu gen\u00fcgen scheint, hat bisher ein Anlafs gefehlt, den Bereich ihrer G\u00fcltigkeit n\u00e4her zu untersuchen.\nIndessen fragt sich, im Anschlufs an den res\u00fcmierten, bekannten Tatsachen: Wie genau erfolgt die Kompensation der Blickrichtung? Und h\u00e4ngt dieselbe irgendwie ab von den funktioneilen Grundmomenten des Sehens? Vorliegende Untersuchung bezweckt, zur Beantwortung dieser Frage etwas Material, einige approximative Bestimmungen und beleuchtende Versuche, vorzubringen. Es sei unser Thema dabei zu der Blickkompensation bei Spontanbewegungen des Kopfes begrenzt. Es wird sich zeigen, dafs die Blickkompensation unter diesen Umst\u00e4nden nicht, oder nicht allein als vom Ohrapparate ausgel\u00f6ster Reflexvorgang verst\u00e4ndlich ist, sondern im wesentlichen Mafse andere Entstehungsweise hat.\nGewifs hat man vielfach, wie dies Nagel andeutet, mit Hilfe von Nachbildern jene Fragen anzugreifen versucht. Es liegt ja nahe, ein (zentrales) Nachbild neben ein passendes Objekt zu projizieren und aus der \u00c4nderung der Winkeldistanz zwischen beiden die Blickablenkung zu bestimmen. Bei diesem Verfahren spielt doch offenbar unsere Tendenz mit, sichtbare Objektpunkte im Blicke festzuhalten, eventuell auch die Neigung ein nicht genau zentrales Nachbild mit dem Blicke zu verfolgen, und es gibt vorl\u00e4ufig kein Mittel, den hiervon bedingten Einflufs in An-","page":421},{"file":"p0422.txt","language":"de","ocr_de":"422\nHans Gertz.\nschlag zu bringen. Sonach hat man den Versuchen solche Form zu geben, wo dieser unbekannte Ein-flufs des Fixationszwanges nicht ein geht, wo also Sehobjekte, wenigstens in der N\u00e4he des Fixationsbereichs, nicht vorhanden sind. Zun\u00e4chst w\u00e4re hier an weiter exzentrisch gelegene Nachbilder zu denken; doch finde wenigstens ich die Beobachtung durch dieses Hilfsmittel nicht genug deutlich.\nII.\nF\u00fcr Drehungen grofserer Weite kann die bezeichnete Aufgabe nach der folgenden subjektiven Methode, unter Anwendung des Papillarskotoms, gel\u00f6st werden. Auf einem gleich-m\u00e4fsigen, keine sichtbaren Merkpunkte darbietenden Schirm wird ein rundliches, gegen den Grund kontrastierendes Feld angebracht , dessen Durchmesser dem Beobachter unter einem Gesichtswinkel von 2\u20144\u00b0 erscheint. Der Beobachter hat nur ein Auge offen (das andere verdeckt) und sucht, mit dem Blick auf dem leeren Grund herumtastend, eine Blickrichtung auf, wo das Feld ganz oder teilweise im Papillarskotom f\u00e4llt. Macht er sodann Kopfbewegungen, so kann er zun\u00e4chst beobachten, ob das Feld eventuell noch im Skotom verborgen bleibt, oder ob dasselbe seine Lage gegen dieses \u00e4ndert. Das Resultat vorgreifend sei hier bemerkt, dafs letztere Verschiebung und die angegebene Winkelbreite des Feldes von gleicher Gr\u00f6fsenordnung sind. Im besonderen ereignet sich ab und zu, dafs das teilweise, sichelartig neben dem Skotom sichtbare Feld um noch einen Teil seines Durchmessers weiter hinaus- oder hineinr\u00fcckt. Der Beobachter lernt bald in solchen F\u00e4llen zu beurteilen, einen wie grofsen Teil des Felddurchmessers die Verschiebung ungef\u00e4hr betr\u00e4gt. Es setzt sich nun letztere, die Verschiebung des Papillarskotoms gegen das Feld, zusammen aus der stattgefundenen Blickdeviation, aus der \u00c4nderung der Richtung zwischen Auge und Feld, sowie aus der Schr\u00e4gstellung und Raddrehung des Auges. Zun\u00e4chst kann der Versuch derart angeordnet werden, dafs diese Komplikationen wegfallen oder belanglos klein werden. Erfolgen die Kopfdrehungen um die Vertikal- oder um die Transversalachse, und gehen dabei die Bewegungsbahnen der Augen (reell oder virtuell) durch die prim\u00e4re Blicklage, so findet keine Schr\u00e4gstellung oder Raddrehung statt ; ersichtlicherweise brauchen","page":422},{"file":"p0423.txt","language":"de","ocr_de":"Kompensatorische Gegenwendung der Augen bei spontan bewegtem Kopfe. 423\ndiese Forderungen nur in gewisser Ann\u00e4herung eingehalten werden. Der Winkel, um welchen die Richtung vom Auge zum Feld bei der Kopfdrehung ge\u00e4ndert wird, kann erst bei einem Werte von noch nicht 1 \u00b0/0 des Kopfdrehungswinkels aufser acht gelassen werden. Ohne weitere Ausgestaltung setzt dies recht grofse Dimensionen der Versuchsanordnung voraus. Bequemer kommt man mit Anwendung einer grofsen Linse aus, womit das Feld in unendliche Ferne optisch projiziert wird. Der Linsendurchmesser mufs offenbar die Exkursionsbreite des Auges etwas \u00fcbersteigen, und als Fehler kommt nur die Aberration der Linse innerhalb des Exkursionsbereiches in Betracht.\n1. Um jetzt \u00fcber einige nach dem skizzierten Plane angestellten Versuche zu berichten, sei zun\u00e4chst erw\u00e4hnt, dafs die iterierten Kopfdrehungen \u2014 anfangs regelm\u00e4fsig, sp\u00e4ter noch h\u00e4ufig \u2014 mir Kopfschmerzen, Schwindel oder Unwohlsein verursachten. Die Beobachtungen fallen deshalb, indem sie jedesmal h\u00f6chstens eine Stunde lang fortgesetzt, und oft erst nach mehrt\u00e4giger Pause wiederholt werden konnten, innerhalb einer ziemlich geraumen Zeit.\nAnfangs glaubte ich es reiche aus, wenn die Umrandungen des Schirms und der Linse, sowie auch andere Objekte zwar sichtbar w\u00e4ren, nur dieselben genug exzentrisch erschienen. Dem-gem\u00e4fs wurde in einem wie gew\u00f6hnlich erleuchteten Zimmer beobachtet, und zur Verwendung kam ein schwarzer, 64 cm breiter, 78 cm hoher, ganz gleichm\u00e4fsiger Kartonschirm, in dessen Mitte ein 33 mm breites rundes St\u00fcck weifsen Papiers angebracht war. Davor stand, dem Schirme ihre Planfl\u00e4che zukehrend und mit ihrem Brennpunkte mitten im weilsen Feld, eine Plankonvexlinse von 12,8 cm Durchmesser und 63,5 cm Brennweite. Die Beobachtungen fanden in stehender oder sitzender Stellung statt, mit dem Auge dicht vor der Mitte der konvexen Linsenfl\u00e4che. Die Winkelbreite des durch die Linse gesehenen weifsen Feldes war, wie aus den Daten hervorgeht, 3n. Der H\u00f6hen- bzw. Breitendurchmesser jedes meiner Papillarskotome betr\u00e4gt ungef\u00e4hr 6\u00b0 bzw. 5V. Da es mir nicht ratsam erschien, die Weite der Kopfdrehungen \u2014 welche entweder sagittal, um die Quer-(Tr ans versah) achse, oder horizontal, um die H\u00f6hen-(Vertikal-)achse erfolgten irgendwie durch Arretierung zu regeln, wurde ein bestimmtes ungef\u00e4hres Bewegungsmafs und zwar von 30\u00b0 \u00e0 35\u00b0 einge\u00fcbt und damit vorzugsweise praktiziert. Die Drehungen fanden","page":423},{"file":"p0424.txt","language":"de","ocr_de":"424\nHans Gertz.\nm\u00f6glichst zentral um die Prim\u00e4rstellung des Kopfes herum statt, d. h. sie wurden von einer Anfangslage 10\u00b0 \u00e0 20\u00b0 seitlich von der Prim\u00e4rstellung bis 20\u00b0 (25\u00b0) bzw. 10\u00b0 (15\u00b0) jenseits derselben ausgef\u00fchrt. Die Aberration der Linse innerhalb des Exkursionsbereiches des Auges war 5'\u201410'. Die Schnelligkeit der Drehung wurde approximativ nach einem schlagenden Metronom abgestuft.\nNachdem einige pr\u00e4liminare Beobachtungen gelehrt hatten, dafs, unter den beschriebenen Versuchsumst\u00e4nden, die Blickrichtung konstant unterkorrigiert wird, und zwar um Betr\u00e4ge, die mir im allgemeinen (abgesehen von fehlerhaften Beobachtungsf\u00e4llen, vgl. unten) kleiner als die Winkelbreite des Papillarskotoms vorkamen, war mein erstes Projekt, die gr\u00f6fste Winkelbreite des weifsen Feldes zu finden, wobei letzteres w\u00e4hrend einer Kopfdrehung (von 30 0 \u00e4. 35 \u00b0) noch innerhalb des Skotoms verborgen bleiben konnte; dann w\u00e4re die Unterkorrektion h\u00f6chstens so giofs wie die Breitendifferenz des Papillarskotoms und des weifsen Feldes. Es konnte dieser Fall ab und zu etabliert werden bei einer Feldbreite von 3\u00b0 bzw. 4\u00b0 f\u00fcr horizontale bzw. sagittale, in V2 bis 1 Sekunde ausgef\u00fchrte Kopfdrehungen. W\u00e4hrend, wie gesagt, dies als allerdings frequente Ausnahmen eintraf, war ein Hinausr\u00fccken zu wechselnder Weite und im allgemeinen der Drehung entgegengerichtet \u2014 des Feldes aus dem Papillar-skotom das weit h\u00e4ufigere Vorkommnis. Mehrere Umst\u00e4nde bedingen ein solches Verhalten. In erster Linie kompromittieren die regellosen, schon nach ganz kurzer \u201eFixation\u201c eintretenden, unvermeidlichen Blickschwankungen, sowie namentlich unwillk\u00fcrliche Blickwendungen nach der Seite der Kopfdrehung (vgl. unten). Aufserdem findet der Beobachter, wenn er durch \u201eBlicktatonnement\u201c das Feld ins Papillarskotom verlegen soll, hierbei nicht immer eine solche g\u00fcnstige Blicklage, dafs bei der nachher folgenden Exkursion das Feld ganz innerhalb des Skotoms Platz findet; oft liegt das Feld dem vorr\u00fcckenden Skotomrand zu nahe, um nicht, selbst bei kleinerer Verschiebung, diesen zu \u00fcberschreiten. Also ist hiermit ausgemacht, dafs die Blickrichtung h\u00e4ufig um weniger als 6 \u00b0/0 \u00e4. 7 % der Kopfdrehung in gleichem Sinne wie diese deviiert wird. Wurden die Kopfbewegungen schneller ausgef\u00fchrt, z. B. in V3\u2014\u25a01/5 Sek., so fielen die Blickdeviationen durchschnittlich gr\u00f6fser aus. Es erschienen mir die Deviationen bei Hebung und Senkung des Kopfes etwas kleiner als bei Seitenwendung.","page":424},{"file":"p0425.txt","language":"de","ocr_de":"Kompensatorische Gegenwendung der Augen bei spontan bewegtem Kopfe. 425\nDie oft vorhandene Situation, dafs der Skotomrand auf das Feld kam, f\u00fchrte bald auf eine sch\u00e4rfere Beobachtungsweise. Es erwies sich in solchen F\u00e4llen m\u00f6glich den Betrag ungef\u00e4hr abzusch\u00e4tzen, um welchen die Blickdeviation den Deckungsbereich des Feldes und des Skotoms \u00e4ndert; es war unschwer zu beurteilen, ob die \u00c4nderung beispielsweise etwa die H\u00e4lfte, ein Drittel oder Viertel des Felddurchmessers, also die Deviation bzw. 11/2 \u00b0, 10 oder 3/4 0 betrug. Dies erm\u00f6glicht, die quantitativen Angaben weiter auszugestalten. In der bezeichneten Weise konnte festgestellt werden, dafs die Blickdeviationen zuweilen ungemein geringf\u00fcgig, nur eben konstatierbar waren und nicht selten 2 % bis 5 \u00b0/o des Kopfdrehungswinkels ausmachten. So kleine Werte kamen vorzugsweise dann zu Beobachtung, wenn ich, nach einiger Dauer des Versuches, daran gew\u00f6hnt war, leicht (ohne vieles Tatonnieren) die richtigen Ausgangsblicklagen fand und \u00fcberhaupt mich \u201egewandt und aufgelegt\u201c f\u00fchlte. Im Anfang und namentlich bei l\u00e4nger vorgeschrittener Beobachtung (Erm\u00fcdung!) fielen die Deviationen gr\u00f6fser aus. Auch habe ich entschieden den Eindruck, dafs die bestimmte, vors\u00e4tzliche Intention, den in die leere Fl\u00e4che gerichteten Blick unver\u00e4ndert zu behalten, oder vielleicht eher die m\u00f6glichste Ablenkung der Aufmerksamkeit von der Drehbewegung des Kopfes und ihre Verbindung mit der Lage des Blickes, die Deviation kleiner ausfallen l\u00e4sst.\nDer fragliche Beobachtungsmodus gibt noch Aufschlufs \u00fcber den zeitlichen Verlauf der kompensatorischen Blickwendung. Sehen wir von den zahlreichen, durch unwillk\u00fcrliche Schwankungen und Wendungen des Blickes entstellten Deviationen ab, so erfolgen diese \u2014 also die kleinen \u201etypischen\u201c Deviationen \u2014 nicht in pl\u00f6tzlichem Ruck oder saccadiert wie die normalen Blickwendungen, sondern im selben Bewegungstempo wie die Kopfdrehung, gleichm\u00e4fsig auf die ganze Dauer der letzteren verteilt. Man nimmt sehr deutlich wahr, wie das Feld allm\u00e4hlich und stetig im Laufe der Drehung weiter aus dem Skotom, oder in dasselbe, gleichsam hingleitet. Hieraus folgt, dafs die Kompensationsbewegungen des Auges ebensolchen Charakter haben, und im besonderen ein klein wenig langsamer erfolgen als die Kopfdrehung. Ganz besonders habe ich darauf geachtet, ob etwa im Beginn der Drehung der Blick ausgiebiger als sp\u00e4ter mitgef\u00fchrt wird, d. h. ob die Augenbewegung gegen die Kopfdrehung\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 47.\t28","page":425},{"file":"p0426.txt","language":"de","ocr_de":"426\nHans Gertz.\nversp\u00e4tet ist. Davon ist aber, nichts zu bemerken ; beide Bewegungen setzen merklich gleichzeitig ein und h\u00f6ren ebenso auf.\nZur Deutung der Unregelm\u00e4fsigkeit der Deviationsgr\u00f6fse hat man namentlich an die gewohnheitsm\u00e4fsige Assoziation von gleichsinnigen Kopf- und Blickwendungen zu denken: beim Hinblicken auf exzentrisch gelegene Objekte verteilen wir ja im allgemeinen die Einstellung auf Drehungen des Kopfes und der Augen. Offenbar mufs dieser Umstand ab und zu den Versuch durch unwillk\u00fcrliche Blickbewegungen \u2014 Hinblicken im Sinne der Kopfdrehung \u2014 kompromittieren, und zwar erkl\u00e4ren sich so zu wesentlichem Teile die Befunde, erstens dafs ein willk\u00fcrlich intendiertes Festhalten des Blickes, oder die feste Lenkung des Aufmerkens auf die \u201eFixation\u201c, die Deviationen verkleinern; zweitens dafs diese Akte um so besser gelingen, in je g\u00fcnstigerer Kondition sich der Beobachter befindet Aufserdem \u00fcben sicherlich indirekt gesehene, nach Seite der Kopfdrehung hin vorhandene Konturen und Objekte einen gewissen, Aufmerksamkeit und Blick attrahierenden Einflufs aus, und stehen demgem\u00e4fs die Umrandungen des Schirms und der Linse, sowie das beobachtete weifse Feld als in \u00e4hnlicher Weise st\u00f6rende Momente im Verdacht. \\ Ebensolche Bedeutung hat wohl \u00fcberhaupt das Bewufstsein des Beobachters davon, dafs peripher \u2014 aufserhalb des jeweiligen Gesichtsfeldes aber durch Blick Wendung erreichbar \u2014 sichtbare Objekte vorhanden sind. Ob die angef\u00fchrten Umst\u00e4nde noch auf die Kompensationsbewegungen influieren, ist nicht von vornherein einzusehen, anbetrachts der Verschiedenartigkeit der Kompensations- und der willk\u00fcrlichen Blickbewegungen. Eine solche M\u00f6glichkeit erscheint zwar nicht recht verst\u00e4ndlich, kann jedoch a priori schwerlich abgewiesen werden.\nEinige Beleuchtung hierauf gibt die Anstellung sonst gleicher Beobachtungen im Dunkelzimmer, wobei das weifse Feld einzig im Gesichtsfeld vorhanden ist. Ich benutzte ein fensterloses, schwarzgestrichenes Ophthalmoskopierzimmer, in dessen T\u00fcr eine d,3 cm breite, mit weifsem Papier \u00fcberzogene rundliche \u00d6ffnung-angebracht war. Durch Variierung* der Beleuchtung von aufsen wurde das Feld passend hell gemacht. Es kann diese nur ziemlich m\u00e4fsig sein, weil sonst das von der Linse (durch zweifache Reflexion) entworfene sekund\u00e4re katadioptrische Bild sichtbar wird und in hohem Grade st\u00f6rt. Aus demselben Grunde mufs","page":426},{"file":"p0427.txt","language":"de","ocr_de":"Kompensatorische Gegenwendung der Augen bei spontan bewegtem Kopfe. 427\neventuell auch, wenn im Laufe der Beobachtung sich die Adaptation ausbildet, die Feldhelligkeit entsprechend vermindert werden.\nBei den Beobachtungen im Dunkelzimmer waren die Blickdeviationen in der Tat durchwegs kleiner. Das Feld konnte, w\u00e4hrend einer Kopfdrehung, leichter (h\u00e4ufiger) innerhalb des Papillarskotoms gehalten werden. Der Betrag, um welchen das aufser dem Skotom gelegene Teil des Feldes bei Drehungen zu-oder abnahm, war im allgemeinen sehr gering \u2014 unmerklich oder kleiner als 1/4 der Feldbreite. Auch blieben die Deviationen \u00e4hnlich klein, wenn ich die Kopfbewegungen etwas schneller, in 13 \u00e0 3/4 Sek. ausf\u00fchrte. Die Beobachtungen wurden endlich viel seltener durch unwillk\u00fcrliche Blickwendungen verungl\u00fcckt. Sicherlich beruht die allgemeine Verminderung der Deviationen vorzugsweise auf dem letztgenannten Umstand. Es kommt mir indessen recht bestimmt vor, dafs auch die Deviationen der zu untersuchenden Art, die kleinen, kontinuierlich erfolgenden, hier etwas kleiner waren.\nZum Zwecke, der Erscheinung in quantitativer Hinsicht m\u00f6glichst nahe zu kommen, wurde den Beobachtungen in erster Linie das bestimmte Drehungsmafs 300 \u00e0 35 0 zugrunde gelegt. Nebenbei habe ich jedoch auch mit kleineren, 10 \" bis 20\u00b0 breiten Drehungen gepr\u00fcft und f\u00fcr diese eine ann\u00e4hernd gleiche relative Genauigkeit der Blickkompensation gefunden.\nEs hat sich also bisher folgendes herausgestellt. Spontan, nicht zu schnell \u2014 etwa in Vs bis 1 Sek- ~ ausgef\u00fchrte Kopfdrehungen von 100 bis 300 um die Quer- oder H\u00f6henachse werden durch gegensinnige, im selben Bewegungstempo erfolgende Augenbewegungen beinahe vollst\u00e4ndig kompensiert. Die konstant resultierende Unterkorrektion der Blickrichtung betr\u00e4gt im allgemeinen noch nicht 4 0 0 und oft sogar kaum 2 0 0 des Drehungswinkels.\nBlicken wir zur\u00fcck auf die allgemeinen Bedingungen, welche die Versuche charakterisieren, und unter welchen das angef\u00fchrte Resultat Geltung hat. Es sind approximative Bestimmungen zu gewinnen bei ganz leerem (dunklem) Gesichtsfelde, unter vollst\u00e4ndigem Ausschlufs von Sehobjekten, die einer Fixation zur St\u00fctze dienen k\u00f6nnten. Dabei ist jedoch der Beobachter von der r\u00e4umlichen Anordnung der Versuchsgegenst\u00e4nde bewulst,\n28*","page":427},{"file":"p0428.txt","language":"de","ocr_de":"428\nHans Gertz.\nim besonderen weifs er, dafs ein fern gelegenes Sehobjekt (das weifse Feld), obschon zuf\u00e4llig im Papillarskotom verborgen, vorhanden und beliebig mit dem Blicke erreichbar ist. Dies stellt ein psychisches Moment dar, welches a priori nicht f\u00fcr einflufslos gehalten werden kann; gewifs gibt dasselbe mitunter zu unwillk\u00fcrlichen Blickwendungen Anlafs, aber \u2014 was allein wichtig ist \u2014 die M\u00f6glichkeit irgend welcher Bedeutung zudem f\u00fcr die zu untersuchende Erscheinung steht auch offen. Individuell genauere, aber durchschnittlich von jenen erstgenannten kaum differierende Bestimmungen ergibt die Beobachtung, wie sich das weilse Feld auf der Grenze des Papillarskotoms verschiebt. Die allgemeine \u00dcbereinstimmug dieser und jener Bestimmungen erlaubt zu schliefsen, dafs das genannte, nicht nur peripher sichtbare, sondern im Aufmerken besonders verfolgte Sehobjekt nicht wesentlich anders die kompensatorische Blickbewegung beeinflufst als die blofse, freilich recht eindringliche Vorstellung davon. Kommen endlich mehrere Sehobjekte \u2014 hierunter auch die betrachtete Schirmfl\u00e4che \u2014 hinzu, so vermehrt sich die Frequenz st\u00f6render Blickwendungen, aber die Kompensationsbewegungen verhalten sich noch ann\u00e4hernd gleich. Die gemachten Versuche sind, res\u00fcmieren wir, insofern nicht v\u00f6llig \u201erein\", als es unentschieden bleibt, ob oder wie das Resultat abh\u00e4ngt von der Vorstellung des Beobachters von den vorhandenen Raumobjekten. Wenig bedeuten doch die peripher sichtbaren \u201enebens\u00e4chlichen\" Konturen und Gegenst\u00e4nde ; irgendwie an der Vorstellung von dem weifsen Feld und dem fixierten Hintergrund, den Hauptobjekten f\u00fcr die Aufmerksamkeit, mufs der etwaige Einflufs gebunden sein. Dafs in der Tat die Vorstellung von ihrer Tiefenlage im Sehraume, ihrer Entfernung vom Beobachter1 wesentliche Bedeutung hat, zeigen entsprechende Ab\u00e4nderungen des Versuchs.\n2. Werden nach Wegnahme der Linse, also bei endlichem Beobachtungsabstand, sonst gleiche Versuche angestellt, so geht in der Verschiebung des Papillarskotoms gegen das weifse Feld nunmehr der Winkel ein, welchen die Verbindungslinie zwischen den Mittelpunkten der scheinbaren Pupille und des weifsen Feldes\nHier\u00fcber unterrichtet der Vergleich zwischen der Ortsver\u00e4nderung\ndes Auges und der dabei beobachteten scheinbaren Verschiebung des weifsen Feldes.","page":428},{"file":"p0429.txt","language":"de","ocr_de":"Kompensatorische Gegenwendung der Augen hei spontan bewegtem Kopfe. 429\nbeschreibt. Allein diese Komplikation ber\u00fchrt bei geeignetem Verfahren, eben zufolge der Eigenart der Blickkompensation, die Untersuchung praktisch nicht. Denn der Beobachter kann stets eine solche Stellung einnehmen, dafs in der Anfangs- und Endlage des Kopfes (bei dessen Drehung) die Distanz zwischen dem Zentrum des weifsen Feldes und dem w\u00e4hrend der Drehung unver\u00e4ndert gedachten Blickpunkt (auf dem Schirm) unter gleichem Gesichtswinkel erscheint. Dies ist der Fall, wenn das Pupillen Zentrum am Anfang und Ende der Drehung auf einer Kreislinie liegt, welche bei Seitenwendung zudem durch das Feldzentrum und den Blickpunkt geht, bei Hebung und Senkung aber die zwischen letztgenannten Punkten gezogene Gerade zur Achse hat. Im Laufe der Drehung macht hierbei das weifse Feld, im Gesichtsfelde, eine hin- und zur\u00fcckgehende Exkursion von dem Blickpunkt weg, welche Exkursion jedoch f\u00fcr m\u00e4fsige Beobachtungsabst\u00e4nde fast unmerklich klein ist. Es k\u00f6nnen die vorgeschriebenen Bedingungen unschwer in solcher Approximation eingehalten werden, dafs f\u00fcr m\u00e4fsige Beobachtungsabst\u00e4nde die Abweichungen von den bezweckten Verh\u00e4ltnissen gegen die Ungenauigkeit der Beobachtung zur\u00fccktreten. Ich pflegte den Blickpunkt provisorisch zu markieren durch die auf den Schirm gesetzte Spitze eines Zeigestabes. Unter Fixation darauf wurden Kopfdrehungen gemacht, wobei ich auf Zu- und Abnahme des sichelartig neben dem Papillarskotom sichtbaren Feldes achtete; nach einigem Probieren ergab sich die richtige Orientierung, daran gekennzeichnet, dafs die Feldsichel vor und nach der Drehung gleich grofs war.1 Nach Wegnahme des Fixierzeichens fingen sodann die Beobachtungen an. Diese fanden zun\u00e4chst statt bei Zimmerbeleuchtung, d. h. unter Sichtbarkeit des Schirms usw. ; der Beobachtungsabstand wechselte zwischen 12 und 11I2 m. Es ergaben sich, wenn ich geh\u00f6rig auf den Blickpunkt (am Schirm) auf merkte (und wenn Erm\u00fcdung noch nicht im Spiele war), an Richtung und Gr\u00f6fse gleiche oder selbst geringere Winkelexkursionen des Skotoms relativ zum weifsen Felde, wie in fr\u00fcheren Versuchen. Dies gibt eine ganz andere, ausgiebigere Blickkorrektion an, und zwar eine solche, dafs die Hauptblickrichtung\n1 Die kleine perspektivische \u00c4nderung des Feldes ist offenbar belanglos.","page":429},{"file":"p0430.txt","language":"de","ocr_de":"Hans Gertz.\n(von jenen Exkursionen abgesehen) den Schirm fortw \u00e4h rend in demselben Punkt, dem unver\u00e4ndert bleibenden Blickpunkt, trifft. Bemerkenswerterweise hat man, oder wenigstens habe ich bei diesem Versuch ein bestimmtes Gef\u00fchl von ..Innervationsaufwand\u201c zum Fixieren, ein sonderartiges Be-wufstsein, dafs ich den Blick auf einen Punkt des Grundes eingestellt zu halten versuche. Ich kann auch gleichsam intentionslos gegen den Grund schauen, wobei die Kompensation in \u00e4hnlicher Weise \u2014 als Parallelf\u00fchrung der Blicklinie, unter grofser Verschiebung des Skotoms gegen das Feld \u2014 erfolgt wie beim Fernsehen. Letzterer Zustand stellt sich nach einiger Dauer des Experimentierens, namentlich wenn der Beobachtungsabstand kurz und die Drehungsgeschwindigkeit grofs ist, mehr und mehr zwangsweise, endlich unwiderstehlich ein, offenbar der Ausdruck f\u00fcr fortschreitende Erm\u00fcdung des t\u00e4tigen nerv\u00f6sen Mechanismus. Auch bemerke ich bei jenen Versuchen eine weit geringere H\u00e4ufigkeit unwillk\u00fcrlicher, mit der Drehung assoziierter Blickwendungen; diese erschienen nicht wie fr\u00fcher in Mehrzahl, sondern als Ausnahmen.1 Bei alleiniger Sichtbarkeit des weifsen Feldes \u2014 im Dunkelzimmer \u2014 fielen die Feldexkursionen oft gr\u00f6fser aus, etwa in dem Betrage, welcher eine Parallelf\u00fchrung der Blicklinie angibt. Es gen\u00fcgte doch, sich lebhaft und bestimmt die N\u00e4he der Blickfl\u00e4che vorzustellen (womit sich gewifs entsprechende Konvergenz der Blicklinien assoziiert), um die Feldverschiebung viel kleiner oder minimal zu machen. Fine gute Verfahrungsweise hierzu ist, seine (im Dunklen unsichtbare) Hand oder die Zeigefingerspitze auf dem Schirm (mit dem Feld) zu setzen und Fixation darauf zu intendieren. Sonst kann ich \u00fcbrigens, was bemerkenswert ist, nach der eben beobachteten Verschiebung des Feldes die V orstellung von dessen Abstande einigermafsen korrigieren, und die folgende Feldexkursion demgem\u00e4fs vermindern. Wird das weifse leid ganz innerhalb des Papillarskotoms verlegt, so sind alle Seheindrucke, mithin der Einflufs sowohl des direkten als indirekten Sehens aufser Spiele. Hier, im Dunkelzimmer, scheint also mit der Mangel an Sehobjekten (und dem\n1 Die stetige Frequenzabnahme solcher Blickwendungen im Laufe der ganzen Untersuchung deutet noch auf Einflufs der \u201e\u00dcbung\u201c, was auf sukzessiv bessere Beherrschung der Aufmerksamkeit und zunehmende Festigkeit der Fixationsintention hinauskommen d\u00fcrfte.","page":430},{"file":"p0431.txt","language":"de","ocr_de":"Kompensatorische Gegenwendung der Augen bei spontan bewegtem Kopfe. 431\nAusschlufs des Binokularsehens) eine \u2014 freilich sehr undeutliche, kaum recht bewufste \u2014 Vorstellung von relativer Ferne, die Projektion des fast leeren Gesichtsfeldes in die Ferne, sich zu verbinden. Hiermit verwandt ist vielleicht die wohlbekannte Erscheinung, dafs im Dunklen (z. B. beim Ophthalmoskopieren) die Akkommodation schnell zu Ruhe kommt.\nEndlich sei das Feld weit (einige Meter) entfernt, der Blickpunkt aber (auf merkpunktslosem Grund) relativ nahe (z. B. 1/2 m entf.): dann erfolgen die Exkursionen des Feldes \u2014 wenn ich geh\u00f6rig auf den Blickpunkt aufmerke \u2014 ausgiebig in gleicher Richtung wie das Gesicht, was die Drehung der Blicklinie um einen n\u00e4her (als das Feld) gelegenen Punkt an zeigt.\n(Sclilufs folgt in Bd. 48, Heft 1/2.)","page":431}],"identifier":"lit33626","issued":"1913","language":"de","pages":"420-431","startpages":"420","title":"\u00dcber die kompensatorische Gegenwendung der Augen bei spontan bewegtem Kopfe [Erster Teil]","type":"Journal Article","volume":"47"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:28:54.989582+00:00"}