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{"created":"2022-01-31T16:52:55.342410+00:00","id":"lit33648","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Hegner, C. A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 49: 18-28","fulltext":[{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18\n(Aus der Universit\u00e4ts-Augenklinik Jena [Direktor: Prof. Dr. W. Stock].)\n\u2022 \u2022\nUber angeborene einseitige St\u00f6rungen des\nFarbensinns.\nVon\nDr. C. A. Hegner.\nDie angeborenen St\u00f6rungen des Farbensinns zeigen im allgemeinen f\u00fcr jedes einzelne Auge eines Individuums das gleiche Verhalten. Abweichungen von dieser Regel sind bis jetzt so \u00fcberaus selten zur Beobachtung gekommen, dafs wir nur wenige derartige F\u00e4lle in der Literatur mitgeteilt finden. Trotzdem k\u00f6nnen wir annehmen, dafs einseitige St\u00f6rungen des Farbensinns oder Verschiedenheiten im Farbenempfinden der beiden Augen \u00fcberhaupt h\u00e4ufiger Vorkommen, als man auf Grund der bisherigen Erfahrungen anzunehmen geneigt ist. Denn die Methoden, die eine exakte Pr\u00fcfung des Farbensinns erm\u00f6glichen, sind noch relativ neu, und anderseits hat man auf eine genaue Untersuchung jedes einzelnen Auges im allgemeinen keinen grofsen Wert gelegt. Die wenigen bis jetzt mitgeteilten F\u00e4lle und die hier n\u00e4her zu er\u00f6rternden Untersuchungen beweisen aber, dafs Verschiedenheiten im Farbenempfinden beider Augen zwischen einer eben noch einwandfrei festzustellenden, geringen einseitigen Farbenschw\u00e4che bis zur totalen einseitigen Farbenblindheit variieren k\u00f6nnen.\nv. Hippel (4) hat im Jahre 1880 eine seltene Beobachtung einer einseitigen kongenitalen Rot-Gr\u00fcnblindheit mitgeteilt, welche mit allen damals zur Verf\u00fcgung stehenden Methoden untersucht wurde. Der Patient, ein 17j\u00e4hriger junger Mann","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"Uber angeborene einseitige St\u00f6rungen des Farbensinns.\n19\nlitt an Strabismus div., hatte kein binokulares Sehen, das Schielauge war amblyop. Auf dem rechten, amblyopen Auge konnte eine typische Rot-Gr\u00fcnblindheit nachgewiesen werden, w\u00e4hrend das linke Auge ein ganz normales Farbenempfinden hatte. Schon vor v. Hippel waren zwei \u00e4hnliche Mitteilungen publiziert, und zwar konnte 0. Becker (2) an Hand seiner Beobachtung als erster den Nachweis erbringen, dafs sogar einseitige totale Farbenblindheit angeboren Vorkommen kann. Womow (1), dem wir eine grofse Reihe von klinisch und theoretisch wertvoller Arbeiten auf dem Gebiete des Farbensinns und seiner St\u00f6rungen verdanken, diagnostizierte bei einer Patientin eine einseitige Gr\u00fcnblindheit ; doch ist von v. Hippel und auch von anderer Seite beanstandet worden, dafs eine gen\u00fcgend exakte und eingehende Pr\u00fcfung dieses Falles nicht Vorgelegen habe, dafs derselbe also nicht als einwandfrei angesehen werden k\u00f6nne.\nEinseitige Farbenschw\u00e4che beschrieb auch Kolbe (6), und aus dem gleichen Jahr stammt eine Mitteilung von Hebmann (7) \u00fcber einen \u00e4hnlichen Fall wie der v. Hippels. Eine sehr merkw\u00fcrdige Anomalie ist ferner durch Piper (10) bekannt geworden, n\u00e4mlich eine totale Farbenblindheit des Netzhautzentrums auf dem einen Auge und eine Violettblindheit auf dem anderen Auge.\nSchliefslich sei noch eine Mitteilung erw\u00e4hnt, worin Snell (9) bei einem M\u00e4dchen eine einseitige Rot-Gr\u00fcnblindheit fand, eine Beobochtung, die den Autor auch mit Recht veranlafst auf die Notwendigkeit einer gesonderten Untersuchung der beiden Augen auf ihre Farbent\u00fcchtigkeit nachdr\u00fccklich hinzuweisen.\nAuch erworbene einseitige St\u00f6rungen des Farbensinns sind mehrfach zur Beobachtung gekommen, wie die interessanten F\u00e4lle von Hess (8), K\u00f6llneb(II) u. a. beweisen. Doch soll hier auf diese F\u00e4lle nicht n\u00e4her eingegangen werden.\nVor einiger Zeit konnte ich gelegentlich einer Untersuchung am Anomaloskop bei einem Patienten eine auffallende Verschiedenheit im Farbensinn der beiden Augen beobachten:\nDer Stud. W. kam in Februar 1914 in die Sprechstunde, um sich ein Brillenglas verordnen zu lassen. Die Refraktion und die Sehsch\u00e4rfe verhalten sich auf beiden Augen gleich, mit einem Konkavglas von 2,5 dptr sieht W. 5/5. Der fundus ist bds. normal.\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nC. A. Hegner.\nDie Pr\u00fcfung des Farbensinns, die in systematischer Weise angestellt wurde, ergab am Anomaloskop eine auffallende Verschiedenheit der Farbengleichung f\u00fcr das rechte und das linke Auge. Das rechte Auge verwirft die Dichromaten- und die Ano-malen-Gleichungen ohne weiteres und stellt eine einwandsfreie Normalengleichung ein.\nDas linke Auge zeigt aber sofort ein ganz anderes Verhalten. Am Anomaloskop wird folgende Gleichung aufgestellt: Linke Schraube 69, rechte Schraube 9, also eine Gleichung, welche f\u00fcr den extrem Protanomalen typisch ist. Wird der Patient aufgefordert, diese eingestellte Gleichung mit dem rechten Auge zu betrachten, so wird sie sofort verworfen und nur die Normalengleichung angenommen.\n\u00c4hnlich ist das Verhalten bei der Pr\u00fcfung mit den Nagel-schen Proben und den STiLLiNGschen Pseudo-Isochromatischen Tafeln. W\u00e4hrend die NAGELschen Proben mit dem rechten Auge ohne weiteres bestanden werden, erweist sich das linke Auge auch hier als deutlich rotanomal. Von den STiLLiNGschen Tafeln werden mit dem linken Auge eine grofse Zahl gar nicht, andere nur mit M\u00fche gelesen, w\u00e4hrend das rechte Auge diese Proben ohne weiteres besteht.\nDas linke Auge zeigt auch noch in anderer Hinsicht ein f\u00fcr Farbenschw\u00e4che charakteristisches Verhalten. Guttmann(16) hat als erster darauf aufmerksam gemacht, dafs der Farbenschwache zur richtigen Erkennung einer Farbe auf eine l\u00e4ngere Einwirkung des Lichtreizes angewiesen ist als der Normale. Ich habe eine \u2014 demn\u00e4chst zu beschreibende \u2014 Vorrichtung getroffen, die in sehr einfacher Weise gestattet, verschiedene farbige Lichter einen beliebig kurzen Moment auf die Netzhaut einwirken zu lassen. Die Pr\u00fcfung an diesem Apparat ergab, dafs ein blitzschnell auftretendes rotes Licht geringer Intensit\u00e4t mit dem linken Auge nicht erkannt wird, sondern erst, wenn man die Zeit der Einwirkung etwas verl\u00e4ngert. Das rechte Auge hingegen hat absolut keine Schwierigkeiten, diese blitzschnell auftretenden farbigen Lichter richtig zu erkennen.\nAufser diesem Befund ergaben sich noch folgende bemerkenswerte anamnestische Einzelheiten. Der Patient hatte in seiner Jugend nie etwas von einer St\u00f6rung des Farbensinns gewufst. Erst vor etwa 6 Monaten kam ihm das ungleiche Verhalten der beiden Augen zum Bewufstsein, bei der Betrachtung eines roten","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber angeborene einseitige St\u00f6rungen des Farbe7isinns.\n21\nPlakates ans gr\u00f6fserer Entfernung. Bei dieser Gelegenheit fiel ihm auf, dafs, wenn er mit dem rechten Auge fixierte, die rote Farbe viel heller erschien als bei der Betrachtung mit dem linken Auge. Seither beobachtete sich Patient sehr genau, machte h\u00e4ufig Vergleiche zwischen den beiden Augen und konnte beispielsweise feststellen, dafs bei der aufmerksamen Betrachtung des Abendhimmels, der in letzter Zeit oft reich an Farbeneffekten war, je nach dem beobachtenden Auge ganz verschiedene Farbenempfinden ausgel\u00f6st wurden. Am auff\u00e4lligsten manifestierte sich diese Eigent\u00fcmlichkeit, wenn es sich um die Unterscheidung, von zarten insbesondere violetten T\u00f6nen handelte.\nVon Bedeutung ist wohl auch die Angabe, dafs Patient seit 5 Semestern andauernd intensive mikroskopische Studien treibt, wobei er auf die Unterscheidung feiner Farbennuancen angewiesen ist. Patient mikroskopiert ausschliefslich mit dem rechten Auge. Im Anfang seiner mikroskopischen T\u00e4tigkeit soll er bisweilen feinere Farbenunterschiede nicht einwandfrei erkannt haben, so dafs ihn einmal der leitende Professor gefragt haben soll, ob er farbenblind sei. Insbesondere wurde von ihm anf\u00e4nglich ein bei seinen mikroskopischen \u00dcbungen bisweilen vorkommendes zartes Violett nicht erkannt. Nach einiger Zeit jedoch bekam er eine gr\u00f6fsere Sicherheit, so dafs ihm nach seiner \u00dcberzeugung heute nicht mehr der geringste Farbenunterschied entgehen w\u00fcrde.\nHering (15) hat zur genauen Untersuchung einseitiger Farbensinnst\u00f6rungen eine Methode angegeben, welche erlaubt, eine binokulare Farbengleichung aufzustellen. Der Apparat bietet jedem Auge einzeln zwei farbige Fl\u00e4chen dar, deren Helligkeit und Farbenton beliebig variiert werden k\u00f6nnen. Zum Vergleich der Farbenempfindung der beiden Augen eignet sich aber auch sehr gut das WHEATSTONEsche Stereoskop in seiner urspr\u00fcnglichen und modifizierten Form. Dieses besteht bekanntermafsen aus zwei ebenen Spiegeln von quadratischer Form, welche in einem Winkel von 90\u00b0 gegeneinander geneigt sind. Die Spiegel stehen in der Mitte eines horizontalen Laufbrettes, welches an seinen Enden zwei untereinander parallele Bildtafeln tr\u00e4gt. Diese lafeln stehen somit unter einem Winkel von 45\u00b0 zu den Spiegelfl\u00e4chen und darauf angebrachte Zeichnungen werden in gleicher Entfernung hinter den Spiegelfl\u00e4chen wahrgenommen. Eine Drehung der beiden Laufbretter um die vertikale Achse erm\u00f6glicht eine beliebige Verschiebung der beiden Spiegelbilder. Der Versuch","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nC. A. Regner.\nwurde nun so angestellt, dafs auf jedem Bildtr\u00e4ger eine halbkreisf\u00f6rmige Fl\u00e4che von 2 cm Durchmesser angebracht wurde, so dafs bei der binokularen Betrachtung die beiden H\u00e4lften einander genau ber\u00fchrten und sich zu einer kreisf\u00f6rmigen Scheibe erg\u00e4nzten. Durch diese Nebeneinanderstellung lassen sich die Eindr\u00fccke des linken und rechten Auges direkt vergleichen. Wenn nun dem Patienten zwei hellrote Felder dargeboten wurden, erschien die dem linken Auge zugeh\u00f6rige H\u00e4lfte deutlich \u201ematter\u201c und \u201edunkler\u201c. Wurden zwei gr\u00fcne Felder genommen, so erschien das dem linken Auge entsprechende mehr graugr\u00fcn, fahl im Vergleich zum Hellgr\u00fcn der rechten Seite. (Die weiteren noch beabsichtigten Versuche konnten wegen der Abreise des Patienten nicht mehr ausgef\u00fchrt werden.)\nAus den erw\u00e4hnten Untersuchungsresultaten geht hervor, dafs wir es mit einem jener sehr seltenen F\u00e4lle zu tun haben, bei denen sich die St\u00f6rung des Farbensinns auf ein Auge beschr\u00e4nkt. Es liegt ein linksseitiges protanomales System vor. Da keine ophthalmoskopisch wahrzunehmende Sch\u00e4digung des linken Auges im Bereich der Netzhaut und des Optikus nachgewiesen werden kann, das Sehverm\u00f6gen mit Korrektion normalen Wert hat, so ist anzunehmen, dafs eine kongenitale St\u00f6rung des Farbensinns vorliegt, auch stimmt das ganze Verhalten des linken Auges den verschiedenen Pr\u00fcfungsmethoden gegen\u00fcber ganz mit dem des angeborenen Rotanomalen \u00fcberein.\nM. E. sind die anamnestischen Angaben des Patienten f\u00fcr die Beurteilung des Falles von grofser Bedeutung. Sie recht-fertigen die Vermutung, dafs die heute festzustellende Verschiedenheit der Funktionen beider Augen m\u00f6glicherweise nicht der urspr\u00fcngliche Zustand war. Es l\u00e4fst sich nat\u00fcrlich heute nicht mehr nach weisen, in welchem Grade der Farbensinn des rechten Auges urspr\u00fcnglich mit dem des normalen in \u00dcbereinstimmung war. Es ist aber nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, dafs \u2014 in \u00dcbereinstimmung mit den pers\u00f6nlichen Beobachtungen des Patienten \u2014 der Farbensinn des rechten Auges fr\u00fcher ebenfalls mangelhaft war, oder dafs sogar eine beiderseits gleich starke kongenitale Farbenschw\u00e4che bestanden hat, welche sich nun auf dem rechten Auge allm\u00e4hlich ausgeglichen hat.\nEine solche Annahme widerspricht zwar den meisten heutigen Anschauungen \u00fcber die Prognose der angeborenen Farbenschw\u00e4che und Farbenblindheit. Im allgemeinen gilt es als un-","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber angeborene einseitige St\u00f6rungen des Farbensinns.\n23\numst\u00f6fsliche Regel, dafs eine kongenitale Farbensinnst\u00f6rung h\u00f6chstens etwas weniger manifest werden k\u00f6nne dadurch, dafs die Patienten allm\u00e4hlich lernen, auf feine Helligkeitsunterschiede zu achten, dafs die t\u00e4glichen Erfahrungen in bezug auf die Bezeichnung farbiger Gegenst\u00e4nde ihnen eine gewisse, oft sehr beachtenswerte Sicherheit in der Unterscheidung von verschiedenen Farbeneffekten gibt. Die M\u00f6glichkeit einer wirklichen Besserung der Farbenschw\u00e4che oder der Farbenblindheit oder gar einer v\u00f6lligen Heilung derselben, wird im allgemeinen von der Hand gewiesen. Tats\u00e4chlich lehrt auch die Erfahrung, dafs in der Regel der Farbenunt\u00fcchtige seinen Defekt bis an sein Lebensende unver\u00e4ndert beh\u00e4lt.\nTrotzdem ist m. E. in unserem Fall eine Besserung des Farbensinns, wrenn auch nicht als bewiesen, so doch als m\u00f6glich in Betracht zu ziehen. Auch wenn sich diese Annahme nur auf die anamnestischen Angaben st\u00fctzt, so d\u00fcrften diese doch einen gewissen beweisenden Wert beanspruchen, da es sich um einen sehr intelligenten Patienten handelt, der ein zuverl\u00e4ssiger und scharfer Beobachter ist. Es ist in der Tat sehr bemerkenswert, dafs vor 2 x/2 Jahren bei der Erkennung von feineren Farbenunterschieden auch f\u00fcr das rechte Auge gewisse Schwierigkeiten bestanden, und dafs dann im Verlauf der mikroskopischen Arbeiten der Farbensinn immer besser wurde. Auff\u00e4llig ist ja das Zu-* sammentreffen, dafs das rechte Auge, welches seit l\u00e4ngerer Zeit ausschliefslich f\u00fcr die mikroskopischen Arbeiten in Anspruch genommen wurde, effektiv einen normalen Farbensinn aufweist. Sollte da nicht die M\u00f6glichkeit vorliegen, dafs durch diese andauernde systematische T\u00e4tigkeit, welche eine scharfe und aufmerksame Beobachtung der Farben und Farbenunterschiede erfordert, eine Vervollkommnung fr\u00fcher mangelhafter Funktionen eingetreten ist? Die klinische Erfahrung zeigt uns ja analoge Vorkommnisse in gen\u00fcgender Zahl: Es sei hier nur an die kongenitale Amblyopie erinnert, bei welcher durch systematische \u00dcbungen in vielen F\u00e4llen eine \u00fcberraschende Besserung erzielt werden kann. Es w\u00e4re somit auch die Annahme gerechtfertigt, dafs wie die lichtempfindenden Elemente der Netzhaut unter g\u00fcnstigen Bedingungen eine Steigerung der Funktionst\u00fcchtigkeit erfahren k\u00f6nnen, dies auch bei den farbenempfindenden Elementen der Fall sein kann.\nDiesen Standpunkt hat schon Favbe(3) mit grofser Ent-","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nC. A. Hegner.\nschiedenheit vertreten. Er sieht in der Farbenblindheit einen angeborenen Zustand, der aber durch eine zweckm\u00e4fsige Bet\u00e4tigung der Heilung zug\u00e4nglich ist. Tats\u00e4chlich konnte er auch von verschiedenen F\u00e4llen berichten, bei denen er die Farbenblindheit mit Erfolg therapeutisch beeinflussen konnte. In dem einen Fall handelt es sich um einen jungen Matrosen, der Rot-Gr\u00fcnblind war, im anderen Falle um einen 8j\u00e4hrigen Knaben. Beide sollen durch methodische Farben\u00fcbungen vollst\u00e4ndig geheilt worden sein.\nDafs eine dauernde Inanspruchnahme des Farbensinns z, B. durch gewohnheitsm\u00e4fsige Besch\u00e4ftigung mit farbigen Gegenst\u00e4nden, wie es z. B. in der Seidenindustrie usw. der Fall ist, zu einem guten Farbensinn f\u00fchren kann, glaubt auch Kroll (14) aus seinen Untersuchungen schliefsen zu d\u00fcrfen. Als Beweis f\u00fcr seine Annahmen wird die Tatsache angef\u00fchrt, dafs unter einer grofsen Reihe von Arbeitern, welche in ihrer T\u00e4tigkeit best\u00e4ndig mit farbigen Gegenst\u00e4nden zu tun haben, eine auff\u00e4llig geringe Zahl von Farbenschwachen und Farbenblinden nachgewiesen werden konnten. Die Angaben Krolls k\u00f6nnen zwar nicht als unbedingt beweisend gelten, da wohl auch bei Arbeiten, welche ein gutes Farbensehen notwendig machen, die Farbenblinden sich von selbst, wenigstens z. T. elimenieren, da sie den gestellten Anforderungen nicht gerecht werden k\u00f6nnen. Immerhin sind die statistischen Erhebungen Krolls sehr beachtenswert, bes. im Hinblick auf die erw\u00e4hnten Beobachtungen.\nWenn auch nach den bisherigen Erfahrungen Monochromaten oder ausgesprochene Dichromaten einer wirksamen Therapie kaum zug\u00e4nglich sind, so legen immerhin die in der Literatur angef\u00fchrten Beobachtungen und die anamnestischen Einzelheiten bei dem Patient W. den Gedanken nahe, dafs der Anomale, der leicht Farbenschwache durch geeignete Mafsnahmen einer funktionellen Besserung zug\u00e4nglich ist. Es brauchen ja beim anomalen Dichromaten nicht unbedingt organische Ver\u00e4nderungen der farbenempfindenden Elemente im Spiele zu sein ; die Annahme einer gewissen Unterfunktion derselben (analog der kongenitalen Amblyopie) ist m. E. wahrscheinlich und berechtigt. Eine einwandfreie Entscheidung dieser Fragen w\u00e4re nat\u00fcrlich dann gegeben, wenn es in unserem Fall gel\u00e4nge, durch entsprechende \u00dcbungen das linke Auge farbent\u00fcchtig zu machen. Jedenfalls soll der Versuch gemacht werden. Der Patient ist angewiesen","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber angeborene einseitige St\u00f6rungen des Farbensinns.\n25\nworden, systematische \u00dcbungen vorzunehmen, insbesondere soll derselbe veranlafst werden, f\u00fcrderhin alle seine mikroskopischen Beobachtungen nun ausschliefslich mit dem linken Auge vorzunehmen. Es ist dann ohne weiteres anzunehmen, dafs, wenn das rechte Auge wirklich auf Grund der dauernden Inanspruchnahme des Farbensinns farbent\u00fcchtig geworden ist, dies mit Hilfe der gleichen Mittel auch beim linken Auge der Fall sein wird. Damit w\u00e4re eo ipso der Beweis erbracht, dafs in \u00dcbereinstimmung mit den vereinzelten in der Literatur niedergelegten Ansichten, die therapeutische Beeinflussung der Farbenschw\u00e4che nicht a priori aussichtslos sei. \u2014\nUm eine gewisse Orientierung \u00fcber die H\u00e4ufigkeit solcher einseitiger St\u00f6rungen zu erlangen, habe ich im Anschlufs an die oben mitgeteilte Beobachtung 50 m\u00e4nnliche Patienten verschiedenen Alters auf die Funktionen des Farbensinns gepr\u00fcft. Die Pr\u00fcfung geschah an Hand des Anomaloskops von Nagel, ferner an Hand der SriLLiNGschen pseudo-isochromatischen Tafeln und der NAGELschen Proben. Um zuverl\u00e4ssige Resultate zu bekommen, ist nat\u00fcrlich eine exakte Pr\u00fcfung mit allen uns heute zu Gebote stehenden und als einwandfrei anerkannten Methoden notwendig. Fs wird ganz zweckm\u00e4fsig sein, sich an den Gang der Untersuchungen, wie ihn K\u00f6llner(12) empfiehlt, zu halten. Zu den Pr\u00fcfungen wurden durchweg intelligentere Patienten herangezogen (zum grofsen Teil waren es Studenten), um eine gewisse Garantie f\u00fcr die Zuverl\u00e4ssigkeit der Angaben zu bekommen.\nAus meinen Untersuchungen ergab sich nun die bemerkenswerte Tatsache, dafs unter diesen 50 Patienten 10, also 20% eine deutliche Farbensinnst\u00f6rung aufwiesen. Davon waren 6% ausgesprochene Dichromaten, 4 % extrem Anomale und die \u00fcbrigen 10 % zeigten nur geringe aber immerhin deutlich nach-zuwTeisende St\u00f6rungen.\nEs d\u00fcrfte auf den ersten Blick sehr erstaunlich scheinen, dafs in einem so hohen Prozentsatz Abweichungen vom normalen Farbensin zu verzeichnen sind, doch lehrt ein Blick in die Literatur, dafs schon \u00e4hnliche Resultate bei exakt ausgef\u00fchrten Untersuchungen festgestellt wurden. Es sei hier die Zusammenstellung von K\u00f6llner (17) erw\u00e4hnt, welcher unter 100 M\u00e4nnern 20 mal gr\u00f6bere Abweichungen vom normalen Verhalten gefunden hat. Nach Rahlmann (18) sollen sogar 30\u201433% der M\u00e4nner kein einwandfreies Farbenempfinden haben. Meine Untersuchungs-","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nC. A. Hegner.\nergebnisse stimmen somit mit den angef\u00fchrten zumal mit denen von K\u00f6llnee \u00fcberein.\nWas aber von besonderem Interesse sein d\u00fcrfte, ist die Tat sache, dafs unter den untersuchten F\u00e4llen zwei eine ausgesprochene Verschiedenheit im Farbensinn der beiden Augen hatten.\nIm ersten hall handelt es sich um einen 19j\u00e4hrigen B\u00fcrogehilfen, der wegen einer Brille die poliklinische Sprechstunde aufsuchte. Beide Augen sind hypermetrop, das rechte Auge ist etwas amblyop (5/35+3,0). Der Augenhintergrund ist normal. Die Verschiedenheit im Farbensinn zeigte sich sofort bei der Pr\u00fcfung am Anomaloskop : Der Patient stellte mitdem rechten Auge eine typische Anomalengleichung ein, die aber sofort wieder verworfen wurde, wenn er mit dem linken Auge gepr\u00fcft wurde. Dieses verhielt sich sowohl am Anomaloskop als auch gegen\u00fcber den STiLLiNGschen und NAGELschen Proben als normal. Dagegen erwies sich das rechte Auge auch gegen\u00fcber diesen Proben als farbenschwach. Wenn beispielsweise beid\u00e4ugig die etwas schwerer zu erkennenden Zahlen der STiLLiNGschen Tafel gelesen wurden, und das linke Auge dann zugehalten wurde, war der Patient nicht mehr imstande, weiter zu lesen: das rechte Auge allein versagte bei einer Reihe von den STiLLiNGschen Proben. Analog war sein Verhalten den NAGELschen T\u00e4felchen gegen\u00fcber.\nEinen weiteren Fall von einseitiger Farbenschw\u00e4che repr\u00e4sentiert der Arbeiter R. F. Das Sehverm\u00f6gen ist auf beiden Augen normal. Auch objektiv bestehen keine Ver\u00e4nderungen. Am Anomaloskop erwies sich das rechte Auge als deutlich rotanomal und stellte bei jeder Pr\u00fcfung eine daf\u00fcr ganz typische Gleichung ein. Am linken Auge konnte nicht die geringste Abweichung vom normalen Farbenempfinden nachgewiesen werden.\nObwohl nun in diesem Falle auf dem rechten Auge eine vom Normalen abweichende Einstellung der Rayleighgleichung festgestellt wurde, zeigten sich mit den anderen Pr\u00fcfungsmethoden (Nagel, Stilling) keine Symptome von Farbenschw\u00e4che. Auf diesen scheinbaren Widerspruch haben auch Rosmanit (19) und K\u00f6llnee (17) aufmerksam gemacht, welche Autoren bei ihren Untersuchungen gelegentlich \u00e4hnliche Erfahrungen machen konnten. Das abweichende Verhalten gegen\u00fcber den verschiedenen Methoden l\u00e4fst sich, wie auch K\u00f6llnee mit Recht betont, daraus erkl\u00e4ren, dafs eben die Rayleighgleichung die sichersten Resul-","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"Uber angeborene einseitige St\u00f6rungen des Farbensinns.\n27\nt\u00e4te gibt und ein feineres Reagens auf St\u00f6rungen des Farbensinns darstellt, als wie die \u00fcbrigen Methoden. Somit ist ein Patient, wenn auch die NAGELschen und STiLLiNGschen Proben bestanden wurden, trotzdem als farbenschwach anzusehen, sofern er eine anomale Rayleighgleichung einstellt, wenn auch diese Anomalie f\u00fcr ihn keine grofse praktische Bedeutung hat.\nAufser diesen zwei angef\u00fchrten F\u00e4llen ergaben sich noch einzelne ganz leichte, eben noch angedeutete Schwankungen im Farbensinn der beiden Augen. Doch ist die Beurteilung, ob solche geringf\u00fcgige Abweichungen durch \u00e4ufsere Gr\u00fcnde bedingt sind, meistens sehr schwer. Von Interesse ist die Feststellung der Tatsache, dafs Verschiedenheiten im Farbenempfinden der beiden Augen offenbar nicht so selten, nach meinen Untersuchungen in 4\u00b0/o der untersuchten F\u00e4lle anzutreffen sind. Es erhebt sich nun vielleicht die Frage, welche praktische Bedeutung eine einseitig festgestellte Farbenunt\u00fcchtigkeit f\u00fcr den betreffenden Patienten hat. Ist ein solcher f\u00fcr eine Stellung im \u00f6ffentlichen Verkehrswesen, wie im Eisenbahn- und Schiffahrtsdienst untauglich? Wenn ein Auge eine gen\u00fcgende Farbent\u00fcchtigkeit aufweist, so wird er jene Gesichtsempfindung verwerten, welche ihm das normale Auge vermittelt. Denn aus den Untersuchungen der oben beschriebenen F\u00e4lle ist anzunehmen, dafs beim beid\u00e4ugigen Sehen der Farbensinn des normalen Auges mafsgebend ist, und dafs somit ein solcher Patient im beid\u00e4ugigen Sehen keine geringere Farbensicherheit hat als ein Normaler. Folglich wird der einseitig Farbenschwache \u2014 normale Sehsch\u00e4rfe vorausgesetzt \u2014 auch allen Anforderungen des Farbenerkennens ebensogut wie der Normale gen\u00fcgen k\u00f6nnen.\nLiteratur.\n1.\tWoinow, Klin. Monatsbl. 1871, S. 377.\n2.\tBecker. Ein Fall von angeborener einseitiger totaler Farbenblindheit.\nv. Graefes Archiv f. Ophth. 25, S. 205.\n3.\tFavre. Le traitement du Daltonisme cong\u00e9nital par l\u2019exercice chez\nl\u2019enfant et chez l\u2019adulte. Gaz. hebd. Nr. 6 und 7.\t1882.\n4.\tv. Hippel. Ein Fall von einseitiger kongenitaler Rot-Gr\u00fcnblindheit bei\nnormalem Farbensinn des anderen Auges, v. G y aefes Archiv 26, S. 176.\n5.\t\u2014. \u00dcber einseitige Farbenblindheit, v. Graefes Archiv f. Ophth. 27,\nS. 47.\n6.\tKolbe. Ein Fall von angeborener einseitiger Rot-Gr\u00fcnschw\u00e4che. Zen-\ntralbl. f. prakt. Augenheilk. 1882.","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nC. A. Hegner.\n7.\tHermann. Ein Beitrag zur Kasuistik der Farbenblindheit. Inaug.-Diss.\nDorpat 1882.\n8.\tHess. Untersuchung eines Falles von halbseitiger Farbensinnst\u00f6rung\nam linken Auge. v. Graefes Archiv f. Ophth. 36, S. 24.\n9.\tSnell. On the importance of the examination of the eyes separateley\nfor defects of colour vision. Brit. meet. Journ. 1, S. 222.\n10.\tPiper. Beobachtungen an einem Fall von totaler Farbenblindheit des\nNetzhautzentrums in einem und von Violettblindheit des anderen Auges. Zeitschr. f. Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorgane 38.\n11.\tK\u00f6llner. Beitr\u00e4ge zur Pathologie des Farbensinns. Erworbene totale\nFarbenblindheit mit Bericht \u00fcber einen weiteren Fall. Zeitschr. f. Augenheilk. 21, S. 193 u. 309.\n12.\t\u2014. Die St\u00f6rungen des Farbensinns. Berlin 1912.\n13.\tBr\u00fcckner und Kirsch. Experimentelle Untersuchungen \u00fcber die Farben-\nreizschwelle. Zeitschr. f Physiol, d. Sinnesorgane. 1912.\n14.\tKroll. \u00dcber die g\u00fcnstigen Erfolge der Ausbildung des Farbensinnes.\nZentralbl. f. prakt. Augenheilk. 6, S. 72.\n15.\tHering. Die Untersuchung einseitiger St\u00f6rungen des Farbensinnes\nmittels binokularer Farbengleichungen, v. Graefes Archiv f. Ophth. 36, S. 1.\n16.\tG\u00fcttmann. Untersuchungen \u00fcber Farbenschw\u00e4che. Zeitschr. f. Sinnes-\nphysiol. 42, S. 42.\n17.\tK\u00f6llner. \u00dcber das Grenzgebiet zwischen normalem Farbensinn und\nFarbenschw\u00e4che. Bericht \u00fcber die XXXVII. Vers, in Heidelberg.\n18.\tR\u00e4hlmann. a. a. 0. K\u00f6llner.\n19.\tRosmanit. Zur Farbensinnpr\u00fcfung im Eisenbahn- und Marinedienst.\nWien 1907. a. a. 0.\n20.\t. Zur Frage der bahn\u00e4rztlichen Farbensinnpr\u00fcfung. Wiener klin.\nWochenschrift 22. Nr. 24. 1909.","page":28}],"identifier":"lit33648","issued":"1916","language":"de","pages":"18-28","startpages":"18","title":"\u00dcber angeborene einseitige St\u00f6rungen des Farbensinns","type":"Journal Article","volume":"49"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:52:55.342415+00:00"}