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Über die gleitende (langsame) Augenbewegung

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{"created":"2022-01-31T16:50:54.925711+00:00","id":"lit33649","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Gertz, Hans","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 49: 29-58","fulltext":[{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"29\n(Aus den physiologischen Instituten in Lund und Stockholm.)\n\u2022 \u2022\nUber die gleitende (langsame) Angenbewegung.\nVon\nHans Gertz.\nDie normale F\u00fchrung des Blickes ist von zweierlei Art. Man bewegt denselben erstens mit grofser Schnelligkeit, ruckartig, vom einen fixierten Punkt zum anderen, und kann zweitens auch einem recht langsam bis rn\u00e4fsig geschwind bewegten Sehobjekt mit dem Blicke folgen. Der Unterschied besteht wesentlich darin, dafs die Drehungsgeschwindigkeit des Auges in jenem Falle sehr viel gr\u00f6fser, gewissermafsen von einer h\u00f6heren Gr\u00f6fsenordnung ist wie in diesem. Da die Augenbewegung im ersteren allzu schnell ist um als solche hervorzutreten, und vielmehr die Ruhelagen hier das markante Moment darstellen, so erscheinen diese als das charakteristische, \u2014 man nennt die Augenbewegung saccadiert, indem sie in ruckweisen Abs\u00e4tzen vor sich geht. Im letzteren Falle aber ist die relativ langsame Drehung des Auges das auff\u00e4llige Moment; man vermifst darin jede pl\u00f6tzliche \u00c4nderung und spricht demnach von \u201ekontinuierlicher\u201c Augenbewegung. Indessen erfolgt offenbar im ersten Falle die Bewegung, von einer Ruhelage zur n\u00e4chsten, ganz stetig \u2014 nur mit sehr grofser Geschwindigkeit \u2014, w\u00e4hrend andererseits im zweiten Falle Diskontinuit\u00e4ten der Geschwindigkeit m\u00f6glich erscheinen, z. B. wenn ein mit dem Blicke verfolgter K\u00f6rper durch Stofs eine vorausgesehene (vgl. unten) pl\u00f6tzliche Geschwindigkeit\u00e4nderung erf\u00e4hrt. Mithin w\u00e4re es wohl mehr ad\u00e4quat, die beiden Bewegungsarten als die schnelle und die langsame zu unterscheiden. Will man doch die sehr anschauliche Benennung saccadierte Augen-","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\nHans Gertz.\nbewegung beibehalten, d\u00fcrfte es sich empfehlen, die andere Bewegungsart etwa die \u201egleitende\u201c Blickf\u00fchrung zu nennen; ich finde den Charakter der Bewegung dadurch gut bezeichnet.\nAls Bedingung f\u00fcr das Zustandekommen der gleitenden Augenbewegung scheint man bisher allgemein die Gegenwart eines bewegten, mit direktem Blicke verfolgten Sehobjekes angesehen zu haben. \u201eDas Auge . . . vermag sich nicht ohne die St\u00fctze eines bewegten Fixationspunktes kontinuierlich zu bewegen.\u201c Zu diesem Schlufs kommt \u00d6hrwall 1 auf Grund einiger Beobachtungen hier\u00fcber. Indessen will \u00d6hrwall es nicht ohne weiteres f\u00fcr unm\u00f6glich erkl\u00e4ren, aber h\u00e4lt es bis auf weiteres f\u00fcr sehr unwahrscheinlich, dafs man durch besondere \u00dcbung die Fertigkeit, den Blick (ohne Fixationsst\u00fctze) kontinuierlich zu bewegen, erwerben k\u00f6nnte.\nNun sind jedoch die Versuche \u00d6hrwalls nicht genug variiert um jenen Schlufs sicherzustellen. Nur ist ohne weiteres klar, dafs obige Bedingung, wenn zudem die Objektbewegung weder allzu langsam noch allzu schnell vorausgesetzt wird, den \u201ead\u00e4quaten\u201c F all konstituiert : die gleitende Blickf\u00fchrung bei direkter Fixation eines \u201eordin\u00e4r\u201c schnell bewegten Sehobjektes ist die habituell ge\u00fcbte und damit auch die am meisten vollendete Form der fraglichen Augenbewegung.\nI.\n1. Es gelingt zun\u00e4chst sehr leicht, auf optischem Wege, aber ohne Fixationspunkt, das gleitende Blicken hervorzurufen. Ein bewegter gleichm\u00e4fsiger (merkpunktsloser) Schirm, dessen leere Fl\u00e4che man fixiert, bringt ebenfalls den Blick zu gleitendem Mitfolgen (welches doch wahrscheinlich ungenauer ist, wie beim Vorhandensein eines Fixationspunktes, was indessen hierher nicht geh\u00f6rt). Die Schirmfl\u00e4che kann, zum Versuche, so grofs genommen werden, dafs ein Hinblicken von ihrer Mitte auf die Randkontur bei Inspektion des Auges sicher hervortritt. \u00dcbrigens ist hierbei die (nicht allzu unintelligente) Versuchperson wohl stets deutlich bewufst, dafs sie in die leere Schirmfl\u00e4che und nicht auf deren Rand blickt. Mittels passender Herabsetzung der Beleuchtung auf den Schirm macht man, wenn n\u00f6tig, leicht etwa daran vorhandene schwache Merkpunkte unsichtbar und\n1 Skandinav. Archiv f. Physiol. 27. 1912. S. 304.","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die gleitende {langsame) Augenbewegung.\n31\nerzielt ein genau gleiehm\u00e4fsiges Aussehen desselben. W\u00e4hrend der Bewegung des Schirmes beobachtet man durch eine Lupe das \u2014 n\u00f6tigenfalls besonders beleuchtete \u2014 Auge der Versuchsperson. An der Bewegung der Skleralgef\u00e4fse, der Pupille, des Hornhautrandes oder des Hornhautreflexes (absolut oder gegen Lidr\u00e4nder oder Wimper) ist die gleitende Drehung des Auges leicht zu erkennen.\nIn einfachster Weise wird die Beobachtung vor einem Fenster angeordnet. Gegen dieses heben sich allein die Konturen des (undurchsichtigen) Schirmes ab, die schwache Beleuchtung der (vom Fenster ab- und der Vp. zugewendeten) Schirmfl\u00e4che sowie ihre breite Umrahmung mit hellem Licht machen jede nicht allzu markierte Zeichnung der Fl\u00e4che unsichtbar; auch erhalten die Augen der Vp. gute Beleuchtung. Mit Vorteil besorgt man dabei selbst die F\u00fchrung des Schirmes \u2014 mit der einen Hand, w\u00e4hrend die andere die Lupe h\u00e4lt, falls nicht diese letztere, wie es mit vielen ophthalmologischen Binokularlupen der Fall ist, mit Kopfreif aufgesetzt wird. Bei einer Winkelgr\u00f6fse des Schirmes von 30\u00b0 X 30\u00b0 (im Gesichtsfelde der Vp.) finde ich nun die Augenbewegung, wenn die Vp. mitten auf den Schirm sieht, in deutlichster Weise gleitend; so scheint allgemein der Fall zu sein, auch bei ganz unge\u00fcbten (nur von j\u00fcngeren Kindern abgesehen). Wird hierbei die Vp. veranlafst, auf den Rand des Schirmes zu blicken, so nimmt das beobachtete, gleitend bewegte Auge mit einem sehr auff\u00e4lligen Rucke die neue Richtung ein. Mittels dieser Probe kann man sich leicht \u00fcberzeugen, dafs die Vp. wirklich den Blick auf die Schirmfl\u00e4che, nicht auf den Rand, gerichtet h\u00e4lt. Die Gleitbewegung erfolgt in vielen F\u00e4llen ununterbrochen und gleich-m\u00e4fsig innerhalb recht grofser Blickwinkel, ganz gleich wie unter Fixation des Randes. Oder aber, und namentlich bei unge\u00fcbten Personen, bei vertikal gerichteter und langsamer Bewegung sowie bei langer Beobachtungsdauer, gleitet der Blick nur eine m\u00e4fsige Strecke, 10\u00b0\u201425\u00b0, ununterbrochen, steht dann einen Moment still oder macht einen winzigen Ruck, worauf derselbe wieder ein St\u00fcck gleitet. Dafs eine solche Diskontinuit\u00e4t nicht der Ausdruck ist f\u00fcr ein Hinblicken auf den Schirmrand, findet man leicht \u2014 falls nicht die Aussage der Vp. hierf\u00fcr zureichend erscheint \u2014 durch das schon erw\u00e4hnte Verfahren, die Vp. auf den n\u00e4chstgelegenen Teil des Randes hinblicken zu lassen, wobei eine ganz andersartige, viel breitere Blickexkursion erfolgt. \u00dcbrigens finden","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nHans Hertz.\nsich ebensolche Diskontinuit\u00e4ten in nicht geringer Zahl auch in der (genug ausgiebigen) Gleitbewegung unter direkter Fixation des bewegten Objektes, sind indessen im allgemeinen gr\u00f6ber und frequenter im Maise, wie die bewegte Kontur weiter exzentrisch gesehen wird. Dieselben werden sich unten vielfach begegnen, und zwar unter verschiedenen Umst\u00e4nden, denen aber gemeinsam ist, dafs die Augenbewegung unter weniger g\u00fcnstigen Bedingungen als im ad\u00e4quaten Falle geschieht; vornehmlich wird sie dadurch erschwert, dafs die Objektbewegung nicht mit voller Sch\u00e4rfe und Deutlichkeit aufgefafst, d. h. mehr oder weniger unsicher erkannt wird.\nAlso wird das Auge gleitend bewegt schon bei dem durch indirektes Sehen vermittelten Anblicke eines bewegten Gegenstandes. Und so ist der Fall, selbst wenn der Blick hierbei \u00fcber Merkpunkte streicht, und somit diese nach und nach momentan in den Fixationsbereich kommen. Denn obiger Versuch gelingt ebenso bei Anwendung (statt des Schirmes) einer merkpunktslosen, vor anderen Objekten gef\u00fchrten Glasplatte. Auch kann man den Fixationspunkt in der Luft aufserhalb des bewegten Gegenstandes nehmen und den Blick unter angen\u00e4herter Beibehaltung derselben relativen Lage gleitend f\u00fchren; man denke sich dabei den Fixationspunkt in fester Verbindung mit dem bewegten Objekt. Zu Selbstbeobachtung hier\u00fcber gibt es oft Gelegenheit. Man blicke auf einen Punkt etwas vor, \u00fcber oder hinter einem (in passender Entfernung) vorbeifahrenden Zug, Automobil oder Radfahrer und wird dann die ruhenden Terrainobjekte in ganz gleicher, nur scheinbarer und gegensinniger Bewegung sehen, wie das betreffende bewegte Objekt bei ruhiger Blicklage auszuf\u00fchren scheint.\nEine weitere Form des Versuches ergibt sich, wenn die zentrale Unterempfindlichkeit des d\u00e4mmerungssehenden Auges zur Ausschaltung der Fixation benutzt wird. In einem passend verdunkelten Zimmer wird vor einer schwarzen Wand oder Gardine ein mattschwarzer Schirm gef\u00fchrt, wobei auch Hand und Arm des F\u00fchrers dunkel bekleidet sind, so dafs in der obwaltenden Beleuchtung weder etwas von diesen Teilen noch die Schirmkontur der Vp. in auch nur angen\u00e4hert zentralem Sehen (sondern erst exzentrisch) sichtbar sind. Die schwarze Schirmfl\u00e4che tr\u00e4gt einige kleine bl\u00e4uliche Papierschnitzel, an Gr\u00f6fse und Helligkeit so gewT\u00e4hlt, dafs sie angen\u00e4hert zentral angeblickt ver-","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"Tiber die gleitende (langsame) Augenbewegung.\n33\nschwinden, aber indirekt gut sichtbar sind. Das Licht einer seitlich auf gestellten, sonst geh\u00f6rig abgeschirmten Lampe macht das eine Auge der Vp. der Beobachtung zug\u00e4nglich, w\u00e4hrend das andere von der Nase beschattet wird. Im beleuchteten (und beobachteten) Auge entsteht hierbei, wenn die Beleuchtung hinreichend sein soll, genug viel falsches Licht, um die Schnitzel vollst\u00e4ndig zu \u00dcberschleiern; dann sieht also nur das andere, beschattete Auge (exzentrisch) die Schnitzel \u2014 welchen die Vp. mit dem Blicke zu folgen hat. Hierbei bewegt sich das beobachtete (keine Bewegung sehende) Auge ausgiebig gleitend, ganz wie in dem oben besprochenen Hauptversuche.\nWeiter kann erwiesen werden, dafs auch die Merkpunkte und Konturen des bewegten Sehobjektes an sich nicht wesentlich sind. Dieselben k\u00f6nnen durch vollkommen kontinuierliche, sehr breite \u00dcberg\u00e4nge der Helligkeit ersetzt werden; das Blickfolgen beh\u00e4lt dennoch gleichen Charakter. Man etabliert die bezeichneten Versuchsbedingungen mit Hilfe stark dekorrigierender Gl\u00e4ser, exakter aber und zugleich einfacher durch folgendes Verfahren. Hinter einem grofsen, durchscheinenden, schirmartig aufgespannten Papier l\u00e4fst man eine mattierte oder papierbelegte Gl\u00fchlampe f\u00fchren. An der anderen, der Vp. zugewandten Seite erscheint dann ein vollkommen konturloser, diffus abt\u00f6nender Lichtfleck. Je nachdem die Lampe dem Papier mehr oder weniger nahe kommt, ist die zentrale Helligkeit des Fleckes gr\u00f6fser oder kleiner und dieser mehr oder weniger ausgepr\u00e4gt. Wenn nun der Lichtfleck, entsprechend der Bewegung der Gl\u00fchlampe, auf dem Papier hin und her wandert, so folgt die Vp. demselben mit gleitendem, in grofsen ununterbrochenen Z\u00fcgen langsam wanderndem Blicke, sofern der Fleck nicht allzu schwach und unbestimmt ist und nicht allzu langsam gef\u00fchrt wird. Gegen diese Extreme hin wird die Augenbewegung von gemischtem Typus, geschieht absatzweise, zum Teil gleitend, zum Teil auch in Saccaden, welche letztere im selben Mafse zunehmen oder vorwalten, wie man sich den genannten Extremen n\u00e4hert. Auch ist die relative Beteiligung der einen und anderen Bewegungsart individuell recht verschieden. Gewisse Personen f\u00fchren den Blick ausgiebig gleitend noch bei ziemlich ung\u00fcnstigen Versuchsumst\u00e4nden, wo andere ein von Saccaden frequent unterbrochenes Gleiten zeigen.\n2. Die Rolle, welche der Gesichtseindruck einer Bewegung f\u00fcr die Ausl\u00f6sung des Blickgleitens spielt, kann noch verschiedent-\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 49.\t3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nHans Gertz.\nlieh experimentell beleuchtet werden. Ich berichte zun\u00e4chst \u00fcber einige diesbez\u00fcgliche Selbstbeobachtungen, wobei n\u00f6tig ist, die Bemerkung vorauszuschicken, dafs ich seit lange die F\u00e4higkeit besitze, willk\u00fcrlich, ohne Beihilfe eines Bewegungseindruckes, den Blick nach rechts gleitend zu bewegen, w\u00e4hrend eine ebensolche Linksbewegung zur Zeit nun zu besprechender Beobachtungen unm\u00f6glich war und erst lange sp\u00e4ter angelernt wurde. Dementsprechend beziehen sich die folgenden Angaben auf Blickbewegung nach links. W\u00e4hrend etwa zwei Monaten zur Zeit, wenn die ersten Untersuchungen \u00fcber das in diesem Aufsatze behandelte Thema mich besch\u00e4ftigten, hatte ich zweimal t\u00e4glich eine Eisenbahnfahrt von 9 km hin und zur\u00fcck zu machen; Gegenstand der Beobachtung waren hierbei die Telegraphendr\u00e4hte und -Stangen neben der Bahn. Es hat keine Schwierigkeit, eine Stelle des Drahtes einige Meter hinter (oder vor) der Telegraphenstange im Blicke zu behalten, solange die hineilende Stange noch sichtbar ist. Wenn ich nun in solcher Weise der einen Stange nach der anderen nachfolgte, so dehnte sich bald, wie in unten zu beschreibender Weise zu erkennen war, dieses gleitende Nachfolgen des Blickes noch auf die n\u00e4chsten Momente aus, nachdem die Stange aus dem durchs Fenster \u00fcberblickbaren Bereich verschwunden war. Bei wiederholten Beobachtungen gen\u00fcgte nach und nach k\u00fcrzere Vorbereitung, und eine solche war endlich oft \u00fcberfl\u00fcssig, ja ich konnte selbst ohne die anf\u00e4ngliche St\u00fctze der Stange \u2014 mitten zwischen zwei, wo keine sichtbar war \u2014 den Draht mit gleitendem Blicke fixieren. So war auch der Fall bei Abwesenheit sonstiger, eine Fixationsst\u00fctze gew\u00e4hrender Merkpunkte im Terrain. Denn die Bahn ging durch weite, nackte Felder; die Beobachtung konnte oft in D\u00e4mmerung oder Nebel geschehen, wo die feine, schwache, ohnehin in weit indirektem Sehen erscheinende Zeichnung des Terrains ganz verschwand; die Aussicht auf den Zaun neben der Bahn wurde leicht mit einem passenden Gegenstand abgeschirmt. Somit zeichneten sich die Dr\u00e4hte und Stangen auf einem Grund ab, wo sonst nur Wolken, ferne H\u00e4user und B\u00e4ume sowie noch die Schmutzflecke und eventuell Regentropfen der Fensterscheibe, in D\u00e4mmerung auch die Reflexe der Kupeelichter vorhanden waren. Alle diese ann\u00e4hernd fixen Objekte (hierbei f\u00fcr die letzteren nat\u00fcrlich fixe Kopflage vorausgesetzt) lieferten mir das Kriterium der gleitenden Blickf\u00fchrung, indem sie n\u00e4mlich dabei","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber die gleitende (langsame) Augenbewegung.\n35\neine entsprechende Scheinbewegung in entgegengesetzter Richtung ausf\u00fchrten. Es war diese Scheinbewegung vollkommen gleich-m\u00e4fsig, eine durchaus \u00fcbereinstimmende fand statt, wenn ich einen Terrainpunkt etwas jenseits des Drahtes fixierte; fast unz\u00e4hlige Vergleiche habe ich hier\u00fcber gemacht. Die Scheinbewegung wrar, wie eben ausgesagt, im allgemeinen deutlich langsamer, wenn im beschriebenen Versuch der Draht, als wenn eine Stange fixiert wurde, wonach also in jenem Falle der Blick nicht an einem Punkt des Drahtes fest blieb, sondern etwas l\u00e4ngs diesem zur\u00fcckglitt.\nDer Versuchsbericht mufs mit einem nicht unwesentlichen Zusatze erg\u00e4nzt werden. Bei gewissen, keineswegs seltenen Gelegenheiten wollte der beschriebene Versuch \u2014 dem Drahte ohne Fixationsst\u00fctze mit gleitendem Blicke zu folgen \u2014 nicht gelingen, wie ich mich auch bem\u00fchte. Genaueres Achtgeben f\u00fchrte mich zur Einsicht, dafs ich dabei nicht die geh\u00f6rige, unmittelbare oder lebhafte Vorstellung von der Bewegung des Terrains auftreiben konnte. Das Hindernis kann allgemein als \u201eIndisposition\u201c bezeichnet werden ; dieselbe bestand aber, wie es mir unverkennbar vorkam, meist darin, dafs sich die Aufmerksamkeit gleichsam zwangsweise auf die Augen statt auf die Gegenst\u00e4nde aufsen richtete. Wenn der Versuch gelang, hatte ich ein deutliches Bewufstsein davon, dafs mein Aufmerken fast ungeteilt, in voller Energie an dem bewegten Drahte befestigt wTar, dafs ich mich viel lebhafter, tiefer oder mehr unmittelbar in die Anschauung desselben versenkte. Diese Vorf\u00e4lle liefsen mich auch zuerst bemerken, dafs die Gleitbewegung der Augen mit einem eigenartigen, ziemlich lebhaften Gef\u00fchl verbunden ist. Vorhandensein und Fehlen dieses Gef\u00fchls, wenn die Beobachtung gelang bzw. nicht, pr\u00e4gten sich sehr auff\u00e4llig gegeneinander aus.\nEs bot sich ferner Gelegenheit dar zu einer anderen, etwa gleichwertigen Beobachtung. Wenn der Zug dicht neben einer hohen Mauer, einem Zaun oder dergleichen vorbeieilte, so dafs der betreffende Gegenstand die ganze, wenigstens terrestre Aussicht einnahm, und dessen Einzelheiten bei unbewegtem Blicke, wegen ihrer N\u00e4he und der Geschwindigkeit des Zuges, ganz Zusammenfl\u00fcssen, dann l\u00f6ste die Intention zum Fixieren eine gleitende F\u00fchrung des Blickes aus, welche indessen viel langsamer erfolgte und nur den Effekt hatte, die Geschwindigkeit\nder betreffenden Details erheblich herabzumindern. So erschienen\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nHans Gertz.\ndie Latten eines hoch emporragenden, gegen den Himmel sichtbaren Gel\u00e4nders, wenn ich dessen obere horizontallaufende Leiste zu fixieren suchte, mit m\u00e4fsiger Geschwindigkeit dem Blicke vorbeizupassieren. Hier fehlen alle gleich schnell wie das Gesichtsfeld bewegte, also \u201efixierte\u201c Objekte, es gibt nur solche, die sich im Gesichtsfelde bewegen.\nWenn ich endlich die Reise nachts in vollem Dunkel machte und dann durchs Fenster den Erdboden anzusehen versuchte, so war bisweilen dieser vollkommen unsichtbar, aber das im Fenster sichtbare Spiegelbild des erleuchteten Koupee machte dennoch (bei ruhigem Kopfe) die charakteristische Scheinbewegung, womit das erw\u00e4hnte Gef\u00fchl des Blickgleitens verbunden war. Hier gibt es also gar keine sinnliche Wahrnehmung desjenigen bewegten Objektes, welchem der Blick zu folgen sucht; dasselbe wird nur vorgestellt. In der erstangef\u00fchrten dieser Selbstbeobachtungen war das bewegte Objekt (die Telegraphendr\u00e4hte) zwar sichtbar, seine Bewegung aber nicht, sondern ebenfalls vorgestellt.\n3. Analoge Versuche k\u00f6nnen folgendermafsen angestellt werden. Das Pendel eines Metronoms tr\u00e4gt oben einen leichten, in bezug auf die Drehungsachse des Pendels ringsektorartigen Kartonstreifen, in dessen Mitte ein V-f\u00f6rmiger (aus zwei gleichlangen , rechtwinklig zusammenstofsenden Spalten gebildeter) Doppelspalt ausgeschnitten ist. Unmittelbar davor, nach dem Beobachter zu, steht ein Kartonschirm, welcher gegen\u00fcber jenem Winkelspalt (bei Ruhelage des Pendels) einen vertikalen Schlitz hat. Der Grund hinter Pendelstreifen und Schirm mufs ziemlich hell sein. Bei den Schwingungen des Pendels passiert der Winkelspalt hin und her vorbei dem Schlitz, und wenn der Beobachter, w\u00e4hrend einer solchen Passage, den Blick mit einer Schnelligkeit, die nicht zu viel von der des Winkelspalts differiert, horizontal bewegt, so kommt ihm der Winkelspalt in anorto-s kopischer Verzerrung zum Vorschein. Der Basisbogen des Winkelspaltes, der um die Pendelaxe durch die Spaltenden gezogene Kreisbogen, erscheint w-fach verl\u00e4ngert oder verk\u00fcrzt, wenn w\u00e4hrend seiner Passage vorbei dem Schlitz das auf den Schirm projizierte Gesichtsfeld einen w-fach l\u00e4ngeren bzw. k\u00fcrzeren Bogen derselben Kreislinie zur\u00fccklegt. Die Schenkel des Winkelspalts bleiben dabei merklich (ann\u00e4hernd) gerade und gleich lang, falls die Geschwindigkeit der Blickbewegung nicht","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die gleitende (langsame) Augenbewegung.\n37\nzu viel variiert, wogegen schnellere \u00c4nderungen derselben sich durch entsprechend scharfe Kr\u00fcmmung oder Biegung, eventuell durch ungleiche L\u00e4nge (Neigung) der Spaltschenkel verraten. Somit gibt das Aussehen der verzerrten Figur recht eingehend Kunde von der gegenseitigen Bewegung des Winkelspaltes und des Blickes, w\u00e4hrend der Passage des ersteren vorbei dem Schlitz.\nZum Versuche mufs das Pendel ziemlich langsam schwingen; zweckm\u00e4fsig macht das Metronom (welches durchs Aufsetzen des Kartonstreifens l\u00e4ngere Schwingungsdauer, als der Graduierung entspricht, erh\u00e4lt), 60\u201480 Schl\u00e4ge pro Minute. Wird der schwingende Kartonstreifen \u00fcberall von dem Schirm verdeckt, ist mithin seine Bewegung (von der des Winkelspaltes im Schlitze abgesehen) unsichtbar, so kann wohl niemand, der nicht sonst die F\u00e4higkeit dazu hat (wie ich, zur Zeit dieser Versuche, f\u00fcr Blickbewegung nach rechts) die Augen so bewegen, dafs die Winkelfigur zum Vorschein kommt. Man f\u00fchrt hier den Blick saccadiert, mit grofser Geschwindigkeit, wodurch die anortoskopische Figur auf einer sehr langen Strecke ausgedehnt und darum unkenntlich wird. Um sie zum anortoskopischen Sichtbarmachen des Winkelspalts ad\u00e4quate, gleitende Blickf\u00fchrung zu erm\u00f6glichen, gen\u00fcgt es f\u00fcr gewisse Personen, wenn der Kartonstreifen an jeder Seite des Schirmes frei sichtbar hinausschl\u00e4gt, aber das Erscheinen des Winkelspalts im Schlitze ganz innerhalb der (sonst) unsichtbaren Passage des Streifens hinter dem Schirm f\u00e4llt, und sogar nur einen kleinen Mittelteil dieser Passage ausmacht. Ich selbst konnte schon beim ersten Anstellen des Versuchs fast sogleich die Winkelfigur bei Linksbewegung des Streifens (und des Blickes) hervorbringen; dieselbe war meist verk\u00fcrzt, etwTa im Verh\u00e4ltnis 1/4\u20143/4, oft auch asymmetrisch und verbogen. Das wieder hier das Gelingen der Beobachtung in \u201elabiler\u201c Art psychisch bedingt ist, erfuhr ich bald. Sehr h\u00e4ufig, oft nachdem vorerst die Beobachtung gelungen war, vermochte ich die anortoskopische Figur (bei Linksbewegung) nicht zu sehen. Es bestand bei solchen Gelegenheiten, wie ich sagen m\u00f6chte, eine Art psychischer \u201eSchwerf\u00e4lligkeit\u201c, welche die richtige Lenkung des Aufmerkens verhinderte; ein Gef\u00fchl zugleich von Anstrengung und von Unsicherheit zeugte hiervon. Die erfolgreiche Beobachtung geschah ungezwungen, \u201egedankenlos\u201c ; in dem Bewufstsein zeichnete sich leb-","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nSans Gertz.\nhaft die vorgestellte Bewegung des Streifens hinter dem Schirm ;\nich sah, sei der Ausdruck gestattet, psychisch gleichsam durch diesen.\nDie allermeisten Personen verm\u00f6gen, unter den beschriebenen Umst\u00e4nden, die anortoskopische Figur nicht zu sehen; einige k\u00f6nnen es nach \u00dcbung. Eine weitere Modifikation der Versuchsanordnung f\u00fchrt jedoch wohl allgemeines und regelm\u00e4fsiges Gelingen der Beobachtung herbei. Der Kartonstreifen tr\u00e4gt mitten \u00fcber dem Winkelspalt einen (die Dichtung der Pendelstange fortsetzenden) Zeiger, und der Schirm hat gegen\u00fcber den Seitenteilen der Schwingungsbahn dieses Zeigers schmale, bogenartige Ausschnitte, welche die Bewegung des Zeigers vor und nach dem Erscheinen des Winkelspalts im Schlitze sichtbar machen, und zwar brauchen die Expositionen des Zeigers nicht unmittelbar an der des Winkelspalts grenzen, sondern k\u00f6nnen kleine Intervalle dazwischen eingeschaltet werden. Ein Beobachter, welcher der Bahn des Zeigers mit dem Blicke zu folgen sucht, sieht leicht die anortoskopische Winkelfigur. Er soll nicht sein Augenmerk auf m\u00f6glichst genaue und scharfe Fixation des Zeigers legen, dies erschwert die Beobachtung. Ad\u00e4quat ist vielmehr, sich den Lauf, die Bewegung des Zeigers eindringlich vorzustellen. Bemerkenswert ist der h\u00e4ufig konstatierbare Unterschied im Aussehen der Figur, wenn der Schirm nur an einer Seite (durch Verdecken der Ausschnitte der anderen) fenestriert ist. Dann erscheint \u2014 bei Bewegung nach der nicht durchbrochenen Seite \u2014 eine weit mehr spitze, sowie derart unsymmetrische und verbogene Winkelfigur, wie eine starke Verlangsamung der Blickbewegung hervorbringen mufs. Dies zeigt, dafs bei doppelseitig fenestriertem Schirm die Erwartung des Wiedererscheinens des Zeigers an der anderen Seite einen blickbewegenden Faktor darstellt, einen Impuls zu gleitender Blickf\u00fchrung abgibt, wodurch diese nach dem Verschwinden des Zeigers schneller und gleichm\u00e4fsiger fortf\u00e4hrt, als wenn der Schirm nur einseitig Ausschnitte hat. Der somit hier wirksame Faktor, welcher das retardierte Fortfahren des Blickgleitens im letzteren Falle veranlafst, kann nur irgendwie von dem vorausgegangenen Anblicke des Zeigers herr\u00fchren. Das vermittelnde Moment d\u00fcrfte die Bewegungsvorstehung sein, welche nach dem Verschwinden des Zeigers zur\u00fcckbleibt und deien anf\u00e4ngliche Lebhaftigkeit schnell abklingt. Kommt aber","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die gleitende (ilangsame) Augenbeicegung.\n39\njene Erwartung hinzu, so wird dadurch die Bewegungsvorstellung weiter \u201ebelebt\u201c, d. h. eindringlicher und mithin effektiver gemacht.\nDie Vorrichtung erlaubt offenbar auch, mehr speziell quantitativ zu studieren, wTie die Gleitbewegung des Blickes, bei Verfolgen des einseitig sichtbaren beweglichen Zeigers, nach dem Verschwinden dieses aufh\u00f6rt. Da jedoch hierauf nicht nur individuelle, sondern auch sonstige, unter dem Bilde des Zufalls agierende Faktoren erheblich influieren, d\u00fcrfte ein solches Unternehmen kaum angezeigt sein.\n4. In der Mehrzahl hier teils schon besprochener, teils noch mitzuteilender Versuche, in welchen f\u00fcr l\u00e4ngere Dauer gleitende Augenbewegung hervorgerufen wird, erfolgt diese nicht ununterbrochen, sondern in gr\u00f6fseren oder kleineren, distinkten Abschnitten, zwischen welchen der Blick saccadiert gef\u00fchrt wird oder momentweise stillsteht. Schon ist bemerkt worden, dafs auch das ad\u00e4quat hervorgerufene Blickgleiten, die von direktem Sehen geleitete Folgebewegung des Blickes, die n\u00e4mlichen Diskontinuit\u00e4ten \u2014 nur in relativ sehr untergeordnetem Mafse auf weist. Es erscheint nicht \u00fcberfl\u00fcssig, diesen Punkt etwas n\u00e4her zu beleuchten. Vorausgeschickt sei dann eine Beobachtung, welche zeigt, dafs der Blick das bei pl\u00f6tzlicher, unerwarteter \u00c4nderung der (direkt gesehenen) Objektbewegung aus zentralem Sehen hinausgeratene Objekt saccadiert (nicht durch entsprechend ge\u00e4ndertes Gleiten) einholt, dafs mithin die saccadierte Bewegungsart w\u00e4hrend des Gleitens Korrektionen der Blickrichtung besorgt. Man f\u00fchrt, unter Beobachtung der Skleralgef\u00e4fse, die (von der Vp. fixierte) Zeigefingerspitze hin und her, hierbei die Bewegungsrichtung pl\u00f6tzlich und unregelm\u00e4fsig wechselnd. In solchen Momenten macht das Auge eine sehr schnelle, sprungartige Bewegung, mit scharf markiertem Anfang und undeutlicherem Ende. Wird eine schnelle, lange in gleicher W eise foit-gesetzte Bewegung pl\u00f6tzlich stark verlangsamt, so erfolgt eine Saccade r\u00fcckw\u00e4rts. Indessen, auch wenn das fixierte Objekt sich kontinuierlich und ohne Richtungs\u00e4nderung bewegt, zeigt die Blickbewegung einzelne, doch im allgemeinen nicht allzu sp\u00e4rliche Diskontinuit\u00e4ten. Schon das eben erw\u00e4hnte Verfahren erlaubt solche zu konstatieren; dazu empfiehlt sich, die Beobachtung ziemlich zu verl\u00e4ngern, die Handbewegung langsam und in grofser Amplitude, sowie in Vertikalrichtung auszuf\u00fchren.","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nHans Gertz.\nGanz wesentlich bis gar dominierend wird die Beteiligung der Diskontinuit\u00e4ten bei sehr stark verlangsamter Objektbewegung wie ich folgendermafsen gefunden habe. Die Augenbewegung wurde nach einer von mir fr\u00fcher beschriebenen, ophthalmoskopischen Methode beobachtet. Die mittels einer Sammellinse parallel gemachte und darauf an einem unbelegten Planglas reflektierte Strahlung des Gl\u00fchstabes einer Nernstlampe f\u00e4llt etwas schr\u00e4g nasalw\u00e4rts auf das beobachtete Auge und entwirft an dessen Fundus unweit der Papille ein Bild des Gl\u00fchstabes; allem Drehungen des Auges, in oder mit dem Kopfe, (aber sonst nicht Schwankungen des Kopfes] \u00e4ndern die Lage dieses Bildes. Der Kontrollent beobachtet, durch das Planglas in die Pupille hineinsehend (w\u00e4hrend das beobachtete Auge vorbei dem Kopfe des Kontrahenten Aussicht auf das Objekt hat), das Netzhautbild des Gl\u00fchstabes und kann an der Verschiebung zwischen diesem und darin sichtbarer Netzhautgef\u00e4fse die Bewegung des Auges beurteilen. Das bewegliche Fixationsobjekt war ein kleiner Papierschnitzel, angebracht an der horizontal \u00fcber zwei rotierende Bollen laufenden Schnur, und stand 9 m von der Vp. ab. Bei einer Objektgeschwindigkeit von 1\u00ab pro Sekunde bewegte sich das Auge noch etwa normal gleitend, die Netzhautgef\u00e4fse zogen ziemlich gleichm\u00e4fsig (mit der Winkelgeschwindigkeit 1\u00b0) durch das (horizontal orientierte) streifen artige Bild des Gl\u00fchstabes. Diskontinuit\u00e4ten mischten sich aber schon recht frequent ein wenn die Objektgeschwindigkeit unter 30' kam, und wurden sehr hervortretend bei einer Geschwindigkeit von 10'. Ein im hellen Bilde sichtbares Netzhautgef\u00e4fs zeigte im letzteren Falle nur kurze Perioden langsam gleitender Bewegung, dazwischen Stillst\u00e4nde und saccadiertes Vorr\u00fccken. W\u00e4hrte die Beobachtung lange, wurde die Gleitbewegung noch sp\u00e4rlicher und nahmen die Saccaden zu. Diese gemischte Bewegungsweise d\u00fcrfte auf verschiedene Momente, die in ung\u00fcnstigem Sinne wirksam sind, beruhen. Es erscheint das sehr langsame Blickgleiten eine sc wierigere motorische Aufgabe zu sein, als das m\u00e4fsig schnelle und der t\u00e4tige neuro - muskul\u00e4re Apparat d\u00fcrfte jener nicht so gut wie dieser gewachsen sein. Zudem ist der Eindruck der sehr langsamen Bewegung ganz schwach und undeutlich- im etztgenannten Versuchsfalle kommt die Objektgeschwindigkeit ja unweit oberhalb der Schwelle, wo erst die Bewegung in sog. \u201edirekter\u201c Weise visuell wahrgenommen wird. Beide Umst\u00e4nde","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die gleitende (langsame) Augenbewegung.\n41\nscheinen die Blickf\u00fchrung ungenau und unsicher machen zu m\u00fcssen, der Blick ger\u00e4t ab und zu aufser Fixation (bleibt nach, vgl. unten) und die Fehlstellung wird durch Saccaden korrigiert. Offenbar k\u00f6nnen sich solche Vorf\u00e4lle ausnahmsweise auch bei der ad\u00e4quaten Gleitbewegung ereignen. Die Steigerung ihrer Frequenz durch Erm\u00fcdung (lange Beobachtung) erscheint selbstverst\u00e4ndlich.\nII.\n1. Im Anschlufs an Untersuchungen \u00fcber ein verwandtes Thema habe ich einen Versuch mitgeteiltin welchem durch nicht-visuelle Ausl\u00f6sung, bei Abwesenheit aller Gesichtseindr\u00fccke, die nicht offenbar belanglos sind, gleitende Blickbewegung zustande kommt. Dies ist n\u00e4mlich der Fall, wenn man in Dunkelzimmer seine mit dunklem Handschuhe bekleidete, unsichtbare Hand umherf\u00fchrt (wobei nat\u00fcrlich auch der ganze bewegte Arm unsichtbar ist) und die Zeigefingerspitze, die zweckm\u00e4fsig gegen den Daumen oder eine Bleistiftspitze gedr\u00fcckt werden kann, scharf zu fixieren intendiert. Wenn eine, etwas seitlich zur Versuchsperson aufgestellte, passend abgeschirmte (so dafs der bewegte Arm kein Licht empf\u00e4ngt) Nernstlampe die Augen stark beleuchtet, so erscheint eventuell das sekund\u00e4re katadioptrische (doppelreflektierte) Bild des Auges, und an dessen Bewegung kann dann die Versuchsperson selbst das gleitende Mitfolgen des Blickes mit der Fingerspitze unschwer konstatieren; das Bild bewegt sich doppelt schnell wie der Blickpunkt. Oder es kann das Gleiten des Auges objektiv, von einer zweiten Person, mittels Lupenbeobachtung der Skleralgef\u00e4fse festgestellt werden, wobei nur ein Lateralteil der Sklera und des unteren Lides die n\u00f6tige Beleuchtung braucht. Die Unwesentlichkeit des (im Gesichtsfelde) beweglichen, stets weit exzentrisch gesehenen sekund\u00e4ren Bildes steht a priori kaum in Frage und geht aus dessen Abwesenheit im letzteren Falle hervor. Ohne die F\u00fchrung der Hand erweist sich die gleitende Blickbewegung unm\u00f6glich (falls nicht sonstige exzeptionelle Bedingungen hierf\u00fcr vorliegen). Auf die somit unzweifelhaft entscheidende Rolle des letztgenannten Momentes wirft eine einfache Komplikation des Versuches weiteres Licht. Wenn die Versuchsperson mit der anderen Hand z. B. ein Buch zwischen\n1 \u00dcber die kompensatorische Gegenwendnng der Augen bei spontan bewegtem Kopfe. Zeitschr. Sinnesphysiol. (47 u.j 48, S. 20\u201421.","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nHans Hertz.\nihren Augen und der bewegten Hand aufh\u00e4lt (und fortw\u00e4hrend nichts sieht), so wird dadurch das Gleiten des Blickes verhindert, dieses kann nunmehr nur saccadiert gef\u00fchrt werden. Der Unterschied ist sehr auff\u00e4llig. Die Versuchsperson hat auch, was bemerkenswert ist, ein ganz bestimmtes \u201eGef\u00fchl\u201c oder Bewufstsein davon, dafs die Situation nicht zul\u00e4fst, der Fingerspitze zu folgen. Um hier die Ursachslage weiter blofszulegen, kann man denselben Versuch unter Anwendung einer durchsichtigen Glasplatte (statt des Buches) anstellen. Es zeigt sich dann, dafs die gleitende Folgebewegung, wenn sie sonst gut ausgepr\u00e4gt ist, im allgemeinen nicht oder unwesentlich beeintr\u00e4chtigt wird. Bei gewissen Personen, denen auch der Hauptversuch weniger vollkommen gelingt, kann die Gleitbewegung mehr gest\u00f6rt werden. Wohl ist diese Wirkung so zu verstehen, dafs die Platte die Aufmerksamkeit teilweise in Beschlag nimmt, und somit die Energie sowohl der auf die Fingerspitze gerichteten Fixationsintention als der Wahrnehmung der Fingerbewegung herabmindert.\nBei diesem Versuch steht \u00fcbrigens noch ein subjektives Mittel zu Gebote, die Beschaffenheit der Augenbewegung festzustellen. Man bringt im Dunkelzimmer einen hellen roten vertikalen Lichtstreifen an. Wenn der Blick diesem Streifen geh\u00f6rig nahe kommt, erscheint das blaue, bogen- oder hufeisenf\u00f6rmige, durch den Aktionsstrom der retinalen Sehnervenfasern generierte Neuroaktionsphosphen, die \u201eelliptischen Lichtstreifen\u201c Purkinjes, und im Mafse wie der Blick weiter gegen den Streifen heranr\u00fcckt, ziehen sich die Schenkel der Phosphenfigur gegeneinander. Es geschieht nun dies offenbar ganz im selben Tempo wie die Augenbewegung, langsam und gleichm\u00e4fsig, wenn die Blickf\u00fchrung ebensolchen, gleitenden Charakter hat, ruckweise aber bei saccadiertein Blicken. Der (unkomplizierte) Hauptversuch ist auch mit dieser Beobachtungsweise \u00fcberzeugend. Nur mufs man darauf achten, dafs nicht der Finger in der N\u00e4he des roten Streifens, durch Beleuchtung von diesem, sichtbar wird. Diese Schwierigkeit kann dadurch etwas eingeschr\u00e4nkt werden, dafs der Beobachter nicht gerade die Fingerspitze, sondern einen daneben, nach dem Lichtstreifen hin gelegenen Punkt zu fixieren intendiert, wobei der Versuch, wenigstens f\u00fcr etwas ge\u00fcbte Beobachter ebenso gut gelingt. Nachteilig ist auch die relative Kleinheit des Blickfeldbereichs, innerhalb welches die Augenbewegung untersucht werden kann, was von der Beschr\u00e4nkung","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die gleitende (langsame) Augenbewegung.\n43\nder Induktion des Phosphens auf ein entsprechend kleines Gebiet des Gesichtsfeldes bedingt ist.\nDer nun beschriebene Versuch scheint, wenigstens sofern nicht die erw\u00e4hnte Komplikation eingef\u00fchrt wird, nur in untergeordnetem Mafse von individuellen Verschiedenheiten ber\u00fchrt zu werden. F\u00fcr Handbewegung in (nahe) seitlicher Richtung, nach rechts und links, d\u00fcrfte er allgemein und unzweideutig, eventuell nach einiger \u00dcbung, gelingen. Wenigstens haben alle von mir untersuchten Personen dabei deutliches, meist ziemlich grofsz\u00fcgiges Blickgleiten dargeboten. Freilich ist die Augenbewegung ebenfalls hier in der Mehrzahl der F\u00e4lle von gemischtem Typus, indem zwischen den gleitenden Blickz\u00fcgen einzelne Sac-caden und Stillst\u00e4nde des Blickes eingestreut sind. Die relative Frequenz der letzteren variiert individuell recht erheblich und nimmt mit \u00dcbung namhaft ab. Bei vertikal gerichteter F\u00fchrung (der Hand und der Angen) ist die saccadierte Bewegungsweise zun\u00e4chst im allgemeinen weitaus \u00fcberwiegend, zuweilen allein vorherrschend ; \u00dcbung bringt aber die gleitende Bewegung leicht, eventuell bis zum Dominieren, hervor.\n2. Wenn also, im obigem Versuche, ein Bewegungseindruck, der durch ein physiologisch koordiniertes Aggregat von nichtvisuellen Empfindungen, das Gef\u00fchl der Armbewegung, vermittelt wird, die gen\u00fcgende Grundlage abgibt zur Ausl\u00f6sung der gleitenden Blickf\u00fchrung, so stellt sich hiermit die Frage, ob weiter durch andere Sinne vermittelte, nicht visuelle Bewegungseindr\u00fccke dazu hinreichen. In der Tat ist so auch der Fall. Wenigstens gewisse Individuen k\u00f6nnen sowohl auf akustischer, als auf taktiler Bewegungswahrnehmung die Augen gleitend f\u00fchren.\nIm Dunkelzimmer wird, um ersteres nachzuweisen, vor der Versuchsperson ein t\u00f6nendes Telephon unsichtbar hin und her gef\u00fchrt \u2014 man kann auch einfach auf einem gut resonierendem Schirm streichen \u2014, w\u00e4hrend die Gef\u00e4fse lateral auf der Sklera, unter hierauf lokalisierter Beleuchtung, mit der Lupe beobachtet werden. Zur Demonstration der taktilen Ausl\u00f6sung wird, bei sonst gleichem Arrangement, der entbl\u00f6fste Arm der Versuchsperson, mit der Spitze eines feinen, steifen Drahtes unsichtbar (und unh\u00f6rbar) gestrichen. Es soll dieser letztere nicht schwarz, sondern passend grau oder grauweifs sein. Die notwendige Erhellung der Sklera macht n\u00e4mlich den nackten Arm f\u00fcr das adaptierte Auge schwach sichtbar, und die Helligkeit des Drahtes","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nHans Gertz.\nmufs darum eine solche sein, dafs sich der Draht weder gegen die Armhaut noch gegen das Zimmerdunkel abhebt. Einige unter den von mir untersuchten Personen bewegten nun hier, bei Intention der ann\u00e4hernd horizontal gef\u00fchrten Schallquelle bzw. Drahtspitze fixierend zu folgen, die Augen weitaus \u00fcberwiegend (d. h. abgesehen von vereinzelten Saccaden und Stillst\u00e4nden) und ausgiebig gleitend. Andere Personen zeigten nur zu kleinerem oder untergeordnetem Teil gleitende, im \u00fcbrigen saccadierte Blickf\u00fchrung. Bei Bewegung auf und nieder war das Gleiten stets weniger ausgepr\u00e4gt oder nicht vorhanden. Auch habe ich f\u00fcr dieselbe Peison den Versuch bald positiv, bald negativ aus-fallen sehen. Wohl die Mehrzahl konnte (ohne \u00dcbung) die Augen nur saccadiert bewegen.\n3. Was betrifft die von \u00d6huwall erwogene Frage, ob man durch besondere \u00dcbung die Fertigkeit, den Blick ohne Fixationsst\u00fctze kontinuierlich zu bewegen, erwerben k\u00f6nnte, so erscheint dieselbe, im Lichte der erhobenen Befunde, nicht ad\u00e4quat formuliert. Wie erwiesen, hat wohl jedermann, ohne wesentlich andere \u00dcbung, als die mit dem normalen Gebrauch des Sehens gegebene, jene hertigkeit. Nur ist sie an die Bedingung gebunden, dafs ein geh\u00f6iig -lebhafter und deutlicher Eindruck (oder nur eine ebensolche Vorstellung) eines bewegten Objektes wachgerufen wird, vas nun aber nicht allein unter Vermittelung des direkten Sehens, sondern ann\u00e4hernd gleich gut mittels des indirekten Sehens, und sogar auch nicht-visuell, nach Aussage des Bewegungsgef\u00fchls des Armes oder zuweilen akustisch oder taktil, geschehen kann.\nIndessen ist selbst die eben hingestellte Bedingung nicht notwendig. Wenigstens von gewissen Personen, und nach \u00dcbung ist gleitende Blickbewegung vollkommen willk\u00fcrlich, ohne jene \u201ehabituelle\u201c oder physiologische Grundlage, ausf\u00fchrbar. So vermag ich selbst, wie bereits erw\u00e4hnt, seit Jahren den Blick, wann ich will, nach rechts hin gleiten zu lassen. Am leichtesten geht es, wenn ich dabei einer geraden (oder schwach gekr\u00fcmmten) Kontur folgen kann, aber es gelingt konstant auch ohne eine solche, ganz frei, vor irgendwelchen, nicht allzu nahen Objekten. Diese Gegenst\u00e4nde f\u00fchren dann eine vollkommen stetige, entgegengerichtete Scheinbewegung aus ; l\u00e4ngeres Praktizieren der Beobachtung ergibt leichtes Schwindelgef\u00fchl. Bei Sehen mit rechtem Auge allein bringe ich","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die gleitende (langsame) Augenbewegung.\n45\ndie Gleitbewegung etwas schwerer und weniger vollkommen hervor, als monokular mit linkem Auge, was ungef\u00e4hr gleich gut wie binokular gelingt, Dafs in der Tat die Augen gleitend gef\u00fchrt werden, besagt schon jene Scheinbewegung (sowie das begleitende eigenartige Gef\u00fchl, vgl. unten), ist aber des weiteren auch objektiv, von mehreren Personen konstatiert worden.\nMeine in Rede stehende T\u00e4tigkeit datiert seit einer Gelegenheit vor 15 bis 18 Jahren, als mein Bruder, damals 12 bis 15 Jahre alt, darauf aufmerksam machte, dafs er den Blick willk\u00fcrlich l\u00e4ngs Horizontalkonturen derart f\u00fchren konnte, dafs die Gegenst\u00e4nde sich ganz gleichm\u00e4fsig, wie das Terrain bei Wagenfahrt, zu bewegen schienen. So viel ich mich erinnere, lernte ich ziemlich sogleich dasselbe f\u00fcr Bewegung nach rechts. Die Episode m\u00f6chte ich am ehesten als eine Art \u201eSpielerei\u201c bezeichnen, \u00e4hnlich vielen anderen, zum Teil wohl nahe wesensverwandten \u201eKunstst\u00fccken\u201c, die vielfach von Knaben, aber auch sonst, u. a. zu gesellschaftlicher Unterhaltung kultiviert werden. Dar\u00fcber, wie dieses willk\u00fcrliche Blickgleiten zustande kommt, wie es intendiert und empfunden wird, bemerke ich vorerst, dafs es mit der Konvergenzbewegung in naher Beziehung steht. Ich habe den Eindruck, dafs stets ein Konvergieren der Blicklinien das Blickgleiten einleitet, und dann dieses unter beibehaltener oder vielleicht noch zunehmender Konvergenz fortsetzt. Wenigstens ist so gew\u00f6hnlich der Fall, woneben die Konvergenz das Gleiten sicher erleichtert, Meist ist die Konvergenz ziemlich stark, so dafs sich dieselbe schon ohne besonderes Achtgeben offenbart \u2014 durch ungekreuzte Doppelbilder der Objekte, durch Undeutlichwerden der Konturen (wegen assoziierter Akkomodation) sowie durch ein Gef\u00fchl auf N\u00e4he einzustellen. Es scheint mir ferner, als verlege ich das Aufmerken auf die in der Bewegungsrichtung n\u00e4chst neben dem Fixationspunkt gelegene Gegend, d. h. als fixiere ich \u201epsychisch\u201c dicht parazentral vor dem Visierpunkt. Die Vorstellung oder Einbildung eines bewegten Gegenstandes, als St\u00fctze oder Grundlage f\u00fcr den Bewegungsimpuls, finde ich nicht vorhanden. Bemerkenswert ist, dafs f\u00fcr mich ein nahe, und zwar weit vor den \u00fcbrigen Sehobjekten gelegener Gegenstand, z. B. ein aufgehaltenes Papier oder die Hand, die Gleitbewegung arretiert. Der Blick gleitet ungest\u00f6rt bis an den Rand des fraglichen Objektes, springt dann aber in Saccaden \u00fcber dasselbe. Erst wenn die \u00fcbrigen, den","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nSans Gertz.\nHintergrund bildenden Objekte \u00e4hnlich nahe stehen, kann ich das Hindernis \u00fcberwinden. Die Erscheinung beruht, so viel ich aus subjektiver Analyse zu finden glaube, auf ein Abschneiden des besonderen, mit dem Gleiten verkn\u00fcpften Bewufstseinszustandes, indem der nahe Gegenstand sich in die Aufmerksamkeit hineinschiebt, wenn der Blick ihn erreicht.\nSeitdem das willk\u00fcrliche Blickgleiten durch die vorliegende Untersuchung f\u00fcr mich besonderes Interesse bekam, war es nat\u00fcrlich zu versuchen, ob ich nicht dasselbe auch f\u00fcr, andere Richtungen erlernen k\u00f6nnte. Einige, nicht sonderlich intensive \u00dcbung, im Laufe etwa zweier Wochen, brachte es auch dahin, dafs ich den Blick l\u00e4ngs Konturen oder \u00fcber merkpunktslosen Grund nach links gleitend f\u00fchren konnte. Ebensolche Bewegung in vertikaler Richtung ist mir aber bisher nicht sicher gelungen.\nMein oben erw\u00e4hnter Bruder (jetzt Jurist) vermag noch immer und zwar in sehr vollendeter Weise \u2014 in beliebiger Richtung, auch ohne Konturst\u00fctze, \u00fcber beliebig gestaltetem Hintergrund \u2014 gleitend zu blicken. Ich habe dieses ganz gleichm\u00e4fsige, ununterbrochen fast durchs ganze Blickfeld fortgesetzte Gleiten mittels Lupenbeobachtung des Auges mit aller Sicherheit festgestellt. Bei dieser Person spielt die Konvergenz eine \u00e4hnliche Rolle wie bei mir. Wenn er vor entfernten Strafsenlichtern das Gleiten ausf\u00fchrt, erscheinen ihm die Lichter verschwommen und gleichsam weiter entfernt. Dagegen st\u00f6rt ein naher Gegenstand f\u00fcr ihn in keiner Weise das Gleiten.\n4. Zu besprechen ist endlich noch das sonderartige Gef\u00fchl, welches, wie bereits erw\u00e4hnt, mit dem gleitenden Blicken verbunden ist. Weitaus am st\u00e4rksten ausgepr\u00e4gt ist dasselbe bei dem eben besprochenen willk\u00fcrlichen Gleiten, demn\u00e4chst bei dem nicht visuell ausgel\u00f6sten, am schw\u00e4chsten beim Folgen eines bewegten Sehobjektes. Wenn ich, im ersten Falle, den Blick l\u00e4ngs einer Horizontalkontur gleitend f\u00fchre, vernehme ich es, als \u201ehafte\u201c gleichsam der Blick an der Kontur und \u201estreiche\u201c auf ihr; ich will damit ausdr\u00fccken, dafs die Empfindung eine Art teilweise auf die Kontur projizierter taktiler F\u00e4rbung hat. Dieselbe kann in solcher Hinsicht gewissermafsen mit dem Eindruck verglichen werden, wenn ich die Fingerspitze l\u00e4ngs einer glatten Leiste f\u00fchre. Ebenso ist mir das Gef\u00fchl beim Gleiten des Blickes \u00fcber homogenen Grund demjenigen wesens\u00e4hnlich, welches dem Streichen des Fingers auf einer glatt geschmierten Fl\u00e4che be-","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die gleitende (langsame) Augenbewegung.\n47\ngleitet. Mein Bruder findet diese Beschreibung auch f\u00fcr sich zutreffend. Das durch nicht-visuelle Bewegungswahrnehmung oder auf dem Wege der Vorstellung ausgel\u00f6ste Blickgleiten wird \u00e4hnlich, nur etwas schw\u00e4cher empfunden. Mehrere meiner Versuchspersonen haben bei solchen Beobachtungen von selbst darauf aufmerksam gemacht, dafs sie genau f\u00fchlen konnten, wenn sie die Augen gleitend bewegten. Im Hinblick auf den Charakter der Sensation erscheint unsere Benennung \u201egleitende Augenbewegung\u201c recht bezeichnend und somit geh\u00f6rig motiviert. Als Grundlage f\u00fcr diese Bewegungsempfindung kommen naturgem\u00e4fs in Betracht die Gleitfriktion zwischen beiden Bindehautbl\u00e4ttern, die Verschiebung oder Deformation des Nachbarteile der bewegten Bulbus, die langgezogene Kontraktion der t\u00e4tigen Augenmuskeln und das balancierende Nachgeben ihrer Antagonisten, vielleicht auch der ausl\u00f6sende Innervationsimpuls, \u2014 Momente, die auch in solcher Beziehung zureichend erscheinen. Besonders bemerkenswert ist die erw\u00e4hnte Lokalf\u00e4rbung der Sensation, darin bestehend, dafs dieselbe teilweise nach aufsen, auf den Ort des Blickpunktes bezogen wird. Hier offenbart sich eine Tendenz, jene akzessorische (nicht visuelle) Empfindung des Sehorgans mit den Gesichtseindr\u00fccken assoziativ zu verbinden und, speziell, zusammen mit diesen exzentrisch zu projizieren. Eine weitere, nur modal etwas anders n\u00fcancierte Manifestation derselben Tendenz wird bald unten begegnen: das Bewegungsgef\u00fchl, des ein (aktiv oder mit dem Gesichtsfeld) bewegtes Objekt betrachtenden Auges wird auf dieses Objekt bezogen und als Wahrnehmung der Objektbewegung gedeutet, Die verschiedene St\u00e4rke der Bewegungsempfindung, wie sie oben angegeben ist, versteht sich wahrscheinlich so, dafs eine gleichzeitige Wahrnehmung des bewegten, mit dem Blicke zu folgenden Gegenstandes die Aufmerksamkeit in erster Linie fesselt \u2014 welches Moment beim willk\u00fcrlichen Blickgleiten wegf\u00e4llt \u2014 , woneben vielleicht bei ungewohnter (nicht visueller) Ausl\u00f6sungsart die in verst\u00e4rktem Mafse aufzubringende Willensintention (zu gleitender Fixation bzw. zu blofser Gleitbewegung) den intendierten Vorgang im Bewufstsein sch\u00e4rfer markiert.\nIII.\nAuf Grund des im vorigen Abschnitte vorerst angef\u00fchrten Versuches habe ich geschlossen1, dafs die gleitende Blickbewegung\n1 a. a. O. S. 20.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nHans Gertz.\nnicht an dem Anblicke eines bewegten Gegenstandes gebunden ist, sondern schon \u201edurch die genug eindringliche, lebhafte Vorstellung eines bewegten \u2014 aber nicht gesehenen \u2014 \u201eSeh \u201cobjektes hervorgerufen wird\u201c. Vielleicht sagt man hier statt \u201eVorstellung\u201c richtiger \u201eBewufstsein\u201c oder \u201eAuffassung\u201c, welche allgemeinere Ausdr\u00fccke \u00fcberdies gemeinschaftlich f\u00fcr alle F\u00e4lle zutreffen. Ein solches Bewufstsein von einer Bewegung stellt die Grundlage dar f\u00fcr die selbstverst\u00e4ndlich mit notwendige Intention, das bewegte Objekt (oder einen Punkt neben ihm) zu fixieren. Diese theoretische Anschauung experimentell weiter zu begr\u00fcnden, ist mit vorliegender Untersuchung beabsichtigt worden.\nIn der Tat liefern die \u00fcbrigen hier mitgeteilten Beobachtungen \u2014 wir sehen vorl\u00e4ufig von dem willk\u00fcrlichen Blickgleiten ab \u2014 eine recht umfangreiche Begr\u00fcndung jener Aussage. Dieselben gestatten erstens wohl keine andere gemeinschaftlich zureichende Deutung. Aber das beigebrachte Erfahrungsmaterial erm\u00f6glicht zweitens diese Deutung, aus ihrer Applikation auf verschiedene F\u00e4lle, an ihren Konsequenzen weiter zu pr\u00fcfen. Es er\u00fcbrigt zu untersuchen, inwieweit das beobachtete Verhalten der Erscheinung sich unter dem aufgestellten kausalen Gesichtspunkt f\u00fcgt.\nWenn die gleitende Blickbewegung auf das Bewufstsein eines bewegten Sehobjektes und die daran gekn\u00fcpfte Intention, dieses {oder seine Nachbarschaft) zu fixieren, ausgel\u00f6st wird, so mufs man pr\u00e4sumieren, dafs diese Art Blickbewegung um so vollkommener, exakter und leichter geschieht, je gr\u00f6fsere Deutlichkeit, Sch\u00e4rfe und Energie jenes Bewufstsein auf weist, und je leichter dasselbe sich mit der Fixationsintention verbindet. Verhalten sich nun die verschiedenen, oben untersuchten F\u00e4lle hiermit \u00fcbereinstimmend ?\nAn Verm\u00f6gen, das Blickgleiten auszul\u00f6sen, steht, gem\u00e4fs unseren Versuchserfahrungen, der Gesichtseindruck eines bewegten scharf konturierten Objektes obenan, demn\u00e4chst kommt die in dem Bewegungsgef\u00fchl des Armes vernommene und zugleich visuell vorgestellte F\u00fchrung der Zeigefingerspitze, die geringste Wertigkeit besitzen die akustische und die taktile Bewegungswahrnehmung sowie die assoziativ (ohne gleichzeitige Bewegungswahrnehmung) induzierten, reinen Bewegungsvorstellungen ; jede Abstufung zwischen gr\u00f6fstem Effekt und gar keinem ist endlich mit dem Sehen entsprechend diffus begrenzter Objekte herstellbar.\nDie Supeiiont\u00e4t der normalen visuellen Ausl\u00f6sungsweise ist","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die gleitende (langsame) Augenbewegung.\n49\nauch theoretisch notwendig, wie folgende Analyse einleuchten l\u00e4fst. Das Ingangsetzen der Blickbewegung geschieht auf den Seheindruck der beginnenden Bewegung des Objekts \u2014 welche Art der Bewegungswahrnehmung bekanntlich unsere vollkommenste ist. Man sieht, bei noch ruhigem Blicke, den allerersten Anfang der Bewegung, und daran schliefst sich sogleich (wahrscheinlich doch erst nach einer initialen Saccade, womit man den Fixationspunkt ergreift) die intendierte Folgebewegung des Blickes. Die Bewegung des verfolgten Gegenstandes gelangt nun zum Bewufst-sein, indem das Gef\u00fchl der ausgef\u00fchrten Augenbewegung und die gesehene Verschiebung des Gegenstandes im bewegten Gesichtsfelde 1 (oder die seines Bildes auf der Netzhaut) kombiniert werden. Bei Vorhandensein ruhender Objekte werden jene zwei Momente unterst\u00fctzt durch die Wahrnehmung der gegensinnigen Bewegung dieser Objekte und durch die der relativen Verschiebung des bewegten Objektes gegen die ruhenden. Das Resultat der Kombination ist die Bewegungswahrnehmung bei bewegtem Blick, welche zun\u00e4chst etwas n\u00e4her betrachtet werden mag. Es ist diese Art der Bewegungsauffassung keineswegs physiologisch gleichwertig oder gleichartig mit derjenigen bei Blickruhe. Die letztere gr\u00fcndet sich auf eine besondere Funktion der Netzhaut, die verwandt ist mit ihrem Ortsunterscheidungsverm\u00f6gen. Die Bewegung eines mit dem Blick gefolgten Objektes wird aber (wesentlich oder fast ausschliefslich) auf einer Empfindungsgrundlage ganz anderer Modalit\u00e4t erschlossen, und zwar sozusagen durch \u201eUmdeutung\u201c des Bewufstseins von der Augenbewegung : das mit der letzteren verbundene Gef\u00fchl2 wird auf\n1\tBei der ad\u00e4quaten (vgl. S. 30) gleitenden Folgebewegung ist offenbar die Verschiebung des bewegten Objektes im Gesichtsfelde relativ sehr gering ; d. h. das Bewegungsgef\u00fchl des Auges stellt (wenigstens bei Ausschlufs ruhender Objekte) das weitaus dominierende physiologische Moment dar.\n2\tDie gemeiniglich akzeptierte HelmholtzscIic Ansicht reduziert das Gef\u00fchl oder das Bewufstsein von der Augenbewegung wesentlich auf den Willensimpuls dazu. Die Beweisf\u00fchrung Helmholtz\u2019 (Handb. d. physiol. Optik 3. Aufl. Bd. 3. S. 205), die sich auf die Scheinbewegung bei Augenmuskelparalysen gr\u00fcndet, ber\u00fccksichtigt indessen, wie W. James (Vgl. Bergson Essai sur les donn\u00e9es imm\u00e9diates de la conscience, 8i\u00e8me \u00e9d. S. 17) bemerkt hat, nicht die Bewegung des anderen, gesunden, beim Versuch wohl verdeckten Auges, was um so seltsamer ist, als eben solche R\u00fccksicht die Erkl\u00e4rung des unweit sp\u00e4ter (S. 212) besprochenen Hering sehen Versuches (vgl. hier unten S. 55 Anm.) gibt. Da meines Wissens keine Beobachtungen\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 49.\t4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nHans Gertz.\ndas bewegte Objekt bezogen, es fungiert als sinnliches Zeichen f\u00fcr dessen Bewegung. A priori scheint das physiologische Fundament dieser Anffassungsart der Bewegung an Energie und Sch\u00e4rfe demjenigen der Bewegungswahrnehmung bei Blickruhe nachzustehen, und ist demgem\u00e4fs zwischen beiden Arten der Bewegungsauffassung ein entsprechender Unterschied zu vermuten. Tats\u00e4chlich findet sich auch ein derartiger Unterschied \u2014 f\u00fcr welchen mithin das eben Gesagte wenigstens den haupts\u00e4chlichen Erkl\u00e4rungsgrund abgeben d\u00fcrfte \u2014, gem\u00e4fs der Angabe Fleischls : \u201eEine mit der Stelle des deutlichsten Sehens beobachtete Bewegung erscheint, nach den Beobachtungen Fleisches, etwa doppelt so grofs, wenn das Auge fixiert ist, somit das Bild \u00fcber die Netzhaut hingleitet, als wenn das Auge dem Gegenstand folgt.\u201c * 1 Es richtet sich nun \u2014 wir nehmen unsere Analyse wieder auf \u2014 der erste Impuls zur gleitenden Folgebewegung des Blickes nach dem initialen Gesichtseindruck der Bewegung. Mit dem Einsetzen der Augenbewegung greift die zweite, soeben gekennzeichnete Art der Bewegungswahrnehmung Platz. Diese bildet wiederum die Grundlage f\u00fcr die fortgesetzte Abw\u00e4gung des Impulses zur Augenbewegung. Somit besteht zwischen der Blick-f\u00fchrung und dem gleichzeitigen Bewegungseindruck eine gegenseitige integrierende Verkn\u00fcpfung; sie konstituieren eine funktionelle Einheit, die stetige Einrichtung des Blickes auf (oder neben) ein bewegtes Sehobjekt. Und dieser funktionelle Konnex ist offenbar ein \u00fcberaus fest konsolidierter.\nEs erscheint fast selbstverst\u00e4ndlich, dafs die Bewegung diffus begrenzter, konturloser Objekte entsprechend undeutlicher wie diejenige scharf gezeichneter wahrgenommen werden mufs, so wenigstens bei gr\u00f6fserer Verschwommenheit der Konturen. Die auf solche Grundlage intendierte und abgemessene Folgebewegung des Blickes mufs dann auch in \u00e4hnlichem Mafse unvollkommen geschehen.\nIn dem nicht - optischen Hauptversuche baut sich der Eindruck der Bewegung der Fingerspitze aus den Aussagen ver-\nvorliegen \u00fcber Scheinbewegung bei solchen doppelseitigen Augenmuskell\u00e4hmungen, die Aufschlufs geben k\u00f6nnten, steht w'ohl noch der entscheidende Beweis f\u00fcr Helmholtz\u2019 Ansicht aus, und verwende ich deshalb den allgemeineren Ausdruck \u201eGef\u00fchl\u201c der Augenbewregung.\u201c\n1 Zitiert nach v. Kries, Helmholtz\u2019 Handb. d. physiol. Optik. 3. Aufl. Bd. 3, S. 231.","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die gleitende (langsame) Augenbewegung.\n51\nschiedenartiger zusammen wirkender Empfindungen auf, aber zugleich wird das bewegte Objekt visuell vorgestellt. Der unmittelbare motorische Bewegungseindruck hat gleichsam eine visuelle Vorstellungsf\u00e4rbung. Dieser gesamte, von Gesichtsvorstellung und motorischem Bewegungseindruck gebildete assoziative Komplex stellt die Grundlage dar, nach welcher der Impuls zur Folgebewegung des Blickes abgestuft wird. Das bedeutsamste Moment besteht nun in einer funktionell begr\u00fcndeten, sehr festen Verbindung zwischen jenen zusammenwirkenden Elementen (Gef\u00fchl und Gesichtsvorstellung der Objektbewegung, Innervation zur Augenbewegung). Es sind n\u00e4mlich diese durch gewohnheitsm\u00e4fsigen Gebrauch besonders eng verkn\u00fcpft. Auge und Hand arbeiten ja t\u00e4glich und st\u00fcndlich zusammen. Kleine Gegenst\u00e4nde, die wir genau ansehen wollen, halten wir in der Hand; eine Unzahl t\u00e4glicher, visuell kontrollierter oder \u00fcberwachter Besch\u00e4ftigungen geschieht mit H\u00e4nden oder Fingern, ev. mit Hilfe kleiner Ger\u00e4te. Soweit ich beurteilen kann, wird aufserdem die F\u00fchrung der Fingerspitze entschieden deutlicher als die Bewegung einer Schallquelle, und nicht undeutlicher als die Verschiebung eines Tastreizes (auf dem Arme) wahrgenommen. Das vorgetragene d\u00fcrfte die beobachtete Effektivit\u00e4t der Handbewegung, als Grundlage f\u00fcr Ausl\u00f6sung der gleitenden Blickf\u00fchrung, theoretisch ausreichend motivieren.\nIn dem akustischen und dem taktilen Versuche liegen prinzipiell gleiche oder \u00e4hnliche, nur noch weniger g\u00fcnstig geartete Verh\u00e4ltnisse vor. Es bestehen ein akustisch bzw. taktil vermittelter Bewegungseindruck und, mit diesem verkn\u00fcpft, eine Gesichts Vorstellung von einem entsprechend bewegten Sehobjekt. Damit verbindet sich weiterhin ein danach abgestufter Impuls, dem vorgestellten Objekte mit dem Blick zu folgen. Aber die assoziative Verbindung dieser Elemente ist, als eine mehr ungewohnte, bedeutend lockerer wie im vorigen Falle, und aufserdem ist die Sch\u00e4rfe des Bewegungseindruckes geringer bzw. wenigstens nicht merklich gr\u00f6fser.\nIn den noch \u00fcbrig bleibenden Versuchsf\u00e4llen begegnen wir, als Grundlage f\u00fcr die Ausl\u00f6sung, allein der blofsen Gesichts-vorStellung von einem bewegten Objekte, ohne Unterst\u00fctzung einer gleichzeitigen (sinnlichen) Bewegungswahrnehmung ; welche Vorstellung jedoch, durch Anschlufs an einer eben vorausgegangenen oder zu erwartenden (rhythmisch wiederholten) Be-\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nHans Gertz.\nwegungswahrnehmung oder sonst mittels sehr lebhafter, verwandter Assoziationen, in m\u00f6glichster Frische erregt wird.\nGem\u00e4fs unserer theoretischen Anschauung mufs die Folgebewegung des Blickes um so richtiger abgemessen werden, je deutlicher die Bewegung des zu fixierenden Gegenstandes sich im Be wulstsein zeichnet. Diese Konsequenz d\u00fcrfte ihre Illustration finden in den Diskontinuit\u00e4ten und Fehlern, welche in den F\u00e4llen unad\u00e4quater oder ung\u00fcnstig beschaffener ad\u00e4quater Ausl\u00f6sung Vorkommen. In dem akustischen und dem taktilen Versuche, beim Folgen weit exzentrisch gesehener sowie konturloser Objekte, meist auch im Versuche mit Handbewegung und endlich selbst bei der gleitenden, nur irgendwie erschwerten Fixation gleiten ja die Augen nicht so gleichm\u00e4fsig, wie in dem ad\u00e4quaten optischen Falle, sondern mehr in Abs\u00e4tzen, zwischen welchen der Blick in Sakkaden gef\u00fchrt wird oder zuweilen momentan still steht. Die Deutung ist wohl die folgende, bereits oben angedeutete. Es wird wegen der relativen Undeutlichkeit, mit der die Objektbewegung aufgefafst wird, die Geschwindigkeit dieser im allgemeinen untersch\u00e4tzt und die Blickbewegung demnach zu langsam abgemessen; bald wird aber das Nachbleiben des Blickes erkannt und die Blicklage durch Sakkaden korrigiert. Kleine Pausen w\u00e4hrend der Augenbewegung, die nicht normale Ruhelagen zwischen Sakkaden darstellen, sind verschiedentlich denkbar. Ein schwach markierter Bewegungseindruck kann m\u00f6glicherweise zeitweilig (\u00e4hnlich wie schwache Ger\u00e4usche, z. B. das eben h\u00f6rbare Ticken einer Taschenuhr) erl\u00f6schen oder durch andere Bewufstseinsmomente verdr\u00e4ngt werden, und somit der Anlafs zur Augenbewegung wegfallen; gesteigertes Aufmerken auf die unsicher erkennbare Objektbewegung kann vielleicht unwillk\u00fcrliches Nachlassen der Bewegungsintention herbeif\u00fchren. Gem\u00e4fs dieser Deutung m\u00fcssen die sakkadierten Korrektionsbewegungen wie auch die Pausen um so breiteren Raum gewinnen, je undeutlicher die Objektbewegung wahrgenommen wird \u2014 was die Erfahrung eben besagt. Gleichfalls tritt in den Versuchen, wo das Blickgleiten auf reiner Vorstellungsgrundlage zustande kommt, die Tendenz hervor, den Blick langsamer zu f\u00fchren, als der Objektbewegung entspricht. Die Untersch\u00e4tzung der Geschwindigkeit des bewegten Gegenstandes exemplifiziert die Helmholtz sehe Regel, \u201edafs deutlich zu erkennende Unterschiede (hier etwa an r\u00e4umlicher Lage) \u201ebei allen Sinneswahr-","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber die gleitende (langsame) Augenbewegung.\n53\nnehmungen gr\u00f6fser erscheinen als undeutlich zu erkennende von gleicher objektiver Gr\u00f6fse\u201c.1\nDie entwickelte Anschauung l\u00e4fst ferner erwarten, dafs, wenn die Bewegungswahrnehmung oder -Vorstellung geringe, und zwar im allgemeinen etwas zu geringe Energie besitzt, das Spiel akzessorischer, sonst unwesentlicher Momente sich geltend machen wird. Es kann die Mitwirkung f\u00f6rdernder Momente zum Erfolg notwendig sein, es k\u00f6nnen dabei auch ung\u00fcnstige Faktoren den Effekt vereiteln. In der Tat pr\u00e4sentieren sich auf dem betreffenden Gebiet \u2014 an dem akustischen, taktilen und anortoskopischen Versuche sowie an meinen Beobachtungen bei Eisenbahnfahrt \u2014 sowohl notwendige f\u00f6rdernde Momente als auch ein ung\u00fcnstiges, inhibitorisches ; jene sind in \u00dcbung und pers\u00f6nlicher Veranlagung, dieses in \u201egelegentlicher Indisposition\u201c involviert. Die Verh\u00e4ltnisse liegen offenbar \u00e4hnlich wie bei zahlreichen sinnesphysiologischen Versuchen; diese gelingen gewissen Personen sofort, m\u00fcssen von anderen angelernt oder einge\u00fcbt werden, sind f\u00fcr viele \u00fcberhaupt oder zeitweise unm\u00f6glich. Bedingung ist, kurz gesagt, die ad\u00e4quate psychische \u201eKonstellation\u201c, und diese ist von jenen genannten Momenten fundamental abh\u00e4ngig. Sch\u00e4rfere Beleuchtung hierauf wirft die Tatsache, dals, beim Versuche im Dunklen dem bewegten Finger mit dem Blicke zu folgen, das Bewufstsein von einem vorgehaltenen, den Finger bergenden Gegenstand die gleitende Blickbewegung hindert. Die Versuchsperson weifs hier mit sich, dafs die Hand auch bei Licht unsichtbar w\u00e4re, d. h. dem Sehen gar nicht zug\u00e4nglich ist \u2014 die Hand stellt, mit anderen Worten, kein \u201eSeh\u201cobjekt dar. Die Handf\u00fchrung wird hier, gleich wrie in dem unkomplizierten Versuche, durch das Bewegungsgef\u00fchl vernommen; dieselbe kann auch visuell vorgestellt werden, nur in einer wesentlich anderen, mehr indirekten oder mittelbaren Weise, \u00e4hnlich wTie etwa die Bewegung der Hand hinter dem Kopfe oder dem R\u00fccken (aufserhalb des Gesichtsfeldes). Diese Art der Vorstellung steht, bildlich gesprochen, mehr in unbestimmter Ferne, nicht in dem sinnlichen Vordergr\u00fcnde des Bewmfstseins, wie es zur Effektivit\u00e4t n\u00f6tig w\u00e4re.\nEine schon (S. 48\u201450) vorgetragene Betrachtung kann ausgedehnt werden auf einen allbekannten hierher geh\u00f6rigen Fall: die\n1 Handb. d. physiol. Optik. 3. Aufl. Bd. 3 S. 159.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nHans G-ertz.\ngleitende Blickbewegungnach einem parazentral gelegenen Nachbild hin. Die Intention letzteres zn fixieren, oder allgemeiner \u2014 wie auch die Erfahrung best\u00e4tigt \u2014, die Intention irgendwelchen parazentralen Punkt zu fixieren, l\u00f6st eine kleine Blickwendung (nach dem betreffenden Punkt, eventuell dem Nachbilde, hin gerichtet) aus, und mit dem Ingangsetzen der Augen ist der oben ausf\u00fchrlich besprochene Bewegungseindruck vorhanden. Nur f\u00e4llt hier jede Verschiebung des bewegt erscheinenden Objektes im Gesichtsfelde fort (das Nachbild ist auf diesem \u201egemalt\u201c); der Bewegungseindruck besteht ausschliefslich in dem \u201eumgedeuteten , auf das Nachbild bezogenen Gef\u00fchl der Augenbewegung1 2, eventuell unterst\u00fctzt durch die scheinbare Gegenbewegung ruhender Objekte. Dieser Eindruck induziert wiederum den Impuls zu gleitender Blickf\u00fchrung, ganz wie in dem ordin\u00e4ren optischen Falle, und reproduziert damit fortw\u00e4hrend zugleich das Blickgleiten und sich selbst. Als das weitaus wesentlichere Moment erscheint hier das Gef\u00fchl der Augenbewegung, indem dasselbe die wichtigste oder (bei Abwesenheit ruhender Objekte) einzige physiologische Grundlage f\u00fcr den Bewegungseindruck bildet, w\u00e4hrend das Nachbild nur das Objekt darstellt, auf wel-ches jenes Gef\u00fchl \u201eprojiziert\u201c wird, womit erst der Bewegungseindruck entsteht. Sonach k\u00f6nnte man schon a priori vermuten oder die krage stellen, das Nachbild w\u00e4re m\u00f6glicherweise unter Umst\u00e4nden ganz entbehrlich. * Wenn nur gleitende Blickbewegung irgendwie eingeleitet werden k\u00f6nnte, w\u00fcrde dieselbe, vermittels des damit verbundenen Bewegungsgef\u00fchls, vielleicht sich\n1\tv. Kries\u2019 Angabe (in Helmholtz\u2019 Handbuch d. physiologischen Optik. 3. Aufl., Bd. 3, S. 227), dafs wir dieses Moment im Experiment nicht isolieren k\u00f6nnen, weifs ich nur so zu erkl\u00e4ren, dafs der betreffende Fall \u2014 die Bewegung eines Nachbildes mit dem Gesichtsfelde, bei Ausschlufs sonstiger Sehobjekte \u2014 \u00fcbersehen worden ist. Vielmehr scheint das fundamentale physiologische Moment der Bew^egungswahrnehmung bei Blickruhe nicht experimentell (streng) isolierbar zu sein.\n2\tGewisse Analogie bietet sich im Falle des Blickfolgens unter indirektem Sehen dar. Dieses f\u00e4llt dem Unge\u00fcbten viel leichter oder ist erst m\u00f6glich, wenn er sich einen mit dem bewegten Objekt verbundenen Kaumpunkt vorstellt und diesem mit direktem Blicke zu folgen sucht. Selbst brauche ich nicht dieses Hilfsmittel, sondern verlege mein Aufmerken unmittelbar auf das exzentrisch gesehene Objekt. Offenbar spielt hier der vorgestellte Fixationspunkt eine \u00e4hnliche Rolle, wie in dem oben behandelten Falle das Nachbild.","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die gleitende (ilangsame) Augenbewegung.\n55\nselbst unterhalten ? Gerade diese Deutung (aber, wie mir scheint, kaum eine andere) kann auf das willk\u00fcrliche Blickgleiten ungezwungen angelegt werden, womit sich eine entsprechende weitere St\u00fctze f\u00fcr die Richtigkeit unserer Analyse und ihrer Pr\u00e4missen ergibt. Es ist betont, welche hervortretende Rolle die Konvergenzbewegung, d. h. eine gleitende, aber gegensinnige Drehung der Augen f\u00fcr das willk\u00fcrliche Blickgleiten spielt. Bei hinl\u00e4nglich unsymmetrischem Konvergieren kann wohl die st\u00e4rkere Beteiligung des einen Auges das damit verbundene Bewegungsgef\u00fchl vor dem des anderen pr\u00e4valieren lassen, 1 womit die Grundbedingung f\u00fcr ein (gleichsinniges) Blickgleiten vorliegt. Ein eigentlicher Bewegungseindruck kommt indessen nicht auf, da ein Objekt fehlt, worauf jenes Gef\u00fchl bezogen, projiziert werden konnte. Dieser Mangel ist nun gewifs keineswegs bedeutungslos, er hindert vielmehr im allgemeinen das Blickgleiten \u2014 da letzteres habituell an der Vorstellung oder Wahrnehmung einer Bewegung gebunden ist \u2014, aber kann durch anderswie g\u00fcnstige Momente ersetzt werden. Solche sind wiederum durch Veranlagung, \u00dcbung oder \u201egl\u00fccklichen Zufall\u201c (hinsichtlich der Disposition) gegeben ; es ist so m\u00f6glich, die fragliche motorische Reaktion direkt an der sinnlichen Grundlage, dem \u201eBaumaterial\u201c f\u00fcr die Bewegungswahrnehmung anzukn\u00fcpfen. Unterst\u00fctzend wirkt wohl das erw\u00e4hnte Aufmerken auf einen parazentral, im Sinne der beabsichtigten Blickbewegung vor dem Fixationsbereich belegenen Punkt.\nDie Entstehungsweise des Blickgleitens kann zusammenfassend etwa so formuliert werden : Dasselbe ist die motorische Endfolge eines gewissen \u201eeffektiven\u201c Bewufstseininhaltes (welches beim willk\u00fcrlichen Gleiten sich im wesentlichen auf das durch Konvergieren erregte, sozusagen ad\u00e4quate Bewegungsgef\u00fchl reduziert). Unter Umgehen dieses Inhalts, also im allgemeinen oder\n1 Man vergleiche hierzu den bekannten Versuch von Hering (Hermann, Handb. d. Physiol. Bd. 3: 1, S. 540-41, oder Helmholtz, Handb. der physiol. Optik 3. Aull. Bd. 3, S. 212): Wenn man, unter Zudecken des anderen Auges, bei unver\u00e4nderter Blicklage auf N\u00e4he bzw. Ferne einstellt, so zeigen die Sehobjekte eine Scheinbewegung in der Richtung von dem gedeckten nach dem offenen Auge bzw. umgekehrt. Das zugedeckte Auge macht hierbei eine Konvergenzbewegung bzw. eine Ausw\u00e4rtsdrehung und das Gef\u00fchl der betreffenden Bewegung wird mit dem Eindr\u00fccke der nicht ge\u00e4nderten Lage der Sehobjekte im Gesichtsfelde kombiniert, woraus der Bewegungseindruck resultiert, wie dies oben S. 49 u. 54 angef\u00fchrt worden ist.","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nR ans Gertz.\nschlechthin willk\u00fcrlich, ist das Blickgleiten nicht ausf\u00fchrbar. Es fragt sich, gibt es hierzu illustrative, funktionell analoge F\u00e4lle? Vielleicht keinen ebensogut ausgepr\u00e4gten; aber f\u00fcr prinzipiell gleichartig erachte ich folgenden. Wie die Augen ist auch die Zunge auf Willensimpuls frei beweglich. Trotzdem sind wir nur in recht beschr\u00e4nktem Mafse f\u00e4hig, die Zunge willk\u00fcrlich in bestimmte, eigenartig konfigurierte Stellungen zu bringen. Man lese die detaillierte Beschreibung der Zungenstellung beim Hervorbringen irgendeines Sprachlautes, und versuche nach dieser Beschreibung \u2014 ohne an die Artikulation des fraglichen Lautes zu denken \u2014 (und vorausgesetzt, dafs man sich vorher hierin nicht ge\u00fcbt hat) die betreffende Stellung zu etablieren. Auch bei aller M\u00fche d\u00fcrfte dies in der Regel ziemlich unvollkommen gelingen, was in einfachster Weise erkannt wird, indem man die Artikulation des fraglichen Sprechlautes intendiert; die Zunge nimmt dann augenblicklich und unfehlbar sicher die erstrebte Stellung ein. Ich sehe nicht, dafs es m\u00f6glich w\u00e4re, blofs auf noch so genauer Beschreibung des Artikulations me ch a-nismus fremde, in der Muttersprache nicht vorhandene Sprachlaute (korrekt) hervorzubringen oder dies zu erlernen. Der Unterricht mufs sich notwendig, um mittels verwandter motorischer Assoziationen aufs Ziel zu leiten, der Vorf\u00fchrung der Laute selbst bedienen, und auch dann stehen dem Erlernen nicht selten namhafte Schwierigkeiten entgegen. Die funktionelle Analogie oder \u00c4hnlichkeit zwischen Sprachartikulation und Blickgleiten beschr\u00e4nkt sich indessen nicht auf den nun bemerkten Punkt. Die eine wie die andere motorische Aktion erfolgt entweder auf mehr oder weniger deutlich bewufste Willensintention, oder ist diese letztere, und normalerweise wohl meistens, \u201eunterbewufst\u201c, d.h. der Vorgang automatisch oder reflexartig. Und beide Aktionen werden auf weit verschiedenen sensorischen Wegen ausgel\u00f6st; die sensorische Aphasie, in ihren mannigfachen Formen, illustriert dies, bez\u00fcglich der Sprachartikulation, in besonders pr\u00e4gnanter Weise.\nWie anfangs genannt, geht die bisher gel\u00e4ufige Anschauung dahin, es werde die gleitende Augenbewegung notwendig durch das direkte Sehen eines bewegten Objektes vermittelt. Es hat den Anschein, als w\u00e4re auch dies die Meinung folgender Aus-sage von v. Keies. 1 ... \u201eja es k\u00f6nnte wohl sein, dafs jenes Fol-\n1 Helmholtz\u2019 Handb. d. physiol. Optik. 3. Aufl. Bd. 3, S. 227.","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Hans Gertz.\n57\ngen des Blickes unter allen Umst\u00e4nden nur dadurch erm\u00f6glicht wird, dafs der betreffende Gegenstand sich um kleine Betr\u00e4ge verschiebt, und dafs seine nunmehr exzentrische Wahrnehmung das Folgen des Blickes veranlafst.\u201c Es ist oben der Nachweis gef\u00fchrt worden, dafs die gleitende Blickbewegung ebensogut ausl\u00f6sbar ist bei Ausschlufs der direkten Fixation, unter selbst weit exzentrischem Sehen des bewegten Gegenstandes \u2014, man kann diesem ebensowohl (nur gewifs nicht so genau) mit indirektem Blicke gleitend folgen. Wie schon ausgef\u00fchrt, d\u00fcrfte der Vorgang folgendermafsen aufzufassen sein. Gleich nachdem die Bewegung eines Objektes, welchem man mit direktem oder indirektem Blicke zu folgen intendiert, wahrgenommen worden ist, l\u00f6st jene Intention eine gleichgerichtete gleitende Augenbewegung aus, und zwar wird dabei der betreffende Nervenim-puls, mithin die Geschwindigkeit der Blickbewegung, nach der initialen Bewegungswahrnehmung dosiert. Im weiteren Verlauf ergibt sich aus dem (unbewufst vollzogenen) Vergleich zwischen dem Gef\u00fchl der Augenbewegung und der gesehenen (meist relativ geringen) Verschiebung des Objektes im (bewregten) Gesichtsfelde ein Eindruck der Objektsbewegung, nach welchem der Innervationsimpuls nunmehr fortw\u00e4hrend abgestuft wird. Hiernach bilden also diese zwei gegenseitig assoziierten Momente, der Bewegungseindruck und die danach geschehende Abmessung des Impulses zur Augenbewegung, die Hauptkomponenten des Mechanismus, welcher eine bewegliche angen\u00e4herte Einstellung des Blickes in der gew\u00fcnschten, stetig ver\u00e4nderlichen Richtung\n\u2014\teben die Gleitbewegung des Blickes \u2014 effektuiert. Diese approximative Blickeinrichtung kann, gem\u00e4fs unserer Versuchserfahrung, auch ohne Mitwirkung des direkten Sehens, und zwar dann in ganz unver\u00e4ndertem Charakter, geschehen; die theoretische Auseinandersetzung ergibt den n\u00e4mlichen'Schlufs. Erst die genaue Fixation des bewegten Objektes erfordert jene Mitwirkung; es sind ab und zu kleine, sakkadiert ausgef\u00fchrte Korrektionen n\u00f6tig, um das Objekt in direktem Sehen zu behalten. In solchem Sinne verstanden trifft v. Kries\u2019 Aufgabe vollkommen zu.\nDer teleologische Gesichtspunkt gew\u00e4hrt hier weiteres Verst\u00e4ndnis. Wenn das direkte Sehen allein die bewegliche Fixation besorgen sollte, so w\u00fcrde dies eine \u00fcberaus umst\u00e4ndliche, ja kaum befriedigend l\u00f6sbare Aufgabe bedeuten : es w\u00fcrde\n\u2014\twenn allein das Nachbleiben des Fixationsbereiches hinter","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nHans Gertz.\ndem Objekt, d. h. seine nunmehr exzentrische Wahrnehmung, das Blickfolgen veranlafste \u2014 lediglich eine Folge momentaner oder doch sehr kurzer Fixationen, eine schnell intermittente Fixation resultieren. Statt dessen geschieht die fragliche Funktion im weitaus haupts\u00e4chlichsten Mafse durch einen besonderen Mechanismus, und nur die Aufgabe der (sonach nur gelegentlich n\u00f6tigen) Feineinstellung, die Korrektion der Blickrichtung, f\u00e4llt hier wie sonst dem direkten Sehen zu.\nEs gibt noch einen zweiten ad\u00e4quaten Fall gleitender Augenbewegung : die kompensatorische Gegenwendung der Augen, wenn man, unter Intention einen festen Punkt zu fixieren, den Kopf dreht oder gegen die Sehrichtung verschiebt. Diese Art der Augenbewegung ist hier nicht besprochen worden, da ich derselben vor kurzem eine Untersuchung 1 gewidmet habe, woraus sich gerade die oben vorgetragene theoretische Auffassung ergab. Unter Verweis im \u00fcbrigen auf den fraglichen Aufsatz beschr\u00e4nke ich mich hier ein theoretisch fundamentales Detail vorzuf\u00fchren. Die kompensatorische Gegenwendung stellt die eine unter den zwei Hauptformen eines allgemeinen Falles dar; sie repr\u00e4sentiert die bei gegenseitiger Bewegung zwischen Gesichtsfeld und Sehobjekt durch Fixationsintention ausgel\u00f6ste Folgebewegung des Blickes, falls das Gesichtsfeld und nicht das Objekt bewegt wird. Gem\u00e4fs unserem, entsprechend verallgemeinerten Fundamentalprinzip wird der Impuls zur Folgebewegung abgemessen nach dem Bewufstsein von der gegenseitigen Bewegung des Gesichtsfeldes und des Sehobjekts. Im Falle der kompensatorischen Blickwendung wirken hierzu zwei Momente zusammen, das Bewufstsein von der Kopfbewegung und das vom Abstande des Sehobjekts. Die notwendige theoretische Folgerung hieraus, es m\u00fcsse (ohne Hilfe des direkten Sehens) die kompensatorische Gegenwendung dem Fern- und Nahesehen oder \u00fcberhaupt der (subjektiv bemessenen) Sehweite angepafst erfolgen, wird von der Erfahrung best\u00e4tigt.\n1 Zeitschr. f. Sinnesphysiol. Bd. 47 S. 420 u. Bd. 48 S. 1.","page":58}],"identifier":"lit33649","issued":"1916","language":"de","pages":"29-58","startpages":"29","title":"\u00dcber die gleitende (langsame) Augenbewegung","type":"Journal Article","volume":"49"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:50:54.925717+00:00"}

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