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{"created":"2022-01-31T16:52:03.283635+00:00","id":"lit33654","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Kries, J. v.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 50: 117-136","fulltext":[{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"(Aus dem physiologischen Institut zu Freiburg i. B.)\n! '\nPhysiologische Bemerkungen zu Ostwalds\nFarbenfibel.\nVon\nJ. V. Kries, Freiburg i. B.\n(Mit 1 Abbildung.)\nEinern in Vorbereitung befindlichen \u201eFarbenatlas\u201c hat Ostwald eine \u201eFarbenfibel\u201c vorausgeschickt1, in der die allgemeinen Grunds\u00e4tze dargelegt sind, auf denen das gr\u00f6fsere Werk eich aufbauen wird, und die auch von dem eigentlichen Inhalt desselben eine passende Auswahl darbietet. Mit Recht hat schon dieser Vorl\u00e4ufer eines gr\u00f6fseren Unternehmens lebhaftes Interesse erregt. Auch unter den Gesichtspunkten der Physiologie des Sehorgans gibt die Farbenfibel zu mancherlei Erw\u00e4gungen An-lafs, um so mehr, als der von Ostwald eingeschlagene Weg sich von den in der physiologischen Optik vorzugsweise gel\u00e4ufigen Verfahrungsarten und Anschaungen mehr oder weniger zu entfernen scheint. Es ist daher wohl nicht \u00fcberfl\u00fcssig, gerade von diesem Standpunkt aus schon jetzt einiges \u00fcber das Unternehmen rm sagen.2\nDas Ziel desselben kann ganz allgemein etwa dahin angegeben werden, dafs alle ungleich aussehenden K\u00f6rperfarben in systematischer und geordneterWeise dar-\n1\tW. Ostwald, Die Farbenfibel, Leipzig 1917.\n2\tEs k\u00f6nnte dies allerdings im Hinblick darauf, dais Ostwald von ihm angestellte und noch nicht ver\u00f6ffentlichte Experimentaluntersuchungen erw\u00e4hnt, verfr\u00fcht erscheinen. Doch ist es nicht wahrscheinlich, dafs diese \u00abich auf die Punkte beziehen, die ich hier zu besprechen vorhabe.\nZeitschr. f. Sinnesphysiol 50.\t9","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nJ. v. Kries.\ngestellt werden sollen. Wir k\u00f6nnen an diese Formulierung der Aufgabe einige Erw\u00e4gungen kn\u00fcpfen, die geeignet sind, teils sie genauer festzulegen, teils auch ihr Verh\u00e4ltnis zu anderen ihr mehr oder weniger \u00e4hnlichen und mit ihr zusammenh\u00e4ngenden ins Licht zu stellen. \u2014 Die K\u00f6rperfarbe bezeichnet ja diejenige Beschaffenheit der Oberfl\u00e4che, derzufolge von auftreffendem Licht ein kleinerer oder gr\u00f6fserer Teil zur\u00fcckgeworfen bzw. absorbiert wird. Da nun dieses Verh\u00e4ltnis von Absorption und Zur\u00fcckweisung f\u00fcr verschiedene Lichter verschieden ist, also eine Funktion der Wellenl\u00e4nge darstellt, so k\u00f6nnen wir im objektiv-physikalischen Sinne zwei K\u00f6rpern dann die gleiche Farbe zuschreiben, wenn jenes Verh\u00e4ltnis f\u00fcr beide K\u00f6rper die n\u00e4mliche Funktion der Wellenl\u00e4nge darstellt, also Licht jeder Wellenl\u00e4nge von beiden im gleichen Verh\u00e4ltnis absorbiert und zur\u00fcckgeworfen wird. Die K\u00f6rperfarbe in diesem Sinne gestattet eine un\u00fcbersehbare F\u00fclle von Verschiedenheiten (sie bildet eine unendlich vielfach bestimmte Mannigfaltigkeit), und die Aufgabe, alle in diesem Sinne ungleichen K\u00f6rperfarben darzustellen, w\u00fcrde eine auch nur approximative L\u00f6sung wohl kaum gestatten. ~ Hier wird nun eine Darstellung aller ungleich aussehenden K\u00f6rperfarben verlangt, wodurch die Aufgabe sich sehr vereinfacht. Denn, wie bekannt, k\u00f6nnen in mannigfaltigster Weise Lichtgemische, die im objektiv-physikalischen Sinne ungleich sind, doch auf unser Auge genau in der gleichen Weise einwirken, f\u00fcr uns ununterscheidbar sein. Wird eine Darstellung aller ungleich aussehenden Farben verlangt, so sind also alle diejenigen, die zwar objektiv verschieden sind, aber auf unser Auge \u00fcbereinstimmend wirken, als zusammenfallend, als eine und dieselbe Farbe zu behandeln. Sprechen wdr nun aber von gleich oder ungleich aussehenden K\u00f6rperfarben, so mufs ber\u00fccksichtigt, werden, dafs das Lichtgemisch, welches irgendein K\u00f6rper zur\u00fcckwirft, nicht allein von seiner als K\u00f6rperfarbe bezeichneten Oberfl\u00e4chenbeschaffenheit abh\u00e4ngt, sondern aufserdem von der ihn treffenden Beleuchtung. Es wird sich daher fragen, ob das Gleich- oder Ungleich Erscheinen zweier K\u00f6rperfarben von der Art der Beleuchtung unabh\u00e4ngig ist. Ganz im allgemeinen ist diese Frage selbstverst\u00e4ndlich zu verneinen. Sehr bekannt ist ja z. B., dafs zwei Farben, die im Tageslicht ungleich erscheinen, bei k\u00fcnstlichem Licht ihren Unterschied ann\u00e4hernd oder auch wohl ganz einb\u00fcfsen. Unterscheidet sich die Zur\u00fcckwerfung de\u00e0","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologische Bemerkungen zu Ostwalds Farbenfibel.\n119\neinen und andern K\u00f6rpers nur hinsichtlich der kurzwelligen blauen und violetten Lichter, so wird der Unterschied des Aussehens bei einer Beleuchtung schwinden, die solche Strahlen gar nicht enth\u00e4lt oder an ihnen sehr arm ist. Mit dem hier in Rede stehenden Gleichaussehen ist also jedenfalls nicht gemeint, dafs die Farben bei irgendeiner Beleuchtung gleich erscheinen. Auf der andern Seite w\u00fcrde jeder objektiv-physikalische Unterschied durch passende z. B. monochromatische Beleuchtung auch f\u00fcr uns erkennbar gemacht werden. Die Aufgabe darf also auch nicht etwa in dem Sinne verstanden werden, dafs als gleich nur solche Farben zu behandeln sind, die bei jeder beliebigen Beleuchtung gleich erscheinen. Demgem\u00e4fs ist denn die Forderung dahin zu verstehen, dafs die Farben bei gewissen mehr oder weniger bestimmten Beleuchtungen gleich erscheinen sollen. Und es liegt hierin eine stillschweigend gemachte Voraussetzung, die ausdr\u00fccklich namhaft zu machen nicht \u00fcberfl\u00fcssig ist. Sie kann dahin angegeben werden, dafs eine Beleuchtung vorausgesetzt wird, die wir etwas unbestimmt als eine gute Tagesbeleuchtung bezeichnen k\u00f6nnen. Tats\u00e4chlich gen\u00fcgt diese einen gewissen Spielraum lassende Formulierung. Denn die geringen Schwankungen qualitativer Zusammensetzung, die das Tageslicht tats\u00e4chlich darbietet, spielen f\u00fcr das Gleich- oder Ungleich-Erscheinen keine nennenswerte Rolle. Die Wechsel der absoluten St\u00e4rke aber sind ebenfalls ohne Bedeutung, sofern die Beleuchtung nicht etwa so gering ist, dafs die dominierende Bedeutung der Stelle des deutlichsten Sehens in Frage gestellt wird.1 F\u00fcr die Betrachtung des Farbenatlas, namentlich auch f\u00fcr die Vergleichung irgendwelcher zu bestimmender Farben mit den in ihm enthaltenen Mustern wird also vorauszusetzen sein, dafs sie bei einer solchen guten Tagesbeleuchtung ausgef\u00fchrt wird.\nEin zweiter Umstand, der in \u00e4hnlichem Sinne zu ber\u00fccksichtigen ist, besteht darin, dafs unsere optischen Empfindungen nicht allein von der Beschaffenheit des unser Auge treffenden Lichtes abh\u00e4ngen, sondern aufserdem auch von dem Zustand des Organs selbst und zwar gerade der von dem betreffenden Licht affizierten Stelle. Dieser Zustand ist vor allem durch die voraufgegangenen Belichtungen dieser Stelle selbst, wahrscheinlich\n1 Vgl. hier\u00fcber die Anmerkung auf S. 120.\n9*","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nJ. v. Kries.\n\u00e4nch durch die gleichzeitige Belichtung anderer Teile ver\u00e4nderlich, gem\u00e4fs den Verh\u00e4ltnissen sukzessiven und simultanen Kontrastes So entsteht namentlich die Empfindung eines tiefsten Schwarz keineswegs allein dadurch, dafs eine Stelle von gar keinem Licht getroffen wird. Vielmehr ist erforderlich, dafs diese Stelle vorher durch ein gewisses Mafs von Belichtung erm\u00fcdet (umgestimmt) ist, oder dafs gleichzeitig andere Stellen stark belichtet werden. Ebenso kann auch die ges\u00e4ttigteste Botempfindnng nur entstehen durch sukzessiven oder simultanen Kontrast gegen Gr\u00fcn usw. Im Hinblick hierauf ist wiederum zu fragen, ob die Verh\u00e4ltnisse des Gleichaussehens von dem physiologischen Zustande des Sehorgans abh\u00e4ngen. Diese Frage kann, wenn auch nicht ganz ohne Vorbehalt, verneint werden.1\nIst es demnach nicht gerade im Hinblick auf die Verh\u00e4ltnisse des Gleichaussehens geboten, \u00fcber den physiologischen Zustand des Sehorgans eine bestimmte Voraussetzung zu treffen, so mufs man doch im Auge behalten, dafs wir durch die Muster einer Farbensammlung nur dann die uns wesentlich interessierende Gesamtheit von Empfindungen und psychologischen Eindr\u00fccken erhalten, namentlich auch die uns gel\u00e4ufigen Farbenbenennungen nur dann Anwendung finden, wenn wir auch in diesen Hinsichten gewisse Bedingungen einhalten. Ein sehr iichtschwaches Gelb z. B. ist kein Braun, wenn wir es f\u00fcr sich ganz allein in vollkommen dunkler Umgebung wahrnehmen, sondern nur dann, wenn es in der gew\u00f6hnlichen Weise in einer* Umgebung gesehen wird, die vielerlei verschiedene und nament-'\n1 Die Frage ob und inwieweit die optischen Gleichungen (d. h. das gleiche Aussehen physikalisch ungleicher Lichter) von der absoluten Licht- ( st\u00e4rke und von dem Zustand des Auges abh\u00e4ngen, ist bekanntlich sehr viel er\u00f6rtert worden. Als Ergebnis kann angenommen werden, dafs eine solche Abh\u00e4ngigkeit f\u00fcr die Stelle des deutlichsten Sehens nicht besteht, wohl dagegen f\u00fcr die \u00fcbrige, mit St\u00e4bchen und Zapfen ausger\u00fcstete Netzhaut. Hier tritt mit abnehmender Beleuchtung und entsprechend zunehmender Dunkeladaptierung die Funktion der St\u00e4bchen st\u00e4rker hervor, womit die optischen Gleichungen eine Ver\u00e4nderung erfahren. Solange die Lichtst\u00e4rken im ganzen Gesichtsfelde relativ hoch sind, wie es einer guten Beleuchtung entspricht, \u00fcberwiegt erstlich die Funktion der Fovea stark \u00fcber die der benachbarten Teile; \u00fcberdies ist die Beteiligung der St\u00e4bchen am Sehen auch f\u00fcr diese nur gering. Unter dieser Voraussetzung kann also die Abh\u00e4ngigkeit der optischen Gleichungen von Lichtst\u00e4rke und vom Zustand des Sehorgans aufser Betracht bleiben. Vgl. hier\u00fcber die Ausf\u00fchrungen in Nagels Handbuch der Physiologie III, S. 209.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologische Bemerkungen zu Ostwalds Farbenfibel.\n121\nlieh auch helle Gegenst\u00e4nde enth\u00e4lt. Auch in dieser Hinsicht also ist wesentlich, dafs in derjenigen Weise zu Werke gegangen wird, die unseren Gewohnheiten entspricht und die daher wohl stillschweigend als selbstverst\u00e4ndlich vorausgesetzt wird, nicht aber in irgendeiner davon abweichenden.\nDer enge Zusammenhang, der zwischen den drei hier \u00fcberhaupt in Betracht kommenden Dingen, K\u00f6rperfarben. Lichtgemischen und optischen Empfindungen stattfindet, bringt es mit sich, dass die f\u00fcr den Farbenatlas in Aussicht genommene Aufgabe, wiewohl sie zun\u00e4chst f\u00fcr die K\u00f6rperfarben gestellt ist, auch f\u00fcr Lichtgemische und optische Empfindungen eine ganz bestimmte Bedeutung besitzt. Was die ersteren anlangt, so kann man auch sagen, dafs eine Darstellung aller ungleich aussehenden Lichtgemische verlangt wird, die bei einer bestimmten Beleuchtung nach Mafsgabe der verschiedenen Beschaffenheit der K\u00f6rper als zur\u00fcckgeworfene Lichter erhalten werden k\u00f6nnen. Und wir erhalten diese tats\u00e4chlich, wenn die Muster des Atlas s\u00e4mtlich in einer bestimmten Weise beleuchtet werden. Diese Gesamtheit stellt von der Gesamtheit aller ungleich aussehenden Lichtgemische, die \u00fcberhaupt m\u00f6glich sind, nur einen Teil dar ; sie umfafst nicht diejenigen, die nur durch eine Variierung der Beleuchtung zu erzielen w\u00e4ren. Dagegen w\u00fcrden wir die uneingeschr\u00e4nkte Gesamtheit ungleich aussehender Lichtgemische erhalten, wenn wir uns auch die Beleuchtung, bei der wir die Muster betrachten, variiert und namentlich bis zu unbegrenzten Intensit\u00e4ten gesteigert denken.\nDie analoge Betrachtung l\u00e4fst sich f\u00fcr die optischen Empfindungen durchf\u00fchren. Als Aufgabe k\u00f6nnen wir auch die Darr Stellung derjenigen optischen Empfindungen bezeichnen, die sich (gem\u00e4fs den verschiedenen K\u00f6rperbeschaffenheiten) bei einer bestimmten Beleuchtung und einem bestimmten physiologischen Zustande ergeben. Auch diese Gesamtheit bildet von der Gesamtheit optischer Empfindungen, die \u00fcberhaupt m\u00f6glich sind, einen Teil.\nWird bei der Betrachtung eines K\u00f6rpers unter bestimmten Bedingungen der Beleuchtung und des physiologischen Zustandes eine Empfindung erzeugt, so kann (von Grenzf\u00e4llen abgesehen) jede stetige \u00c4nderung der Empfindung durch eine stetige \u00c4nderung der K\u00f6rperfarbe hervorgebracht werden. Daraus folgt, dafs die Gesamtheit der ungleich aussehenden K\u00f6rperfarben","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nJ. v. Kries.\n(ebenso auch die der ungleich aussehenden Lichtgemische) in ebenso vielfacher Weise ver\u00e4nderlich, eine Mannigfaltigkeit von der gleichen Anzahl von Bestimmungen ist wie die optischen Empfindungen selbst.1 Hiernach ist denn auch f\u00fcr die hier verlangte \u00dcbersicht der Farben von grundlegender Bedeutung die Tatsache, in der wir ein Hauptergebnis der Physiologie des Gesichtssinnes erblicken: dafs diese Empfindungen eine dreifach bestimmte Mannigfaltigkeit bilden. Auch f\u00fcr die Art, wie Ostwald seine Aufgabe in Anspruch nimmt, bildet diese 1 atsache mit Recht Grundlage und Ausgangspunkt.\nGem\u00e4fs der Eingangs erw\u00e4hnten Aufgabestellung w\u00fcrde es sich um eine geordnete und systematische, namentlich also auch ersch\u00f6pfende Darstellung der in Frage kommenden Mannigfaltigkeit handeln. Wenden wir uns dazu, auch diese Seite des Gegenstandes etwas genauer zu beleuchten. Die Aufgabe kann zun\u00e4chst in einem Sinne genommen werden, in dem sie relativ leict l\u00f6sbar ist. \u00c4hnlich der in anderen Gebieten gewohnten Festlegung von Mafsein-heiten k\u00f6nnten wir daran denken, eine Anzahl m\u00f6glichst genau bestimmter Normal- oder Eichfarben zu w\u00e4hlen und zugleich ein Verfahren festzulegen, mittels dessen jede beliebige, irgendwo gegebene oder vorkommende Farbe unter Benutzung dieser\nEichfarben bestimmt und eindeutig bezeichnet werden k\u00f6nnte.\nIn gewissem Umfange, wie gesagt, ist diese Aufgabe leicht, wenigstens ohne prinzipielle Schwierigkeiten l\u00f6sbar. Die Tatsache, dafs die Gesamtheit der Gesichtsempfindungen eine dreifach bestimmte Mannigfaltigkeit darstellt, kommt unter anderem auch darin zum Ausdruck, dafs wir innerhalb gewisser Grenzen jede beliebige Farbe durch optische Mischung (z. B. auf dem Farbenkreisel) von drei Eichfarben herstellen k\u00f6nnen. So k\u00f6nnten wir denn etwa nach passender Wahl dreier Normal- oder Eichfarben f\u00fcr jede beliebige Farbe diejenige Kreiselmischung jener drei ermitteln, die mit ihr gleich aussieht und die somit durch eine Gleichung von der Form X = a Rot; -f \u00df Gr\u00fcn + y Blau zu\n1 Die vorhin erw\u00e4hnten Teilgesamtheiten der optischen Empfindungen sowie der Lichtgemische unterscheiden sich daher von den vollst\u00e4ndigen Gesamtheiten, denen sie angeh\u00f6ren, nicht etwa durch eine geringere Zahl von Bestimmungen, sondern nur durch die Begrenzung.","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologische Bemerkungen zu Ostwalds Farbenfibel.\n123\nbezeichnen. Dabei ist zu bemerken, dafs a -j- \u00df'-j- y nicht gleich 360 zu sein braucht. Relativ lichtschwache Farben werden vielmehr Sektorgr\u00f6fsen erfordern, deren Summe kleiner als 360 Grad ist, d. h. es wird noch ein schwarzer Sektor hinzugef\u00fcgt werden m\u00fcssen. Die eine Farbe X bestimmende Gleichung erh\u00e4lt also allgemein die Form\nX = aR + 0G r+yB + dS.\nHiermit w\u00e4re die M\u00f6glichkeit gegeben, die vorgelegte Farbe in festen Eichwerten zu bestimmen, sie zu \u201edefinieren\u201c. Die Bestimmung ist jedoch eine ziemlich umst\u00e4ndliche und wenig bequem. Noch wichtiger ist, dafs in dieser Weise zwar die erforderliche Mannigfaltigkeit der Modifikationen erhalten wird, dafs aber, wie man auch die Eichfarben w\u00e4hlen mag, die Gesamtheit der aus ihnen mischbaren zu eng begrenzt ist, so dafs K\u00f6rperfarben Vorkommen k\u00f6nnen, die aufserhalb dieser Grenze fallen. So wird sich z. B. aus dem Rot und Gr\u00fcn nur ein m\u00e4fsig ges\u00e4ttigtes Gelb mischen lassen. Ein ges\u00e4ttigteres Gelb, wie es wohl herzustellen ist, w\u00fcrde dann mit den drei Eichfarben zwar immer noch durch eine lineare Gleichung Zusammenh\u00e4ngen. Sie erh\u00e4lt jedoch die Form a X -f- \u00df B = y R -f- \u00e0 Gr -j- \u00a3 S. Eine vorgelegte Farbe in dieser Weise zu bestimmen, ist also nur dann m\u00f6glich, wenn sie selbst als die eines farbigen Papieres gegeben ist und somit mit anderen auf dem Kreisel gemischt werden kann. Da ferner eine farblose Mischung der drei Eichfarben aus bekannten Gr\u00fcnden nicht weifs, sondern grau erscheint, so ist Weifs und die sich ihm n\u00e4hernden hellen Farben durch eine solche Mischung zun\u00e4chst auch nicht darzustellen. Die Gleichung erh\u00e4lt vielmehr hier die Form\naX+\u00a3S = yR-HGr + eB.\nAuch in diesem Falle also ist die Bestimmung nur ausf\u00fchrbar, wenn die vorgelegte Farbe in der Form einer f\u00fcr den Kreisel geeigneten Scheibe gegeben ist oder hergestellt werden kann.\nHiernach ist denn der praktische Nutzen, den wir uns von der, Festlegung und allgemeinen Einf\u00fchrung dreier Eichfarben versprechen k\u00f6nnten, doch nur ein beschr\u00e4nkter, und es kann nicht \u00fcberraschen, dafs es bis jetzt dazu nicht gekommen ist . In den verschiedensten Hinsichten w\u00fcrde es wertvoller sein, s\u00e4mtliche Farben in Mustern ausgef\u00fchrt zu besitzen. Allerdings versteht sich, dafs die Zahl der \u00fcberhaupt in strengem Birne verschiedenen Farben wegen der stetigen Ver\u00e4nderlichkeit","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nJ. v. Kries.\nunendlich grofs ist. Es kann sich also nur darum handeln, ans der ganzen Mannigfaltigkeit eine endliche Zahl von Punkten festzulegen, und zwar so, dafs jeder von den ihm benachbarten durch einen Unterschied von endlicher und passender .Grof\u00dfe getrennt ist. Dies wird jedoch auch in jedem Sinne gen\u00fcgen. Die Zahl der Muster so grofs zu machen, dafs der Unterschied zweier benachbarter unter die Schwelle der Merkliehkeit f\u00e4llt, ist nat\u00fcrlich vollkommen \u00fcberfl\u00fcssig. Aber auch wenn wir die Stufen so w\u00e4hlen, dafs sie das Doppelte oder Dreifache, eines \u201eeben merklichen\u201c Unterschiedes ausmachen (wodurch sich die Zahl der erforderlichen Muster auf eine zwar immer noch -be. tr\u00e4chtliche, aber doch praktische M\u00f6glichkeiten nicht \u00fcberschreitende Zahl beschr\u00e4nkt), wird der Zweck einer solchen Sammlung noch in vollem Mafse erreicht werden. Denn die Aufsuchung desjenigen Musters, das einer beliebigen Farbe gleich erscheint, w\u00fcrde in der einfachsten und leichtesten Weise ausf\u00fchrbar sein. Auch kann jedenfalls versucht werden, \u00fcberall bis an diejenige Grenze zu gehen, die nach Malsgabe der \u00fcberhaupt m\u00f6glichen Oberfl\u00e4chenbeschaffenheit erreicht werden k\u00f6nnen Eine solche Sammlung von Mustern wird daher auch \u00fcber die\nm\u00f6glichen K\u00f6rperfarben einen unmittelbar anschaulichen \u00fcber-blick geben.\nF\u00fcr die Ausl\u00fchrung eines solchen Unternehmens ist imn abgesehen von den rein technischen Fragen die Anordnung der verschiedenen Farben von hervorragender Bedeutung. Wie sehr dies der i*all ist, wird deutlich, sobald wir an eine Ordnung denken, die sich der in der physiologischen Optik vorzugsweise gebr\u00e4uchlichen NEWTONschen Tafelkonstruktion anschliefst. Werden drei Eichlichter als Ecken eines Dreiecks festgelegt, so stellt bekanntlich nach den Grunds\u00e4tzen dieser Konstruktion jeder Punkt im Innern dieses Dreieckes eine Mischung der drei Eichfarben in irgendeinem Verh\u00e4ltnis dar. Alle m\u00f6glichen Abstufungen der qualitativen Zusammensetzung : finden also in der Tafel ihre Darstellung. Dagegen kommen \u00c4nderungen der absoluten Lichtst\u00e4rke (bei qualitativ gleicher Zusammensetzung) in der Tafel nicht zur Darstellung ; jeder Punkt entspricht vielmehr nur einer ganz bestimmten Intensit\u00e4t, derjenigen n\u00e4mlich, bei der die Summe der Bruchteile, mit der jedes der drei Eichlichter vertreten ist, gleich der Einheit ist. Sollen im Anschlufs an diese Konstruktion auch die \u00c4nderungen","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologische Bemerkungen zii Ostwalds Farbenfibel.\n125>\nder Intensit\u00e4t ber\u00fccksichtigt werden, so k\u00f6nnen diese durch Linien dargestellt werden, die in jedem Punkte der Tafel senkrecht auf ihrer Ebene errichtet werden und durch ihre Erstreckung nach oben und unten die steigenden bzw. abnehmenden absoluten St\u00e4rken darstellen. Wir erhalten so einen prismatischen K\u00f6rper, der nach der einen Seite bei dem. Null wert der Lichter ab-schliefsen, nach der Seite der steigenden Intensit\u00e4ten dagegen sich zu unbegrenzt h\u00f6heren St\u00e4rken erstrecken w\u00fcrde.\nSoll eine Sammlung von Farbenmustern im Anschluls hieran geordnet werden, so k\u00f6nnen wir drei Eichfarben w\u00e4hlen und, dem gleichen Prinzip folgend, alle diejenigen Farben in eine Tafel vereinigen, die einer Mischung der Eichfarben in irgendwelchen Verh\u00e4ltnissen gleich erscheinen, wobei wieder die Beteiligungen der einzelnen Eichfarben in Summa der Einheit gleich sein m\u00fcssen. Um auch lichtstarkere und lichtschw\u00e4chere Farben darzustellen, w\u00e4re eine Vielzahl \u00e4hnlicher Tafeln erforderlich, deren Eichfarben zu den zun\u00e4chst gew\u00e4hlten in der Beziehung stehn, dafs sie Lichtgemische von qualitativ gleicher Zusammensetzung in. fortschreitend gr\u00f6fserer bzw. geringerer Intensit\u00e4t zur\u00fcckwerfen. Die n\u00e4mliche Beziehung w\u00fcrde auch durchweg zwischen gleichgelegenen Punkten der verschiedenen Tafeln stattfinden. Auf diese Weise w\u00fcrden wir nun freilich zu einer geordneten Darstellung aller ungleich aussehenden Farben gelangen. Man \u00fcberzeugt sich aber leicht, dafs dieses, den Gewohnheiten der physiologischen Optik vielleicht am n\u00e4chsten liegende Verfahren f\u00fcr den hier verfolgten Zweck, eine Darstellung der K\u00f6rperfarben, sehr wenig geeignet sein w\u00fcrde. Denn aus bekannten Gr\u00fcnden gibt es ja keine Farben, durch deren Mischung in der hier gemeinten Weise Weifs oder auch nur die sehr hellen unges\u00e4ttigten Farben erhalten werden k\u00f6nnen. F\u00fcr diejenigen Tafeln also, die solche Farben, insbesondere Weifs, enthalten, m\u00fcfsten wir fingierte, realiter nicht darstellbare Eichfarben heran zieh en ; ihr eigentlich interessierender reeller Teil aber w\u00fcrde kein geradliniges Dreieck, sondern von einer unregelm\u00e4fsigen, sich mehr und mehr verengenden Umrifslinie begrenzt sein. Die ganze Daxstellung w\u00fcrde daher der in erster Linie zu w\u00fcnschenden Begeh m\u00e4fsigkeit und \u00dcbersichtlichkeit ermangeln.\nDas Verfahren Ostwalds geht nun von einem andern Prinzip aus, das sich schon insofern zu empfehlen scheint, als es durch seinen Anschlufs an die Maltechnik, die Mischung von","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\nJ. v. Kries.\nPigmentfarben auf der Palette, einen besonderen Grad von Anschaulichkeit besitzt. Jede einzelne \u201ereine Farbe\u201c kann durch Zumischung von Weifs oder von Schwarz oder von beiden abge\u00e4ndert werden. Es ist die Gesamtheit dieser Mischungen, die zun\u00e4chst als etwas Einheitliches zusammengefafst werden. Ihnen wird durchg\u00e4ngig der gleiche Farbenton zugeschrieben. Auch f\u00fcr sie benutzt Ostwald die Tafeldarstellung. Es werden also Schwarz, Weifs und die betreffende reine Farbe als Ecken eines Dreiecks festgelegt, so dafs die erw\u00e4hnten Abstufungen s\u00e4mtlich im Innern dieses Dreiecks FWS (s. die Figur) ihren Platz finden.\nDie Abstufungen zwischen Weifs und Schwarz, die verschiedenen grauen Farben, erhalten dann ihren Ort auf der S und W verbindenden Linie. Die Vermischungen der reinen Farbe mit Weifs oder mit Schwarz nennt Ostwald klare (hellklare \u00f6der dunkelklare) Reihen, w\u00e4hrend durch die Vermischung der reinen Farbe mit Grau \u201etr\u00fcbe\u201c Farben entstehen.\nDie genauere Anordnung der Farben innerhalb dieses Dreiecks ist wiederum nach der Schwerpunktskonstruktion gedacht, deren physikalische Bedeutung sich allerdings etwas modifiziert, wenn die eine Farbe ein vollkommenes Schwarz ist, die aber, wie leicht erweislich, auch f\u00fcr diesen Fall anwendbar ist\nDa wir uns f\u00fcr jede beliebige reine Farbe eine Tafel von genau derselben Beschaffenheit hergestellt denken k\u00f6nnen, so erhalten wir, indem wir auch noch eine Ver\u00e4nderung des Farbentons ber\u00fccksichtigen, einen Farbenk\u00f6rper von einfacher Form und Begrenzung. Er erh\u00e4lt, wenn die \u00c4nderung des Farbentons durch eine auf der Tafelebene senkrechte Erstreckung dargestellt wird, die Form eines dreikantigen Prismas. Beachtet man, dafi die reinen Farben in bekannter Weise eine in sich zur\u00fccklaufende Reihe bilden, so kann man sie auch in Kreisform anordnen, und der Farbenk\u00f6rper erh\u00e4lt die Form eines Doppelkegels, dessen Spitzen das Schwarz und Weifs darstellen.\n. Eine diesem Prinzip folgende Sammlung von Mustern w\u00fcrde zun\u00e4chst die Farben gleichen Tones, n\u00e4mlich die Abstufungen oiner reinen Farbe gegen Schwarz, Weifs und die verschiedenen","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologische Bemerkungen zu Ostwalds Farbenfibel.\n127\nQrao, in der Form einer Tafel von dreieckigem Umrifs zusammenfassen. \u00dcberdies w\u00fcrde dann von solchen Tafeln eine\npassende Zahl, entsprechend der gew\u00e4hlten Zahl reiner Farben herzustellen sein. Alle diese Tafeln w\u00fcrden in Form und Einrichtung untereinander \u00fcbereinstimmen; jede w\u00fcrde eine Anzahl in besonders einfacher Weise zusammengeh\u00f6riger Muster umfassen.\nEine genauere Pr\u00fcfung lehrt nun allerdings, dafs auch das Verfahren Ostwalds nicht ganz die ideale Vollkommenheit besitzt, die es auf den ersten Blick zu haben scheint. Es h\u00e4ngt dies mit der Definition der \u201ereinen Farben\" zusammen. Und wir kommen hiermit auf einen Punkt, der in verschiedenen Hinsichten von Bedeutung ist, und auf den etwas genauer einzu-gehen um so mehr geboten ist, als in dieser Beziehung die Darstellung Ost Walds nicht so durchsichtig und verst\u00e4ndlich ist, als wohl gew\u00fcnscht werden k\u00f6nnte. Ostwald bezeichnet z. B. als ein reines Rot diejenige Farbe, die gar kein weifses Licht zur\u00fcckwirft und auch kein rotes Licht verschluckt (S. 38), mit anderen Worten also nur rotes Licht, dieses aber vollst\u00e4ndig zur\u00fcck wirft.\nAllein was hier unter dem roten Lichte (oder dem Lichte irgendeines anderen Farbentons) verstanden werden soll, ist nicht ohne weiteres deutlich. Auch ist zu beachten, dafs die Auffassung eines beliebigen Lichtgemisches als einer Kombination einer reinen Farbe mit Weifs zwar in gewissen physiologischen Hinsichten zutreffend und gen\u00fcgend ist, die physikalischen Verh\u00e4ltnisse aber nicht eigentlich bezeichnet. Versucht man, was jedenfalls zweckm\u00e4fsigerweise zuerst ins Auge zu fassen ist, die Definition der hier gemeinten reinen Farben lediglich auf physikalischer Grundlage zu geben, so zeigt sich folgendes. Jedenfalls kann der Begriff der reinen Farbe nicht dahin verstanden werden, dafs nur Licht von einer ganz bestimmten Well en l\u00e4nge vollst\u00e4ndig zur\u00fcckgeworfen werde. Vielmehr tmifs die Zur\u00fcckwerfung sich auf einen endlichen Bereich von Wellenl\u00e4ngen erstrecken. Nehmen wir an, dafs die\nreines Gelb zu bezeichnende Farbe dem Licht von der Wellenl\u00e4nge 580 fi\u00df zukommt, so wird doch rein Gelb ein K\u00f6rper genannt werden, der das Licht eines kleineren oder greiseren Spektralbezirks zur\u00fcckwirft. Dabei bliebe es aber zun\u00e4chst willk\u00fcrlich, wie grofs dieser Spektralbezirk zu bemessen ist: er m\u00fcfste nur auf der einen und anderen Seite so abschneiden,","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128\nJ. v. Kries.\ndafs der Farbeneindruck, den er in toto macht, wiederum rem gelb im Farbenton ist. So k\u00f6nnten wir nun rein Gelb eine Farbe nennen, die das Licht des Bereiches 620 bis 540 zur\u00fcckwirft , aber auch eine solche, deren Zur\u00fcckwerfung auf. den kleineren Bereich 590 bis 570 beschr\u00e4nkt ist. W\u00e4hrend wir also das reine Weifs und das reine Schwarz physikalisch ohne weiteres fest definieren k\u00f6nnen, und es auch gen\u00fcgt, diejenigen Farben zu w\u00e4hlen, die sich dem idealen Schwarz oder Weifs am meisten ann\u00e4hern, ist die feine Farbe, z, B. das reine Gelb physikalisch nicht ohne weiteres definierbar, seine Festlegung in gewissem Mafse Sache des \u00dcbereinkommens oder der Willk\u00fcr.\nAuch in das Verfahren, das Ostwald angibt fS. 38), um den Schwarzwert irgendeiner Farbe zu ermitteln, geht diese Willk\u00fcr, lichkeit ein. Zu diesem Zwecke wird einerseits ein reines Wells, andererseits die zu pr\u00fcfende Farbe mit Licht derselben Farbe beleuchtet und ermittelt, ob und event, in welchem Verh\u00e4ltnis die Farbe dunkler erscheint als das Weifs. Das Ergebnis h\u00e4ngt ganz von der Beschaffenheit des zur Pr\u00fcfung verwendeten farbigen Lichtes ab. Ein K\u00f6rper, der das Licht der Wellenl\u00e4ngen 570 bis 590 ^vollst\u00e4ndig zur\u00fcckwirft, wird keine Beimischung von Schwarz erkennen lassen, wenn wir ihn mit einer Beleuchtung pr\u00fcfen, die eben diese Lichter und keine anderen enth\u00e4lt. Pr\u00fcfen wir ihn dagegen mit einem Licht, das die Wellenl\u00e4ngen von 540 bis 620 //// umfafst, so wird er von diesem nur einen Teil zur\u00fcckwerfen, und deingem\u00e4fs w\u00fcrde ihm eine Beimischung von Schwarz zuzuschreiben sein.\nWichtiger ist, dafs zufolge der gleichen Umst\u00e4nde im allgemeinen nicht auf die M\u00f6glichkeit gerechnet werden kann, die Eichfarbe so zu w\u00e4hlen, dafs alle vorkommenden Farben des gleichen Farbentons sich als Mischungen von ihr mit Weife und Schwarz darstellen lassen. Xehmen wir z. B. an, die Eicbfarbe werfe die Lichter von der Wellenl\u00e4nge 490 bis 530 pp zur\u00fcck. Dann wird eine andere Farbe, deren Zur\u00fcckwerfitngsbereicb innerhalb jenes liegt, (einen Teil von jenem ausmacht), z, B . sich von 500 bis 520 ^ erstreckt, nach herk\u00f6mmlichem Sprachgebrauch h\u00f6here S\u00e4ttigung besitzen als die Eichfarbe, aber an Lichtst\u00e4rke hinter ihr Zur\u00fcckbleiben. Die zwischen dieser Farbe X der Eich-\nf\u00e4rbe E, Weifs und Schwarz aufzustellende Gleichung erh\u00e4lt hier die Form\na X \u2014b W == c E \u2014I - d S,","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologische Bemerkungen zu Ostwalds Barbenfibel.\n129\nund an! der Tafel (vgl. die Fig. auf S. 126) f\u00e4llt die Farbe aufserhalb des Dreiecks FSW und zwar in den horizontal schraffierten Bereich Aj. Dagegen wird eine andere Farbe, deren Zur\u00fcckwerfungsbereich denjenigen der Eichfarbe einschliefst, aber nach beiden Seiten hin\u00fcberragt, z. B. von 480 bis 540 pp reicht, lichtstarker aber weniger ges\u00e4ttigt sein; die Gleichung erh\u00e4lt die Form\n\u25a0/..... : \u25a0\taX -f- b S \u2014 c E -j- d W.\nAuch dieses Licht f\u00e4llt in der Tafel aufserhalb des Dreiecks FSW, jedoch in den senkrecht schraffierten Raum A2.\n\u2018 Das hier zun\u00e4chst ganz allgemein Entwickelte erf\u00e4hrt allerdings zufolge der besonderen Gestaltung der Lichtmischungsgesetze gewisse Einschr\u00e4nkungen. Zun\u00e4chst ist zu beachten, dafs der Umrifs der Farbentafel (im alten Sinne) vom \u00e4ufsersten Rot bis zum Gr\u00fcngelb von etwa 540 pp keine merkliche Abweichung von der Geraden zeigt.1 Dies bedeutet, dafs bei Mischung beliebiger Lichter, die diesem Bereiche angeh\u00f6ren, die Gemische einem reinen Licht irgendeiner zwischenliegenden Wellenl\u00e4nge gleich aussehen, nicht etwa an S\u00e4ttigung dahinter Zur\u00fcckbleiben. Damit ist denn ohne weiteres gegeben, dafs f\u00fcr einen gewissen Bereich von Farbent\u00f6nen Eichfarben denkbar sind, die (ohne auf einen ganz kleinen Bereich von Wellenl\u00e4ngen beschr\u00e4nkt zu sein) doch von h\u00f6chster, nicht \u00fcberschreitbarer S\u00e4ttigung sind. Tats\u00e4chlich wird dies der Fall sein mindestens bis zu dem Farbenton des reinen Gelb, auch wohl noch ein St\u00fcck dar\u00fcber hinaus.\nIn gewissem Umfange ferner ist auch eine Beschaffenheit der Eichfarben denkbar, bei der das vorhin an zweiter Stelle erw\u00e4hnte Verhalten ausgeschlossen ist, bei der also keine anderen Farben Vorkommen k\u00f6nnen, die, um mit der Eichfarbe eine Gleichung zu geben, ihrerseits einen Schwarzzusatz erforderten. Enth\u00e4lt n\u00e4mlich die Eichfarbe einen Bereich von Lichtarten von bis \u00c42, so wird, wie vorhin gezeigt, dieser Fall eintreten f\u00fcr $ipe andere Farbe, die das Licht eines gr\u00f6fseren, jenen ein-schliefsenden Spektralbereiches enth\u00e4lt. Damit dieser mit der Eichfarbe an Farbenton \u00fcbereinstimmt, ist stets erforderlich, dafs er \u00fcber den Lichtbereich dieser an beiden Seiten hinausgeht, also sowohl l\u00e4nger- als auch k\u00fcrzerwelliges Licht enth\u00e4lt als\n1 Vgl. hier\u00fcber die Ausf\u00fchrungen in Nagels Handbuch der Physio Jo\u00a3ie, III, S. 115.","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nJ. v. Kries.\ndiese. Dies wird dann ausgeschlossen sein, wenn die Eich f\u00e4rbe das gesamte Licht von einem Ende des Spektrums an bis \u00abu einem bestimmten Punkte enth\u00e4lt. Ein Pigment z. B\u201e das das gesamte Licht vom roten Ende des Spektrums bis zur Wellenl\u00e4nge von 600 fi/i vollst\u00e4ndig zur\u00fcckwirft, wird in seiner Gesamtheit ein gewisses Orange (Gold in der Bezeichnung Ostwalds) darstellen. Eine solche Farbe w\u00fcrde nicht nur von maximaler S\u00e4ttigung sein, sondern auch (f\u00fcr diesen bestimmten Farbenton} ein H\u00f6chstmafs von Lichtst\u00e4rke darstellen: es w\u00fcrde nach Mafs-gabe der physikalischen Verh\u00e4ltnisse und der allgemeinen Gesetze der Lichtmischung ausgeschlossen sein, ein Orange gleichen Farbentones aber h\u00f6herer Lichtst\u00e4rke herzustellen.\t;\n'\t\u2022 f i i\nW\u00e4hrend also in gewissem Umfange eine Herstellung von Eichfarben denkbar erscheint, die mittels ihrer Abstufungen gegen Weifs und Schwarz die Gesamtheit aller Farben gleichen Tones umfassen, bleibt, abgesehen von diesen F\u00e4llen, die Erreichbarkeit dieses Zieles zun\u00e4chst fraglich. Allerdings mufs noch besonders betont werden, dafs die Dinge hier lediglich im Hinblick auf die allgemeinen physikalischen Verh\u00e4llnisse und auf die Gesetze der Lichtmischung betrachtet worden sind. Es ist wohl m\u00f6glich, dafs der ins Auge gefafste \u00dcbelstand (Farben, die aus dem Dreieck FSW herausfallen) praktisch in geringerem Mafse auftritt, als sich aus der durchgef\u00fchrten theoretischen \u00dcberlegung erkennen l\u00e4fst. Zutreffen d\u00fcrfte er indessen jedenfalls in betr\u00e4chtlichem Umfange f\u00fcr gr\u00fcne Farbent\u00f6ne. Denn wie bekannt l\u00e4fst sich ein einigermafsen lichtstarkes Gr\u00fcn nicht in sehr hoher S\u00e4ttigung hersteilen. W\u00e4hlen wir als Eichfarbe ein relativ helles und demgem\u00e4fs unges\u00e4ttigtes Gr\u00fcn, so wird jedenfalls ein dunkleres und ges\u00e4ttigteres herzustellen sein und wir erhalte\u00bb die Gleichung von der Form\t;\na A. -j- b W = c E -j- d S.\nW\u00e4hlen wir dagegen als Eich f\u00e4rbe ein dunkles und sehr g\u00bb s\u00e4ttigtes Gr\u00fcn, so wird es hellere und unges\u00e4ttigte geben, f\u00fcr die die Gleichung die Form\naX + bS = cE + dW\nerh\u00e4lt.\nEs ist hier der Ort, noch eine andere Angabe Ostwalds \u00fcber die reinen Farben zu ber\u00fchren. Er sagt (S. 17), dafs gleich reine \u00cf arben gegeufarbigen Tons, in gleichen Mengen gemischt, ein","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologische Bemerkungen zu Ostwalds Farbenfibel.\n131\nfarbloses Grau ergeben m\u00fcssen. Nun geht allerdings aus dem vorhin Gesagten hervor, dafs man als reine Farben solche fest-legen kann, die dieser Anforderung gen\u00fcgen. Der angef\u00fchrten Stelle bei Ostwald scheint aber doch die Meinung zugrunde zu liegen, dafs es sich hier um ein Verh\u00e4ltnis handelt, dafs sich aus dem festgelegten Begriffe der reinen Farbe mit Notwendigkeit ergebe. Es gibt aber, so weit ich sehe, keine physikalische Definition der reinen Farbe, f\u00fcr die das zutr\u00e4fe.1\t\u25a0\nSind, wie aus dem Obigen hervorgeht, die reinen Farben, die in der OsTWALDschen Darstellung benutzt werden, nicht in \u00e4hnlicher Weise wie das ideale Weifs und Schwarz in physikalischem Sinne fixiert, so kann die Frage aufgeworfen werden, ob sie nicht durch eine mit der Natur unseres Sehorgans gegebene und unmittelbar erkennbare Beschaffenheit der Empfindungen selbst, also in psychologischem Sinne festgelegt oder festzulegen - sind. Verbreitete Vorstellungen \u00fcber die Analyse der Empfindungen k\u00f6nnen die Vermutung nahe legen, dafs sich das so verhalten m\u00fcsse. Stellt das Gr\u00fcn oder Gelb einen \u201eelementaren Bestandteil\u201c der optischen Empfindungen dar, dann sollte es doch auch erkennbar sein, unter welchen Bedingungen dieses Element der Empfindung rein f\u00fcr sich gegeben ist. Die Erfahrung lehrt ja nun zun\u00e4chst, dafs wir z. B. durch voraufgegangene Blaubelichtung Empfindungen von h\u00f6herem und h\u00f6herem Gelb wert ohne eine sicher angebbare Grenze erzeugen\n1 Freilich gibt es streng definierbare Farben, f\u00fcr die das hier erw\u00e4hnte Kriterium gelten mufs; doch kommen diese aus anderen Gr\u00fcnden als die hier gemeinten reinen Farben nicht in Frage. Wir k\u00f6nnten als rein Rot z. B. eine Farbe bezeichnen, bei der alles Licht zur\u00fcckgeworfen wird, das \u00fcberhaupt einen Rotwert (eine Rotvalenz im Sinne Herings besitzt). Wir k\u00f6nnen uns dann das ganze Spektrum in zwei Teile zerlegt denken, von denen der eine alle diejenigen Lichter umfassen w\u00fcrde, die eine Rotvalenz, der andere alle diejenigen, die eine Gr\u00fcnvalenz besitzen. Das reine Rot w\u00e4re eine Farbe, die die gesamten Lichter des einen, das reine Gr\u00fcn eine, die die gesamten Lichter des anderen Bereiches zur\u00fcckw\u00fcrfe. Da das Spektrum in seiner Totalit\u00e4t den Eindruck der farblosen Helligkeit erzeugt, so w\u00fcrden die in diesem Sinne reinen Farben in gleichem Verh\u00e4ltnis gemischt, eine farblose Mischung ergeben. Allein die Farben, die man in dieser Weise, durch Zerlegung des ganzen Spektrums in zwei Teile erh\u00e4lt, sind in bekannter Weise in hohem Grade unges\u00e4ttigt. Wollten wir sie also der Konstruktion zugrunde legen, so w\u00fcrde das in gr\u00f6fstem Umfange auf den vorhin erw\u00e4hnten \u00dcbelstand f\u00fchren, dafs eine M\u00e9nge realer Farben aufserhalb des Dreiecks FSW zu liegen k\u00e4me.","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"J. v. Kries.\nk\u00f6nnen. Ein in idealem Sinne reines Gelb scheint also j\u00e8den-falls nicht aufweisbar zu sein. Wir k\u00f6nnen nun demzufolge mit Hiding annehmen, dafs die reinen F\u00e4rbenempfindungen f\u00fcr sich isoliert nicht Vorkommen, dafs ihnen vielmehr stets ein gewisses Mafs von Hell und Dunkel, von Weifs* oder Schwarzempfindung foeigemischt ist. Geht man hiervon aus, so k\u00f6nnte man erwarten, dals das Verh\u00e4ltnis, in dem der farbige Bestandteil zu dem nicht farbigen steht, sich als etwas unmittelbar Erkennbares darbietet. Danach w\u00fcrde dann das, was wir in diesem psychologischen Sinne den Reinheitsgrad einer Farbe nennen d\u00fcrfen, erkennbar und namentlich vergleichbar sein. Wir m\u00fcfsten anzugeben in der Lage sein, welche von zw7ei Empfindungen gleichen barbentones die h\u00f6here Reinheit besitzt ; damit w\u00e4re denn auch diejenige K\u00f6rperfarbe, die das erreichbare H\u00f6chstmafs von Reinheit hat, ohne weiteres festzustellen.\nGeht man nun hiervon aus, so kann es scheinen, als ob die ganze Verfahrungsweise Ostwalds, vor allem seine Bezeichnungen mit helgebrachten Anschauungen in direkten Widerspruch tr\u00e4ten. In dei lat deckt sich ja nach herk\u00f6mmlichem Sprachgebrauch doch wohl so ziemlich das, was wir die Reinheit und was wir die S\u00e4ttigung einei barbe nennen; namentlich werden ja die unges\u00e4ttigten barben auch wohl als \u201eschmutzig-gelb\u201c, \u201eschmutzig-gr\u00fcn\u201c usw. bezeichnet. Werden nach der hergebrachten Betrachtung der S\u00e4ttigungsgrad und die absolute Intensit\u00e4t als unabh\u00e4ngige Ver\u00e4nderliche behandelt, so bleibt bei der Vermischung mit Schwarz (was ja eine Verminderung der absoluten Intensit\u00e4t bedeutet) die S\u00e4ttigung die gleiche. Ostwald dagegen spricht auch in diesem Falle von einer abnehmenden Reinheit. In gewissem Umfang steht dies auch sicherlich im Einkl\u00e4nge mit dem Sprachgebrauch, der z. B. ein schw\u00e4rzliches Gr\u00fcn auch ein unreines nennen wird. So kann man denn wohl die Frage aufwerfen, wie sich die Dinge eigentlich verhalten, was das richtige ist. Wird tats\u00e4chlich bei Verminderung der Intensit\u00e4t ohne \u00c4nderung der qualitativen Zusammensetzung die Reinheit ge\u00e4ndert, wie es der Darstellung Ostwalds entspricht, oder bleibt sie die gleiche, wie man das bisher anzunehmen gewohnt war? \u2014 Wie mir scheint, deutet gerade dieser scheinbare Widerspruch darauf hin, dafs der Remheits- oder S\u00e4ttigungsgrad einer Farbe \u00fcberhaupt nicht em in dem Sinne psychologisch festgelegtes Merkmal der Empfindungen ist, wie das hier vorausgesetzt wurde. Meines Er-","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologische Bemerkungen zu Ostwalds Farbenfibel.\n133\nachtens liegen die Dinge f\u00fcr die Verh\u00e4ltnisse der Farbigkeit ganz ebenso, wie ich dies f\u00fcr die \u201espezifischen Vergleichungen\u201c allgemein dargelegt und in erster Linie f\u00fcr die Helligkeitsvergleichungen genauer ausgef\u00fchrt habe. Auch ohne dafs die Helligkeit ein bestimmtes, in jeder Gesichtsempfindung enthaltenes \u201eElement\u201c ist, k\u00f6nnen doch die Unterschiede irgendwelcher Paare von Empfindungen soweit \u00e4hnlich sein, dafs sie sich unter den mehr oder weniger unbestimmten Begriff einer Helligkeitsdifferenz zusammenfassen lassen. So kann es denn sein, dafs wir unbedenklich z. B. ein bestimmtes Gelb heller nennen als ein Rot, ein Blau heller oder dunkler als ein Gr\u00fcn. Es kann aber sehr wohl auch Unterschiede geben, die sich weder im einen noch im entgegengesetzten Sinne dem Begriff einer Helligkeitsdifferenz unterordnen lassen. Und \u00e4hnlich wie die Frage, ob eine bestimmte Empfindung noch Rot zu nennen sei, bei der Unbestimmtheit dieses Begriffes eine Entscheidung in vielen F\u00e4llen weder fordert noch gestattet, so kann auch die Frage, welche von zwei Empfindungen das h\u00f6here Mafs von Helligkeit besitze, wenn sie sich nicht nach dem unmittelbaren Eindruck einwandfrei entscheidet, \u00fcberhaupt unbeantwortbar sein.\nGanz ebenso liegen die Dinge auch f\u00fcr die Farben. Auch der Begriff des Gelb, der Gelbheit oder des Gelbwertes kann auf Grund von \u00c4hnlichkeitsverh\u00e4ltnissen gebildet werden, ohne dafs das Gelb ein festbestimmtes, durch psychologische Analyse abzusonderndes Element des Empfindens darstellte. Aber auch dieser Begriff ist ein mehr oder weniger unbestimmter. Demgem\u00e4fs k\u00f6nnen wir zwar in vielen F\u00e4llen sagen, dafs von zwei Farben die eine gelber, reiner gelb, ges\u00e4ttigter gelb sei als die andere, auch wenn die beiden Farben sich zugleich hinsichtlich der Helligkeit oder des Farbentons unterscheiden. Wir bezeichnen damit nicht den gr\u00f6fseren Betrag eines isolierbaren Elementes, sondern die \u00c4hnlichkeit des hier gegebenen Unterschiedes mit gewissen anderen. In anderen F\u00e4llen, so z. B. wenn wir ein dunkles Orange und ein helles gelbliches Gr\u00fcn zur Vergleichung vorlegen, wird uns die Frage, welches von beiden das gelbere sei, unbeantwortbar erscheinen; und in solchen F\u00e4llen gibt es auch keine Beantwortung der Frage, die im rein psychologischen Sinne die zwingend richtige genannt werden k\u00f6nnte.1\n1 Mit diesen Erw\u00e4gungen ist selbstverst\u00e4ndlich die M\u00f6glichkeit nicht bestritten, dafs sich aus einer spezielleren Kenntnis der physiologischen Zeitsehr. f. Sinnesphysiol. r*0.\t10","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"J. V. Kries.\nSieht man die Dinge in dieser Weise an, so besteht kein Anlafs, die Art, wie Ostwald den Begriff der Reinheit nimmt, vom physiologischen oder psychologischen Standpunkte aus zu beanstanden. Und auch die Wahl der reinen Farbe erscheint\nzwar in gewissem Mafse willk\u00fcrlich, aber, wie sie auch getroffen werden mag, zul\u00e4ssig. Allerdings aber darf betont werden, dafs die Begriffe der reinen Farbe, des Reinheitsgrades usw. lediglich in einem physikalischen, f\u00fcr den hier verfolgten Zweck geeigneten Weise gew\u00e4hlt sind, nicht aber zugleich eine tiefere physiologische oder psychologische Bedeutung besitzen.\nOb diese Feststellung mit den Anschauungen Ostwalds zusammentrifft oder zu ahnen in Widerspruch tritt, scheint mir nicht ganz sicher erkennbar. Doch m\u00f6chte ich das erstere f\u00fcr wahrscheinlicher halten. Denn Ostwald bemerkt, dafs die beiden Farben, die wir erhalten, indem wir z. B. reines Gelb mit Weils und Schwarz in gleichen Verh\u00e4ltnissen mischen, die also gleichen Grad der Reinheit haben, im subjektiven Sinne ungleichen Gelbwert besitzen; die Farbe tritt in der Mischung mit Weifs viel st\u00e4rker zur\u00fcck als in der mit Schwarz. Mir ist danach wahrscheinlicher, dafs Ostwald, so wie es mir erforderlich scheint, die Reinheit lediglich im physikalischen Sinn verstanden wissen will. Ich habe jedoch geglaubt, den ganzen Punkt etwas eingehender besprechen zu sollen, weil die Darstellung Ostwalds in dieser Hinsicht vielleicht nicht ganz zweifelsfrei ist, und weil bei einer nicht gerade fernliegenden Auffassung es so aussehen kann, als ob das ganze \\ erfahren Ostwalds zu hergebrachten\nAnschauungen in Widerspruch tr\u00e4te.\nH\u00e4lt man an der streng physikalischen Auffassung der mehrerw\u00e4hnten Begriffe fest, so besteht ein solcher Widerspruch nicht; das Unternehmen bewegt sich vielmehr durchaus auf dem Boden der in der Physiologie des Gesichtssinnes durchweg angenommenen und f\u00fcr grundlegend gehaltenen Tatsachen. Zu den mehr oder weniger streitigen theoretischen Auffassungen des Sehorgans hat es gar keine Beziehung, sondern ist von diesen durchaus unabh\u00e4ngig.1 Aus keiner der in dieser Hinsicht zurzei\nVorg\u00e4nge eine bestimmte Definition f\u00fcr die Reinheit der Farbe mit Notwendigkeit oder als die allein zweckm\u00e4fsige ergeben k\u00f6nnte.\n1 Auch die in einigen Besprechungen ge\u00e4ufserte Ansicht, dafs Ostwalds Unternehmen sich auf die GoETHEsche Farbenlehre st\u00fctze oder ihr ann\u00e4here, entbehrt m. E. jeder Begr\u00fcndung. Ob das f\u00fcr die jetzt an-","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologische Bemerkungen zu Ostwalds Farbenfiheh\n135\nm\u00f6glichen und vertretenen Anschauungen ergibt sieh ein Anlafs, das yon Oswald gew\u00e4hlte Verfahren zu beanstanden. Ebensowenig aber ist dies geeignet, in bezug auf die hier noch ungel\u00f6sten physiologischen und psychologischen Probleme berichtigend oder kl\u00e4rend zu wirken. Unterscheidet es sich von den gewohnten Verfahrungsweisen, so tut es dies in einer durch den besonderen Zweck veranlafsten und f\u00fcr diesen in der Tat sehr geeigneten Weise. Da dieser Zweck, wenn auch seine Bedeutung grofsenteils in der Richtung des technisch-praktischen liegt, auch unter den Gesichtspunkten der physiologischen Optik von nicht geringem Interesse ist, so k\u00f6nnen auch von den Vertretern dieses Faches Farbenfibel und Farbenatlas mit Freude als wertvolle Bereicherung begr\u00fcfst werden.\nSchliefslich m\u00f6chte ich noch kurz auf die Frage ein gehen, wie grofs die Zahl der Muster zweckm\u00e4fsig gew\u00e4hlt werden mufs. Um dies zu beurteilen, wird in erster Linie gefragt werden d\u00fcrfen, wie grofs die Zahl sich heraussteilen w\u00fcrde, wenn jedes Muster von den ihm benachbarten durch einen an der Grenze der Merklichkeit stehenden Unterschied ge-trennt, ist. Dies ist eine Frage, die an sich von bedeutendem physiologischem Interesse ist, jedoch kaum mit einer auch nur ann\u00e4hernden Genauigkeit beantwortet werden kann. Pline Sch\u00e4tzung derselben habe ich vor langer Zeit versucht1 und bin dabei zu der Zahl von 5\u2014600000 gelangt. Dabei wurde hervorgehoben, dafs es sich nur um recht grobe Taxierungen handeln k\u00f6nne. Ostwald spricht jetzt von mindestens einer Million, wobei vermutlich die neueren Untersuchungen nament-\nlich \u00fcber die Unterscheidung reiner (ges\u00e4ttigter) Farben zugrunde gelegt sein werden.2 Um die Bedeutung solcher Taxierungen richtig zu w\u00fcrdigen, mufs man immer im Auge behalten, wie sehr die Grenze der Unterscheidbarkeit von den verschiedensten\ngek\u00fcndigten weiteren Arbeiten Ostwalds zutreffen wird, entzieht sich nat\u00fcrlich vorderhand der Beurteilung. Ln der Farbenfibel und dem Farbenatlas kann eine solche Ann\u00e4herung nicht gefunden werden.\n1\tDie Gesichtsempfindungen und ihre Analyse, Leipzig 1882, S. 57.\n2\tOstwald veranschlagt die Zahl der unterscheidbaren reinen Farben auf etwa 500; ich hatte sie mit 230 in Rechnung gebracht. Donders, \u00dcber Farbensysteme, Archiv f\u00fcr Ophthalmologie, 27 I 8. 3, kam bei dem Versuche, die eben unterscheidbaren ges\u00e4ttigten Farben herzustellen (durch Mischling von \u00d6lfarben) auf 100.\n10*","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"J. v. Kries.\nNebenumst\u00e4nden abh\u00e4ngt. Stofsen zwei hinsichtlich der Helligkeit zu vergleichende Felder, wie es bei den besten photometrischen Verfahrungsweisen der Fall ist, ohne trennende Umrifslinie aneinander, und ist eines vom anderen umschlossen, so k\u00f6nnen wir den eben erkennbaren Unterschied der Helligkeit mit einem Prozent, ja wohl noch kleiner annehmen. Handelt es sich um zwei getrennte Objekte, die wir vielleicht nicht einmal in ganz unmittelbare Ber\u00fchrung bringen k\u00f6nnen, wie dies bei der Vergleichung dieser oder jener Gegenst\u00e4nde mit den Mustern des Atlas der Fall sein wird, so wird der Unterschied ein Mehrfaches von jenem Werte erreichen m\u00fcssen, um erkennbar zu sein. F\u00fcr die Erkennung von Farbenunterschieden gilt dasselbe. Dafs die von Ostwald in Aussicht genommene Zahl von 2\u20143000 vollauf gen\u00fcgen wird, unterliegt mir daher keinem Zweifel.1\n1 Bonders (a. a. O., S. 4) erw\u00e4hnt eine interessante Angabe von Herschel, nach der in den italienischen Mosaikfabriken nicht weniger als 20000 verschiedene Farben verwendet w\u00fcrden. Bei dieser Zahl d\u00fcrfte der Unterschied benachbarter Master der Grenze der Erkennbarkeit schon recht nahe gekommen sein.\n*\nCr. P\u00e4tz'sehe Buchdr. Lippert & Ce. G. m. b. H.. Naumburg a. d. S.","page":136}],"identifier":"lit33654","issued":"1919","language":"de","pages":"117-136","startpages":"117","title":"Physiologische Bemerkungen zu Ostwalds Farbenfibel","type":"Journal Article","volume":"50"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:52:03.283640+00:00"}