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{"created":"2022-01-31T15:20:17.927365+00:00","id":"lit33670","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Zoth, O.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 49: 85-88","fulltext":[{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"85\n(Aus dem physiologischen Institute der Universit\u00e4t Graz.)\nEin einfaches \u201ePlastoskop.\u201c\nVon\n0. ZOTH.\nDie alt- aber nicht ebenso allbekannte Art der Maler und Kunstkenner, ebene Bilder, Gem\u00e4lde nnd Zeichnungen, ein\u00e4ugig durch die zum Rohre geschlossene Hand zu betrachten, weist drei betr\u00e4chtliche Vorteile gegen\u00fcber der gew\u00f6hnlichen, beid\u00e4ugigen, \u201eoffenen\u201c Betrachtung auf, n\u00e4mlich gr\u00f6fsere Helligkeit, Deutlichkeit und insbesondere Plastik der betrachteten Bilder. W\u00e4hrend die beiden erstgenannten Vorteile leicht durch die Abblendung seitlichen und Abhaltung falschen Lichtes durch die wie ein Rohr wirkende Hohlhand erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen, liegt die Erkl\u00e4rung f\u00fcr die \u00fcberraschende Erh\u00f6hung der Wirkung der dargestellten Tiefendimensionen bei ein\u00e4ugiger Betrachtung nicht so ohne weiteres auf der Hand. Diese Wirkung ist in der Tat unter solchen Verh\u00e4ltnissen, wie z. B. Ebbinghaus hervorhebt, ein\u00e4ugig wesentlich besser, als bei freier Betrachtung beid\u00e4ugig : \u201eDas Bild geht auseinander, wie man sagt, d. h. die Wasserfl\u00e4chen, Alleen, S\u00e4ulenhallen erstrecken sich sichtlich von dem Beschauer fort statt von unten nach oben, wie sie gemalt sind; die Illusion kommt dem Eindruck der k\u00f6rperlichen Wirklichkeit wesentlich n\u00e4her als bei zwei\u00e4ugiger Betrachtung.\u201c * 1\nAlle Momente, welche seit Recklinghausen und Helmholtz als f\u00fcr das monokulare k\u00f6rperliche Sehen in Betracht kommend gew\u00fcrdigt worden sind, wie : Uberschneiden der Konturen, teil-\n1 H. Ebbinghaus, Grundz\u00fcge der Psychologie. Leipzig, Veit & Comp.,\nI. Bd., S. 424\u2014425. 1902.","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\n0. Zoth.\nweise Deckungen, Verteilung von Licht und Schatten, relative Helligkeiten, die Linearperspektive, Luftperspektive, Zahl der hintereinander liegenden Gegenst\u00e4nde wirken nat\u00fcrlich bei der Betrachtung ebener Bilder f\u00fcr das ein\u00e4ugige und das beid\u00e4ugige Sehen ganz gleich. Es fragt sich nun, warum monokular durch die geschlossene Hand oder, um einen sehr treffenden Ausdruck von Ebbinghaus zu gebrauchen, der eigentlich schon die ganze Erkl\u00e4rung in sich fafst, durch \u201eeine R\u00f6hre, die alle weiteren Lokalisationsanhalte ausschliefst\u201c1 2, die Tiefendimensionen in ebenen Bildern gegen\u00fcber der gew\u00f6hnlichen \u201eoffenen\u201c Betrachtungsweise so deutlich und zwingend hervortreten oder, vielleicht die Frage besser umgekehrt gestellt, warum die Tiefendimensionen in ebenen Bildern bei zwei- oder auch ein\u00e4ugiger offener Betrachtung weniger hervortreten, als bei ein\u00e4ugiger Betrachtung durch ein Rohr.\nEs scheint mir, dafs die folgende Erkl\u00e4rung in der Hauptsache zutreffen d\u00fcrfte. Zu den Anhaltspunkten f\u00fcr die Deutung der Tiefendimensionen in einem ebenen Bilde, die beim Sehen durch ein Rohr allein wirksam sind, gesellen sich beim gew\u00f6hnliehen offenen Schauen durch das Hinzukommen der Wirkung der Umgebung des Bildes, Rahmen, Hintergrund, Vordergrund, eine Anzahl monokular und binokular \u00e4ufserst wirksamer Momente, welche die Fl\u00e4chenhaftigkeit des Bildes in dem umgebenden Raume deutlich hervortreten lassen. In dem Wettkampfe jener durch die Zeichnung selbst gegebenen Motive f\u00fcr die Auffassung der dargestellten dritten Dimensionen und der mehr oder weniger zwingenden Motive der Umgebung, die die fl\u00e4chenhafte Auffassung des ebenen Bildes als ganzen beg\u00fcnstigen, obsiegen gew\u00f6hnlich die letzteren als die st\u00e4rkeren und die ersteren treten mehr oder weniger zur\u00fcck. Werden aber die Motive der Umgebung durch das Rohr ausgeschlossen3, dann gelangen die im Bilde selbst gelegenen Motive f\u00fcr die Auffassung der dargestellten dritten Dimension voll und ungest\u00f6rt zur Wir-\n1\tVgl. ebenda, II. Bd., S. 124 f.\n2\t1. c. II. Bd., S. 125.\n3\tUnter Umst\u00e4nden kann dies auch ohne Rohr erzielt werden, so z. B. leicht bei besonders krasser Linearperspektive und voller Konzentration der Aufmerksamkeit auf diese.","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Ein einfaches \u201ePlasioskop\u201c.\n87\nkung und rufen so den tats\u00e4chlich \u00fcberraschenden plastischen Effekt hervor, der sich uns darbietet.1\nDie unregelm\u00e4fsige Form der Umgrenzung des Bildes beim Betrachten durch die Hohlhand ist \u2014 besonders f\u00fcr den Unge\u00fcbten \u2014 etwas st\u00f6rend. Ich habe eine kleine, handliche Vorrichtung anfertigen lassen, die ein bequemes Beschauen von Bildern in wesentlich gleicher Art, jedoch mit regelm\u00e4fsiger Umgrenzung gestattet und aufserdem auch manche anderweitige Verwendung zul\u00e4fst. Dieses einfache \u201ePlastoskop\u201c besteht aus einem 8 cm langen konischen, innen mit schwarzem Sammet ausgekleideten Rohre aus d\u00fcnnem halbsteifem Leder, das der\nL\u00e4nge nach flach zusammengeklappt und so leicht in der Westen-\n\u2022 \u2022\ntasche mitgef\u00fchrt werden kann, und einer in die engere \u00d6ffnung des Rohres einzusteckenden geschw\u00e4rzten Blende mit beliebig zu w\u00e4hlenden Ausschnitte. Das weitere beim Gebrauche queroval zusammenzudr\u00fcckende Ende des Rohres ist zum Anlegen an die Lidumgrenzung der Augenh\u00f6hle bestimmt. Der Umfang der beiden Rohr\u00f6ffnungen betr\u00e4gt 11 und 8 cm (innen gemessen). Der Blendeneinsatz hat entweder einen kreisf\u00f6rmigen Ausschnitt von 21 mm Durchmesser, in den nach Bedarf verschieden grofse und geformte Blendungen aus d\u00fcnnem schwarzem Karton eingelegt werden k\u00f6nnen, oder zweckm\u00e4fsiger einen bestimmten quadratischen oder rechteckigen Ausschnitt, der schon dem beabsichtigten Hauptverwendungszwecke angepafst ist: sehr verwendbar hat sich ein Ausschnitt von 18 X 12 mm erwiesen, der, hoch- oder quergestellt, f\u00fcr sehr viele gebr\u00e4uchliche Bildformate und -Gr\u00f6fsen ausreicht. Die Dimensionen des Apparatchens sind, zusammengelegt, mit in dem Rohre versorgter Blende, rund 8X^X1 cm, das Gewacht betr\u00e4gt kaum 15 g.2\nBeim Gebrauche ist der Abstand des Beschauers, der am besten ungef\u00e4hr in der Richtung zwischen Bild und Fenster steht, vom Bilde so zu w\u00e4hlen, dafs durch die Blendungs\u00f6ffnung des Plastoskopes nichts als das Bild zu sehen ist; etwas vom Rahmen st\u00f6rt \u00fcbrigens wenig. Stimmt der Ausschnitt der\n1\tDas Moment des Ausschlusses der aufserhalb des Bildes gelegenen Lokalisationsanhalte scheint mir auch bei einer Reihe anderer plasto-skopischer Vorrichtungen, vom alten Guckkasten angefangen bis zum Veranten, wesentlich mitzuspielen.\n2\tEs kann vom Mechaniker meines Institutes, Herrn Karl Roczek, um 2 Kronen bezogen werden.","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\n0. Zoth.\nBlendungs\u00f6ffnung mit den Verh\u00e4ltnissen der Dimensionen de\u00e8 Bildes nicht \u00fcberein, dann mufs auf einen Teil der Bildfl\u00e4che verzichtet werden, was meist ohne besonderen Nachteil geschehen kann; sonst m\u00fcfste ein anderer Blendenausschnitt gew\u00e4hlt werden. Ametropen klemmen, wenn n\u00f6tig, das entsprechende Brillenglas quer im weiteren Rohrende ein. Die R\u00e4nder der nur 8 cm vom Auge entfernten Blendungs\u00f6ffnung erscheinen nat\u00fcrlich unscharf und verschwommen, die Ecken gerundet ; die Plastik tritt selbst in schlechten Bildern (z. B. gezeichneten Ansichtskarten) um so deutlicher hervor, je mehr der eingangs angef\u00fchrten Momente f\u00fcr das monokulare k\u00f6rperliche Sehen vorhanden sind und je l\u00e4nger man sich ihrem Eindr\u00fccke hingibt. Besonders sch\u00f6ne Wirkungen erzielt man auch so mit Diapositiven. Das Instrumentchen tut auch sonst gute Dienste, z. B. bei der Wahl des Bildausschnittes in der Landschaft f\u00fcr Zeichner, Maler, Photographen, bei der Betrachtung von Autochrombildern, f\u00fcr die es schwerf\u00e4llige anderweitige Betrachtungsapparate v\u00f6llig ersetzt und \u00fcberall, wo es sich darum handelt, seitliches und st\u00f6rendes Licht auszuschliefsen und die Aufmerksamkeit aus-schliefslich auf ein kleines begrenztes Gebiet des Gesichtsfeldes zu vereinigen.","page":88}],"identifier":"lit33670","issued":"1916","language":"de","pages":"85-88","startpages":"85","title":"Ein einfaches \"Plastoskop\"","type":"Journal Article","volume":"49"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:20:17.927370+00:00"}