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Über das Aubertsche Phänomen

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{"created":"2022-01-31T17:03:17.893013+00:00","id":"lit33673","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"M\u00fcller, G. E.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 49: 109-246","fulltext":[{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"109\n\u2022 \u2022\nUber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\nVon\nG. E. M\u00fcller.\nInhaltsverzeichnis.\nSeite\n\u00a7 1. Einleitung. Die drei egozentrischen Bezugssysteme . . . 110\u2014116 \u00a7 2. Grundz\u00fcge der Erkl\u00e4rung des A- und des E-Ph\u00e4nomens . 116\u2014121\n\u00a7 3. Das benutzte Versuchs verfahren..........................121\u2014126\n\u00a7 4. Die individuellen Verschiedenheiten. Der A- und der EA-\nTypus................................................126\u2014135\n\u00a7 5. \u00dcber die Maximalwerte der A- und der E-Stellung. Die\nbisherigen Versuche \u00fcber die Kopflokalisation .... 135\u2014144\n\u00a7 6. Die Abnahme des A-Ph\u00e4nomens bei sehr hochgradiger\nKopfneigung............................................144\u2014147\n\u00a7\t7. Die Inkonstanz des A- und des E-Ph\u00e4nomens ...... 147\u2014151\n\u00a7\t8. Das Verhalten der Leuchtlinie bei l\u00e4nger andauernder Betrachtung mit geneigtem Kopfe.................................151\u2014171\n\u00a7\t9. Das Verhalten der Leuchtlinie bei Betrachtung w\u00e4hrend\neiner Kopfbewegung um eine sagittale Achse. Die r\u00e4umliche Beharrungstendenz..............................171\u2014185\n:\u00a7 10. F\u00e4lle von Unsicherheit bei Beurteilung der Stellung der mit geneigtem Kopfe betrachteten Leuchtlinie. Die Natur dieses Urteilsvorganges.......................................185\u2014192\n\u00a7 11. \u00dcber die F\u00e4lle richtigen Vertikalerscheinens der Leuchtlinie\nbei geneigtem Kopfe. Die Vertikaltendenz............. 192\u2014204\n:\u00a7 12. Die scheinbare Stellung der Leuchtlinie bei gewissen ungew\u00f6hnlicheren K\u00f6rperhaltungen.................................. 204\u2014219\n\u00a7 13. Weitere das A - Ph\u00e4nomen betreffende Tatsachen und Fragen 219 \u2014 231 ^\u00a714. Die bisherigen Erkl\u00e4rungen des A-Ph\u00e4nomens. N\u00e4here Er\u00f6rterung der Umwertungstheorie. Erg\u00e4nzende Formulierung der hier vertretenen Theorie.......................... 231\u2014244\nDie Literatur \u00fcber das A-Ph\u00e4nomen.............................. 245\u2014246\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 49.\t8","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110\nG. E. M\u00fcller.\n\u00a7 1. Einleitung. Die drei egozentrischen Bezugssysteme.\nWird im Dunkelzimmer eine vertikal stehende Leuchtlinie mit z. B. um 900 nach rechts (links) geneigtem Kopfe betrachtet* so erscheint sie dem Beschauer in der Regel als eine mit ihrem oberen Ende nach links (rechts) geneigte, sie zeigt also kurz gesagt im Vergleich zur Neigung des Kopfes eine gegensinnige Neigung. Dieses zuerst von Aubert festgestellte, und nach ihm benannte Ph\u00e4nomen soll im folgenden kurz als das A':Ph\u00e4nomen bezeichnet werden. Ist die Kopfneigung keine sehr ausgiebige* so wird h\u00e4ufig das Gegenteil des A-Ph\u00e4nomens beobachtet, d. tu die vertikale Leuchtlinie zeigt sich in gleichem Sinne, wenn auch minderem Grade, wie der Kopf geneigt, sie zeigt also kurz gesagt eine gleichsinnige Neigung. Dieses dem A-Ph\u00e4nomen entgegengesetzte, zweite Ph\u00e4nomen wollen wir kurz das E-Ph\u00e4-nomen nennen.\nUm nun das Auftreten dieser beiden Ph\u00e4nomene und ihre Abh\u00e4ngigkeit von den Versuchsumst\u00e4nden erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen* ist folgendes vorauszuschicken.\nMan pflegt mit Recht zu sagen, dafs im allgemeinen jedes wahrgenommene Gesichtsobjekt als ein solches aufgefafst werde* das in einer bestimmten r\u00e4umlichen Beziehung zum wahrnehmenden Subjekt stehe. Dagegen hat man zu der Frage, auf welchen Teil des aus verschiedenen, gegeneinander verschiebbaren Gliedern bestehenden \u201eSubjekts\u201c oder k\u00f6rperlichen Ichs die Gegenst\u00e4nde der Umgebung bei dieser egozentrischen Lokalisation eigentlich bezogen werden, bisher teils gar keine Stellung genommen, teils Antworten gegeben, die der w\u00fcnschenswerten Einhelligkeit entbehren. So ist z. B. nach Hering (Hermanns Handb. d. Physiol.* Ill, 1, S. 389 f.) der Kopf, nach Helmholtz (S. 756)1 dagegen der Rumpf \u201eals der Tr\u00e4ger unserer Bewegungsorgane\u201c derjenige K\u00f6rperteil, auf den wir die Lage der Gegenst\u00e4nde unserer Umgebung beziehen.\nMan kann nun meinen, \u00fcber denjenigen K\u00f6rperteil, auf den die wahrgenommenen Gesichtsobjekte bei ihrer egozentrischen Lokalisation bezogen werden, und der sozusagen als Tr\u00e4ger eines\n1 Eine hinter einem Autornamen in Klammern angef\u00fchrte blofse Seitenzahl bezieht sich stets auf die im Literaturverzeichnisse angegebene-Schrift oder Abhandlung desselben Autors.","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n111\negozentrischen Bezugssystems fungiert, durch Versuche folgender Art Auskunft erhalten zu k\u00f6nnen. Man l\u00e4fst ein Objekt, z. B. eine komplizierte Figur, oder eine Reihe von Objekten, z. B. eine Figurenreihe, bei bestimmter, z. B. normaler Rumpf-, Kopf-und Blickstellung aufmerksam betrachten und dein Ged\u00e4chtnisse einpr\u00e4gen. Nach gewisser Zeit mufs dann die Vp. (Versuchsperson) die betrachtete Figur oder Reihe bei ver\u00e4nderten gegenseitigen Stellungen ihrer in Frage kommenden K\u00f6rperteile, z. B. bei um 900 nach rechts gebeugtem Kopfe, sich in der Erinnerung wieder vergegenw\u00e4rtigen. Ist nun bei dieser Reproduktion die fr\u00fchere egozentrische Lokalisation der Figur oder Reihe erhalten, ist die Lokalisation der reproduzierten Figur oder Reihe, wie ich es genannt hahe*, eine konservativ-egozentrische, so wird letztere, falls der Kopf als Tr\u00e4ger des egozentrischen Be-zugssystemes, fungiert, sich mit derselben r\u00e4umlichen Beziehung zu dem seitlich gebeugten Kopfe darstellen, die sie beim Lernen zu dem in normaler, aufrechter Stellung befindlichen Kopfe be-safs, w\u00e4hrend sie in Beziehung zu dem Rumpfe eine andere als die beim Lernen dagewesene Stellung auf weisen wird. Fungiert der Rumpf als Tr\u00e4ger des egozentrischen Bezugssystems, so wird die Stellung der Figur oder Reihe bei der Reproduktion in Beziehung auf den Rumpf dieselbe, dagegen in Beziehung auf den Kopf eine andere sein, als sie bei der Wahrnehmung war. Gibt es etwa ein egozentrisches Bezugssystem, das mittels der binokularen Blicklinie und der Blickebene zu definieren ist, so wird sich die Existenz desselben dadurch verraten, dafs es F\u00e4lle egozentrischer Lokalisation einer zur Reproduktion gelangenden Figur gibt, wo die (etwa bei seitlich gebeugtem Kopfe und scharf stirnwT\u00e4rts gerichteten Augen reproduzierte) Figur weder in Beziehung auf den Rumpf noch in Beziehung auf den Kopf, sondern nur in Beziehung auf das mittels der Blicklinie und der Blickebene zu definierende Bezugssystem dieselbe Stellung besitzt, die ihr bei der (etwa bei normaler Rumpf-, Kopf- und Blickstellung vollzogenen) einpr\u00e4genden Wahrnehmung zukam.\nNeben den F\u00e4llen egozentrischer Lokalisation eines in die Erinnerung zur\u00fcckgerufenen Objekts, wo die bei der Wahr-\n1 Man vgl. hierzu meinen Vortrag \u201e\u00dcber die Lokalisation der visuellen Vorstellungsbilder\u201c im Bericht \u00fcber den V. Kongrefs f\u00fcr experimentelle Psychologie. Leipzig 1912. S. 118 ff.\n8*","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112\nG. E. M\u00fcller.\nnehmung vorhanden gewesene r\u00e4umliche Beziehung des Objekts zu einem oder mehreren egozentrischen Bezugssystemen erhalten bleibt, kommen noch F\u00e4lle vor, wo diese r\u00e4umliche Beziehung sich nicht mehr geltend zu machen vermag und infolgedessen das in der Erinnerung wieder vergegenw\u00e4rtigte Objekt in einer bei Objekten seiner Art h\u00e4ufigen, habituellen r\u00e4umlichen Beziehung zu dem oder den betreffenden egozentrischen Bezugssystemen vorgestellt wird. Selbstverst\u00e4ndlich sind auch diese F\u00e4lle habituell-egozentrischer Lokalisation dazu geeignet, uns erkennen zu lassen, in Beziehung auf welches oder welche Bezugssysteme eine egozentrische Lokalisation stattfinden kann. Angenommen z. B., der Kumpf sei Tr\u00e4ger eines egozentrischen Bezugssystems, so m\u00fclste sich dies unter anderem auch dadurch verraten, dafs manchmal ein Objekt, das bei seiner Wahrnehmung eine charakteristische Stellung zum Rumpfe besafs, bei der Erinnerung mit einer habituellen Stellung zum Rumpfe vorgestellt wird, ganz gleichg\u00fcltig wie die jeweilige Stellung des Kopfes zum Rumpfe ist.\nAusgedehnte Versuchsreihen der im vorstehenden angedeuteten Art, bei denen die Erlernung und die Reproduktion in sehr verschiedener Weise dargebotener Reihen oder komplizierter Figuren oder die Benutzung von Diagrammen oder Chromatismen bei den verschiedensten Rumpf-, Kopf- und Blickstellungen stattzufinden hatte, haben mir nun gezeigt, dafs es sozusagen drei verschiedene egozentrische Bezugssysteme gibt, in Beziehung auf welche ein wahrgenommenes Gesichtsobjekt bei seiner egozentrischen Lokalisation aufgefafst wird oder aufgefafst werden kann. Diese drei Bezugssysteme sind das System der Kopfkoordinaten (K-System), das System der Blickkoordinaten (B-System) und dasSystem der Standpunktskoordinaten (S-System). Das K-System ist durch den Kopf festgelegt; bei jeder Bewegung des letzteren \u00e4ndert es seine Stellung im Raume. Das B-System kann als ein Koordinatensystem definiert werden, dessen drei Achsen die binokulare Blicklinie, eine in der Blickebene dazu Senkrechte und eine zu diesen beiden Achsen senkrechte dritte Gerade seien. Dieses Bezugssystem verschiebt sich bei jeder \u00c4nderung der Blickrichtung.1 Das S-System l\u00e4fst sich\n1 Wie man sieht, kann das B-System auch kurz als ein Koordinatensystem definiert werden, das durch das imagin\u00e4re Zyklopenauge (im Sinne Herings) festgelegt sei, etwa durch die drei Hauptachsen desselben und","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubert sehe Ph\u00e4nomen.\n113\nals ein Koordinatensystem definieren, das durch den die normale Haltung besitzenden Kumpf festgelegt sei. Besitzt der Rumpf nicht die normale Haltung, so ist es also nicht dureh die gegenw\u00e4rtige Stellung des Rumpfes definiert, sondern durch die Stellung, welche der Rumpf besitzen w\u00fcrde, wenn man ihm, ohne die Stelle, auf der man steht oder sitzt, zu ver\u00e4ndern, die normale Haltung geben w\u00fcrde. Dieses System \u00e4ndert seine Stellung im Raume nicht bei einer Drehung oder Bewegung des Kopfes oder Oberk\u00f6rpers, sondern nur bei einer \u00c4nderung der Stelle, auf welcher der K\u00f6rper sitzend oder stehend ruht. Auf dieses System beziehen sich im allgemeinen auch die Unterscheidungen des rechts und links, vorn und hinten, oben und unten.\nIn besonders frappierender Weise wird das Bestehen dieser drei Bezugssysteme durch die Resultate illustriert, die ich bei Versuchen \u00fcber die Lokalisation der Diagramme und Chromatismen erhalten habe. Es kommen vereinzelte Diagramme vor, die, wie auch die Rumpf-, Kopf- und Blickstellung sei, stets in Beziehung auf den Kopf dieselbe Lage besitzen. Zahlreich sind die Diagramme, die in Beziehung auf das B- System lokalisiert sind, also ganz unabh\u00e4ngig von der jeweiligen Rumpf- und Kopfstellung stets dieselbe Lage zu diesem Bezugssystem besitzen.* 1\nihre geradlinigen Verl\u00e4ngerungen repr\u00e4sentiert sei. Dieses Zyklopenauge ist also nicht blofs ein (approximatives) Hilfsmittel f\u00fcr die Ableitung der Orte, an denen uns die Gesichtsobjekte erscheinen, sondern kann zugleich auch als Repr\u00e4sentant eines durch unser Blickorgan fundierten Bezugssystems dienen, in Beziehung auf welches wir die Gesichtsobjekte egozentrisch lokalisieren.\n1 Ist ein Diagramm in Beziehung auf das B-System lokalisiert, so heilst dies: Auf welchen Punkt des Diagrammes bei einer Vergegenw\u00e4rtigung desselben die binokulare Blicklinie auch gerichtet sein mag, so besitzen doch bei der gegebenen Blickrichtung die sich darstellenden Diagrammteile dieselben Lagen in Beziehung auf das B System, die sie bei fr\u00fcheren Vergegenw\u00e4rtigungen des Diagrammes in dem Falle, dafs die Blicklinie denselben Punkt des Diagrammes traf, besafsen oder (gem\u00e4fs ihren Lagen bei Hinwendungen der Blicklinie auf andere Punkte des Diagrammes) besessen haben w\u00fcrden. Entsprechendes gilt f\u00fcr den Fall, dafs das Vorstellungsbild eines sonstigen Objektes in Beziehung auf das B-System konservativ lokalisiert ist.\nEs bedarf nicht erst der Bemerkung, dafs alle aus dem Bisherigen sich ergebenden, f\u00fcr die Vorstellungsbilder in Betracht kommenden, konservativ- oder habituell-egozentrischen Lokalisationstendenzen die ihnen","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nGr. E. M\u00fcller.\nNicht gerade selten sind endlich die Diagramme, die in Beziehung auf das S-System lokalisiert sind. Ich erl\u00e4utere diese letztgenannte Art der Lokalisation an zwei Beispielen. Das durch das S-System bestimmte Zahlendiagramm einer meiner Vpn. (Versuchspersonen) geht bei normaler Rumpfhaltung von einer dicht vor der Brust gelegenen Stelle aus nach vorn und zugleich etwas nach oben. Beugt die Vp., ohne ihren Sitz zu \u00e4ndern, ihren Rumpf und Kopf stark nach rechts, so bleibt das Diagramm an der Stelle des Raumes, wo es bei normaler Rumpfhaltung stand, und die Vp. sieht von der Seite her auf dasselbe. Beugt sich die Vp. stark nach vorn, so bleibt das Diagramm gleichfalls an seiner Stelle, indem der den Zahlen 1 \u2014 20 entsprechende Diagrammteil infolge des Hereinragens der Brust in das Diagrammfeld sich etwas verk\u00fcrzt. Erhebt sich die Vp. von ihrem Sitze, so hebt sich das Diagramm in gleichem Mafse wie der Rumpf. Besitzen der Kopf und die Augen Richtungen, bei denen die von dem Diagramme beanspruchten Raumstellen nicht gesehen werden k\u00f6nnen, sind z. B. die Augen bei nach rechts gewandtem Kopfe nach hinten gerichtet, so bleibt das Diagramm ganz aus. Eine andere Vp. verf\u00fcgt \u00fcber Buchstabenchromatismen, die in Beziehung auf das S-System lokalisiert sind. Sie sieht bei normaler K\u00f6rperhaltung die Buchstaben in leuchtenden Farben in einer Entfernung von ca, 70 cm vor sich. Beugt sie sitzend den Oberk\u00f6rper und den Kopf m\u00f6glichst nach rechts, so sieht sie von der Seite auf die an ihrer Stelle verbliebenen leuchtenden Buchstaben, indem diese zugleich die entsprechenden perspektivischen Verzerrungen zeigen. Sind Kopf und Blick so gerichtet, dafs der Ort der Buchstabenchromatismen nicht gesehen werden kann, so bleiben dieselben aus. Ich lasse sie eine Konsonantenreihe, die ich ihr vorlese, bei normaler K\u00f6rperhaltung lernen. Sie f\u00fchrt das Lernen naturgem\u00e4fs unter Benutzung ihrer Konsonantenchromatismen durch. Als sie die Reihe bei einer Kopf- und Blickstellung, bei der sie die Orte der Chromatismen nicht sehen kann, reproduzieren soll, ist sie in hoher Verlegen-\nzukommenden Wirkungsweisen nicht mit mathematischer Pr\u00e4zision, sondern mit einer gewissen Schwankungsbreite entfalten. Wenn schon das Sehen selbst,^ wie Hering sich einmal ausdr\u00fcckt, \u201enichts weniger als mathematisch\ngenau\u201c ist, so gilt dies in noch viel h\u00f6herem Grade von der Reproduktion des Gesehenen.","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n115\nheit. Sie mufs Zusehen, was ihr die alleinige Funktion des akustisch - motorischen Ged\u00e4chtnisses bringt.\nWie schon angedeutet, f\u00fchren auch geeignet angestellte Versuche mit zu lernenden und nach bestimmter Zwischenzeit zu reproduzierenden Reihen zu der Feststellung des Bestehens jener drei egozentrischen Bezugssysteme. Soll z. B. die Vp. eine Figurenreihe, die ihr bei normaler Rumpf- und Kopfhaltung als eine in frontalparalleler Ebene schr\u00e4g von links unten nach rechts oben verlaufende dargeboten worden ist, bei um 900 nach rechts geneigtem Kopfe reproduzieren, so wird die Reihe bei der Reproduktion ebenso wie bei der Wahrnehmung von links unten nach rechts oben verlaufen, wenn die beim Lernen geschehene Einpr\u00e4gung ihrer r\u00e4umlichen Beziehung zum S - Systeme ihre Orientierung bei der Reproduktion ausschliefslich bestimmt, dagegen als eine von links oben nach rechts unten gehende sich darstellen, wenn die Einpr\u00e4gung ihrer r\u00e4umlichen Lage zum B-oder zum K-Systeme f\u00fcr ihre Orientierung bei der Reproduktion ausschliefslich mafsgebend ist. Kommen beide hier erw\u00e4hnten Lokalisationstendenzen bei der Reproduktion zu gewisser Geltung so wird die Reihe sich bei der Reproduktion in einer Stellung zeigen, die im Vergleich zu den beiden soeben erw\u00e4hnten Stellungen eine mittlere ist. Stand die Reihe beim Lernen als eine in frontalparalleler Ebene horizontal von links nach rechts sich erstreckende vor der Vp., so wird bei. der Reproduktion mit um 90 0 nach rechts geneigtem Kopfe die Reihe gleichfalls horizontal stehen, wenn das S-System die Orientierung bestimmt, dagegen sich als eine vertikal von oben nach unten verlaufende darbieten, wenn das B- oder K-System sich als das mafsgebende erweist.1 Kommt von den beiden konkurrierenden Lokalisationstendenzen keine zu ausschliefslicher Herrschaft, so verl\u00e4uft die Reihe bei\n1 In diesem Falle macht sich im Sinne eines horizontalen (vertikalen) Verlaufes der reproduzierten Reihe nicht blofs die Tendenz geltend, dieselbe in Beziehung auf das S-System (B- oder K-System) in konservativer Weise zu lokalisieren, sondern auch die Tendenz, der Reihe in Beziehung auf das S-System (B- oder K-System) eine habituelle Stellung zu erteilen. Denn die horizontale (der Basallinie parallele) Stellung einer Reihe ist eine habituelle in Beziehung auf das S-System (B- oder K-System). Selbstverst\u00e4ndlich kann eine solche habituell - egozentrische Lokalisations tendenz auch dann eingreifen, wenn die Reihe beim Lernen eine andere als die oben vorausgesetzte Stellung besafs, z. B. schr\u00e4g von links unten nach rechts oben verlief.","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nGr. E. M\u00fcller.\nder Reproduktion schr\u00e4g von links oben nach rechts unten. Das Reihenbild verh\u00e4lt sich dann ganz \u00e4hnlich wie eine vertikale Leuchtlinie, die im Dunkeln mit um 900 nach rechts geneigtem Kopfe betrachtet wird. Es ist mit seinem oberen Teile nach links geneigt, seine Neigung ist bei verschiedenen Individuen; und bei einem und demselben Individuum zu verschiedenen Zeiten verschieden, und nicht selten ist auch seine Stellung bei einem und demselben Versuche eine sich \u00e4ndernde.\nVorstehende Andeutungen \u00fcber die drei egozentrischen Be-zugssysteme und die Art und Weise, wie sie sich bei den Reproduktionsvorg\u00e4ngen erkennbar machen k\u00f6nnen, werden f\u00fcr das Folgende gen\u00fcgen. Eingehende Ausf\u00fchrungen \u00fcber alle diese in mannigfacher Hinsicht recht verwickelten Tatbest\u00e4nde, z. B. auch \u00fcber die verschiedenen Komplikationen, die bei Versuchen der soeben erw\u00e4hnten Art eintreten k\u00f6nnen, wird der 2. Band meines Werkes \u201eZur Analyse der Ged\u00e4chtnist\u00e4tigkeit und des Vorstellungsverlaufes\u201c enthalten. Die Beobachtung des zuletzt erw\u00e4hnten Falles, wo das Bild einer zur Reproduktion gelangenden Reihe sich hinsichtlich seiner Lokalisation ganz \u00e4hnlich verh\u00e4lt wie die Leuchtlinie des AuBERTschen Versuches, gab den Anlafs zu dieser Untersuchung des A-Ph\u00e4nomens, und die Erkl\u00e4rung, die ich f\u00fcr jenes Reproduktionsph\u00e4nomen gegeben habe, deutet zugleich die Richtung an, in der sich unsere Erkl\u00e4rung des A-Ph\u00e4nomens bewegen wird.\n\u00a7 2. Grundz\u00fcge der Erkl\u00e4rung des A-Ph\u00e4nomens und\ndes E-Ph\u00e4nomens.\nUm die Darstellung zu vereinfachen, kn\u00fcpfen wir unsere Erkl\u00e4rung an den speziellen Fall an, dafs von einem mit normalem Gesichtssinne Begabten im Dunkeln mit um 90\u00b0 nach rechts geneigtem Kopfe eine geradeaus vor dem Gesichte in weiter Entfernung befindliche, vertikal stehende Leuchtlinie 1 fixiert werde. Es wird keine Schwierigkeiten haben, das in Beziehung auf diesen Fall Gesagte auf andere F\u00e4lle der Beobachtung (anderer Winkel der Kopfneigung, geringere Entfernung der Leuchtlinie usw.) zu\n1 Ist im nachfolgenden von einer Leuchtlinie schlechtweg die Kede, so soll darunter stets eine im Dunkeln dargebotene Leuchtlinie verstanden werden.","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n117\n\u00fcbertragen. Wir machen ferner zun\u00e4chst die Fiktion, dafs bei der Kopfneigung eine \u201ekompensatorische Rollung\u201c der Augen nicht stattgefunden habe, dafs also die Augen auch noch nach Ausf\u00fchrung der Kopfneigung diejenige Stellung in Beziehung auf den Kopf besitzen, die sie vorher, als sie in Prim\u00e4rstellung auf die ferne Leuchtlinie gerichtet waren,innehatten.\nUnter den hier angegebenen Voraussetzungen wird sich die vertikale Leuchtlinie auf den mittleren Querschnitten der beiden Netzh\u00e4ute abbilden. Nun ist eine Linie, die bei aufrechter Kopf* haltung fixiert sich auf den beiden mittleren Netzhautquer* schnitten abbildet, ann\u00e4hernd eine Linie, die erstens in Beziehung auf das S-System aufgefafst die wagerechte Lage besitzt1, und die zweitens in Beziehung auf das K-System oder das B-System aufgefafst in einer Ebene liegt, die durch die Basallinie geht. F\u00fcr eine auf den beiden mittleren Netzhautquerschnitten sich abbildende Leuchtlinie besteht demgem\u00e4fs einerseits eine Tendenz, sie als eine im Raume horizontal stehende aufzufassen, und andererseits eine Tendenz, sie als eine solche anzusehen, die in einer durch die Basallinie gehenden Ebene liege. Gehen wir\n1 Obwohl die Richtung von oben nach unten oder umgekehrt und die wagerechte Richtung eine objektive Definition zulassen, so sind sie doch zugleich Richtungen im S-Systeme. Dafs dem Unterschiede des Oben und Unten, der den beiden eine v\u00f6llig egozentrische Bedeutung besitzenden Unterschieden des Rechts und Links und des Vorn und Hinten koordiniert ist, ein egozentrisches Moment anhaftet, ergibt sich auch aus den pathologischen F\u00e4llen, in denen der Patient bei normaler Rumpf und Kopfhaltung den Eindruck hat, dafs die Gegenst\u00e4nde und Personen seiner Umgebung auf dem Kopfe st\u00e4nden, dafs alles von oben nach unten gekehrt sei. Da in solchen F\u00e4llen ein dem Fufsboden naher oder ferner Gegenstand sich immer noch als ein dem (von dem Patienten nach oben verlegten) Fufsboden naher bzw. ferner darstellt und ein wahrgenommener frei fallender K\u00f6rper immer noch dem Fufsboden zueilt, so kann der Umstand, ob ein Gegenstand sich oben oder unten zu befinden, richtig oder auf dem Kopfe zu stehen scheint, in diesen F\u00e4llen sich nicht darnach bestimmen, wie sich sein Ort und seine Stellung zum Fufsboden oder zur Richtung der wahrgenommenen frei fallenden K\u00f6rper verhalten, sondern es mufs sich dabei um egozentrische Momente handeln. Weiteres hier\u00fcber sp\u00e4ter an dem oben angef\u00fchrten Orte.\nAuch die oben erw\u00e4hnte Tatsache, dafs ein in Beziehung auf das S-System lokalisiertes Diagramm oder Reihenbild sich mit dem Rumpfe hebt und senkt, zeigt hinl\u00e4nglich, dafs eine Lokalisation in Beziehung auf dieses Bezugssystem zugleich auch eine (mit der H\u00f6he des Rumpfes sicli \u00e4ndernde) Lokalisation in Beziehung auf die Dimension der H\u00f6he ist.","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nG. E. M\u00fcller.\nvon der bei den Versuchen sehr oft erf\u00fcllten Voraussetzung aus, dafs die Leuchtlinie sich in einer frontalparallelen und mithin auch zur Basallinie parallelen Ebene darstelle, so k\u00f6nnen wir die letztere Tendenz auch als eine solche charakterisieren, welche darauf gerichtet sei, die Leuchtlinie als eine mit der Basallinie gleichgerichtete erscheinen zu lassen. Diese beiden Lokalisations- oder besser Orientierungstendenzen \u2014 ich will sie kurz als die S-Komponente und als die \u00df-Komponente1 bezeichnen \u2014 wirken im gleichen Sinne, solange als die Rumpfund Kopfhaltung normalerweise die aufrechte ist. Ist aber dem Kopfe die hier vorausgesetzte Neigung um 90\u00b0 nach rechts hin erteilt worden, so wirken beide Tendenzen in wesentlich abweichender Weise, die S-Komponente dahin, die Leuchtlinie als eine horizontale, die B-Komponente dahin, sie als eine vertikale erscheinen zu lassen. Kommen nun beide Tendenzen gleichzeitig zur Geltung, so entspringt aus ihrem Zusammenwirken eine Stellung der Linie, bei der dieselbe, ganz wie das Reihenbild bei dem obigen Ged\u00e4chtnisversuche, mit ihrem oberen Ende nach links geneigt ist, wobei der Neigungswinkel sich nach dem von der Individualit\u00e4t und anderen Faktoren abh\u00e4ngigen Grade bestimmt, in dem die S-Komponente gegen\u00fcber der B-Komponente zur Geltung kommt.\nDas Vorstehende l\u00e4fst das Vorkommen des E-Ph\u00e4nomens unerkl\u00e4rt. Um zu einer Erkl\u00e4rung desselben zu gelangen, mufs man die obige Fiktion, es finde bei der Kopfneigung eine Gegenrollung der Augen nicht statt, fallen lassen. Infolge der tats\u00e4chlich eintretenden Gegenrollung bildet sich bei der hier voraus-\n1 Die Ausdr\u00fccke \u201eS-Tendenz\u201c und \u201eB-Tendenz\u201c habe ich bereits mit einer etwas anderen, allgemeineren Bedeutung festgelegt (a. a. O. S. 120). Ich bezeichne die zweite der beiden obigen Komponenten als die B-Komponente und nicht als die K-Komponente, weil das B-System bei der Lokalisation im allgemeinen eine weit gr\u00f6fsere Rolle spielt als das K-System. Das letztere Bezugssystem hat indessen auch seine besondere Bedeutung. Denn, wie bei der oben erw\u00e4hnten sp\u00e4teren Gelegenheit n\u00e4her gezeigt werden wird, ist das subjektive Augenschwarz in Beziehung auf dasK-System lokalisiert. Ebenso kann man sich einer Bezugnahme auf dieses System nicht entschlagen, wenn man von den Richtungen unserer Aufmerksamkeit und ihren Tendenzen zu handeln hat, in gewissen Gegenden des uns umgebenden Raumes zu verweilen. Auf die sich erg\u00e4nzenden Bedeutungen des S- und B-Systemes soll gleichfalls erst bei jener sp\u00e4teren Gelegenheit n\u00e4her eingegangen werden.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n119\ngesetzten Kopfneigung die vertikale Leuchtlinie nicht auf den mittleren Netzhautquerschnitten ab, sondern auf Meridianen derselben, die bei Prim\u00e4rstellung der Augen von jenen Querschnitten um einen bestimmten Betrag, z. B. um 10\u00b0, in solcher Richtung ab weichen, dafs ihre linken Teile h\u00f6her, ihre rechten Teile tiefer liegen als jene Querschnitte. Die von der vertikalen Lichtlinie gereizten Netzhautmeridiane sind also solche, die bei normaler Rumpf- und Kopfhaltung von einer Linie erregt werden, die nicht wirklich wagerecht steht, sondern etwas von links oben nach rechts unten geht, die, falls sie sich innerhalb einer frontalparallelen Ebene erstreckt, nicht wirklich gleich gerichtet ist wie die Basallinie, sondern von der Richtung der letzteren um einen gewissen Betrag nach rechts unten hin ab weicht. Demgem\u00e4fs ist im Hinblick auf die Gegenrollung die obige Charakteristik der S-Komponente und der B-Komponente etwas zu modifizieren. Die erstere ist f\u00fcr eine Tendenz zu erkl\u00e4ren, die darauf gerichtet sei, die vertikale Leuchtlinie als eine Linie erscheinen zu lassen, die von der wagerechten Richtung um einen bestimmten Betrag, z. B. 10 \u00b0, abweichend mit ihrem linken Ende etwas h\u00f6her steht als mit ihrem rechten Ende. Und die B-Komponente ist als eine Tendenz zu charakterisieren, die dahin gehe, der Leuchtlinie eine Stellung zu geben, bei welcher sie von der Richtung der Basallinie um einen bestimmten Betrag, z. B. 10\u00b0, in der Richtung der UhrzeigerbewTegung abweicht, bei welcher sie also im Vergleich zu der vertikalen Stellung mit ihrem oberen Ende etwas nach rechts hin geneigt ist, mithin eine gleichsinnige, wenn auch minder ausgiebige Neigung zeigt wie der Kopf.\nDas soeben hinsichtlich der B-Komponente Bemerkte bedarf indessen noch einer Erg\u00e4nzung. Offenbar n\u00e4mlich h\u00e4ngt die Stellung, welche die B-Komponente der Leuchtlinie zu geben strebt, nicht blofs von dem Winkel der Gegenrollung, sondern auch von der Lokalisation ab, welche der Kopf und die Basallinie bei Betrachtung der Leuchtlinie erfahren.1 Wird die Neigung\n1 Es braucht kaum erst bemerkt zu werden, dafs diese Lokalisation des Kopfes in Beziehung auf das S-System notwendig ist, damit \u00fcberhaupt ein Zusammenwirken der B- und der S-Komponente m\u00f6glich sei. W\u00fcrde dem Kopfe eine solche Lokalisation nicht zu Teil, so w\u00fcrde eine Tendenz zu einer bestimmten Lokalisation eines Objektes in Beziehung auf das B-System (K-System) sich ganz beziehungslos zu einer Tendenz verhalten, dasselbe Objekt in bestimmter Weise in Beziehung auf das S-System zu","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nG. E. M\u00fcller.\ndes nach rechts gebeugten Kopfes \u00fcbersch\u00e4tzt (untersch\u00e4tzt)* wird derselbe z. B. statt mit einer Rechtsneigung von 90\u00b0 mit einer solchen von 960 (84 \u00b0) vorgestellt, so wird die B-Komponente der Leuchtlinie eine Stellung zu erteilen trachten, bei der sie um 60 mehr (weniger) nach rechts hin geneigt ist als bei der Stellung* welche ihr bei richtiger Lokalisation des Kopfes und der Basallinie der B-Komponente gem\u00e4fs zukommen w\u00fcrde. Durch diese Abh\u00e4ngigkeit der B-Komponente von der Kopflokalisation erh\u00e4lt dieselbe, prinzipiell betrachtet, etwas Unberechenbares. Ihr ablenkender Einflufs auf die scheinbare Stellung der Leuchtlinie kann durch eine falsche Kopflokalisation \u00fcber den Wert, der ihm lediglich infolge der Gegenrollung zuk\u00e4me, gesteigert oder auch unter diesen Wert herabgedr\u00fcckt, denkbarerweise sogar in einen Einflufs von entgegengesetztem Vorzeichen, d. h. von gleicher Wirkungsrichtung wie der Einflufs der S-Komponente, umgewandelt werden.\nWie ohne weiteres ersichtlich, sind die F\u00e4lle, wo das E-Ph\u00e4nomen sich zeigt, als solche aufzufassen, wo die B-Komponente im Sinne einer gleichsinnigen Neigung der vertikalen Leuchtlinie wirkend in h\u00f6herem Grade wie die S-Komponente zur Geltung kommt. \u00dcberwiegt die letztere Komponente, was bei h\u00f6heren Graden der Kopfneigung wegen des langsamen Wachstums, das die Gegenrollung bei zunehmender Kopfneigung erf\u00e4hrt, die Regel ist, bei manchen Individuen auch schon bei geringer Kopfneigung der Fall ist, so zeigt sich das A-Ph\u00e4nomen.\nIm vorstehenden habe ich das A- und das E-Ph\u00e4nomen unter der bei den Versuchen meistens erf\u00fcllten Voraussetzung besprochen, dafs erstens die Kopfneigung, bei welcher die Leuchtlinie beobachtet wird, eine solche sei, wie man dann erh\u00e4lt, wenn der Kopf aus seiner vertikalen Normalstellung, sei es mit sei es ohne eine gleichgerichtete Beugung des Rumpfes, bei nach vorn gerichtet bleibender Gesichtsebene in der Frontalebene (um eine sagittale Achse) nach rechts oder links gebeugt wird, und dafs zweitens die Leuchtlinie stets als eine in einer frontalparallelen Ebene befindliche gegeben sei oder sich darstelle. Man kann nun aber das A-Ph\u00e4nomen auch an einer sich in die Tiefe erstreckenden Leuchtlinie, deren oberes Ende dem Beobachter n\u00e4her\nlokalisieren, und ein Zusammenwirken beider Lokalisationstendenzen w\u00e4re ausgeschlossen.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n121\noder ferner ist als das untere Ende, konstatieren, und man kann dasselbe z. B. auch dann beobachten, wenn der Kopf geradeaus nach vorn um 90\u00b0 geneigt und zugleich um diejenige seiner Achsen, die bei seiner vertikalen Normalstellung die Vertikalachse ist, so gedreht ist, dals die Gesichtsebene nach rechts (nach der rechtsbefindlichen Leuchtlinie hin) gewandt ist. Um die Ausdrucksweise und die Diskussion nicht zu einer zu umst\u00e4ndlichen und zu abstrakt gehaltenen werden zu lassen, ist in den nachfolgenden Darlegungen von diesen anderweiten F\u00e4llen der Konstatierbarkeit des A- und des E-Ph\u00e4nomens im allgemeinen zun\u00e4chst abgesehen und an der soeben erw\u00e4hnten, die Anschauung fixierenden Voraussetzung festgehalten worden. Eine allgemeiner gehaltene, alle F\u00e4lle des Vorkommens beider Ph\u00e4nomene ber\u00fccksichtigende Formulierung unserer Auffassung wird erst am Schl\u00fcsse von \u00a7 14 folgen.\nDem soeben Bemerkten entsprechend soll im nachstehenden, wenn nicht ausdr\u00fccklich etwas anderes bemerkt ist, unter einer Kopfneigung stets eine Neigung des Kopfes verstanden werden, die von seiner vertikalen Normalstellung aus um eine sagittale Achse erfolgt oder erfolgt ist. Ferner soll da, wo ich von einer Kopfneigung schlechtweg rede, stets dahingestellt bleiben, ob es sich um eine seitliche Neigung des Kopfes allein oder des Kopfes und Rumpfes zugleich handelt.\n\u00a7 3. Das benutzte Yersuchsverfahren.\nIch gehe nun dazu \u00fcber, die im vorstehenden angedeutete Theorie unserer beiden Ph\u00e4nomene an der Hand der Tatsachen eingehender zu entwickeln und zu vervollst\u00e4ndigen. Hierbei habe ich oft auf Resultate Bezug zu nehmen, die sich bei meinen eigenen Versuchen \u00fcber beide Ph\u00e4nomene ergeben haben. Ich schicke daher zun\u00e4chst einige Worte \u00fcber die Anstellungsweise der Mehrzahl dieser Versuche voraus.\nDie Leuchtlinie wurde mittels eines Apparates hergestellt, der ganz \u00e4hnlich wie der von Sachs und Meller (I, S. 390) benutzte Apparat1 konstruiert war, n\u00e4mlich aus einem 36 cm\n1 Eine Beschreibung dieses Apparates findet sich auch in Tigerstedts Handbuch der physiologischen Methodik, 3. Bd., 2. Abt, Leipzig 1909. S. 129 f.","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nG. E. M\u00fcller.\nlangen Messingrohr bestand, das in seinem Inneren eine Gl\u00fchlampe mit einem langen Kohlenfaden (\u201eLafettenlampe\u201c) enthielt und auf der dem Beobachter zugekehrten Seite mit einem seiner Achse parallelen, schmalen Spalt versehen war, durch welchen nach Schliefsung eines durch die Gl\u00fchlampe geleiteten Stromes das Licht der letzteren nach aufsen dringen konnte. Die auf diese Weise hergestellte Leuchtlinie besafs eine L\u00e4nge von 18,5 ein. Da der Metallzylinder um eine zu der Richtung der Leuchtlinie senkrecht stehende, horizontale Achse beliebig gedreht werden konnte, so konnte der Leuchtlinie in einer in Beziehung auf den Beobachter frontalparallelen Ebene jede beliebige Stellung oder Neigung zur Senkrechten erteilt werden. Der Grad der Neigung konnte mittels einer Gradteilung, die in ganz entsprechender Weise wie an dem Apparate von Sachs und Mellee angebracht war, abgelesen werden.\nDer Abstand der Vp. von der Leuchtlinie betrug 360\u2014380 cm. Die Vp. stellte die gew\u00fcnschte Neigung des Kopfes gegen die Vertikale durch seitliche Beugung des Kopfes oder bei verlangter ausgiebigerer Neigung durch seitliche Beugung des Rumpfes und Kopfes her. Kam es auf eine genaue Bestimmung des Grades der Kopfneigung oder darauf an, dafs die letztere bei verschiedenen Versuchen genau dieselbe war, so wurde eine EinbeifsVorrichtung benutzt.\nAuf einer starken Eisenplatte war ein vertikal stehender, eiserner Hohlstab angebracht. In das Lumen desselben pafste ein runder, st\u00e4hlerner Vollstab hinein, der an seinem oberen Ende ein starkes Metallst\u00fcck trug, das behufs Aufnahme einer horizontalen, metallischen Achse mit einer horizontalen Durchbohrung von kreisf\u00f6rmigem Querschnitt versehen war. Der Vollstab und mit ihm das Metallst\u00fcck nebst der horizontalen Achse konnte gehoben oder gesenkt und mittels einer Klemmschraube in der ge. eignet erscheinenden Stellung fixiert werden. Ebenso liefs sich die horizontale Achse mittels einer durch das Metallst\u00fcck hindurchgreifenden Schraube in jeder beliebigen Lage fixieren. Diese horizontale Achse, die einen Durchmesser von 1,8 cm besafs, war in ihrem dem Beobachter zugekehrten Teile ausgeh\u00f6hlt behufs Aufnahme eines runden, eisernen Stieles, der in ein hufeisenf\u00f6rmiges, flaches Endst\u00fcck auslief, das mit einer erstatten Masse, in das sich die Vp. vor der Erstarrung eingebissen hatte1, belegt war. Der Stiel konnte mittels einer Klemmschraube innerhalb der Aush\u00f6hlung der horizontalen Achse in beliebiger Stellung fixiert werden. Das dem Beobachter abgekehrte Ende dieser Achse diente als Zentrum\n1 Es kam hierbei eine von Zahn\u00e4rzten benutzte, Harvard Basis Platte (Harvard Base Plate) genannte Masse zur Anwendung.","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n123\neiner mit einer Kreisteilnng versehenen Messingscheibe, die sich unmittelbar hinter dem oben erw\u00e4hnten, die horizontale Achse tragenden Metallst\u00fccke und einem auf diesem befestigten vertikalen Zeiger befand. Bei jeder Drehung der horizontalen Achse mufste die Kreisteilung der Messingscheibe eine entsprechende Bewegung hinter dem vertikalen Zeiger ausf\u00fchren. Ebenso wie die Stellung des Tisches, auf dem sich der Apparat befand, eine ein und f\u00fcr alle Mal fixierte war, war auch die Stellung des Apparates (der Eisenplatte desselben) auf dem Tische eine dauernd fixierte. Sollte nun zu den Versuchen mit einer bestimmten Vp. \u00fcbergegangen werden, so wurde zun\u00e4chst die horizontale Achse samt der mit ihr verbundenen Messingscheibe so eingestellt, dafs die Spitze des vertikalen Zeigers auf den Nullpunkt der Kreisteilung einstand. Hierauf wurde der eiserne Stiel, welcher die von dieser Vp. eingebissene, starre Masse trug, in solcher Stellung innerhalb der Aush\u00f6hlung der horizontalen Achse fixiert, dafs der Kopf der Vp. beim Einbeifsen vertikal stand. Sollten nun z. B. Versuche bei einer Rechtsneigung des Kopfes um 20 0 angestellt werden, so brauchte nur die horizontale Achse in einer solchen Stellung zu dem sie tragenden Metallst\u00fccke fixiert zu werden, bei welcher der Nullpunkt der Kreisteilung um 20\u00b0 nach rechts hin von seiner Ausgangsstellung (hinter der Spitze des vertikalen Zeigers) abwich. Hatte sich bei dieser Stellung der horizontalen Achse die Vp. richtig eingebissen, so war ihr Kopf notwendig um 20\u00b0 nach rechts geneigt.\nSollte die seitliche Neigung des Kopfes 90\u00b0 betragen, so wurde dieselbe unter Verzicht auf die Benutzung der Einbeifs-vorrichtung meist in der Weise hergesteht, dafs sich die Vp. auf einem langen Tische horizontal auf die eine Seite legen mufste, den Kopf mit Hilfe einer geeigneten Unterlage so haltend, dais die Basallinie vertikal stand.\nAbgesehen von den Versuchen, bei denen die Stellung der Leuchtlinie von der Vp. w\u00e4hrend der Ausf\u00fchrung einer seitlichen Kopfneigung beobachtet werden sollte, wurde behufs Ausschliefsung eines Einflusses der \u201evor\u00fcbergehenden Gegenrollung\u201c stets so verfahren, dafs die Leuchtlinie erst dann dar* geboten (der betreffende elektrische Strom erst dann geschlossen) wurde, wenn seit dem Augenblicke, wo die Vp. die geforderte Kopfneigung hergestellt hatte, eine Frist von mindestens 5 Sekunden verflossen war. Die Darbietung der Leuchtlinie war nur bei einigen Versuchen eine nur sehr kurze Zeit dauernde (sehr baldige Wieder\u00f6ffnung des elektrischen Stromes, sog. Aufblitzmethode, oder sogar Benutzung eines unmittelbar vor dem Auge der Vp. oder unmittelbar vor der Leuchtlinie angebrachten Momentverschlusses) ; in der Regel w\u00e4hrte sie so lange, bis die Vp. mit sich \u00fcber das","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nG. E. M\u00fcller.\nzu f\u00e4llende Urteil ganz einig geworden war.1 Bei manchen Versuchen mufste die Vp. die Leuchtlinie w\u00e4hrend einer relativ langen Zeit, z. B. 1 Minute lang, betrachten behufs ausdr\u00fccklicher Feststellung des Einflusses, den eine l\u00e4ngere Fortsetzung der Betrachtung etwa auf die scheinbare Stellung der Leuchtlinie aus\u00fcbe. Hatte die Vp. ihre Angabe \u00fcber die Stellung der Leuchtlinie gemacht, so wurde letztere sofort zum Erl\u00f6schen gebracht und ein hoher Schirm zwischen den Apparat und die Vp. gestellt. Hierauf wurde nach Protokollierung des Angegebenen bei hergestellter Beleuchtung dem Metallzylinder die f\u00fcr den n\u00e4chsten Versuch bestimmte Stellung gegeben, dann das v\u00f6llige Dunkel wiederhergestellt, der erw\u00e4hnte Schirm entfernt und die Leuchtlinie der in der vorgeschriebenen Haltung befindlichen Vp. von neuem dargeboten. Das Verfahren war also in Beziehung auf die Stellung der Leuchtlinie ein v\u00f6llig unwissentliches, dagegen beabsichtigterweise ein m\u00f6glichst wissentliches in Beziehung auf die Kopfneigung der Vp. Die letztere sah bei Beleuchtung die Stellung, welche die Einbeifsfl\u00e4che bei den n\u00e4chsten Versuchen besitzen sollte, hatte oft schon bei Beleuchtung des Zimmers die vorgeschriebene Kopfneigung hergestellt und vernahm auch, um wie viele Grade die Einbeifsfl\u00e4che sowie ihr Kopf bei den Versuchen seitlich geneigt sein werde.\nDie Versuchsabsicht ging in den einen F\u00e4llen einfach nur dahin, festzustellen, wie die Vp. bei den verschiedenen Kopf-neigungen die Stellung einer vertikal oder horizontal stehenden Leuchtlinie beurteile.2 Die Vp. pflegte in solchen F\u00e4llen nicht blofs die Richtung der scheinbaren Abweichung von der Vertikalen oder Horizontalen anzugeben, sondern zugleich auch den Grad dieser Abweichung zu charakterisieren. Sehr oft geschah dies durch eine (hinsichtlich ihrer Richtigkeit nicht allzuhoch einzu-sch\u00e4tzende) Taxierung der Abweichung in Winkelgraden. Eine Vp. verfuhr ganz spontan in der Weise, dafs sie die scheinbare Stellung der Leuchtlinie mit einer bestimmten Stellung des Uhr-\n1\tIn manchen F\u00e4llen, wo sich die scheinbare Stellung der Leuchtlinie u,uch schon w\u00e4hrend einer nur kurzen oder m\u00e4fsigen Betrachtungszeit wesentlich \u00e4nderte, fiel das Urteil der Vp. komplizierter aus, insofern es \u00fcber die verschiedenen aufeinander gefolgt gewesenen Stellungen der Leuchtlinie Auskunft gab.\n2\tEinigen Vpn. wurde aus bestimmtem Grunde auch eine um 45\u00b0 gegen die Vertikale geneigte Linie zur Beurteilung dargeboten.","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n125\nzeigers identifizierte, z. B. einmal angab, die Leuchtlinie stehe so, wie der grofse Zeiger der Uhr, wenn er auf 3 Minuten vor 12 Uhr stehe. In den anderen F\u00e4llen handelte es sich darum, in direkter Weise die ungef\u00e4hre Stellung der scheinbaren Vertikalen festzustellen, d. h. festzustellen, welche Stellung der Leuchtlinie gegeben werden m\u00fcsse, damit sie der Vp. bei der betreffenden Kopfneigung vertikal erscheine. Bei diesen Versuchen wurde nach dem Prinzip der Konstanzmethode unter Benutzung einer Vollreihe von Neigungswinkeln der Leuchtlinie verfahren.1 Es bildeten also die in zuf\u00e4lligem Wechsel zu wiederholten Malen benutzten Neigungswinkel der Leuchtlinie eine Reihe, deren unmittelbar aufeinander folgende Glieder um einen konstanten Betrag (von 1\u00b0 oder von 2\u00b0) voneinander abwichen, und deren eines Endglied so gew\u00e4hlt war, dafs es bei der Vp. stets das Urteil \u201enach links geneigt\u201c erweckte, w\u00e4hrend das andere Endglied gem\u00e4fs seinem Betrage stets das Urteil \u201enach rechts geneigt\u201c hervorrief. Bei jeder Darbietung der Leuchtlinie hatte die Vp. sich f\u00fcr eines der 3 Urteile \u201enach links geneigt\u201c, \u201evertikal\u201c, \u201enach rechts geneigt\u201c zu entscheiden. Auf Grund der so erhaltenen Resultate liefs sich dann leicht die mittlere Stellung der scheinbaren Vertikalen, der Durchschnittswert des dem Urteil \u201evertikal\u201c zugeh\u00f6rigen Neigungswinkels, bestimmen, sowie eine gewisse Kenntnis des Streuungsgebietes des Urteiles \u201evertikal\u201c erlangen.\nSo viel \u00fcber die bei der Mehrzahl meiner Versuche benutzten Verfahrungsweisen. Besondere Modifikationen, welche diese Ver-fahrungsweisen bei Verfolgung besonderer Versuchszwecke erfuhren sowie einige benutzte Versuchsarten von wesentlich abweichender Tendenz und Natur werden an den geeigneten Orten zur Sprache kommen.\nAbgesehen von 5 Kindern, die kurz nur daraufhin untersucht wurden, ob bei ihnen \u00fcberhaupt das A-Ph\u00e4nomen bestehe, betrug die Zahl der von mir benutzten Vpn. 15. Nur 6 von diesen waren nicht ge\u00fcbt in psychologischen oder sinnesphysio-\n1 N\u00e4heres \u00fcber den Begriff einer Vollreihe von Reizen und \u00fcber die verschiedenen Arten der Behandlung der mittels einer solchen Vollreihe erhaltenen unmittelbaren Versuchsresultate in meiner Abhandlung \u201eDie Gesichtspunkte und die Tatsachen der psychophysischen Methodik\u201c (in den \u201eErgebnissen der Physiologie\u201c, herausgegeben von Asher und Spiro, 2. Jahrg. 2. Abt., Wiesbaden 1903), Abschnitt 1, Kapitel 4.\nZeitschr, f. Sinnespbysiol. 49.\n9","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\nG. E. M\u00fcller.''\nlogischen Beobachtungen. Die entstehenden Kriegswirren, welche den Kreis meiner Vpn. zerstieben liefsen, hatten zur Folge, dafs die Versuche an manchen Vpn. nicht in so grofser Anzahl angestellt werden konnten, wie urspr\u00fcnglich beabsichtigt war.\n\u00a7 4. Die individuellen Verschiedenheiten. Der A-Typus und\nder EA-Typus.\nWas nun die hier zun\u00e4chst zu behandelnden individuellen Unterschiede anbelangt, die betreffs unserer beiden Ph\u00e4nomene bestehen, so lassen sich in dieser Hinsicht 2 Haupttypen unterscheiden. Die Individuen\tvon dem einen\tTypus \u2014\tich will\tihn\nkurz als den A-Typus\tbezeichnen \u2014\terblicken\tdie vertikal\nstehende Leuchtlinie bei jeder Kopfneigung von Belang als eine gegensinnig geneigte oder, wie ich mich kurz ausdr\u00fccken will, in A-Stellung, und zwar ist diese A-Stellung bis zu einem gewissen Grenzwerte des Neigungswinkels hin, der nach den vorliegenden Feststellungen\tbei 135\u2014160\u00b0\tzu liegen\tscheint,\tim\nallgemeinen (d. h. wenn\tman von den\tim \u00a7 5 n\u00e4her zu\tbe-\nhandelnden zuf\u00e4lligen Schwankungen des A-Ph\u00e4nomens absieht} umso ausgepr\u00e4gter, je ausgiebiger die Kopfneigung ist. Von diesem Typus waren anscheinend Aubert und seine Mitbeobachtei\\ sowie einige der Vpn. von Nagel (S. 3831). Auch Feilchenfeld (S. 1331) bemerkt, dafs keine seiner Vpn. jemals eine gleichsinnige Neigung der Leuchtlinie beobachtet habe, und dafs er selbst nur einmal bei geringer Kopfneigung die vertikale Leuchtlinie als eine gleichsinnig geneigte wahrgenommen habe, sp\u00e4terhin aber niemals wieder.\nEtwas komplizierter ist das Verhalten bei dem zweiten Typus, den man passend den EA-Typus nennen kann. Bei diesem Typus erscheint bei geringen und m\u00e4fsigen Graden der Kopfneigung die vertikale Leuchtlinie gleichsinnig geneigt (in E-S tel lung), wenigstens dann, wenn die Betrachtungsdauer eine kurze ist \\ und zwar bis zu einer gewissen Grenze hin umso st\u00e4rker gleichsinnig geneigt, je mehr der Kopf geneigt ist. Bei weiterer Steigerung der Kopfneigung verliert die E-Stellung an Ausgepr\u00e4gtheit, wird bei einem gewissen Punkte durch ein Vertikalerscheinen der Leuchtlinie ersetzt und geht dann in eine\n1 Von dem Einfl\u00fcsse der Betrachtungsdauer wird auf S'. 151 ff. n\u00e4her gehandelt.","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n127\nA-Stellung \u00fcber, die bei weiterer Zunahme der Kopfneigung zun\u00e4chst fortgesetzt an Ausgepr\u00e4gtheit gewinnt. Gem\u00e4fs dem grofsen Spielraum, der zuf\u00e4lligen Einfl\u00fcssen in diesem Erscheinungsgebiete gelassen ist, l\u00e4fst sich auch in Beziehung auf eine und dieselbe Vp. f\u00fcr den Grad der Kopfneigung, bei welchem die E-Stellung das Maximum ihrer Ausgepr\u00e4gtheit erreicht, und ebenso auch f\u00fcr den Grad der Kopfneigung, bei welchem die E-Stellung durch ein Vertikaler sch einen der Leuchtlinie ersetzt ist, ein bestimmter, ein f\u00fcr alle Male g\u00fcltiger Wert nicht angeben. Es entspricht tats\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnissen, wenn man sagt, dafs der erstere Punkt z. B. bei einer Kopfneigung von 40\u00b0, der letztere z. B. bei einer solchen von 60 0 liegen k\u00f6nne. Dieser zweite Typus zeigte sich ganz ausschliefslich bei den Versuchen von Sachs und Meller (I, S. 393). Auch schon Mulder (I, S. 110) hat bei geringen Kopfneigungen das E-Ph\u00e4nomen konstatiert. Unter den Vpn. von Cyon (S. 215) befand sich eine, welche bei allen benutzten (anscheinend bis 90\u00b0 gehenden) Kopfneigungen das E-Ph\u00e4nomen beobachtete, w\u00e4hrend die beiden anderen Repr\u00e4sentanten des A-Typus waren. Auch Bourdon (S. 170 f.) erwies sich bei den von ihm selbst angestellten Versuchen wesentlich als ein Vertreter des EA-Typus. Der Punkt, wo die E-Stellung der vertikalen Leuchtlinie einem Vertikalerscheinen derselben Platz gemacht hatte, wurde von ihm bei einer Kopfneigung von 38 bis 65 0 erreicht.\nSelbstverst\u00e4ndlich kommen Ubergangsformen zwischen jenen beiden Typen vor, indem es Vpn. gibt, die bei manchen Versuchen das dem A-Typus, bei anderen Versuchen aber das dem EA-Typus entsprechende Verhalten zeigen. So sah ich selbst z. B. auch bei nur geringen Kopfneigungen die vertikale Leuchtlinie in der weit \u00fcberwiegenden Mehrzahl der F\u00e4lle in A-Stellung. Es kamen aber doch vereinzelte Versuche oder Gruppen von Versuchen vor, wo ganz unerwartet (einmal sogar bei einer Kopfneigung von ca. 70\u00b0) das E-Ph\u00e4nomen auftrat, um dann bei weiteren Versuchen oder Versuchsgruppen sich f\u00fcr l\u00e4ngere Zeit (mehrere Tage hindurch) nicht wieder zu zeigen.\nVon meinen Vpn. zeigte eine ein \u00e4hnliches, etwas gemischtes, aber doch ganz \u00fcberwiegend dem A-Typus entsprechendes Verhalten wie ich selbst. Bei einer dritten Vp. waren die Versuche nicht zahlreich genug, um entscheiden zu k\u00f6nnen, ob sie dem\nreinen A-Typus oder dem soeben erw\u00e4hnten, durch seltene Ab-\n9*","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128\nGr. E. M\u00fcller.\nweichungen im Sinne des EA-Typus verunreinigten Typus angeh\u00f6re.1 Die \u00fcbrigen 12 Vpn. waren ausgesprochene Repr\u00e4sentanten des EA-Typus. Aber auch zwischen diesen letzteren Vpn. bestanden insofern Unterschiede, als das E-Ph\u00e4nomen sich bei den einen ausgepr\u00e4gter und bei noch ausgiebigeren Kopfneigungen zeigte als bei den anderen. Bei den ersteren Vpn. war dementsprechend auch bei den st\u00e4rkeren Kopfneigungen (z. B. der Kopfneigung um 90\u00b0), bei denen das A-Ph\u00e4nomen auftrat, dieses weniger ausgepr\u00e4gt als bei den letzteren Vpn. So besafs bei einer Vp. (von L.) die scheinbare Vertikale bei einer Kopfneigung von 20 \u00b0, 40 \u00b0, 60\u00b0 durchschnittlich eine gegensinnige Neigung von bzw. 3,8\u00b0, 9,2\u00b0, 7,4\u00b0 und bei einer Kopfneigung von 90\u00b0 eine gleichsinnige Neigung von nur 2,7\u00b0. Bei einer anderen Vp. (C.) dagegen besafs die scheinbare Vertikale bei denselben Kopfneigungen von 20\u00b0, 40\u00b0, 60\u00b0 durchschnittlich eine gegensinnige Neigung von bzw. nur 2,5\u00b0, 5,5\u00b0, 1,9\u00b0, bei der Kopfneigung von 90\u00b0 dagegen eine gleichsinnige Neigung von 12\u00b0. Einer dritten, nicht mittels der Konstanzmethode untersuchten, Vp. erschien die vertikal stehende Leuchtlinie bei einer Kopf-neigung von 30\u00b0 schwach gleichsinnig geneigt, bei einer Kopfneigung von 500 vertikal und bei einer Kopfneigung von 900 um einen Betrag gegensinnig geneigt, den sie auf nicht weniger als ca. 45\u00b0 einsch\u00e4tzte.\nDas Bestehen des A-Typus einerseits und des EA-Typus andererseits erkl\u00e4rt sich ohne weiteres daraus, dafs die S-Kom-ponente und die B-Komponente bei verschiedenen Vpn. in verschiedenem Grade zur Geltung kommen. Ich habe schon bei meinen Ged\u00e4chtnisversuchen entsprechende individuelle Differenzen konstatiert. W\u00e4hrend die einen Vpn. vor allem die Beziehung der wahrgenommenen Figuren oder Reihenbestandteile zum S-Systeme beachten und einpr\u00e4gen, steht bei anderen die Beziehung zum B-System im Vordergrund, so dafs z. B. bei den auf S. 115f. erw\u00e4hnten Versuche die Reihe, die bei normaler Kopfhaltung als eine in frontalparalleler Ebene sich von links nach rechts erstreckende erblickt worden ist, im Falle ihrer Reproduktion mit horizontal nach rechts gehaltenem Kopfe manchen\nSelbstverst\u00e4ndlich erhebt sich die Frage, ob man nicht bei jedem anscheinend dem reinen A-Typus angeh\u00f6rigen Individuum durch eine hinl\u00e4nglich lange Fortsetzung der Versuche schliefslich einen oder mehrere F\u00e4lle erzielen werde, wo es das E-Ph\u00e4nomen beobachtet.","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n129\nIndividuen in der Kegel als eine horizontal stehende, anderen dagegen als eine vertikal stehende auftaucht, w\u00e4hrend noch andere Individuen ein weniger einseitiges Verhalten zeigen, indem sie die Keihe bei der Reproduktion bald in horizontaler, bald in vertikaler, bald in einer mittleren Stellung sehen.\nEs empfiehlt sich, bei Diskussion der hier in Kede stehenden Verh\u00e4ltnisse folgende Ausdrucksweise zu benutzen. Der Grad, in welchem die S-Komponente (B-Komponente) sich dahin geltend macht, die scheinbare Stellung der Leuchtlinie von ihrer wirklichen Stellung abweichen zu lassen, h\u00e4ngt von zweierlei ab, einerseits von dem Ablenkungswerte dieser Komponenten, d. h. von der Gr\u00f6fse des Winkels, um den die Leuchtlinie aus ihrer wirklichen Stellung in gegensinniger (gleichsinniger) Richtung scheinbar gedreht sein w\u00fcrde, wenn diese Komponente allein f\u00fcr ihre scheinbare Stellung mafsgebend w\u00e4re, und zweitens von dem Gewichte dieser Komponente, d. h. von der St\u00e4rke, mit der sich diese Komponente f\u00fcr die Orientierung der Leuchtlinie als ein mafsgebender Faktor geltend zu machen sucht. Je gr\u00f6fser der Ablenkungswert und je betr\u00e4chtlicher das Gewicht einer Komponente ist, desto bedeutender ist ihr Einflufs auf die Stellung der Leuchtlinie.1 Da der Winkel der Gegenrollung, dem der Ablenkungswert der B-Komponente im Falle richtiger Kopflokalisation gleich ist, stets bedeutend kleiner ist als die den Ablenkungswert der S-Komponente darstellende Differenz zwischen dem Winkel der Kopfneigung und dem Winkel der Gegenrollung,\n1 Sind die Gewichte beider Komponenten gleich grofs, so wird (gem\u00e4fs dem hier zu Grunde gelegten Gewichtsbegriffe) die Leuchtlinie f\u00fcr den Beobachter diejenige Stellung besitzen, die zwischen den von den beiden Komponenten intendierten Stellungen genau die Mitte h\u00e4lt. Angenommen also z. B., die Kopflokalisation sei ganz richtig, der Ablenkungswert der B-Komponente demgem\u00e4fs gleich dem Winkel der Gegenrollung und der Winkel zwischen den von den beiden Komponenten intendierten Stellungen der Leuchtlinie gleich dem Winkel der vorhandenen Kopfneigung, so wird bei gleichen Gewichten beider Komponenten die scheinbare Stellung der Leuchtlinie um die H\u00e4lfte des Winkels der Kopfneigung von der von der S-Komponente (B-Komponente) intendierten Stellung in gleichsinniger (gegensinniger) Richtung ab'weichen. Angenommen ferner, der Winkel der Gegenrollung sei gleich 0, die Kopflokalisation richtig, der Ablenkungswert der B-Komponente mithin gleichfalls gleich 0, so wird bei gleichen Gewichten beider Komponenten die scheinbare Stellung der Leuchtlinie von der wirklichen Stellung derselben genau um die H\u00e4lfte des Winkels der Kopfneigung in gegensinniger Richtung abweichen.","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nG. JE. M\u00fcller.\nso ist, von den F\u00e4llen sehr falscher Kopflokalisation abgesehen, der Ablenknngswert der B-Komponente stets bedeutend geringer als derjenige der S-Komponente. Da nun aber dies nicht ausschliefst, dafs unter Umst\u00e4nden das Gewicht der B-Komponente bedeutend gr\u00f6fser sei als das Gewicht der S-Komponente, so kommt es doch vor, dafs die erstere Komponente den st\u00e4rkeren ablenkenden Einflufs auf die Stellung der Leuchtlinie aus\u00fcbt und letztere in gleichsinniger Richtung aus ihrer wirklichen Stellung abgelenkt erscheint. Dem fr\u00fcher (S. 120) Bemerkten gem\u00e4fs kann in etwaigen Ausnahmef\u00e4llen, wo die Kopfneigung stark untersch\u00e4tzt wird, die B-Komponente ebenso wie die S-Komponente dahin wirken, die scheinbare Stellung der Leuchtlinie in gegensinniger Richtung von der wirklichen Stellung ab weichen zu lassen. In Hinblick hierauf kann man zwischen F\u00e4llen, wo die B-Komponente einen gleichsinnigen, und solchen, wo sie einen gegen sinnigen Ablenkungswert besitze, unterscheiden. Auch in einem etwaigen Falle der letzteren Art mufs der Umstand, ob die scheinbare Stellung der Leuchtlinie der von der S-Komponente oder der von der B-Komponente intendierten Stellung n\u00e4her steht, von dem Gewichtsverh\u00e4ltnisse beider Komponenten abh\u00e4ngen. Es soll indessen dahingestellt bleiben, ob Untersch\u00e4tzungen der Kopfneigung von dem hier vorausgesetzten h\u00f6heren Grade \u00fcberhaupt Vorkommen.\nMit Hilfe der hier erl\u00e4uterten Ausdrucksweise l\u00e4fst sich zur Erkl\u00e4rung der oben angef\u00fchrten Typusunterschiede und individuellen Differenzen kurz Folgendes sagen. Besitzt bei einem Individuum die S-Komponente durchschnittlich ein bedeutend h\u00f6heres Gewicht als die B-Komponente, so wird trotz der zuf\u00e4lligen Schwankungen, welche das Gewicht der S-Komponente und ebenso dasjenige der B-Komponente erleidet, bei diesem Individuum das E-Ph\u00e4nomen sich v\u00f6llig vermissen lassen, und je st\u00e4rker das \u00dcbergewicht der S-Komponente ist, desto ausgepr\u00e4gter wird bei den verschiedenen Kopfneigungen die A-Stellung der Leuchtlinie sein. Unter besonderen Umst\u00e4nden kann es gelegentlich geschehen, dafs das Gewicht der B-Komponente ann\u00e4hernd gleich 0 ist und die S-Komponente fast ausschliefslich die Stellung der Leuchtlinie bestimmt, wie dies bei einem weiterhin (S. 1361) zu erw\u00e4hnenden Versuche Auberts anscheinend der Fall war.\nBesitzt bei einer Vp. die B-Komponente ein betr\u00e4chtlich","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n131\nh\u00f6heres Gewicht als die S-Komponente, so tritt, falls die Kopflokalisation hinl\u00e4nglich richtig ist, bei geringer Kopfneigung das E-Ph\u00e4nomen auf, und zwar kann dann infolge des Umstandes, dafs bei zunehmender Kopfneigung der Winkel der Gegenrollung1 gleichfalls anw\u00e4chst, der Grad der scheinbaren gleichsinnigen Neigung der in Wirklichkeit vertikal stehenden Leuchtlinie zun\u00e4chst ebenfalls sich steigern. Da aber der Winkel der Gegenrollung und mithin auch der Ablenkungswert der B-Komponente bei zunehmender Kopfneigung mit sich stark verringernder Geschwindigkeit anw\u00e4chst2, w\u00e4hrend der Ablenkungswert der S-Komponente eben wegen dieses Verhaltens der Gegenrollung sogar etwas schneller zunimmt als die Kopfneigung, so mufs sich von einem gewissen Grade der Kopfneigung ab die gleichsinnige Neigung der Leuchtlinie verringern, bis sie schliefslich durch ein Vertikalerscheinen der Leuchtlinie ersetzt ist, und von diesem Punkte ab mufs die Leuchtlinie sich bei weiterer Steigerung der Kopfneigung in wachsendem Grade als gegensinnig geneigt darstellen.3 Je st\u00e4rker das Gewicht der B-Komponente \u00fcber das Gewicht der S-Komponente \u00fcberwiegt, desto betr\u00e4chtlicher wird der Grad der Kopfneigung sein, von welchem ab die gleichsinnige Neigung der Leuchtlinie bei weiterer Steigerung der Kopfneigung nicht mehr gleichfalls zunimmt, sondern sich verringert, und bei einem desto h\u00f6heren Werte der Kopfneigung 'wird der Punkt erreicht werden, wo die vertikal stehende Leuchtlinie wieder vertikal erscheint. Individuelle Unterschiede zwischen verschiedenen Repr\u00e4sentanten des EA-Typus von der Art der Unterschiede zwischen den drei oben angef\u00fchrten Vpn. sind f\u00fcr uns also leicht verst\u00e4ndlich. Auch der Fall, dafs eine Vp., wie dies von Cyon von seiner Vp. G. berichtet, selbst noch bei einer\n1\tSprechen wir von Gegenrollung schlechtweg, so ist darunter stets die sog. bleibende oder dauernde Gegenrollung verstanden.\n2\tSo besafs z. B. bei Mulder (I, S. 75) die bleibende Gegenrollung bei \u20aciner Rechtsneigung des Kopfes um 24\u00b0, 56\u00b0, 97\u00b0 einen Betrag von bzw. 4,0\u00b0, 6,2\u00b0, 6,6\u00b0. Man vergleiche hierzu auch die Tabelle auf S. 136. B\u00e2r\u00e2ny {Archiv f. Ohrenheilk. 68, 1906, S. Iff.) fand bei seinen ausgedehnten Untersuchungen der Gegenrollung gleichfalls, dafs der Betrag derselben bei einer Zunahme der Kopfneigung mit immer geringer werdender Geschwindigkeit nnwachse.\n3\tAuf den Grenzwert der Kopfneigung, bis zu dem hin diese Zunahme der gegensinnigen Neigung der Leuchtlinie stattfindet, komme ich \"weiterhin (S. 144 ff.) n\u00e4her zu sprechen.","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nGr. E. M\u00fcller.\nKopfneigung von 90\u00b0 nur das E-Ph\u00e4nomen beobachtet, ist nach der hier gegebenen Erkl\u00e4rung keineswegs ausgeschlossen.\nEs ist fast selbstverst\u00e4ndlich, dafs es auch Individuen gibt, bei denen zwar in vielen F\u00e4llen das Gewichtsverh\u00e4ltnis zwischen der S-Komponente und der B-Komponente von der Art ist, dafs eine gegensinnige Neigung der Leuchtlinie auch bei geringen Graden der Kopfneigung resultiert, bei denen aber doch die zuf\u00e4lligen Einfl\u00fcsse, welche ein Schwanken der Gewichte beider Komponenten bewirken, gelegentlich zur Folge haben k\u00f6nnen, dafs bei einer geringen oder m\u00e4fsigen Kopfneigung die Leuchtlinie sich in E-Stellung zeigt. Solche Individuen sind Repr\u00e4sentanten des oben erw\u00e4hnten gemischten Typus, dem z. B. ich selbst angeh\u00f6re.\nVon den Vpn., die ich bei meinen Ged\u00e4chtnisversuchen benutzt habe, war Herr Prof. Jaensch diejenige, bei welcher das S-System eine ganz dominierende Stellung einnahm und die Orientierung der reproduzierten Figuren, Konsonantenreihen usw. ganz vorwiegend bestimmte. Es war nun von Interesse, festzu* stellen, ob diese aus den Resultaten von Ged\u00e4chtnisversuchen erschlossene Vorherrschaft des S-Systems sich auch bei Versuchen \u00fcber das A-Ph\u00e4nomen zeige und zur Folge habe, dafs die scheinbaren Stellungen der Leuchtlinie ein starkes \u00dcbergewicht der S-Komponente und eine Zugeh\u00f6rigkeit zum A-Typus erkennen lassen. Ich habe daher Herrn Prof. Jaensch gebeten, f\u00fcr mich einige Versuche dar\u00fcber anzustellen, wie sich bei ihm die scheinbar \\ ertikale Leuchtlinie bei verschiedenen Kopfneigungen verh\u00e4lt. IS ach dem von ihm mir Mitgeteilten mufste die Leuchtlinie, um ihm vertikal zu erscheinen, bei einer Kopfneigung von 450 durchschnittlich eine gleichsinnige Neigung von nicht weniger als 19,3 a erfahren. Bei einer Kopfneigung von 74\u00b0 betrug der entsprechende Wert 28\u00b0 und bei einer solchen von 90\u00b0 volle 43\u00b0. Diese Resultate entsprechen ganz dem zu Erwartenden, sie lassen uns Prof. J. als einen ausgepr\u00e4gten Vertreter des A-Typus erkennen. Von den \u00fcbrigen Vpn. meiner hier in Betracht kommenden Ged\u00e4chtnisversuche standen mir zur Zeit dieser Untersuchungen \u00fcber das A-Ph\u00e4nomen nur noch Herr Dr. Katz und ich selbst zur Verf\u00fcgung. Entsprechend der Tatsache, dafs bei uns beiden die Lokalisation reproduzierter Lernstoffe weniger als bei Prof. Jaensch von dem S-System bestimmt war, haben wir uns beide auch bei dieser Untersuchung nicht als Repr\u00e4sentanten des reinen","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n133\nA-Typus erwiesen. Ebenso wie bei mir hat auch bei Dr. Katz eine seitliche Kopfneigung von geringem oder m\u00e4fsigem Umfange-mitunter statt des A-Ph\u00e4nomens das E-Ph\u00e4nomen zur Folge gehabt. Es ist nicht ohne Interesse, dafs sich in dieser Weise eine Beziehung konstatieren l\u00e4fst zwischen den Resultaten gewisser Ged\u00e4chtnisversuche einerseits und den Ergebnissen von Versuchen \u00fcber das A-Ph\u00e4nomen andererseits.\nNeben der Abh\u00e4ngigkeit von der Individualit\u00e4t, welcher das-Gewichtsverh\u00e4ltnis zwischen S-Komponente und B-Komponento unterliegt, gibt es noch mancherlei Faktoren von mehr sekund\u00e4rer Bedeutung, welche individuelle Differenzen hinsichtlich des Eintretens und der Ausgepr\u00e4gtheit des A-Ph\u00e4nomens und des E-Ph\u00e4nomens bedingen k\u00f6nnen. An erster Stelle ist hier an die hinsichtlich der Ausgiebigkeit der Gegenrollung bestehenden individuellen Verschiedenheiten zu erinnern, die mitunter recht bedeutend sein k\u00f6nnen. So erhielt z. B. Bar\u00e4ny (a. a. 0. S. 25) f\u00fcr die Kopfneigung um 60\u00b0 den durchschnittlichen Wert des Rollungswinkels bei einem Normalen gleich 14,5 \u00b0, bei einem anderen Normalen dagegen nur gleich 2,5 \u00b0.1 Bei einem Individuum dieser letzteren Art besteht eine geringe Wahrscheinlichkeit daf\u00fcr, dafs sich das E-Ph\u00e4nomen zeigen werde. Da ferner, wie oben gesehen, der Betrag der B-Komponente auch davon abh\u00e4ngig ist, wie der seitlich geneigte Kopf von der Vp. lokalisiert wird, so k\u00f6nnen individuelle Differenzen hinsichtlich der beiden uns interessierenden Ph\u00e4nomene mitunter auch mit durch Differenzen hinsichtlich der Kopflokalisation bedingt sein. Werden die Versuche mit monokularer Betrachtung der Leucht-linie angestellt, so k\u00f6nnen drittens geringe individuelle Unterschiede hinsichtlich unserer beiden Ph\u00e4nomene auch durch individuelle Differenzen vorget\u00e4uscht werden, die betreffs des Betrages der physiologischen Inkongruenz der beiden Netzh\u00e4ute bestehen.2 Endlich ist noch zu beachten, dafs die \u201enormale\n1\tDies ist der geringste der Durchschnittswerte des zu einer Kopfneigung von 60\u00b0 zugeh\u00f6rigen Rollungswinkels, wrelche die Untersuchungen von Bar\u00e4ny f\u00fcr Normale ergeben haben. Betreffs dieser individuellen Verschiedenheiten hinsichtlich der Gegenrollung vergleiche man auch die Tabelle auf S. 13\u00d6.\n2\tInfolge der physiologischen Netzhautinkongruenz stellt sich eine monokular betrachtete, vertikal stehende Leuchtlinie schon bei normaler Kopfhaltung als eine mit ihrem oberen Ende nach der Seite des nicht","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134\nG. E. Millier.\nKopfhaltung\u201c bei verschiedenen Personen keineswegs immer die gleiche ist, dafs sie keineswegs immer diejenige ist, bei welcher die Basallinie genau horizontal steht. Personen, welche, etwa infolge einer Asymmetrie des motorischen Apparates beider Augen den Kopf nach der einen Seite hin schief zu halten pflegen, werden f\u00fcr die gleiche Kopfneigung in der uns hier interessierenden Hinsicht ein etwas anderes Resultat ergeben, je nachdem die Kopfneigung nach rechts oder nach links hin erfolgt ist, und sich also etwas anders verhalten als solche, welche den\nbeobachtenden Auges geneigte dar. Wird also bei monokularer Betrachtung der Leuchtlinie der Kopf nach der Seite des beobachtenden Auges geneigt, so wird, wenn die Vp. vom EA-Typus ist, die gleichsinnige Neigung der Leuchtlinie, welche dieser Typus an und f\u00fcr sich bei geringen oder m\u00e4fsigen Kopfneigungen fordert, nicht schon bei jedem geringen Betrage der Kopfneigung eintreten, sondern erst bei einem solchen, bei welchem die aus der Kopfneigung entspringende Tendenz zu einer gleichsinnigen Neigung der Leuchtlinie den im Sinne einer gegensinnigen Neigung wirksamen Einflufs der physiologischen Netzhautinkongruenz \u00fcberkompensiert; und je gr\u00f6fser der Winkel ist, um den \u201eder vertikal empfindende Netzhautmeridian\u201c von dem vertikalen Netzhautmeridiane abweicht \u2014 die Gr\u00f6fse dieses Winkels zeigt individuelle Verschiedenheiten innerhalb der Grenzen 0 und 7 0 \u2014, bei einem desto h\u00f6heren Grade der Kopfneigung wird der Punkt liegen, von welchem ab bei weiterer Steigerung der Kopfneigung zun\u00e4chst eine gleichsinnige Neigung der Leuchtlinie eintntt, und desto weniger ausgepr\u00e4gt wird unter sonst gleichen Umst\u00e4nden bei der gleichen Kopfneigung diese gleichsinnige Neigung sein. Wird der Kopf nach der Seite des nicht beobachtenden Auges geneigt, so wird die Netzhautinkongruenz sich im Sinne einer Steigerung der den geringeren Kopfneigungen entsprechenden gleichsinnigen und im Sinne einer Verringerung der den ausgiebigeren Kopfneigungen zugeh\u00f6rigen gegensinnigen Neigungen der Leuchtlinie geltend machen. Ist die Vp. vom A-Typus, so wird durch-gehends die gegensinnige Neigung der Leuchtlinie bei Neigung des Kopfes nach der Seite des beobachtenden (nicht beobachtenden) Auges um so ausgiebiger (um so weniger ausgiebig) sein, je gr\u00f6fser der soeben erw\u00e4hnte Winkel ist.\nSachs und Meller (I, S. 394) geben an, dafs sie die entscheidenden Versuche monokular angestellt haben, und sie bemerken auch, dafs bei dem einen von ihnen (M.) die Netzhautinkongruenz \u201eauffallend grofs\u201c sei. (Nach dem im Archiv f. Ophth. 57, 1904, S. 3 Bemerkten betrug der oben erw\u00e4hnte Winkel bei M. nicht weniger als 7 \u00b0.) Sie geben aber keine Auskunft dar\u00fcber, ob bei ihren entscheidenden Versuchen der Kopf stets nach der Seite des beobachtenden Auges oder stets nach der Seite des nicht beobachtenden Auges geneigt war, oder wie es sonst in dieser Hinsicht stand.","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n135\nKopf wirklich vertikal zu halten pflegen. Bei J. B. Hofmann (S. 731 f.), welcher gewohnt ist, den Kopf ein wenig nach rechts geneigt zu halten, zeigte sich in der Tat das A-Ph\u00e4nomen f\u00fcr eine Linksneigung des Kopfes durchschnittlich st\u00e4rker ausgepr\u00e4gt als f\u00fcr eine gleich grofse Rechtsneigung.\n\u2022 \u2022\n\u00a7 5. Uber die Maximalwerte der A-Stellung und der\nE-Stellung. Die bisherigen Versuche \u00fcber die Kopflokalisation.\nBezeichnen wir den Winkel, um den der Kopf seitlich geneigt ist, kurz mit k und den Winkel der zu einer Kopfneigung von dem Betrage k zugeh\u00f6rigen Gegenrollung mit g, so ist dem Fr\u00fcheren gem\u00e4fs der (gegensinnige) Ablenkungswert der S-Kom-ponente gleich (k\u2014g), und der (gleichsinnige) Ablenkungswert der B-Komponente ist unter der Voraussetzung richtiger Kopf-lokalisation einfach gleich g zu setzen. Hiernach ist zu erwarten, dafs der Maximalwert, den die gegensinnige Neigung der Leuchtlinie bei einer Kopfneigung von dem Betrage k erreichen kann, gleich k\u2014g sei, und der Maximalwert, den die gleichsinnige Neigung der Leuchtlinie im Falle richtiger Kopflokalisation besitzen kann, den Betrag g habe. Es erhebt sich f\u00fcr uns die Aufgabe, zu pr\u00fcfen, inwieweit die bisherigen Versuchsergebnisse diesen aus unserer Theorie sich ergebenden Erwartungen entsprechen. Um diese Pr\u00fcfung durchf\u00fchren zu k\u00f6nnen, haben twir uns zun\u00e4chst zu vergegenw\u00e4rtigen, welche Werte die Gegenrollung bei den verschiedenen Kopfneigungen besitzen kann, oder kurz ausgedr\u00fcckt, welche Werte von g den verschiedenen Betr\u00e4gen von k zugeh\u00f6ren k\u00f6nnen. Ich begn\u00fcge mich damit, folgende Zusammenstellung zu geben, in welcher rechts neben dem Namen des Beobachters die in Winkelgraden ausgedr\u00fcckten Werte von g stehen, die von diesem Beobachter f\u00fcr die in der obersten Horizontalkolumne angegebenen Betr\u00e4ge von k erhalten wmrden sind.* 1 Die Werte von g, vor denen ein\n1 Man vgl. zu obigem Skrebitzky im Arch. f. Ophth. 17, 1871, 1. Abt., S. 115; A. Nagel, ebenda, 17, 1871, 1. Abt., S. 248; Mulder, ebenda 21, 1875,\n1. Abt , S. 751 ; W. Nagel in der Zeitschr. f. Psychol. 12, 1896, S. 344 ff. ; Angier, ebenda 37, 1904, S. 242 ff. B\u00e2r\u00e2ny im Archiv f. Ohrenheilk. 68, 1906, S. 6.","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"136\nG. E. M\u00fcller.\nca. steht, sind nicht unmittelbare Beobachtungswerte, sondern von mir durch Interpolation aus benachbarten Beobachtungswerten berechnet. Wo f\u00fcr die Kopfneigung nach rechts und diejenige nach links verschiedene Angaben Vorlagen, wurde der Durchschnittswert berechnet und angef\u00fchrt.\n\tII O' o\tII Oi O o\tk = 75\u00b0\tk = 90\u00b0\nSkrebitzky\t5,5\t\u2014\t8,6\t\u2014\nA. Nagel\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u201ebis zu 15 \u00b0\u201c\nMulder\tca. 5,7\tca. 6,0\tca. 6,3\tca. 6,4\nVp.K. von Mulder\tca. 8,2\tca. 9,0\tca. 10,3\tca. 10,4\nW. Nagel\tca. 5,8\t6,7\tca. 7,4\t8,1\nAn gier\tU\u00bb\t\u2014\t\u2014\t7,8\nAls Vpn. von Angier ergaben W. Nagel und Piper f\u00fcr k = 90\u00b0 den Wert von g durchschnittlich = 14,2, bzw. 9,7. Bourdon (S. 171) fand bei sich selbst f\u00fcr k = 90 0 den Wert von g durchschnittlich gleich 9\u201410 \u00b0. Ich selbst erhielt bei Benutzung der von Mulder a. a. O. S. 85 angegebenen Nachbildmethode f\u00fcr meine Person bei k = 900 den Wert von g gleich ca. 6 \u00b0. Endlich ist noch zu bemerken, dafs Barany bei seinen Untersuchungen \u00fcber die Gegenrollung f\u00fcr k = 60 0 an den Normalen als Durchschnittswert von g den Betrag 7,85\u00b0 und als Maximalwert den Wert 16\u00b0 erhielt.\nWas nun die A-Stellung der Leuchtlinie anbelangt, so ist der gr\u00f6fste absolute Betrag derselben nach allem Vorliegenden (d. h. einschliefslich der Resultate meiner eigenen Versuche) von Feilcheneeld (S. 130) erzielt wTorden, welcher angibt, dafs es ihm gelungen sei, durch eine Kopfneigung von 120\u00b0 eine Vertikale horizontal zu stellen. Dieser Betrag der gegensinnigen Neigung steht aber noch erheblich hinter dem in Betracht kommenden Maximalwerte, dem Werte von (k\u2014g), zur\u00fcck, da, wie schon die obige Tabelle erkennen l\u00e4fst, der zu einer Kopfneigung von 120\u00b0 zugeh\u00f6rige Wert von g sicher betr\u00e4chtlich kleiner als 30\u00b0 war.1 Relativ (d. h. im Verh\u00e4ltnisse zu der betreffenden Kopfneigung) genommen ist der h\u00f6chste Betrag der gegensinnigen Neigung der Leuchtlinie nach allem Vorliegenden von Aubert (I, S. 392) erreicht worden. Er berichtet, dafs, wenn ei sich lang ausgestreckt auf den Fufsboden des verfinsterten\nAngier erhielt f\u00fcr k \u2014 135\u00b0 an sich selbst den Durchschnittswert von g gleich 6,5\u00b0.","page":136},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n137\nZimmers gelegt habe und den Kopf mit vertikaler Basallinie auf einem weichen Kissen habe ruhen lassen, dann im Verlaufe einiger Minuten die vertikale Leuchtlinie eine Neigung erreicht habe, bei der sie nur um etwa 100 von der horizontalen Richtung abzuweichen schien. Die f\u00fcr k = 90\u00b0 oben mitgeteilten Werte von g zeigen hinl\u00e4nglich, dafs eine bei einer Kopfneigung von 90 0 vorhandene Gegenrollung von ca. 100 ungef\u00e4hr dem durchschnittlichen Verhalten entspricht. Nehmen wir also an, dafs Aubert bei dem hier erw\u00e4hnten Versuche die scheinbare Neigung der Leuchtlinie richtig gesch\u00e4tzt habe, so k\u00f6nnen wir sagen, dafs in demjenigen der bisherigen Beobachtungsf\u00e4lle, in welchem die gegensinnige Neigung der Leuchtlinie den h\u00f6chsten bisher vorgekommenen relativen Wert besafs, diese Neigung hinter dem Betrage der hergestellten Kopfneigung um einen Wert zur\u00fcckgeblieben ist, der in gewisser \u00dcbereinstimmung zu unserer Theorie ungef\u00e4hr gleich grofs ist wie der durchschnittliche Betrag der zu der betreffenden Kopfneigung zugeh\u00f6rigen Gegenrollung. Die sonst angegebenen Betr\u00e4ge der gegensinnigen Neigung der Leuchtlinie stehen im allgemeinen bedeutend hinter dem m\u00f6glichen Maximalwerte (k\u2014g) zur\u00fcck. Nach Aubert (I, S. 392 f.) betr\u00e4gt diese gegensinnige Neigung im allgemeinen nur halb so viel wie die Neigung des Kopfes. Mulder (I, S. 109 f.) fand, dafs bei horizontaler Lage des K\u00f6rpers nnd Kopfes die Leuchtlinie, um vertikal zu erscheinen, eine gleichsinnige Neigung urhalten mufste, die zwischen 20\u00b0 und 50\u00b0 lag. Auch bei meinen eigenen Versuchen erreichte die gegensinnige Stellung der Leuchtlinie nie einen Wert, von dem angenommen werden k\u00f6nnte, dafs er gleich grofs oder gar gr\u00f6fser gewesen sei als der Betrag von (k\u2014g). Der h\u00f6chste Wert, den die scheinbare gegensinnige Neigung der vertikalen Leuchtlinie bei horizontal liegendem Kopf und l\u00e4ngerer Betrachtungszeit erreichte, betrug etwa 70 \u00b0.\nWas das E-Ph\u00e4nomen betrifft, so besafs bei meinen Versuchen die gegensinnige Neigung, welche der Leuchtlinie erteilt werden mufste, damit sie vertikal erscheine, niemals einen Durchschnittsbetrag, der den mutmafslichen Betrag des zu der betreffenden Kopfneigung zugeh\u00f6rigen Rollungswinkels \u00fcberstieg. Der h\u00f6chste bei meinen Versuchen erhaltene Durchschnittswert dieser gegensinnigen Neigung der scheinbaren Vertikalen ist der schon auf S. 128 angef\u00fchrte Wert 9,2\u00b0, der bei der Vp. von L. f\u00fcr eine Kopfneigung von 40 0 erhalten wurde. Da nach B\u00e4r\u00e4nys","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138\nGr. E. M\u00fcller.\nUntersuchung bei einer Kopfneigung von 60\u00b0 der Wert der Gegenrollung volle 16\u00b0 betragen kann, so fordert dieser von von L. gelieferte Durchschnittswert noch nicht die Annahme, dafs aufser der Gegenrollung auch noch andere Faktoren, z. B. eine mangelhafte Kopflokalisation, bei seinem Zustandekommen wesentlich beteiligt gewesen seien. Im allgemeinen bewegen sich die bei meinen Versuchen erzielten gegensinnigen Neigungen der scheinbaren Vertikalen zwischen 1\u00b0 und 5,5 \u00b0.1 Auch bei der Vp. G. von von Cyon (S. 215 und 221), die, wie erw\u00e4hnt, selbst bei einer Kopfneigung von 900 noch das E-Ph\u00e4nomen beobachtete, war die gegensinnige Neigung der scheinbaren Vertikalen, wie von Cyon selbst angibt, \u201eimmer sehr gering\u201c (5\u20148 \u00b0). Die Versuche vor Alexander und B\u00e2rany (S. 423 ff.), bei denen die scheinbare Vertikale f\u00fcr blofse Kopfneigungen (d. h. Neigungen des Kopfes allein) bestimmt wurde, haben nur in drei F\u00e4llen ergeben, dafs die scheinbare Vertikale durchschnittlich eine gegensinnige Neigung besafs, und zwar betrug in diesen drei F\u00e4llen die gegensinnige Neigung der mittleren scheinbaren Vertikalen 1,3 \u00b0, 1,3 \u00b0, 5 \u00b0. Allerdings wurde der letztgenannte der drei Werte f\u00fcr eine Kopfneigung von 70\u00b0 an einem Taubstummen erhalten, bei dem die Gegenrollung \u201efast v\u00f6llig\u201c fehlte. Dazu ist indessen zu bemerken, dafs hier eben von einem wirklich v\u00f6lligen Fehlen der Gegenrollung nicht die Rede ist, dafs ferner gerade diese Bestimmung nur auf einem einzigen Versuche beruht, und dafs es endlich nicht das geringste Bedenken haben w\u00fcrde, anzunehmen, dafs in diesem Falle die Kopflokalisation\n1 Wenn man \u00fcber die Ausgepr\u00e4gtheit des E-Ph\u00e4nomens bei einer Vp. nicht durch Bestimmung der scheinbaren Vertikalen, sondern dadurch Auskunft zu erlangen sucht, dafs man die Leuchtlinie in vertikaler Stellung darbietet und die scheinbare gleichsinnige Neigung derselben von der Vp. absch\u00e4tzen l\u00e4fst, so kann man bei einer unge\u00fcbten Vp. allerdings mitunter Angaben erzielen, nach denen man weit ausgiebigere gegensinnige Neigungen der scheinbaren Vertikalen als die oben angegebenen zu erwarten h\u00e4tte. Als ein Beispiel daf\u00fcr, wie unzuverl\u00e4ssig die Sch\u00e4tzung der Neigung einer Leuchtlinie bei manchen Vpn. ist, mag angef\u00fchrt werden, dafs eine meiner Vpn. die Neigung einer von ihr bei normaler Kopfhaltung betrachteten, um 8\u00b0 nach rechts geneigten Leuchtlinie zuerst auf 30\u00b0, dann auf \u201eweniger als 20\u00ae\u201c sch\u00e4tzte. Entsprechend erhielten Alexander und B\u00e2rany (S. 361) f\u00fcr die Neigung einer um 5\u00b0 geneigten, bei normaler Kopfhaltung betrachteten Linie von einer Vp. Sch\u00e4tzungswerte, die zwischen 5 0 und 20 0 lagen.","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n139\num einige wenige Grade eine falsche gewesen sei.1 Die gegensinnigen Neigungen der mittleren scheinbaren Vertikalen, welche die Versuche derselben Forscher mit Kopfk\u00f6rperneigungen (gemeinsamen und gleich ausgiebigen Neigungen des K\u00f6rpers und des Kopfes) ergeben haben, bewegen sich bei dem erw\u00e4hnten Taubstummen zwischen den Grenzen 0,2\u00b0 und 1,2\u00b0, bei den untersuchten Normalen betragen sie 0,5 \u00b0, 2,7 \u00b0, 4 \u00b0, 5,5 \u00b0, wobei die zugeh\u00f6rigen Kopfk\u00f6rperneigungen solche von 60 \u00b0, 30 \u00b0, 45 \u00b0, 60\u00b0 waren. Sachs und Meller (I, S. 401) f\u00fchren beispielsweise an, dafs in einem Falle einer Kopfneigung von 10\u00b0, 30\u00b0, 40\u00b0, 60\u00b0 eine gegensinnige Neigung der scheinbaren Vertikalen von bzw. 2 \u00b0, 6 \u00b0, 10 \u00b0, 150 entsprochen habe. Auch von diesen Neigungswerten ist zu sagen, dafs sie die Betr\u00e4ge der nach den vorliegenden Beobachtungen m\u00f6glichen Rollungswinkel nicht \u00fcbersteigen.\nNagel (S. 381 f.) berichtet, dafs er, ebenso wie ein Teil seiner Mitbeobachter, bei einer einigermafsen raschen seitlichen Kopfbewegung (z. B. in V2 Sek. um 20\u201430 \u00b0) eine gleichsinnige scheinbare Bewegung der objektiv vertikalen Leuchtlinie beobachte. Der Betrag dieser scheinbaren Neigung der Leuchtlinie sei stets geringer als der Betrag der Kopfneigung. Bei n\u00e4herer Bestimmung habe er als Maximum derselben f\u00fcr sich selbst etwa 12 \u00b0, f\u00fcr einen anderen Beobachter 7\u2014100 erhalten. Diesen Angaben gegen\u00fcber ist daran zu erinnern, dafs f\u00fcr die Erkl\u00e4rung der gleichsinnigen Neigung, wTelche die Leuchtlinie bei einer einigermafsen schnellen Kopfneigung erf\u00e4hrt, nicht die bleibende* sondern die (nach Mulder nur 1\u20142 Sek. andauernde) vor\u00fcbergehende Gegenrollung in Betracht kommt. Die letztere erreicht aber bekanntlich bedeutend h\u00f6here Betr\u00e4ge als die bleibende Gegenrollung. Bei Mulder (I, S. 86) lag der Maximalwert der vor\u00fcbergehenden Rollung bei 20 \u00b0, bei Donders zwischen 15 0 und 20\u00b0. Nach dem von Mulder (S. 83 f.) Mitgeteilten ist bei konstanter Geschwindigkeit der Kopfneigung die vor\u00fcbergehende\n1 Die Sch\u00e4tzungen der Kopfneigung, deren Ergebnisse, wie weiterhin noch besonders hervorgehoben werden wird, allerdings \u00fcber die hier in Betracht kommenden Kopflokalisationen keine sicheren Ausk\u00fcnfte gew\u00e4hren, fielen bei jenem Taubstummen sehr schwankend und oft recht unrichtig aus. So erfuhr z. B. eine Neigung des Kopfes um 40\u00b0 Sch\u00e4tzungen, die sich zwischen 20\u00b0 und 70\u00b0 bewegten.","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nG. E. M\u00fcller.\nRollung nicht in gleichem Mafse wie die bleibende Rollung von 4em Umfange der Kopfneigung abh\u00e4ngig.\nAndere numerische Angaben \u00fcber gegensinnige Neigungen der scheinbaren Vertikalen als die vorstehend erw\u00e4hnten liegen zurzeit nicht vor. Wenn nun auch zuzugeben ist, dafs diese numerischen Ergebnisse infolge unvermeidlicher Fehlerquellen und teilweise zu geringer Versuchszahl etwas unrichtig ausgefallen sein k\u00f6nnen und auch durch falsche Kopflokalisationen, die den Ablenkungswert der B-Komponente beeinflufsten, mit bestimmt sein k\u00f6nnen, so l\u00e4fst sich doch folgendes sagen: Die Maximalwerte, welche die E-Stellungen der vertikalen Leuchtlinie und die gegen sinnigen Neigungen der scheinbaren Vertikalen erreichen, stehen weit hinter den (bis zu dem Betrage von 900 sich erstreckenden) f\u00fcr die A-Stellungen der vertikalen Leuchtlinie und die gleichsinnigen Neigungen der scheinbaren Vertikalen erreichbaren Maximalwerten zur\u00fcck, und nach den bisherigen Versuchsresultaten besitzen die gegensinnigen Neigungen der mittleren scheinbaren Vertikalen durchaus die Gr\u00f6fsen-ordnungen der bei den betreffenden Kopfneigungen zu erwartenden Rollungswinkel. Ich brauche nicht erst darauf hinzuweisen, wie sehr dieser Tatbestand zu unserer Erkl\u00e4rung des A- und des E-Ph\u00e4nomens stimmt. Man kann sich h\u00f6chstens dar\u00fcber wundern, dafs die Unvollkommenheit der Kopflokalisa-tion keine \u00fcber die m\u00f6glichen Betr\u00e4ge der betreffenden Rollungs-wdnkel mit Sicherheit hinausgehenden gegensinnigen Neigungen der scheinbaren Vertikalen zur Folge gehabt hat. Hierzu ist zu bemerken, dafs man nat\u00fcrlich etwas h\u00f6here Beitr\u00e4ge der gegensinnigen Neigung der scheinbaren Vertikalen als vorkommend erh\u00e4lt, wenn man nicht die durchschnittlichen, sondern die einzelnen Einstellungen der scheinbaren Vertikalen ber\u00fccksichtigt. So kamen bei den Versuchen, die Alexander und Bar\u00e4ny mit ihrer Vp. Ban. bei einer Kopfk\u00f6rperneigung von 60\u00b0 anstellten, und bei denen sie f\u00fcr die mittlere scheinbare Vertikale eine gegensinnige Neigung von 5,50 erhielten, zwei Einzelbestimmungen der scheinbaren Vertikalen vor, bei denen sie eine gegensinnige Neigung von 15\u00b0 bis 20\u00b0 besafs. Selbstverst\u00e4ndlich ist an dieser Streuung der Einstellungen der scheinbaren Vertikalen auch das unvollkommene und schwankende Verhalten der Kopflokalisation mit beteiligt.\nEs ist hier vielleicht der Ort, um mit einigen Worten auf","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n141\ndie Versuche einzugehen, die man, namentlich in Hinblick auf die Behauptung von Helmholtz, dafs das A-Ph\u00e4nomen auf einer Untersch\u00e4tzung der Kopfneigung beruhe, angestellt hat, um \u00fcber die Kopflokalisation bei dem AuBERT\u2019schen Versuche N\u00e4heres festzustellen. Mulder (II) fand folgendes: \u201eWird eine Person in einem Kasten seitw\u00e4rts geneigt, so werden die kleinen Winkel zu klein, die grofsen dagegen zu grofs gesch\u00e4tzt, so dafs bei 700 horizontale Lage angegeben wird.\u201c Auch Feilcheneeld (S. 137) bezeichnet es als eine Tatsache, \u201edafs wir zwar kleine Kopfneigungen unter-, grofse dagegen \u00fcbersch\u00e4tzen\u201c, ohne erkennen zu lassen, ob er diese Behauptung auf eigene Versuche oder etwa die Angaben von Mulder st\u00fctzt. Nagel (S. 390) gibt Rn, dafs, wenn man auf einem um eine horizontale Achse drehbaren Brette in Seitenlage liege, die T\u00e4uschungen hinsichtlich der Neigung des Brettes und der K\u00f6rperachse namentlich bei Neigungen um mehr als 60\u00b0 gegen die Vertikale sehr betr\u00e4chtlich seien, man taxiere dann die Neigungen wenigstens vor\u00fcbergehend weit gr\u00f6fser, als sie wirklich sind. Er erblickt einen\n\u2022 \u2022\nAusdruck der \u00dcbersch\u00e4tzung der Neigung auch darin, dafs er, bei geschlossenen Augen auf dem um 70\u2014800 geneigten Zapfenbrette liegend, die scheinbare Vertikale mittels eines in der Hand gehaltenen Stabes in der Weise markiere, dafs er den Stab schief im umgekehrten Sinne der Neigung des Brettes halte. Delage {vgl. Aubert, III, S. 35) gibt kurz an, dafs er sich \u201edurch den Versuch\u201c davon \u00fcberzeugt habe, dafs bei Drehung des Kopfes um seine sagittale Achse die Kopfneigung \u00fcbersch\u00e4tzt werde. Bourdon (S. 171 f.) fand, dafs er, um den Eindruck zu haben, \u2022dafs beide Augen vertikal \u00fcbereinander stehen, im Dunkeln den Kopf stets um mehr als 900 (z. B. 108 \u00b0) nach der Seite neigen m\u00fcsse. Dies bedeutet eine Untersch\u00e4tzung der Kopfneigung. Sachs und Meller (II, S. 90 ff.) liefsen seitens der Vp. die scheinbare Neigung des Kopfes oder des K\u00f6rpers und Kopfes oder des K\u00f6rpers allein auf haptischem Wege in der Weise bestimmen, dafs die Vp. bei der betreffenden Kopf-, K\u00f6rper- oder Kopfk\u00f6rperneigung einen um eine Achse drehbaren, in seiner jeweiligen Lage zur Vertikalen leicht bestimmbaren Messingstab bei verschlossenen Augen zu betasten und dar\u00fcber zu urteilen hatte, ob der eingestellte Stab schw\u00e4cher, st\u00e4rker oder gleich stark geneigt sei wie der Kopf, K\u00f6rper oder Kopf und K\u00f6rper,\nbzw. ob das untere Ende des Stabes nach rechts oder links von\n10\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 49.","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142\nG. E. Millier.\nder Achse des Kopfes, K\u00f6rpers oder Kopfes und K\u00f6rpers ab-weiche. Sie fanden bei diesen Versuchen, dafs sowohl reine Kopfneigungen bei aufrecht gehaltenem K\u00f6rper als auch reine K\u00f6rperneigungen bei aufrecht gehaltenem K\u00f6rper und ebenso auch Kopfk\u00f6rperneigungen untersch\u00e4tzt werden. Alexander und Baran\u00ef (S. 414 ff.) liefsen bei ihren hier in Betracht kommenden Versuchen die im Dunkeln befindliche Vp. ihre vorhandene Kopfneigung oder Kopfk\u00f6rperneigung einerseits in Winkelgraden . taxieren und andererseits auf optischem Wege bestimmen, wobei das optische Bestimmungsverfahren darin bestand, dafs die Neigung einer Leuchtlinie so lange abge\u00e4ndert wurde, bis sio der Vp. dieselbe zu sein schien wie die vorhandene Neigung ihres Kopfes bzw. ihres Kopfes und K\u00f6rpers. Es zeigte sich* dafs bei der blofsen Taxierung die Kopfneigung von derselben Vp. teils untersch\u00e4tzt, teils \u00fcbersch\u00e4tzt wurde. Die Kopfk\u00f6rper-neigung wurde von der einen Vp. durchschnittlich untersch\u00e4tzt* von der anderen \u00fcbersch\u00e4tzt. Bei der optischen Bestimmung wurde die Kopfneigung von den beiden Vpn. (und in geringerem Mafse auch von einer nur zu diesen Versuchen herangezogenen dritten Vp.) untersch\u00e4tzt, die Kopfk\u00f6rperneigung von der einen Vp. untersch\u00e4tzt, von der anderen \u00fcbersch\u00e4tzt.\nMan kann nicht sagen, dafs die hier angef\u00fchrten Versuchsresultate ein Bild befriedigender Einhelligkeit gew\u00e4hren. Wichtiger indessen ist es, darauf hinzuweisen, dafs die Methoden* deren man sich bei diesen Versuchen bedient hat, \u00fcberhaupt . nicht dazu geeignet sind, uns \u00fcber die Kopflokalisation, die bei Betrachtung einer Leuchtlinie mit geneigtem Kopfe stattfindet und den Ablenkungswert der B-Komponente mit bestimmt, zuverl\u00e4ssige Ausk\u00fcnfte zu geben. Denn die Absch\u00e4tzung der scheinbaren (im Vorstellungsbilde vergegenw\u00e4rtigten) Kopfneigung in Winkelgraden wird im allgemeinen mit Fehlern behaftet sein, und \u00fcber die Richtung und Gr\u00f6fse dieser Fehler l\u00e4fst sich in keiner Weise eine hinl\u00e4ngliche Aufkl\u00e4rung erhalten. Stellt man, wie Alexander und B\u00e4r\u00e4ny (S. 360 f.) taten, Versuche an, bei denen einer Leuchtlinie verschiedene Lagen erteilt werden und die Vp. bei normaler Kopfhaltung die jeweilige Neigung der Leuchtlinie in Graden zu sch\u00e4tzen hat, so lassen sich die Resultate dieser Versuche durchaus nicht auf den ganz anders gearteten Fall \u00fcbertragen, dafs es sich um die Sch\u00e4tzung der Neigung des bei verschlossenen Augen nur im Vorstellungs-","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertscke Ph\u00e4nomen.\n143\nbilde vergegenw\u00e4rtigten Kopfes handelt. Was ferner das von Alexander und B\u00e4r\u00e4ny benutzte optische Bestimmungsverfahren anbelangt, so sind die bei diesem Verfahren erzielten Einstellungen der Leuchtlinie schon deshalb ganz ungeeignet, \u00fcber die von der Vp. vorgestellten Kopfneigungen oder Kopfk\u00f6rperneigungen Auskunft zu geben, weil diese Einstellungen selbst unter dem Einfl\u00fcsse der das A-Ph\u00e4nomen und das E-Ph\u00e4nomen bedingenden Faktoren vor sich gingen. Denn angenommen z. B., die Vp. stelle sich ihren Kopf als um 90\u00b0 nach rechts hin geneigt vor, so wird sie der Leuchtlinie schwerlich eine objektive Neigung von 90\u00b0 geben lassen, da ja ihre Auffassung der Stellung derselben von den soeben erw\u00e4hnten Faktoren beeinflufst ist. Der analoge Einwand ist gegen\u00fcber dem haptischen Be-stimmungsverfahren von Sachs und Meller zu erheben. Diese Forscher haben ja selbst gezeigt, dafs die haptische Beurteilung der Stellung eines Messingstabes konstanten Fehlern unterliegt, die von der vorhandenen Neigung des Kopfes oder K\u00f6rpers oder Kopfes und K\u00f6rpers abh\u00e4ngig sind. Aus demselben Grunde ist es auch unzul\u00e4ssig, mit Nagel aus der Stellung, die man bei verschlossenen Augen und vorhandener seitlicher Kopfk\u00f6rperneigung einem Stabe behufs Markierung der Vertikalen gibt, etwas dar\u00fcber erschliefsen zu wollen, wie die vorhandene Kopfk\u00f6rperneigung vorgestellt wird.\nIch kann nicht verhehlen, dafs ich allen obigen Versuchen und Versuchsweisen gegen\u00fcber noch ein Bedenken von ganz anderer, tiefer gehender Art habe. Man kann fragen, ob diejenige Vorstellung der vorhandenen Kopfneigung, die man erh\u00e4lt, wenn man sich die letztere behufs Sch\u00e4tzung oder Wiedergabe durch dieses oder jenes Darstellungsmittel ausdr\u00fccklich vergegenw\u00e4rtigt, wirklich mit derjenigen Vorstellung der Kopflage wesentlich \u00fcbereinstimmen m\u00fcsse, die bei der gleichen Kopfneigung im Falle der Auffassung einer Leuchtlinie sich mit geltend macht und zwar in diesem Falle nur als eine Vorstellung auftritt, die nicht an sich Interesse besitzt, sondern nur als eine an sich des Interesses entbehrende Grundlage f\u00fcr die Lokalisation der Leuchtlinie fungiert. Es ist allgemein gesprochen immer der Zweifel berechtigt, ob wir die Beschaffenheit eines Vorstellungsbildes, das nur als unbeachtete Grundlage oder Mitgrundlage einer durch ihren Erfolg f\u00fcr uns wichtigen Reproduktionstendenz dient, dadurch wirklich n\u00e4her aufkl\u00e4ren k\u00f6nnen,\n10*","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"144\nG. E. M\u00fcller.\ndafs wir uns das Vorstellungsbild desselben Gegenstandes behufs n\u00e4herer Charakterisierung oder Vergleichung mit anderen Vorstellungen willk\u00fcrlich zu erzeugen oder zu verdeutlichen suchen. Im letzteren Falle k\u00f6nnen sich mancherlei fr\u00fchere Erfahrungen, Reflexionen, Suggestionen und sonstige Nebeneinfl\u00fcsse in f\u00e4lschender Weise mit geltend machen, die nicht wirksam sind, wenn das Vorstellungsbild in nat\u00fcrlicher Weise als Bestandteil des betreffenden, durch Willk\u00fcr nicht beeinflufsten Gesamtvorganges auf tritt.1\n\u00a7 6. Die Abnahme des A-Ph\u00e4nomens bei sehr hochgradiger\nKopfneigung.\nWie schon fr\u00fcher angedeutet, w\u00e4chst die scheinbare gegensinnige Neigung der objektiv vertikalen Leuchtlinie von demjenigen Grade der Kopfneigung ab, bei dem sie \u00fcberhaupt merkbar geworden ist, bei zunehmender Kopfneigung nur bis zu einem gewissen Grenzwerte der Kopfneigung hin, bei dem sie ihren h\u00f6chsten Wert erreicht. Wird die Kopfneigung \u00fcber diesen Grenzwert hinaus noch weiter gesteigert, so nimmt die gegensinnige Neigung der Leuchtlinie wieder ab. Auf diesen Grenzwert und \u00fcberhaupt auf das Verhalten der Stellung der Leuchtlinie bei den hochgradigen Kopfneigungen von 90\u00b0\u2014180\u00b0 ist hier noch kurz einzugehen, obwohl wegen der Schwierigkeit der Beobachtungen bei sehr starken Kopfneigungen und wegen der Untauglichkeit oder Ungeneigtheit vieler Vpn. zu Versuchen bei solchen Kopflagen das f\u00fcr diesen Bereich von Kopfneigungen vorliegende Material von Versuchstatsachen nur sehr d\u00fcrftig ist.\nNach Aubert (I, S. 382) ist das Maximum der gegensinnigen Neigung der Leuchtlinie bei einer Kopfneigung von etwa 135\u00b0 vorhanden. \u201eGeht man dar\u00fcber hinaus, so geht die Linie in ihre wirkliche Lage zur\u00fcck. Sieht man zwischen den Beinen durch oder steht man auf dem Kopfe, so erscheint die helle Linie ebenso wie bei gew\u00f6hnlicher aufrechter Kopfstellung\u201c. Sachs und Meller (I, S. 393 und II, S. 106) geben an, dafs die gegensinnige Neigung der Leuchtlinie bei Kopfneigungen zwischen 140\u00b0 und 160\u00b0 ihr Maximum erreichte. Nach Nagel (S. 380)\n1 Man vergleiche hierzu meine Ausf\u00fchrungen in der Zeitschr. f. Psychol., Erg\u00e4nzungsband 5. Leipzig 1911. S. 72\u201480.","page":144},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n145\nliegt dieses Maximum bei einer Kopfneigung von etwa 120\u2014140 \u00b0, \u201esoweit in dieser Lage noch zu beobachten ist\u201c. Ich selbst fand bei den hinsichtlich dieses Punktes untersuchten Vpn., dafs einer Steigerung der Kopfneigung von 90\u00b0 bis auf 135\u2014140\u00b0 eine starke oder sogar sehr starke Zunahme der scheinbaren Neigung der Leuchtlinie entsprach. So betrug bei einer Vp. vom EA-Typus die gleichsinnige Neigung der scheinbaren Vertikalen bei einer Kopfneigung von 900 ungef\u00e4hr 7 \u00b0, bei einer Kopfneigung von ca. 130\u00b0 dagegen ungef\u00e4hr 60\u00b0.1 Die Kopfneigung, bei welcher die gegensinnige Neigung der Leuchtlinie ihren Maximalwert besafs, habe ich an 3 Vpn. zu bestimmen gesucht. Sie besafs bei der einen Vp. einen Betrag von 130\u2014140\u00b0, bei den beiden anderen von ca. 160 \u00b0.\nEs erhebt sich nun die Frage, weshalb eigentlich die A-Stellung der Leuchtlinie von einem gewissen (vermutlich innerhalb gewisser Grenzen variablen) Grade der Kopfneigung ab bei weiterer Steigerung der letzteren sich wieder schnell verringert. Die Annahme, dieses Verhalten habe seinen Grund darin, dafs die aus der vorhandenen Kopfneigung entspringenden Eindr\u00fccke kin\u00e4sthe-tischer oder sonstiger Natur von jenem Betrage der Kopfneigung ab pl\u00f6tzlich ganz gewaltig an St\u00e4rke und Nachdr\u00fccklichkeit zun\u00e4hmen mit dem Erfolge einer entsprechend starken Steigerung des Gewichtes der B-Komponente, w\u00fcrde m. E. den Tatsachen stark Gewalt antun. Denn z. B. eine seitliche Neigung des Kopfes um 1250 scheint mir eher eine anstrengendere und mit eindringlicheren Eindr\u00fccken der soeben angedeuteten Art verbundene K\u00f6rperhaltung zu sein als die beim Sehen durch die Beine vorhandene Kopfneigung von ca. 180 \u00b0. Die richtige Erkl\u00e4rung\n1 Kopfneigungen von 90\u00b0 bis 140\u00b0 wurden dadurch hergestellt, dafs die auf einem Tische auf der Seite liegende Vp. ihren Kopf von der Kante des Tisches herabh\u00e4ngen liefs. Sollten noch st\u00e4rkere Kopfneigungen mit in den Bereich der Untersuchung gezogen werden, so wurde entweder so verfahren, dafs die Vp. stehend ihren Rumpf und Kopf gewaltsam bis zu den gew\u00fcnschten Tiefen seitlich neigte (ev. die Hand der gebeugten Seite auf den Fufsboden aufst\u00fctzend), oder so, dafs die Vp. stehend der Leuchtlinie den R\u00fccken zukehrte und sich dann nach rechts vorn oder nach links vorn beugte, um nach hinten blickend die Leuchtlinie zu betrachten (das bequemere Verfahren). Bei geeigneter Kopfhaltung liefs sich dann mittels eines zwischen den Z\u00e4hnen festgehaltenen Stabes, eines an diesem befestigten Pendels und eines Transporteurs der Winkel der seitlichen Kopfneigung hinreichend bestimmen.","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146\nG. E. M\u00fcller.\nscheint mir vielmehr folgende zu sein. Die S-Komponente ist eine Tendenz, der Leuchtlinie eine bestimmte Orientierung in Beziehung auf den Fall der normalen Rumpfhaltung zu erteilen. Je mehr nun die gegenw\u00e4rtige Rumpfhaltung von der normalen abweicht, desto mehr ist der normal gehaltene Rumpf als Bezugsk\u00f6rper, in Beziehung auf den eine bestimmte Lokalisationstendenz besteht, aufser Auge ger\u00fcckt, desto mehr tritt also die S-Kom-ponenten zur\u00fcck, und desto gr\u00f6fser ist das Gewicht der B-Kom-ponente.1 Der Gang, den das Verh\u00e4ltnis zwischen beiden Komponente bei zunehmender Kopfneigung nimmt, ist also kurz folgendermafsen zu charakterisieren. Der Ablenkungswert der S-Komponente w\u00e4chst bei zunehmender Kopfneigung viel schneller als der bei richtiger Kopflokalisation vorhandene Ablenkungswert der B-Komponente (soweit von einem Wachstum des letzteren bei Steigerung der Kopfneigung \u00fcberhaupt gesprochen werden kann). Andererseits macht sich aber bei weiterer Steigerung der Kopfneigung der Umstand, dafs die vorhandene Rumpfhaltung immer mehr von der normalen abweicht und infolgedessen der normal gehaltene Rumpf immer mehr als Bezugsk\u00f6rper der Lokalisation zur\u00fccktritt, immer mehr im Sinne einer Verringerung des Gewichtes der S-Komponente geltend, und bei einer Kopfneigung um 180 0 (beim Sehen durch die Beine) kommt der normal gehaltene Rumpf als Bezugsk\u00f6rper \u00fcberhaupt nicht mehr in Betracht und die S-Komponente g\u00e4nzlich in Wegfall.\nObwohl Aubert und Nagel angeben, dafs die Leuchtlinie bei einer Kopfneigung von 1800 sich bei derselben Stellung als eine vertikale darstelle, bei \"welcher sie im Falle aufrechter Kopfhaltung vertikal erscheint, so bedarf dieser Punkt doch noch einer ausgedehnteren und genaueren Untersuchung. Einer meiner Vpn. (Vp. S.) erscheint, wie wiederholte Versuche gezeigt haben, beim binokularen Hindurchblicken durch die Beine mit m\u00f6glichst vertikal herabh\u00e4ngendem Kopfe die Leuchtlinie nur dann vertikal, wenn sie aus der Stellung, bei welcher sie der binokularen\n1 Wie wir weiterhin (S. 158ff.) sehen werden, besitzt die B-Komponente unter sonst gleichen Umst\u00e4nden ein um so geringeres Gewicht, je weniger die aus der Kopfneigung entspringenden Eindr\u00fccke kin\u00e4sthetischer oder sonstiger Natur von Nachdr\u00fccklichkeit sind und die Vorstellung des Kopfes mit seiner gegebenen Lage zu erwecken suchen. Diesem Verhalten entspricht es in gewissem Sinne, wenn der S-Komponente unter sonst gleichen Umst\u00e4nden ein um so geringeres Gewicht zukommt, je mehr die vorhandene Rumpf- und Kopfhaltung durch seitliche Beugung von der normalen Haltung abweicht, und je weniger sie demgem\u00e4fs dem Auftreten der Vorstellung des Falles der normalen Rumpfhaltung g\u00fcnstig ist.","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n147\nBetrachtung mit aufrechter Kopfhaltung vertikal erscheint, um 5\u20147\u00b0 nach rechts hin gedreht worden ist. Bei einer anderen Vp. dagegen zeigte sich keine solche Differenz. Bei monokularer Betrachtung ergab aber auch diese Vp. eine Differenz zwischen den beiden scheinbaren Vertikalstellungen der Leuchtlinie. Eine derartige Differenz (von nicht weniger als 9\u00b0) ergab sich gleichfalls bei einer dritten Vp, die wegen Strabismus im Dunkeln \u00fcberhaupt stets monokular beobachtet. Diese nur zu einer vorl\u00e4ufigen Orientierung angestellten Versuche wurden ohne Einbeifsvor-richtung oder sonstige zu einer ganz genauen Fixierung und Bestimmung der Kopfneigung dienliche Anordnungen ausgef\u00fchrt und bed\u00fcrfen daher noch der Erg\u00e4nzung. Leider sind wir hinsichtlich der Frage, wie es bei hochgradigeren (den Betrag von 100\u00b0 \u00fcbersteigenden) Kopfneigungen betreffs der Gegenrollung und des (bei richtiger Kopflokalisation vorhandenen) Ablenkungswrertes der B-Komponente steht, nicht gen\u00fcgend unterrichtet. Besteht bei einer Kopfneigung um 180^ eine bleibende Gegenrollung, so ist nicht zu erwarten, dafs bei dieser Kopfneigung die scheinbare Vertikale dieselbe Stellung besitze wie bei aufrechter Kopfhaltung. In der Tat glaubt Delage bei dieser Kopfneigung eine Gegenrollung konstatiert zu haben, die f\u00fcr beide Augen verschieden sei und auch davon abh\u00e4nge, ob dieser Grad der Kopfneigung durch eine Neigung nach rechts oder durch eine solche nach links hergestellt worden sei. Hinsicht dieser Angaben von Delage vergleiche man indessen die Ausf\u00fchrungen von Angier in der Zeitschr. Psychol. 37, 1904, S. 235 ff. Findet die Betrachtung der Leuchtlinie bei aufrechter Kopfhaltung und bei einer Kopfneigung von 180\u00b0 monokular statt, so erscheint es schon wegen der bekannten Lage des vertikalempfindenden Netzhautmeridianes nichts weniger als selbstverst\u00e4ndlich, dafs die scheinbare Vertikale bei beiden Kopfhaltungen ganz dieselbe Stellung besitze. \u2014\nWenn eine undifferenzierte, geradlinige Leuchtlinie beim Sehen durch die Beine genau oder ann\u00e4hernd dieselbe scheinbare Stellung besitzt wie bei der Betrachtung mit normal gehaltenem Kopfe, so ist damit noch nicht die Frage entschieden, ob im Dunkeln bei einer Kopfneigung um 180\u00b0 derjenige Teil eines leuchtenden Gegenstandes, welcher in Wirklichkeit der obere (untere) ist, auch als der obere (untere) gesehen wird. Indem ich das obere Ende der Leuchtlinie etwas anders gestaltete als das untere, konnte ich feststellen, dafs die hier erw\u00e4hnte Frage zu bejahen ist. Zu einer Bejahung dieser Frage kann man \u00fcbrigens auch schon dadurch gelangen, dafs man die verschiedenen Stellungen, welche die undifferenzierte, geradlinige Leuchtlinie bei sukzessiver Steigerung der Kopfneigung von 0\u00b0 bis auf 180\u00b0 durchl\u00e4uft, der Reihe nach verfolgt.\n\u00a7 7. Die Inkonstanz des A- und des E-Ph\u00e4nomens.\nSchon verschiedene der bisherigen Untersncher haben die Inkonstanz des A-Ph\u00e4nomens hervorgehoben, durch die es sich von vielen anderen Sinnest\u00e4uschungen unterscheide. Unter dieser Inkonstanz verstand man vor allem die Tatsache, dafs das A-","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nGr. E. M\u00fcller.\nPh\u00e4nomen bei verschiedenen Versuchen, die unter gleichen \u00e4ufseren Bedingungen mit derselben Vp. angestellt werden, sehr verschiedene Grade der Ausgepr\u00e4gtheit zeigen kann. So kam es bei Feilchenfeld vor, dafs er an einem Tage der T\u00e4uschung fast gar nicht ausgesetzt war, w\u00e4hrend ein anderes Mal ihr Betrag ungef\u00e4hr das Dreifache ihres gew\u00f6hnlichen Betrages erreichte, und zwar liefs sich derartiges konstatieren, obwohl Feilchenfeld sich der sog. Aufblitzmethode bediente, also stets die Leuchtlinie nur w\u00e4hrend einer sehr kurzen Zeit darbot. Ich fand, dafs diese Inkonstanz des A-Ph\u00e4nomens sich selbst dann noch zeigte, wenn die Zeit der Betrachtung der Leuchtlinie mittels eines auf seine k\u00fcrzeste \u00d6ffnungszeit (angeblich V2000 Sek.) eingestellten Momentverschlusses m\u00f6glichst eingeschr\u00e4nkt wurde. Eine \u00e4hnliche Inkonstanz wie das A-Ph\u00e4nomen zeigt auch das E-Ph\u00e4nomen. Und wie nach dem hier Bemerkten zu erwarten und auch schon fr\u00fcher erw\u00e4hnt wTorden ist, kommt es bei manchen Vpn. vor, dafs die Leuchtlinie bei der gleichen Kopfneigung und auch sonst gleichen Umst\u00e4nden sich das eine Mal in A-Stellung, das andere Mal aber in E-Stellung darbietet. Ein derartiges unregelm\u00e4\u00dfiges Verhalten zeigte sich ganz besonders auch bei den (nach der Aufblitzmethode angestellten) Versuchen von Alexander und Baeany, bei denen die Leuchtlinie, um vertikal zu erscheinen, bei der gleichen Kopfk\u00f6rperneigung oder blofsen Kopfneigung, z. B. auch bei einer solchen von 60 \u00b0, bald eine gleichsinnige, bald eine gegensinnige Neigung erfahren mufste. Infolge dieser Inkonstanz der beiden uns interessierenden Ph\u00e4nomene ist jede in Beziehung auf dieselben ausgesprochene Gesetzm\u00e4fsigkeit oder Regelm\u00e4fsigkeit, z. B. diejenige, welche ihre Abh\u00e4ngigkeit von dem Grade der Kopfneigung betrifft, nur in einem relativen Sinne, d. h. nur so zu verstehen, dafs sich die Tatsachen dem aufgestellten Gesetze gem\u00e4fs verhielten, wenn man sie einer Betrachtung im grofsen und ganzen, f\u00fcr welche zuf\u00e4lligeSchwankungen zur\u00fccktr\u00e4ten,unterwerfe.\nZur Erkl\u00e4rung dieser Inkonstanz ist zun\u00e4chst darauf hinzuweisen, dafs die jeweilige Stellung der Leuchtlinie die Resultierende des Zusammenwirkens von zwei voneinander abweichenden Tendenzen oder Komponenten ist.1 Wir finden auch sonst, dafs\nEs bleibt liier dahingestellt, ob die scheinbare Stellung der Leuchtlinie aufser von der B- und der S-Komponente auch noch von einer dritten Lokalisationstendenz, der in \u00a7 11 zu charakterisierenden R-Tendenz abh\u00e4ngig ist.","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n149\npsychologischen oder physiologischen Erscheinungen, die als die Resultate eines Zusammenwirkens oder Wettstreites konkurrierender Tendenzen anzusehen sind, eine hohe Ver\u00e4nderlichkeit oder Labilit\u00e4t anhaftet. Ich erinnere an die hohe Ver\u00e4nderlichkeit der reflektorischen Aktionen, eine Ver\u00e4nderlichkeit \u201evon Versuch zu Versuch und von Beobachtung zu Beobachtung\u201c, die nach den eingehenden Ausf\u00fchrungen yon Sherrington (Ergebnisse d. Physiol., herausg. yon Asher und Spiro, 4, 1905, S. 842 ff.) gleichfalls auf einem Gegenspiel von einander abweichender Tendenzen beruht. Aus dem psychologischen Gebiete m\u00f6ge hier an die Versuche von M. Wertheimer (Zeitschr. f. Psychol. 61, 1912, S. 258 f.) erinnert werden, bei denen die Vp. durch eine R\u00f6hre in einen schr\u00e4g aufgeh\u00e4ngten Spiegel sah, der ihr das Zimmer und die darin befindlichen Gegenst\u00e4nde als in einem Winkel von ca. 45\u00b0 geneigte darstellte, und nun bei Fixierung eines bestimmten Punktes des Spiegelzimmers eine Schnurlinie in der ihr vertikal erscheinenden Stellung einzustellen hatte. Unmittelbar nach Betrachtung des schr\u00e4gen Spiegelzimmers stellte die Vp. die normale Vertikale ein. Hatte sie aber dieses Zimmer l\u00e4ngere Zeit hindurch beobachtet, so zeigte die eingestellte Linie, die jetzt der Vertikalen des Spiegelzimmers mehr oder weniger angen\u00e4hert war, eine auffallende Labilit\u00e4t und ein starkes Schwanken ihrer scheinbaren Stellung, eine Inkonstanz, die sich eben daraus erkl\u00e4rt, dafs jetzt zwei Tendenzen die scheinbare Stellung der Linie zu bestimmen suchten, n\u00e4mlich einerseits eine Tendenz, die dahin ging, die normalen Verh\u00e4ltnisse f\u00fcr dieselbe mafsgebend sein zu lassen, und andererseits eine Tendenz, welche die Verh\u00e4ltnisse des Spiegelzimmers f\u00fcr die Lokalisation der Linie zur Geltung zu bringen suchte.\nWas die Erkl\u00e4rung der Inkonstanz solcher auf einem Wettbewerb konkurrierender Tendenzen beruhender Vorg\u00e4nge betrifft, so ist Folgendes zu sagen. \u00c4hnlich wie Beobachtungswerte, bei denen 2 Fehlerquellen im Spiele sind, durchschnittlich gr\u00f6fsere Schwankungen und Abweichungen voneinander zeigen wie Beobachtungswerte, bei denen nur eine dieser Fehlerquellen wirksam ist, so mufs auch ein psychologisches oder physiologisches Ph\u00e4nomen, das in bestimmter mefsbarer Hinsicht von zwei oder mehr ihrerseits zuf\u00e4lligen Einfl\u00fcssen ausgesetzten Vorg\u00e4ngen abh\u00e4ngt, st\u00e4rkere Schwankungen zeigen als ein Ph\u00e4nomen, das sich nur nach einem einzigen derartigen Vorg\u00e4nge bestimmt.","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150\nG. E. M\u00fcller.\nSelbstverst\u00e4ndlich k\u00f6nnen hier auch noch spezifische Einrichtungen oder Funktionsweisen der beteiligten nerv\u00f6sen Apparate mit im Spiele sein. Sherrington (a. o. a. 0.) bemerkt bei Erkl\u00e4rung der Ver\u00e4nderlichkeit der Reflexbewegungen Folgendes: \u201eIhre Ver\u00e4nderlichkeit, obgleich von allgemeinen Ern\u00e4hrungsbedingungen abh\u00e4ngig, oder lokaler Blutversorgung usw. scheint h\u00e4ufiger von nerv\u00f6sen Vorg\u00e4ngen herzur\u00fchren, wreiche sich in dem zentralen Nervenorgane durch seine eigene funktionelle leitende T\u00e4tigkeit, ganz abgesehen von der Erm\u00fcdung, abspielen. Diese funktionelle T\u00e4tigkeit erzeugt selbst von Moment zu Moment das tempor\u00e4re \u00d6ffnen mancher Verbindungen und das Schliefsen anderer.\u201c Man kann fragen, ob Analoges w7ie das hier Angedeutete nicht auch f\u00fcr das uns in dieser Abhandlung interessierende Erscheinungsgebiet in gewissem Grade in Betracht komme, ob sich also nicht auch gewisse nerv\u00f6se Vorg\u00e4nge in einer Weise geltend machten, die sich in unserer Ausdrucksweise als eine solche charakterisieren liefse, infolge deren das Gewichtsverh\u00e4ltnis zwischen der S Komponente und der B-Kompo-nente ein unregelm\u00e4fsig schwankendes sei.\nWas die Ablenkungswerte dieser beiden Komponenten anbelangt, so steht aufser Zweifel, dafs der Ablenkungswert der B-Komponente als eine auch bei gleichem Betrage der Kopfneigung betr\u00e4chtlich schwankende Gr\u00f6fse anzusehen ist. Denn wie die Untersuchungen von Mulder (I, S. 78 f.) und von B\u00e4r\u00e4ny (a. o. a. 0. S. 5 f.) gezeigt haben, kann der Winkel der bleibenden Gegenrollung bei einer und derselben Kopfneigung zu verschiedenen Zeiten etwas verschiedene Werte besitzen. Vor allem aber kommt hier in Betracht, dafs unsere Kopflokalisation auch bei konstantem Winkel der Kopfneigung in verschiedenen F\u00e4llen eine verschiedene sein kann, was sich notwendig im Sinne entsprechender Schwankungen des Ablenkungswertes der B-Komponente geltend machen mufs. Je weniger durch das Versuchsverfahren eine richtige und gleichm\u00e4fsige Kopflokalisation beg\u00fcnstigt ist, desto st\u00e4rker werden unter sonst gleichen Umst\u00e4nden die durch das Verhalten der Kopflokalisation bedingten Schwankungen der B-Komponente sein. Behufs m\u00f6glichster Einschr\u00e4nkung der aus dieser Quelle entspringenden Schwankungen der Resultate wurde, wie schon auf S. 124 hervorgehoben, bei meinen Versuchen daf\u00fcr Sorge getragen, dafs das Verfahren hinsichtlich der Stellung des Kopfes ein m\u00f6glichst wissentliches war.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n151\nBenutzt man bei Darbietung der Leuchtlinie nicht die Aufblitzmethode , sondern l\u00e4fst man die Leuchtlinie so lange betrachten, bis die Vp. zu einem endg\u00fcltigen Urteile gekommen zu sein glaubt, so kann, wie wir im n\u00e4chsten Paragraphen sehen werden, eine Ursache der Inkonstanz der Resultate auch darin bestehen, dafs die Dauer der Betrachtung der Leuchtlinie bei verschiedenen Versuchen eine verschiedene ist.\nNoch zu erw\u00e4hnen ist hier, dafs nicht blofs die scheinbare Stellung, welche eine Leuchtlinie von bestimmter objektiver Stellung besitzt, von zuf\u00e4llig wechselnden Faktoren abh\u00e4ngt, sondern auch die Beurteilung dieser scheinbaren Stellung, insonderheit das Urteilen dar\u00fcber, wde sie sich zur vertikalen Stellung verhalte, zuf\u00e4lligen Schwenkungen und Beeinflussungen durch vorausgegangene Sinneswahrnehmungen unterliegt1, zumal dann, wenn, wde dies bei Versuchen im Dunkeln der Fall ist, Gegenst\u00e4nde der Umgebung, die Anhaltspunkte f\u00fcr das Urteil geben k\u00f6nnten, nicht sichtbar sind. Wie wdr weiterhin (\u00a7 10) sehen werden, ist die Unsicherheit bei Beurteilung der Stellung der Leuchtlinie, die sich allerdings, wie an demselben Orte n\u00e4her gezeigt werden wird, bei verschiedenen Individuen in sehr verschiedenem Grade finden kann, und demgem\u00e4fs auch der Spielraum der aus dieser Unsicherheit entspringenden gegenseitigen Abweichungen der Versuchsresultate um so gr\u00f6fser, je betr\u00e4chtlicher die Kopfneigung ist.\nZum Schl\u00fcsse ist hier noch an die \u00e4ufserliche Fehlerquelle zu erinnern, die dann gegeben ist, wenn der Kopf nicht mit Hilfe \u00e4ufserer Vorrichtungen streng in einer bestimmten Stellung festgehalten wdrd. In solchem Falle wird jedes unwillk\u00fcrliche Schwanken der Kopfneigung notwendig im Sinne eines scheinbaren Schwankens der Leuchtlinie wdrken.\n\u00a7 8. Das Verhalten der Leuchtlinie hei l\u00e4nger andauernder\nBetrachtung mit geneigtem Kopf.\nGeht man bei den Versuchen von dem Grunds\u00e4tze aus, dafs die Leuchtlinie der Vp. so lange darzubieten sei, bis diese \u00fcber das abzugebende Urteil ganz mit sich einig geworden sei, so\n1 Betreffs der hier erw\u00e4hnten Beeinflussungen der Richtungsbeurteilung durch vorausgegangene Sinnes Wahrnehmungen vgl. man F. B. Hofmann und A. Bielschowsky im Archiv f. d. ges. Physiol. 126, 1909, S. 474.","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152\nG. E. M\u00fcller.\nerh\u00e4lt man zwar in einer gewissen Anzahl von F\u00e4llen ein einfaches, sicheres Urteil, in anderen F\u00e4llen dagegen gibt die Vp. von selbst an, dafs sich die Stellung der Leuchtlinie w\u00e4hrend der Betrachtung deutlich in der und der Richtung ge\u00e4ndert habe, mitunter charakterisiert sie das Verhalten der Leuchtlinie als ein solches, das auch noch zuletzt ein Hin- und Herschwanken zwischen verschiedenen Stellungen gewesen sei. Die scheinbare Bewegung der Leuchtlinien war mitunter so lebhaft, dafs die Vp. erkl\u00e4rte, sobald sie ihr Urteil formulieren wolle, stehe die Linie schon wieder anders. Bedient man sich der Aufblitzmethode, so fallen selbstverst\u00e4ndlich die soeben erw\u00e4hnten Komplikationen weg ; nur geht man dabei aller Aufkl\u00e4rungen \u00fcber den Einflufs der Betrachtungsdauer verlustig. Bietet man die Leuchtlinie w\u00e4hrend l\u00e4ngerer Zeit dar, instruiert aber die Vp. dahin, dafs sie jedesmal mit angeben solle, wie ihr die Leuchtlinie im ersten Momente ihres Gegebenseins erschienen sei, so fallen, wie ich gefunden habe und wie von vornherein zu erwarten, die hierauf bez\u00fcglichen Urteile im wesentlichen ganz entsprechend aus wTie die Aussagen, die man bei Benutzung der Aufblitzmethode erh\u00e4lt. Ein gen\u00fcgend vollst\u00e4ndiges Bild von dem Einfl\u00fcsse, den eine Verl\u00e4ngerung der Betrachtungszeit auf die Stellung der Leuchtlinie aus\u00fcbt, gewinnt man nat\u00fcrlich nur dann, wrenn man die L\u00e4nge der Betrachtungszeit nicht von dem Zeitpunkte abh\u00e4ngig macht, zu welchem die Vp. ihr Beobachten und Erw\u00e4gen glaubt beenden zu d\u00fcrfen, sondern von vornherein auf einen bestimmten l\u00e4ngeren Zeitwert, z. B. 1, 2 oder 3 Min., festlegt. Im nachstehenden soll nun unter Mitber\u00fccksichtigung der einschlagenden Mitteilungen der fr\u00fcheren Untersucher dasjenige berichtet werden, w?as sich bei meinen sei es in dieser, sei es in jener Weise angestellten Versuchen hinsichtlich des Einflusses, den die Betrachtungsdauer auf die Stellung der Leuchtlinie aus\u00fcbt, ergeben hat.\n1. Wie schon auf S. 148 erw\u00e4hnt, zeigt sich das A-Ph\u00e4nomen auch dann, wenn mittels eines Momentverschlusses die Ein-wdrkungszeit der Leuchtlinie so sehr als m\u00f6glich herabgesetzt wird.1 Ist die Kopfneigung nur gering, so dafs auch bei andauernder Betrachtung die Leuchtlinie nur wrenig geneigt er-\n1 Damit bei dieser sehr kurzen Einwirkungszeit die Leuchtlinie \u00fcberhaupt sichtbar sei, mufste die Lichtst\u00e4rke derselben ganz bedeutend erh\u00f6ht werden.","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n153\nscheint, so erh\u00e4lt man allerdings bei sehr kurzer Darbietungszeit leicht ein unentschiedenes Urteil oder gar das Urteil \u201evertikal\u201c, weil eben die Stellung der Leuchtlinie nicht gen\u00fcgend lang aufgefafst werden kann.\nAuch das E-Ph\u00e4nomen ist von mir gelegentlich bei der k\u00fcrzesten Darbietungszeit beobachtet worden.\n2. Aubert (I, S. 391 ff.) stellt auf Grund seiner Versuche den Satz auf, dafs die scheinbare gegensinnige Neigung der objektiv vertikalen Leuchtlinie mit der Dauer der Kopfneigung und Linienbetrachtung zunehme. Auch Mulder \u00e4ufsert sich in\nder zweiten seiner einschlagenden Arbeiten dahin, dafs das\n\u2022 \u2022\nA-Ph\u00e4nomen unmittelbar nach \u00d6ffnung der Augen nicht so ausgepr\u00e4gt sei wie sp\u00e4ter. Ebenso bemerkt Nagel (S. 3751), dafs bei ihm ein Verweilen in der Stellung, bei welcher der Kopf um 90\u00b0 geneigt sei, eine Zunahme der scheinbaren gegensinnigen Neigung der Leuchtlinie zur Folge habe. Auch bei meinen Versuchen zeigte sich sehr oft, dafs eine schon anfangs vorhandene A-Stellung der Leuchtlinie bei fortgesetzter Betrachtung sich steigerte, gelegentlich sogar in dem Grade, dafs eine anf\u00e4nglich auf 30\u00b0 gesch\u00e4tzte gegensinnige Neigung der vertikalen Leuchtlinie bis auf eine Neigung von sch\u00e4tzungsweise 700 anstieg. Erschien die bei geneigtem Kopfe betrachtete Leuchtlinie anf\u00e4nglich vertikal, so ging sie im Verlaufe der weiteren Betrachtung oft in eine A-Stellung \u00fcber, die sich unter Umst\u00e4nden bei weiter fortgesetzter Betrachtung noch steigerte. Ganz besonders h\u00e4ufig war der schon von Mulder (I, S. 110) beobachtete Fall, dafs eine anf\u00e4nglich vorhandene E-Stellung der Leuchtlinie nach gewisser, oft sehr kurzer Zeit, durch eine, ann\u00e4hernd konstant bleibende oder sich im weiteren Verlaufe noch steigernde, A-Stellung ersetzt wurde. In vielen dieser F\u00e4lle war vor dem Auftreten der A-Stellung ein Stadium vorhanden, in dem die Leuchtlinie ausdr\u00fccklich als vertikal bezeichnet wurde. In anderen F\u00e4llen wurde die anf\u00e4nglich vorhandene E-Stellung anscheinend ganz unmittelbar durch eine A-Stellung verdr\u00e4ngt. Selbstverst\u00e4ndlich kamen auch F\u00e4lle vor, wo die \u00c4nderung der anf\u00e4nglichen E-Stellung mit einem Vertikalerscheinen der Leuchtlinie ihren Abschlufs fand und eine nachtr\u00e4gliche A-Stellung ganz ausblieb.1\n1 Schon bei Sachs und Meller (I, S. 394) findet sich die allerdings nicht gen\u00fcgend eindeutige und in ihrer Allgemeinheit stark \u00fcbertriebene","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154\nG. E. M\u00fcller.\nWir k\u00f6nnen das hier Angef\u00fchrte kurz in folgendem Satze zu-sammenfassen : Wird die vertikale Leuchtlinie bei einer gegebenen Kopfneigung mit gewisser Andauer betrachtet, so tritt sehr oft eine Tendenz der Leuchtlinie hervor, ihre Stellung in derjenigen Richtung (der E A-Richtung) zu \u00e4ndern, welche von einer E-Stellung zum Vertikalerscheinen und von diesem zu einer A-Stellung f\u00fchrt.\nEs ist nun aber wohl zu beachten, dafs es sich hier nur um eine in vielen F\u00e4llen hervortretende Tendenz, nicht um eine \u00c4nderung der Stellung der Leuchtlinie handelt, die mit gesetz-m\u00e4fsiger Notwendigkeit stets eintritt. Denn es kommen sehr wohl, und zwar bei manchen Vpn. gar nicht selten, F\u00e4lle vor, wo die anf\u00e4ngliche A-Stellung der Leuchtlinie sich in merkbar gleichem Betrage erh\u00e4lt. Weit seltener sind nach meinen Versuchen die F\u00e4lle, wo eine anf\u00e4ngliche E-Stellung merkbar unver\u00e4ndert bleibt. Selten, aber immerhin doch vorkommend, ist der Fall, dafs eine anf\u00e4ngliche A-Stellung sich bei weiterer Betrachtung der Leuchtlinie verringert.* 1 Ganz vereinzelt geschah es, dafs eine anf\u00e4ngliche A-Stellung der objektiv vertikalen Leuchtlinie schliefslich einem Vertikalerscheinen derselben Platz machte, aber niemals habe ich den Fall beobachtet, dafs eine anf\u00e4ngliche A-Stellung schliefslich mit Sicherheit in eine E-Stellung \u00fcberging, w\u00e4hrend der umgekehrte Fall, wie erw\u00e4hnt, sehr h\u00e4ufig war. Nur in ungef\u00e4hr einem halben Dutzend von F\u00e4llen endlich gab die Vp. in Beziehung auf die objektiv vertikal stehende Leuchtlinie an, dafs sie sich anf\u00e4nglich als eine vertikale dargestellt habe, dann aber in eine E - Stellung \u00fcbergegangen sei, oder dafs eine anf\u00e4ngliche E - Stellung sich im weiteren Verlaufe noch gesteigert habe. Wir k\u00f6nnen dem gesamten hier angef\u00fchrten Tatbest\u00e4nde kurz in folgender Weise Ausdruck geben:\nBehauptung, \u201edafs eine m\u00e4fsig geneigte Linie \u2014 Abwesenheit anderer sichtbarer Objekte vorausgesetzt \u2014 schon nach kurzer Zeit vertikal erscheint.\u201c\n1 von Cyon (S. 215) bemerkt, dafs bei ihm das A-Ph\u00e4nomen beim blofsen Aufblitzen h\u00e4ufig ausgepr\u00e4gter gewesen sei als beim Anhalten der Beleuchtung.\nEs mag hervorgehoben werden, dafs im Obigen von den scheinbaren Stellungs\u00e4nderungen der Leuchtlinie nur insoweit die Rede ist, als sie zu nicht sogleich wTieder r\u00fcckg\u00e4ngig werdenden neuen Stellungen f\u00fchren, also nicht blofse Hin- und Herschwankungen um eine bestimmte Stellung sind.","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubcrtsche Ph\u00e4nomen.\n155\nBei Versuchen mit andauernder Betrachtung sind die F\u00e4lle, wo eine anf\u00e4ngliche E-Stellung unver\u00e4ndert bleibt, viel seltener als die F\u00e4lle, wo eine anf\u00e4ngliche A-Stellung sich unver\u00e4ndert erh\u00e4lt, und eine \u00c4nderung in der EA-Richtung tritt viel h\u00e4ufiger ein als eine \u00c4nderung in der entgegengesetzten (AE-)Richtung, insbesondere kommt eine Steigerung einer anf\u00e4nglichen E-Stellung nur \u00e4ufserst selten vor. Auch sind die \u00c4nderungen der ersteren Art im allgemeinen durchgreifender als die \u00c4nderungen der letzteren Art, was insbesondere darin hervortritt, dafs sehr oft eine E-Stellung durch eine A-Stellung ersetzt wird, w\u00e4hrend das Umgekehrte kaum jemals vorkommt.\nWie schon im vorstehenden angedeutet, bestehen hinsicht-\n\u2022 \u2022\nlieh des Grades, in dem die Tendenz zu einer \u00c4nderung in der EA-Richtung hervortritt, individuelle Verschiedenheiten. Auf der einen Seite gibt es Vpn., welche die vertikal stehende Leuchtlinie auch bei geringen Kopfneigungen stets oder meistens in A-Stellung erblicken und in vielen F\u00e4llen bei andauernder Betrachtung eine sichere \u00c4nderung der Stellung der Leuchtlinie nicht zu konstatieren verm\u00f6gen (abgesehen von den weiterhin zu besprechenden Hin- und Herschwankungen der Leuchtlinie). Auf der anderen Seite finden sich Vpn., die bei geringen und m\u00e4fsigen Kopfneigungen die Leuchtlinie zun\u00e4chst meistens in E-Stellung sehen und dann bei weiterer Andauer der Betrachtung eine fast regelm\u00e4fsige Abnahme dieser E-Stellung oder gar einen Umschlag derselben in eine A-Stellung beobachten. So wurde einer Vp. (L.) die Leuchtlinie bei einer Kopfneigung von 20\u00b0 oder 45\u00b0 im ganzen 13 mal in vertikaler Stellung vorgef\u00fchrt. Unter diesen 13 F\u00e4llen waren 9, in denen die Leuchtlinie zuerst in E-Stellung, dann vertikal und zuletzt in A-Stellung erschien. In 2 F\u00e4llen beschr\u00e4nkte sich der Vorgang darauf, dafs auf die E-Stellung ein Vertikalerscheinen der Leuchtlinie folgte. In einem Falle folgte auf die anf\u00e4ngliche E-Stellung unmittelbai eine A-Stellung, und in einem anderen Falle erschien die Leuchtlinie zuerst vertikal, hierauf in E-Stellung und dann in A-Stellung. Eine andere Vp. (v. L.) gab bei Versuchen mit einer Kopfneigung von 600 gelegentlich ganz von selbst zu Protokoll, es verhalte sich fast immer so, dafs, wenn die Leuchtlinie anf\u00e4ng-","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156\nG. E. M\u00fcller.\nlieh gleichsinnig geneigt erscheine, sie dann bei andauernder Betrachtung die vertikale Stellung annehme. Erscheine sie anf\u00e4nglich vertikal, so nehme sie bei Andauer eine gegensinnige Neigung an. Besitze sie von vornherein eine gegensinnige Neigung, so bleibe sie gegensinnig geneigt.1 An den Urteilen \u00fcber die Stellung der Leuchtlinie, die man nach l\u00e4ngerer Betrachtungsdauer erh\u00e4lt, tritt also der Unterschied der Vpn. vom EA-Typus und derjenigen vom A-Typus nur in abgeschw\u00e4chtem Mafse hervor, da die Vpn. vom ersteren Typus die Leuchtlinie nach l\u00e4ngerer Betrachtung viel seltener in E-Stellung erblicken als bei momentaner Darbietung.\n3. Wie schon angedeutet, bedarf das Vorstehende noch einer wesentlichen Erg\u00e4nzung, n\u00e4mlich der Hervorhebung der Tatsache, dafs die \u00c4nderungen, welche die scheinbare Stellung der Leuchtlinie w\u00e4hrend einer andauernden Betrachtung erkennen l\u00e4fst, keineswegs immer \u00c4nderungen sind, die s\u00e4mtlich in einer und derselben Richtung stattfinden. Vielmehr zeigt die Leucht-linie oft ein oszillatorisches Verhalten, wobei aber ein solches Hin- und Herschwanken keineswegs ausschliefst, dafs die Leuchtlinie am Schl\u00fcsse der ganzen Betrachtungszeit im Vergleich zu ihrer Anfangsstellung eine wesentliche Drehung erfahren hat. Es kommt also vor, dafs die Vp. bei einem Versuche erkl\u00e4rt, die Leuchtlinie erscheine ihr gegensinnig geneigt, allerdings in der Weise, dafs ihre gegensinnige Neigung um einen gewissen Neigungsgrad hin- und herschwanke. In anderen F\u00e4llen gibt die Vp. an, dafs die Leuchtlinie sich bald in der vertikalen Stellung, bald in einer A-Stellung zeige. In noch anderen F\u00e4llen stellt sich die Leuchtlinie bald in der vertikalen Stellung, bald in einer E-Stellung dar. Und auch die F\u00e4lle, wo die Leuchtlinie in unregelm\u00e4fsiger Weise um die Vertikale herumschwankend bald in einer A-Stellung bald in einer E-Stellung erscheint, lassen sich keineswegs vermissen. In F\u00e4llen letzterer Art gibt h\u00e4ufig die Vp. noch an, ob bei diesem Hin-\n1 Bei der numerischen Verwertung der Angaben der Vp. v. L. (man vergleiche die auf S. 128 f\u00fcr diese Vp. angef\u00fchrten mittleren Neigungswerte der scheinbaren \\ertikalen) wurden immer nur diejenigen Aussagen ber\u00fccksichtigt, die sich auf die Stellung bezogen, welche die Leuchtlinie im ersten Beobachtungsstadium zu besitzen schien. Anderenfalls w\u00fcrden f\u00fcr die gegensinnigen Neigungen der scheinbaren Vertikalen geringere Werte als die fr\u00fcher angef\u00fchrten erhalten worden sein.","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n157\nund Herschwanken die A-Stellungen l\u00e4nger oder k\u00fcrzer andauernd, ausgepr\u00e4gter oder weniger ausgepr\u00e4gt seien als die E-Stellungen. \u00c4ndert sich also bei andauernder Betrachtung die Stellung der Leuchtlinie in der EA-Richtung, so kann der Vorgang auch der sein, dafs die anf\u00e4nglich in einer ausgepr\u00e4gten E-Stellung erscheinende Leuchtlinie sp\u00e4terhin in einen oszillatorischen Zustand ger\u00e4t, in dem sie sich bald in einer E-Stellung, bald in der vertikalen Stellung oder bald in der vertikalen Stellung bald in einer A-Stellung oder bald in einer E-Stellung bald in einer A-Stellung zeigt.\nIch m\u00f6chte nicht unterlassen, hier darauf hinzuweisen, dafs bei l\u00e4nger andauernder Betrachtung neben den im vorstehenden erw\u00e4hnten, uns haupts\u00e4chlich interessierenden Schwankungen, welche die Leuchtlinie nach rechts und links hin zeigt, auch noch anderweite Scheinbewegungen oder sprunghaft eintretende Orts\u00e4nderungen derselben zur Beobachtung kommen, die, wie schon Nagel (S. 381) bemerkt hat, dem sogenannten Punkt-schwanken sehr verwandt erscheinen. Die Leuchtlinie scheint nach der Tiefe hin fortzuschweben, sie gleitet allm\u00e4hlich in die H\u00f6he, sie erscheint pl\u00f6tzlich als eine sich schr\u00e4g in die Tiefe erstreckende, deren unteres Ende dem Beobachter n\u00e4her oder ferner ist als das obere Ende, u. dgl.1 Bei mir erreichten diese scheinbaren Ortsver\u00e4nderungen der Leuchtlinie nach l\u00e4ngerer Betrachtnng mitunter recht auff\u00e4llige Betr\u00e4ge. Es kam vor, dafs die in Augenh\u00f6he in einer Entfernung von ca. 370 cm vor mir befindliche Leuchtlinie sich schliefslich bis in die Mitte zwischen ihrem wirklichen Standort \u00fcnd der Zimmerdecke, d. h. um einen Betrag von ca. 62 cm scheinbar erhoben hatte, wobei ich zugleich deutlich den Eindruck hatte, nach der Leuchtlinie emporzublicken. Erh\u00f6hung der Lichtst\u00e4rke schr\u00e4nkt die scheinbaren Orts\u00e4nderungen der Leuchtlinie ein, wie das Entsprechende auch hinsichtlich des Punktschwankens bekannt ist.\n4. Was nun die Erkl\u00e4rung der oben erw\u00e4hnten Tendenz der Leuchtlinie, bei andauernder Betrachtung ihre Stellung in der EA-Richtung zu \u00e4ndern, anbelangt, so kann man zun\u00e4chst daran denken, dafs diese Tendenz auf einem bei andauernder Betrachtung stattfindenden Zur\u00fcckgehen der Gegenrollung beruhe. Denn eine Abnahme des Winkels der Gegenrollung be-\n1 Man vergl. hierzu auch Bourdon, S. 335 f. Zeitschr. f. Sinnesphysiol. 49.\n11","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158\nG. E. M\u00fcller.\ndeutet bei gleichbleibender Kopflokalisation eine Verringerung des gleichsinnigen Ablenkungswertes der B-Komponente, und eine Verminderung dieses letzteren Wertes mufs sich im Sinne einer Drehung der Leuchtlinie in der EA-Richtung geltend machen. Diese Erkl\u00e4rung ist indessen nicht haltbar. Denn was zun\u00e4chst die vor\u00fcbergehende Gegenrollung betrifft, so war, wie schon auf S. 123 bemerkt, ein Einflufs derselben auf die Stellung der Leuchtlinie bei meinen hier in Betracht kommenden Versuchen dadurch ganz ausgeschlossen, dafs die Leuchtlinie erst dann dargeboten wurde, nachdem seit Herstellung der betreffenden Kopfneigung eine Frist von mindestens 5 Sek. verflossen war. Die vor\u00fcbergehende Gegenrollung h\u00e4lt, wie Mulder (I, S. 83) fand,, \u201enur einen Augenblick an und ist nach 1 bis 2 Sekunden bereits g\u00e4nzlich wieder verschwunden\u201c. Aber auch die bleibende Gegenrollung kann hier nicht zur Erkl\u00e4rung dienen. Allerdings erleidet auch sie bei Andauer der betreffenden Kopfneigung eine Verringerung. Aber diese Verringerung ist nach den Feststellungen von Mulder (I, S. 79 ff.) eine \u00e4ufserst langsame, in dem Grade, dafs sie z. B. nach Ablauf der ersten Viertelstunde noch gar nicht erkennbar ist. Ferner ist in vielen F\u00e4llen die Drehung in der EA-Richtung, welche die Leuchtlinie bei andauernder Betrachtung erf\u00e4hrt, viel zu ausgiebig, als dafs sie selbst durch ein vollst\u00e4ndiges Zur\u00fcckgehen der Gegenrollung erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnte. Die F\u00e4lle, wo diese Drehung nach Angabe der Vp. 30\u201440 0 umfafst, sind gar nicht selten, und es kommen sogar F\u00e4lle vor, wo dieselbe nach der Sch\u00e4tzung der Vp. 50\u201470 0 betr\u00e4gt. Diese F\u00e4lle besagen genug, auch wenn man sehr bedeutende Fehlsch\u00e4tzungen seitens der Vpn. annimmt.\nEs liegt nicht fern, anzunehmen, dafs bei dem AuBERTschen Versuche die B-Komponente sich gegen\u00fcber der S-Komponente mit einem um so geringeren Gewichte geltend mache, mit je schw\u00e4cherem Nachdruck die aus der vorhandenen Kopfneigung (Rumpf- und Kopfneigung, K\u00f6rper- und Kopflage) entspringenden Eindr\u00fccke kin\u00e4sthetischer oder sonstiger Natur \u2014 ich will sie kurz die Kopflageeindr\u00fccke nennen \u2014 auf treten 1r\n1 loh dr\u00fccke mich hier absichtlich etwas unbestimmt aus. Es ist nicht notwendig, dafs Nervenerregungen, die Lokalisationen von Gliedern des eigenen K\u00f6rpers oder von Gegenst\u00e4nden unserer Umgebung bestimmen, direkt selbst auf unser Bewufstsein wirken ; sie k\u00f6nnen auch als unbewufst","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n159\nund mit je geringerer Kraft sie demgem\u00e4fs die Vorstellung des Kopfes mitsamt seiner gegebenen Lage zu erwecken suchen. Schon Aubert (I, S. 390 ff.) hat die Ansicht vertreten, dafs bei einer Kopfneigung von 90\u00b0 die objektiv vertikale Leuchtlinie der Horizontalen um so n\u00e4her stehen werde, je weniger das aus der Kopflage entspringende Muskelgef\u00fchl beachtet werde. Ferner l\u00e4fst sich vermuten, dafs, je l\u00e4nger eine bestimmte Kopfneigung andauere, desto mehr die derselben entsprechenden Kopflageeindr\u00fccke an Nachdr\u00fccklichkeit verl\u00f6ren. Es liegt also nahe, die Tendenz der Leuchtlinie, bei andauernder Betrachtung ihre Stellung in der EA-Richtung zu ver\u00e4ndern, daraus zu erkl\u00e4ren, dafs, je l\u00e4nger die Betrachtung und mithin auch die f\u00fcr dieselbe vorgeschriebene Kopfneigung andauere, desto geringer der Nachdruck werde, mit dem sich die Kopflageeindr\u00fccke geltend machten.\nF\u00fcr di\u00e7 Annahme, dafs die B-Komponente sich mit um so geringerem Gewichte geltend mache, je weniger nachdr\u00fccklich die Kopflageeindr\u00fccke seien, l\u00e4fst sich folgendes anf\u00fchren. Eine gegen die Vertikale stark geneigte, z. B. horizontale Stellung des Kopfes ist von mehr anomaler und mehr eindrucksvoller Art, wenn man sie sitzend oder stehend durch eine aktive seitliche Beugung des Rumpfes und Kopfes hergestellt hat, als dann, wenn man auf einer bequemen Unterlage mit dem Kopf und dem ganzen K\u00f6rper so gelagert ist, dafs der Kopf die beabsichtigte Abweichung von der vertikalen Richtung zeigt. Dement-\nverlaufende auf Grund eingegangener Assoziationen lokalisierend wirken. Es w\u00e4re sogar unzweckm\u00e4fsig, wenn sie, um lokalisierend zu wirken, jedesmal erst unser Bewufstsein in Anspruch nehmen m\u00fcfsten. Aber auch in den F\u00e4llen, wo solche Erregungen von lokalisatorischer Bedeutung unbe-wufst verlaufen, k\u00f6nnen sie je nach ihrer St\u00e4rke und je nach der L\u00e4nge der Zeit, seit welcher sie bereits bestehen, sich mit verschiedenem Nachdrucke im Sinne der betreffenden Assoziationen geltend machen.\nNach Vorstehendem bedarf es nicht erst der Bemerkung, dafs mir Hinweise darauf, dafs die Bewegungs-(Muskel-)Empfindungen des Auges nur \u201ewenig auff\u00e4llig\u201c seien und daher nur eine geringe lokalisatorische Bedeutung besitzen k\u00f6nnten (man vergleiche z. B. Witasek, Psychologie der Raumwahrnehmung des Auges, Heidelberg 1910, S. 202), der Beweiskraft zu entbehren scheinen. Die Eindr\u00fccke des statischen Sinnes besitzen eine sehr hohe lokalisatorische Bedeutung. Man hat aber mit Recht die Frage aufgeworfen, ob es \u00fcberhaupt (im entwickelten Seelenleben) bewufste Empfindungen dieser Eindr\u00fccke gebe.\n11*","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160\nG. E. Muller.\nsprechend fanden Sachs und Mellee (I, S. 400), \u201edafs die Lokalisationsfehler bei einem und demselben Grad der Kopfneigung gr\u00f6fser werden, wenn der Beobachter statt zu sitzen oder zu stehen, den ganzen K\u00f6rper schief lagert\u201c. Wir sahen ferner oben (S. 136f.), dafs Aubeet das Maximum der scheinbaren Schr\u00e4gstellung der vertikalen Leuchtlinie f\u00fcr eine Kopfneigung von 90\u00b0 dann erzielte, wenn er sich lang ausgestreckt auf den Fufs-boden des verfinsterten Zimmers gelagert hatte, den Kopf mit vertikaler Basallinie auf einem weichen Kissen ruhen liefs und in dieser Lage die Leuchtlinie andauernd betrachtete. Auch W. Nagel (S. 393) bemerkt, dafs das A-Ph\u00e4nomen in besonders ausgepr\u00e4gter Weise eintrete, wenn man l\u00e4ngere Zeit ruhig vor der Lichtlinie sitze, den Ellenbogen auf den Stuhlrand st\u00fctze und nun den Kopf, seitw\u00e4rts geneigt, in die hohle Hand lege; die T\u00e4uschung trete dann oft deutlicher auf, als wenn man den Kopf ununterst\u00fctzt zur Seite neige. Er gibt an, dafs auch Muldee (dessen zweite Abhandlung mir nicht zug\u00e4nglich war) die A\u00fcBEETsche T\u00e4uschung bei bequemer Seitenlage besonders deutlich gefunden habe.\nAuch die zweite der beiden obigen Annahmen, dafs, je l\u00e4nger eine bestimmte Kopfneigung andauere, desto mehr die entsprechenden Kopflageeindr\u00fccke an Nachdr\u00fccklichkeit verl\u00f6ren, kann ernstlichen Bedenken kaum begegnen, wenigstens dann, wenn sie nicht auch auf die sehr ausgiebigen und sehr unbequemen Kopfneigungen ausgedehnt wird.1 Als ich einmal mit der Vp. von L. ca. 25 Minuten lang Versuche angestellt hatte, bei denen ihr Kopf um 60 0 nach rechts geneigt war, und dann mit ihr bei einer Linksneigung des Kopfes von nur 20\u00b0 noch einige Versuche ausf\u00fchrte, erkl\u00e4rte sie ganz spontan, dafs sie jetzt, nachdem sie den Kopf so lange Zeit hindurch stark geneigt gehalten habe, es gar nicht merke, dafs er auch noch geneigt sei, er komme ihr vertikal vor. Es scheint auch sonst vorzu-\n1 In Beziehung auf die sehr unbequeme Lage, die der Kopf z. B. bei einer Neigung von 120\u00b0 besitzt, macht Feilchenfeld (S. 137) geltend, dafs sie sich um so deutlicher bemerkbar mache, je l\u00e4nger sie eingehalten werde. Streng genommen kann man aber auch diesem von Feilchenfeld hervorgehobenen Sachverhalte gegen\u00fcber im Sinne des in der Anmerkung zu S. 158 Bemerkten darauf hinweisen, dafs es hier gar nicht auf die Eindringlichkeit ankomme, mit der sich die Kopflageeindr\u00fccke f\u00fcr das Be-wufstsein geltend machten.","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"Tiber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n161\nkommen, dafs eine Lokalisationstendenz, die auf gewissen Lageeindr\u00fccken beruht, bei l\u00e4ngerer Andauer betreffenden Stellung oder Haltung sich abschw\u00e4cht. Bourdon (S. 146 ff.) fand, dafs zwar im allgemeinen ein Objekt als rechts (links) befindlich beurteilt wird, wenn es behufs der Fixation desselben n\u00f6tig ist, die Augen oder den Kopf und die Augen oder gar den Rumpf, den Kopf und die Augen nach rechts (links) zu drehen. Falls indessen diese drei K\u00f6rperteile oder nur der Kopf und die Augen oder auch nur die Augen allein l\u00e4ngere Zeit hindurch eine Richtung nach rechts (links) beibehalten, so macht sich \u2014\u25a0 wie Bourdon bemerkt, infolge einer Abstumpfung der aus den betreffenden Muskelkontraktionen entspringenden Eindr\u00fccke \u2014 eine Neigung geltend, das bei der festgehaltenen Rechts (Links)-wendung fixierte Objekt als ein median gelegenes anzusehen. Ganz Entsprechendes zeigte sich bei den Versuchen, welche M. Sachs und R. Wlassak (Ze\u00fcschr. f. Psychol. 22, 1900, S. 23 ff.) \u00fcber \u201edie optische Lokalisation der Medianebene\u201c anstellten.\nZur Erkl\u00e4rung der oft hervortretenden Tendenz einer mit geneigtem Kopfe andauernd betrachteten Leuchtlinie, ihre scheinbare Stellung in der EA-Richtung zu \u00e4ndern, scheint mir also die Annahme, dafs bei einer solchen Betrachtung eine allm\u00e4hliche Abnahme der Nachdr\u00fccklichkeit der Kopflageeindr\u00fccke eintrete und sich im Sinne einer Verringerung des Gewichts der B-Komponente geltend mache, herangezogen werden zu m\u00fcssen. Wir werden weiterhin (S. 166 f.) noch Versuchsresultate kennen lernen, welche diese Annahme vollauf best\u00e4tigen. Ich habe ferner gefunden, dafs, wenn eine gr\u00f6fsere Anzahl von Versuchen unmittelbar nacheinander bei der gleichen Kopfneigung ausgef\u00fchrt werden, alsdann in manchen F\u00e4llen deutlich eine Tendenz hervortritt, welcher gem\u00e4fs die Leuchtlinie bei einer sp\u00e4teren Darbietung in einer bestimmten objektiven Stellung sich als weniger gleichsinnig oder mehr gegensinnig geneigt darstellt als bei einer fr\u00fcheren Darbietung in derselben objektiven Stellung. So wurden z. B. einmal mit der Vp. von L. unmittelbar nacheinander 10 Versuche angestellt, bei denen sie auf der linken Seite mit vertikal stehender Basallinie liegend (also Linksneigung des Kopfes um 90\u00b0) horizontal auf einem Tische ausgestreckt war. Es lautete nun das Urteil","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\nG. E. M\u00fcller.\nbei Rechtsneigung der Leuchtlinie\t\t\t\tum\t2 0 beim 1. Versuche\t\t\t\twenig nach rechts1\n>5\tn\t77\t77\t77\t2\u00b0\t77\t7.\t77\tnach rechts\nn\tV ertikalstellung\t77\t77\t\t\t77\t4.\t77\tvertikal\nn\t77\t77\t7?\t\t\t77\t6.\t77\t51\n\u00bb\tLinksneigung\t77\t77\t77\t20\t77\t2.\t77\t51\n77\tn\t77\t77\t77\t2\u00b0\t77\t8.\t77\twenig nach rechts\n\u00bb\tn\t77\t77\t77\t40\t77\t5.\t77\t77\t77 hnks\n77\tr\t77\t77\t77\t40\t77\t10.\t77\tvertikal\n\u00bb\t51\t77\t77\t77\t6\u00b0\t77\t8.\t77\twenig nach links\n77\t55\t77\t7?\t77\t6\u00b0\t77\t7.\t77\tvertikal.\nUnter denselben Versuchsbedingungen (also gleichfalls Liegen der Vp. und Linksneigung des Kopfes um 90\u00b0) wurden einmal unmittelbar hintereinander 12 Versuche mit einer anderen Vp. (Oe.) angestellt. Bei 4 von diesen Versuchen war die Leuchtlinie um 4 \u00b0, 6 \u00b0, 12 \u00b0, 160 nach links geneigt ; bei den \u00fcbrigen 8 Versuchen betrug die Linksneigung der Leuchtlinie je 2 mal 2 \u00b0, 8 \u00b0, 10 \u00b0, 14 \u00b0. Es lautete nun das Urteil\nbei Linksneigung der Leuchtl. um 2\u00b0 beim 7. Versuche: wenig nach rechts\n77\t77\t77\t51\t9 0 7?\t^\t77\t12.\t77\t: nach rechts\n77\t77\t77\t51\t8\u00b0 77\t77\t8.\t77\t: vertikal\n7?\t77\t7?\t51\t8\u00b0 77 u\t77\t10.\t77\t: nach rechts\n77\t77\t77\t51\tO O rH\t77\t1.\t77\t: vertikal\n77\t77\t77\t51\t\u201e 10\u00b0\t77\t9.\t7?\t: wenig nach rechts\n77\t77\t77\t51\t\u201e 140\t77\t2.\t77\t: nach links\n77\t77\t77\t51\t7, U\u00b0\t77\t11.\t77\t: nach rechts.\n\u2022 \u2022\n\u00c4hnliche, wenn auch nicht so stark ausgepr\u00e4gte Resultate wurden auch noch bei anderen Graden der Kopfneigung und anderen Vpn. erhalten. Auch Bourdon (S. 171) bemerkt, dafs, wenn ihm die vertikale Leuchtlinie bei einer bestimmten Kopfneigung zun\u00e4chst gleichsinnig geneigt erschienen sei, sie ihm nach Ausf\u00fchrung einer gewissen Anzahl weiterer Beobachtungen bei der gleichen Kopfneigung nicht mehr gleichsinnig, sondern gegensinnig geneigt erscheine. Wir werden nicht Anstand nehmen, diesen Einflufs der Zeitlage im Sinne der obigen Ausf\u00fchrungen daraus zu erkl\u00e4ren, dafs bei den aufeinander folgenden, bei der gleichen Kopfneigung angestellten Versuchen die Nachdr\u00fccklichkeit der Kopflageeindr\u00fccke immer geringer wurde.\nDafs die oben besprochene Tendenz der andauernd betrachteten Leuchtlinie, ihre Stellung in der EA-Richtung zu \u00e4ndern,\nD. h. die Leuchtlinie mit dem oberen Ende ein wenig nach rechts geneigt.","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n163\nin allen F\u00e4llen ausschliefslich auf eine Abschw\u00e4chung der Nachdr\u00fccklichkeit der Kopflageeindr\u00fccke zur\u00fcckzuf\u00fchren sei, erscheint mir indessen zweifelhaft. Als ich z. B. einmal mit einer Vp. (L.) Versuche anstellte, bei denen sie s/4 Stunde lang in unver\u00e4ndert bleibender Lage mit vertikal stehender Basallinie auf einem Tische ausgestreckt war, zeigte sich ebenso wie bei den ersten auch bei den letzten dieser Versuche, dafs die Leuchtlinie bei andauernder Betrachtung aus einer schwach oder m\u00e4fsig ausgepr\u00e4gten A-Stellung in eine stark oder sogar sehr stark ausgepr\u00e4gte \u00fcberging. Man sollte meinen, wenn bei dem in Rede stehenden Einfl\u00fcsse der andauernden Betrachtung stets lediglich die aus der Andauer einer und derselben Kopfneigung (K\u00f6rper-und Kopflage) entspringende Abschw\u00e4chung der Wirksamkeit der Kopflageeindr\u00fccke im Spiele w\u00e4re, so habe diese Abschw\u00e4chung sich erst recht geltend machen m\u00fcssen, als eine und dieselbe Kopflage ununterbrochen w\u00e4hrend s/4 Stunde beibehalten wurde, und sie habe bewirken m\u00fcssen, dafs bei einem n + lten Versuche die Leuchtlinie bei Beginn der Betrachtungszeit nicht von neuem in einer schwach oder m\u00e4fsig ausgepr\u00e4gten A-Stellung, sondern in ungef\u00e4hr derselben A-Stellung erschien, die sie am Ende der Betrachtungszeit des nten Versuches besafs. Es d\u00fcrfte sich hier also nicht blofs um einen Einflufs der Andauer der Kopfneigung, sondern auch um einen Einflufs der Andauer der Betrachtung bei geneigtem Kopfe handeln. Ich stellte ferner mit der oben genannten Vp. L. folgenden Doppelversuch an. Die Vp. neigte den Kopf um 20\u00b0 nach rechts; 10 Sek. nach Herstellung dieser Kopfneigung wurde die Leuchtlinie in vertikaler Stellung dargeboten. Sie erschien zuerst nach rechts geneigt, hierauf vertikal und nach einer Betrachtungszeit von 57 Sek. ein wenig nach links geneigt. Es folgte ein Versuch mit derselben Kopfneigung, bei welchem die Leuchtlinie erst 67 (10 -+\u2022 57) Sek. nach Herstellung der Kopfneigung dargeboten wurde. Die Leuchtlinie erschien abermals zun\u00e4chst nach rechts geneigt und zwar in deutlichem Grade, dann eine gewisse Zeit hindurch vertikal und hierauf nach einer gesamten Betrachtungszeit von 20 Sek. nach links geneigt. Eine Wiederholung des Doppelversuches bei einer Kopfneigung von 45\u00b0 ergab ein entsprechendes Resultat. Derartige Versuchsergebnisse beweisen nicht, dafs eine Abschw\u00e4chung der Wirksamkeit der Kopflageeindr\u00fccke gar nicht in Betracht komme \u2014 man beachte viel-","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\nG. E. Millier.\nmehr, dafs bei dem zweiten Teil versuche die scheinbare Linksneigung der Leuchtlinie nicht erst nach 57, sondern schon nach 20 Sek. eintrat \u2014 sie scheinen aber doch darauf hinzuweisen, dafs der Einflufs der Andauer der bei geneigtem Kopfe stattfindenden Betrachtung auf die scheinbare Stellung der Leuchtlinie nicht stets blofs ein Einflufs der Andauer der Kopfneigung ist; denn in solchem Falle m\u00fcfste die scheinbare Stellung, welche die Leuchtlinie besitzt, wenn eine bestimmte Kopfneigung seit einer bestimmten Zeit (z. B. 67 Sek.) besteht, allgemein ganz unabh\u00e4ngig davon sein, wie lange w\u00e4hrend dieser Zeit die Leuchtlinie betrachtet worden ist. Das Letztere ist aber, wie Versuchstatsachen der hier angef\u00fchrten Art zeigen, nicht der Fall. Es scheint mir also die Tendenz der andauernd bei einer bestimmten Kopfneigung betrachteten Leuchtlinie, ihre Stellung in der EA-Kichtung zu \u00e4ndern, wenigstens in manchen F\u00e4llen (bei manchen Vpn.) zu einem wesentlichen Teil auf solchen im Sinne einer Verringerung des Gewichts der B-Komponente wirksamen Vorg\u00e4ngen der Verhaltungsweisen zu beruhen, die aus der andauernden Betrachtung mit geneigtem Kopfe und nicht blofs aus der Andauer der Kopfneigung entspringen. Wir wollen Vorg\u00e4nge solchen Ursprungs kurz als visugene Vorg\u00e4nge bezeichnen.1\nDafs das Verhalten, das die andauernd bei einer bestimmten Kopfneigung betrachtete Leuchtlinie zeigt, in hohem Mafse zugleich von der Individualit\u00e4t abh\u00e4ngt, ist schon im bisherigen hinl\u00e4nglich angedeutet worden. Man hat nicht blofs anzunehmen, dafs die bei andauernder Kopfneigung eintretende Abschw\u00e4chung des Einflusses der Kopflageeindr\u00fccke bei verschiedenen Individuen in verschiedenem Grade besteht, bei manchen vielleicht kaum nachweisbar ist, sondern man mufs vor allem auch die soeben erw\u00e4hnten visugenen Vorg\u00e4nge als solche ansehen, die hinsichtlich ihres Eintretens und ihrer St\u00e4rke und Nachhaltig-\n\u2022\to\nkeit in hohem Grade von der Individualit\u00e4t abh\u00e4ngen. Der Einflufs der Individualit\u00e4t geht in dieser Hinsicht sogar noch weiter,\n1 Genau genommen hat man diese Vorg\u00e4nge nicht sowohl als solche zu charakterisieren, die aus der Betrachtung der Leuchtlinie entspringen, als vielmehr als solche, die daraus entspringen, dafs man die Leuchtlinie in der und der scheinbaren Schr\u00e4gstellung bei dem und dem Gewichtsverh\u00e4ltnisse zwischen der B- und S-Komponente wahrnimmt.","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Anbertsche Ph\u00e4nomen.\n165\nwie die Resultate folgender von mir unternommener Versuche zeigen.\nDie Vp. war bei jeder Darbietung der Leuchtlinie auf einem langen Tische horizontal ausgestreckt, auf ihrer linken Seite mit vertikal stehender Basallinie liegend. Der Ort der Leuchtlinie war ca. 4 ra von ihr entfernt. Es gab drei Versuchskonstellationen. Bei Konstellation A wurde die Leuchtlinie der Vp. sofort, nachdem sie die vorgeschriebene Lage eingenommen hatte, in einer nach links geneigten Stellung dargeboten, und die Leuchtlinie wurde nun vom Versuchsleiter so lange nach der von der Vp. angegebenen (fast stets linken) Seite hin langsam gedreht, bis sie der Vp. soeben vertikal erschien.1 Bei Konstellation B wurde die Leuchtlinie der Vp. erst dann dargeboten, nachdem diese 2 Minuten lang in v\u00f6lligem Dunkel (also bei fehlender Leuchtlinie) in der vorgeschriebenen Lage verharrt hatte.2 Auch bei dieser Konstellation wurde die anf\u00e4nglich um 200 bzw. 10 0 nach links geneigte Leuchtlinie so lange nach der in Frage kommenden Seite hin verschoben, bis sie der Vp. soeben vertikal erschien. Konstellation C unterschied sich von Konstellation B nur dadurch, dafs die Vp. w\u00e4hrend der 2 Minuten, w\u00e4hrend welcher sie in der vorgeschriebenen Lage zu verharren hatte, und auf welche die Beurteilung und \u00c4nderung der Stellung der Leuchtlinie folgte, sich nicht in v\u00f6lligem Dunkel befand, sondern die um 200 bzw. 100 nach links geneigte Leuchtlinie behufs andauernder Betrachtung dargeboten erhielt. Die Konstellation A kam an jedem Versuchstage an erster Stelle. In der einen H\u00e4lfte der Versuchstage kam Konstellation B an zweiter und Konstellation C an dritter Stelle, in der anderen verhielt es sich umgekehrt. Nach dem Versuche bei Konstellation A wurde eine Ruhepause von mindestens 1 Minute, nach dem Versuche bei Konstellation B bzw. C eine solche von mindestens 4 Minuten eingeschoben. W\u00e4hrend jeder Ruhepause mufste die Vp. mit aufrechter Rumpf- und Kopfhaltung auf dem erw\u00e4hnten Tische sitzen. Drei Versuchsreihen von je 10 Versuchen bei jeder Konstellation wurden angestellt. In der ersten fungierte ich als Vp.\n1\tUm diese allm\u00e4hliche Verr\u00fcckung der Leuchtlinie abzuk\u00fcrzen, wurde letztere gleich beim Anbeginn schon mit einer Linksneigung dargeboten, die bei den Vpn. Kz. und M. 20\u00b0, bei der Vp. Kl. 10\u00b0 betrug.\n2\tDie Zeit wurde mittels einer im Dunkelzimmer befindlichen Uhr bestimmt, die nach jeder Minute einen Schlag ert\u00f6nen liefs.","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nG. E. M\u00fcller.\nund Herr Dr. Katz als Versuchsleiter, in der zweiten verhielt es sich umgekehrt. In der dritten war Herr Klippel, stud, philos., Vp., w\u00e4hrend ich selbst die Versuche leitete. Ich teile im nachstehenden die in Winkelgraden ausgedr\u00fcckten arithmetischen Mittelwerte der Linksneigungen mit, wTelche der Leuchtlinie bei den verschiedenen Konstellationen und Zeitlagen behufs Erzielung des Anscheins vertikaler Stellung erteilt werden mufsten.\nVp.\tKonst. A 1. Zeitl.\tKonst. B 2. Zeitl. 3. Zeitl.\t\tMittel\t2. Zeitl.\tKonst. C 3. Zeitl.\tMittel\nM.\t36,3\t46,0\t45,0\t45,5\t38,8\t38,4\t38,6\nKz.\t25,3\t27,2\t27,0\t27,1\t27,2\t27,0\t27,1\nKl.\t13,1\t9,4\t19,4\t15,4\t15,6\t17,6\t16,6\n\u2022 \u2022\nDiese Versuchsresultate, an denen die hohe \u00dcbereinstimmung der bei M. sowie bei Kz. f\u00fcr die gleiche Konstellation bei der zweiten und bei der dritten Zeitlage erhaltenen Mittelwerte bemerkenswert ist, w\u00e4hrend Kl. bei Konstellation B eine auffallende Ungleichm\u00e4fsigkeit zeigt, lassen in der Tat hinl\u00e4nglich erkennen, wie grofs hinsichtlich des uns hier interessierenden Punktes der Einflufs der Individualit\u00e4t ist. Nach den oben erw\u00e4hnten Versuchstatsachen ist f\u00fcr gewisse Vpn. anzunehmen, dafs die andauernde Betrachtung der Leuchtlinie mit geneigtem Kopfe gewisse visugene Vorg\u00e4nge zur Folge hat, die sich im Sinne einer Verringerung des Gewichts der B-Komponente geltend machen, und auch die Vp. Kl. zeigt, wenn man die obigen Mittelwerte als mafsgebend ansieht, ein in dieser Richtung liegendes, wenn auch nur schwach ausgepr\u00e4gtes, Verhalten. Demgegen\u00fcber ist die Stellung, welche die scheinbare Vertikale bei Dr. Kz. besitzt, nachdem er 2 Minuten lang die vorgeschriebene horizontale Lage, bei welcher die Beurteilung der Stellung der Leuchtlinie erfolgen soll, innegehalten hat, v\u00f6llig davon unabh\u00e4ngig, ob er w\u00e4hrend dieser 2 Minuten die Leuchtlinie zur Betrachtung dargeboten erhalten hat oder in v\u00f6lligem Dunkel verweilt hat. Und bei mir selbst zeigt sich sogar, dafs die scheinbare Vertikale weniger gleichsinnig geneigt ausfiel, wenn ich w\u00e4hrend jener 2 Minuten die Leuchtlinie betrachtet hatte, als dann, wTenn mir diese w\u00e4hrend jener Zeit \u00fcberhaupt nicht sichtbar gewesen war.1\n1 Die Differenz zwischen den von mir f\u00fcr die Konstellationen B und C gelieferten Mittelwerten beruht nicht etwa darauf, dafs zuf\u00e4llig f\u00fcr die erstere Konstellation etliche \u00fcberhohe Beobachtungswerte erhalten wurden. Vielmehr steht es so, dafs in 10 Versuchssitzungen achtmal f\u00fcr die Kon-","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n167\nDie bei den Konstellationen B und C an mir erhaltenen Resultate sind also nicht blofs ein erneuter Beweis daf\u00fcr, dafs bei andauernder Betrachtung auch visugene Vorg\u00e4nge das scheinbare Verhalten der Leuchtlinie beeinflussen k\u00f6nnen, sondern sie zeigen zugleich auch, dafs neben den visugenen Vorg\u00e4ngen, die im Sinne einer Verminderung des Gewichtes der B-Komponente sich geltend machen, auch noch solche von entgegengesetzter Wirksamkeit Vorkommen. Auf das Eingreifen visugener Vorg\u00e4nge letzterer Art wird man auch die fr\u00fcher erw\u00e4hnten F\u00e4lle zur\u00fcckzuf\u00fchren haben, wo eine anf\u00e4ngliche A-Stellung der Leuchtlinie bei fortgesetzter Betrachtung sich verringert.\nEine Vergleichung der f\u00fcr die Konstellation A und B erhaltenen Resultate zeigt, dafs wenigstens gewisse Vpn. bei horizontaler Lage mit vertikal stehender Basallinie f\u00fcr die scheinbare Vertikale eine st\u00e4rkere gleichsinnige Neigung ergeben, wenn sie vor der Darbietung der Leuchtlinie diese horizontale Lage schon w\u00e4hrend geraumer Zeit innegehalten haben, als dann, wenn dies nicht der Fall ist. Es d\u00fcrfte also wohl aufser Zweifel stehen, dafs l\u00e4ngere Beibehaltung derselben geneigten Lage des Kopfes wenigstens bei gewissen Vpn. und unter gewissen Umst\u00e4nden durch Herabsetzung der Nachdr\u00fccklichkeit der Kopflageeindr\u00fccke sich im Sinne einer Verringerung des Gewichts der B-Komponente geltend macht. Dafs individuelle Unterschiede hinsichtlich des Grades dieses Einflusses bestehen, zeigt bereits eine Vergleichung der Versuchsresultate obiger 3 Vpn.\nHinsichtlich jener visugenen Vorg\u00e4nge ist noch folgendes hervorzuheben. Man darf sich nicht vorstellen, dafs w\u00e4hrend einer und derselben andauernden Betrachtung der Leuchtlinie von diesen Vorg\u00e4ngen unausgesetzt entweder nur die im Sinne einer Verringerung des Gewichtes der B-Komponente oder nur die im gegenteiligen Sinne wirksamen Vorg\u00e4nge oder gar keine von diesen Vorg\u00e4ngen sich geltend machen m\u00fcfsten, sondern man hat von der Anschauung auszugehen, dafs von diesen Vorg\u00e4ngen w\u00e4hrend einer und derselben andauernden Betrachtung der Leuchtlinie in unregelm\u00e4fsiger Weise bald die einen, bald anderen auftreten oder die \u00dcberhand gewinnen k\u00f6nnen, und dafs eben hierauf mindestens zu einem sehr wesentlichen Teile die fr\u00fcher (S. 156 f.) erw\u00e4hnten scheinbaren Hin- und Her-\nstellation B und nur einmal f\u00fcr die Konstellation C der gr\u00f6fsere Wert erhalten wurde. Einmal ergaben beide Konstellationen denselben Wert.","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168\nGr. E. M\u00fcller.\nSchwankungen der Leuchtlinie beruhen.1 Kommen von den visu-genen Vorg\u00e4ngen nur die einen, z. B. diejenigen, die im Sinne einer Verringerung des Gewichts der B-Komponente wirken, w\u00e4hrend einer und derselben Betrachtung der Leuchtlinie aus-schliefslich zur Geltuug, so ist dies im Grunde nur ein besonderer Fall. Auch in jener Zeit von 2 Minuten, w\u00e4hrend welcher ich bei Konstellation C der obigen Versuche die Leuchtlinie andauernd zu betrachten hatte, \u00e4nderte diese ihre scheinbare Stellung in unregelm\u00e4fsiger Weise bald in dieser bald in jener Richtung, und die Schr\u00e4gstellung, die sie am Schl\u00fcsse jener Zeit, bei Beginn der Beurteilung ihrer Stellung, besafs, war im allgemeinen weder die am st\u00e4rksten noch die am schw\u00e4chsten ausgepr\u00e4gte der w\u00e4hrend jener Zeit an ihr beobachteten Schr\u00e4gstellungen. Ebenso stand es bei der Vp. Kl.\nKehren wir am Schl\u00fcsse dieser Betrachtungen nochmals zu der oben dargetanen Tendenz der Leuchtlinie, bei andauernder Betrachtung ihre scheinbare Stellung in der EA-Richtung zu \u00e4ndern, zur\u00fcck, so ist also zu sagen, dafs dieselbe einerseits auf der bei andauernder Kopfneigung eintretenden Abschw\u00e4chung der Nachdr\u00fccklichkeit beruht, mit der sich die Kopflageeindr\u00fccke geltend machen, und andererseits darin ihren Grund hat, dafs sehr leicht, zumal dann, wenn die Leuchtlinie sich zun\u00e4chst in einer E-Stellung darbietet, eine visugene, im Sinne einer Verringerung des Gewichtes der B-Komponente wirksame Tendenz sich geltend macht. Das h\u00e4ufige Eingreifen einer Tendenz letzterer Art l\u00e4fst sich vielleicht in folgender Weise verst\u00e4ndlich machen. Sind die Gewichte der S-Komponente und der B-Komponente bedeutend verschieden, so wird im allgemeinen, wio nach mancherlei Analogien zu erwarten ist, diejenige beider Komponenten, welche das bedeutend h\u00f6here Gewicht besitzt, bei fortgesetzter Betrachtung eher an Gewicht verlieren. Da nun, wie sich aus dem Fr\u00fcheren (S. 129 f.) ergibt, bei Vorhandensein\n1 Ganz ausgeschlossen ist es nat\u00fcrlich nicht, dafs jene scheinbaren Hin- und Herschwankungen zuweilen auch darauf beruhen, dafs die Nachdr\u00fccklichkeit, mit der sich die Kopflageeindr\u00fccke geltend machen, unregel-m\u00e4fsig auf- und niederschwankt. Aubert (I, S. 392) spricht die Vermutung aus, dafs jene Schwankungen der Leuchtlinie auf gelegentlichen Bewegungen des K\u00f6rpers oder Kopfes beruhten, welche die Lage des K\u00f6rpers in Erinnerung br\u00e4chten. Nach meinen Beobachtungen scheint mir diese Vermutung unhaltbar oder wenigstens viel zu weitgehend zu sein.","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n169\neiner E-Stellung und selbst noch bei Vorhandensein einer schwach ausgepr\u00e4gten A-Stellung das Gewicht der B-Komponente im allgemeinen sehr bedeutend \u00fcber dasjenige der S-Komponente \u00fcberwiegt, so begreift sich, dafs bei andauernder Betrachtung eine anf\u00e4ngliche E-Stellung viel seltener konstant bleibt als eine A-Stellung und sich nur \u00e4ufserst selten steigert1, dagegen sehr h\u00e4ufig sich in der EA-Richtung \u00e4ndert, und dafs im allgemeinen die bei andauernder Betrachtung eintretenden \u00c4nderungen in der EA-Richtung durchgreifender sind als die mitunter auch vorkommenden \u00c4nderungen in der entgegengesetzten Richtung.2 Selbstverst\u00e4ndlich kann das Verhalten der scheinbaren Stellung der Leuchtlinie, das durch jene Tendenz zur Ausgleichung einer bestehenden hohen Gewichtsdifferenz zwischen der B- und der S-Komponente an sich gefordert wird, durch zuf\u00e4llige Einfl\u00fcsse und individuelle Besonderheiten mehr oder weniger gest\u00f6rt oder gar verhindert werden.\n5. Es ist noch darauf hinzuweisen, dafs, wenn bei einer andauernden Betrachtung die Leuchtlinie ihre Stellung \u00e4ndert, sei es in einer einzigen Richtung, sei es in mehr oszillatorischer Weise, alsdann der Vorgang von verschiedener Art sein kann, insofern als in den einen F\u00e4llen wirklich eine Bewegung der Leuchtlinie gesehen wird, in den anderen F\u00e4llen dagegen nur ein Andersgewordensein der Stellung der Leuchtlinie konstatiert wird, ohne dafs eine Bewegung, durch welche die letztere aus der fr\u00fcheren Stellung in die gegenw\u00e4rtige \u00fcbergef\u00fchrt wurde, zur Beobachtung kam. Es gab also F\u00e4lle, wo die Vp. erkl\u00e4rte, ganz deutlich gesehen zu haben, wie sich die Leuchtlinie aus ihrer fr\u00fcheren Stellung in die neue Stellung bewegte ; es kam in solchen F\u00e4llen sogar vor, dafs die Vp. mich frug, ob ich wirk-\n1\tEbenso wie in der fr\u00fcher (S. 155) gegebenen Zusammenstellung des Tats\u00e4chlichen, auf die hier Bezug genommen wird, sehen wir auch hier von den sofort wieder r\u00fcckg\u00e4ngig werdenden Stellungs\u00e4nderungen der Leuchtlinie, den wesentlich oszillatorischen Verhaltungsweisen derselben ganz ab.\n2\tVon dem hier angedeuteten Standpunkte aus w\u00fcrde sich auch die Tatsache begreifen lassen, dafs bei den oben angef\u00fchrten Versuchen gerade diejenige Vp. (M.), bei welcher die scheinbare Vertikale die st\u00e4rksten gleichsinnigen Neigungen besafs, also der S-Komponente das h\u00f6chste Gewicht zukam, bei der Konstellation C eine geringere gleichsinnige Neigung der scheinbaren Vertikalen ergeben hat als bei der Konstellation B.","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\nGr. E. M\u00fcller.\nlieh der Leuchtlinie keine Bewegung erteilt h\u00e4tte.1 In anderen F\u00e4llen dagegen gab die Vp. ausdr\u00fccklich zu Protokoll, dafs die Stellung der Leuchtlinie ganz pl\u00f6tzlich eine andere gewesen sei \u2014 eine Vp. verglich einmal diesen pl\u00f6tzlichen Umschlag mit dem pl\u00f6tzlichen Umschlag der r\u00e4umlichen Auffassung der bekannten ScHR\u00d6DERschen Treppenfigur \u2014, oder die Vp. erkl\u00e4rte, dafs sie in einem sp\u00e4teren Stadium der Betrachtung sich dessen bewufst geworden sei, dafs die Stellung der Leuchtlinie eine wesentlich andere sei, als sie vorher war, ohne dafs sie in der Lage gewesen sei, eine Phase, in der sich diese Um\u00e4nderung vollzog, beobachtend zu erfassen. Es ist nat\u00fcrlich nicht ausgeschlossen, dafs in F\u00e4llen letzterer Art eine Unzul\u00e4nglichkeit der Beobachtung vorlag. Auf der anderen Seite darf man sich nicht verhehlen, dafs, wenn auch ein K\u00f6rper aus einer wirklichen Stellung in eine wesentlich davon verschiedene andere wirkliche Stellung nur dadurch \u00fcbergehen kann, dafs er gewisse Zwischenstellungen durchl\u00e4uft, doch das Entsprechende von den scheinbaren Stellungen eines Gesichtsobjektes nicht zu gelten braucht. Tritt an die Stelle eines gegebenen Komplexes lokalisierender Faktoren ganz pl\u00f6tzlich ein wesentlich anderer, so kann die diesem anderen Komplexe entsprechende, neue Lokalisation des betreffenden Gesichtsobjektes ganz pl\u00f6tzlich und unvermittelt eintreten.\nUnsere optischen Bewegungswahrnehmungen sind bekanntlich von zweifacher Art, erstens solche, bei denen eine \u00c4nderung des visuellen Ortes des betreffenden Objektes erkennbar ist, und zweitens solche, bei denen das Objekt den Eindruck des Sich-Bewegens erweckt, aber doch zugleich anscheinend seinen visuellen Ort nicht \u00e4ndert. Man kann diese beiden Arten von Bewegungswahrnehmungen kurz als kinetische und statische2 Bewegungswahrnehmungen voneinander unterscheiden. Ich habe nun hier noch zu bemerken, dafs nach den spontanen Aussagen meiner seit Jahren in psychologischen Beobachtungen viel ge\u00fcbten Vp. Collet die Wahrnehmung der oben erw\u00e4hnten oszillatorischen Drehbewegungen der Leuchtlinie bei ihm in manchen F\u00e4llen eine statische Bewegungswahrnehmung\n1\t\u00c4hnliches berichtet Mulder (I, S. 110).\n2\tDie contradictio in adjecto l\u00e4fst sich hier nicht umgehen, wenn man eine treffende Bezeichnung haben will.","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertscke Ph\u00e4nomen.\n171\nist.1 Mit dieser Konstatierung von C. steht eine Mitteilung von W. Nagel (S. 380f.) in gewissem Einkl\u00e4nge. Derselbe berichtet, dafs, wenn er in ruhiger Seitenlage die schief erscheinende Leuchtlinie betrachte, er den deutlichen Eindruck habe, dafs sie sich in einer fast andauernden Drehbewegung befinde, und zwar zumeist in einer Bewegung, welche die Linie der scheinbaren Vertikalen n\u00e4here. Die Vertikale werde jedoch nie erreicht. Zum Teil beruhe dies darauf, dafs jedes Blinzeln, jede kleine Augenbewegung die sich aufrichtende Linie sofort wieder um ein St\u00fcck zur\u00fcckschnappen lasse, so dafs die Linie aus der schiefen Lage nie herauskomme. Aber auch, wenn man Blinzeln und Augenbewegungen vermeide, komme die Linie, trotzdem sie sich in andauernder Drehbewegung befinde, seltsamerweise aus der schiefen Lage nicht heraus. Es bestehe eben \u201eein auffallendes Mifsverh\u00e4ltnis zwischen der Lebhaftigkeit der gesehenen Scheinbewegung und der Gr\u00f6fse der durch jene erzeugten Lagever\u00e4nderung des sich bewegenden Objektes\u201c.\n\u00a7 9. Das Verhalten der Leuchtlinie hei Betrachtung w\u00e4hrend einer Kopfbewegung um eine sagittale Achse. Die r\u00e4umliche\nBeharrungstendenz.\nWir wenden uns nun zur Betrachtung des Falles, dafs die Leuchtlinie w\u00e4hrend einer um eine sagittale Achse statf finden den Kopfbewegung betrachtet wird, und zwar nehmen wir zun\u00e4chst an, dafs die Kopfbewegung stets von der vertikalen Kopfstellung aus nach rechts oder links hin (nicht aber in der umgekehrten Richtung von einer geneigten Kopfstellung aus nach der Vertikalstellung hin) ausgef\u00fchrt werde. In solchem Falle kommen je nach dem Typus und je nach der Individualit\u00e4t der Vp. und je nach der Schnelligkeit der Kopfbewegung wesentlich verschiedene Verhaltungsweisen der scheinbaren Stellung der in Wirklichkeit vertikal stehenden Leuchtlinie zur Beobachtung, die\n1 Es ist nicht ausgeschlossen, dafs das Gleiche auch noch von anderen meiner Vpn. gilt. Nur liegt eben von keiner anderen Vp. eine entsprechende Aussage vor. Um jegliche Suggestion zu vermeiden, habe ich nicht gewagt, an irgendeine Vp. eine auf diesen Punkt bez\u00fcgliche Frage zu richten. Ich selbst habe bei diesen Versuchen eine statische Bewegungswahrnehmung nicht beobachtet.","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172\nG. E. Millier.\nim nachstehenden kurz angef\u00fchrt und, soweit als ang\u00e4ngig, erkl\u00e4rt werden m\u00f6gen.\nIst die Vp. vom A-Typus, so ist der einfachste, bei langsamer Kopfbewegung nicht selten vorkommende Fall der, dafs die Vp. angibt, so lange als die Kopfbewegung angedauert habe, sei eine gegensinnige Bewegung der Leuchtlinie von ihr beobachtet worden.1 Diese scheinbare Bewegung der Leuchtlinie tritt auch bereits bei einer nur recht geringf\u00fcgigen Kopfbewegung 'em; nat\u00fcrlich ist dann auch ihr Umfang ein entsprechend geringer.\nBei schnellerer Kopfbewegung treten Komplikationen auf. Erstens gibt die Vp. mitunter an, dafs die Linie nicht gleichzeitig mit dem Kopfe in Bewegung geraten sei, sondern sich etwas sp\u00e4ter als der Kopf in Bewegung gesetzt habe. In Zusammenh\u00e4nge hiermit steht die zweite Angabe der Vp., dafs die gegensinnige Drehung der Leuchtlinie in dem Momente, wo der Kopf seine Endlage erreicht habe, nicht gleichfalls aufgeh\u00f6rt habe, sondern sich noch eine Zeit lang fortgesetzt habe.2\nBei noch schnellerer Kopfbewegung vermag die Vp. nur im letzten Stadium der Bewegung und nach Beendigung derselben eine Drehung der Linie zu konstatieren, und nach sehr rascher Kopfbewegung erkl\u00e4rt die Vp., dafs sie sich einer Drehung der Linie erst in einem Zeitpunkte bewufst geworden sei, der sp\u00e4ter war als der Zeitpunkt der Erreichung der Endlage \u00fces Kopfes.3\n1\tBei Aubert (z. B. II, S. 276) findet sich die Bemerkung, dafs man hei Ausf\u00fchrung einer Kopfbewegung den Eindruck habe, \u201eals ob die helle Linie unver\u00e4ndert an Ort und Stelle bliebe, dagegen der umgebende Baum sich drehte, oder unsere Vorstellung von Oben und Unten sich ver\u00e4nderte.\u201c Ich habe diese nur noch von Feilchenfeld (S. 139) wiederholte Behauptung bei meinen Versuchen absolut nicht best\u00e4tigt finden k\u00f6nnen und vermute stark, dafs sie auf Suggestion beruht.\n2\tBiese h\u00f6chstens einige Sekunden dauernde, schon von Nagel (S. 383) konstatierte Weiterbewegung der Leuchtlinie ist von der fr\u00fcher (S. 153) erw\u00e4hnten Steigerung der A-Stellung, die bei lange (eine oder mehrere Minuten lang) andauernder Betrachtung oft eintritt, wohl zu unterscheiden.\n3\tNeben Aussagen der hier erw\u00e4hnten Art kommt auch die Aussage vor, dafs man bei sehr schneller Kopfbewegung das Geschehende \u00fcberhaupt nicht verfolgen k\u00f6nne. \u2014\nFeilchenfeld (S. 144) stellte die Beobachtungen bei seitlich bewegtem Kopfe unter anderem auch unter Benutzung folgenden kleinen Apparates ^an. \u201eEin ca. 3/4 m langer Holzstab verbindet ein Beifsbrettchen mit einer","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertschc Ph\u00e4nomen.\n173\nDas hier erw\u00e4hnte versp\u00e4tete Eintreten der Einienbewegung und die Weiterdauer derselben, w\u00e4hrend der Kopf bereits in K\u00fche ist, erkl\u00e4rt sich daraus, dafs die Leuehtlinie einer allgemeinen psychologischen Gesetzm\u00e4fsigkeit gem\u00e4fs eine Tendenz besitzt, in einer Stellung, in der sie zun\u00e4chst unter dem Einfl\u00fcsse dieser oder jener lokalisierender Faktoren erschienen ist, noch weiter zu verharren auch dann, wenn andere Faktoren, die eine andere Lokalisation anstreben, bereits gegeben sind. Infolge dieser r\u00e4umlichen Beharrungstendenz vermag die zun\u00e4chst in vertikaler Stellung erblickte Linie den im Sinne einer gegensinnigen Neigung derselben wirksamen Einfl\u00fcssen der bei\nschwarzen Pappr\u00f6hre, \u00fcber die ein Deckel gesetzt werden kann, der in der Mitte einen mit weifsem Papier verklebten Lichtspalt tr\u00e4gt. Der Deckel l\u00e4ft sich auf der R\u00f6hre beliebig drehen, so dafs der Spalt eine vertikale, horizontale oder schr\u00e4ge Lage annimmt. Ein grofses schwarzes Tuch ist \u00fcber Kopf und R\u00f6hre ausgebreitet, an letzterer festgeheftet. Der Stab mufs, um Schwankungen zu vermeiden, recht fest sein und infolgedessen durch die rechte Hand leicht gest\u00fctzt werden, da das Gebifs allein nat\u00fcrlich nicht tragf\u00e4hig genug ist.\u201c Feilchenfeld gibt nun an, dafs man bei Benutzung dieses Apparates, \u201eder die Erfahrungsmotive ausschliefst und gleichzeitig bewirkt, dafs die Bewegungen des Objektes genau denen des Kopfes entsprechen,\u201c bemerkenswerter Weise \u201ew\u00e4hrend der Schulterbewegung\u201c keine T\u00e4uschung mehr beobachte. Auch bei l\u00e4ngerer Einhaltung starker Schulterneigungen sei jetzt die T\u00e4uschung (das A-Ph\u00e4nomen) nur wenig zwingend. Nat\u00fcrlich nehme sie zu, je mehr der Ausgangspunkt der Objektbewegung sich aus dem Bewufstsein verliere. Nach Wiederholung dieses Versuches habe ich nun folgendes zu bemerken. Es ist v\u00f6llig unm\u00f6glich, w\u00e4hrend der seitlichen Kopfbewegung selbst dar\u00fcber zu urteilen, ob die stattfindende scheinbare Neigung der hellen Linie mit der Neigung des Kopfes gleichen Schritt halte oder hinter derselben zur\u00fcckbleibe oder derselben vorauseile. Um hier\u00fcber urteilen zu k\u00f6nnen, m\u00fcfsten wir ja eine ganz genaue und ganz sichere Vorstellung von der jeweiligen Neigung der Kopfachse besitzen. Richtet man es so ein, dafs die Linie bei vertikaler Kopfhaltung gleichfalls vertikal steht, und f\u00fchrt man dann eine seitliche Kopfbewegung aus, die nach Durch-laufung von 90\u00b0 (mittels eines geeigneten \u00e4ufseren Wiederstandes) ihr Ende findet, so zeigt sich dann (sowohl noch meinen Beobachtungen als auch nach denen des Herrn Dr. Katz) die Linie stets schon im Momente der Erreichung der Endlage des Kopfes in einer deutlichen A-Stellung, die sich allerdings bei weiterer Beibehaltung der horizontalen Kopfhaltung noch steigert. Dieser ganze Versuch Feilchenfelds bietet durchaus nichts Bemerkenswertes, krankt vielmehr an dem Mifsstande, dafs die Beobachtung der Leuchtlinie w\u00e4hrend der Ausf\u00fchrung der seitlichen Kopfbewegung zu einem zuverl\u00e4ssigen Ergebnisse absolut nicht zu f\u00fchren vermag.\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 49.\t12","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174\nG. E. M\u00fcller.\nder seitlichen Kopfbewegnng durchlaufenen Kopflagen nicht mit zeitlicher Unmittelbarkeit zu folgen.\nDiese r\u00e4umliche Beharrungstendenz tritt auch bei sonstigen Versuchen hervor, und zwar in manchen F\u00e4llen in sehr auff\u00e4lliger Weise. Wenn man z. B. bei einer Kopfneigung von 90\u00b0 eine vertikale Leuchtlinie zun\u00e4chst im Hellen betrachtet und dann das Zimmer pl\u00f6tzlich dunkel machen l\u00e4fst, so kann man konstatieren, dafs die Leuchtlinie nach Herstellung der Dunkelheit noch einen Moment in ihrer vertikalen Stellung verharrt und erst dann in die schr\u00e4ge Stellung \u00fcbergeht.1 Alexander und B\u00e4r\u00e4ny (S. 453 f.) teilen folgende Beobachtung mit. \u201eNeigen wir im dunklen Zimmer den Kopf und blicken wir auf eine vertikal stehende Linie, so erscheint sie uns schief, z. B. bei nach links geneigtem Kopf links geneigt. Sie bleibt auch so, wenn wir durch l\u00e4ngere Zeit hinblicken. Wenn wir aber nun den Kopf nach rechts neigen, so wird die Vertikale jetzt nicht nach rechts geneigt, sondern sie bleibt l\u00e4ngere Zeit nach links geneigt und wird erst nach Ablauf einiger Zeit, oder \u00fcberhaupt nicht, nach rechts geneigt. Das Umgekehrte ist nat\u00fcrlich der Fall, wenn wir zuerst den Kopf l\u00e4ngere Zeit nach rechts geneigt hielten und ihn dann nach links neigten. Es erscheint dann die Linie durch l\u00e4ngere Zeit auch bei nach links geneigtem Kopf nach rechts geneigt und wechselt manchmal diesen Wert gar nicht.\u201c Entsprechend zeigte sich bei meinen Versuchen sehr h\u00e4ufig folgende Erscheinung. Hat man die vertikale Leuchtlinie im Dunkeln w\u00e4hrend einer gewissen Zeit unter Beibehaltung einer bestimmten Kopfneigung betrachtet, und nimmt man dann die normale Kopfhaltung an, bei welcher vor der Kopfneigung die Leuchtlinie vertikal erschien, so erscheint jetzt die Leuchtlinie nicht vertikal, sondern noch in derselben Richtung, wenn auch in vermindertem Grade, geneigt, in der sie bei der vorherigen Kopfneigung geneigt erschien. Dies gilt, gleichg\u00fcltig ob die Linie bei der andauernden Kopfneigung sich in A-Stellung oder in E-Stellung darstellte, was zeigt, dafs es sich hier nicht; um eine Wirkung der andauernden Kopfneigung an sich, sondern um eine Nachwirkung der bei der letzteren vorhanden gewesenen\n1 Diese schon von Delage (S. 117) gemachte Beobachtung gelingt nicht immer und nicht jedermann. Eine Beobachtung \u00e4hnlicher Art teilt Nagel (S. 394 unten) mit.","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubert sehe Ph\u00e4nomen.\n175\nscheinbaren Stellung der Leuchtlinie handelt. Selbstverst\u00e4ndlich ist diese Beharrungserscheinung um so ausgepr\u00e4gter und um so l\u00e4nger andauernd, je st\u00e4rker und je l\u00e4nger andauernd die Kopf-neigung war; auch d\u00fcrfte sie von der Individualit\u00e4t abh\u00e4ngen. Als ich einmal die Leuchtlinie bei einer Kopfneigung von 900 w\u00e4hrend einer Minute betrachtet hatte, mufste ich hinterher den Kopf um ca. 450 nach der entgegengesetzten Seite neigen, damit mir die Linie vertikal erscheine. Entsprechend zeigte sich bei meinen Versuchen auch folgendes. Hat man die vertikale Leuchtlinie bei einer geringen Kopfneigung in E-Stellung und hierauf bei einer ausgiebigeren Kopfneigung in A-Stellung erblickt, und kehrt man dann zu der ersteren, geringen Kopfneigung zur\u00fcck, so erscheint bei dieser die Leuchtlinie leicht in A-Stellung. Den hier angef\u00fchrten, den Einflufs der r\u00e4umlichen Beharrungstendenz dartuenden Erscheinungen analog ist die von B\u00fchler (Die Gestaltwahrnehmungen, 1. Bd., Stuttgart 1913, S. 98 f.) nachwiesene Tatsache, dafs auch an den beiden parallelen geraden Linien des bekannten HERiNGschen Musters das scheinbare Gekr\u00fcmmtsein nicht sofort auftritt, wenn das T\u00e4uschungsmotiv, das von den beiden Geraden zu durchschneidende Strahlenb\u00fcschel, sichtbar wird, so dafs auch hier \u201eeine gewisse Tr\u00e4gheit des Auftretens\u201c des tr\u00fcgerischen Eindruckes zu konstatieren ist. Dafs es eine Beharrungstendenz auch f\u00fcr Scheinbewegungen gibt, scheinen gewisse Beobachtungen von Urbantschitsch (Zeitschr. f. Ohrenlieilk31, 1897, S. 253 f.) zu ergeben.\nIst die Vp. vom EA-Typus, und ist die auszuf\u00fchrende Kopfbewegung nur von m\u00e4fsigem Umfange (z. B. 45\u00b0), so gewinnt man in der Regel ganz entsprechende Resultate wie oben angegeben, nur dafs an die Stelle einer gegensinnigen Drehung der Leuchtlinie eine gleichsinnige tritt. Man erh\u00e4lt also dann z. B. bei gewissen Geschwindigkeiten der Kopfbewegung die Aussage, dafs die Linie sich auch nach Erreichung der Endlage des Kopfes noch w\u00e4hrend kurzer Zeit in gleichsinniger Richtung weiter gedreht habe.1\nIst die zu vollziehende Kopfbewegung von gr\u00f6fserem Umfange (z. B. 90 \u00b0), so kann man bei langsamer Ausf\u00fchrung\n1 Vpn. von dem fr\u00fcher (S. 127) erw\u00e4hnten gemischten Typus beobachten bei einer m\u00e4fsigen Kopfbewegung bald eine gegensinnige bald eine gleichsinnige Drehung der Leuchtlinie. Nagel (S. 383) konstatierte dieses wechselnde Verhalten an 3 von seinen 19 Vpn.\n12*","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176\nG. E. Muller.\nderselben Anssagen erhalten, nach denen die Leuchtlinie w\u00e4hrend der Kopfbewegung diejenigen Phasen durchl\u00e4uft, die nach dem Verhalten, das sie bei den zu durchlaufenden Kopflagen als Dauerlagen zeigt, zu erwarten sind, n\u00e4mlich 1. eine Phase gleichsinniger Drehung, 2. eine Phase des R\u00fcckg\u00e4ngigwerdens der eingetretenen gleichsinnigen Neigung, 3. eine Phase des Vertikalerscheinens, 4. eine Phase der gegensinnigen Drehung. Hinsichtlich der dritten Phase ist zu bemerken, dafs zuweilen angegeben wird, die Leuchtlinie sei w\u00e4hrend eines recht erheblichen Teiles der Kopfbewegung vertikal erschienen.\nVon diesen vier Phasen finden nun aber in den meisten F\u00e4llen eine oder mehrere in der Aussage der Vp. keine Erw\u00e4hnung, und zwar ist, wie zu erwarten, der Ausfall in dieser Hinsicht im allgemeinen um so gr\u00f6fser, je schneller die Kopfbewegung war. So wird manchmal die zweite Phase nicht erw\u00e4hnt. Nach schnellerer Kopfbewegung erh\u00e4lt man oft nur die Aussage, dafs eine gleichsinnige Drehung der Linie beobachtet worden sei, am Schl\u00fcsse der Kopfbewegung aber die Linie sich als eine gegensinnig geneigte dargeboten habe. In noch anderen F\u00e4llen wird auch die erste, gleichsinnige Bewegungsphase nicht beobachtet, und die Vp. gibt einfach an, die Linie habe sich ihr zuerst als eine vertikale und dann als eine gegensinnig geneigte dargestellt.\nVermag die Vp. eine jener vier Phasen nicht zu konstatieren, so mufs dahingestellt bleiben, ob blofs eine mangelhafte Beobachtung oder ein wirklicher Ausfall oder wenigstens eine sehr starke zeitliche Einschr\u00e4nkung dieser Phase vorliegt. Wenn z. B. die Vp. angibt, sie habe zuerst eine gleichsinnige Drehung und dann sofort ein Vertikalerscheinen der Linie konstatiert, so ist dem fr\u00fcher (S. 170) Bemerkten gem\u00e4fs nicht ganz ausgeschlossen, dafs die zweite der obigen Phasen ganz ausgefallen sei und eine scheinbare gleichsinnige Neigung der Linie (gem\u00e4fs der in diesem Gebiete bestehenden H\u00e4ufigkeit eines Eingreifens starker zuf\u00e4lliger Einfl\u00fcsse) ganz pl\u00f6tzlich einem Vertikalerscheinen derselben Platz gemacht habe.\nMan mufs nun aber weiter mit der M\u00f6glichkeit rechnen, dafs durch die Kopfbewegung als solche Vorg\u00e4nge ins Spiel gezogen werden, die gar nicht in Frage kommen, wenn die zu durchlaufenden Kopflagen als Dauerlagen gegeben sind. Ein solcher Vorgang ist vor allem die vor\u00fcbergehende Gegenrollung. Es ist zu vermuten, dafs die letztere bei rascher","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n177\nKopfbewegung1 das r\u00e4umliche Verhalten der Leuchtlinie mitunter auch in einer f\u00fcr den Beobachter konstatierbaren Weise beeinflusse. So berichtet Nagel (S. 381 f.) Folgendes. Er selbst \u2014 dasselbe gelte von einigen seiner Mitbeobachter \u2014 sehe bei Kopfneigungen, die den Betrag von 50 \u00b0\u2014600 nicht \u00fcberschreiten, die vertikale Leuchtlinie gew\u00f6hnlich vertikal2, erst beim \u00dcberschreiten dieser Grenze sehe er sie gegensinnig geneigt. Dagegen bemerke er stets eine sehr deutliche, der Kopfbewegung gleichgerichtete Bewegung der vertikalen Linie, sobald er den Kopf einigermafsen rasch seitw\u00e4rts neige (z. B. in J/2 Sek. um 20\u00b0\u201430\u00b0). Halte er nach der Seitw\u00e4rtsbewegung des Kopfes diesen in der Endlage still, so werde die Leuchtlinie alsbald wieder vertikal, bald langsam, bald schnell. Neige er, nachdem die Leuchtlinie wieder vertikal geworden sei, den Kopf rasch noch etwas weiter, so trete abermals ein gleichsinniger Ausschlag der Leuchtlinie ein. Es liegt sehr nahe, den Umstand, dafs bei diesen Versuchen die Leuchtlinie bei einer Kopflage, bei deren Vorhandensein als Dauerlage sie vertikal erschien, sich als eine gleichsinnig geneigte darstellte, falls diese Kopflage bei einer raschen Kopfbewegung soeben erreicht worden war, auf die vor\u00fcbergehende Gegenrollung zur\u00fcckzuf\u00fchren. Das Zur\u00fcckgehen der bei der Endlage des Kopfes infolge der vor\u00fcbergehenden Gegenrollung vorhandenen gleichsinnigen Neigung der Leuchtlinie kann nat\u00fcrlich durch die oben besprochene r\u00e4umliche Beharrungstendenz mehr oder weniger verz\u00f6gert worden sein.\nAuffallenderweise zeigen sich bei Individuen vom EA-Typus mitunter Verhaltungsweisen der Leuchtlinie, die von dem durch die oben angef\u00fchrten vier Phasen charakterisierten Typus des Verhaltens ganz wesentlich abweichen. Die fr\u00fcher (S. 128) erw\u00e4hnte Vp. von L. erblickte bei einer langsamen seitlichen Kopfbewegung von ca. 90\u00b0 die Leuchtlinie zuerst in g e g e n sinniger und dann in gleichsinniger Bewegung, so dafs sie bei Erreichung der Endlage des Kopfes wieder vertikal erschien. War die Kopfbewegung eine schnellere, so konnte die erste, gegensinnige Phase\n1\tNach den Feststellungen von W. Nagel (Zeitschrift f\u00fcr Psychologie 12, 1896, S. 338 f.) tritt die vor\u00fcbergehende Gegenrollung \u201enur bei raschen Kopfbewegungen\u201c ein.\n2\tAuf das hier von Nagel berichtete Vertikalerscheinen der Leuchtlinie bei erheblicher Kopfneigung komme ich in \u00a7 11 n\u00e4her zu sprechen.","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178\nG. E M\u00fcller.\nder Linienbewegung sehr abgek\u00fcrzt (\u201enur ein kurzes Schwanken\u201c) sein, oder es konnte auch die zweite, gleichsinnige Phase gar nicht zur Beobachtung kommen, so dafs die Aussage erfolgte, die Linie habe sich gegensinnig bewegt, aber bei Erreichung der Endlage des Kopfes vertikal gestanden. Ein Fall letzterer Art kam auch einmal bei einer anderen Vp. (S.) vom EA-Typus vor. Von einer anderen Vp. und zwar einer solchen von sehr ausgepr\u00e4gtem EA-Typus (Vp. L.) wurde einmal nach einer Kopfbewegung von 45 0 angegeben, die Linie habe sich gegensinnig bewegt, sei aber zuletzt gleichsinnig geneigt gewesen. Die Phase des Umschlages habe sie nicht erfassen k\u00f6nnen. Es ist hervorzuheben, dafs diese zun\u00e4chst befremdenden Aussagen einzelner meiner Vpn. keineswegs isoliert dastehen. Vielmehr haben die Vpn. von Sachs und Meller (I, S. 395), die bei dauernden Kopfneigungen von geringer oder m\u00e4fsiger Ausgiebigkeit (bis zu 50 \u00b0) die vertikale Leuchtlinie in E-Stellung erblickten, also s\u00e4mtlich dem EA-Typus angeh\u00f6rten, w\u00e4hrend der Ausf\u00fchrung einer seitlichen Kopfbewegung die vertikale Leucbtlinie gleichfalls des \u00f6fteren als eine sich gegensinnig drehende erblickt.\nAus Vorstehendem ergibt sich, dafs, wenigstens bei gewissen Individuen, durch die Ausf\u00fchrung einer seitlichen Kopfbewegung noch irgendein besonderer Faktor oder Umstand ins Spiel gezogen wird, der sich in dem Sinne geltend macht, die Leuchtlinie mindestens w\u00e4hrend des ersten Teiles der Kopfbewegung als eine gegensinnig bewegte erscheinen zu lassen, so dafs Individuen, bei denen geringe oder m\u00e4fsige Kopfneigungen als Dauerlagen mit gleichsinnigen Neigungen der Leuchtlinie verkn\u00fcpft sind, bei einer nicht zu langsamen Durchlaufung dieser Kopflagen die Linie doch als eine sich gegensinnig drehende erblicken k\u00f6nnen. Was nun die Natur dieses besonderen Faktors oder Umstandes anbelangt, so kann man daran denken, dafs bei Eintreten einer schnellen Seitw\u00e4rtsbewegung des Kopfes die Gegenrollung nicht sofort, sondern erst nach Verlauf einer gewissen Latenzzeit einsetze, die von der Individualit\u00e4t und von mancherlei zuf\u00e4llig wechselnden Umst\u00e4nden abh\u00e4nge. Ein versp\u00e4tetes Eintreten der Gegenrollung mufs sich notwendig dahin geltend machen, den Einflufs der S-Komponente wenigstens w\u00e4hrend des ersten Teiles der Kopfbewegung an dem Verhalten der Leuchtlinie deutlich hervor-","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n179\ntreten zu lassen. Leider liegen Untersuchungen \u00fcber die Latenzzeit der Gegenrolluug zurzeit noch nicht vor.1\nSachs und Meller f\u00fchren die oben erw\u00e4hnte Tatsache, dafs ihre Vpn., obwohl dem EA-Typus angeh\u00f6rig, dennoch bei seitlicher Kopfbewegung die Leuchtlinie oft gegensinnig bewegt sahen, auf die bei der Kopfbewegung stattfindende Verschiebung des Netzhautbildes der Leuchtlinie zur\u00fcck. Auch Nagel (S. 395) macht geltend, dafs bei dem im \u00fcbrigen mit Objekten nicht erf\u00fcllten Gesichtsfelde diese Bildverschiebung zu der T\u00e4uschung Anlafs geben k\u00f6nne, dafs sie, wenigstens teilweise, durch eine Drehung des Objektes bedingt sei.\nIch habe aus Anlafs dieser Annahme von Sachs und Meller und von Nagel Versuche angestellt, bei denen im Dunkeln eine vertikal stehende Leuchtlinie w\u00e4hrend einer Bewegung des Kopfes um seine vertikale Achse betrachtet wurde. Die Vp. mufste dar\u00fcber urteilen, ob ihr die Leuchtlinie w\u00e4hrend der Kopfbewegung ruhend oder bewegt erscheine, bzw. in welcher Richtung die Scheinbewegung stattfinde. Von den vier Vpn., die emmetrop sind oder wenigstens hier als emmetrop gelten k\u00f6nnen, erkl\u00e4rten nur zwei schlechtweg, dafs die Leuchtlinie w\u00e4hrend der Kopfbewegung keine Scheinbewegung ausf\u00fchre. Eine Vp. fand, dafs die Leuchtlinie w\u00e4hrend der Kopfbewegung eine gegensinnige Scheinbewegung ausf\u00fchre. Die vierte Vp. vermochte nur in dem Falle, dafs sie den Kopf sehr schnell um seine vertikale Achse hin und her bewegte, eine Scheinbewegung und zwar eine solche gleichsinniger Art zu konstatieren. Aufser diesen vier emmetropen Vpn. wurden noch vier kurzsichtige Vpn. benutzt. Dieselben hatten die w\u00e4hrend der Kopfbewegung zu vollziehende Betrachtung der Leuchtlinie einerseits bei Be-\n1 Die Ausf\u00fchrung von Versuchen \u00fcber diesen Punkt d\u00fcrfte auch eine recht komplizierte Versuchsanordnung, z. B. kinematographischer Art, erfordern.\nBeil\u00e4ufig sei hier darauf hingewiesen, dafs zwischen der S-Kompo-nente und der B-Komponente ein gewisser Unterschied in zeitlicher Hinsicht auch schon daraus entspringen d\u00fcrfte, dafs bei Eintritt einer seitlichen Kopflage die zugeh\u00f6rige S-Komponente schon lediglich durch die Lage des durch die Leuchtlinie gereizten Netzhautteiles v\u00f6llig bestimmt ist, w\u00e4hrend die zugeh\u00f6rige B-Komponente aufserdem auch noch an das Auftreten der entsprechenden Kopflageeindr\u00fccke und ihr Wirken im Sinne einer bestimmten Kopflokalisation gebunden ist.","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180\nG. E. Muller.\nnutzung ihrer gew\u00f6hnlichen Brille (Normalbrille) und anderer\u00bb seits mit unbewaffnetem Auge auszuf\u00fchren. Bei Benutzung ihrer Normalbrille nun nahm die erste dieser vier Vpn. eine schwache gegensinnige Bewegung wahr, die zweite Vp. beobachtete je nach der Neigung, die ihr Kopf und die Brille (richtiger : der Klemmer) nach vorn hin besafs, Ruhe oder gegensinnige Bewegung der Leuchtlinie, die dritte und vierte Yp. konstatierten manchmal keine Bewegung, manchmal eine schwache gleichsinnige Bewegung. Bei der Betrachtung mit unbewaffnetem Auge nahmen alle vier Vpn. eine gegensinnige Bewegung wahr. Ich habe endlich die Versuche auch noch in der Weise modifiziert, dafs die Leuchtlinie w\u00e4hrend der Kopfbewegung einerseits unter Benutzung einer bikonvexen Brille von 8 Dioptrien und andererseits unter Benutzung einer bikonkaven Brille von 7 Dioptrien zu betrachten war. Alle vier emmetropen Vpn. sahen bei Benutzung der bikonvexen Brille eine deutliche gegensinnige und bei Benutzung der bikonkaven Brille eine deutliche gleichsinnige Scheinbewegung der (ca. 370 cm weit entfernten) Leuchtlinie.1 Auch die vier Kurzsichtigen nahmen mit der bikonvexen Brille eine gegensinnige Bewegung der Leuchtlinie wahr, die st\u00e4rker war als die von ihnen mit unbewaffnetem Auge wahrgenommene gegensinnige Bewegung. Bei Benutzung der bikonkaven Brille vermochte der eine Kurzsichtige zu keinem sicheren\n1 Die hier hervortretende Wirkung der Benutzung der bikonvexen (bikonkaven) Brille ist rein optischen Ursprunges. Man kann sich hiervon auch dadurch \u00fcberzeugen, dafs man bei unbewegtem Kopfe und nach der Leuchtlinie hin gerichteter Blicklinie ein vor das eine Auge mit der Hand gehaltenes bikonvexes (bikonkaves) Brillenglas in Beziehung auf den Augapfel und die Leuchtlinie denselben Stellungs\u00e4nderungen unterwirft, die das entsprechende Glas der bikonvexen (bikonkaven) Brille erf\u00e4hrt, wenn man, ohne die Fixation der Leuchtlinie aufzugeben, den Kopf um eine vertikale Achse nach rechts oder links hin bewegt. Man beobachtet dann bei Verschlufs des anderen Auges eine Seheinbew^egung der Leuchtlinie, die ganz dieselbe Richtung besitzt wie die Scheinbewegung, die man bei Benutzung der bikonvexen (bikonkaven) Brille w\u00e4hrend einer Kopfbewegung der erw\u00e4hnten Art wahrnimmt.\nDer hier in Rede stehende Einflufs der Benutzung einer bikonvexen oder bikonkaven Brille ist nat\u00fcrlich um so geringer, je weiter von dem Beobachter entfernt die Leuchtlinie ist. Dafs bei einem Kurzsichtigen, welcher dauernd eine bikonkave Brille zu tragen pflegt, ein entsprechender Einflufs der Brille bei einer Kopfbewegung nicht hervorzutreten braucht, ist nicht verwunderlich.","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n181\nUi teile zu gelangen. Zwei andere sahen eine gleichsinnige Bewegung. Was den vierten, den am st\u00e4rksten kurzsichtigen, anbelangt, so stimmte dessen Normalbrille ungef\u00e4hr mit jener bikonkaven Brille von 7 Dioptrien \u00fcberein; er sah entweder eine gleichsinnige oder gar keine Bewegung.\nDie hier angef\u00fchrten Versuchsresultate, die s\u00e4mtlich n\u00e4her zu erkl\u00e4ren hier nicht unsere Aufgabe ist, zeigen, dafs bei einzelnen Individuen schon bei einer um eine vertikale Achse stattfindenden Kopfbewegung eine Tendenz auftreten kann, eine mit Sch\u00e4rfe (mit unbewaffnetem normalen Auge oder unter Benutzung der Normalbrille) wahrgenommene, ruhende Leuchtlinie als eine bewegte zu sehen, und zwar war diese Scheinbewegung in den F\u00e4llen, wo sie regelm\u00e4fsig auftrat, eine solche gegensinniger Art. Man mufs daher wohl die M\u00f6glichkeit zugeben, dafs bei manchen Vpn. auch aus einer Kopfbewegung um eine sagittale Achse, ganz abgesehen von allen Wirkungen der Kopfneigung auf die B* und die S-Komponente, eine Tendenz entspringe, eine ruhende Leuchtlinie als eine bewegte zu erblicken. Der Umstand, dafs bei einer Kopfbewegung dieser Art Netzhautbildverschiebungen von anderem Charakter und Grade eintreten als bei einer Kopfbewegung von jener anderen Art, kann kaum ein Anlafs sein, die erw\u00e4hnte M\u00f6glichkeit in Abrede zu stellen.\nFerner zeigen die obigen Versuchsresultate, dafs man ganz besonders in solchen F\u00e4llen, wo die Wahrnehmung der Leuchtlinie in rein optischer Hinsicht keine normale ist, mit der M\u00f6glichkeit des Auftretens einer Tendenz der soeben erw\u00e4hnten Art zu rechnen hat. Sie zeigen, dafs manche Kurzsichtige bei nicht korrigiertem Auge eine Tendenz haben, eine in einer der \u00fcblichen Entfernungen (z. B. 370 cm) dargebotene Leuchtlinie bei Betrachtung mit bewegtem Kopfe als eine sich gegensinnig bewegende zu erblicken, und sie erinnern uns daran, dafs die Benutzung einer bikonvexen oder bikonkaven Brille unter Umst\u00e4nden aus rein optischem Grunde dahin wirken kann, w\u00e4hrend einer nach rechts oder links stattfindenden Kopfneigung, bei deren Ausf\u00fchrung sich die Stellung jedes Augapfels zum Brillenglase wesentlich \u00e4ndert, die Leuchtlinie als eine gegensinnig oder gleichsinnig bewegte erscheinen zu lassen. Ich habe wiederholt mit einer emmetropen Vp. folgenden Versuch angestellt. Ich lasse sie unter den gew\u00f6hnlichen Versuchsumst\u00e4nden die Leuchtlinie w\u00e4hrend einer nach rechts oder links hin stattfindenden","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182\n6r. E. M\u00fcller.\nKopfneigung von ca. 90 0 betrachten. Sie erblickt eine gegen* sinnige Bewegung. Dasselbe ist der Fall, als sie den Versueh bei Benutzung der bikonvexen Brille wiederholt. Nun lasse ich sie den Versuch bei Benutzung der bikonkaven Brille anstellen. Jetzt sieht sie eine gleichsinnige Bewegung. Eine andere emmetrope Vp. sah w\u00e4hrend einer m\u00e4fsigen seitlichen Kopfneigung eine gleichsinnige Bewegung der Leuchtlinie. Liefs ich sie die bikonkave Brille benutzen, so war die Scheinbewegung der Linie gleichfalls eine gleichsinnige. Bei Benutzung der bikonvexen Brille dagegen sah sie eine gegensinnige Bewegung. Man darf also bei Versuchen, die man \u00fcber das scheinbare Verhalten der Leuchtlinie bei Kopfbewegung anstellt, seine Vpn. nicht unbesehen verwenden.\nDas Bisherige bezog sich auf den Fall, dafs die um eine sagittale Achse stattfindende Kopfbewegung von der Vertikalstellung des Kopfes aus nach rechts oder links hin ausgef\u00fchrt werde. Was nun den Fall anbelangt, dafs die Kopfbewegung in der entgegengesetzten Richtung stattfindet, also der Kopf aus einer nach rechts oder links hin geneigten Stellung mehr oder weniger emporgerichtet wird, so gilt hier ganz Entsprechendes wie im bisher betrachteten Falle. Das Verhalten der Leuchtlinie, das sich bei dem Emporrichten des Kopfes konstatieren l\u00e4fst, bestimmt sich, zumal bei gr\u00f6fserer Geschwindigkeit des Emporrichtens, im allgemeinen nicht lediglich nach den Stellungen der Leuchtlinie, die den zu durchlaufenden Kopflagen als Dauerlagen zugeh\u00f6ren, sondern wird durch die im vorstehenden angef\u00fchrten Faktoren, die r\u00e4umliche Beharrungstendenz, die vor\u00fcbergehende Gegenrollung usw. mehr oder weniger modifiziert. Von diesen Faktoren bedarf hier nur die vor\u00fcbergehende Gegenrollung einer kurzen Besprechung. Nach den Feststellungen von Mulder (I, S. 88, 90 f.) tritt auch beim Wiederauf richten des Kopfes aus einer geneigten in eine weniger geneigte Stellung eine der Kopfbewegung entgegengesetzte, recht betr\u00e4chtliche Rollung vor\u00fcbergehender Art ein, infolge deren z. B. nach Wiedereintritt der normalen Kopf Stellung der vertikal empfindende Netzhautmeridian in Vergleich zu der ihm sonst bei der normalen Kopfhaltung zukommenden Stellung zun\u00e4chst noch nach der Seite geneigt sein kann, nach welcher der Kopf geneigt war. Wie Mulder hervorhebt, \u201eist das Zur\u00fcckbleiben des Auges, wenn man aus der","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n183\ngeneigten Stellung in die vertikale \u00fcbergeht, oft noch deutlicher festzustellen, als bei umgekehrter Bewegung. Und dies geschieht trotzdem, dafs das Auge infolge der Neigung bleibend in der entgegengesetzten Richtung abgewichen war.\u201c Wie unschwer zu erkennen, l\u00e4fst sich aus dem Eintreten dieser Art vor\u00fcbergehender Rollung die Beobachtung von Nagel (S. 382) erkl\u00e4ren, dafs, wenn bei einer festgehaltenen Kopfneigung (z. B. um 600 nach links hin) die vertikale Leuchtlinie f\u00fcr ihn auch den Anschein der Vertikalit\u00e4t angenommen habe, er dann durch ruckweises Aufrichten aus der geneigten Stellung der Linie mehrmalige Ausschl\u00e4ge von der Vertikalen, mit dem oberen Ende nach der entgegengesetzten Seite (nach rechts) hin, erteilen k\u00f6nne. Da viele Personen nicht imstande sind, bei einer Kopfbewegung von solcher Geschwindigkeit, dafs die vor\u00fcbergehende Gegenrollung in betr\u00e4chtlichem Grade auftritt, das Verhalten der Leuchtlinie hinl\u00e4nglich zu erfassen, so habe ich bei den nur wenig zahlreichen Versuchen, die ich \u00fcber das scheinbare Verhalten der Leuchtlinie beim Emporrichten des Kopfes aus der geneigten Stellung angestellt habe, keine Aussagen erhalten, welche eine Best\u00e4tigung der hier mitgeteilten Beobachtung Nagels enthielten. Erschien einer Vp. vom EA-Typus bei einer vorhandenen betr\u00e4chtlichen Kopfneigung die Leuchtlinie vertikal, so f\u00fchrte beim v\u00f6lligen Emporrichten des Kopfes, falls dieses langsam genug vor sich ging, die Leuchtlinie zun\u00e4chst eine gegensinnige, dem Kopfe entgegenkommende Bewegung aus, hierauf folgte eine r\u00fcckg\u00e4ngige, also gleichsinnige Bewegung, bis die Linie anscheinend wieder vertikal stand. Es kam auch vor, dafs nur die erstere, gegensinnige Bewegungsphase als beobachtet angegeben wurde und noch hinzugef\u00fcgt wurde, dafs am Schl\u00fcsse die Linie dennoch wieder vertikal gestanden habe. Wurde der Kopf aus der geneigten Stellung, bei welcher die Linie vertikal erschien, nur um ein m\u00e4fsiges St\u00fcck erhoben, so schien manchmal (unter der Mitwirkung der r\u00e4umlichen Beharrungstendenz) die Linie in ihrer vertikalen Stellung zu verharren, in anderen F\u00e4llen ging die Linie aus der vertikalen Stellung in eine gleichsinnig geneigte \u00fcber. Nach demjenigen, was fr\u00fcher \u00fcber das Verhalten des EA-Typus bemerkt worden ist, bed\u00fcrfen alle diese Beobachtungen keiner weiteren Erkl\u00e4rung. Platte die Vp. vom EA-Typus den Kopf so tief geneigt, dafs die Linie gegensinnig geneigt erschien, so war beim Emporrichten des Kopfes die erste der Beobachtung","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184\nGr. E. M\u00fcller.\nsich dar bietende Phase diejenige eines Zur\u00fcckgehens dieser gegensinnigen Neigung. Bei den Vpn. vom A-Typus liefs sich auch beim v\u00f6lligen Emporrichten des Kopfes nur ein Zur\u00fcckgehen der anf\u00e4nglichen A-Stellung der Leuchtlinie konstatieren, wobei, wie schon oben (S. 174) bemerkt, infolge der r\u00e4umlichen Beharrungstendenz die A-Stellung der Linie in der Regel auch beim Erreichen der Vertikalstellung des Kopfes noch nicht v\u00f6llig verschwunden war.\nDie gesamten Ausf\u00fchrungen dieses Paragraphen zusammenfassend, k\u00f6nnen wir Folgendes sagen. Der Fall, dafs die Leuchtlinie w\u00e4hrend einer seitlichen Kopfneigung oder w\u00e4hrend des Emporrichtens des Kopfes aus einer seitlich geneigten Stellung betrachtet wird, ist im Vergleich zu dem Falle, wo die Leuchtlinie sukzessiv bei mehreren geneigten Ruhestellungen des Kopfes betrachtet wird, ein betr\u00e4chtlich komplizierterer Fall, weil er folgende besondere Faktoren ins Spiel zieht: erstens die r\u00e4umliche Beharrungstendenz, zweitens die vor\u00fcbergehende Gegenrollung, drittens die M\u00f6glichkeit eines mehr oder weniger versp\u00e4teten Einsetzens der Gegenrollung, viertens den m\u00f6glichen Einflufs der Bildverschiebung auf der Netzhaut, f\u00fcnftens die Schwierigkeit, w\u00e4hrend einer Kopfbewegung die verschiedenen Bewegungsphasen der Leuchtlinie hinl\u00e4nglich vollst\u00e4ndig und richtig zu erfassen. Ber\u00fccksichtigt man nun weiter, dafs wir zurzeit gar nichts n\u00e4heres dar\u00fcber wissen, wie sich bei einer Kopfbewegung der hier in Rede stehenden Art die f\u00fcr den jeweiligen Ablenkungswert der B-Komponente mafsgebende Kopflokalisation verh\u00e4lt, dafs ferner alle soeben angef\u00fchrten Faktoren dem Einfl\u00fcsse der Individualit\u00e4t unterliegen, und dafs so lange, als man nicht zu wesentlich komplizierteren und umst\u00e4ndlicheren Versuchsanordnungen \u00fcbergeht, der n\u00e4here Verlauf der jeweilig vollzogenen Kopfbewegung dem Versuchsleiter ganz unbekannt bleibt, so erkennt man hinl\u00e4nglich, dafs nicht f\u00fcr jede Erschei-nung, die bei Versuchen der hier besprochenen Art sich beobachten l\u00e4fst, die Erkl\u00e4rung mit vollendeter Sicherheit gegeben werden kann, und dafs \u00fcberhaupt Versuche dieser Art nicht allzusehr dazu geeignet sind, \u00fcber die in dieser Abhandlung er\u00f6rterten Punkte der Lehre von der r\u00e4umlichen Lokalisation der visuellen Eindr\u00fccke genaue und zugleich sichere Ausk\u00fcnfte besonderer Art zu erteilen.","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n185\n\u00a7 10. F\u00e4lle von Unsicherheit hei Beurteilung der Stellung der bei geneigtem Kopfe betrachteten Leuchtlinie. Die Natur\ndieses Urteilsvorganges.\nVerschiedene Vpn. hoben ausdr\u00fccklich hervor, dafs die Leuchtlinie mit scharfer und andauernder Aufmerksamkeit betrachtet werden m\u00fcsse, damit \u00fcber die Stellung derselben mit der im gegebenen Falle \u00fcberhaupt m\u00f6glichen Sicherheit und Richtigkeit (d. h. Richtigkeit in Beziehung auf die scheinbare Stellung der Linie) geurteilt werden k\u00f6nne. Das Urteil, zu dessen Abgabe man auf den ersten Blick geneigt sei, halte oft nicht stand, wenn man die Linie einer aufmerksamen weiteren Betrachtung unterwerfe. Und bei Versuchen mit nur momentaner Darbietung der Leuchtlinie kann man seitens der Vp. leicht die Aussage erhalten, dafs eine gleich feine und sichere Beurteilung der Stellung der Linie wie bei dauernder Darbietung nicht m\u00f6glich sei.\nAber auch bei dauernder Darbietung der Leuchtlinie klagen manche Vpn. dar\u00fcber, dafs sie bei geneigtem Kopfe nur mit Unsicherheit \u00fcber die Stellung der Leuchtlinie urteilen k\u00f6nnten ; und zwar ist diese Unsicherheit um so gr\u00f6fser, je mehr geneigt der Kopf ist. Als bei einer Vp. auf Versuche mit einer Kopf-neigung von 40\u00b0 unmittelbar solche mit einer Kopfneigung von 90\u00b0 folgten, erkl\u00e4rte sie bei letzteren Versuchen ganz spontan, dafs ihr Urteil in h\u00f6herem Grade unsicher sei als bei den vorausgegangenen Versuchen. Von einer anderen Vp. wurden bei einer Kopfneigung von 135\u00b0 die Urteile als sehr unsicher bezeichnet. Eine dritte Vp. erkl\u00e4rte bereits bei einer Kopfneigung von 60 \u00b0, dafs bei derselben schwer zu entscheiden sei, was vertikal sei. Eine vierte Vp. erkl\u00e4rte einmal bei Versuchen mit einer Linksneigung des Kopfes von 90 \u00b0, als ihr die Leuchtlinie mit einer Rechtsneigung von 60 dargeboten war, dafs sie offenbar den Mafsstab f\u00fcr \u201evertikal\u201c verloren habe, sie schwanke zwischen \u201eganz vertikal\u201c und \u201esehr schr\u00e4g nach rechts\u201c. Bei Versuchen nach der Aufblitzmethode endlich gab eine in psychologischen und sinnesphysiologischen Beobachtungen sehr viel ge\u00fcbte Vp. (Collet) nach einer Darbietung der Leuchtlinie bei einer Kopfneigung von 900 an, dafs sie die Linie zwar gesehen habe, aber nicht sagen k\u00f6nne, ob sie nach rechts oder links geneigt oder","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186\nG. E. Millier.\nvertikal gewesen sei; es sei \u201eein eigent\u00fcmlicher Zustand\u201c gewesen. Auch Mulder (I, S. 110) berichtet, dafs er und seine Mitbeobachter bei Versuchen, bei denen sie horizontal gelagert gewesen seien, h\u00e4ufig nicht recht gewufst h\u00e4tten, wie die Leuchtlinie zu stellen sei, damit ihre scheinbare Stellung die vertikale sei.\nMit demjenigen, was nach Vorstehendem einige meiner Vpn. auf Grund der Selbstbeobachtung hinsichtlich der Sicherheit oder vielmehr Unsicherheit beim Urteilen ausgesagt haben, stehen nun auch die objektiven Versuchsresultate insofern in vollem Einkl\u00e4nge, afs die Streuung f\u00fcr das Urteil \u201evertikal\u201c bei diesen Vpn. um so gr\u00f6fser ist, je mehr geneigt der Kopf bei den Versuchen war. So betrug der Bereich von Neigungswinkeln der Leuchtlinie, bei denen das Urteil \u201evertikal\u201c mehr oder weniger oft eintrat, bei der oben erw\u00e4hnten Vp., die schon bei einer Kopfneigung von 60\u00b0 die Entscheidung dar\u00fcber, ob die Linie vertikal stehe, sehr schwer fand, bei dieser Kopfneigung von 60\u00b0 ungef\u00e4hr 18\u00b0, bei einer Kopfneigung von 20\u00b0 dagegen nur ungef\u00e4hr 6 \u00b0. Bei der zuletzt erw\u00e4hnten Vp. Collet betrug das in Rede stehende Streuungsgebiet bei den Kopfneigungen von 40 \u00b0, 60 \u00b0, 90 0 bzw. ungef\u00e4hr 6 \u00b0, 10 \u00b0, 18 \u00b0. \u00c4hnlich verhielt es sich bei anderen Vpn. Auch die Vpn. von Alexander und Barany (S. 423 ff.) zeigten zum Teil sehr ausgepr\u00e4gt das hier erw\u00e4hnte Verhalten. So betrug \u201edas unsichere Feld\u201c, d. h. der Bereich von Neigungen der Leuchtlinie, bei denen sowohl das Urteil \u201erechts geneigt\u201c als auch das Urteil \u201elinks geneigt\u201c vorkam, f\u00fcr die Kopfk\u00f6rperneigungen von 30\u00b0, 45\u00b0, 60\u00b0 bei einer Vp. 8,3 \u00b0, 14 \u00b0, 29 \u00b0, bei einer anderen Vp. 10 \u00b0, 16,6 \u00b0, 20,5 \u00b0, und bei einer dritten Vp. besafs das unsichere Feld bei einer Kopfneigung von 90\u00b0 einen Umfang von 17\u00b0, w\u00e4hrend es sich bei den sonstigen Kopfneigungen (von 20\u201470\u00b0) zwischen den Grenzen 50 und 90 bewegte.\nBei dieser Unsicherheit, welcher die Lokalisation einer gegebenen Linie bei geneigtem Kopfe unterliegen kann, falls nicht anderweite sichtbare Objekte als zuverl\u00e4ssige Anhaltspunkte dienen, einer Unsicherheit, die sich, wie obiges zeigt, bei kurzer Darbietungszeit bis zur unbestimmten Lokalisation steigern kann, ist es nicht zu verwundern, wenn Nebenfaktoren die Auffassung der Richtung einer Linie bei geneigtem Kopfe leichter oder st\u00e4rker zu beeinflussen verm\u00f6gen als bei normal gehaltenem","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n187\nKopfe. So fand F. B. Hofmann (S. 733 ff.), dafs der ablenkende Einflufs, den ein mit schr\u00e4gen geraden Strichen versehener gleichf\u00f6rmiger Grund auf die Einstellung der scheinbaren Vertikalen und der scheinbaren Horizontalen aus\u00fcbt, bei seitlicher Kopfneigung st\u00e4rker ist als bei normaler Kopfhaltung, und zwar in desto h\u00f6herem Grade, je geneigter der Kopf ist. Ferner geh\u00f6rt hierher die Tatsache, dafs die scheinbare Stellung der Leuchtlinie dem Einfl\u00fcsse der Einbildung und der Willk\u00fcr bei Betrachtung mit geneigtem Kopfe weit eher unterliegt als bei Betrachtung mit normaler Kopfhaltung. Schon die bei einer Kopfhaltung von 45\u00b0 getane Aufserung der Vp. Collet, man m\u00fcsse sich unbefangen der Gesamterscheinung hingeben, sonst sei man ratlos und verloren, deutet auf diesen Einflufs der Einbildung hin. Und dieselbe Vp. erkl\u00e4rte in verschiedenen F\u00e4llen,, wo die Leuchtlinie das fr\u00fcher erw\u00e4hnte Hin- und Herschwanken zwischen einer A-Stellung und einer E-Stellung zeigte, dafs sie willk\u00fcrlich die Linie in dieser oder in jener Stellung sehen k\u00f6nne. Bei einer anderen Vp. (Frl. Luckey) ging die Macht der Einbildung bei Beobachtung mit geneigtem Kopfe noch weiter. Sie gab nicht blofs in F\u00e4llen, wo die Linie zwischen gewissen Grenzen hin und her schwankte, die Erkl\u00e4rung ab, dafs sie nach Willk\u00fcr die Linie in jeder der innerhalb dieser Grenzen liegenden Stellungen sehen k\u00f6nne, sondern ihr gelang es z. B. auch bei einer andauernden Kopfneigung von 90\u00b0, die ihr zuerst in einer sehr ausgepr\u00e4gten A-Stellung (angeblich von ca. 45 \u00b0) erschienene, objektiv vertikale Leuchtlinie durch Willensanstrengung vertikal zu erblicken. Betrachtete sie dann aber die Linie wieder unbefangen, so erschien sie abermals gegensinnig geneigt. Leichter gelang es ihr, bei jener Kopfneigung die anf\u00e4nglich in deutlicher A-Stellung erschienene Linie vertikal zu erblicken, wenn die Linie objektiv nicht vertikal stand, sondern ein wenig (z. B. um 6\u00b0) gleichsinnig geneigt war. Es ist hervorzuheben, dafs dieselbe Vp. bei normaler Kopfhaltung die Leuchtlinie nicht einmal dann willk\u00fcrlich als eine vertikale erblicken konnte, wenn ihre Stellung um 4\u00b0, 3\u00b0 oder auch nur um 2\u00b0 von derjenigen Stellung abwich, in welcher sie sich dieser Vp. bei normaler Kopfhaltung und sonst normalen Bedingungen als vertikal darstellte. Die Beeinflufsbarkeit der Linienstellung durch den Willen ist also in der Tat bei geneigtem Kopfe eine viel hochgradigere-als bei normaler Kopfhaltung.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188\nGr. E. M\u00fcller\nEs ist nun aber noch ausdr\u00fccklich hervorzuheben, dafs, wie schon oben angedeutet, die hier geschilderte Unsicherheit hinsichtlich der Lokalisation der Leuchtlinie sich nur bei manchen, nicht aber bei allen Vpn. findet. So z. B. kann ich selbst Aussagen der oben mitgeteilten Art f\u00fcr meine Person nicht im mindesten unterschreiben. Ich finde keineswegs, dafs es bei einer Kopfneigung von 600 oder 90 0 oder auch 1400 schwer ist, zu entscheiden, was vertikal sei; und niemals bei den sehr zahlreichen Beobachtungen der Leuchtlinie, die ich bei geneigtem Kopfe angestellt habe, ist es mir passiert, dafs ich glaubte, den Mafsstab f\u00fcr \u201evertikal\u201c verloren zu haben. Entsprechendes gilt von einigen meiner Mitbeobachter. Auch Sachs und Meller (I, S. 393) und Feilchenfeld (S. 129) bemerken, dafs die Aussagen bei jeder Kopfneigung mit Bestimmtheit oder sogar grofser Bestimmtheit erfolgen, und Nagel (S. 375) erkl\u00e4rt, dafs er bei einer Kopfneigung von 90\u00b0 eine ganz bestimmte Vorstellung von der Richtung der Schwerlinie besitze. Soweit die n\u00e4here Charakterisierung der Stellung der Leuchtlinie bei geneigtem Kopfe f\u00fcr mich zuweilen eine etwas erschwerte ist, beruht dies (abgesehen von den sogleich zu besprechenden F\u00e4llen einer scheinbaren Tiefenerstreckung der Leuchtlinie) darauf, dafs die Linie sich bisweilen als eine in Bewegung befindliche oder unruhige zeigt, so dafs das Urteil, zu dessen Abgabe man soeben bereit ist, schon im n\u00e4chsten Augenblick nicht mehr g\u00fcltig erscheint, nicht aber darauf, dafs bei vorhandener Kopfneigung die Begriffe des Vertikalen, Horizontalen usw. mir ihren Dienst versagen. Es scheinen hier also zwei verschiedene Typen von Vpn. (nebst entsprechenden \u00dcbergangsformen) gegeben zu sein. Und es scheint mir nur ein Ausdruck dieses Typusunterschiedes zu sein, wenn zwar bei einigen der Vpn. von Alexander und Bar\u00e4ny, wie oben gesehen, der Umfang des unsicheren Feldes eine deutliche Zunahme bei wachsender Kopfneigung zeigt, andere Vpn. dagegen keine Abh\u00e4ngigkeit dieses Feldes von dem Grade der Kopfneigung erkennen lassen. So entsprach z. B. bei einer Vp. siner blofsen Kopfneigung (Neigung des Kopfes allein) von 30\u00b0, 40\u00b0, 50\u00b0, 60\u00b0 ein unsicheres Feld von bzw. 7\u00b0, 3\u00b0, 6\u00b0, 6\u00b0; bei einer anderen Vp. geh\u00f6rte zu einer blofsen Kopfneigung von 30\u00b0, 45\u00b0, 60\u00b0 ein unsicheres Feld von 5,6\u00b0, 4\u00b0, 5,8\u00b0; und bei einer dritten Vp. fand sich f\u00fcr eine Kopfk\u00f6rperneigung von 30 \u00b0, 45\u00b0, 60\u00b0 der Umfang des unsicheren Feldes gleich 8\u00b0, 6\u00b0, 5\u00b0.","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n189\nIch habe schon fr\u00fcher erw\u00e4hnt, dafs die Lenchtlinie trotz ihrer in Wirklichkeit vertikalen und ungef\u00e4hr frontalparallelen Stellung sich zuweilen in ausgepr\u00e4gter Weise in die Tiefe zu erstrecken scheint, indem entweder ihr oberes Ende dem Beobachter n\u00e4her zu sein scheint als das untere Ende oder das Umgekehrte der Fall ist.1 Es kommt vor, dafs die zum Fufs-boden tats\u00e4chlich senkrechte Leuchtlinie in einer Ebene, die mit dem Fufsboden einen Winkel von ca. 45\u00b0 bildet, von vom nach hinten zu verlaufen scheint. Es ist nun hier zu bemerken, dafs eine solche scheinbare Tiefenerstreckung der Leuchtlinie der Konstatierung kleiner nach rechts oder links gerichteter scheinbarer Neigungen der Leuchtlinie ung\u00fcnstig ist, und zwar um so mehr, in je h\u00f6herem Grade sie sich der Aufmerksamkeit aufdr\u00e4ngt. Es kam vor, dafs die Vp. bei geringer seitlicher Kopfneigung eine Neigung der Leuchtlinie nach rechts oder links hin zun\u00e4chst nicht zu konstatieren vermochte, wohl aber ihrem Erstaunen \u00fcber die scheinbare Tiefenerstreckung der Linie Ausdruck gab. Als aber pl\u00f6tzlich dieser Anschein einer Tiefenerstreckung geschwunden war, gab sie die Erkl\u00e4rung ab, dafs ihr die Linie ein wenig seitlich geneigt erscheine.\nWas nun das Wesen des Vorganges betrifft, durch den die Vp. zu einem mehr oder weniger sicheren oder unsicheren Urteile \u00fcber die Stellung der Leuchtlinie gelangt, so lassen sich in dieser Hinsicht drei F\u00e4lle unterscheiden.\nAm h\u00e4ufigsten ist der Fall, dafs die Vp. erkl\u00e4rt, ihr Urteil \u00fcber die Stellung der Linie sei ein ganz unmittelbares durch keinerlei besondere Vorstellungen, Reflexionen oder Kunstgriffe vermitteltes. Eine Vp. dr\u00fcckte dies treffend in der Weise aus, dafs sie sagte, ihr Urteil sei in demselben Sinne ein unmittelbares, in welchem das Urteil, eine vorgef\u00fchrte Farbe sei weifs, ein unmittelbares sei. Unter Umst\u00e4nden wird der \u00c4ufse-rung, dafs das Urteil ein ganz unmittelbares oder ganz naives sei, noch die Bemerkung hinzugef\u00fcgt, dafs das Urteil oft erst nach einem wiederholten Auf- und Abgleiten des Blickes an der Leuchtlinie abgegeben werde.2\n1\tLetzteres beobachteten auch Sachs und Meller (I, S. 396).\n2\tWie F. B. Hofmann (S. 732 f.) gefunden hat, k\u00f6nnen die ersten von einer Vp. bei einer bestimmten seitlichen Kopfneigung ausgef\u00fchrten Einstellungen der Vertikalen oder der Horizontalen von merkbarem Einfl\u00fcsse auf die nachfolgenden Einstellungen gleicher Art sein. Ein solcher Ein-\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 49.\t13","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\nG. E. M\u00fcller.\nDer zweite Fall ist der, dafs die Stellung der Leuchtlinie mit vollem Bewufstsein mit der bekannten Stellung gewisser (nur im Vorstellungsbilde gegebener) Gegenst\u00e4nde des Dunkelzimmers verglichen wird. So gab eine Vp. an, \u201eschr\u00e4g\u201c bedeute bei ihr \u201eschr\u00e4g im Zimmerraum\u201c ; sie lasse den Blick in der dunklen Umgebung der Leuchtlinie hin und her gehen, wie sie glaube, deshalb, weil sie bei solchen Blickbewegungen eine richtige Vorstellung davon habe, wie die Wand, die T\u00fcre usw. des Zimmers st\u00fcnden. Fasse sie die Linie allein ins Auge, so k\u00f6nne sie leicht der Versuchung unterliegen, sie f\u00fcr eine vertikale zu halten.* 1 Eine Vp. erkl\u00e4rte, dafs sie die Stellung der Leuchtlinie auf die Achse ihres K\u00f6rpers, soweit derselbe nicht durch die Kopfneigung verschoben sei, beziehe.2 3\nDer dritte Fall endlich ist der, dafs die Vp. die Stellung der Linie mit der Stellung einer im Vorstellungsbilde vergegenw\u00e4rtigten vertikalen Linie vergleicht. Dieser Fall fand sich bei der oben (S. 187) erw\u00e4hnten Vp. Luckey verwirklicht. Sie gab an, dafs sie die Leuchtlinie mit einer vorgestellten Vertikalen vergleiche und zwar hierbei entweder die ganze Leuchtlinie mit der ganzen vorgestellten Linie oder nur die Endpunkte der ersteren Linie mit den Endpunkten der letzteren vergleiche, wobei die Aufmerksamkeit auf die Endpunkte gerichtet sei.a Das letztere Verfahren scheine ihr das genauere zu sein.\nflufs schliefst die Unmittelbarkeit des Urteiles nicht aus, wenn es auch Vorkommen kann, dafs die Vp. bei einer neuen Einstellung sich ausdr\u00fccklich der bei dem vorangegangenen Versuche von ihr als richtig befundenen Einstellung zu erinnern sucht.\n1\tStelle ich bei geneigtem Kopfe die T\u00fcre und die W\u00e4nde des Dunkelzimmers und den Tisch, auf dem der Apparat mit der Leuchtlinie steht, mir absichtlich m\u00f6glichst deutlich vor, so haben diese Vorstellungsbilder auch nicht den mindesten Einflufs auf die scheinbare Stellung der Leuchtlinie und meine Beurteilung derselben.\n2\tIch bin nicht ganz sicher, ob diese Aussage oder das ihr zugrunde liegende Verhalten nicht durch vorausgegangene Versuche von anderweiter (in \u00a7 12 zu erw\u00e4hnender) Art, bei denen die Vergleichung der Stellung der Leuchtlinie mit der Stellung der hier genannten Achse eine wesentliche Bolle spielte, suggeriert worden ist.\n3\tIch lasse dahingestellt, ob die Vp. L. wirklich immer auf diesem mittelbaren Wege zu ihrem Urteile gelangt ist, und ob ihr Urteil mitunter nicht doch ein unmittelbares im oben angegebenen Sinne war.\nDie von der Vp. L. benutzte Methode, behufs Beurteilung der Kich-tung der Leuchtlinie das Vorstellungsbild einer Vertikalen heranzuziehen,","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n191\nHandelt es sich nicht blofs um die Beantwortung der Frage, ob die Linie vertikal, nach rechts oder links geneigt erscheine, sondern soll eventuell zugleich auch die Zahl der Grade gesch\u00e4tzt werden, um welche die Linie geneigt erscheint, so nehmen nat\u00fcrlich auch solche, deren Urteil bei Beantwortung der soeben erw\u00e4hnten Frage ein unmittelbares ist, zu visuellen Hilfsvorstellungen oder dgl. mit ihre Zuflucht. Man sucht sich die Vertikale oder die Horizontale oder auch eine gegen die Vertikale um 45 0 geneigte Gerade vorzustellen und den Winkel abzusch\u00e4tzen, den die Leuchtlinie mit der vorgestellten Linie bildet, oder man sieht zu, wie oft man wohl den von der Leuchtlinie und einer vorgestellten Vertikalen gebildeten Winkel auf dem von der vorgestellten Vertikalen und einer vorgestellten Horizontalen gebildeten rechten Winkel abtragen k\u00f6nne, u. dgl. m. Das eigent\u00fcmliche Verfahren einer Vp., die Stellung der Leuchtlinie mit einer bestimmten Stellung des Uhrzeigers zu identifizieren, ist schon fr\u00fcher (S. 124f.) erw\u00e4hnt worden.\nHinsichtlich der hier angef\u00fchrten drei Arten des Urteilsvorganges ist kurz Folgendes zu bemerken. Wir haben durch Wahrnehmungen von Gegenst\u00e4nden, die vor uns als vertikal stehende oder als nach rechts oder links geneigte bezeichnet worden sind, und durch Wahrnehmungen von Bewegungen, die nach ihrer Richtung von uns charakterisiert worden sind, diejenige Lokalisation in Beziehung auf das S-System kennen gelernt, welche eine Linie besitzen mufs, um als vertikal, als nach rechts geneigt, als nach links geneigt oder dgl. bezeichnet werden zu d\u00fcrfen, wenn auch selbstverst\u00e4ndlich unsere Kenntnis der vertikalen Richtung keine ganz vollkommene geworden ist. Hierbei fanden unsere Wahrnehmungen von K\u00f6rpern und K\u00f6rperbewegungen vorwiegend bei aufrechter Kopfhaltung, manchmal aber auch bei seitlicher Kopfneigung statt, Ist nun nach solchen Erfahrungen eine im Dunkeln vorgef\u00fchrte Leuchtlinie mit einer bestimmten Lokalisation in Beziehung auf das S-System gegeben, so kann diese Lokalisation ohne weiteres durch Assoziation das richtige Urteil erwecken. In diesem Falle ist das Urteil ein un-\nerinnert an das von manchen Vpn. angewandte Verfahren, \u00fcber den Kr\u00fcmmungsgrad einer gegebenen Bogenlinie mit Hilfe einer im Vorstellungsbilde vergegenw\u00e4rtigten Linie zu urteilen, die entweder der Sehne des Bogens oder (der seltenere Fall) der Mitteltangente desselben entspricht (man vergleiche Buhler a. a. O. S. 81 und 105).\n18*","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\nG. E. M\u00fcller.\nmittelbares. Da nun aber die F\u00e4lle, wo die erw\u00e4hnten Assoziationen gestiftet wurden, vorwiegend F\u00e4lle waren, wo die aufrechte Kopfhaltung vorhanden war, so fungieren diese Assozi-tionen in dem Falle, dafs der Kopf in h\u00f6herem Grade seitlich geneigt ist, nicht bei allen Yp. in hinl\u00e4nglich eindeutiger und prompter Weise. Ypn. dieser Art klagen dar\u00fcber, dafs ihre Beurteilung der Stellung der Leuchtlinie nur eine unsichere sei. Wird die Funktion jener Assoziationen durch die seitliche Kopfneigung noch mehr gest\u00f6rt, so ist ein unmittelbares Urteil \u00fcberhaupt nicht m\u00f6glich, und die Vp. sucht zu einem Urteile dadurch zu gelangen, dafs sie sich Gegenst\u00e4nde, z. B. die W\u00e4nde des Zimmers vorstellt und die Stellung der Leuchtlinie mit der Stellung dieser Gegenst\u00e4nde vergleicht, oder dafs sie sich ausdr\u00fccklich zu vergegenw\u00e4rtigen sucht, wie sich ihr eine in der Gegend der Leuchtlinie befindliche vertikale Linie darstellen w\u00fcrde, und dann die Stellung der Leuchtlinie in Vergleich zur Stellung dieser eingebildeten vertikalen Linie bringt.\n\u00a7 11. \u00dcber die F\u00e4lle richtigen Yertikalerscheinens der\nLeuchtlinie bei geneigtem Kopfe. Die Yertikaltendenz.\nWenn auch in gewissem Sinne von einer normalen Kopfhaltung gesprochen werden kann, so ist doch die Tatsache nicht zu \u00fcbersehen, dafs wir auch im gew\u00f6hnlichen Leben die Gegenst\u00e4nde unserer Umgebung zuweilen mit geneigtem, mitunter sogar mit sehr geneigtem Kopfe betrachten. Es kommt vor, dafs wir mit schief gehaltenem, durch den Unterarm gest\u00fctztem Kopfe am Tische sitzend oder auf einer Seite im Bette oder auf dem Sofa liegend unsern Blick umherschweifen lassen. Befindet sich ferner zwischen uns und einem Gegenst\u00e4nde, den wir n\u00e4her beobachten wollen, ein anderer Gegenstand, z. B. ein Pfeiler, so neigen wir oft, um nicht erst unseren Standpunkt wechseln zu m\u00fcssen, einfach den Kopf zur Seite. Und in der Regel beurteilen wir bei einer solchen mit geneigtem Kopfe stattfindenden Gesichtswahrnehmung die Stellung des betrachteten Objektes richtig, sei es auf Grund unserer Kenntnis seiner eigenen Natur, die eine bestimmte Stellung mit sich bringt, sei es auf Grund unserer Wahrnehmung bestimmter Gegenst\u00e4nde der Umgebung, z. B. des Fufsbodens und der Zimmert\u00fcr. Es erhebt sich daher die Frage, ob die bisher vorgekommenen F\u00e4lle, wo wir im Hellen bei geneigtem Kopfe Ge-","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n193\nsichtsobjekte betrachtet und im wesentlichen richtig hinsichtlich ihrer Stellungen beurteilt haben, f\u00fcr den Fall, dafs es sich um die Wahrnehmung einer im Dunkeln bei geneigtem Kopfe dargebotenen Leuchtlinie handelt, nicht eine Tendenz hinterlassen haben, die Stellung der Leuchtlinie richtig wahrzunehmen. Es fragt sich also, ob f\u00fcr eine im Dunkeln bei geneigtem Kopfe vorgef\u00fchrte, auf bestimmten Teilen beider Netzh\u00e4ute sich abbildende Leuchtlinie nur Lokalisationstendenzen bestehen, die sich darnach bestimmen, welche Stellung eine auf diesen Netzhautteilen bei normaler Kopfhaltung im Hellen einwirkende Linie in Beziehung auf das S-System oder das B-System (K-System) besafs, oder ob aufserdem auch eine Lokalisationstendenz vorhanden ist, die sich danach bestimmt, welche Stellung in Beziehung auf das S-System oder B System (K-System) eine Linie besafs, die im Hellen auf diese Netzhautteile einwirkte, als dem Kopfe ganz dieselbe Neigung erteilt war, die er gegenw\u00e4rtig bei Betrachtung der im Dunkeln dargebotenen Leuchtlinie besitzt. Wir wollen eine derartige Tendenz zur richtigen Wahrnehmung der Stellung der bei geneigtem Kopfe betrachteten Leuchtlinie behufs Vermeidung von Umst\u00e4ndlichkeiten des Ausdruckes kurz als eine R-Tendenz oder R-Komponente bezeichnen, ohne hier durch die Einf\u00fchrung dieser Bezeichnung hinsichtlich der Frage, ob eine solche Komponente wirklich existiere, etwas entscheiden zu wollen. Von vornherein mufs man sich klar machen, dafs eine solche R-Tendenz, falls sie besteht, nicht etwa zur Folge haben mufs, dafs die Stellung der Leuchtlinie stets im wesentlichen richtig wahrgenommen wird, sondern eben nur eine Lokalisation stendenz ist, die neben der S- und der B-Komponente besteht und sich je nach Umst\u00e4nden in sehr verschiedenem Grade geltend machen kann. Da in der Praxis des Lebens die Beobachtungen bei geringeren Kopfneigungen im allgemeinen h\u00e4ufiger sind als die Beobachtungen bei ausgiebigeren Kopfneigungen1,\n1 Dafs es, wenigstens bei manchen Individuen, gewisse st\u00e4rkere Kopfneigungen gibt, bei denen deshalb, weil sie bei gewissen h\u00e4ufig eintretenden Situationen (z. B. Liegen auf einer Seite im Bette oder auf dem Sofa) vorhanden zu sein pflegen, mehr Beobachtungen angestellt werden als bei gewissen schw\u00e4cheren Kopfneigungen, soll durch die obige Behauptung, die wir ausdr\u00fccklich nur als eine im allgemeinen g\u00fcltige auf gestellt haben, nicht im mindesten bestritten werden.","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194\nG. E. M\u00fcller.\nso w\u00fcrde man vorauszusetzen haben, dafs die R-Komponente im allgemeinen um so st\u00e4rker ist, je geringer die jeweilige Kopfneigung ist.\nWas nun die Frage anbelangt, ob die Existenz einer solchen R-Komponente wirklich anzunehmen sei, so scheint es, als ob man dieselbe in Hinblick auf gewisse, zum Teil schon fr\u00fcher von mir wiedergegebene Mitteilungen von Nagel (S. 379 ff.) bejahen m\u00fcsse. Nagel berichtet, dafs er \u2014 und dasselbe gelte von einem Teile seiner Mitbeobachter \u2014 die vertikale Leuchtlinie bei einer den Betrag von 50\u2014600 nicht \u00fcberschreitenden Kopfneigung \u201egew\u00f6hnlich\u201c vertikal erblicke.1 Sei diese Grenze \u00fcberschritten, so zeige sich ihm die vertikale Leuchtlinie gegensinnig geneigt. Nur selten erscheine ihm die letztere auch schon bei Kopfneigungen unter 50\u00b0 mit gegensinniger Neigung. Wenn er ferner die vertikale Leuchtlinie w\u00e4hrend einer einigermafsen raschen Ausf\u00fchrung einer seitlichen Kopfneigung, die 600 nicht \u00fcberschreite, beobachte, so f\u00fchre die Leuchtlinie eine scheinbare Bewegung gleichsinniger Art aus. Halte er nun aber den Kopf nach einer solchen Seitw\u00e4rtsbewegung von etwa 300 still, so werde die Linie in der Regel alsbald vertikal, bald so langsam, dafs der unmittelbare Eindruck einer Drehung fehle, bald so schnell, dafs dieser Eindruck deutlich vorhanden sei. Selten bleibe der Eindruck der schiefen Lage mehrere Sekunden bestehen.\nDiese Mitteilungen Nagels sind ohne Zweifel geeignet, die Ansicht zu erwecken, dafs in der Tat bei manchen Individuen in dem Falle, dafs der Betrag der Kopfneigung kleiner als 50\u00b0 sei, sich die R-Tendenz als bestehend und sogar als f\u00fcr die scheinbare Stellung der Leuchtlinie fast ausschliefslich mafsgebend erweise. Um nun zu diesen Mitteilungen Stellung nehmen zu k\u00f6nnen, lege ich zun\u00e4chst dar, inwieweit sich bei meinen Versuchen gleichfalls F\u00e4lle ergeben haben, wo die objektiv vertikale Leuchtlinie trotz vorhandener Kopfneigung auch vertikal erschien, und wie das Zustandekommen dieser von mir beobachteten F\u00e4lle zu erkl\u00e4ren ist. Eine teilweise Wiederholung von schon fr\u00fcher Erw\u00e4hntem l\u00e4fst sich hierbei leider nicht vermeiden.\nWir haben schon fr\u00fcher (S. 126 f.) gesehen, dafs, wenn die Vp. vom EA-Typus ist, bei gewissen Kopfneigungen \u2014 wir\n1 Die \u00fcbrigen Mitbeobachter von Nagel erblickten die vertikale Leuchtlinie auch schon bei geringen Kopfneigungen als eine gegensinnig geneigte.","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n195\nwollen sie kurz die indifferenten Kopfneigungen nennen \u2014 der Fall gegeben ist, dafs sich die S- und die B-Komponente mit ihren ablenkenden Beeinflussungen der Leuchtlinie gegenseitig genau oder mit sehr grofser Ann\u00e4herung das Gleichgewicht halten, und mithin die scheinbare Stellung der vertikalen Leuchtlinie nicht merkbar von ihrer wirklichen Stellung abweicht. Und zwar ist es im allgemeinen ein einen merkbaren Umfang besitzender Bereich von Kopfneigungen, bei welchem die Vp. eine Abweichung der Stellung der Leuchtlinie von der Vertikalen nicht zu konstatieren vermag, wenn auch prinzipiell betrachtet jener Gleichgewichtszustand bei gegebenen Umst\u00e4nden \u00e4ufserer und innerer Art nur bei einer einzigen Kopfneigung vollkommen existieren kann. L\u00e4fst man eine Vp. von jenem Typus den Kopf langsam nach der Seite neigen, so erscheint ihr, wie schon fr\u00fcher erw\u00e4hnt, oft w\u00e4hrend eines ganz erheblichen Teiles der Kopfbewegung die Leuchtlinie vertikal. Gem\u00e4fs der in diesem Erscheinungsgebiete herrschenden Inkonstanz besitzt ferner der Bereich der indifferenten Kopfneigungen in verschiedenen F\u00e4llen oft eine etwas verschiedene Lage. Es kam vor, dafs selbst eine Kopfneigung von 900 die vertikale Leuchtlinie noch vertikal erscheinen liefs. Wird nun die vertikale Leuchtlinie bei einer erheblichen oder bedeutenden Kopfneigung, z. B. einer solchen von 450 oder von 90 \u00b0, vertikal gesehen, so kann man den Beweis daf\u00fcr, dafs es sich hierbei um einen Gleichgewichtszustand der oben angegebenen Art und nicht etwa um eine Wirkung der fraglichen R-Tendenz handelt, einfach dadurch erhalten, dafs man die Vp. veranlafst, die Beobachtung der Leuchtlinie bei weniger geneigtem Kopfe zu wiederholen. Ist die Differenz der beiden Kopfneigungen nicht zu gering gew\u00e4hlt, so findet die Vp. bei der neuen Kopfneigung dann in der Regel, dafs die Leuchtlinie sich ihr als eine gleichsinnig geneigte darstelle. Dieses Verhalten ist das zu erwartende, wenn man das Vertikalerscheinen der vertikalen Linie bei der anf\u00e4nglichen Kopfneigung als die Folge eines Gleichgewichtszustandes zwischen den ablenkenden Einfl\u00fcssen der S-und der B-Komponente auffafst. Da dem fr\u00fcher (S. 131) Gesehenen gem\u00e4fs bei abnehmender Kopfneigung der Ablenkungswert der ersteren Komponente sich in gr\u00f6fserem Verh\u00e4ltnisse verringert als derjenige der letzteren Komponente, so mufs ein solcher Gleichgewichtszustand bei Verringerung der Kopfneigung","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196\nGr. E. M\u00fcller.\nnotwendig einem \u00dcberwiegen des Einflusses der B-Komponente Platz machen. Hingegen ist die bei der geringeren Kopfneigung beobachtete gleichsinnige Neigung der Leuchtlinie nicht recht begreiflich, wenn man das Vertikalerscheinen der Linie bei der st\u00e4rkeren Kopfneigung als eine Wirkung der fraglichen R-Ten-denz auffafst. Denn von dieser Tendenz w\u00fcrde ja anzunehmen sein, dafs sie sich bei abnehmender Kopfneigung im allgemeinen eher verst\u00e4rke als verringere.\nIch f\u00fchre ein Beispiel daf\u00fcr an, wie man in dem Falle, dafs die Kopfneigung, bei der die Vp. die ersten Beobachtungen am zustellen hat, zuf\u00e4llig eine indifferente ist, zun\u00e4chst leicht zu der Vermutung gelangen kann, man habe es mit einer Vp. zu tun, bei der sich wirklich die R-Tendenz als bestehend und zwar unter Umst\u00e4nden sogar als f\u00fcr das Verhalten der Leuchtlinie ausschliefslich mafsgebend erweise. Ich bot einer Vp. bei einer Kopfneigung von ca. 500 die Leuchtlinie zuerst als eine um 6 ^ nach links geneigte dar ; sie erkl\u00e4rte zu meinem Erstaunen, dafs die Linie um 5 \u00b0, vielleicht auch um 7,50 nach links geneigt sek Als ich hierauf bei der gleichen Kopfneigung die Linie in vertikaler Stellung vorf\u00fchrte, wurde sie f\u00fcr vertikal erkl\u00e4rt, und mit einer Rechtsneigung von 60 dargeboten erschien sie bald nach links, bald nach rechts geneigt, aber die scheinbare Rechtsneigung \u00fcberwog. Bei der gleichen Kopfneigung wurde am n\u00e4chsten Tage abermals die Leuchtlinie bei vertikaler Stellung f\u00fcr vertikal, bei Linksneigung von 4\u00b0 f\u00fcr wenig nach links und bei Rechtsneigung von 4 0 f\u00fcr wenig nach rechts geneigt erkl\u00e4rt. Als ich aber nun die Beobachtungen der Leuehtlinie bei einer um ca. 10\u00b0 geringeren Kopfneigung vornehmen liefs, war sofort aller Anschein einer Herrschaft der R-Tendenz verschwunden \u00a3 das E-Ph\u00e4nomen trat deutlich hervor, indem z. B. die Leuchtlinie bei in Wirklichkeit vertikaler Stellung gleichsinnig geneigt erschien und bei scheinbar vertikaler Stellung in Wirklichkeit gegensinnig geneigt war. In entsprechender Weise zeigte sich bei hochgradigeren Kopfneigungen deutlich das A-Ph\u00e4nomen.\nWie wir fr\u00fcher gesehen haben, kommt es bei gewissen Kopfneigungen im Falle andauernder Betrachtung oft vor, dafs die vertikale Leuchtlinie zuerst in E-Stellung, dann als eine vertikale und zuletzt in A-Stellung gesehen wird. Es unterliegt keinem Zweifel, dafs in derartigen F\u00e4llen das Vertikalerscheinen der Linie dadurch zustande kommt, dafs ein anf\u00e4ngliches \u00dcber-","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubert sehe Ph\u00e4nomen.\n197\nwiegen des Einflusses der B-Komponente \u00fcber den Einflufs der S-Komponente durch den Gleichgewichtszustand zwischen beiden Einfl\u00fcssen hindurch in den gegenteiligen Zustand \u00fcbergeht, und nicht etwa dadurch, dafs zun\u00e4chst in der Hauptsache nur die B-Komponente wirksam ist, hierauf allm\u00e4hlich die fragliche R-Tendenz zur ausschliefslichen Herrschaft gelangt und dann pl\u00f6tzlich die S-Komponente sich mit geltend macht. Man wird nat\u00fcrlich auch in den F\u00e4llen, wo der Vorgang ein abgek\u00fcrzter ist, indem auf eine anf\u00e4ngliche E- Stellung ein andauerndes Ver* tikalerscheinen oder auf ein anf\u00e4ngliches Vertikalerscheinen eine andauernde A - Stellung folgt, das Zustandekommen des Vertikal-erscheinens in entsprechender Weise aufzufassen haben.1\nEine nicht zu \u00fcbersehende Tatsache ist die, dafs es eine Tendenz gibt, das Urteil \u201evertikal\u201c ohne gen\u00fcgende Grundlage daf\u00fcr in solchen unklaren I \u00e4llen abzugeben, wo neben anderen Urteilen auch das Urteil \u201evertikal\u201c nicht ausgeschlossen ist. Diese Urteilstendenz macht sich, wie zu erwarten, namentlich bei \\pn. von dem fr\u00fcher (S. 185 f.) erw\u00e4hnten Typus geltend, der durch Unsicherheit des Urteiles bei geneigtem Kopfe charakterisiert ist. Sie tritt aber auch bei sonstigen Vpn. in F\u00e4llen, wo die Auffassung der Stellung der Leuchtlinie nur eine fl\u00fcchtige ist oder, wie bei der momentanen Darbietung der Leuchtlinie, \u00fcberhaupt nur eine fl\u00fcchtige sein kann, gelegentlich hervor. Wenn ich hier von einer Urteilstendenz gesprochen habe, so bedarf dies noch einer gewissen Erg\u00e4nzung. Wir haben fr\u00fcher (S. 187) gesehen, dafs bei gewissen Individuen die scheinbare Stellung der bei geneigtem Kopfe betrachteten Leuchtlinie unter Umst\u00e4nden dem Einfl\u00fcsse der Einbildung stark unterliegt. Wir haben demgem\u00e4fs auch mit dem Vorkommen einer Tendenz zu rechnen, die Stellung der Leuchtlinie nicht blofs als eine vertikale zu beurteilen, sondern sie illusorisch als eine vertikale wahrzunehmen. Da nun vielfach ganz dahingestellt bleiben mufs, inwieweit die durch eine gewisse Voreingenommenheit zustande kommenden Urteile \u201evertikal\u201c auf einer blofsen Urteilstendenz, und inwieweit sie auf einer Tendenz zu einer illusorischen Auffassung beruhen, so soll hier kurzweg von einer Vertikal-\n1 Erscheint die Leuchtlinie nur im allerersten Moment vertikal, dann aber sofort geneigt, so kann, -wie weiterhin noch besonders hervorgehoben wird, auch Ungenauigkeit der ersten Auffassung im Spiele sein.","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198\nG. E. M\u00fcller.\nten den z gesprochen werden, indem bei Benutzung dieser Bezeichnung ganz unentschieden gelassen werden soll, ob es sich um eine Tendenz von der ersteren oder von der zweiten Art oder von beiderlei Art zugleich handelt.\nDafs eine solche Yertikaltendenz unter Umst\u00e4nden tats\u00e4chlich eine Rolle bei den Versuchen spielt, ergeben schon Aussagen der Vpn. So tat eine Vp. die schon fr\u00fcher (S. 190) angef\u00fchrte \u00c4ufse-rung, dafs sie eine Neigung habe die Leuchtlinie als eine vertikale aufzufassen, wenn sie dieselbe allein ins Auge fasse; und dieselbe Vp. bemerkte nach einem Versuche, bei dem sie die ihr bei einer Kopfneigung von 300 dargebotene vertikale Leuchtlinie f\u00fcr gegensinnig geneigt erkl\u00e4rte, dafs ihr in einem Momente, wo sie das Raumbewufstsein verloren gehabt habe, die Linie vertikal erschienen sei. Eine andere Vp., die eine um 6\u00b0 nach rechts geneigte Leuchtlinie bei einer Linksneigung des Kopfes um 30\u00b0 bei einem ersten Versuche f\u00fcr vertikal, bei einem sogleich darauf folgenden zweiten Versuche f\u00fcr stark nach rechts geneigt erkl\u00e4rt hatte, bemerkte dann, dafs sie bei dem ersten Versuche die Stellung der Linie noch nicht recht habe beurteilen k\u00f6nnen; dabei hatte sie aber doch das Urteil \u201evertikal\u201c gewissermafsen als Notbehelf abgegeben. Eine dritte Vp. gab bei einem Versuche, bei dem ihr eine um 60 nach rechts geneigte Leuchtlinie bei einer Rechtsneigung des Kopfes um 90\u00b0 momentan dargeboten wurde, das Urteil \u201evertikal\u201c ab, erkl\u00e4rte aber zugleich, dafs sie mit gleichem Rechte die Linie auch als eine ein wenig nach rechts oder als eine ein wenig nach links geneigte h\u00e4tte bezeichnen k\u00f6nnen. Ferner weist auch schon die Tatsache, dafs gerade bei den allerersten Versuchen mit einer Vp. die mit geneigtem Kopfe betrachtete Leuchtlinie verh\u00e4ltnism\u00e4fsig so h\u00e4ufig f\u00fcr vertikal erkl\u00e4rt wird, hinl\u00e4nglich darauf hin, dafs die Ungewohntheit der bei geneigtem Kopfe vorhandenen Urteilssituation\n\u2022 \u2022\nund der Mangel an \u00dcbung in einer gewissenhaften, aufmerksamen Auffassung der Stellung der Leuchtlinie zu einer h\u00e4ufigen Abgabe des Urteils \u201evertikal\u201c disponieren. Eine Vp. z. B. erhielt bei den 7 ersten mit ihr angestellten Versuchen die vertikale Leuchtlinie bei einer Kopfneigung von 45 \u00b0, 20 \u00b0, 70 \u00b0, 90 \u00b0, 20 \u00b0, 45 \u00b0, 850 vorgef\u00fchrt. In allen 7 F\u00e4llen erkl\u00e4rte sie die Linie f\u00fcr vertikal, und ich glaubte schon wirklich einmal auf eine Vp. ge-stofsen zu sein, bei der die fragliche R-Tendenz die Herrschaft f\u00fchre. An den nachfolgenden Versuchstagen zeigte sich aber in","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n199\nganz unzweifelhafter Weise, dafs es sich um eine Vp. vom EA-Typus handelte, die bei den Kopfneigungen von 200 und von 45\u00b0 das E-Ph\u00e4nomen beobachtete, und bei der im Falle einer Kopfneigung von 90\u00b0 die scheinbare Vertikale eine gleichsinnige Neigung von ca. 140 besafs. Endlich hat wohl auch die grofse Zahl der F\u00e4lle, wo die mit geneigtem Kopfe betrachtete Leuchtlinie nur im ersten Momente f\u00fcr eine vertikale erkl\u00e4rt wird, zu einem Teile darin ihren Grund, dafs die Auffassung des ersten Momentes noch eine ungenaue ist.\nWas den Ursprung dieser Vertikaltendenz anbelangt, so d\u00fcrfte derselbe mindestens zu einem Teile von \u00e4hnlicher Art sein wie der Ursprung der Bevorzugung der Ziffern 0 und 5, die sich bei Sch\u00e4tzungen gr\u00f6fserer Distanzen, bei Zeitsch\u00e4tzungen, bei Sch\u00e4tzungen von Lebensaltern u. dgl. in den Endziffern der bei den Sch\u00e4tzungen angegebenen Zahlen zeigt.1 Die vertikale Richtung ist eben in Vergleich zu anderen ihr nahestehenden Richtungen ein ausgezeichnete, einzigartige, sich deshalb der Erinnerung und Erwartung besonders leicht aufdr\u00e4ngende. Vielleicht kann man hinzuf\u00fcgen, dafs in der Praxis des Lebens diejenigen geraden Linien, die unsere Aufmerksamkeit erwecken, ganz besonders h\u00e4ufig solche seien, die nicht merkbar von der Vertikalen abweichen, was gleichfalls in gewissem Grade im Sinne der Entstehung der Vertikaltendenz wirke. Diese Tendenz findet sich, wie gesehen, auch bei solchen Versuchen, welche die ersten der \u00fcberhaupt mit der betreffenden Vp. angestellten Versuche sind; sie ist also nicht als eine erst durch die Versuche herangez\u00fcchtete Tendenz anzusehen, wenn auch nicht in Abrede gestellt werden kann, dafs unter Umst\u00e4nden auch der Gang der Versuche geeignet sein kann sie zu wecken oder zu verst\u00e4rken. Nach einigen Versuchen, bei denen die Leuchtlinie in der wagerechten Stellung und in dieser nahestehenden anderen Stellungen vorgef\u00fchrt wurde, scheint mir die Behauptung gerechtfertigt, dafs, wie zu erwarten, wenigstens bei gewissen Personen auch eine der Vertikaltendenz entsprechende Bevorzugung der wagerechten Richtung sich zeigt.\nEs versteht sich von selbst, dafs die Vertikaltendenz durch ein Wissen davon, dafs die Linie in Wirklichkeit vertikal stehe,\n1 Man vgl. hier\u00fcber M. Bauch in Marbes Fortschritten der Psychologie, 1, 1913, S. 205 ff.","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200\nG. E. M\u00fcller.\nleicht verst\u00e4rkt werden kann. Die Nachteiligkeit eines solchen Wissens wurde auch ausdr\u00fccklich von einer Vp. hervorgehoben.\nUm nicht durch den Einflufs der Yertikaltendenz und des soeben erw\u00e4hnten Wissens zu irrigen Schlufsfolgerungen veran-lafst zu werden, mufs man die bei vorhandener Kopfneigung zu beurteilende Leuchtlinie nicht blofs in vertikaler Stellung, sondern auch in geneigten Stellungen vorf\u00fchren. Ein Bestehen der R-Tendenz m\u00fcfste sich dann ebenso wie bei der vertikalen Stellung der Linie auch bei den geneigten Stellungen derselben geltend machen. Ferner ist zu beachten, dafs bei manchen Ypn. der Bereich der Linienstellungen, die bei der Betrachtung mit geneigtem Kopfe vertikal erscheinen, ein recht erheblicher, auch die objektiv vertikale Stellung mit enthaltender sein kann, ohne dafs der mittlere Wert der scheinbaren Vertikalen mit der objektiv Vertikalen hinreichend \u00fcbereinstimmt. Man kann es leicht erleben, dafs das Urteil \u201evertikal\u201c, das zun\u00e4chst bei objektiv vertikaler Stellung der Leuchtlinie abgegeben wurde, hierauf mit gleicher Promptheit auch bei geneigten Stellungen derselben eintritt, und dafs sp\u00e4ter eine n\u00e4here Verarbeitung der bei den verschiedenen Linienneigungen erhaltenen Resultate zeigt, dafs der mittlere Wert der scheinbaren Vertikalen keineswegs mit der objektiv Vertikalen zusammenf\u00e4llt. Selbst die Tatsache, dafs die objektiv Vertikale bei einer Mehrzahl von Versuchen jedesmal richtig f\u00fcr vertikal erkl\u00e4rt worden ist, beweist noch keineswegs, dafs der mittlere Wert der scheinbaren Vertikalen mit der objektiv Vertikalen identisch sei.\nEin letzter Faktor, der sich unter Umst\u00e4nden dahin geltend machen kann, dafs die objektiv vertikale Leuchtlinie auch bei erheblich geneigtem Kopfe vertikal gesehen wird, ist die r\u00e4umliche Beharrungstendenz. Wir haben fr\u00fcher (S. 174) gesehen, dafs, wenn die Leuchtlinie bei geneigtem Kopfe eine Zeitlang als eine in bestimmter Richtung geneigte gesehen worden ist, dann nach Herstellung der normalen Kopfhaltung oder nach Beugung des Kopfes nach der anderen Seite eine mitunter recht starke Tendenz besteht, die Linie noch weiterhin als eine in jener Richtung geneigte zu erblicken. In entsprechender Weise kann dann, wenn die Leuchtlinie zun\u00e4chst bei der normalen Kopfhaltung oder bei einer indifferenten Kopfneigung vertikal erschienen ist, nach Herstellung einer an und f\u00fcr sich nicht indifferenten Kopfneigung eine Tendenz, die Linie noch weiterhin","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n201\nals eine vertikale zu erblicken, sich merkbar machen und bewirken, dafs eine zu der neuen Kopfhaltung an und f\u00fcr sich zugeh\u00f6rige Schr\u00e4gstellung der Linie nicht konstatiert wird. Wird der Kopf von einer indifferenten Kopfneigung aus, die eine gewisse Zeit hindurch festgehalten worden ist, langsam erhoben, so kann die r\u00e4umliche Beharrungstendenz zur Folge haben, dafs die Linie bei Kopfneigungen, denen eigentlich eine E-Stellung der Linie zugeh\u00f6rt, noch vertikal erscheint, und somit einen viel zu grofsen Umfang des Bereiches der indifferenten Kopfneigungen Vort\u00e4uschen. Eine hierher geh\u00f6rige Aussage ist auch die Erkl\u00e4rung der Vp. Luckey, dafs, wenn es ihr einmal bei geneigtem Kopfe gelungen sei, die ihr zun\u00e4chst in schr\u00e4ger Stellung erschienene Leuchtlinie durch willk\u00fcrliches Bem\u00fchen als eine vertikale zu sehen, alsdann bei fortgesetzter Betrachtung die scheinbar vertikale Stellung der Linie sich leicht von selbst wieder einstelle.\nNach dem im vorstehenden Dargelegten glaube ich, dafs man nicht berechtigt ist auf die oben angef\u00fchrten Mitteilungen Nagels hin zu behaupten, bei manchen Individuen mache sich die R-Tendenz geltend und zwar in dem Mafse, dafs sie bei Kopfneigungen, die 50\u2014600 nicht \u00fcberschritten, die vertikale Leuchtlinie in der Regel auch als eine vertikale erblickten. Es w\u00e4re doch \u00e4ufserst merkw\u00fcrdig, wenn Nagel bei seinen Versuchen zuf\u00e4llig eine ganze Anzahl von Vpn. gehabt h\u00e4tte, die einem Typus angeh\u00f6rten, der weder bei meinen mit 15 Vpn. an-gestellten Versuchen noch bei den Versuchen der anderen bisherigen Untersucher hervorgetreten ist. Auf der anderen Seite ist es doch sehr auffallend, dafs Nagel, obwohl er 19 Vpn. benutzt hat, doch von keiner einzigen angibt, dafs sie bei vorhandener geringer oder m\u00e4fsiger Kopfneigung eine gleichsinnige Neigung der Leuchtlinie beobachtet habe, w\u00e4hrend von meinen 15 Vpn. nur eine einzige und zwar eine solche, mit der ich zu wenige Versuche angestellt habe, das E-Ph\u00e4nomen nicht beobachtet hat und die meisten sogar Vertreter eines stark ausgepr\u00e4gten E A - Typus waren. Nagel weifs nur zu berichten, dafs er und einige seiner Mitbeobachter w\u00e4hrend einer einigermafsen raschen Ausf\u00fchrung einer Kopfneigung, die 600 nicht \u00fcberschreite , eine gleichsinnige Bewegung der Leuchtlinie wahrn\u00e4hmen. Offenbar ist der Sachverhalt folgender. Die Vpn. Nagels, die angeblich erst bei einer vorhandenen Kopfneigung","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202\nG. E. Muller.\nvon mehr als 50\u2014600 die vertikale Leuchtlinie als eine geneigte erblickten, waren vom EA-Typus, worauf bereits jene gleichsinnige Bewegung, die sie w\u00e4hrend der Ausf\u00fchrung einer m\u00e4fsigen seitlichen Kopfneigung beobachteten, hindeutet. Nagel hat sich nun damit begn\u00fcgt, diese Vpn. bei nur wenigen Kopfneigungen, deren Betrag geringer als 600 war, zu untersuchen. Diese Kopfneigungen waren zu einem grofsen Teile solche, die als indifferente Kopfneigungen im oben angegebenen Sinne auch schon bei Abwesenheit besonderer das Urteil \u201evertikal\u201c beg\u00fcnstigender Umst\u00e4nde die objektiv vertikale Leuchtlinie auch vertikal erscheinen lassen mufsten. Da er nun \u00fcberdies, soweit sich aus dem Fehlen jeglicher diesbez\u00fcglicher Bemerkung schliefsen l\u00e4fst, den Einflufs der Vertikaltendenz, des Wissens von der wirklichen (vertikalen) Stellung der Leuchtlinie und der r\u00e4umlichen Beharrungstendenz nicht ber\u00fccksichtigt hat und nicht daf\u00fcr gesorgt hat, dafs alle Vpn. die Leuchtlinie nicht blofs in vertikaler Stellung, sondern auch in geneigten Stellungen dargeboten erhielten, so ist ihm das Bestehen des E-Ph\u00e4nomens (abgesehen von dem Falle der Beobachtung der Leuchtlinie w\u00e4hrend der Ausf\u00fchrung einer Kopfneigung) ganz entgangen.\nDurch das Bisherige ist nicht ausgeschlossen, dafs es einen gewissen Bereich von der normalen Kopfhaltung nur wenig abweichender oder, wie man vielleicht sagen darf, selbst noch als normale Kopfhaltungen zu bezeichnender Kopfneigungen gibt, die s\u00e4mtlich das A- oder das E- Ph\u00e4nomen auch bei genauester Untersuchung nicht erkennen lassen, d. h. also einen kleinen Bereich von Kopfneigungen gibt, bei deren Vorhandensein wirklich die P-Tendenz die Stellung der Leuchtlinie v\u00f6llig bestimmt.1\n1 Fkilchenbeld (S. 133) gibt an bei seinen Versuchen gefunden zu haben, dafs bei Meinen Kopfneigungen \u201edas Urteil \u00fcber vertikal\u201c ebenso oder nahezu so bestimmt und richtig wie bei aufrechter Kopfhaltung sei. Unter den kleinen Kopfneigungen m\u00fcssen hier Kopfneigungen verstanden sein, die viel geringer sind als eine Kopfneigung von 20\u00b0. Denn in einem von ihm auf S. 130 mitgeteilten Falle betr\u00e4gt bei einer Kopfneigung von 20\u00b0 die AuBEETSche T\u00e4uschung immer noch 5\u00b0. Die Frage, ob ein einen merkbaren Umfang besitzender Bereich von Kopfneigungen, der in der obigen Weise zu charakterisieren ist, wirklich existiert, ist von erheblichem theoretischen Interesse, kann aber selbstverst\u00e4ndlich nicht durch etliche beil\u00e4ufige Versuche, sondern nur durch sehr ausgedehnte Untersuchungen von sozusagen astronomischer Genauigkeit entschieden werden. Es ist anzunehmen, dafs es eine \u00dcbergangsform vom ausgepr\u00e4gten EA-Typus zum","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n203\nEs ist anzunehmen, dafs, falls es einen solchen Bereich von Kopf-neigungen in merkbarem Umfange wirklich gibt, der Umfang desselben von der Individualit\u00e4t abh\u00e4ngig ist. Ich fand wenigstens, allerdings bei einer nur geringen Versuchszahl, dafs eine Vp. vom EA-Typus bei einer Kopfneigung von 10\u00b0 f\u00fcr die in verschiedenen Stellungen dargebotene Leuchtlinie Resultate ergab, die keinen sicheren Unterschied von den Resultaten erkennen liefsen, die diese Vp. f\u00fcr dieselben Stellungen der Linie bei normaler Kopfhaltung lieferte, w\u00e4hrend eine andere Vp. von demselben Typus schon bei noch geringerer Versuchszahl einen ganz deutlichen Unterschied zwischen den Ergebnissen beider Konstellationen erkennen liefs. Sieht man von der M\u00f6glichkeit ab, dafs ein kleiner Bereich von Kopfneigungen von der hier charakterisierten Art besteht, so beruhen alle F\u00e4lle, wo die vertikale Leuchtlinie bei geneigtem Kopfe f\u00fcr vertikal erkl\u00e4rt wird, entweder darauf, dafs zwischen der B- und der S-Komponente v\u00f6llig oder ann\u00e4hernd ein Gleichgewichtszustand besteht, oder darauf, dafs die Vertikaltendenz oder ein Wissen von der wirklichen Stellung der Leuchtlinie oder die r\u00e4umliche Beharrungstendenz wirksam ist, oder darauf, dafs mehrere dieser Umst\u00e4nde oder Faktoren zugleich im Spiele sind, wobei noch die Unvollkommenheit unseres Beurteilungs- und Unterscheidungsverm\u00f6gens zu ber\u00fccksichtigen ist, die uns Stellungen, die nur sehr wenig von der scheinbar Vertikalen ab weichen, nicht von dieser unterscheiden l\u00e4fst.\nWenn wir hier von der M\u00f6glichkeit gesprochen haben, dafs die Erfahrung bewirke, dafs bei gewissen geringen Kopfneigungen die Stellung der Leuchtlinie richtig wahrgenommen werde, so haben wir damit das binokulare Sehen und die Erfahrung des binokularen Sehens vor Augen\nreinen A-Typus darstellende Individuen gibt, bei denen die indifferente Kopfneigung, bei der sich die B- und die S-Komponente mit ihren ablenkenden Einfl\u00fcssen auf die Leuchtlinie gegenseitig gerade das Gleichgewicht halten, der normalen Kopfhaltung nahe steht, z. B. nur den Betrag von 10\u00b0 besitzt. Bei einem solchen Individuum kann nat\u00fcrlich infolge der Unvollkommenheit des Verm\u00f6gens, die scheinbaren Stellungen der Leuchtlinie zu beurteilen und zu unterscheiden, bei nicht sehr eingehender und nicht sehr genauer Untersuchung leicht der Anschein entstehen, dafs sich an die normale Kopfhaltung beiderseits ein erheblicher, z. B. 15\u00b0 umfassender, Bereich von Kopfneigungen anschliefse, bei denen allen die Stellung der Leuchtlinie infolge des Einflusses der Erfahrung richtig auf-gefafst wrerde.","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204\nG. E. Millier.\ngehabt. Die visuelle Erfahrung der mit einem normalen Gesichtssinne Begabten ist im wesentlichen eine durch das binokulare Sehen erworbene. Dafs das monokulare Sehen als solches keine Erfahrung schafft, die bewirkt, dafs die Stellung der Leuchtlinie bei gewissen Kopfneigungen richtig wahrgenommen wird, zeigt ja schon die Tatsache, dafs infolge der bekannten schiefen Lage der vertikalempfindenden Netzhautmeridiane das monokulare Sehen selbst bei normaler Kopfhaltung eine scheinbare Vertikale liefert, die im allgemeinen von der objektiv Vertikalen in konstatierbarem Grade Abweicht. Soweit das monokulare Sehen unter Erfahrungseinfl\u00fcssen steht, handelt es sich um Einfl\u00fcsse der binokular erlangten Erfahrung. Ist ja doch die soeben erw\u00e4hnte schiefe Lage der vertikalempfindenden Netzhautmeridiane nach den Ausf\u00fchrungen von Helmholtz (S. 863) gleichfalls durch die Bed\u00fcrfnisse des binokularen Sehens entstanden. \u2014\nGibt es einen kleinen Bereich von Kopfneigungen, bei denen die R-Tendenz die scheinbare Stellung der Leuchtlinie v\u00f6llig bestimmt, so macht sich diese Tendenz vermutlich auch noch f\u00fcr st\u00e4rkere Kopfneigungen geltend, aber eben nur in der Weise, dafs sie neben der B- und der S-Kom-ponente wirkt und zwar mit dem Erfolge, dafs die scheinbare Stellung der Leuchtlinie von derjenigen Stellung, die diese bei alleinigem Wirken der B- und der S - Komponente besitzen w\u00fcrde, mehr oder weniger nach der wirklichen Stellung der Leuchtlinie hin abwreicht. Allgemein ist zu sagen : falls das Gewicht der R-Tendenz nicht so grofs ist, dafs die Gewichte der B- und der S-Komponente demselben gegen\u00fcber ganz verschwinden, so kann ein Vorhandensein der R-Tendenz nur die Ausgepr\u00e4gtheit des E- oder A-Ph\u00e4nomens, das der gegebenen B- und S-Komponente entspricht, verringern. Demgem\u00e4fs ist auch ein etwaiges Mitwirken der R-Tendenz, falls diese nicht jenes \u00fcberhohe Gewicht besitzt, sehr schwer festzustellen. \u2014 Es w\u00e4re von Interesse, n\u00e4her zu untersuchen, wie Individuen, die, etwa in Berufsgesch\u00e4ften, ihren Kopf t\u00e4glich Stunden lang stark seitlich geneigt halten, die Stellung der ihnen im Dunkeln dargebotenen Leuchtlinie W'ahrnehmen, wenn sie dieselbe bei jener ihnen gewohnten Kopfneigung betrachten. Trotz Bem\u00fchens war es mir leider nicht m\u00f6glich, ein derartiges Individuum aufzutreiben.\n\u00a7 12. Die scheinbare Stellung der Leuchtlinie bei gewissen\nungew\u00f6hnlicheren K\u00f6rperhaltungen.\nSachs und Meller (II, S. 97 ff.) behaupten auf Grund ihrer Versuche, dafs auch eine blofse Schieflagerung des K\u00f6rpers nach der rechten oder linken Seite hin bei Belassung des Kopfes in seiner aufrechten Stellung zur Folge habe, dafs eine im Dunkeln dargebotene vertikale Leuchtlinie, in einem allerdings nur m\u00e4fsigen Grade, entgegengesetzt geneigt erscheine wie der K\u00f6rper. Entsprechendes fanden Alexander und Barany (S. 359) bei nicht gerade zahlreichen Versuchen an einem Normalen, w\u00e4hrend die","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n205\nbetr\u00e4chtlich zahlreicheren Versuche an einem Taubstummen f\u00fcr die scheinbare Vertikale eine Neigung ergaben, die bald die gleiche, bald die entgegengesetzte Richtung besafs wie die dem K\u00f6rper (ausschlielslich des aufrecht erhaltenen Kopfes) erteilte Neigung. Andererseits behauptet Nagel (S. 390) mit voller Bestimmtheit, dafs f\u00fcr den Eintritt des A-Ph\u00e4nomens ausschliefs-lich die Haltung des Kopfes mafsgebend sei. \u201eSteht dieser vertikal, so kann man dem Rumpfe beliebige Neigungen gegen die Vertikale geben, ohne dafs je eine Andeutung des Ph\u00e4nomens eintrete.\u201c Ich selbst habe an 4 Personen Versuche \u00fcber diesen Punkt angestellt. W\u00e4hrend die Vp. sitzend ihren Oberk\u00f6rper m\u00f6glichst schief nach rechts oder links hin hielt, wurde mittels der fr\u00fcher erw\u00e4hnten Einbeifsvorrichtung f\u00fcr eine aufrechte Stellung des Kopfes gesorgt. Es zeigte sich in \u00dcbereinstimmung mit der Angabe Nagels, dafs die Schiefhaltung des Rumpfes gar keinen Einflufs auf die scheinbare Stellung der Leuchtlinie aus\u00fcbte; die Leuchtlinie erschien so wie bei normaler K\u00f6rper-haltung.1\nWill man trotz alledem bei der grofsen Rolle, welche die Individualit\u00e4t in diesem Gebiete spielt, das obige Versuchsergebnis von Sachs und Meller als ein wenigstens f\u00fcr gewisse Individuen wirklich g\u00fcltiges ansehen und eine Erkl\u00e4rung daf\u00fcr geben, so liegt es nahe, folgendes zu sagen. Vielen Sinnest\u00e4uschungen liegt folgendes, nur einen Spezialfall der G\u00fcltigkeit des Gesetzes der Substitution2 darstellendes Prinzip zugrunde : Wenn ein Eindruckskomplex (z. B. der Komplex m n o), zu dessen Bestandteilen der Eindruck m geh\u00f6rt, sehr oft mit einer Vorstellung v verbunden gewesen ist, so kann sich eine Tendenz\nDas von mir bei diesen V ersuchen benutzte Verfahren weicht von dem Verfahren, das Sachs und Meller bei den oben erw\u00e4hnten Versuchen benutzten, insofern ab, als bei diesen nicht blofs dem Rumpfe, sondern abgesehen von dem Kopfe dem ganzen K\u00f6rper die betreffende Schiefstellung erteilt wurde. Es diente hierzu ein grofses, um eine sagittale Achse drehbares Brett, an das der K\u00f6rper der Vp. mittels breiter B\u00e4nder angeschnallt wurde, nebst zweckentsprechenden Zusatzvorrichtungen.\nEs mag hier daran erinnert werden, dafs schon A. Nagel {Archiv f. Ophth. 1<, 1871, 1. Abt., S. 248) festgestellt hat, dafs eine K\u00f6rperneigung keine Gegenrollung der Augen zur Folge hat, wenn w\u00e4hrend derselben der Kopf in der senkrechten Stellung verharrt.\n2 Man vergleiche betreffs desselben M\u00fcller und Pilzecker in der -Zeitschr. f. Psychol., Erg\u00e4nzungsband 1, 1900, S. 212 ff.\nZeitschr, f. Sinnesphysiol. 49.\n14","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206\nG. E. M\u00fcller.\nzur Reproduktion von v auch dann geltend machen, wenn m als Bestandteil eines Eindruckskomplexes auftaucht, dessen Glieder zum Teil von denen jenes oft dagewesenen Komplexes ab weichen (z. B. als Bestandteil des Komplexes m n/ o auf tritt, wo n' von n verschieden ist). So beruht z. B. bei der gew\u00f6hnlichen Form des Aristotelischen Versuches die T\u00e4uschung darauf, dafs sich der Komplex, der aus gewissen Ber\u00fchrungseindr\u00fccken und den aus der normalen Haltung des Mittelfingers und Goldfingers entspringenden Lageeindr\u00fccken besteht, mit der Vorstellung zweier diese beiden Finger an bestimmten Stellen ber\u00fchrenden Kugeln oder dgl. assoziiert hat, und dafs nun auf Grund dieser Assoziation jene Ber\u00fchrungseindr\u00fccke irref\u00fchrender Weise auch dann die soeben erw\u00e4hnte Vorstellung erwecken, wenn sie in Verbindung mit den aus einer gekreuzten Lage beider Finger entspringenden Lageeindr\u00fccken gegeben sind. Indem man nun obiges Prinzip auf unseren Fall anwendet, kann man folgendes bemerken. Die Eindr\u00fccke, die bei einer k\u00fcnstlichen Vertikalhaltung des Kopfes und Schr\u00e4gstelluug des sonstigen K\u00f6rpers nach rechts hin daraus entspringen, dafs der Kopf der linken Schulter gen\u00e4hert ist, sind Eindr\u00fccke, die im gew\u00f6hnlichen Leben nur dann einzutreten pflegen, wenn der Kopf nach links hin von der Vertikalen ab weicht. Ihr Vorhandensein in Verbindung mit gewissen anderen, aus einer Linksneigung des Kopfes entspringenden Eindr\u00fccken (z. B. Eindr\u00fccken des statischen Sinnes) ist also mit der Vorstellung eines Geneigtseins des Kopfes nach links hin assoziiert. Dem obigen Prinzipe gem\u00e4fs k\u00f6nnen sie aber eine Tendenz zur Reproduktion dieser letzteren Vorstellung auch dann erwecken, wTenn sie nicht von sonstigen aus einer Linksneigung des Kopfes entspringenden Eindr\u00fccken, sondern von gewissen Eindr\u00fccken begleitet sind, die f\u00fcr den Fall charakteristisch sind, dafs der Kopf bei starker Rechtsneigung des sonstigen K\u00f6rpers vertikal gehalten wird. Sie k\u00f6nnen also zur Folge haben, dafs sich die B-Komponente so geltend macht, als w\u00e4re der Kopf etwas nach links geneigt \\\n1 Wenn Sachs und Meller (II, S. 99) bemerken, dafs bei seitlich geneigtem K\u00f6rper, aber auf gerichtetem Kopfe der letztere, wenn auch nur wenig, nach derselben Seite geneigt erscheine wie der K\u00f6rper, so mufs man die schon fr\u00fcher (S. 141 ff.) von mir besprochene Art und Weise, wie sie seitens der Vp. die scheinbare K\u00f6rper- oder Kopflage bestimmen liefsen, wohl bedenken und den Umstand ber\u00fccksichtigen, dafs die in jener Weise","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n207\nd. h. dahin wirkt, die vertikale Leuchtlinie als eine mit ihrem oberen Ende nach links hin geneigte erscheinen zu lassen, also mit einer Neigung erscheinen zu lassen, die der Neigung des Rumpfes entgegengesetzt ist. Da ein Eindruck eine reproduzierende Wirksamkeit, die er in einer gewohnten Verbindung mit anderen Eindr\u00fccken zu haben pflegt, als Glied eines andersgearteten, neuen Eindruckskomplexes nicht regelm\u00e4fsig, sondern nur zuweilen oder unter besonderen Bedingungen infolge von Substitution besitzt, so w\u00fcrde es sich nach der hier gegebenen Erkl\u00e4rung leicht begreifen lassen, dafs der von Sachs und Meller gefundene Emflufs der blofsen K\u00f6rperneigung auf die scheinbare Stellung der Leuchtlinie sich bei manchen anderen bisher untersuchten Vpn. nicht gezeigt hat und nach dem von jenen Forschern (II, S. 99) Mitgeteilten sich auch bei ihren eigenen Versuchen nicht unter allen Umst\u00e4nden mit Evidenz ergeben hat.\nViel weitgehender als die im vorstehenden besprochene Angabe von Sachs und Meller ist dasjenige, was von Cyon (S. 217f.) hinsichtlich des Auftretens des A-Ph\u00e4nomens behauptet. Er will durch Versuche festgestellt haben, dafs dieses Ph\u00e4nomen \u00fcberhaupt nur dann eintritt, wenn der Kopf gegen den Rumpf geneigt ist, dagegen ausbleibt, wenn der Kopf zwar gegen die Vertikale (z. B. um 90 \u00b0) geneigt ist, aber in Beziehung auf den schief (wagerecht) gelagerten Rumpf die normale Stellung besitzt, also keiner der beiden Schultern mehr gen\u00e4hert ist als der anderen. \u201eEs folgt also . . ., dafs die A\u00fcBERTsche T\u00e4uschung nicht auftritt, auch wenn der Kopf um 90\u00b0 zur vertikalen Linie geneigt ist, in den F\u00e4llen, wo diese Neigung durch die Lagerung des Gesamtk\u00f6rpers erzielt wird ; dafs sie aber auch bei unbeweg-\nerhaltenen Bestimmungen der scheinbaren Kopflage notwendig von dem Fehler beeinflufst waren, mit dem nach den eigenen Versuchsresultaten von Sachs und Meller die durch den Tastsinn vermittelten, haptischen Beurteilungen der mit der Stellung der Kopfachse zu vergleichenden, jeweiligen Stellung des Messingstabes behaftet waren. Angenommen z. B., die Vp. stellte sich bei nach rechts geneigtem K\u00f6rper, aber vertikal gehaltenem Kopfe ihren Kopf als vertikal stehend oder als ein wenig nach links geneigt vor, so mufste sie, da nach den eigenen Versuchsresultaten von Sachs und Meller (II, S. 97 f.) bei nach rechts geneigtem K\u00f6rper die f\u00fcr die haptische Auffassung Vertikale gleichfalls und zwar ziemlich stark nach rechts geneigt ist, die Lage des Kopfes f\u00e4lschlicherweise dann mit der Lage des Messingstabes \u00fcbereinstimmend finden, wenn diesem gleichfalls eine Neigung nach rechts erteilt war.\n14*","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208\nGr. E. M\u00fcller.\nlichem Kopfe erscheint, wenn der Rumpf zum Kopfe geneigt wird.\u201c Ich habe sehr viele Versuche \u00fcber das A-Ph\u00e4nomen angestellt, bei denen der K\u00f6rper der Vp. horizontal auf einem Tische ausgestreckt und zugleich auch der Kopf derselben mittels einer geeigneten Unterlage so gelagert war, dafs er bei vertikal stehender Basallinie in Beziehung auf den Rumpf nicht geneigt war. Bei diesen Versuchen zeigte die Leuchtlinie in der Regel die gegensinnige, \u00e4ufserst selten die gleichsinnige Neigung. In anderen seltenen F\u00e4llen wurde die vertikale Leuchtlinie, trotzdem dafs der Kopf um 90\u00b0 gegen die Vertikale geneigt war, f\u00fcr vertikal erkl\u00e4rt. Zur Erkl\u00e4rung dieser F\u00e4lle ist bereits im vorigen Paragraphen das Erforderliche bemerkt. \u2014\nNagel (S. 382 ff.) berichtet, dafs er ganz entsprechende gleichsinnige Scheinbewegungen der Leuchtlinie, wie er in dem Falle wahrnehme, dafs er vor der vertikalen Leuchtlinie stehend oder sitzend den Kopf aus der vertikalen Stellung einigermafsen rasch seitw\u00e4rts neige, auch dann beobachte, \u201ewenn die beobachtete Lichtlinie in einer horizontalen Ebene sich befindet, auf welche man von oben, stehend mit auf die Brust gesenktem Kopfe oder auf einem hohen Tische in Bauchlage liegend, hinabblickt. Die Ebene des Gesichts ist dann ebenfalls horizontal, und Drehung des Kopfes in dieser Ebene bei feststehendem Rumpfe l\u00e4fst die entsprechenden Scheinbewegungen deutlich auftreten. Ein Analogon des AuBEETschen Ph\u00e4nomens, eine dauernde T\u00e4uschung \u00fcber die Lage der Linie, tritt in diesem Falle nicht ein.\u201c Nagel hat dann diese Versuche noch mit einer Vp. wiederholt, die, anders wie er selbst, bei den \u00fcblichen Versuchen mit einer vertikal stehenden Leuchtlinie das A-Ph\u00e4nomen schon bei geringen und m\u00e4fsigen Kopfneigungen konstatierte, und gefunden, dafs bei dieser Vp. die in einer horizontalen Ebene stattfindende Drehung des auf die Brust gesenkten Kopfes von einer gegensinnigen Drehung der horizontal stehenden Leuchtlinie begleitet war.\nIch habe diese Versuche Nagels unter Heranziehung von f\u00fcnf Mitbeobachtern wiederholt, zun\u00e4chst unter Benutzung der beiden von Nagel benutzten Verfahrungsweisen (Herabblicken auf die dicht \u00fcber dem Fufsboden horizontal stehende Leuchtlinie erstens bei auf die Brust gesenktem Kopfe und zweitens bei Bauchlage auf einem Tisehe). Bei diesen Versuchsarten ist jedoch der Kopf der Leuchtlinie zu nahe, so dafs eine Bewegung","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n209\ndesselben, bei welcher der Blick der Leuchtlinie zugewandt bleibt, mit zu starken V erschiebungen der Gesichtslinien in Beziehung auf den Kopf verbunden ist. Auch hat grofse N\u00e4he der Leuchtlinie leicht den nicht genug zu beachtenden Nachteil, dafs die Umgebung der letzteren nicht v\u00f6llig unerkennbar ist. Ich ging deshalb dazu \u00fcber, die Versuche am sp\u00e4ten Abend bei mit schwarzen T\u00fcchern verhangenen Fenstern im unerleuchteten Treppenhause des Institutsgeb\u00e4udes anzustellen. Die Vp. stand auf einem Treppenabs\u00e4tze und schaute aus einer Entfernung von ca. 3V2 oder 5 m auf die ungef\u00e4hr senkrecht unterhalb ihres Kopfes befindliche, horizontal stehende Leuchtlinie herab. Diese stand in der Kegel ungef\u00e4hr senkrecht oder parallel zu der Ebene des Gel\u00e4nders, das sich vor der Vp. befand. Bei den einen Versuchen stand die Vp. in aufrechter Haltung dicht vor dem Gel\u00e4nder in der Weise, dafs die Medianebene ihres Kumpfes senkrecht zur Ebene des Gel\u00e4nders stand. Nur der Kopf war um ca. 90u nach vorn hin gesenkt, und zwar entweder so, dafs er ohne jede Verschiebung nach rechts oder links hin auf die Brust (nach dem Brustbein hin) herabgebeugt war (die Normalstellung), oder so, dafs er nach rechts vorn oder links vorn herabgesenkt war (die Schr\u00e4gstellungen). Bei den anderen Versuchen wurde der ganze Oberk\u00f6rper mitsamt dem Kopfe in eine ann\u00e4hernd horizontale Stellung gebracht. Die Vp., die zun\u00e4chst in normaler Haltung und in geeigneter Entfernung in der Weise vor dem Treppengel\u00e4nder stand, dafs die Medianebene ihres Rumpfes und Kopfes zur Ebene des Gel\u00e4nders senkrecht stand, beugte, mit den H\u00e4nden sich am Gel\u00e4nder festhaltend, ihren Oberk\u00f6rper so weit herab, bis sie mit der Mundgegend die obere Fl\u00e4che des Gel\u00e4nders ber\u00fchrte. Hierbei gab es wiederum eine Normalstellung und zwei Schr\u00e4gstellungen. Die erstere wurde dadurch erhalten, dafs die Vp. das Herabsenken des Oberk\u00f6rpers ohne jede Beugung des Rumpfes oder Kopfes nach rechts oder links hin, also genau nach vorn hin vollzog. Bei Herstellung einer Schr\u00e4gstellung dagegen erfolgte das Herabsenken des Oberk\u00f6rpers unter gleichzeitiger Beugung des Kopfes oder des Rumpfes und Kopfes nach rechts oder links hin, so dafs der Kopf in eine nach rechts vorn oder nach links vorn gerichtete Horizontalstellung gebracht wurde. Nat\u00fcrlich war es m\u00f6glich, den Kopf auch direkt aus der Normalstellung in eine Schr\u00e4gstellung \u00fcberzuf\u00fchren oder umgekehrt. Bei manchen Versuchen","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210\nG. E. Millier.\nwurde dementsprechend verfahren. Bei beiden Versuchsarten war die Normalstellung dadurch charakterisiert, dafs der Kopf eine genau nach vorn gerichtete Horizontalstellung besafs und mit seiner Medianebene senkrecht zur Ebene des Gel\u00e4nders stand, w\u00e4hrend bei den beiden Schr\u00e4gstellungen die Horizontalstellung des Kopfes nach rechts vorn oder nach links vorn gerichtet war und die beiden soeben erw\u00e4hnten Ebenen einen spitzen Winkel miteinander bildeten. Um dem Falle, dafs die Stellung der Blicklinie in Beziehung auf den Kopf bei einer Schr\u00e4gstellung des Kopfes ganz dieselbe sei wie bei der Normalstellung, noch n\u00e4her zu kommen, wurden sp\u00e4terhin die Versuche in der Weise modifiziert, dafs der Kopf bei einer Schr\u00e4gstellung sich an demselben Orte befand wie bei der Normalstellung und eben nur eine andere Orientierung zum Gel\u00e4nder und zur Leuchtlinie besafs wie bei letzterer Stellung. Dies liefs sich nat\u00fcrlich nur dadurch erreichen, dafs bei einer Schr\u00e4gstellung des Kopfes der Standpunkt der Vp. ein etwas anderer war als bei der Normalstellung, z. B. bei einer Schr\u00e4gstellung des Kopfes nach rechts vorn hin mehr nach links hin genommen war als bei der Normalstellung. Ich schicke gleich an dieser Stelle die Bemerkung voraus, dafs diese Modifikation der Versuche an den Resultaten nichts ge\u00e4ndert hat. Die Vp. mufste nun bei jeder Versuchsart ihrem Kopfe in der Regel zun\u00e4chst die Normalstellung geben und sich bei dieser Haltung die Stellung der Leuchtlinie einpr\u00e4gen. Hierauf hatte sie den Kopf in eine Schr\u00e4gstellung zu bringen und bei Festhaltung derselben zu beobachten, ob nun die Stellung der Leuchtlinie dieselbe zu sein scheine, die sie bei der Normalstellung war, bzw. in welcher Richtung sie sich ver\u00e4ndert zeige oder w\u00e4hrend der Betrachtung ver\u00e4ndere. Bei einigen Versuchen war die Leuchtlinie zuerst bei einer Schr\u00e4gstellung und zuzweit bei der Normalstellung zu beobachten. Bei einer anderen Gruppe von Versuchen hatte die Vp. zu beobachten, wie sich die Leuchtlinie w\u00e4hrend der direkten \u00dcberf\u00fchrung des Kopfes aus der Normalstellung in eine Schr\u00e4gstellung oder umgekehrt verhalte. Bei allen diesen Versuchen zeigte sich nun folgendes.\nEs kommt vor, dafs die Leuchtlinie bei einer Schr\u00e4gstellung des Kopfes in Vergleich zu ihrer Orientierung bei der Normalstellung des Kopfes mit Deutlichkeit ge gensinnig gedreht erscheint (das Analogon des A-Ph\u00e4nomens). Ebenso wird der Fall beobachtet, dafs sich die Linie bei Schr\u00e4gstellung des Kopfes","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n211\nmit Deutlichkeit als gleichsinnig gedreht darstellt (das Analogon des E - Ph\u00e4nomens). Endlich drittens liefs sich auch das Vorkommen des von Nagel beobachteten Falles konstatieren, dafs die Leuchtlinie bei einer ausgepr\u00e4gten Schr\u00e4gstellung des Kopfes dieselbe Stellung zu besitzen schien wie bei der Normalstellung. Ich will diese drei F\u00e4lle kurz als den Fall der Gegensinnigkeit, der Gleichsinnigkeit und der Unver\u00e4ndertheit bezeichnen.\nDiese drei F\u00e4lle k\u00f6nnen bei verschiedenen Vpn. sehr verschiedene H\u00e4ufigkeitsverh\u00e4ltnisse zeigen. Bei einer Vp. dominierte der Fall der Gegensinnigkeit in so hohem Grade, dafs bei ihr der Fall der Gleichsinnigkeit niemals und der Fall der Unver\u00e4ndertheit nur ganz ausnahmsweise vorkam. Bei zwei Vpn. herrschte der Fall der Gleichsinnigkeit in hohem Grade vor. Bei mir selbst bestand anscheinend gar keine Bevorzugung des Falles der Gegensinnigkeit oder der Gleichsinnigkeit. Beide F\u00e4lle wechselten in unberechenbarer Weise miteinander ab, wobei aber auch der Fall der Unver\u00e4ndertheit keineswegs fehlte.\nRecht oft trat der Anschein eines gegensinnig oder gleichsinnig Gedrehtseins der Linie erst nach einer relativ langen Betrachtungsdauer, w\u00e4hrend welcher die Stellung der Linie unver\u00e4ndert erschien, ein.\nEs kam vor, dafs bei andauernder Betrachtung die Linie zuerst in gleichsinniger und dann in gegensinniger Richtung gedreht erschien oder umgekehrt, oder dafs sie ein Hin- und Herschwanken zwischen beiden Richtungen zeigte.\nDie Versuche, bei denen das Verhalten der Leuchtlinie w\u00e4hrend der direkten \u00dcberf\u00fchrung des Kopfes aus der Normalstellung in eine Schr\u00e4gstellung oder umgekehrt beobachtet wurde, ergaben die nach vorstehendem zu erwartenden Resultate. Die Leuchtlinie stellte sich in manchen F\u00e4llen als eine in gegensinniger, in anderen F\u00e4llen als eine in gleichsinniger Bewegung begriffene dar, in noch anderen F\u00e4llen \u00e4nderte sie ihre scheinbare Stellung nicht. Pflegte die Vp. die Leuchtlinie bei einer festgehaltenen Schr\u00e4gstellung des Kopfes als eine gleichsinnig (gegensinnig) gedrehte zu erblicken, so war die Bewegung der Linie, die sie etwa bei einer Kopfbewegung der hier in Rede stehenden Art erblickte, gleichfalls gleichsinnig (gegensinnig) gerichtet.\nEs liegt nahe, f\u00fcr die recht h\u00e4ufigen F\u00e4lle, wo bei Schr\u00e4gstellung des horizontal gehaltenen Kopfes die Leuchtlinie in gegensinniger Richtung gedreht erscheint, eine Erkl\u00e4rung zu","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212\nGr. E. M\u00fcller.\nsuchen, die der f\u00fcr das A-Ph\u00e4nomen gegebenen Erkl\u00e4rung ganz analog sei. Eine Erkl\u00e4rung solcher Art w\u00fcrde gegeben werden, wenn man geltend machte, dafs der Begriff der S-Kompomente allgemeiner zu fassen sei als fr\u00fcher geschehen. Dieselbe sei eine Tendenz, die vor allem in allen F\u00e4llen wirksam sei, wo der Kopf, sei es mit oder ohne Mitbeteiligung des Rumpfes, eine Beugung nach rechts oder links hin erfahren habe, und zwar gehe sie in diesen F\u00e4llen dahin, die auf einen bestimmten Netzhautteil einwirkende Leuchtlinie in derjenigen Stellung erscheinen zu lassen, in der sie sich darbieten w\u00fcrde, wenn sie nach einer ohne sonstige Ab\u00e4nderungen der vorhandenen Kopf- und K\u00f6rperhaltung vollzogenen R\u00fcckg\u00e4ngigmachung der vorhandenen seitlichen Beugung des Kopfes (und Rumpfes) sich auf demselben Netzhautteile abbilden w\u00fcrde. Habe man bei einem Versuche der \u00fcblichen Art \u00fcber das A-Ph\u00e4nomen den Kopf aus seiner vertikalen Normalstellung nach rechts hin geneigt, so gehe die S-Komponente dahin, die Leuchtlinie in derjenigen Stellung erblicken zu lassen, in der sie erscheinen w\u00fcrde, wenn sie nach Wiederherstellung der vertikalen Kopfhaltung auf denselben Netzhautteil einwirkte\u00bb Befinde sich der Kopf nach unten blickend in horizontaler Stellung und werde er hierbei zugleich schr\u00e4g nach rechts vorn hin gehalten, so gehe die S-Komponente dahin, die Leuchtlinie in derjenigen Stellung erscheinen zu lassen, in der sie sich bei Einwirkung auf denselben Netzhautteil darbieten w\u00fcrde, wenn zuvor die seitliche Beugung des Kopfes nach rechts ohne sonstige Ab\u00e4nderung der Kopf- und K\u00f6rperhaltung r\u00fcckg\u00e4ngig gemacht w\u00e4re und mithin der Kopf nach unten blickend geradeaus nach vorn in horizontaler Stellung gehalten w\u00fcrde.\nEs w\u00e4re von hohem Interesse, wenn diese Erweiterung des Begriffes der S-Komponente sich als notwendig erweisen sollte. Nach immer wieder erneutem Beobachten und Hin- und Hererw\u00e4gen habe ich mich indessen nicht f\u00fcr diese Auffassung entscheiden k\u00f6nnen. Entscheidend waren f\u00fcr mich in dieser Hinsicht die Resultate gewisser bisher noch nicht erw\u00e4hnter Versuche. Ich modifizierte n\u00e4mlich die Versuche im Treppenhause noch in der Weise, dafs zwar die Normalstellung des Kopfes ganz dieselbe war wie bei den obigen Versuchen, und auch bei den Schr\u00e4gstellungen der Kopf dieselben Orte einnahm und dieselben n\u00e4mlichen Beziehungen zu dem Gel\u00e4nder und zu der Leuchtlinie besafs wie bei obigen Versuchen, aber das letztere in der Weise","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\t213\nerreicht wurde, dafs dabei weder der Kopf noch der Rumpf eine Beugung nach rechts oder links erfuhr. Die Vp. mufste sich in normaler Haltung schr\u00e4g vor das Gel\u00e4nder stellen, so dafs die Medianebene des Rumpfes und Kopfes nicht senkrecht zu der Ebene des Gel\u00e4nders stand, sondern einen spitzen Winkel von z. B. 40\u00b0 mit derselben bildete, und dann den Kopf gerade herunter auf die Brust senken oder den Oberk\u00f6rper gerade herunter bis zur Ber\u00fchrung des Gel\u00e4nders durch die Mundgegend beugen, so dafs bei dieser Herabsenkung des Kopfes oder Oberk\u00f6rpers die Medianebene des Rumpfes und Kopfes keinerlei Verschiebung erfuhr. Bei diesen Versuchen mit Schr\u00e4gstellung des ganzen K\u00f6rpers erhielt ich nun aber im allgemeinen ganz entsprechende Resultate wie bei den obigen Versuchen mit Schr\u00e4gstellun g des Kopfes (und Oberk\u00f6rpers). Die H\u00e4ufigkeiten mit denen eine Vp. bei Schr\u00e4gstellung des ganzen K\u00f6rpers die Leuchtlinie als eine in gegensinniger oder als eine in gleichsinniger Richtung gedrehte oder als eine nicht gedrehte erblickte, bestimmten sich im allgemeinen nach den H\u00e4ufigkeiten, mit denen diese verschiedenen Lokalisationen der Leuchtlinie bei derselben Vp. bei den obigen Versuchen mit Schr\u00e4gstellung des Kopfes (und des Oberk\u00f6rpers) stattgefunden hatten.1 Diese Resultate scheinen hinl\u00e4nglich darzutun, dafs die \u00c4nderungen der scheinbaren Stellung der Leuchtlinie, wTelche bei den obigen Versuchen die Schr\u00e4gstellung des Kopfes h\u00e4ufig mit sich brachte, ihren wesentlichen Grund nicht darin besafsen, dafs bei diesen Schr\u00e4gstellungen der Kopf eine andere Lage zur K\u00f6rperachse besafs wie bei der Normalstellung, n\u00e4mlich nach rechts oder links gebeugt war, sondern darin, dafs die Stellung des Kopfes zu dem Gel\u00e4nder und der Leuchtlinie eine andere war wie bei der Normalstellung.\n1 Eine Ausnahme macht nur eine von den bei diesen Versuchen benutzten 5 Vpn., und zwar diejenige, bei welcher die bei einer Schr\u00e4gstellung des Kopfes beobachtete scheinbare Drehung der Leuchtlinie stets die gegensinnige war. Bei den Versuchen mit Schr\u00e4gstellung des ganzen K\u00f6rpers erkl\u00e4rte diese Vp. bei Gegebensein einer solchen Schr\u00e4gstellung entweder, dafs sie \u00fcberhaupt kein hinl\u00e4nglich sicheres Urteil \u00fcber die Stellung der Leuchtlinie habe, oder dafs sie einen Unterschied zwischen der vorhandenen Stellung der Linie und der vorher bei der Normalstellung beobachteten nicht zu konstatieren verm\u00f6ge. H\u00e4tten sich die \u00fcbrigen Vpn. ebenso verhalten wie diese, so w\u00fcrde man sich allerdings f\u00fcr die obige Erweiterung der Lehre von der S-Komponente entscheiden m\u00fcssen.","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214\nG. E. M\u00fcller.\nWenn ferner auch das Urteil, die Leuchtlinie erscheine gegensinnig (gleichsinnig) gedreht, sich bei den Versuchen mit Schr\u00e4gstellung des horizontal gehaltenen Kopfes oft in gleich zwingender Weise aufdr\u00e4ngt wie bei vielen der Versuche \u00fcber das A- und das E-Ph\u00e4nomen, so ist doch zu sagen, dafs die Analogie zwischen den bei beiden V ersuchsarten auf tretenden Erscheinungen keineswegs eine vollst\u00e4ndige ist. Erstens ist der Fall, dafs weder eine gegensinnige noch eine gleichsinnige Drehung der Leuchtlinie zu beobachten ist, bei den ersteren Versuchen h\u00e4ufiger als bei den letzteren. Zweitens zeigt sich, wenigstens bei manchen Vpn., das gegensinnige oder gleichsinnige Gedrehtsein der Leuchtlinie bei den ersteren Versuchen recht oft erst nach l\u00e4ngerer ununterbrochener Betrachtung der Linie. Aber auch bei langer Beobachtungszeit blieb mitunter jede \u00c4nderung der scheinbaren Stellung der Linie aus. Drittens zeigte sich bei den Vpn., bei denen bei Schr\u00e4gstellung des horizontal gehaltenen Kopfes die Linie in den einen F\u00e4llen gegensinnig, in anderen F\u00e4llen gleichsinnig gedreht erschien, die Dichtung der scheinbaren Drehung nicht in \u00e4hnlicher Weise von dem Grade der Schr\u00e4gstellung abh\u00e4ngig, wie bei den Versuchen \u00fcber das A- und das E-Ph\u00e4nomen der Umstand, ob dieses oder jenes Ph\u00e4nomen ein-tritt, von dem Grade der Kopfneigung abh\u00e4ngt; die Dichtung der scheinbaren Liniendrehung scheint bei den ersteren Versuchen einer bestimmten Degel nicht zu gehorchen.\nIch glaube also nicht, dafs der zurzeit vorliegende Tatbestand die oben angedeutete, erweiterte Lehre von der S-Kompo-nente hinl\u00e4nglich rechtfertigen w\u00fcrde. Bildet sich auf Grund der dominierenden Erfahrungen, die bei der vertikalen Dumpfund Kopfhaltung gemacht werden, (mit oder ohne Mitwirkung vererbter Momente) eine Tendenz aus, auch bei seitlich geneigtem Kopfe eine auf einem bestimmten Netzhautteile sich abbildende Linie in derjenigen Stellung erscheinen zu lassen, in welcher sie gesehen w\u00fcrde, wenn sie nach D\u00fcekg\u00e4ngigmachung der seitlichen Kopfneigung auf denselben Netzhautteil wirken w\u00fcrde, so braucht man nicht notwendig anzunehmen, dafs diese Tendenz sich auch auf den Fall \u00fcbertrage, dafs der Kopf sich in einer schr\u00e4g nach rechts oder links vorn gerichteten Horizontalstellung befinde, und zwar in diesem Falle sich in der Weise modifiziert geltend mache, dafs sie dahin wirke, die Linie in derjenigen Stellung erblicken zu lassen, in der sie erscheinen w\u00fcrde, wenn sie bei ge-","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n215\nradeaus nach vorn gerichteter Horizontalstellung des Kopfes eich auf dem gleichen Netzhautteile abbildete. Dafs ferner eine Tendenz von dieser letzteren Wirksamkeit sich ganz selbst\u00e4ndig auf Grund der Erfahrungen entwickeln m\u00fcsse, die bei horizontal gehaltenem Kopfe gemacht werden, braucht gleichfalls nicht angenommen zu werden, da die F\u00e4lle, wo wir mit geradeaus nach vorn horizontal gehaltenem Kopfe ein Gesichtsobjekt betrachten, viel seltener sind als die Beobachtungen mit normaler, vertikaler Kopfhaltung, und da wir \u00fcberdies in den F\u00e4llen der ersteren Art nicht im gleichen Mafse Anlafs haben, die Stellungen gegebener Linien zur L\u00e4ngsachse unseres Kopfes zu beachten, wie wir bei den Beobachtungen der zweiten Art gewohnt sind, die Stellungen gegebener Linien zur Vertikalen zu beachten.\nSieht man n\u00e4her zu, auf welche Weise die Vp. bei einer Schr\u00e4gstellung des horizontal gehaltenen Kopfes zu ihrem Urteile dar\u00fcber gelangt, wie sich die jetzige Stellung der Leuchtlinie zu der vorher bei der Normalstellung des Kopfes wahrgenommenen verhalte, so zeigt sich folgendes. Die Vp. bezieht bei diesem Urteile die Stellung der Leuchtlinie selbstverst\u00e4ndlich auf solches, dessen r\u00e4umliches Verhalten durch die Schr\u00e4gstellung des Kopfes nicht ver\u00e4ndert worden ist, z. B. bei den Versuchen im Treppenhause in erster Linie auf das Gel\u00e4nder oder auf ihren eigenen Standpunkt. Stand die Leuchtlinie bei der Normalstellung des Kopfes senkrecht zur Ebene des Gel\u00e4nders und symmetrisch zu den beiden F\u00fcfsen der Vp., und schien dieselbe dann bei einer ohne Standpunkts\u00e4nderung vollzogenen Schr\u00e4gstellung des Kopfes nach rechts hin mit der Ebene des Gel\u00e4nders einen nach links hin ge\u00f6ffneten spitzen Winkel zu bilden und so zu stehen, dafs ihre geradlinige Verl\u00e4ngerung an dem rechten Fufse rechts vorbeiging, so erfolgte mit Sicherheit das Urteil, die Linie scheine gegensinnig gedreht. Entsprechendes zeigte sich bei den Versuchen, wo die Vp. in Bauchlage auf einem Tische lag. Hier wurde die Stellung der Leuchtlinie in Beziehung auf die der Leuchtlinie zugekehrte Tischkante oder auch in Beziehung auf die Achse des bei der Schr\u00e4gstellung des Kopfes an seinem Orte zu belassenden Teiles des eigenen K\u00f6rpers aufgefafst. Eine Vp. bemerkte ausdr\u00fccklich, dafs sie die Stellung der Leuchtlinie bei einer Schr\u00e4gstellung des Kopfes besser beurteilen k\u00f6nne, wenn die Leuchtlinie bei der Normalstellung des letzteren genau in der Verl\u00e4ngerung der soeben erw\u00e4hnten Achse gestanden habe. Die Beurteilung der","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216\nG. E. M\u00fcller.\nStellung der Leuchtlinie bei einer Schr\u00e4gstellung des Kopfes kam also z. B. bei den Versuchen im Treppenhause oft in folgender Weise zustande. Einerseits wurde die Leuchtlinie auf Grund der bei diesen Versuchen allein in Betracht kommenden und durch eine bleibende Gegenrollung nicht beeinflufsten1 B-Kom-ponente mit einer bestimmten Stellung zur Vp. wahrgenommen. Andererseits erfuhr auch das im Vorstellungsbilde vergegenw\u00e4rtigte Gel\u00e4nder eine bestimmte solche egozentrische Lokalisation. Und es wurde nun auf Grund dieser beiden Lokalisationen die Stellung der wahrgenommenen Leuchtlinie zu dem vorgestellten Gel\u00e4nder aufgefafst und zugesehen, wie sich dieselbe zu der bei der vorherigen Normalstellung des Kopfes vorhanden gewesenen gegenseitigen Stellung beider verhalte. Damit bei Vorhandensein der erforderlichen Urteils vor sicht die Aussage, die scheinbare Stellung der Leuchtlinie sei bei der Schr\u00e4gstellung des Kopfes dieselbe wie vorher, erfolge, mufsten demnach die beiden Voraussetzungen erf\u00fcllt sein, dafs erstens die wahrgenommene Leuchtlinie und zweitens das vorgestellte Gel\u00e4nder richtig lokalisiert wurde, oder es mufsten beide Lokalisationen im gleichen Sinne und im gleichen Grade fehlerhaft sein, so dafs doch die richtige gegenseitige Stellung des Gel\u00e4nders und der Leuchtlinie resultierte. Es ist aber, zumal bei dem anomalen und ungew\u00f6hnlichen Charakter, welchen die Haltung des Kopfes bei einer Horizontal- und zugleich Schr\u00e4gstellung desselben besitzt, durchaus nicht anzunehmen, dafs unter den hier in Rede stehenden Umst\u00e4nden die Lokalisation der Leuchtlinie stets richtig erfolgte, und ebensowenig kann angenommen werden, dafs das Gel\u00e4nder stets richtig lokalisiert wurde. Es ist daher wohl zu verstehen, dafs die Leuchtlinie bei den Schr\u00e4gstellungen des Kopfes zwar in manchen F\u00e4llen in\n1 Ich habe mich noch ausdr\u00fccklich durch Versuche an mir selbst, die nach der von Mulder (1, S. 85) angegebenen Nachbildmethode angestellt wurden, von der fast selbstverst\u00e4ndlichen Tatsache \u00fcberzeugt, dafs bei einer Schr\u00e4gstellung des horizontal gehaltenen Kopfes nach rechts oder links hin eine bleibende Gegenrollung der Augen nicht zu konstatieren ist. Wie bekannt ist und von Nagel (S. 384) noch ausdr\u00fccklich hervorgehoben wird, tritt w\u00e4hrend einer Bewegung des horizontal gehaltenen Kopfes nach rechts oder links hin eine vor \u00fcbergehende Gegenrollung ein. Es ist m\u00f6glich, dafs diese in manchen F\u00e4llen, wo bei einer solchen Kopfbewegung eine gleichsinnige Drehung der Leuchtlinie zur Beobachtung kommt, mit im Spiele sei.","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n217\nihrer richtigen Stellung erblickt wurde, in anderen F\u00e4llen dagegen gegensinnig oder gleichsinnig gedreht erschien. Da es ferner sehr wohl m\u00f6glich erscheint, dafs die Lokalisation der Leuchtlinie und des Gel\u00e4nders bei einzelnen Individuen zu Fehlern von konstanter Richtung neigen, so ist es auch begreiflich, dafs bei manchen Vpn. die scheinbare Ablenkung der Leuchtlinie aus-schliefslich oder vorwiegend in der einen Richtung erfolgt. Es ist nicht absolut ausgeschlossen, dafs eine solche konstante Ablenkungsrichtung bei einzelnen Individuem auch dadurch bewirkt oder wenigstens gef\u00f6rdert werde, dafs einige F\u00e4lle, wo zuf\u00e4llig die scheinbare Ablenkung der Leuchtlinie in der gleichen Richtung erfolgt, einen suggerierenden Einflufs auf die weiteren Beobachtungen ausiiben. In vielen F\u00e4llen aber sind die scheinbaren Ablenkungen der Leuchtlinie von so ausgepr\u00e4gter und zwingender Art und so unerwarteter Richtung, dafs an den Einflufs einer blofsen Suggestion nicht zu denken ist. Der Umstand ferner, dafs bei Schr\u00e4gstellung des horizontal gehaltenen Kopfes die Leuchtlinie zwar keineswegs in allen, aber doch in manchen F\u00e4llen sofort bei ihrem Erblicken gedreht erscheint und nicht selten auch in der von vornherein angenommenen gedrehten Stellung verharrt, schliefst auch die Behauptung aus, dafs es sich hier lediglich um Erscheinungen handele, die mit den fr\u00fcher (S. 157) erw\u00e4hnten, bei l\u00e4nger andauernder Betrachtung auftretenden, unberechenbaren scheinbaren Orts\u00e4nderungen der Leuchtlinie und dem sogenannten Punktschwanken in eine Linie zu stellen seien.\nVergleicht man den Fall, wo bei einer Schr\u00e4gstellung des horizontalen Kopfes die Leuchtlinie daraufhin zu beurteilen ist, ob ihre Stellung dieselbe sei wie bei der Normalstellung des horizontalen Kopfes, mit dem Falle, dafs bei aus der normalen Vertikalstellung heraus nach rechts oder nach links geneigtem Kopfe die Stellung der Leuchtlinie zu beurteilen ist, so zeigt sich der wesentliche Unterschied, dafs im letzteren Falle, wenigstens von sehr vielen Vpn., die Stellung der Leuchtlinie ganz unmittelbar in dem auf S. 189 angegebenen Sinne beurteilt werden kann, dagegen im ersteren Falle ein Urteil nur dadurch m\u00f6glich ist, dafs ausdr\u00fccklich die Vorstellung eines oder mehrerer Bezugsobjekte (des Gel\u00e4nders, der auf dem Fufsboden stehenden F\u00fcfse oder dgl.) reproduziert wird und zugesehen wird, ob die Stellung der Leuchtlinie zu diesem Bezugsobjekte oder Komplex","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218\nGr. E. M\u00fcller.\nvon Bezugsobjekten dieselbe ist wie bei der Normal Stellung des horizontalen Kopfes.\nNagel (S. 378 f.) stellte neben den Versuchen, bei denen er in horizontaler Bauchlage auf die Leuchtlinie herabblickte, auch noch Versuche an, bei denen er sich in horizontaler R\u00fcckenlage befand und im Gesichtsfelde nur eine gerade Linie ohne weitere Orientierungsmittel hatte. Er hebt in \u00dcbereinstimmung zu dem soeben von mir Bemerkten hervor, dafs es bei diesen Versuchen, ebenso wie bei denen mit horizontaler Bauchlage, keine Richtung gebe, die sich in \u00e4hnlicher Weise, wie die vertikale Richtung bei den Versuchen \u00fcber das A-Ph\u00e4nomen, den Sinnen unmittelbar darstelle und sofort ein sicheres Urteil dar\u00fcber f\u00e4llen lasse, wie sich die Richtung einer gegebenen Geraden zu ihr verhalte. Einigermafsen bevorzugt sei nur diejenige Linie, welche man gerade \u00fcber dem K\u00f6rper, parallel mit dessen L\u00e4ngsachse verlaufend sich denken k\u00f6nne, und dann die in der gleichen Ebene auf jener senkrecht stehende Gerade. Allein diese Richtungen seien wreit weniger bestimmt und bestimmbar als die Vertikale. Wenn er ferner in horizontaler R\u00fcckenlage bei m\u00f6glichst stark seitw\u00e4rts gebogenem Kopfe die gegebene Linie in die Richtung der K\u00f6rperl\u00e4ngsachse einzustellen suche, so gelinge ihm dies gleich gut oder gleich schlecht wie bei gerader Kopfhaltung. Eine dem A-Ph\u00e4nomen entsprechende zwangsm\u00e4fsige T\u00e4uschung verm\u00f6ge er also dann nicht zu konstatieren.\nIch ging dazu \u00fcber, auch diese Versuche mit horizontaler R\u00fcckenlage zu wiederholen, indem ich mich dabei eines \u00fcber der Vp. schwebenden gl\u00fchenden Platindrahtes bediente. Derselbe war so eingestellt, dafs er sich horizontal in der Richtung der K\u00f6rperachse erstreckte. Die auf einem Tische liegende Vp. hatte dann ihren Kopf unter Beibehaltung der horizontalen Lage der Gesichtsebene nach rechts oder links hin zu beugen und zuzusehen, wie sich die nach Ausf\u00fchrung dieser Beugung vorhandene scheinbare Stellung der Leuchtlinie zu der vorher beobachteten verhalte. Herr Dr. Katz, den ich zun\u00e4chst diese Beobachtungen anstellen liefe, fand, dafs bei Beugung des Kopfes nach rechts die Leuchtlinie gegensinnig gedreht erschien, bei Beugung nach links zeigte sich meistens dasselbe, mitunter indessen auch ein scheinbares Gedrehtsein in gleichsinniger Richtung. Es machte keinen Unterschied, ob die Betrachtung monokular oder binokular war. Ich selbst empfand bei jedem Gebeugtsein des Kopfes eine starke Tendenz, die Linie f\u00fcr gegensinnig gedreht zu halten. Von einer Fortsetzung dieser Versuche sah ich indessen ab, da sich bei mir nach ihrer Ausf\u00fchrung ein heftiges \u00dcbelbefinden mit Brechneigung einstellte und mir hiernach diese Versuche wenig geeignet erschienen, Propaganda daf\u00fcr zu manchen, sich als Vp. in meinem Institute zu bet\u00e4tigen. Bemerkenswert ist, dafs Nagel gleichfalls angibt, er habe bei den Versuchen mit horizontaler R\u00fcckenlage, anders wie bei den Versuchen \u00fcber A-Ph\u00e4nomen, sehr bald ein heftiges \u00dcbelbefinden mit Brechneigung empfunden, namentlich dann, wenn die \u00fcber ihm befindliche Linie von einer anderen Person hin und herbewegt worden sei. Der Zustand habe an Seekrankheit erinnert. Bei von Cyon (S. 221) wirkten sogar schon h\u00e4ufige, unter verschiedenen Bedingungen angestellte Beobachtungen des A-Ph\u00e4nomens in dieser Richtung. Diese Beobachtungen","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n219\nbegannen bei ihm Schwindel, \u00dcbelkeit und Neigung zum Erbrechen zu erzeugen, merkw\u00fcrdigerweise auch bei den Versuchen, wo er die Beobachtungen nicht an sich selbst anstellte, sondern nur die Beobachtungen anderer \u00fcberwachte. . Schon der blofse Anblick der vertikalen Linie von der Seite her, wobei sie nat\u00fcrlich auch etwas schief erschienen sei, habe ihm am Ende Lnbehagen erweckt. Er habe deshalb die Versuche pl\u00f6tzlich ganz abgebrochen. Hinsichtlich meines Falles ist noch hervorzuheben, dafs zwar die Veisuche mit horizontaler R\u00fcckenlage die oben angegebenen unangenehmen Folgen f\u00fcr mich hatten, dagegen die in verschiedenen Modifikationen recht oft von mir wiederholten Versuche, bei denen ich in B a u c h l\u00e4ge auf die Linie herabblickte, bei mir niemals auch nur die geringste Spur von Unbehagen hinterlassen haben.\n\u00a7 18. Weitere das A-Ph\u00e4nomen betreffende Tatsachen\nund Fragen.\nDamit diese Abhandlung zugleich ein vollst\u00e4ndiges Bild des gegenw\u00e4rtigen Standes der Forschung hinsichtlich des A-Ph\u00e4-nomens gebe, teile ich in diesem Paragraphen noch eine Reihe dieses Ph\u00e4nomen betreffender Versuchstatsachen und aufgeworfener Fragestellungen mit.\n1.\tWas die Frage anbelangt, ob das A-Ph\u00e4nomen auch schon von Kindern beobachtet werde, so habe ich 2 Knaben von 10 Jahren, einen von 9 Jahren, ein M\u00e4dchen von 7 und eines von 6 Jahren hinsichtlicht dieses Punktes untersucht. Bei allen 5 Kindern zeigte sich bei einer seitlichen Kopfneigung von ca. 90\u00b0 mit voller Sicherheit das A-Ph\u00e4nomen. Das 6 j\u00e4hrige M\u00e4dchen konnte rechts und links noch nicht unterscheiden. Ich liefs es daher die Stellung, in der ihr die Leuchtlinie bei geneigtem Kopfe erschienen war, hinterher mit einem Bleistifte nachahmen. Mit Promptheit und Sicherheit gab sie dem Bleistifte stets die dem A-Ph\u00e4nomen entsprechende Stellung. Bei Knaben von 9\u201414 Jahren hat, wie sogleich noch n\u00e4her erw\u00e4hnt werden wird, auch schon Feilchenfeld das Vorhandensein des A-Ph\u00e4nomens konstatiert.\n2.\tIst die Frage aufgeworfen, wie sich solche Taubstumme, bei denen der Vestibularapparat nicht fungiert, hinsichtlich des A- und des E-Ph\u00e4nomens verhalten m\u00fcssen, so kommt von vornherein zweierlei in Betracht. Erstens ist mit der M\u00f6glichkeit zu rechnen, dafs bei Fehlen der Erregung jenes Apparates die Beurteilungen der Kopf Stellung weniger sicher und richtig ausf allen. Eine solche Wirkung kann die S-Komponente, die ja von der","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220\nG. E. M\u00fcller.\nBeurteilung der Kopfstellung v\u00f6llig unabh\u00e4ngig ist, nicht ber\u00fchren, mufs dagegen die von dieser Beurteilnng abh\u00e4ngige B-Kompo-nente in dem Sinne beeinflussen, dafs ihr Ablenkungswert mehr schwankende und voneinander abweichende Werte besitzt als bei normalen Verh\u00e4ltnissen, und auf diesem Wege auch f\u00fcr die Stellung der scheinbar vertikalen Leuchtlinie mehr schwankende und differierende Werte erhalten lassen. Die zweite Wirkung einer Zerst\u00f6rung des Vestibularapparates, mit deren Eintreten gerechnet werden mufs, ist eine Herabsetzung oder Aufhebung der zu einer seitlichen Kopfneigung zugeh\u00f6rigen Gegenrollung der Augen. Eine solche Wirkung mufs die B-Komponente im Sinne einer Verringerung oder v\u00f6lligen Aufhebung des ihr bei richtiger Beurteilung der Kopf stellung zukommenden gleichsinnigen Ablenkungswertes beeinflussen und mithin mit einer Steigerung des A-Ph\u00e4nomens verbunden sein. Man ist in weiten Kreisen geneigt anzunehmen, dafs die Gegenrollung ausschliefslich durch Vermittlung des Vestibularapparates eintrete. Hiernach w\u00e4re zu erwarten, dafs Taubstumme angetroffen w\u00fcrden, bei denen sie ganz fehle. Indessen hat Feilchenfeld (S. 149) unter 60 Sch\u00fclern einer Taubstummenanstalt, die er in Gemeinschaft mit W. A. Nagel untersuchte, keinen einzigen gefunden, bei dem die Gegenrollung fehlte.1 Auch B\u00e4r\u00e4ny fand bei seiner fr\u00fcher (S. 135) erw\u00e4hnten Untersuchung \u00fcber die Gegenrollung, dafs diese bei mangelhafter oder fehlender Funktion des Vestibularapparates zwar betr\u00e4chlich herabgesetzt war, aber doch in keinem Falle v\u00f6llig fehlte.\nWas nun das vorliegende empirische Material betrifft, so hat Feilcheneld (a. o. a. 0.) unter den erw\u00e4hnten 60 taubstummen Sch\u00fclern 7 Knaben von 9 bis 14 Jahren, darunter 3 taub geborene, ausgew\u00e4hlt, die durch ihren schl\u00fcrfenden Gang auf fielen2\n1\tIch hebe die Mitwirkung Nagels bei dieser Untersuchung ausdr\u00fccklich hervor, weil ja Nagel fr\u00fcher bei Tierversuchen zu der Sehlufsfolgerung gekommen war, dafs Zerst\u00f6rung des Labyrinths die Gegenrollung aufhebe. Er d\u00fcrfte demgem\u00e4fs schwerlich ein im Sinne des oben angef\u00fchrten Resultates voreingenommener Mitbeobachter gewesen sein. Beil\u00e4ufig mag hier bemerkt werden, dafs von Cyon (S. 184) sich unter Mitberufung auf die Versuchsresultate anderer Forscher v\u00f6llig gegen die soeben erw\u00e4hnte Sehlufsfolgerung Nagels erkl\u00e4rt.\n2\tDer schl\u00fcrfende Gang mancher Taubstummen hat nach Beck (Zeitschr. f. Sinnesphysiol., 46, 1912, S. 362 ff.) mit einer lokomotorischen Unsicherheit nichts zu tun, sondern ist einfach darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, dafs sie das f\u00fcr","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022 \u2022\nUber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n221\n\u201dnd auch bel K\u00f6rperdrehungen die kompensierenden Augenbewegungen vermissen liefsen, und dieselben hinsichtlich des A-Ph\u00e4nomens untersucht. Er fand, dafs bei 6 von ihnen dieses Ph\u00e4nomen sich weder st\u00e4rker noch schw\u00e4cher zeigte wie bei dem Durchschnitt der Normalen, bei einem Knaben jedoch in einem auffallend hohen Grade vorhanden war. Auch Alexander und Baeant (S. 423 ff.) haben, wie fr\u00fcher erw\u00e4hnt, einen Taubstummen, bei dem die Gegenrollung \u201efast vollst\u00e4ndig\u201c fehlte, bei ihren Versuchen mitbenutzt. Wie das von ihnen Mitgeteilte zeigt, ergab dieser Taubstumme betreffs der Abh\u00e4ngigkeit der scheinbaren Stellung der Leuchtlinie von der Kopfneigung unregelm\u00e4fsigere Resultate als die mituntersuchten Normalen.* 1\n3.\tAuch Augenmuskell\u00e4hmungen, welche die Gegenrollung herabsetzen, m\u00fcssen im Sinne einer Steigerung des A-Ph\u00e4nomens sich geltend machen. Diese Schlufsfolgerung fand Feilchenfeld (S. 1341), der bereits auf die dem A-Ph\u00e4nomen ung\u00fcnstige Wirkung der Gegenrollung hingewiesen hat, best\u00e4tigt. \u201eBei Parese des 0. sup. ist die Einw\u00e4rtsrollung, die jetzt allein vom R. sup. besorgt wird, geschw\u00e4cht, infolgedessen bei L\u00e4hmung des linken die Gegenrollung dieses linken Auges schw\u00e4cher als die des rechten, wenn der Kopf nach links gedreht wird. Bei Drehung nach rechts ist die Gegenrollung des linken st\u00e4rker als des rechten, da in jenem die vereinigte Drehwirkung des R. inf. und 0. infer, das \u00dcbergewicht hat gegen\u00fcber der isolierten des R. sup. Entsprechend fiel die T\u00e4uschung bei Drehung nach links auf dem linken, bei Drehung nach rechts auf dem rechten st\u00e4rker\naus. In \u00e4hnlichen Sinne erfolgten die Resultate bei den anderen L\u00e4hmungen.\u201c\n4.\tSchon Mulder (S. 110) und Nagel (S. 376) haben darauf hingewiesen, dafs das A-Ph\u00e4nomen auch im Hellen beobachtet wird, falls man durch Benutzung einer R\u00f6hre, die vor das eine nicht geschlossene Auge gehalten wird, oder durch Verdeckung dieses Auges mittels einer dicht anschliefsenden, nur eine kleine \u00d6ffnung zum Durchblicken enthaltenden Kapsel daf\u00fcr Sorge ge-\ngesunde Menschen unangenehme Ger\u00e4usch nicht h\u00f6ren und auch von ihrer Umgebung nicht darauf aufmerksam gemacht worden sind.\n1 Dafs die Unsicherheit und die Streuung der Einstellungen der scheinbaren Vertikalen ausschliefslich von der Sicherheit der Beurteilung der Kopfstellung abh\u00e4nge, wird hier nicht im Entferntesten behauptet. Es gen\u00fcgt in dieser Hinsicht auf die Ausf\u00fchrungen von \u00a7 6 zu verwaisen.\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 49.\t15","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222\nG. E. M\u00fcller.\ntragen hat, dais aufser der auf einem gleichm\u00e4fsigen Grunde erscheinenden Linie anderweite Gesichtsobjekte, die etwa zur Orientierung hinsichtlich der Richtung der Linie dienen k\u00f6nnten, nicht sichtbar sind. Auch Hofmanns Versuche \u00fcber das A-Ph\u00e4nomen sind nach diesem Prinzipe (mittels einer Guckr\u00f6hre) angestellt.\nManche Individuen beobachten aber bei geh\u00f6riger Konzentration der Aufmerksamkeit auf die dargebotene Linie das A-Ph\u00e4nomen im Hellen auch dann, wenn sie sich keinerlei derartiger vor das Auge gebrachter R\u00f6hren oder Kapseln bedienen. Feilchenfeld (S. 140) berichtet, dafs bei ihm das A-Ph\u00e4nomen nicht minder intensiv wie bei Benutzung einer R\u00f6hre auch dann auftrete, wenn er auf einen lotrecht vor einer grauen Fl\u00e4che aufgeh\u00e4ngten, schwarzen Faden blicke. Die Fl\u00e4che m\u00fcsse nur so grofs und der Faden so lang sein, dafs ihre Grenzen bzw. seine Enden nicht in das Gesichtsfeld fielen, was man um so leichter erreiche, je mehr man sich der Fl\u00e4che n\u00e4here. Bei mir brauchen aber nicht einmal die letzteren Bedingungen erf\u00fcllt zu sein.. Fixiere ich z. B. bei nach rechts um 90\u00b0 geneigtem Kopfe aus einer Enfernung von 3 m einen mittleren Teil des Holz Werkes eines Fensters, meine Aufmerksamkeit m\u00f6glichst auf denselben konzentrierend, so scheint mir nach kurzer Zeit das ganze Fenster deutlich nach links geneigt zu sein. F\u00fchre ich dieselbe Beobachtung\nbei nach links geneigtem Kopfe aus, so erscheint das Fenster\n\u2022 \u2022\nnach rechts geneigt. Ganz \u00c4hnliches berichtet Delage (S. 117) von sich selbst.\nZeigt eine Linie f\u00fcr eine Person das A-Ph\u00e4nomen auch bei gleichzeitiger Sichtbarkeit anderer Gesichtsobjekte, die hinsichtlich der Richtungen als Anhaltspunkte zu dienen verm\u00f6gen, so ist dieses Ph\u00e4nomen selbstverst\u00e4ndlich um so ausgepr\u00e4gter, je weniger den gegebenen Umst\u00e4nden gern\u00e4fs jene anderen Objekte die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken suchen. Bei meinen Versuchen im Dunkelzimmer befand sich links von der geradeaus vor der Vp. befindlichen Leuchtlinie (links vom Standpunkte der Vp. aus) die in das Helle f\u00fchrende T\u00fcre. Beobachtete ich nun die Leuchtlinie bei ge\u00f6ffneter T\u00fcre einerseits mit nach links und andererseits mit nach rechts um 90\u00b0 geneigtem Kopfe, so war die scheinbare gegensinnige Neigung der Leuchtlinie im ersteren Falle, wo der Blick etwas nach rechts hin gerichtet war, viel st\u00e4rker als im letzteren Falle, wo der Blick etwas nach links hin gewandt war und sich demgem\u00e4fs die Pfosten und der","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n223\nHintergrund der links befindlichen, ge\u00f6ffneten T\u00fcre der Auf-merksamkeit mehr aufdr\u00e4ngten als im ersteren Falle. Auch die Beobachtung von Delage (S. 118), dais bei einem sehr schwachen Lichtscheine, welcher die Richtungen der W\u00e4nde nur ganz undeutlich erkennen latst, das A-Ph\u00e4nomen sich weder so stark wie bei voller Dunkelheit noch so wenig wie bei voller Helligkeit zeigt, kann hier angef\u00fchrt werden.\n5. Nagel (S. 377) hat hervorgehoben, dafs auch die Beschaffenheit des Objektes, das bei seitlich geneigtem Kopfe durch die kleine \u00d6ffnung einer das Auge abschliefsenden, lichtdichten Kapsel betrachtet wird, von Einflufs darauf ist, ob, bzw. in welchem Grade das A-Ph\u00e4nomen sich zeigt. Betrachte er durch das enge Diaphragma ein etwas kompliziertes Objekt, dessen wirkliche Lage im Raume ihm bekannt sei, z. B. eine Stelle der h\u00f6lzernen T\u00fcrf\u00fcllung mit Leisten und beschatteten Vertiefungen, so trete das Ph\u00e4nomen weniger leicht ein als bei Beobachtung einer einzelnen Linie, deren wirkliche vertikale oder horizontale Lage er gleichfalls kenne. Bei Betrachtung einer Stelle der T\u00fcre, wo sich vertikale und horizontale Leisten kreuzf\u00f6rmig treffen, stelle sich das Ph\u00e4nomen in der Regel gar nicht ein. Ein Kreuz aus einfachen Linien auf weifser Wand dagegen\nzeige dasselbe so deutlich wie die einfache vertikale oder horizontale Linie.\nDerartige Beobachtungsergebnisse sind leicht verst\u00e4ndlich. Da komplizierte Gesichtsobjekte der hier angef\u00fchrten Art seit vielen Jahren mit bestimmten Lokalisationen fest assoziiert sind, so setzen sie einer Beeinflussung ihrer Stellungen im Sinne des A-Ph\u00e4nomens selbstverst\u00e4ndlich einen gr\u00f6fseren (aber, wie das oben von mir Mitgeteilte zeigt1, nicht immer ausreichenden) Widerstand entgegen als einfache hinsichtlich ihrer Stellung bekannte Linien oder Liniengebilde, denen gleiche oder \u00e4hnliche\nin der Erfahrung in den verschiedensten Stellungen vorgekommen sind.\nDie Erfahrung, die unsere Sinneswahrnehmung, z. B. die Lokalisation einer gesehenen Linie, bestimmt oder modifiziert, ist von dreifacher Art.\n1 In Hinblick auf die St\u00e4rke, mit der sich bei mir das A-Ph\u00e4nomen selbst bei ganz unbehinderter Beobachtung bekannter Gegenst\u00e4nde im Hellen geltend macht, ist es nicht verwunderlich, dafs ich die hier in Rede stehenden Beobachtungen Nagels f\u00fcr meine Person nicht zu best\u00e4tigen vermag. Herr Dr. Katz dagegen fand sie vollauf best\u00e4tigt.\n15*","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224\nG. E. M\u00fcller.\nSie ist erstens eine Erfahrung hinsichtlich der Wahrnehmungsbe-dingungen. Ein solcher Einflufs der Erfahrungen zeigt sich z. B. bei folgendem yon Helmholtz (S. 752 f.) angegebenen Versuche. Es wird bei bald vertikal gehaltenem, bald vorn\u00fcber, bald hinten\u00fcber gebeugtem Kopfe und bei parallel gerichteten Blicklinien mit dem einen offenen Auge durch eine bald geradeaus, bald nach rechts, bald nach links gerichtete, aber immer horizontal gehaltene Guckr\u00f6hre hindurch ein \u00fcber das abgewandte Ende der R\u00f6hre gespannter, vor einem indifferenzierten, weifsen Hintergr\u00fcnde erscheinender, schwarzer Faden fixiert und hinsichtlich seiner Stellung beurteilt. Hierbei zeigt sich, dafs z. B. ein horizontal stehender Faden auch als ungef\u00e4hr horizontal stehend beurteilt wird, obwohl er sich bei gewissen Blickrichtungen auf einem Netzhautmeridiane abbildet, der mit dem Netzhauthorizonte einen Winkel von ca. 10\u00b0 bildet. In solchem Falle haben uns zahlreiche, an Objekten der verschiedensten Art bei der betreffenden Blickrichtung gemachte Erfahrungen dahin erzogen, eine Linie, die sich bei dieser Blickrichtung auf dem und dem Netzhautteile abbildet, als eine horizontale aufzufassen. Die zweite Art von Erfahrung ist die Erfahrung hinsichtlich derObjektart. Ein Beispiel f\u00fcr den Einflufs, den diese Art von Erfahrung auszu\u00fcben vermag, stellt die vorstehend erw\u00e4hnte Tatsache dar, dafs unter Umst\u00e4nden die Art des betrachteten Objektes das Auftreten des A-Ph\u00e4nomens zu verhindern vermag. Endlich drittens wird unsere Wahrnehmung eines Sinnesobjektes unter Umst\u00e4nden auch durch die hinsichtlich der Umgebung des betrachteten Objektes gemachte Erfahrung beeinflufst. Ein Beispiel hierf\u00fcr ist das h\u00e4ufige Ausbleiben des A*Ph\u00e4nomens, wenn sich die Leuchtlinie im Hellen befindet. Es ist also zu sagen, dafs bei Vorhandensein einer Kopfneigung von erheblichem Betrage das A-Ph\u00e4nomen zwar durch Erfahrungseinfl\u00fcsse der zweiten und dritten Art, nicht aber auch durch einen solchen der ersten Art beeintr\u00e4chtigt oder ganz ausgeschlossen werden kann. Es d\u00fcrfte nicht ohne Interesse sein, n\u00e4her zu verfolgen, inwieweit andere Funktionen oder Partialleistungen unserer Sinneswahrnehmung, z. B. die Wahrnehmung der Gr\u00f6fse und der Farbe der Gesichtsobjekte, den hier unterschiedenen 3 Hauptarten des Erfahrungseinflusses unterstehen. Es ist z. B. klar, dafs es sich bei den Ged\u00e4chtnisfarben im Sinne Herings um den Einflufs einer Erfahrung hinsichtlich der Objektart handelt.\n6. Dafs das A-Ph\u00e4nomen auch an dem Nachbilde einer Leuchtlinie sich zeigt und zwar in gleichem Grade wie an einer unmittelbar wahrgenommenen Leuchtlinie, ist schon von verschiedenen Forschern, z. B. Sachs und Mellee (S. 398 f.), Feilcheneeld (S. 136), Boubdon (S. 348), konstatiert worden. Befindet sich bei einer gegebenen Kopfneigung ein bestimmter Netzhautteil in einer Erregung, der das Bild einer Linie entspricht, so erf\u00e4hrt diese Linie in dem Falle, wo sie ein blofses Nachbild ist und auf der Nachwirkung einer vorausgegangenen Reizung dieses Netzhautteiles beruht, ganz dieselbe Lokalisation","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n225\nwie in dem Falle, wo sie ein Wahrnehmungsbild ist, dem eine durch eine gegenw\u00e4rtig vorhandene Leuchtlinie bewirkte Reizung dieses Netzhautteiles zugrunde liegt. Am besten wird dies durch folgenden Versuch von Sachs und Meller dargetan. \u201eEs wurde bei aufrechtem Kopf ein lang haftendes Nachbild auf einem dem horizontalen Meridian nahe gelegenen schr\u00e4gen Meridian erzeugt. Vor dem Beobachter befindet sich die Leuchtlinie . . ., der Raum ist durch zwei Gl\u00fchlampen gut erhellt. Der Beobachter, der im Kopf halter festgebissen ist, dreht jetzt den Kopf, bis das Nachbild mit der Richtung der Leuchtlinie zusammenf\u00e4llt. Solange der Raum erhellt ist, scheint die Linie und das sie bedeckende Nachbild senkrecht zu sein; werden beide Lampen abgedreht, so zeigt die schwach rotgl\u00fchende Lichtlinie sofort den bekannten Schr\u00e4gstand; die gleiche Verlagerung zeigt auch das Nachbild.\u201c\nDa bei Betrachtung eines Nachbildes die B - Komponente nur davon abh\u00e4ngt, welche Neigung der Kopf gegenw\u00e4rtig besitzt, und welcher Netzhautteil durch die vorausgegangene Lichteinwirkung erregt ist, so ist die Orientierung, welche das Nachbild einer z. B. bei normaler, vertikaler Kopfhaltung betrachteten Leuchtlinie bei geneigtem Kopfe erf\u00e4hrt, anders wie die Orientierung einer in einer bestimmten Stellung gegebenen, gegenw\u00e4rtigen Leuchtlinie, von dem Grade der vorhandenen Gegenrollung ganz unabh\u00e4ngig. F\u00fcr die Nachbilder kommt also die Gegenrollung als Ursache des E-Ph\u00e4nomens ganz in Wegfall. Erzeugen wir bei vertikaler Kopfhaltung ein Nachbild einer um 300 nach links geneigten Linie und neigen wir dann im Dunkeln den Kopf um 300 nach rechts hin, so kann dieses Nachbild nur infolge einer sehr falschen Kopflokalisation gleichsinnig geneigt erscheinen, w\u00e4hrend eine vor Beginn dieser Kopfneigung vertikal erschienene Leuchtlinie nach Ausf\u00fchrung derselben schon infolge der Gegenrollung als eine gleichsinnig geneigte sich darstellen kann.\n7. Nagel (S. 393) teilt als eine nicht uninteressante Versuchstatsache mit, dafs die gleiche Kopfneigung, das eine Mal nach rechts, das andere Mal nach links ausgef\u00fchrt, f\u00fcr manche Beobachter, auch f\u00fcr ihn selbst, das A-Ph\u00e4nomen bei Linksneigung in ausgepr\u00e4gterem Mafse auf-treten lasse als bei Rechtsneigung. Den Grund dieses Verhaltens habe er nicht feststellen k\u00f6nnen. Die Vermutung, es r\u00fchre daher,","page":225},{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"226\nGr. E. M\u00fcller.\ndafs die meisten Menschen, wenn sie einen Gegenstand mit schiefem Kopfe betrachten wollen, sich hierzu aus Gewohnheit eher nach rechts als nach links neigen, sei ihm bald dadurch widerlegt worden, dafs die Erscheinung sich auch bei seinem Bruder finde, der sich aber in einem solchen Falle stets nach links neige. Auch Hofmann (S. 731 f.) kam bei einigen Versuchen zu dem Resultate, dafs f\u00fcr ihn das A-Ph\u00e4nomen bei Linksneigung des Kopfes durchschnittlich st\u00e4rker sei als bei Rechtsneigung. Dagegen fand Feilchenfeld (S. 133), dafs der Umstand, ob die Kopfneigung nach rechts oder links erfolgte, einen gesetzm\u00e4fsigen Einflufs auf die Ausgepr\u00e4gtheit des A - Ph\u00e4nomens nicht aus\u00fcbte. Ich selbst vermag auf Grund meiner Versuchserfahrungen nur zu sagen, dafs bei der hohen zuf\u00e4lligen Variabilit\u00e4t, welche die Erscheinungen dieses Gebietes zeigen, doch recht zahlreiche Versuche n\u00f6tig sind, um hinsichtlich des hier in Rede stehenden Punktes auch nur bei einer einzigen Vp. ein wirklich sicheres Ergebnis zu gewinnen. Bei meinen Versuchen kam es z. B. vor, dafs eine Vp. an einem Versuchstage eine auff\u00e4llige Neigung zeigte, bei Linksneigung des Kopfes das E-Ph\u00e4nomen h\u00e4ufiger wahrzunehmen als bei gleich grofser Rechtsneigung. \u00dcberblicke ich nun aber die Gesamtheit der an dieser Vp. erhaltenen Resultate, so l\u00e4fst dieselbe auch nicht im entferntesten eine derartige Tendenz erkennen. Wenn Nagel berichtet, dafs mehrere Herren, die auf seine Bitte die Versuche \u00fcber das A-Ph\u00e4nomen angestellt h\u00e4tten, ihm spontan mitgeteilt h\u00e4tten, dafs bei ihnen das Ph\u00e4nomen bei Linksneigung st\u00e4rker ausfalle als bei Rechtsneigung, so vermag ich derartigen Berichten kein erhebliches Gewicht beizulegen, solange nicht zugleich N\u00e4heres \u00fcber die Zahl der angestellten Versuche, \u00fcber die Methode der Bestimmung des Winkels der Rechts- oder Linksneigung u. a. m. mitgeteilt ist.\nAngenommen, es stelle sich f\u00fcr eine Vp. mit Sicherheit heraus, dafs das A-Ph\u00e4nomen bei einer Kopfneigung nach der einen Seite durchschnittlich ausgepr\u00e4gter ist als bei einer gleich ausgiebigen Kopfneigung nach der anderen Seite, so kann man bei Erkl\u00e4rung dieses Ergebnisses erstens die M\u00f6glichkeit in Betracht ziehen, dafs bei der Vp. die Gegenrollung bei gleichem Neigungswinkel f\u00fcr eine Rechtsneigung des Kopfes einen anderen Betrag besitze als f\u00fcr eine Linksneigung.1 Zweitens kann man\nNach den fr\u00fcher erw\u00e4hnten Untersuchungen von B\u00e2b\u00e2ny kann die","page":226},{"file":"p0227.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n227\nim Sinne der auf S. 158 ff. angestellten Betrachtungen die Vermutung aufstellen, dafs vielleicht bei einer Kopfneigung nach der einen Seite die Kopflageeindr\u00fccke eine gr\u00f6fsere Nachdr\u00fccklichkeit bes\u00e4fsen und demgem\u00e4fs die B-Komponente mit einem gr\u00f6fseren Gewichte auftreten liefsen als bei einer Kopfneigung nach der anderen Seite. Drittens ist mit der M\u00f6glichkeit zu rechnen, dafs die f\u00fcr den Ablenkungswert der B-Komponente mit mafsgebende Kopflokalisation mit einem verschiedenen Fehler behaftet sei, je nachdem der Kopf nach rechts oder nach links geneigt sei.\n8.\tAubekt hebt hervor, dafs das A-Ph\u00e4nomen von allen sonstigen Kopf- und Augenbewegungen unabh\u00e4ngig sei. \u201eHat man . . . die Grundlinie nach rechts oder links geneigt und hat die helle Linie dadurch ihre Lage scheinbar ver\u00e4ndert, so wird durch alle m\u00f6glichen \u00fcbrigen Bewegungen des Kopfes oder der Augen keine Ver\u00e4nderung in der scheinbaren Lage der hellen Linie hervorgebracht. Die Erscheinung ist also nur abh\u00e4ngig von der Neigung des Kopfes nach rechts oder links oder von der Neigung der Grundlinie.\u201c Es ist nicht daran zu denken, dafs Aubert die gewaltige Menge von Versuchen angestellt habe, die zu einer ausreichenden Pr\u00fcfung dieser von ihm aufgestellten allgemeinen Behauptung erforderlich sein w\u00fcrde. Es w\u00e4re z. B. gar nicht ohne Interesse, festzustellen, ob die Ausgepr\u00e4gtheit des A-Ph\u00e4nomens bei gegebener Neigung der Basallinie durchschnittlich ganz dieselbe ist, wenn diese Neigung der Basallinie durch eine blofse Rechts- oder Linksneigung des Kopfes aus der vertikalen Normalstellung heraus erhalten worden ist, wie dann, wenn dieselbe dadurch hergestellt worden ist, dafs der Kopf zun\u00e4chst um seine vertikale Achse nach rechts oder links gedreht und dann nach vorn hin gesenkt wurde. Schon allein eine sichere Beantwortung dieser Frage w\u00fcrde eine erkleckliche Zahl von Versuchen erfordern.\n9.\tEine und dieselbe Neigung der Basallinie kann auf verschiedene Weise hergestellt werden, durch eine blofse Schr\u00e4ghaltung des Rumpfes ohne Ann\u00e4herung des Kopfes an eine der beiden Schultern, durch eine Beugung des Rumpfes und eine\nDifferenz zwischen der zu einer Rechtsneigung des Kopfes von 60\u00b0 zugeh\u00f6rigen und der zu einer gleich ausgiebigen Linksneigung zugeh\u00f6rigen Gegenrollung bis 5\u00b0 betragen.","page":227},{"file":"p0228.txt","language":"de","ocr_de":"228\nG. E. M\u00fcller.\ndamit verbundene, gleichgerichtete Neigung des Kopfes gegen die eine Schulter, unter Umst\u00e4nden (bei nicht zu grofsem Umfange der beabsichtigten Neigung der Basallinie) auch durch eine blofse Neigung des Kopfes bei aufrecht erhaltenem Kumpfe. Ferner kann eine bestimmte Neigung des Kopfes oder des Kumpfes und Kopfes entweder eine unterst\u00fctzte oder eine nicht unterst\u00fctzte sein, indem im ersteren Falle der zu neigende K\u00f6rperteil einer geeigneten, die erforderliche Neigung gegen die Vertikale besitzenden Unterlage auf liegt (eventuellder ganze K\u00f6rper auf einem beliebig zu neigenden Zapfenbrette festgeschnallt ist), dagegen im zweiten Falle eine solche Unterst\u00fctzung des zu neigenden Kopfes oder Oberk\u00f6rpers fehlt. Falls sich bei n\u00e4herer Untersuchung zeigt, dafs das A-Ph\u00e4nomen bei der gleichen Neigung der Basallinie mit verschiedener Leichtigkeit und Ausgepr\u00e4gtheit auftritt, je nachdem diese oder jene der hier angedeuteten Versuchsanordnungen benutzt wird, so wird man bei Erkl\u00e4rung eines solchen Sachverhaltes darauf Bezug zu nehmen haben, dafs die Eindr\u00fccke, die aus dem mit der beabsichtigten Neigung der Basallinie verbundenen Verhalten der Vp. entspringen, je nach der Art dieses Verhaltens in verschiedenem Grade im Sinne eines Hervortretens der B-Komponente sich geltend machen k\u00f6nnen und auch eine verschiedene Fehlerhaftigkeit der Kopflokalisation mit sich f\u00fchren k\u00f6nnen, also sowohl das Gewicht als auch den Ablenkungswert der B-Komponente in verschiedenem Grade bestimmen k\u00f6nnen. Die Annahme, dafs der zu einer bestimmten Neigung der Basallinie zugeh\u00f6rige Betrag der Gegenrollung je nach der Art der benutzten Versuchsanordnung ein verschiedener sei, kann nicht gemacht werden, in Hinblick auf die G\u00fcltigkeit des schon von A. Nagel und Muldek (I, S. 78) aufgestellten Satzes, \u201edafs die Gr\u00f6fse der Rollbewegung lediglich abh\u00e4ngt von der Neigung des\nKopfes, auf welche Weise sie auch zustande gekommen sein mag\u201c.\nWas das vorliegende empirische Material hierher geh\u00f6riger Art anbelangt, so habe ich schon fr\u00fcher (S. 159 f.) Angaben verschiedener Forscher vorgef\u00fchrt, welche darauf hinweisen, dafs das A-Ph\u00e4nomen bei gleicher Neigung des Kopfes oder des Oberk\u00f6rpers st\u00e4rker ist, wenn die Neigung eine in bequemer Weise unterst\u00fctzte ist, als dann, wenn sie eine nicht unterst\u00fctzte ist. Wie leicht zu begreifen, machen sich eben die Kopflageeindr\u00fccke","page":228},{"file":"p0229.txt","language":"de","ocr_de":"Uoer das Auberische Ph\u00e4nomen.\n229\nim letzteren Falle nachdr\u00fccklicher im Sinne eines Hervortretens der B-Komponente geltend.\nlgfbenS\u00b0 Wie Sachs und Meller haben auch Alexander und B\u00e2r\u00e2ny lb. 423 ff.) Versuche angestellt, bei denen teils eine blofse seitliche Kopfneigung hergestellt war, teils der ganze K\u00f6rper einschliefslich des Kopfes unter dem vorgeschriebenen Winkel nach rechts oder links hin schr\u00e4g gelagert war. Ihre Versuchsresultate sind indessen nicht von der Art, dafs sie eine sichere Auskunft dar\u00fcber erteilen, wie sich die bei der einen dieser beiden Versuchsarten vorhandene Ausgepr\u00e4gtheit des A-Ph\u00e4nomens zu der bei der anderen Versuchsart vorhandenen verh\u00e4lt. Sachs und Meller teilen m ihrer zweiten Abhandlung, in der sie \u00fcber die Benutzung dieser beiden Versuchsarten berichten, \u00fcberhaupt keine Versuchsresultate mit, denen sich in dieser Hinsicht eine sichere Auskunft entnehmen liefse. Kur in ihrer ersten Abhandlung findet sich die auf S. 160 von mir angef\u00fchrte Bemerkung. Wie nicht erst bemerkt zu werden braucht, ist eine etwaige Differenz zwischen den Ergebnissen dieser beiden Versuchsarten an und fur sich mehrdeutig, da sich dieselben ja sowohl dadurch unterscheiden, dafs m dem einen Falle der ganze K\u00f6rper, in dem anderen Falle nur der Kopf seitlich geneigt ist, als auch dadurch, dafs die Neigung in dem einen Falle eine unterst\u00fctzte, in dem anderen (abgesehen von dem Eingebissensein in ein Zahnbrettchen) eine nicht unterst\u00fctzte ist.\nEber die irrige Behauptung von von Cyon, dafs das A-Ph\u00e4nomen \u00fcberhaupt nur dann eintrete, wenn der Kopf gegen den Rumpf geneigt werde, habe ich mich schon fr\u00fcher (S. 207 f.) ge\u00e4ufsert.\n10. Dafs es ohne Einflufs auf das A-Ph\u00e4nomen sei, ob man binokular oder monokular beobachte, wurde schon von Aubert (I, S. 384) behauptet. Sachs und Meller (I, S. 392) konstatierten, dafs bei seitlich geneigtem Kopfe eine mit dem Umfange der Kopfneigung wachsende Tendenz vorhanden war, die Leuchtlinie in Doppelbildern zu erblicken. Sie stellten daher die meisten ihrer Versuche monokular an. Feilcheneeld (S. 131 ff.) konnte dieses Doppeltsehen zwar an sich selbst, nicht aber auch an seinen Mitbeobachtern konstatieren; er geht n\u00e4her auf die \\ erursachung desselben ein. Die beiden (gleichnamigen) Doppelbilder verliefen bei ihm stets parallel, solange der um die Sagittal-achse gedrehte Kopf in der Frontalebene blieb. Von meinen Vpn., soweit sie mit normalem Gesichtssinne begabt waren, hat keine von einem Auftreten von Doppelbildern berichtet. Die von mir selbst beobachteten (gleichnamigen) Doppelbilder zeigten, soweit ich dies beurteilen konnte, das A-Ph\u00e4nomen stets in gleichem Grade. Dagegen gibt von Cyon (S. 215 f.) an, dafs bei ihm dieses Ph\u00e4nomen st\u00e4rker ausfalle, wenn er die Leuchtlinie nur mit dem linken Auge betrachte, als dann, wenn er mit dem","page":229},{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230\nG. E. Muller.\nrechten Auge oder binokular beobachte. Bei dem einen seiner Mitbeobachter sei umgekehrt bei der Beobachtung mit dem rechten Auge die T\u00e4uschung ausgepr\u00e4gter als bei der Beobachtung mit dem linken oder mit beiden Augen. Bei dem anderen Mitbeobachter zeige sich das Ph\u00e4nomen st\u00e4rker, wenn die Leuchtlinie mit dem tiefer liegenden Auge, also bei Rechtsneigung des Kopfes mit dem rechten, bei Linksneigung mit dem linken Auge betrachtet werde.1\n11.\tEine des Interesses nicht entbehrende Frage ist die, ob die durch eine seitliche Kopfneigung bedingte scheinbare Drehung der Leuchtlinie ganz unabh\u00e4ngig von der wirklichen Stellung der Leuchtlinie sei, also z. B. gleich ausgiebig ausfalle, wenn die Linie vertikal stehe, wie dann, wenn sie horizontal stehe oder einen Winkel von 45\u00b0 mit der Vertikalen bilde. Aus der bisherigen Literatur geh\u00f6rt allenfalls eine Notiz von Hofmann (S. 732 f.) hierher. Er stellte bei gegebener Kopfneigung sowohl die scheinbare Vertikale als auch die scheinbare Horizontale her und fand, dafs auch in den unmittelbar aufeinander folgenden Einzeleinstellungen eines Versuches ein Unterschied von bestimmter Richtung zwischen der Ablenkung der scheinbaren Vertikalen von der wirklichen Vertikalen einerseits und der Ablenkung der scheinbaren Horizontalen von der wirklichen Horizontalen andererseits sich zeigte. Er macht indessen hier den Einflufs des Ged\u00e4chtnisses geltend, welcher bei der von Haus aus bestehenden gewissen Unsicherheit in der Einstellung allem Anscheine nach bewirke, dafs die ersten Einstellungen einer Versuchsreihe f\u00fcr alle folgenden entscheidend seien, und in diesem Falle zur Folge habe, dafs die Differenz zwischen Vertikal- und Horizontaleinstellung, wenn sie einmal in einem Versuche auftrete, bei den weiteren Einzeleinstellungen hartn\u00e4ckig bestehen bleibe.\n12.\tZum Schl\u00fcsse noch die Bemerkung, dafs Mulder (II) behauptet, die \u00dcbung sei ohne Einflufs auf das A-Ph\u00e4nomen. Dafs diese Behauptung sich als zutreffend erweise, wenn man die Dinge nur ganz im groben betrachte, d\u00fcrfte vielleicht mancher\n1 Man vergleiche hierzu die auf S. 221 erw\u00e4hnte Tatsache, dafs bei gewissen Augenmuskell\u00e4hmungen das A-Ph\u00e4nomen sich genau so wie in dem obigen Falle f\u00fcr das tiefer liegende Auge st\u00e4rker darstellt wie f\u00fcr das h\u00f6her liegende.","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n231\nUntersucher zugeben. Eine wirklich genaue Untersuchung dieses Punktes ist aber, ebenso wie eine wirklich entscheidende Untersuchung mancher anderen hier erw\u00e4hnten Fragen, wegen der hohen zuf\u00e4lligen Variabilit\u00e4t dieses Erscheinungsgebietes nur mit recht erheblichem Zeitaufwande durchzuf\u00fchren und d\u00fcrfte wohl kaum von Mijldee angestellt worden sein. Da die Kopflokalisation dem Einfl\u00fcsse der \u00dcbung unterliegen kann, so ist auch em Emflufs der \u00dcbung auf die scheinbare Stellung der mit geneigtem Kopfe betrachteten Leuchtlinie von vornherein nicht v\u00f6llig ausgeschlossen.\n\u00a7 14. Die bisherigen Erkl\u00e4rungen des A-Ph\u00e4nomens. N\u00e4here Er\u00f6rterung der Umwertungstheorie. Erg\u00e4nzende Formulierung\nder hier vertretenen Theorie.\nIch f\u00fchre im nachstehenden die Erkl\u00e4rungen, die bisher f\u00fcr das A-Ph\u00e4nomen gegeben worden sind, an, soweit es angezeigt erscheint, unter Hinzuf\u00fcgung kurzer kritischer Bemerkungen.\n1. Erkl\u00e4rung durch Mangelhaftigkeit der Kopflokalisation. Bei dieser Erkl\u00e4rungsweise geht man von der Voraussetzung aus, dafs die Leuchtlinie ausschliefslich vom Kopfe aus lokalisiert werde. Da nun aber der Kopf selbst mangelhaft lokalisiert werde, so falle auch die Lokalisation der Leuchtlinie unrichtig aus. Vertreter dieser Erkl\u00e4rungsweise sind Aubert und Helmholtz. Aubert (I, S. 387 ff. und II, S. 277 f.) f\u00fchrt das von ihm entdeckte Ph\u00e4nomen darauf zur\u00fcck, \u201edafs wir uns der ausgef\u00fchrten Neigung unseres Kopfes nicht dauernd bewufst bleiben, weil wir zu wenig Anhaltspunkte daf\u00fcr haben, in welcher Lage sich unser Kopf und K\u00f6rper und mit ihnen zugleich unsere Augen befinden. Deswegen legen wir die Richtungen im Raum zu den Richtungen unseres Kopfes falsch aus, n\u00e4mlich so, als ob wir den Kopf weniger geneigt h\u00e4tten. In einem hellen Raum, wo wir eine Menge Objekte und uns selbst zum Teil sehen k\u00f6nnen, haben wir fortw\u00e4hrende Anl\u00e4sse, uns unserer Stellung bewufst zu bleiben . . . Werden uns aber im finsteren Zimmer diese Anhaltspunkte f\u00fcr unsere Orientierung entzogen, so bleibt nur noch der Tastsinn oder das Muskelgef\u00fchl \u00fcbrig, um uns von der Lage unseres K\u00f6rpers zu benachrichtigen. Der Einflufs des Muskelgef\u00fchls wird aber um so geringer werden, je l\u00e4nger wir in der geneigten Lage verharren . . . kurz in dem Grade,","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232\nGr. E. M\u00fcller.\nwie wir aufh\u00f6ren uns der Lage unseres Kopfes und unserer Netzhaut bewufst zu sein, wird sich die Vorstellung vom Raum ver\u00e4ndern, und zwar in einem unserer Kopfneigung entgegengesetzten Sinne\u201c. Gegen diese AuBERTsche Deutung hat Mulder (I, S. 109 f.) mit Recht eingewandt, dafs, wenn man die Leuchtlinie betrachte, w\u00e4hrend man horizontal gelagert sei, man das A-Ph\u00e4nomen sehr wohl konstatiere, auch wenn man sich dabei dieser horizontalen Lage vollkommen bewufst sei.\nHelmholtz (S. 763) f\u00fchrt das A-Ph\u00e4nomen schlechtweg darauf zur\u00fcck, \u201edafs wir im Dunkeln die Seitenneigung unseres Kopfes f\u00fcr kleiner halten, als sie wirklich ist\u201c. Gegen\u00fcber dieser Auslassung haben Sachs und Meller (II, S. 105) mit Recht bemerkt, dafs die AuBERTsche T\u00e4uschung in vielen F\u00e4llen viel zu stark sei, um durch eine blofse Untersch\u00e4tzung der Kopfneigung erkl\u00e4rt werden zu k\u00f6nnen. Wenn z. B., wie dies vorkommt, bei horizontaler Lage des Beobachters die scheinbare Vertikale eine Neigung von 45\u00b0 oder mehr gegen die objektive Vertikale besitzt, so kann dies doch unm\u00f6glich darauf zur\u00fcckgef\u00fchrt werden, dafs die Kopfneigung um 45\u00b0 oder mehr untersch\u00e4tzt werde. Die im Hinblick auf die hier erw\u00e4hnte HELMHOLTzsche Ansicht unternommenen Versuche dar\u00fcber, wie sich bei dem A\u00fcBERTschen Versuche die Kopflokalisation verhalte, sind schon auf S. 141 ff. von mir besprochen worden.\n2. Erkl\u00e4rung durch die Gegenrollung. Nagel (S. 389 ff.) macht geltend, durch die bei der Kopfneigung vorhandene Gegenrollung werde \u201edas an sich schon unsichere Urteil \u00fcber die Spannungsverh\u00e4ltnisse der Augenmuskeln desorientiert\u201c. \u201eWie sich diese Verwirrung \u00e4ufsern wird, in welchem Sinne die Scheinbewegung der Objekte bei abnormer Orientierung des Bulbus um die Sehachse erfolgen wird, l\u00e4fst sich a priori nicht sagen, \u2014 die Beobachtung zeigt, dafs sie in beiderlei Sinn erfolgen kann, bei verschiedenen Individuen und selbst bei den gleichen Individuen zu verschiedenen Zeiten wechseln kann.\u201c Das AuBERTsche Ph\u00e4nomen, das \u201eeine T\u00e4uschung nicht \u00fcber die Lage des K\u00f6rpers im ganzen, sondern des Netzhauthorizontes darstellt\u201c, \u201emufs durch die Augenmuskeln, bzw. die unbewufste Vorstellung, die man sich \u00fcber deren Spannungszustand macht, hervorgerufen sein\u201c. Auf eine Erkl\u00e4rung der Tatsache, dafs bei hinl\u00e4nglicher Steigerung der Kopfneigung das E-Ph\u00e4nomen stets dem A-Ph\u00e4nomen Platz macht, wird bei dieser NAGELschen Auf-","page":232},{"file":"p0233.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n233\nfassung verzichtet. Und es ist wohl einigermafsen schwer zn begreifen, wie durch die bei h\u00f6heren Graden der Kopfneigung relativ so schwache Gegenrollung eine solche Irrung hinsichtlich der Stellung des Netzhauthorizontes bewirkt werden k\u00f6nne, dafs z. B. Feilchenfeld einmal bei einer Kopfneigung von 120\u00b0 die vertikale Leuchtlinie als eine um 900 gegensinnig geneigte erblickte.\nWichodzew (.Zeitschr. f. Sinnesphysiol 46, 1912, S. 395) erkl\u00e4rt schlechtweg, dafs die von Aubeet, Mulder, Nagel u. a. untersuchte, bei seitlicher Kopfneigung eintretende T\u00e4uschung hinsichtlich der Lage der Gesichtsobjekte durch die Gegenrollung zu erkl\u00e4ren sei. \u201eIst z. B. der Kopf zur Schulter um 45\u00b0 geneigt, so wird das Netzhautbild einer vertikalen Linie nicht den 45. Meridian treffen, sondern etwa den 40., weil das Auge um 5\u00b0 nach der umgekehrten Richtung gerollt ist. Die vertikale Linie wird deshalb um 50 abgelenkt erscheinen.\u201c Wichodzew \u00fcbersieht, dafs man auf diese Weise zwar das E-Ph\u00e4nomen, nicht aber das A-Ph\u00e4nomen erkl\u00e4ren kann.\n3.\tBourdon (S. 172f.) erkl\u00e4rt das A-Ph\u00e4nomen durch eine gemeinsame Wirksamkeit der Gegenrollung und der Untersch\u00e4tzung der Kopfneigung, indem er merkw\u00fcrdigerweise gleichfalls annimmt, dafs die Gegenrollung sich im Sinne des Eintretens des A-Ph\u00e4nomens geltend mache.\n4.\tWenig entwickelt ist die Auffassung von Delage (S. 115ff.). Er unterscheidet zwischen morphologischen und astronomischen Meridianen der Netzhaut. \u201eAppelons m\u00e9ridiens morphologiques ceux qui passent l\u2019un par les muscles droit sup\u00e9rieur et droit inf\u00e9rieur, l\u2019autre par les muscles droit interne et droit externe et qui se croisent \u00e0 peu pr\u00e8s \u00e0 la tache jaune; et m\u00e9ridiens astronomiques ou simplement m\u00e9ridiens actuels ceux qui sont v\u00e9ritablement horizontal ou vertical dans la situation actuelle de la t\u00eate, qu\u2019elle soit droite on inclin\u00e9e comme on voudra.\u201c Und er f\u00fchrt nun das A-Ph\u00e4nomen darauf zur\u00fcck, dafs unser Urteil die Stellung der morphologischen Meridiane ber\u00fccksichtige, ohne sich g\u00e4nzlich von ihnen bestimmen zu lassen. \u201eNotre jugement tient compte de la position des m\u00e9ridiens morphologiques sans se r\u00e9gler enti\u00e8rement sur eux.\u201c\n5.\tvon Cyon (S. 230ff.), der, wie schon fr\u00fcher (S. 146) erw\u00e4hnt, die Behauptung aufstellt, dafs das A-Ph\u00e4nomen nur durch eine Neigung des Kopfes zum Rumpfe bedingt sei, demgem\u00e4fs","page":233},{"file":"p0234.txt","language":"de","ocr_de":"234\nGr. E. M\u00fcller.\nauch bei einer Neigung des Kopfes um 90\u00b0 gegen die Vertikale ausbleibe, wenn diese Neigung durch eine entsprechende Lagerung des Gesamtk\u00f6rpers erzielt sei, macht trotzdem zugleich die Annahme, dafs dieses Ph\u00e4nomen \u201evon der Vorstellung der Ebenen der drei Bogengangpaare\u201c abh\u00e4nge. Er geht von der Voraussetzung aus, \u201edafs aus der Kongruenz der Empfindungen der beiden Bogengangpaare sich in unserem Gehirn die Vorstellung eines idealen rechtwinkligen Koordinatensystems bildet, auf das s\u00e4mtliche Empfindungen unserer anderen Sinne, zum Zwecke der Orientierung in einem dreidimensionalen Raume, projiziert werden . . . Wir w\u00fcrden also die vertikalen und horizontalen Richtungen in einer Schiefstellung, die entgegengesetzt der Kopfneigung ist, wahrnehmen, weil die Richtungen des idealen Koordinatensystems bei der entsprechenden Kopfneigung schief und entgegengesetzt geneigt werden.\u201c\n6.\tAlexander und Barany (S. 454) glauben gefunden zu haben, dafs bei allen Bestimmungen der scheinbaren Vertikalen \u201ezwei Momente eine Rolle spielen, das eine ist das Auftr\u00e4gen des gesch\u00e4tzten Kopfneigungs- resp. Kopfk\u00f6rperneigungswinkels von der scheinbaren Kopf- resp. Kopfk\u00f6rperlage aus, das andere ist die m\u00f6glichst geringe Trennung der scheinbar Vertikalen von der Medianlinie\u201c (des Kopfes). Es mag bemerkt werden, dafs die zu diesem Ergebnisse f\u00fchrende Entwicklung beider Forscher von der von uns fr\u00fcher (S. 143) als unzul\u00e4ssig erkannten Voraussetzung ausgeht, dafs ihre \u201eoptischen Bestimmungen\u201c der scheinbaren Kopflage oder Kopfk\u00f6rperlage wirklich ein zutreffendes Bild der von den Vpn. vorgestellten Kopflagen oder Kopfk\u00f6rperlagen g\u00e4ben. Nicht zu verkennen ist aber, dafs die beiden Momente, von deren Rolle Alexander und Barany hier reden, eine gewisse Verwandtschaft zu unserer B- und S-Kom-ponente besitzen.\n7.\tSachs und Meller (I, S. 399 f. und II, S. 105 f.) nehmen an, dafs bei der seitlichen Kopfneigung eine von Labyrintherregungen abh\u00e4ngige und der Kopfneigung proportionale Ver\u00e4nderung der Raumwerte der Netzhaut, die sie kurz die impulsive Umwertung nennen, erfolge. Hinge die Lokalisation der bei geneigtem Kopfe erblickten Leuchtlinie ausschliefslich von dieser impulsiven Umwertung ab, so w\u00fcrde kein Lokalisationsfehler eintreten. Nun bestehe aber einerseits die Gegenrollung, welche im Sinne des Eintretens des E-Ph\u00e4nomens wirke. Anderer-","page":234},{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n235\nseits stehe es so, \u201edafs die Vorstellung des verdrehten Kopfes um so mehr in das aus den Netzhautempfindungen aufgebaute Anschauungsbild des Raumes eingetragen wird, je mehr der Kopf geneigt wird; oder mit anderen Worten: dafs die Unterscheidung von oben und unten (die Empfindung der Richtung der Schwerkraft) f\u00fcr die Ausdeutung des Netzhautbildes bei st\u00e4rkeren Kopfneigungen zum dominierenden Faktor wird. Insofern hierdurch allein schon eine Erkennung der Richtungen im Raume trotz der ver\u00e4nderten Abbildungsverh\u00e4ltnisse gegeben w\u00e4re, ist die impulsive Umwertung der Netzhautraumwerte, die demselben Zwecke diente, gewissermafsen \u00fcberfl\u00fcssig : das Zusammentreffen beider Momente mufs die Lokalisation im Sinne einer \u00dcberkompensation beeinflussen. Dies ist auch tats\u00e4chlich der Fall; denn bei h\u00f6hergradiger Kopfneigung erscheint eine Linie senkrecht, die sich auf einem Meridian abbildet, der, wenn blofs die impulsive Umwertung best\u00e4nde, schon bei einer Kopfneigung geringeren Grades vertikalempfindend werden m\u00fcfste.\u201c Feilchen-feld (S. 147) hat dieser recht gek\u00fcnstelten Deutung gegen\u00fcber mit Recht eingewandt, dafs, wenn eine verh\u00e4ltnism\u00e4fsig zu starke Kopfneigung n\u00f6tig sei, um einen Meridian vertikalempfindend zu machen, daraus im Gegenteil zu entnehmen sein w\u00fcrde, dafs die Gesamtumwertung der Netzhautmeridiane zu gering, also die impulsive Umwertung nicht einmal in ihrem ganzen Betrage vorhanden sei. Die von Sachs und Mellek angenommene \u00dcberkompensation w\u00fcrde in der Tat im Sinne des Eintretens des E-Ph\u00e4nomens, nicht aber des A-Ph\u00e4nomens wirken.\n8. Feilchenfeld (S. 134 ff.) erkl\u00e4rt das E-Ph\u00e4nomen durch die vor\u00fcbergehende Gegenrollung, obwohl das E-Ph\u00e4nomen oft viel zu lange andauert, als dafs es durch die vor\u00fcbergehende Gegenrollung erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnte. Das A-Ph\u00e4nomen f\u00fchrt er darauf zur\u00fcck, dafs bei bestehender Kopfneigung \u201edas topogene Moment\u201c, das einem Netzhautmeridiane zukomme, durch den Einflufs der kin\u00e4sthetischen Empfindungen modifiziert werde in einem nach zeitlichen und individuellen Verh\u00e4ltnissen verschiedenen Mafse.\nBevor ich diese von Feilchenfeld vertretene Erkl\u00e4rung des A-Ph\u00e4nomens in Verbindung mit der von uns in dieser Abhand* lung vertretenen Erkl\u00e4rung n\u00e4her diskutiere, m\u00f6chte ich zun\u00e4chst eine bequeme Ausdrucksweise erl\u00e4utern, deren ich mich bei dieser Diskussion bedienen werde. In Beziehung auf den hier","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nG. E. M\u00fcller.\nzu betrachtenden Fall der Fixation einer geraden Linie kann man in \u00e4hnlicher Weise, wie man bisher von den Raumwerten gereizter Netzhautpunkte gesprochen hat, von dem Neigungs-werte des durch die Linie gereizten Netzhautteiles oder, falls es sich um binokulares Sehen handelt, von dem (gemeinsamen) Neigungswerte der beiderseitig gereizten, ein einfaches Linienbild vermittelnden Netzhautteile reden, wobei der Neigungswert durch die Neigung bestimmt sein soll, welche die wahrgenommene Linie gegen die Vertikale nach rechts oder links hin scheinbar besitzt. Von einer etwaigen Erstreckung der Linie in die Tiefe wird dabei ganz abgesehen.\nBeschr\u00e4nken wir uns der K\u00fcrze halber auf den Fall des normalen, binokularen Sehens, so steht nach den Anschauungen Feilcheneelds die Sache folgendermafsen. Da unsere Kopfhaltung beim Beobachten von Gesichtsobjekten am h\u00e4ufigsten \u00abine solche ist, bei welcher der Kopf weder nach rechts noch nach links geneigt ist, so entspricht jeder Kombination eines rechts- und eines linksseitigen Netzhautteiles, die beide durch -dieselbe Linie erregt werden k\u00f6nnen und zu einer einfachen Wahrnehmung derselben f\u00fchren k\u00f6nnen, vor allem ein Neigungswert, der sich nach der Neigung bestimmt, welche eine Linie besitzt, die auf beide Netzhautteile bei nicht seitlich geneigtem Kopfe einwirkt. Man kann diesen Neigungswert als den prim\u00e4ren Neigungswert der betreffenden Netzhautteile bezeichnen. Wird nun aber der Kopf seitlich geneigt, so bleibt der Neigungswert der in Betracht gezogenen beiderseitigen Netzhautteile nicht mehr der prim\u00e4re, sondern er wird durch den Einflufs der aus der Kopfneigung entspringenden kin\u00e4sthetischen Empfindungen modifiziert (umgewertet). Diese Umwertung ist aber ungen\u00fcgend, so dafs sich das A-Ph\u00e4nomen zeigt. Will man jenen kin\u00e4sthetischen Empfindungen nicht eine mystische Macht zuschreiben, so mufs man nat\u00fcrlich annehmen, dafs ihr Einflufs auf die Neigungswerte auf der Erfahrung beruhe. Eine durch eine Linie erfolgende Reizung eines rechts- und eines linksseitigen Netzhautteiles sei eben infolge der Erfahrungen, die man dann und wann doch bei geneigtem Kopfe im Hellen gemacht habe, je nach dem Grade der vorhandenen seitlichen Kopfneigung oder besser je nach der Art der gleichzeitig vorhandenen Kopflageeindr\u00fccke mit einer verschiedenen Orientierung der Linie (in Beziehung mif ihre Neigung zur Vertikalen) assoziiert, und diese Assozia-","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n237\ntionen h\u00e4tten nun in Verbindung mit der Tendenz zur Festhaltung des prim\u00e4ren Neigungswertes zur Folge, dafs bei vorhandener Kopfneigung ein Neigungswert resultiert, der von dem prim\u00e4ren Neigungswerte mehr oder weniger nach dem richtigen Neigungswerte hin ab weicht. Wie unschwer zu erkennen, l\u00e4fst sich diese Umwertungstheorie Feilcheneelds, die ohne Zweifel von allen bisher gegebenen Erkl\u00e4rungen des A-Ph\u00e4no-mens die meiste Beachtung verdient, kurz als eine solche Theorie charakterisieren, welche annehme, dafs die Orientierung der Leuchtlinie lediglich einerseits von unserer S-Komponente und andererseits von der fr\u00fcher (S. 193 ft.) von uns unterschiedenen R-Tendenz oder R-Komponente bestimmt sei. Eine Eigent\u00fcmlichkeit dieser Umwertungstheorie besteht darin, dafs nach ihr zwar die Kopflageeindr\u00fccke, die ja die Umwertung bewirken, von fundamentaler Bedeutung sind, aber die auf Grund dieser Eindr\u00fccke eintretende Kopflokalisation gar keinen Einflufs auf die scheinbare Stellung der Leuchtlinie aus\u00fcbt. \u00a7\nDieser Umwertungstheorie gegen\u00fcber besagt nun unsere Theorie folgendes. Der Neigungswert der durch eine fixierte gerade Linie gereizten Netzhautteile bestimmt sich nach der Neigung, welche eine Linie besitzt, die diese retinalen Elemente bei weder nach rechts noch nach links geneigtem Kopfe erregt. Nur ist dieser Neigungswert entsprechend der Tatsache, dafs unsere egozentrische Lokalisation einerseits in Beziehung auf das S-System und andererseits in Beziehung auf das B-System (und K-System) stattfindet, ein doppelter, n\u00e4mlich erstens einS-Neigungs-wert und zweitens ein B-Neigungswert. Beide Neigungswerte wirken in gleicher Richtung, wenn der Kopf weder nach rechts noch nach links geneigt ist. Ist der Kopf seitlich geneigt, so wirken sie in abweichender Weise, und aus ihrem Zusammenwirken entspringt je nach Umst\u00e4nden das A- oder das E-Ph\u00e4nomen. Ob neben diesen beiden Neigungs werten noch die R-Tendenz (ein R-Neigungswert) in merkbarem Grade besteht und sich im Sinne einer Verringerung der Ausgepr\u00e4gtheit des A- oder des E-Ph\u00e4nomens geltend macht und bei sehr kleinen Kopfneigungen etwa gar die scheinbare Neigung der Leuchtlinie ausschliefslich bestimmt, mufs dem fr\u00fcher (S. 202 ff.) Bemerkten gem\u00e4fs zurzeit noch dahingestellt bleiben.\nWir haben uns f\u00fcr diese Theorie und nicht f\u00fcr die obige Umwertungstheorie aus folgenden Gr\u00fcnden entschieden.\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 49.\t16","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238\nG. E. M\u00fcller.\nNimmt man an, dafs die bei nicht seitlich geneigtem Kopfe gemachten Erfahrungen die Neigungswerte der Netzhautteile, die durch gerade Linien erregt werden k\u00f6nnen, bestimmen, so darf man nicht annehmen, dafs diese Neigungswerte nur in Beziehung auf das S-System entwickelt werden. Denn ebenso wie die Lokalisation der Gesichtsobjekte in Beziehung auf das S-System ist auch die Lokalisation derselben in Beziehung auf das B - System von hoher Bedeutung. Weiteres hier\u00fcber auf die fr\u00fcher (S. 116) erw\u00e4hnte Gelegenheit verschiebend begn\u00fcge ich mich damit, hier folgendes anzuf\u00fchren. Die Buchstaben, Ziffern und andere \u00e4hnliche f\u00fcr uns recht wichtige Zeichen sind f\u00fcr uns nicht blofs durch ihre Formen, sondern auch durch ihre Stellungen charakterisiert; manche von ihnen, wie z. B. 6 und 9 unterscheiden sich sogar nur durch ihre Stellungen voneinander. Diese Stellungen sind aber in der Hauptsache nicht sowohl Stellungen in Beziehung auf das S-System als vielmehr Stellungen in Beziehung auf^das B-System. Man \u00fcberzeugt sich hiervon leicht durch Versuche folgender Art. Die Vp. hat bei jedem Versuche Wortreihen, die sich auf einem rechteckigen Papierblatte befinden, zu lesen, w\u00e4hrend sie horizontal auf ihrer linken Seite gelagert ist, also ihr Kopf und K\u00f6rper um 90\u00b0 nach links geneigt sind. Die Wortreihen sind nat\u00fcrlich bei jedem neuen Versuche andere. Das Papierblatt befindet sich bei jedem Versuche in frontal-paralleler Ebene geradeaus vor dem Gesicht. Bei der einen H\u00e4lfte der Versuche haben die W\u00f6rter ihre gew\u00f6hnliche Orientierung im Raume, die Zeilen laufen also in horizontaler Richtung von links nach rechts. Bei der anderen H\u00e4lfte der Versuche besitzen die W\u00f6rter ihre gew\u00f6hnliche Orientierung in Beziehung auf den Kopf, d. h. die Zeilen laufen in vertikaler Richtung (parallel zur Basallinie) von unten nach oben. Es zeigt sich nun, dafs die Wortreihen bei der letzteren Orientierung bedeutend leichter und schneller gelesen werden als bei der ersteren Orientierung, was kl\u00e4rlich dartut, dafs wir gewohnt sind die Buchstaben, Ziffern u. dgl. haupts\u00e4chlich in Beziehung auf das B-System zu lokalisieren. Herr Oetjen, auf dessen im hiesigen Institute sowohl an Erwachsenen als auch an Kindern angestellte, ausgedehnte Versuche ich soeben Bezug genommen habe1, hat ferner auch noch Versuche folgender Art angestellt.\n1 Betreffs der Einzelheiten und weiteren Resultate dieser Untersuchung","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n239\nDie Vp. erhielt bei normaler Dumpf- und Kopfhaltung Figuren zur Einpr\u00e4gung dargeboten. Nach gewisser Zwischenzeit wurden diese Figuren, mit ganz neuen Figuren untermischt, der Vp. abermals vorgef\u00fchrt, damit sie sich bei jeder dar\u00fcber entscheide, ob sie ihr bekannt vorkomme oder nicht, und zwar fand bei dem uns hier interessierenden Teile der Versuche diese abermalige Vorf\u00fchrung der Figuren statt, w\u00e4hrend die Vp. mit vertikal stehender Basallinie auf ihrer linken Seite lag. Hierbei wurden die Figuren teils mit ihrer urspr\u00fcnglichen Orientierung im Raume (im S-System) teils mit ihrer fr\u00fcheren Orientierung zum Kopfe (als um 900 nach links gedrehte) vorgezeigt. Es zeigte sich, dafs die Figuren bei letzterer Vorf\u00fchrungsweise erheblich h\u00e4ufiger wiedererkannt wurden als bei ersterer, was dartut, dafs auch einzupr\u00e4gende Figuren mehr nach ihrer Stellung zum B-Systeme als nach ihrer Stellung zum S-Systeme aufgefafst werden. Ebenso wie derartige Leseversuche und Wiedererkennungsversuche zeigen auch Ged\u00e4chtnisversuche der fr\u00fcher (S. Ill ft.) erw\u00e4hnten Art, dafs es eine sehr mangelhafte Ansicht ist, wenn man von der Voraussetzung ausgeht, dafs unsere Lokalisationen der Gesichtsobjekte nur Lokalisationen in Beziehung auf das S-System seien. Dienen die bei nicht seitlich geneigtem Kopfe gemachten Erfahrungen \u00fcberhaupt dazu, dafs sich bestimmte Neigungswerte der durch eine fixierte gerade Linie erregbaren Netzhautteile entwickeln, so m\u00fcssen diese Neigungs-wTerte sowohl S-Neigungswerte als auch B-Neigungswerte sein. Die Annahme, dafs sich nur Neigungswerte der ersteren Art entwickelten, w\u00fcrde nach Feststellung der soeben erw\u00e4hnten Versuchstatsachen als eine ganz unbegreifliche und willk\u00fcrliche zu bezeichnen sein.\nWir haben ferner fr\u00fcher gesehen, dafs ksich von unserem Standpunkte aus das E-Ph\u00e4nomen ganz ungezwungen aus dem Bestehen der Gegenrollung ergibt, und dafs insbesondere auch die Gr\u00f6fsenordnung dieses Ph\u00e4nomens zu der wesentlich auf die Gegenrollung Bezug nehmenden Erkl\u00e4rung desselben durchaus stimmt (vgl. \u00a7 5). Es ist nun aber nicht ang\u00e4ngig, vom Standpunkte jener Umwertungstheorie aus der Gegenrollung eine gleiche, das E-Ph\u00e4nomen bedingende Rolle zuzuschreiben. Denn\ndes Herrn Oetjen vergleiche man dessen Ver\u00f6ffentlichung in der Zeitschrift f\u00fcr Psychologie 71, 1915, S. 321 ff.\n16*","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240\nG. E. M\u00fcller.\nwenn die bei den verschiedenenKopf neigungen im Hellen gemachten Erfahrungen zur Folge haben, dafs sich neben den S-Neigungs-werten noch R-Neigungswerte entwickeln, die dahin wirken, die dargebotene Leuchtlinie trotz der vorhandenen Kopfneigung in der richtigen Stellung erscheinen zu lassen, so bestimmt sich der Umstand, welchen Netzhautteilen bei einer gegebenen Kopfneigung ein bestimmter R-Neigungswert, z. B. derjenige von dem Betrage 0 zukommt, doch nach demGrade der Gegenrollung, die bei der gegebenen Kopfneigung vorhanden ist. Die Erfahrung, welche die R-Neigungswerte schafft, ist eine solche, die bei Vorhandensein der Gegenrollung vor sich geht ; sie ber\u00fccksichtigt so zu sagen bereits die Gegenrollung. Man kann daher vom Standpunkte der Umwertungstheorie aus (d. h. wenn man nur eine S-Komponente und eine R-Komponente, nicht aber auch eine B-Komponente kennt) die Gegenrollung nicht noch als einen Faktor geltend machen, der unter Umst\u00e4nden das E-Ph\u00e4nomen erzeuge.1 Vom Standpunkte der Umwertungstheorie aus kann man das E-Ph\u00e4nomen nur in der Weise erkl\u00e4ren, dafs man sagt, bei denjenigen Kopfneigungen, bei denen sich das E-Ph\u00e4nomen zeige, trete unter dem\nEinfl\u00fcsse der Kopflageeindr\u00fccke eine \u00fcber das Ziel hinausschiefsende\n\u2022 \u2022\nUmwertung der Neigungswerte, so zu sagen, eine Uberumwertung derselben ein. Bei einer solchen Kopfneigung besitze also die R-Komponente nicht blofs ein unvergleichlich h\u00f6heres Gewicht als die S-Komponente, sondern sie mache sich auch, obwohl sie, auf einer Nachwirkung der F\u00e4lle beruhe, wo bei derselben Kopfneigung im Hellen eine Linienrichtung richtig wahrgenommen wurde, dahin geltend, die scheinbare Stellung der Leuchtlinie in gleichsinniger Richtung von ihrer wirklichen Stellung abweichen zu lassen. Bei h\u00f6heren Graden der Kopfneigung trete das A-\n1 Allerdings macht sich, wie auf S. 119 gesehen, die Gegenrollung im Sinne einer Verringerung des gegensinnigen Ablenkungswertes der S-Komponente geltend. Ein Eintreten des E-Ph\u00e4nomens k\u00f6nnte aber durch diesen Einflufs der Gegenrollung nur dann bewirkt werden, wenn der Winkel der Gegenrollung gr\u00f6fser w\u00e4re wie der Winkel der Kopfneigung, was nicht einmal bei der vor\u00fcbergehenden Gegenrollung je der Fall sein d\u00fcrfte.\nWie fr\u00fcher gesehen, kann nach unserer Theorie auch eine falsche Kopflokalisation im Sinne des Eintretens des E-Ph\u00e4nomens wirken. Auch eine derartige Heranziehung der Kopflokalisation f\u00fcr die Erkl\u00e4rung dieses Ph\u00e4nomens ist f\u00fcr die Umwertungstheorie ausgeschlossen, da ja nach derselben, wie schon oben hervorgehoben, die Kopflokalisation ohne allen Einflufs auf die scheinbare Stellung der Leuchtlinie ist.","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Anbertsche Ph\u00e4nomen.\n241\nPh\u00e4nomen ein, weil dann das Gewicht der R-Komponente ein bedeutend geringeres sei und vielleicht auch die R-Komponente nicht mehr im Sinne einer \u00dcberumwertung, sondern nur im Sinne einer richtigen Umwertung der Neigungswerte wirke. Ich brauche nicht erst hervorzuheben, wie absurd und unverst\u00e4ndlich die Annahme sein w\u00fcrde, dafs durch die im Hellen bei einer bestimmten Kopfneigung gemachten richtigen Wahrnehmungen von Linienstellungen eine Tendenz erzeugt werde, bei derselben Kopfneigung die im Dunkeln dargebotene Leuchtlinie mit einer gleichsinnigen Abweichung von ihrer wirklichen Neigung zu erblicken. Ich w\u00fcfste keine Sinnest\u00e4uschung zu nennen, welche auf einem derartigen \u00fcbertreibenden Danebengreifen des Einflusses gestifteter Assoziationen beruhe und ein Analogon jener \u00dcberumwertung der Neigungswerte durch die Kopflageeindr\u00fccke sei. Es mufs also durchaus behauptet werden, dafs die Umwertungstheorie eine haltbare Erkl\u00e4rung des E-Ph\u00e4nomens nicht zu geben vermag.\nAls ein weiteres Bedenken gegen diese Theorie mag noch angef\u00fchrt werden, dafs auch nicht abzusehen ist, wie man vom Standpunkte derselben aus die Tatsache erkl\u00e4ren k\u00f6nne, dafs das A-Ph\u00e4nomen von einem bei 130\u00b0 bis 160\u00b0 liegenden Betrage der Kopfneigung ab bei weiterer Steigerung der Kopfneigung sich schnell wieder verringert. Denn da die Zahl der Gesichts Wahrnehmungen, die wir bei Kopfneigungen von 130\u00b0 bis 180\u00b0 machen, eine verschwindend geringe ist, so w\u00e4re nach der Umwertungstheorie zu erwarten, dafs bei diesen Kopfneigungen die prim\u00e4ren Neigungswerte so gut wie gar keine Umwertung erf\u00fchren und mithin das A-Ph\u00e4nomen mit h\u00f6chster Ausgepr\u00e4gtheit sich zeigte.\nEndlich kann man vielleicht auch noch folgendes in Beziehung auf jene Theorie bemerken. Mustern wir die F\u00e4lle der gew\u00f6hnlichen Lebenpraxis, wo wir bei seitlich geneigtem Kopfe Gesichtsobjekte betrachten, n\u00e4her, so scheint es nicht, als ob wir bei gewissen relativ starken Kopfneigungen, die wir beim Liegen auf dem Sofa, im Bette oder bei anderen derartigen Gelegenheiten gewohnterweise innehalten, seltener Gesichtsobjekte beobachteten als bei gewissen weniger starken Kopfneigungen, f\u00fcr deren Herstellung sich keinerlei besondere Veranlassungen mit gewisser Regelm\u00e4fsigkeit darzubieten pflegen. Eher k\u00f6nnte meinen, dafs jene gewissen Kopfneigungen von gr\u00f6fserer \u2022 Ausgiebigkeit die","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\nGr. E. M\u00fcller.\nh\u00e4ufiger vorkommenden seien. L\u00e4fst man also die Ausgepr\u00e4gtheit, mit welcher das A-Ph\u00e4nomen bei einer bestimmten Kopfneigung auftritt, sich ausschliefslich danach bestimmen, mit welcher St\u00e4rke die bei derselben Kopfneigung gemachten Erfahrungen im Sinne des Auftretens einer R-Komponente wirken, und zwar um so geringer sein, je st\u00e4rker dieser Erfahrungseinflufs ist, so w\u00fcrde kaum zu erwarten sein, dafs das A-Ph\u00e4nomen bei einer Vp. vom A-Typus im Falle zunehmender Kopfneigung (bis zu dem oben erw\u00e4hnten, bei 130\u2014160\u00b0 liegenden Grenzwerte hin) eine so ausnahmslose Zunahme seiner Ausgepr\u00e4gtheit zeige, wie es trotz seiner sogenannten Inkonstanz bei einer Durchschnittsbetrachtung tats\u00e4chlich doch erkennen l\u00e4fst. Das Entsprechende gilt in Beziehung auf die Vpn. vom E A-Typus.\nWir haben dem fr\u00fcher (S. 121) Vorausgeschiekten gem\u00e4fs bei unseren bisherigen Entwicklungen \u00fcber das A- und das E-Ph\u00e4nomen im allgemeinen den besonderen Fall vor Augen gehabt, wo erstens die Kopfneigung, bei welcher die Leuchtlinie beobachtet wird, eine solche ist, wie man dann erh\u00e4lt, wenn der nach vorn gerichtete Kopf aus seiner vertikalen Normalstellung um eine sagittale Achse nach rechts oder links geneigt wird, und wo zweitens die Leuchtlinie als eine in frontalparalleler und zugleich vertikaler Ebene befindliche erscheint. In diesem Falle ist der S-Neigungswert der durch die Leuchtlinie erregten Netzhautteile stets ein solcher, dem eine bestimmte Neigung der Linie gegen\u00fcber der Vertikalen nach rechts oder links hin entspricht. Nun beobachtet man aber das A-Ph\u00e4nomen z. B. auch dann, wenn der in seiner Normalstellung befindliche, nach vorn gerichtete Kopf zun\u00e4chst m\u00f6glichst weit nach rechts (links) um seine vertikale Achse gedreht und dann in seiner neuen Frontalebene nach vorn oder nach hinten gesenkt worden ist. Macht man f\u00fcr diesen Fall gleichfalls die Voraussetzung, dafs die Leuchtlinie dem Beobachter in einer frontalparallelen und zugleich vertikalen Ebene erscheine, so wird dem S-Neigungs-wert der durch die Linie erregten Netzhautteile eine Neigung der Linie gegen\u00fcber der Vertikalen nach vorn oder hinten hin entsprechen. Selbst wenn man also die Voraussetzung macht, dafs die Leuchtlinie stets in einer frontalparallelen und zugleich vertikalen Ebene sich darstelle, entspricht doch einem gegebenen S-Neigungswerte eine Stellung der Linie im S-Systeme, die je nach der Stellung, welche jene Ebene in Beziehung auf dieses Bezugssystem besitzt, eine verschiedene ist. Noch mannigfaltiger werden die Stellungen der Leuchtlinie, die einem und demselben S-Neigungs-werte entsprechen, wenn man die soeben erw\u00e4hnte, einschr\u00e4nkende Voraussetzung fallen l\u00e4fst und die Leuchtlinie sich dem Beobachter gegen\u00fcber bald in dieser bald in jener Weise in die Tiefe erstrecken l\u00e4fst. Alsdann zeigt sich, dafs dem gleichen S-Neigungs werte bei der gleichen Blickrichtung z. B. sowohl eine solche Leuchtlinie entsprechen kann, deren unteres Ende dem Beobachter am n\u00e4chsten ist, und die sich unter gleichzeitiger Hinwendung nach rechts oben nach der Tiefe zu erstreckt, als auch eine","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n243\nsolche, die sich von ihrem, vom Beobachter am weitesten entfernten unteren Endpunkte aus nach einem dem Beobachter n\u00e4heren und zugleich mehr rechts oben befindlichen Punkte hinzieht. Es erscheint angezeigt den hier angedeuteten verwickelten Verh\u00e4ltnissen nachtr\u00e4glich noch in ge-wisser Weise gerecht zu werden.1\t\u00f6\nWir denken uns die Gesamtheit der bei aufrechter Kopfhaltung und prim\u00e4rer Augenstellung gegebenen Sehelemente als eine nur nach zwei Dimensionen (nach H\u00f6he und Breite) geordnete Mannigfaltigkeit, die kurz als die Sehfl\u00e4che bezeichnet werden m\u00f6ge. Diese Sehfl\u00e4che ist nun in \u20acme gewisse Beziehung zum S-System gebracht, indem es in ihr eine lineare Strecke gibt, die dadurch ausgezeichnet ist, dafs sie mit dem Bilde einer fixierten vertikalen Linie identisch ist oder identisch sein w\u00fcrde, eine Strecke, deren Durchlaufung in der einen Richtung die Richtung von oben nach unten und deren Durchlaufung in der anderen Richtung die Richtung von unten nach oben repr\u00e4sentiert. Alle S-Neigungswerte lassen sich dadurch charakterisieren, wie sich die ihnen entsprechenden Linien oder Strecken der Sehfl\u00e4che hinsichtlich ihrer Richtung zu der soeben erw\u00e4hnten Hauptstrecke verhalten. Die nur nach H\u00f6he und Breite ausgedehnte Sehflache ist nun aber eine Abstraktion. Im allgemeinen wird eine wahrgenommene Linie zugleich auch noch mit einer bestimmten Stellung in Beziehung auf die Tiefendimension vorgestellt. Aber auch durch das Hinzutreten der Bestimmtheit hinsichtlich der Tiefendimension wird die Lokalisation der Linie, die einem bestimmten S-Neigungswerte entspricht, noch nicht zu einer v\u00f6llig bestimmten Lokalisation in Beziehung auf das S-System. Denn je nachdem der Kopf bei der hier vorausgesetzten Stellung der Gesichtslimen nach vorn oder nach rechts oder nach links gerichtet ist wird eine erscheinende Linie bei gleichem S-Neigungswerte der von ihr erregten Netzhautteile und bei gleicher Lokalisation hinsichtlich der Tiefe in Beziehung auf das S-System wesentlich verschieden lokalisiert sein.\nEs ist also der S-Neigungswert allerdings eine Komponente, die der betreffenden Linie eine bestimmte Orientierung in Beziehung auf das S-System vorschreibt, aber eben nur eine bestimmte Orientierung nach Hohe und Breite. Eine v\u00f6llig bestimmte Lokalisation erf\u00e4hrt aber die Lime nur dadurch, dafs zu dieser Komponente der Lokalisation noch eine Tiefenkomponente, um mich kurz so auszudr\u00fccken, und eine von der Haltung des Rumpfes und Kopfes und der Augenstellung abh\u00e4ngige region\u00e4re Komponente hinzutreten.\nMacht man die Voraussetzung, dafs die Stellung der Gesichtslinien nicht die prim\u00e4re sei \u2014 eine Leuchtlinie wird in der Regel bei Konvergenz fier Gesichtslinien betrachtet \u2014, so \u00e4ndert sich nichts Wesentliches an der Sache. Es werden dann die Teile der beiden Netzh\u00e4ute, denen ein bestimmter S-Neigungswert zugeh\u00f6rt, vielfach etwas andere sein wie in dem bisher betrachteten Falle, im \u00fcbrigen gilt aber auch das im vorstehenden\n1 Selbstverst\u00e4ndlich kann es sich hier nur um eine kurze, skizzierende Formulierung handeln. Ein tieferes Eingehen, eine Ber\u00fccksichtigung aller besonderen F\u00e4lle, ein Aufrollen aller Fragen, die sich hier erheben lassen, w\u00fcrde ins Ungemessene f\u00fchren.","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nGr. E. M\u00fcller.\nBemerkte. Besitzt der Kopf nicht die aufrechte Stellung, sondern hat er eine Neigung erfahren, bei welcher die Basallinie nicht mehr wagerecht steht, so kommt den durch eine Linie erregten Netzhautteilen doch derselbe S-Neigungswert zu wie bei aufrechter Kopfhaltung, woraus in der uns bekannten Weise das A-Ph\u00e4nomen entspringt.\nAnaloge Betrachtungen wie hinsichtlich der S-Neigungswerte lassen sich auch betreffs der B-Neigungswerte anstellen. Wir setzen zun\u00e4chst wieder die aufrechte Kopfhaltung voraus. Die bei dieser und einer bestimmten Blickstellung gegebene Sehfl\u00e4che ist ebenso wie zum S-Systeme auch zum B-Systeme in eine gewisse Beziehung gebracht. Man kann diese Beziehung dadurch zum Ausdruck bringen, dafs man sagt, in der Sehfl\u00e4che sei eine ausgezeichnete Strecke diejenige, in welcher sie von der Blickebene geschnitten werde, und alle B-Neigungswerte erregter Netzhautteile seien dadurch charakterisiert, wie sich die ihnen entsprechenden Linien hinsichtlich ihrer Richtung zu dieser ausgezeichneten Strecke verhalten. Aber auch ein B- Neigungs wert bestimmt die Lokalisation der betreffenden Linie in Beziehung auf das B-System nicht vollst\u00e4ndig, sondern es bedarf hierzu noch des Hinzutretens einer Tiefenkomponente, einer Festlegung der Linie in Beziehung auf die dritte Dimension des B-Systems. Es ist aber hier \u2014 und damit ber\u00fchren wir einen wichtigen, in seiner Bedeutung bei sp\u00e4terer Gelegenheit zu er\u00f6rternden Unterschied zwischen dem B- und dem S-System \u2014 nicht noch das Hinzutreten einer dritten (region\u00e4ren) Komponente erforderlich. Besitzt der Kopf nicht die aufrechte Haltung, sondern ist er in einer Weise geneigt, dafs die Basallinie nicht mehr wagrecht steht, so sind doch die B-Neigungswerte erregter Netzhautteile dieselben wie bei aufrechter Kopfhaltung, was, wir gesehen, unter Umst\u00e4nden das E-Ph\u00e4nomen zur Folge hat. \u2014\nWenn wir die fast selbstverst\u00e4ndliche Annahme machen, dafs die bei aufrechtem Kopfe erworbene Erfahrung die B- und S-Neigungswerte der Netzhautteile geschaffen habe, so k\u00f6nnen wir hierbei dahingestellt lassen, ob diese Erfahrung nur die individuelle Erfahrung ist oder zugleich auch die Erfahrung vergangener Generationen mit umfafst, ob also bei der Erzeugung jener Neigungswerte vererbte Momente mit im Spiele sind oder nicht. Nimmt man die Mitwirkung vererbter Momente an, so mufs man dieselbe nat\u00fcrlich ebenso wie bei der Erzeugung der S-Neigungswerte auch bei derjenigen der B-Neigungswerte mit beteiligt sein lassen. \u2014\nStatt die Unterscheidung von S- und von B-Neigungswerten, die f\u00fcr die Behandlung unseres Gegenstandes zweckdienlich ist, zugrunde zu legen, kann man nat\u00fcrlich die Er\u00f6rterung auch so f\u00fchren, dafs man von S- und B-H\u00f6henwerten und S- und B-Breitenwerten der verschiedenen Netzhautpunkte oder der von denselben aus erweckten Empfindungen spricht. Und gegen\u00fcber der Gepflogenheit, von Raumwerten der Netzhautstellen schlechtweg zu reden, k\u00f6nnen wir das Hauptergebnis dieser unserer Untersuchung in folgender Weise formulieren: Aus den Tatsachen des A- und des E-Ph\u00e4nomens folgt, dafs man zwischen B- und S-Raumwerten der Netzhautstellen zu unterscheiden hat.","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Aubertsche Ph\u00e4nomen.\n245\nDie Literatur \u00fcber das \u00c0-Ph\u00e4nomen.\nG.\tAlexander und E. B\u00e2r\u00e0ny, Psychophysiologische Untersuchungen \u00fcber\ndie Bedeutung des Statolithenapparates f\u00fcr die Orientierung im\nRaume an Normalen und Taubstummen, in der Zeitsehr f Psychol 37, 1904.\nH.\tAubert, I, Eine scheinbare bedeutende Drehung von Objekten bei\nNeigung des Kopfes nach rechts oder links, im Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol, u. f. klinische Medizin 20, 1861.\n\u2014, II, Physiologie der Netzhaut, Breslau 1865.\n, III. Physiologische Studien \u00fcber die Orientierung unter Zugrundelegung von Yves Delage, \u00c9tudes exp\u00e9rimentales sur les illusions statiques usw. T\u00fcbingen 1888.\nB. Bourdon, La perception visuelle de l\u2019espace, Paris 1902.\nE.\tvon Cyon, Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Raumsinnes, 3. Teil, T\u00e4uschungen\nin der Wahrnehmung der Richtungen durch das Ohrlabyrinth, im Arch. f. d. gesamte Physiol. 94, 1903.\nY. Delage, Les m\u00e9ridiens de l\u2019oeil et les jugements sur la direction des objets, in der Revue g\u00e9n\u00e9rale des sciences pures et appliqu\u00e9es 3, 1892.\nH. Feilchenfeld, Zur Lagesch\u00e4tzung bei seitlichen Kopfneigungen, in der Zeitschr. f. Psychol. 31, 1903.\nH. von Helmholtz, Handbuch der physiologischen Optik, 2. Aufl., Hamburg und Leipzig 1896.\nF.\tB. Hofmann, \u00dcber den Einflufs schr\u00e4ger Konturen auf die optische Lo-\nkalisation bei seitlicher Kopfneigung, im Arch. f. d. gesamte Physiol. 136, 1910.\nM. E. Mulder, I, \u00dcber parallele Rollbewegungen der Augen, im Arch. f. Ophth. 20, 1875.\n\u2014, II, Ons ordeel over vertikal, bij neiging van het hoofd naar rechts of links, in Feestbundei a. F. C. Donders, Amsterdam (Inhalt mir nur","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nG-. E. M\u00fcller.\nbekannt durch, das Referat in den Jahresber. \u00fcber die Fortschritte der Anat. u. Physiol., 1888, 2. Abt., S. 172 f.).\nW. A. Nagel, \u00dcber das AuBERische Ph\u00e4nomen und verwandte T\u00e4uschungen \u00fcber die vertikale Richtung, in der Zeitschr. f. Psychol. 16, 1898.\nM. Sachs und J. Meller, I, \u00dcber die optische Orientierung bei Neigung des Kopfes gegen die Schulter, im Arch. f. Oj\u00fcith. 52, 1901.\n__ __ XI, Untersuchungen \u00fcber die optische und haptische Lokalisation\nbei Neigungen um eine sagittale Achse, in der Zeitschr. f. Psychol.\n81, 1903.","page":246}],"identifier":"lit33673","issued":"1916","language":"de","pages":"109-246","startpages":"109","title":"\u00dcber das Aubertsche Ph\u00e4nomen","type":"Journal Article","volume":"49"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:03:17.893019+00:00"}

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