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{"created":"2022-01-31T16:40:23.156505+00:00","id":"lit33707","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 29: 236-237","fulltext":[{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nLiteraturbericht.\nWie beim Mathematiker der \u201eZahlensinn\u201c (Gall) oder etwas Aehnliches existirt, so herrscht im K\u00fcnstler der eine oder andere Kunsttrieb als Steigerung einer allgemein menschlichen Anlage. Die K\u00fcnste entspringen aus der Lust an einer besonderen Art der Erscheinungen oder aus einem auf besondere Erscheinungen gerichteten Willen. Solch ein Malwille, Musikwille u. s. w. als nicht weiter zerlegbare seelische F\u00e4higkeit gew\u00e4hren erst dem Sehen und H\u00f6ren, dem Ged\u00e4chtnifs und der Phantasie die Kraft zu besonderen Leistungen. Die von der Psychologie sonst behandelten Geistes-th\u00e4tigkeiten reichen zur Erkl\u00e4rung des K\u00fcnstlerischen nicht aus, sondern gewisse angeborene, in besonderen Gehirnorganen localisirte Triebe m\u00fcssen hinzugenommen werden. Wo das Kunsttalent ererbt ist, wird es vom Vatei ererbt, kann also als m\u00e4nnliche Eigenschaft, als secund\u00e4res Geschlechtsmerkmal gelten. Das hier verwendete Beweisverfahren der Beispiele scheint mir nicht sehr \u00fcberzeugend, zumal wenn man mit M. annimmt, clafs der Vater die betreffende Veranlagung im Latenzzustand besessen haben kann. Auch den hiermit verkn\u00fcpften Vermuthungen \u00fcber die geschichtliche Entstehung der K\u00fcnste d\u00fcrfte das ethnologisch gewonnene Material sich schwerlich f\u00fcgen. Der Verf. meint, \u201edafs die Mechanik einerseits, Musik und Mimik andererseits Urk\u00fcnste sind, dafs ihnen die bildende Kunst folgt und die Dichtkunst den Schlufs macht\u201c (S. 49). \u201eEs giebt f\u00fcnf Haupttalente und damit f\u00fcnf Hauptk\u00fcnste : Mechanik, Bildkunst, Musik, Mimik, Dichtkunst. Die ersten zwei und die anderen drei bilden nat\u00fcrliche Gruppen. Die Bef\u00e4higung zur Baukunst beruht auf dem Hinzutreten des bildk\u00fcnstlerischen zum mechanischen Talente\u201c (S. 109).\nDer weitere Inhalt des Buches w\u00fcrde ein Eingehen auf Galls Lehren erfordern. Dazu ist dieser Bericht nicht der Ort.\nMax Dessoir (Berlin).\nFelix Rosenthal. Die Musik als Eindruck. Zeitschrift f\u00fcr internationale Musikwissenschaft. 2 (7), 227-\u2014262. 1901.\n_ Die \u00fcberwiegende Mehrheit aller Musiker und Musikfreunde ist der Ansicht, dais der Genufs, den Musik hervorruft, auf das zur\u00fcckzuf\u00fchren sei, was sie ausdr\u00fcckt. Ihr gegen\u00fcber steht die Ansicht der Formal-Aesthetiker, dafs der \u00e4sthetische Genufs in der Auffassung des formal Sch\u00f6nen der musikalischen Werke bestehe. Haxslick behauptet, diese Ausdruckswirkung geh\u00f6re nicht zum Wesen des \u00e4sthetischen Musikgenusses, das Sch\u00f6ne sei ein rem Musikalisches. Ehrlich wies darauf hin, dafs alle musik\u00e4sthetischen Systeme der Musik eine starke Beziehung zum Gef\u00fchlsleben zugestehen, dafs aber andererseits die Hinweise auf die Gef\u00fchlsregungen ohne eine genaue Feststellung der ungeheuren Wichtigkeit des Formalen jeden Halt verlieren. Beide Theorien leiden nach Verf. an dem Fehler vorschneller Substitution von Bewufstseinsthatsachen f\u00fcr die Elemente der musikalischen Wirkungen, die erst zu suchen sind. Jedenfalls ist \u00e4sthetischer Genufs ohne innige Antheilnahme des Gem\u00fcths unm\u00f6glich. Doch giebt es keine Uebereinstimmung verschiedener H\u00f6rer bez\u00fcglich der in ihnen angeregten Gef\u00fchle. Auch kann man musikalische Wirkung nicht dadurch bestimmen, deutlicher machen, dafs man sie auslegt d. h. in Beziehung zu Vorg\u00e4ngen und anderen psychischen Sph\u00e4ren","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n237\nbringt. Musikalische Bestimmtheit ist etwas Anderes als sprachliche. Ein und derselbe Text l\u00e4fst verschiedenartige musikalische Bearbeitungen zu, die gleichwohl alle passend und charakteristisch sein k\u00f6nnen. Die Musik f\u00fcgt dem Stimmungsgehalt des Textes einen h\u00f6chst individuellen hinzu. Und die Aufgabe ist dann am besten gel\u00f6st, wenn beide mit einander verschmelzen, so dafs sie eins zu sein scheinen. Die Phantasie jedes einzelnen Zuh\u00f6rers geht ihre eigenen Wege. Der Componist kann in dieser Beziehung nichts im voraus bestimmen. Die Ausdrucks Wirkungen sind daher mittelbare, secund\u00e4re Wirkungen. Verf. nimmt an, dafs es abseits von unserem sonstigen psychischen Leben ein besonderes Reich eigenartiger Bewufstseinsvorg\u00e4nge giebt, die durch Musik irgendwelcher Art in uns direct hervorgerufen werden, und die wir am besten als musikalische Eindr\u00fccke bezeichnen (Sehr wahr! Der Ref.). Die musikalischen Gem\u00fctsbewegungen unterscheiden sich als musikalische Eindr\u00fccke wesentlich von unseren sonstigen aufsermusikalischen Gem\u00fctsbewegungen, die wir Gef\u00fchle nennen. Doch bestehen auf Grund dynamischer Aehnlichkeiten vielfache Beziehungen zwischen beiden. Auf Grund solcher Beziehungen ist die Musik im Stande, aufsermusikalische Seelenzust\u00e4nde, also Vorstellungen von Gegenst\u00e4nden, Bewegungsvorstellungen, Vorstellungen von lebenden Wesen, von bestimmten Personen, Gedanken und insbesondere Gef\u00fchle anzuregen, zu erwecken und auszudr\u00fccken. Der Eindruck ist das Gegebene, der Ausdruck secund\u00e4re Wirkung. Nach Hofmeister baut die reine Musik (Symphonien, Sonaten, Kammermusik u. s. w.) ein Ganzes aus bestimmten Keimelementen auf, welches durch die Gesammtheit seiner formalen Architectur befriedigend wirkt. Die affective Musik (Musik ohne Text, Vor- und Zwischenspiele der B\u00fchnenmusik, Programmmusik) hat das Bestreben, besondere Gef\u00fchle und Vorstellungen auszudr\u00fccken. In der affectiven Musik handelt es sich um eine m\u00f6glichst innige Verschmelzung des Musikalischen mit dem Poetischen. W\u00fcrde es sich um m\u00f6glichst deutlichen Ausdruck von Seelenzust\u00e4nden handeln, dann w\u00fcrde die Musik eine untergeordnetere Rolle spielen, sie k\u00f6nnte im vorliegenden Falle sogar st\u00f6rend wirken. Die Musik f\u00fcgt den Wirkungen des Textes ihre eigenen als v\u00f6llig neue hinzu, und der Zweck dieser Verbindung ist nicht gr\u00f6fsere Deutlichkeit des Ausdrucks, sondern tiefere seelische Wirkung.\nDer \u00e4sthetische Genufs \u201eliegt in der Hingabe an die durch Musik direct in uns erzeugten Eindr\u00fccke, er ist ein in jedem Augenblicke seines Bestehens wirkliches, lebendiges, individuelles Ergebnifs, ganz einzig in seiner Art.\u201c\tGiessler (Erfurt).\nL. Bruns. Die traumatischen Neurosen. Unfallsneurosen. Specielle Pathologie und Therapie, hrsg. v. Hermann Nothnagel, Bd. XII, Theil I, Abth. IV, 131 S. Wien, Holder. 1901. 3,20 Mk.\nEine \u00fcbersichtliche, klare, ersch\u00f6pfende und kritische Darstellung der Aetiologie, Symptomatologie, Diagnose, Prognose und Therapie der traumatischen Neurosen bezw. Unfallsneurosen, also der nach Verletzungen und Ersch\u00fctterungen des K\u00f6rpers, sowie nach anderen Unf\u00e4llen sofort oder nach mehr oder weniger langer Zeit eintretenden, eigentlichen Neurosen","page":237}],"identifier":"lit33707","issued":"1902","language":"de","pages":"236-237","startpages":"236","title":"Felix Rosenthal: Die Musik als Eindruck. Zeitschrift f\u00fcr internationale Musikwissenschaft. 2 (7), 227-262. 1901","type":"Journal Article","volume":"29"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:40:23.156511+00:00"}