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{"created":"2022-01-31T16:38:54.974721+00:00","id":"lit33708","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schultze, Ernst","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 29: 237-239","fulltext":[{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n237\nbringt. Musikalische Bestimmtheit ist etwas Anderes als sprachliche. Ein und derselbe Text l\u00e4fst verschiedenartige musikalische Bearbeitungen zu, die gleichwohl alle passend und charakteristisch sein k\u00f6nnen. Die Musik f\u00fcgt dem Stimmungsgehalt des Textes einen h\u00f6chst individuellen hinzu. Und die Aufgabe ist dann am besten gel\u00f6st, wenn beide mit einander verschmelzen, so dafs sie eins zu sein scheinen. Die Phantasie jedes einzelnen Zuh\u00f6rers geht ihre eigenen Wege. Der Componist kann in dieser Beziehung nichts im voraus bestimmen. Die Ausdrucks Wirkungen sind daher mittelbare, secund\u00e4re Wirkungen. Verf. nimmt an, dafs es abseits von unserem sonstigen psychischen Leben ein besonderes Reich eigenartiger Bewufstseinsvorg\u00e4nge giebt, die durch Musik irgendwelcher Art in uns direct hervorgerufen werden, und die wir am besten als musikalische Eindr\u00fccke bezeichnen (Sehr wahr! Der Ref.). Die musikalischen Gem\u00fctsbewegungen unterscheiden sich als musikalische Eindr\u00fccke wesentlich von unseren sonstigen aufsermusikalischen Gem\u00fctsbewegungen, die wir Gef\u00fchle nennen. Doch bestehen auf Grund dynamischer Aehnlichkeiten vielfache Beziehungen zwischen beiden. Auf Grund solcher Beziehungen ist die Musik im Stande, aufsermusikalische Seelenzust\u00e4nde, also Vorstellungen von Gegenst\u00e4nden, Bewegungsvorstellungen, Vorstellungen von lebenden Wesen, von bestimmten Personen, Gedanken und insbesondere Gef\u00fchle anzuregen, zu erwecken und auszudr\u00fccken. Der Eindruck ist das Gegebene, der Ausdruck secund\u00e4re Wirkung. Nach Hofmeister baut die reine Musik (Symphonien, Sonaten, Kammermusik u. s. w.) ein Ganzes aus bestimmten Keimelementen auf, welches durch die Gesammtheit seiner formalen Architectur befriedigend wirkt. Die affective Musik (Musik ohne Text, Vor- und Zwischenspiele der B\u00fchnenmusik, Programmmusik) hat das Bestreben, besondere Gef\u00fchle und Vorstellungen auszudr\u00fccken. In der affectiven Musik handelt es sich um eine m\u00f6glichst innige Verschmelzung des Musikalischen mit dem Poetischen. W\u00fcrde es sich um m\u00f6glichst deutlichen Ausdruck von Seelenzust\u00e4nden handeln, dann w\u00fcrde die Musik eine untergeordnetere Rolle spielen, sie k\u00f6nnte im vorliegenden Falle sogar st\u00f6rend wirken. Die Musik f\u00fcgt den Wirkungen des Textes ihre eigenen als v\u00f6llig neue hinzu, und der Zweck dieser Verbindung ist nicht gr\u00f6fsere Deutlichkeit des Ausdrucks, sondern tiefere seelische Wirkung.\nDer \u00e4sthetische Genufs \u201eliegt in der Hingabe an die durch Musik direct in uns erzeugten Eindr\u00fccke, er ist ein in jedem Augenblicke seines Bestehens wirkliches, lebendiges, individuelles Ergebnifs, ganz einzig in seiner Art.\u201c\tGiessler (Erfurt).\nL. Bruns. Die traumatischen Neurosen. Unfallsneurosen. Specielle Pathologie und Therapie, hrsg. v. Hermann Nothnagel, Bd. XII, Theil I, Abth. IV, 131 S. Wien, Holder. 1901. 3,20 Mk.\nEine \u00fcbersichtliche, klare, ersch\u00f6pfende und kritische Darstellung der Aetiologie, Symptomatologie, Diagnose, Prognose und Therapie der traumatischen Neurosen bezw. Unfallsneurosen, also der nach Verletzungen und Ersch\u00fctterungen des K\u00f6rpers, sowie nach anderen Unf\u00e4llen sofort oder nach mehr oder weniger langer Zeit eintretenden, eigentlichen Neurosen","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"Li ter a turberich t.\n(Neurasthenie, Hypochondrie, Hysterie, die einfachen Psychosen, sowie die besonders h\u00e4ufigen Mischformen dieser Zust\u00e4nde).\nIn der Mehrzahl der F\u00e4lle fehlt jede anatomische Grundlage. Nicht physikalische, sondern psychische, nicht materielle, sondern seelische Ersch\u00fctterungen spielen bei der Entstehung die Hauptrolle, und das erkl\u00e4rt das h\u00e4ufige Mifsverh\u00e4ltnifs zwischen Ursache und Folge. Schrecken und Angst wirken vor Allem mit. Der verantwortliche, durch den Dienst vielleicht schon aufgeriebene Eisenbahnangestellte erkrankt bei demselben Unfall ungleich intensiver als der schlafende Passagier. Auch nach der Verletzung sprechen noch psychische Momente mit und zwar innere, aus der Person des Verletzten wirkende, und \u00e4ufsere, von seiner Umgebung ausgehende. Vor Allem sind hier zu erw\u00e4hnen die Schmerzen und die hypochondrischen Bef\u00fcrchtungen des ersten Krankenlagers, die mit der Unfallgesetzgebung entstandenen \u201eBegehrungsvorstellungen\u201c (Str\u00fcmpell) und der Kampf um die Rente.\nBei der Vielgestaltigkeit der Symptomatologie nimmt dieses Capitel den bei weitem gr\u00f6fsten Raum des Buches ein, zumal bei jedem einzelnen\nSymptom auch die Frage der Simulation abgehandelt wird. Folgendes m\u00f6ge hier gen\u00fcgen.\nFast immer sind bei den Unfallsneurosen \u2014 eine Ausnahme machen die umschriebenen hysterischen St\u00f6rungen - psychische St\u00f6rungen vorhanden. Unter ihnen \u00fcberwiegt die tr\u00fcbe Verstimmung, eine mehr melancholische oder hypochondrische Depression, zuweilen mit sehr deutlichen, auch objectiv nachweisbaren Angstanf\u00e4llen. Sp\u00e4ter tritt bei vielen Kranken ein mehi acti\\er, oft direct aggressiver, verbissener Zug hervor; oder ausgesprochene Verfolgungsideen, besonders von dem Charakter der rechtlichen Benachtheiligung (Querulant) beherrschen den Verletzten. Eine besondere Form bildet die auf Atheromatose zur\u00fcckzuf\u00fchrende, pr\u00e4senile\nDemenz, die vorwiegend M\u00e4nner im Alter zwischen dem 50. bis 60. Lebensjahre ergreift.\nHier sei hei vorgehoben das sog. MANNKOPF\u2019sche Ph\u00e4nomen: durch Druck auf schmerzhafte Stellen wird die Pulsfrequenz bis um 30 Schl\u00e4ge in der Minute gesteigert. Nur positiver Ausfall ist beweisend und spricht gegen Simulation der Schmerzen.\nDie An\u00e4sthesien sind fast immer hysterischer Natur; sie richten sich in ihrer Gruppirung nicht nach den Regeln anatomisch-physiologischer Localisation im Gehirne, R\u00fcckenmarke oder den peripheren Nerven, sondern sind nach Anschauungen einer naiven, wenn man so sagen darf, laienhaften Betrachtung des Organismus angeordnet. Meist sind die direct verletzten Glieder an\u00e4sthetisch. Nach Kopfverletzungen ist die An\u00e4sthesie nicht gekreuzt, sondern auf derselben Seite wie die Verletzung.\nEbenso ist die bei Unfallsneurosen oft nachweisbare concentrische Gesichtsfeldeinengung specifisch hysterischer Natur. Reicht die Einengung bis fast an den Fixirpunkt, so sind die Kranken in ihrer Orientirung im Raume doch nicht gest\u00f6rt. Die Farbengesichtsfelder sind meist mehr eingeengt als das Gesichtsfeld f\u00fcr Weifs. Die Ausdehnung des Gesichtsfeldes bleibt oft absolut dieselbe, gleichg\u00fcltig ob man den Kranken dicht vor die","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturberich t.\n239\nzur Pr\u00fcfung benutzte Tafel oder entfernt von ihr stellt. F\u00e4lschlicherweise wurde aus diesem Verhalten fr\u00fcher auf Simulation geschlossen.\nDie Erm\u00fcdungseinschr\u00e4nkung fafst Verf. als neurasthenische Erscheinung auf.\nHervorzuheben sind die interessanten Beobachtungen, die Wilbrandt \u00fcber das Verhalten der Erholung der Retina im Dunkelraume gemacht hat.\nMeist sind cutan\u00e9 An\u00e4sthesien combinirt mit sensorischen St\u00f6rungen, speciell mit Gesichtsfeldeinengung; diese Combination findet sich bei den F\u00e4llen, die entweder reine Hysterie sind oder hysterische Z\u00fcge tragen. Diese Combination spricht gegen Simulation, wenngleich die beiden Symptome keine objectiven Symptome im strengen Sinne des Wortes sind. Aber was ist objectiv in der Psychiatrie? fragt Verf. mit Oppenheim.\nWas von den An\u00e4sthesien, gilt auch von den hysterischen L\u00e4hmungen ; sie sind nach Gelenkabschnitten abgegrenzt. Neben der L\u00e4hmung findet sich oft eine Aufhebung des Muskel- und Lagegef\u00fchls.\nEine grofse Schwierigkeit bietet in nicht seltenen F\u00e4llen die Unterscheidung der Simulation und Krankheit, da die Symptome meist psychisch bedingte, nicht objective sind. Zudem verschieben sich manchmal die Grenzen zwischen Krankheit und Simulation so, dafs es nur theoretisch, aber nicht praktisch im Einzelfalle m\u00f6glich ist, eine Entscheidung zu treffen. Volle Simulation h\u00e4lt er f\u00fcr selten.\nDie beste Therapie ist, wenigstens in den leichteren F\u00e4llen, allm\u00e4hliche Wiedergew\u00f6hnung an Arbeit. Wirksamer ist die Prophylaxe. Sie wirkt, weil eine Unfallsneurose nicht die notliwendige, unausbleibliche Folge eines jeden Unfalls ist. Vor Allem tragen die schon oben erw\u00e4hnten, psychischen Momente zur Entwickelung und Fixirung der Neurose bei, und hiergegen mufs man bei Zeiten einschreiten. Der behandelnde Arzt sollte daher neurologisch und vor Allem psychiatrisch soweit geschult sein, um die psychische Entwickelung der Neurosen zu verstehen. Man mufs sie im Keime ersticken, vor Allem jede sch\u00e4dliche Suggestion vermeiden.\nDiese kurze Inhaltsangabe der lesenswerthen Arbeit d\u00fcrfte f\u00fcr die Leser dieser Zeitschrift gen\u00fcgen; aus ihr ergiebt sich, welch gewichtige Rolle Verf. den psychischen Factoren bei der Entstehung, Ausbildung, Behandlung, Begutachtung der traumatischen Neurosen mit Recht zumifst, und eben deshalb erscheint eine so ausf\u00fchrliche Besprechung an dieser Stelle durchaus gerechtfertigt.\tErnst Schultze (Andernach).\nN\u00e4cke. Einige innere somatische Degenerationszeichen bei Paralytikern und Normalen, zugleich als Beitrag zur Anatomie und Anthropologie der Variationen an den inneren Hauptorganen des Menschen. Allgem. Zeitschrift f\u00fcr Psychiatrie 58, S. 1009\u20141078. 1900.\nW\u00e4hrend die \u00e4ufseren Degenerationszeichen des Menschen seit Langem eingehend bearbeitet sind, hat auf innere Degenerationszeichen bisher kaum Jemand n\u00e4her geachtet, wohl aus dem Grunde, weil man sie nur selten bei Lebzeiten des Betreffenden zu sehen bekommt. N\u00e4cke hat die Frage jetzt angeschnitten und Herz, Lunge, Leber, Niere und Milz daraufhin untersucht; er berichtet \u00fcber 100 und mehr Paralytiker, w\u00e4hrend er den Befund bei psychisch Normalen von Nauwerk erhalten hat. Leider kennen wir","page":239}],"identifier":"lit33708","issued":"1902","language":"de","pages":"237-239","startpages":"237","title":"L. Bruns: Die traumatischen Neurosen. Unfallsneurosen. Specielle Pathologie und Therapie, hrsg. v. Hermann Nothnagel, Bd. XII, Theil I, Abth. VI, 131 S. Wien, H\u00f6lder. 1901","type":"Journal Article","volume":"29"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:38:54.974726+00:00"}