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{"created":"2022-01-31T13:04:11.246940+00:00","id":"lit3483","links":{},"metadata":{"contributors":[{"name":"Helmholtz, Hermann von","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Braunschweig: F. Vieweg","fulltext":[{"file":"a0002.txt","language":"de","ocr_de":"DIE LEHKE\nVON DEN\nTONEMPFINDUNGEN\nPHYSIOLOGISCHE GRUNDLAGE\nF\u00dcR DIE\nTHEORIE DER MUSIK.","page":0},{"file":"a0003.txt","language":"de","ocr_de":"Holzstiche\naus dem xylographischen Atelier von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig.\nPapier aus der Papier-Fabrik\nder Gebr\u00fcder Vieweg zu Wendhausen bei Braunschweig.","page":0},{"file":"a0004.txt","language":"de","ocr_de":"DIE LEHRE\nVON DEN\nTONEMPFINDUNGEN\nPHYSIOLOGISCHE GRUNDLAGE\nF\u00dcR DIE\nTHEORIE DER MUSIK.\nVON\nH. HELMHOLTZ,\nProfessor der Physiologie an der Universit\u00e4t zu Heidelberg.\n\u2022\t-\t\u2022 \u00a3 VJ 4 /\u00ab\u25ba j \u2014\nMIT IN DEN TEXT EINGEDRUCKTEN HOLZSTICHEN.\nBRAUNSCHWEIG,\nDRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN.\n1 8 6 3.","page":0},{"file":"a0005.txt","language":"de","ocr_de":"bo- Il fl VW\nDie Herausgabe einer Uebersetzung in franz\u00f6sischer und englischer Sprache, sowie in anderen modernen Sprachen wird Vorbehalten.\n,S o va \u00a3\u00e6a jjA\ncwj )\ntUM-MMC*m\u00abm\u00abT\nF#n\nBitiUothalc","page":0},{"file":"a0006.txt","language":"de","ocr_de":"VORREDE.\nIndern ich die Fr\u00fcchte achtj\u00e4hriger Arbeit der Oeffentlichkeit \u00fcbergebe, habe ich voraus noch eine Pflicht der Dankbarkeit zu erf\u00fcllen. Die vorliegenden Untersuchungen erforderten zu ihrer Vollendung die Beschaffung von neuen Instrumenten, welche nicht wohl f\u00fcr das In-ventarium eines physiologischen Instituts passten, und deren Kosten die gew\u00f6hnlichen Hilfsmittel eines deutschen Gelehrten \u00fcberstiegen. Mir sind die Geldmittel dazu durch aussergew\u00f6hnliche Bewilligungen zugeflossen. Den auf Seite 184 bis 196 beschriebenen Apparat zur k\u00fcnstlichen Zusammensetzung der Vocalkl\u00e4nge ausf\u00fchren zu lassen, machte mir die Munificenz Sr. Majest\u00e4t des K\u00f6nigs Maximilian von Bayern m\u00f6glich, welchem die deutsche Wissenschaft schon in so vielen ihrer Felder die bereitwilligste Theiln\u00e4hme und F\u00f6rderung verdankt. F\u00fcr die Erbauung des Harmonium in nat\u00fcrlicher reiner Stimmung, welches Seite 485 beschrieben ist, diente mir derSoem-","page":0},{"file":"a0007.txt","language":"de","ocr_de":"VI\tVorrede.\nmering\u2019sche Preis, den mir die Senckenbergische naturforschende Gesellschaft zu Frankfurt a. M. bewilligte. Indem ich hier \u00f6ffentlich den Ausdruck meines Dankes f\u00fcr solche Unterst\u00fctzung meiner Untersuchungen wiederhole, hoffe ich, dass noch besser als Dankesworte der Verlauf der vorliegenden Untersuchungen zeigen m\u00f6ge, Avie ich ernstlich bem\u00fcht gewesen bin, die mir gew\u00e4hrten Hilfsmittel fruchtbar zu verwerthen.\nHeidelberg, im October 1862.\nH. Helmholtz.","page":0},{"file":"a0008content.txt","language":"de","ocr_de":"INHALTS VERZEICHNIS S.\nEinleitung.........................................\nBeziehung der Musikwissenschaft zur Akustik. Trennung der physikalischen und physiologischen Akustik.- Plan der Untersuchung.\nErste Abtheilung.\nDie Zusammensetzung der Schwingungen.\nObert\u00f6ne und Klangfarben.\nErster Abschnitt: Von der Sehallempflndung im Allgemeinen . ..........................................13 bis 39\nUnterschied zwischen Ger\u00e4usch und Klang-. Letzterer entspricht regelm\u00e4ssig periodischen Bewegungen der Luftmasse. Allgemeine Eigent\u00fcmlichkeiten der Wellenbewegungen.\nW\u00e4hrend die Wellen continuirlich fortschreiten, f\u00fchren die Theilchen des Medium, durch welches sie fortschreiten, periodische Bewegungen aus. Die St\u00e4rke der Kl\u00e4nge h\u00e4ngt von der Amplitude der Schwingungen, die Tonh\u00f6he von der Dauer ihrer Periode ab. Einfache Verh\u00e4ltnisse der Schwingungszahlen f\u00fcr consonante Intervalle. Berechnung derselben f\u00fcr die ganze Scala. Klangfarbe muss von der Schwingungsform abh\u00e4ngen. Begriff der Schwingungsform. Graphische Darstellung derselben. Harmonische Obert\u00f6ne.\nZweiter Abschnitt: Die Zusammensetzung der Schwingungen ............................................40 bis 59\nZusammensetzung der Wellen zuerst erl\u00e4utert an Wasserwellen. Die H\u00f6hen verschiedener Wellenz\u00fcge addiren sich zu einander algebraisch. Entsprechende Superposition der Schallwellen in der Luft. Zusammengesetzte Schwingungen k\u00f6nnen regelm\u00e4ssig periodisch sein, wenn ihre Schwingungszahlen ganze Vielfache derselben Zahl sind. Alle periodischen Luftbewegungen k\u00f6nnen aus einfachen pendelartigen Schwingungen zusammengesetzt gedacht werden. Dieser Zusammensetzung entspricht nach Ohm die Zusammensetzung des Klanges aus Obert\u00f6nen.\nSeite\n1 bis 9","page":0},{"file":"a0009.txt","language":"de","ocr_de":"VIII\nInhaltsverzeichniss.\nSeite\nDritter Abschnitt: Analyse der Kl\u00e4nge durch Mitt\u00f6nen 60 bis 83 Erkl\u00e4rung des mechanischen Vorganges beim Mitt\u00f6nen. Es tritt ein, wenn die erregende Klangmasse einen einfachen Ton enth\u00e4lt, der einem der Eigent\u00f6ne des mitt\u00f6nenden K\u00f6rpers entspricht. Verschiedenheiten der Erscheinung an Stimmgabeln und Membranen. Beschreibung der Resonatoren zur genaueren Analyse der Kl\u00e4nge. Mitt\u00f6nen der Saiten.\nVierter Abschnitt: Von der Zerlegung der Kl\u00e4nge durch\ndas Ohr............................................. 84 bis 112\nMethoden, die Obert\u00f6ne zu beobachten. Beweis f\u00fcr das Ohm\u2019-sche Gesetz, gef\u00fchrt mittels der Kl\u00e4nge gezupfter Saiten, mittels einfacher T\u00f6ne von Stimmgabeln und mittels der Resonatoren. Unterschied von Klang und Ton. Streit zwi-schenOhm undSeebeck. Die Schwierigkeiten- in der Wahrnehmung der Obert\u00f6ne beruhen auf einer gern einsamen Eigen-th\u00fcmlichkeit aller menschlichen Sinneswahrnehmungen. Wir sind in der Beobachtung unserer Sinnesempfindungen nur\nso weit ge\u00fcbt, als sie uns zur Erkenntniss der Aussenwelt dienen.\nF\u00fcnfter Abschnitt: Von den Unterschieden der musikalischen Klangfarben.....................................113 bis 181\nBegrenzung des Begriffs der musikalischen Klangfarbe. Untersuchung verschiedener Kl\u00e4nge auf ihren Gehalt an Obert\u00f6nen.\n1)\tKl\u00e4nge ohne Obert\u00f6ne..........................119\n2)\tKl\u00e4nge\tmit\tunharmonischen\tNebent\u00f6nen..........121\n3)\tKl\u00e4nge\tder\tSaiten.............................127\n4)\tKl\u00e4nge\tder\tStreichinstrumente ................137\n5)\tKl\u00e4nge\tder\tFl\u00f6tenpfeifen .\t. .................148\n6)\tKl\u00e4nge\tder\tZungenpfeifen\t.....................153\n7)\tKl\u00e4nge\tder Vocale.............................163\nErgebnisse f\u00fcr den Charakter der Kl\u00e4nge im Allgemeinen.\nSechster Abschnitt: Ueber die Wahrnehmung der Klangfarben .............................-....................182 bis 223\nVer\u00e4ndert sich der Klang nach dem Phasenunterschiede der Obert\u00f6ne? Versuche dar\u00fcber mit elektromagnetisch bewegten Stimmgabeln, aus deren T\u00f6nen k\u00fcnstlich Vocal-kl\u00e4nge zusammengesetzt werden, ergeben die Unabh\u00e4ngigkeit. der Klangfarbe von den Phasenunterschieden. Die Hypothese, wonach eine Reihe abgestimmter mitschwingender Theile im Ohre vorhanden sind, erkl\u00e4rt die eigent\u00fcmlichen F\u00e4higkeiten dieses Organs. Beschreibung der mitschwingenden Theile im Ohre. Grad der D\u00e4mpfung dieser Theile. Ansicht \u00fcber den Nutzen der Schnecke.","page":0},{"file":"a0010.txt","language":"de","ocr_de":"Inhaltsverzeichniss.\nIX\nZweite Abtheilung.\nDie St\u00f6rungen des Zusammenklanges.\nCombinationst\u00f6ne und Schwebungen.\nDissonanz.\nConsonanz und\nSeite\nSiebenter Abschnitt : Die Combinationst\u00f6ne............ 227 bis 236\nCombinationst\u00f6ne entstehen, wo sich Schwingungen zusammensetzen, die nicht unendlich klein sind. Beschreibung ihrer Erscheinung, Gesetz f\u00fcr die Zahl ihrer Schwingungen. Combinationst\u00f6ne verschiedener Ordnung. Unterschied ihrer St\u00e4rke bei verschiedenen Instrumenten.\nAchter Abschnitt: Von den Schwebungen einfacher T\u00f6ne 237 bis 262 Erscheinungen der Interferenz des Schalls, wenn zwei gleich hohe T\u00f6ne Zusammenkommen. Je nach dem Phasenunterschiede erh\u00e4lt man Verst\u00e4rkung oder Schw\u00e4chung. Beschreibung einer Sirene f\u00fcr Interferenzversuche. Die Interferenz geht \u00fcber in Schwebungen, wenn die H\u00f6he beider T\u00f6ne etwas verschieden ist. Gesetz f\u00fcr die Zahl der Schwebungen. Sichtbare Schwebungen an mitt\u00f6nenden K\u00f6rpern.\nGrenze f\u00fcr ihre Schnelligkeit.\nNeunter Abschnitt: Tiefe und tiefste T\u00f6ne............... 263 bis 271\nDie bisherigen Versuche dar\u00fcber sind ungen\u00fcgend, weil T\u00e4uschung durch Obert\u00f6ne m\u00f6glich war, wie sich an der Sirene mittels der Zahl der Schwebungen nachweisen l\u00e4sst.\nDie T\u00f6ne unter 40 Schwingungen gehen in ein Dr\u00f6hnen \u00fcber, dessen Tonh\u00f6he unvollkommen oder gar nicht zu bestimmen ist. Die einzelnen Luftst\u00f6sse k\u00f6nnen auch bei viel h\u00f6heren Kl\u00e4ngen noch mittels der Schwebungen der hohen Obert\u00f6ne erkannt werden.\nZehnter Abschnitt: Schwebungen der Obert\u00f6ne........... 272 bis 297\nJe zwei Obert\u00f6ne zweier Kl\u00e4nge, wenn sie nahehin gleiche Tonh\u00f6he haben, k\u00f6nnen Schwebungen geben; wenn die beiden Obert\u00f6ne dagegen ganz zusammenfallen, tritt Consonanz ein. \"Reihenfolge der verschiedenen Consonanzen nach der Deutlichkeit ihrer Abgrenzung von den benachbarten Dissonanzen. Anzahl der Schwebungen bei verstimmten Consonanzen und ihr Einfluss auf die Rauhigkeit. St\u00f6rung jeder Consonanz durch die benachbarten Consonanzen.\nReihenfolge ihres Wohlklanges.\nElfter Abschnitt: Die Schwebungen der Combinationst\u00f6ne ................................................. 298 bis 319\nDie Differenzt\u00f6ne erster Ordnung verschiedener Paare von Partialt\u00f6nen zweier Kl\u00e4nge k\u00f6nnen Schwebungen von grosser Deutlichkeit geben; schw\u00e4chere die Combinationst\u00f6ne h\u00f6herer Ordnung auch f\u00fcr einfache prim\u00e4re T\u00f6ne. Einfluss","page":0},{"file":"a0011.txt","language":"de","ocr_de":"X\nInhaltsverzeichniss.\nSeite\nder Klangfarben auf die Sch\u00e4rfe der Dissonanzen und den Wohlklang der Consonanzen.\nZw\u00f6lfter Abschnitt: Von den Accorden................... 320 bis 354\nDie consonanten dreistimmigen Accorde. Unterschied der Dur- und Mollaccorde durch ihre Combinationst\u00f6ne. Unterschied des Wohlklanges bei den verschiedenen Umlagerungen der drei- und vierstimmigen Dur- und Mollaccorde. R\u00fcckblick auf den bisherigen Gang der Untersuchung.\nDritte Abtheilung.\nDie Verwandtschaft der Kl\u00e4nge.\nTonleitern und Tonalit\u00e4t.\nDreizehnter Abschnitt: Uebersieht der verschiedenen Prineipien des musikalischen Stils in der Entwickelung der Musik .................................. 357 bis 384\nUnterschied der naturwissenschaftlichen und \u00e4sthetischen Methode. Das System der Tonleitern, Tonarten und der Harmoniebildung h\u00e4ngt nicht bloss von nat\u00fcrlichen Ursachen, sondern auch von \u00e4sthetischen Stilprincipien ab. Drei Hauptperioden sind zu unterscheiden :\n1)\tDie\thomophone Musik..........................362\n2)\tDie\tpolyphone Musik .........................372\n3)\tDie\tharmonische Musik........................377\nVierzehnter Abschnitt: Die Tonalit\u00e4t der homophonen\nMusik.......................................... 385\tbis\t442\nAesthetischer Grund f\u00fcr das Gesetz des stufenweisen Fortschritts in der Scala. Verwandtschaft der Kl\u00e4nge beim melodischen Fortschritt beruht in der Gleichheit zweier Partialt\u00f6ne. So ist zuerst gefunden worden die Octave, Quinte und Quarte. Die \u00e4ltesten Tonleitern aus Quintenfolgen gebildet. Die f\u00fcnfstufigen Leitern der Chinesen und G\u00e4len; die chromatischen und enharmonischen Leitern der Griechen; die siebenstufige diatonische Leiter des Pythagoras; die Tongeschlechter der Griechen und der altchristlichen Kirche. Rationelle Construction der diatonischen Leiter nach dem Princip der Tonverwandtschaft ersten und zweiten Grades ergiebt die f\u00fcnf melodischen Tonleitern des Alterthums. IJauptmann\u2019s Tonbezeichnung eingef\u00fchrt. Eig\u2019enth\u00fcmliche Auffindung der nat\u00fcrlichen Terzen im arabisch-persischen Musiksystem. Bedeutung des Leittones und dadurch bedingte Aenderung der modernen Scalen.\nF\u00fcnfzehnter Abschnitt : Die consonanten Accorde der\nTonart......................................... 443 bis 473\nAccorde als Vertreter von Kl\u00e4ngen. Zur\u00fcckf\u00fchrung aller T\u00f6ne auf die engsten Verwandtschaften in der popul\u00e4ren Harmoniefolge der Durtonart. Zweideutige Klangbedeutung","page":0},{"file":"a0012.txt","language":"de","ocr_de":"Inhaltsverzeichniss.\nSeite\nXI\nder Mollaccorde. Der tonische Accord als Centrum der Ac- \u2022 cordfolge. Verwandtschaft der Accorde. Unter den alten Tongeschlechtern sind Dur und Moll zur Harmoniebildung am geschicktesten. Moderne Reste der alten Tongeschlechter.\nSechzehnter Abschnitt: Das System der Tonarten . . .474 bis 504 Relativer und absoluter Charakter verschiedener Tonarten.\nDie Modulation f\u00fchrt zur temperirten Stimmung der Intervalle. Hauptmann\u2019s System l\u00e4sst noch eine Vereinfachung zu, die es praktisch ausf\u00fchrbar macht. Beschreibung eines Harmonium mit nat\u00fcrlicher Stimmung. Nachtheile der temperirten Stimmung. Regeln der Modulation bei reiner Stimmung.\nSiebzehnter Abschnitt : Von den dissonanten Accorden . 505 bis 529 Aufz\u00e4hlung der dissonanten Intervalle der Scala. Die dissonanten Dreikl\u00e4nge, die Septimenaccorde. Begriff der dissonanten Note. Dissonante Accorde als Vertreter von Kl\u00e4ngen.\nAchtzehnter Abschnitt: Gesetze der Stimmf\u00fchrung . . .530 bis 550 Kettenweise Verbindung der Kl\u00e4nge einer Melodie. Daraus folgen Regeln f\u00fcr die Bewegung der dissonanten Note.\nAufl\u00f6sung der Dissonanzen. Kettenweise Verbindung\u2019 der Accorde, Aufl\u00f6sung der Septimenaccorde. Octaven- und Quintenparallelen. Unharmonischer Querstand.\nNeunzehnter Abschnitt: Beziehungen zur Aesthetik . .551 bis 560 Das Gesetz von der unbewussten Gesetzm\u00e4ssigkeit der Kunstwerke. Das Gesetz der melodischen Folge der T\u00f6ne beruht auf einem Acte der Empfindung, nicht des Bewusstseins.\nEbenso der Unterschied der Consonanz und Dissonanz.\nSchluss.\nBeilagen.\n1)\tMaasse und Verfertigung der Resonatoren........561\n2)\tDie Bewegung gezupfter Saiten..................563\n3)\tHerstellung einfacher T\u00f6ne durch Resonanz\t....\t566\n4)\tSchwingungsform der Claviersaiten..............570\n5)\tAnalyse, der Bewegung von Violinsaiten.........575\n6)\tEinfluss der Resonanz in den Zungenpfeifen\t....\t580\n7)\tPraktische Anweisungen f\u00fcr die Versuche \u00fcber Zusammensetzung der Vocale..........................582\n8)\tPhasen der durch Resonanz entstandenen Wellen\t..\t.\t586\n9)\tBeziehung zwischen der St\u00e4rke des Mitschwingensund\nder Dauer des Ausschwingens.....................590\n10)\tBeschreibung des Mechanismus f\u00fcr dieOeffnung einzelner L\u00f6cherreihen in der mehrstimmigen Sirene . . 591\n11)\tBerechnung der Intensit\u00e4t der Schwebungen verschiedener Intervalle...................................592\n12)\tSchwebungen der Combinationst\u00f6ne...............595\n13)\tPlan f\u00fcr rein gestimmte Instrumente mit einem Manual ................................................593","page":0},{"file":"a0013.txt","language":"de","ocr_de":"Druckfehler.\nSeite 30 in der Tabelle, Spalte 4, setze c \u2014 h statt o' \u2014 h'. Ebendaselbst, Spalte 5, setze c' \u2014 h' statt e \u2014 h.\nSeite 57, letzte Zeile, setze Sprung statt Schwung.\nSeite 104, Zeile 2, setze Barrow statt Barron.","page":0},{"file":"p0001introduction.txt","language":"de","ocr_de":"EINLEITUNG,\nDas vorliegende Buch sucht die Grenzgebiete von Wissenschaften zu vereinigen, welche, obgleich durch viele nat\u00fcrliche Beziehungen auf einander hingewiesen, bisher doch ziemlich getrennt neben einander gestanden haben, die Grenzgebiete n\u00e4mlich einerseits der physikalischen und physiologischen Akustik, andererseits der Musikwissenschaft und Aesthetik. Dasselbe wendet sich also an einen Kreis von Lesern, welche einen sehr verschiedenartigen Bildungsgang durchgemacht haben und sehr abweichende Interessen verfolgen; es wird deshalb nicht unn\u00f6thig sein, wenn der Verfasser gleich von vorn herein sich dar\u00fcber ausspricht, in welchem Sinne er diese Arbeit unternommen, und welches Ziel er dadurch zu erreichen gesucht hat. Der naturwissenschaftliche, der philosophische, der k\u00fcnstlerische Gesichtskreis sind in neuerer Zeit mehr, als billig ist, auseinanderger\u00fcckt worden, und es besteht deshalb in jedem dieser Kreise f\u00fcr die Sprache, die Methoden und die Zwecke des andern eine gewisse Schwierigkeit des Verst\u00e4ndnisses, welche auch bei der hier zu verfolgenden Aufgabe haupts\u00e4chlich verhindert haben mag, dass sie nicht schon l\u00e4ngst eingehender bearbeitet und ihrer L\u00f6sung entgegengef\u00fchrt worden ist.\nZwar bedient sich die Akustik \u00fcberall der aus der Harmonielehre entnommenen Begriffe und Namen, sie spricht von der Tonleiter, den Intervallen, Consonanzen u. s. w., zwar beginnen die Lehrb\u00fccher \u00fcber Generalbass gew\u00f6hnlich mit einem physikalischen Capitel, welches von den Schwingungszahlen der T\u00f6ne redet, und die Verh\u00e4ltnisse derselben f\u00fcr die verschiedenen Intervalle festsetzt, aber bisher ist diese Verbindung der Akustik mit der\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\t1","page":0},{"file":"p0002.txt","language":"de","ocr_de":"2\nEinleitung.\nMusikwissenschaft eine rein \u00e4usserliche geblieben, eigentlich mehr ein Zeichen, dass man das Bed\u00fcrfniss einer Verbindung der genannten Wissenschaften f\u00fchlte und anerkannte, als dass man eine solche thats\u00e4chlich herzustellen gewusst h\u00e4tte. Denn die physikalischen Kenntnisse konnten zwar f\u00fcr den Erbauer musikalischer Instrumente von Nutzen sein, f\u00fcr die weitere Entwickelung und Begr\u00fcndung der Harmonielehre dagegen ist bisher die physikalische Einleitung noch ganz unfruchtbar geblieben. Und doch sind die wesentlichsten Thatsachen dieses Gebiets, um deren Erkl\u00e4rung und Ausbeutung es sich zun\u00e4chst handelte, seit uralter Zeit bekannt. Schon Pythagoras wusste, dass wenn Saiten von gleicher Beschaffenheit, gleicher Spannung, aber ungleicher L\u00e4nge die vollkommenen Consonanzen der Octave, Quinte oder Quarte gehen sollen, ihre L\u00e4ngen heziehlich im Verh\u00e4ltnisse von 1 zu 2, von 2 zu 3 oder 3 zu 4 stehen m\u00fcssen, und wenn er, wie zuvermuthen ist, seine Kenntnisse zum Theil von den \u00e4gyptischen Priestern erhalten hat, so l\u00e4sst sich gar nicht absehen, bis in wie unvordenkliche Zeiten die Kenntniss ' dieses Gesetzes zur\u00fcckreicht. Die neuere Physik hat das Gesetz des Pythagoras erweitert, indem sie von den Saitenl\u00e4ngen zu den Schwingungszahlen \u00fcberging, wodurch es auf T\u00f6ne aller musikalischen Instrumente anwendbar wurde; man hat ferner f\u00fcr die weniger vollkommenen Consonanzen der Terzen die Zahlenverh\u00e4ltnisse 4 zu 5 und 5 zu 6 den oben genannten hinzugef\u00fcgt, aber es ist mir nicht bekannt, dass wirklich ein Fortschritt gemacht w\u00e4re, um die Frage zu beantworten, was haben die musikalischen Consonanzen mit den Verh\u00e4ltnissen der ersten sechs ganzen Zahlen zu thun? Sowohl Musiker, wie Philosophen und Physiker haben sich meist bei der Antwort beruhigt, dass die menschliche Seele auf irgend eine uns unbekannte Art die Zahlenverh\u00e4ltnisse der Tonschwingungen ermitteln k\u00f6nne, und dass sie ein besonderes Vergn\u00fcgen daran habe, einfache und leicht \u00fcberschauliche Verh\u00e4ltnisse vor sich zu haben.\nInzwischen hat die Aesthetik der Musik in denjenigen Fragen, deren Entscheidung mehr auf psychologischen als auf sinnlichen Momenten beruht, unverkennbare Fortschritte gemacht,namentlich dadurch, dass man den Begriff der Bewegung bei der Untersuchung der musikalischen Kunstwerke betont hat. E. Ilanslick hat in seinem Buche \u201e\u00fcber das Musikalisch Sch\u00f6ne\u201c' mit schlagender Kritik den falschen Standpunkt \u00fcberschw\u00e4nglicher Sentimentalit\u00e4t, von dem aus man \u00fcber Musik zu theoretisiren","page":2},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"O\nO\nPlan der Untersuchung.\nliebte, angegriffen, und zur\u00fcckgewiesen auf die einfachen Elemente der melodischen Bewegung. In breiterer Ausf\u00fchrung finden wir die \u00e4sthetischen Beziehungen f\u00fcr die Architektonik musikalischer Compositionen, und die charakteristischen Unterschiede der einzelnen Compositionsformen auseinandergesetzt in Vischer\u2019s Aesthetik. Wie in der unorganischen Welt durch die Art der Bewegung die Art der sie treibenden Kr\u00e4fte offenbart wird, und sogar in letzter Instanz die elementaren Kr\u00e4fte der Natur durch nichts anderes erkannt und gemessen werden k\u00f6nnen, als durch die unter ihrer Einwirkung zu Stande kommenden Bewegungen, so ist es auch mit den Bewegungen, sei es des K\u00f6rpers, sei es der Stimme, welche unter dem Einfl\u00fcsse menschlicher Gem\u00fcthsstim-mungen vor sich gehen. Welche Eigenth\u00fcmlichkeiten der T011-bewegung daher den Charakter des Zierlichen, T\u00e4ndelnden oder des Schwerf\u00e4lligen, Angestrengten, des Matten oder des Kr\u00e4ftigen, des Ruhigen oder Aufgeregten u. s. w. geben, h\u00e4ngt offenbar haupts\u00e4chlich von psychologischen Motiven ab. Ebenso die Beantwortung derjenigen Fragen, welche das Gleichgewicht der einzelnen Theile einer Composition, ihre Entwickelung auseinander, ihre Verbindung zu einem klar \u00fcberschaulichen Ganzen betreffen, die sich den \u00e4hnlichen Fragen in der Theorie der Baukunst ganz eng anscliliessen. Aber alle diese Untersuchungen, wenn sie auch mancherlei Fr\u00fcchte zu Tage f\u00f6rdern, m\u00fcssen l\u00fcckenhaft und unsicher bleiben, so lange ihnen ihr eigentlicher Anfang und ihre Grundlage fehlt, n\u00e4mlich die wissenschaftliche Begr\u00fcndung der elementaren Regeln f\u00fcr die Construction der Tonleiter, der Accorde, der Tonarten, \u00fcberhaupt alles dessen, was in dem sogenannten Generalbass zusammengestellt zu werden pflegt. In diesem elementaren Gebiete haben wir es nicht allein mit freien k\u00fcnstlerischen Erfindungen, sondern auch mit der unmittelbaren Naturgewalt der sinnlichen Empfindung zu thun. Die Musik steht in einem viel n\u00e4heren Verh\u00e4ltniss zu den reinen Sinnesempfin-dungen, als s\u00e4mmtliclie \u00fcbrigen K\u00fcnste, welche es vielmehr mit den Sinneswahrnehmungen, das heisst mit den Vorstellungen von \u00e4usseren Objecten zu thun haben, die wir erst mittelst psychischer Processe aus den Sinnesempfindungen gewinnen. Die Dichtkunst geht am entschiedensten allein darauf aus, Vorstellungen anzuregen, indem sie sich an Phantasie und Ged\u00e4chtnis\u00ab wendet, und nur mit untergeordneten Hilfsmitteln mehr musikalischer Art, z. B. dem Rhythmus, der Tonmalerei, wendet sie sich zuwei-\nl*","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"4\nEinleitung.\nlen an die unmittelbare sinnliche Empfindung des Ohrs. Hire Wirkungen beruhen deshalb fast ausschliesslich auf psychischen Th\u00e4tigkeiten. Die bildenden K\u00fcnste benutzen zwar die sinnlichen Empfindungen des Auges, aber doch in nicht viel anderer Absicht, als die Dichtkunst sich an das Ohr wendet. Haupts\u00e4chlich wollen sie in uns nur die Vorstellung eines \u00e4usseren Objects von bestimmter Form und Farbe hervorbringen. Wir sollen uns wesentlich nur f\u00fcr den dargestellten Gegenstand interessiren und an seiner Sch\u00f6nheit uns erfreuen, nicht an den Mitteln der Darstellung. Wenigstens ist die Freude des Kunstkenners an dem Virtuosenthum der Technik einer Statue oder eines Gem\u00e4ldes nicht wesentlicher Bestandtheil des Kunstgenusses.\nNur in der Malerei findet sich die Farbe als ein Element, welches unmittelbar von der sinnlichen Empfindung aufgenommen wird, ohne dass sich Acte des Verst\u00e4ndnisses einzuschieben brauchen. In der Musik dagegen sind es wirklich geradezu die Tonempfindungen, welche das Material der Kunst bilden ; wir bilden aus diesen Empfindungen, wenigstens so weit sie in der Musik zur Geltung kommen, nicht die Vorstellungen \u00e4usserlicher Gegenst\u00e4nde und Vorg\u00e4nge. Oder wenn uns auch bei den T\u00f6nen eines Concerts einfallt, dass dieser von einer Violine, jener von einer Clarinette gebildet sei, so beruht doch das k\u00fcnstlerische Wohlgefallen nicht auf der Vorstellung der Violine und Clarinette, sondern nur auf der Empfindung ihrer T\u00f6ne, w\u00e4hrend umgekehrt das k\u00fcnstlerische Wohlgefallen an einer Marmorstatue nicht auf der Empfindung des weissen Lichts beruht, welches sie in das Auge, sendet, sondern auf der Vorstellung des sch\u00f6n geformten menschlichen K\u00f6rpers, den sie darstellt. In diesem Sinne ist es klar, dass die Musik eine unmittelbarere Verbindung mit der sinnlichen Empfindung hat, als irgend eine der anderen K\u00fcnste, und daraus folgt denn, dass die Lehre von den Geh\u00f6rempfindungen berufen sein wird, in der musikalischen Aesthetik eine viel wesentlichere K\u00f6lle zu spielen, als etwa die Lehre von der Beleuchtung oder der Perspective in der Malerei. Diese letzteren sind allerdings dem K\u00fcnstler n\u00fctzlich, um eine m\u00f6glichst vollendete Naturwahrheit zu erreichen, haben aber mit der k\u00fcnstlerischen Wirkung des Werkes nichts zu thun. In der Musik dagegen wird gar keine Naturwahrheit erstrebt, die T\u00f6ne und Tonempfindungen sind ganz allein ihrer selbst wegen da und wirken ganz unabh\u00e4ngig von ihrer Beziehung zu irgend einem \u00e4usseren Gegenst\u00e4nde.","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"5\nPlan der Untersuchung.\nDiese Lehre von den Geh\u00f6rempfindungen f\u00e4llt nun in das Gebiet der Naturwissenschaften, und zwar zun\u00e4chst der physiologischen Akustik. Bisher ist von der Lehre vom Schall fast nur der physikalische Theil ausf\u00fchrlich behandelt worden, d. h. man hat die Bewegungen untersucht, welche t\u00f6nende feste, fl\u00fcssige oder luftf\u00f6rmige K\u00f6rper ausf\u00fchrten, wenn sie einen dem Ohre vernehmbaren Schall hervorbrachten. Diese physikalische Akustik ist ihrem Wesen nach nichts als ein Theil der Lehre von den Bewegungen der elastischen K\u00f6rper. Ob man die Schwingungen, welche gespannte Saiten ausf\u00fchren, an einer Spirale aus Messingdraht beobachtet, deren Bewegungen so langsam geschehen, dass man ihnen mit dem Auge bequem folgen kann, die aber eben deshalb keine Schallempfindung erregen, oder ob man eine Violinsaite schwingen l\u00e4sst, deren Schwingungen das Auge kaum wahrnimmt, w\u00e4hrend das Ohr sie h\u00f6rt, ist in physikalischer Beziehung ganz gleichg\u00fcltig. Die Gesetze der schwingenden Bewegungen sind in beiden F\u00e4llen ganz die n\u00e4mlichen, und ob sie schnell oder langsam geschehen, ein Unterschied, der in diesen Gesetzen nichts \u00e4ndert und nur den beobachtenden Physiker zwingt, verschiedene Methoden der Beobachtung anzuwendem bald das Auge, bald das Ohr zu benutzen. In der physikalischen Akustik wird also auf die Erscheinungen des Geh\u00f6rs nur deshalb R\u00fccksicht genommen, weil das Ohr das bequemste und n\u00e4chstlie-gende H\u00fclfsmittel zur Beobachtung der schnelleren elastischen Schwingungen ist, und der Physiker die Eigenth\u00fcmlichkeiten dieses zur Beobachtung verwendeten nat\u00fcrlichen Instruments kennen muss, um richtige Schl\u00fcsse aus seinen Aussagen ziehen zu k\u00f6nnen. Daher hat die bisherige physikalische Akustik wohl mancherlei Kenntnisse und Beobachtungen gesammelt, welche der Lehre von den Th\u00e4tigkeiten des Ohrs, also der physiologischen Akustik, angeh\u00f6ren, aber sie sind nicht als Hauptzweck ihrer Untersuchungen ausgemittelt worden, sondern nur nebenbei und st\u00fcckweise. Dass \u00fcberhaupt in der Physik ein besonderes Capi-tel \u00fcber Akustik von der Lehre \u00fcber die Bewegungen der elastischen K\u00f6rper abgetrennt zu werden pflegt, zu welcher es dem Wesen der Sache nach geh\u00f6ren sollte, ist eben nur dadurch gerechtfertigt, dass durch die Anwendung des Ohrs eigenth\u00fcmliche Arten von Versuchen und Beobachtungsmethoden herbeigef\u00fchrt wurden.\nNeben der physikalischen besteht eine physiologische","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"6\nEinleitung.\nAkustik, welche die Vorg\u00e4nge im Ohre selbst zu untersuchen hat. Von dieser Wissenschaft hat derjenige Theil, welcher die Leitung der Schallbewegung vom Eingang des Ohres bis zu den Nervenausbreitungen im Labyrinth des inneren Ohres behandelt, mannigfache Bearbeitung erfahren, in Deutschland namentlich, seit Johannes M\u00fcller den Anfang darin gemacht hatte. Freilich m\u00fcssen wir zugleich sagen, dass noch nicht viel sicher gestellte Ergebnisse hierin gewonnen sind. Mit diesen Bestrebungen war aber erst ein Theil der Aufgabe angegriffen, ein anderer Theil ganz liegen geblieben. Die Untersuchung der Vorg\u00e4nge in jedem unserer Sinnesorgane hat im Allgemeinen drei verschiedene Theile. Zun\u00e4chst ist zu untersuchen, wie das Agens, welches die Empfindung erregt, also im Auge das Licht, im Ohre der Schall, bis zu den empfindenden Nerven hingeleitet wird. Wir k\u00f6nnen diesen ersten Theil den physikalischen Theil der entsprechenden physiologischen Untersuchung nennen. Zweitens sind die verschiedenen Erregungen der Nerven selbst zu untersuchen, welche verschiedenen Empfindungen entsprechen, und endlich die Gesetze, nach welchen aus solchen Empfindungen Vorstellungen bestimmter \u00e4usserer Objecte, d. h. Wahrnehmungen zu Stande kommen. Das giebt also noch zweitens einen vorzugsweise physiologischen Theil der Untersuchung, der die Empfindungen, und drittens einen psychologischen, der die Wahrnehmungen behandelt. W\u00e4hrend nun f\u00fcr die Lehre vom Geh\u00f6r der physikalische Theil schon vielf\u00e4ltig in Angriff genommen worden ist, haben wir bisher aus dem physiologischen und psychologischen Theile nur unvollst\u00e4ndige und zuf\u00e4llige Einzelheiten in der Wissenschaft aufzuweisen, und gerade der vorzugsweise phy-siologisch\u00e9 Theil, die Lehre von den Geh\u00f6rempfindungen, ist es, dessen Besultate die Theorie der Musik von der Naturwissenschaft entnehmen muss.\nIn dem vorliegenden Buche habe ich mich nun bem\u00fcht, zun\u00e4chst das Material f\u00fcr die Lehre von den Geh\u00f6rempfindungen zusammenzubringen, soweit es bisher fertig vorlag oder von mir durch eigene Untersuchungen erg\u00e4nzt werden konnte. Nat\u00fcrlich muss ein solcher erster Versuch ziemlich l\u00fcckenhaft bleiben, und sich auf die Grundz\u00fcge und die interessantesten Theile des betreffenden Gebiets beschr\u00e4nken. In diesem Sinne bitte ich die hier vorliegenden Studien aufzunehmen. Wenn auch in den zusammengestellten S\u00e4tzen nur weniges vorkommt von vollkommen","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"7\nPlan der Untersuchung.\nneuen Entdeckungen, vielmehr das, was von neuen Thatsachen und Betrachtungen etwa darin enthalten ist, sich meist unmittelbar daraus ergab, dass ich die schon bekannten Theorien und Versuchsmethoden vollst\u00e4ndiger in ihre Consequenzen verfolgte und auszuheuten suchte, als dies bisher geschehen war, so gewinnen doch, wie ich meine, die Thatsachen vielf\u00e4ltig eine neue Wichtigkeit und eine neue Beleuchtung, wenn man sie aus einem anderen Standpunkte und in einem anderen Zusammenh\u00e4nge, als bisher, betrachtet.\nDie erste Abtheilung der nachfolgenden Untersuchung ist wesentlich physikalischen und physiologischen Inhalts; es wird darin das Ph\u00e4nomen der harmonischen Obert\u00f6ne untersucht; es wird die Natur dieses Ph\u00e4nomens festgestellt, seine Beziehung zu den Unterschieden der Klangfarbe nachgewiesen, und es werden eine Reihe von Klangfarben in Beziehung auf ihre Obert\u00f6ne ana-lysirt, wobei sich denn zeigt, dass die Obert\u00f6ne nicht etwa, wie man bisher wohl meist glaubte, eine vereinzelt vorkommende Erscheinung von geringer Intensit\u00e4t seien, dass sie vielmehr mit sehr wenigen Ausnahmen den Kl\u00e4ngen fast aller Toninstrumente zukommen, und gerade in den zu musikalischen Zwecken brauchbarsten Klangfarben eine erhebliche St\u00e4rke erreichen. Die Frage, wie die Wahrnehmung der Obert\u00f6ne durch das Ohr zu Stande kommen k\u00f6nne, f\u00fchrt dann zu einer Hypothese \u00fcber die Erregungsweise des H\u00f6rnerven, welche geeignet ist, s\u00e4mmtliche in das hier vorliegende Gebiet geh\u00f6rige Thatsachen und Gesetze auf eine verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig einfache mechanische Vorstellung zur\u00fcckzuf\u00fchren.\nDie zweite Abtheilung behandelt die St\u00f6rungen des gleichzeitigen Erklingens zweier T\u00f6ne, n\u00e4mlich die Combinationst\u00f6ne und die Schwebungen. Die physiologisch-physikalische Untersuchung ergiebt, dass zwei T\u00f6ne nur dann im Ohre gleichzeitig empfunden werden k\u00f6nnen, ohne sich gegenseitig in ihrem Abfl\u00fcsse zu st\u00f6ren, wenn sie in ganz bestimmten Intervallverh\u00e4ltnissen zu einander stehen, den bekannten Intervallen der musikalischen Consonanzen. So werden wir hier unmittelbar in das musikalische Gebiet hin\u00fcbergef\u00fchrt, und es wird der physiologische Grund f\u00fcr das r\u00e4thselhafte von Pythagoras verk\u00fcndete Gesetz der Zahlenverh\u00e4ltnisse aufgedeckt. Die Gr\u00f6sse der con-sonanten Intervalle ist unabh\u00e4ngig von der Klangfarbe, aber der Grad des Wohlklanges der Consonanzen, die Sch\u00e4rfe ihres Unter-","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"8\tEinleitung.\nschieds von den Dissonanzen ergiebt sich als abh\u00e4ngig von der Klangfarbe. Die Folgerungen der physiologischen Theorie stimmen in diesem Gebiete mit den Regeln der musikalischen Accord-lehre durchaus zusammen; sie gehen selbst noch mehr in das Specielle als diese es kann, und haben, wie ich glaube, die Autorit\u00e4t der besten Componisten f\u00fcr sich.\nIn diesen beiden ersten Abtheilungen des Buches kommen \u00e4sthetische R\u00fccksichten gar nicht in Betracht, es handelt sich durchaus um Naturph\u00e4nomene, die mit blinder Nothwendigkeit eintreten. Die dritte Abtheilung behandelt die Construction der Tonleitern und Tonarten. Hier befinden wir uns auf \u00e4sthetischem Gebiete, die Differenzen des nationalen und individuellen Geschmacks beginnen. Die moderne Musik hat haupts\u00e4chlich das Princip der Tonalit\u00e4t streng und consequent entwickelt, wonach alle T\u00f6ne eines T\u00f6nst\u00fcckes durch ihre Verwandtschaft mit einem Hauptton, der Tonica, zusammengeschlossen werden. Sobald wir dieses Princip als gegeben annehmen, leitet sich aus den Resultaten der vorausgegangenen Untersuchungen die Construction unserer modernen Tonleitern und Tonarten auf einem alle Will-, k\u00fcrlichkeit ausschliessenden Wege ab.\nIch habe die physiologische Untersuchung von den musikalischen Folgerungen nicht trennen m\u00f6gen, denn dem Physiologen muss die Richtigkeit dieser Folgerungen als eine Unterst\u00fctzung f\u00fcr die Richtigkeit der vorgetragenen physikalischen und physiologischen Ansichten gelten, und dem Leser, welcher im musikalischen Interesse das Buch vornimmt, kann der Sinn und die Tragweite der Folgerungen nicht ganz klar werden, wenn er nicht die naturwissenschaftlichen Grundlagen wenigstens ihrem Sinne nach zu verstehen gesucht hat. Uebrigens habe ich, um das Verst\u00e4ndnis des Buches auch Lesern zug\u00e4nglich zu erhalten, denen eine eingehende Kenntniss der Physik und Mathematik fehlt, sowohl die specielleren Anweisungen f\u00fcr die Ausf\u00fchrung complicirterer Versuche, als auch alle mathematischen Er\u00f6rterungen in den Anhang am Schluss des Buches verwiesen. Dieser Anhang ist also besonders f\u00fcr den Physiker bestimmt, und enth\u00e4lt die Beweisst\u00fccke f\u00fcr meine Behauptungen. Ich hoffe auf diese Weise den Interessen der verschiedenen Leser gerecht zu werden.\nDas rechte Verst\u00e4ndnis freilich wird sich nur demjenigen Leser er\u00f6ffnen k\u00f6nnen, der sich die M\u00fche nimmt, durch eigene Beobachtung wenigstens die Fundamentalph\u00e4nomene, von denen","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"9\nPlan der Untersuchung.\nin der folgenden Untersuchung die Rede ist, kennen zu lernen. Gl\u00fccklicherweise ist es nicht sehr schwer, mit Hilfe der gew\u00f6hnlichsten musikalischen Instrumente Obert\u00f6ne, Combinationst\u00f6ne, Schwebungen u. s. w. kennen zu lernen. Eigene Wahrnehmung ist mehr werth als die sch\u00f6nste Beschreibung, besonders wo es sich, wie hier, um eine Analyse von Sinnesempfindungen handelt, die sich schlecht genug Jemandem beschreiben lassen, der sie nicht seihst erlebt hat.\nIch hoffe, bei diesem meinem etwas ungew\u00f6hnlichen Versuche, von Seiten der Naturwissenschaft in die Theorie der K\u00fcnste einzugreifen, geb\u00fchrend auseinander gehalten zu haben, was der Physiologie und was der Aesthetik angeh\u00f6rt, doch kann ich mir kaum verhehlen, dass meine Er\u00f6rterungen, obgleich sie sich nur auf das niederste Gebiet der musikalischen Grammatik beziehen, solchen Kunsttheoretikern vielleicht als zu mechanisch und der W\u00fcrde der Kunst widersprechend erscheinen werden, welche gewohnt sind, die enthusiastischen Seelenzust\u00e4nde, wie sie durch die h\u00f6chsten Leistungen der Kunst hervorgerufen werden, auch zur wissenschaftlichen Untersuchung ihrer Grundlagen mitzubringen. Diesen gegen\u00fcber will ich nur noch bemerken, dass es sich bei der nachfolgenden Untersuchung wesentlich nur um die Analyse thats\u00e4chlich bestehender sinnlicher Empfindungen handelt, dass die physikalischen Beobachtungsmethoden, welche herbeigezogen werden, fast nur dazu dienen sollen, das Gesch\u00e4ft dieser Analyse zu erleichtern, zu sichern, und ihre Vollst\u00e4ndigkeit zu-controliren, und dass diese Analyse der Sinnesempfindungen gen\u00fcgen w\u00fcrde, die Endergebnisse f\u00fcr die musikalische Theorie zu liefern, selbst ohne Bezug auf die physiologische Hypothese \u00fcber den Mechanismus des H\u00f6rens, die ich schon erw\u00e4hnt habe, welche ich jedoch nicht weglassen wollte, weil sie einen ausserordentlich einfachen Zusammenhang in die sehr mannigfachen und sehr verwickelten Ph\u00e4nomene dieses Gebiets zu bringen geeignet ist.","page":9},{"file":"p0011.txt","language":"de","ocr_de":"ERSTE AB T H EIL UN G.\nDIE ZUSAMMENSETZUNG DER SCHWINGUNGEN.\nOBERT\u00d6NE UND KLANGFARBEN.","page":11},{"file":"p0013.txt","language":"de","ocr_de":"Erster Abschnitt.\nVon der Schallempfindung im Allgemeinen.\nSinnliche Empfindungen kommen zu Stande, indem \u00e4ussere Reizmittel auf die empfindlichen Nervenapparate unseres K\u00f6rpers einwirken, und diese in Erregungszustand versetzen. Die Art der Empfindung ist verschieden, theils nach dem Sinnesorgane, welches in Anspruch genommen worden ist, theils nach der Art des einwirkenden Reizes. Jedes Sinnesorgan vermittelt eigenth\u00fcm-liche Empfindungen, welche durch kein anderes erregt werden k\u00f6nnen, das Auge Lichtempfindungen, das Ohr Schallempfindungen, die Haut Tastempfindungen. Selbst wenn dieselben Sonnenstrahlen, welche dem Auge die Empfindung des Lichts erregen, die Haut treffen und deren Nerven erregen, so werden sie hier doch nur als W\u00e4rme, nicht als Licht empfunden, und ebenso k\u00f6nnen die Ersch\u00fctterungen elastischer K\u00f6rper, welche das Ohr h\u00f6rt, von der Haut empfunden werden, aber nicht als Schall, sondern als Schwirren. Schallempfindung ist also die dem Ohre eigenth\u00fcm-liche Reactionsweise gegen \u00e4ussere Reizmittel, sie kann in keinem anderen Organe des K\u00f6rpers hervorgebracht werden, und unterscheidet sich durchaus von allen Empfindungen aller \u00fcbrigen Sinne.\nDa wir uns hier die Aufgabe gestellt^haben, die Gesetze der Geh\u00f6rempfindungen zu studiren, so wird es unsere erste Aufgabe sein, zu untersuchen, wie viel verschiedene Arten von Empfindungen unser Ohr erzeugen kann, und welche Unterschiede des \u00e4usseren Erregungsmittels, n\u00e4mlich des Schalls, diesen Unterschieden der Empfindung entsprechen.","page":13},{"file":"p0014.txt","language":"de","ocr_de":"14\tErste Abtheilung. Erster Abschnitt.\nDer erste und Hauptunterscliied verschiedenen Schalls, den unser Ohr auffindet, ist der Unterschied zwischen Ger\u00e4uschen und musikalischen Kl\u00e4ngen. Das Sausen, Heulen und Zischen des Windes, das Pl\u00e4tschern des Wassers, das Rollen und Rasseln eines Wagens sind Beispiele der ersten Art, die Kl\u00e4nge s\u00e4mmt- , licher musikalischer Instrumente Beispiele der zweiten Art des Schalls. Zwar k\u00f6nnen Ger\u00e4usche und Kl\u00e4nge in mannigfach wechselnden Verh\u00e4ltnissen sich vermischen und durch Zwischenstufen in einander \u00fcbergehen, ihre Extreme sind aber weit von einander getrennt.\nUm das Wesen des Unterschieds zwischen Kl\u00e4ngen und Ger\u00e4uschen zu ermitteln, gen\u00fcgt in den meisten F\u00e4llen schon eine aufmerksame Beobachtung des Ohres allein, ohne dass es durch k\u00fcnstliche Hilfsmittel unterst\u00fctzt zu werden braucht. Es zeigt sich n\u00e4mlich im Allgemeinen, dass im Verlaufe eines Ger\u00e4usches ein schneller Wechsel verschiedenartiger Schallempfindungen eintritt. Man denke an das Rasseln eines Wagens auf Stein-, pflaster, das Pl\u00e4tschern und Brausen eines Wasserfalls oder der Meereswogen, das Rauschen der Bl\u00e4tter im Walde. Hier haben wir \u00fcberall einen raschen und unregelm\u00e4ssigen, aber deutlich erkennbaren Wechsel stossweise aufblitzender verschiedenartiger Laute. Beim Heulen des Windes ist der Wechsel langsam, der' Schall zieht sich langsam und allm\u00e4lig in die H\u00f6he, und sinkt dann- wieder. Mehr oder weniger gut gelingt die Trennung verschiedenartiger unruhig wechselnder Laute auch hei den meisten anderen Ger\u00e4uschen ; wir werden sp\u00e4ter ein Hilfsmittel kennen lernen, die Resonatoren, mittelst dessen diese Unterscheidung dem Ohre betr\u00e4chtlich erleichtert wird. Ein musikalischer Klang dagegen erscheint dem Ohre als ein Schall, der vollkommen ruhig, gleichm\u00e4ssig und unver\u00e4nderlich dauert, so lange er eben besteht, in ihm ist kein Wechsel verschiedenartiger Bestandteile zu unterscheiden. Ihm entspricht also eine einfache und regelm\u00e4ssige Art der Empfindung, w\u00e4hrend in einem Ger\u00e4usche viele verschiedenartige Klangempfindungen unregelm\u00e4ssig' gemischt und durch einander geworfen sind. In der That kann man Ger\u00e4usche aus musikalischen Kl\u00e4ngen zusammensetzen, wenn man z. B. s\u00e4mmt-liche Tasten eines Claviers innerhalb der Breite von einer oder zwei Octaven gleichzeitig anschl\u00e4gt. Hiernach ist es klar, dass die musikalischen Kl\u00e4nge die einfacheren und regelm\u00e4ssigeren Elemente der Geh\u00f6rempfindungen sind, und dass wir an ihnen","page":14},{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":"Ger\u00e4usch und Klang.\t15\nzun\u00e4chst die Gesetze und Eigent\u00fcmlichkeiten dieser Empfindungen zu studiren haben.\nWir gelangen jetzt zu der weiteren Frage: welcher Unterschied in dem \u00e4usseren Erregungsmittel der Geh\u00f6rempfindungen bedingt den Unterschied von Ger\u00e4usch und Klang ? Das normale und gew\u00f6hnliche Erregungsmittel f\u00fcr das menschliche Ohr sind Ersch\u00fctterungen der umgehenden Luftmasse. Die unregelm\u00e4ssig wechselnde Empfindung des Ohres bei den Ger\u00e4uschen l\u00e4sst uns schliessen, dass hei diesen auch die Ersch\u00fctterung der Luft eine unregelm\u00e4ssig sich ver\u00e4ndernde Art der Bewegung sein m\u00fcsse, dass den musikalischen Kl\u00e4ngen dagegen eine regelm\u00e4ssige in gleichm\u00e4ssiger Weise andauernde Bewegung der Luft zu Grunde liege, welche wiederum erregt sein muss durch eine ebenso regelm\u00e4ssige Bewegung des urspr\u00fcnglich t\u00f6nenden K\u00f6rpers, dessen St\u00f6sse die Luft dem Ohre zuleitet.\nDie Art solcher regelm\u00e4ssiger Bewegungen, welche einen musikalischen Klang hervorbringen, haben nun die physikalischen Untersuchungen genau kennen gelehrt. Es sind dies Schwingungen, d. h. hin- und hergehende Bewegungen der t\u00f6nenden K\u00f6rper-, und diese Schwingungen m\u00fcssen regelm\u00e4ssig, periodisch sein. Unter einer periodischen Bewegung verstehen wir eine solche, welche nach genau gleichen Zeitabschnitten immer in genau derselben Weise wiederkehrt. Die L\u00e4nge der gleichen Zeitabschnitte, welche zwischen einer und der n\u00e4chsten Wiederholung der gleichen Bewegung verfliessen, nennen wir die Schwingungsdauer oder die Periode der Bewegung. Welcher Art die Bewegung des bewegten K\u00f6rpers w\u00e4hrend der Da,uer einer Periode ist, ist dabei ganz gleichg\u00fcltig. Um den Begriff der periodischen Bewegung an bekannten Beispielen zu erl\u00e4utern, f\u00fchre ich an die Bewegung des Pendels einer Uhr, die Bewegung eines Steins, der an einem Faden befestigt mit gleichbleibender Geschwindigkeit im Kreise herumgeschwungen wird, die Bewegung eines Hammers, der von dem R\u00e4derwerk einer Wasserm\u00fchle nach regelm\u00e4ssigen Zwischenzeiten gehoben wird und wieder f\u00e4llt. Alle diese Bewegungen, so verschieden sie sich \u00fcbrigens auch gestalten m\u00f6gen, sind periodisch in dem angef\u00fchrten Sinne. Die Dauer ihrer Periode, welche in diesen F\u00e4llen meist eine oder mehrere Secunden betr\u00e4gt, ist aber verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig lang verglichen mit den viel k\u00fcrzeren Perioden der t\u00f6nenden Schwingungen, von denen bei den tiefsten T\u00f6nen mindestens 30 auf eine Secunde","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16\tErste Abtheilung. Erster Abschnitt.\nkommen, und deren Anzahl bis auf viele Tausende in der Secunde steigen kann.\n\u2022 Unserer Definition der periodischen Bewegung gem\u00e4ss k\u00f6nnen wir nun die gestellte Frage so beantworten: Die Empfindung eines Klanges wird durch schnelle periodische Bewegungen der t\u00f6nenden K\u00f6rper hervorgebracht, die eines Ger\u00e4usches durch nicht periodische Bewegungen.\nDie t\u00f6nenden Schwingungen fester K\u00f6rper k\u00f6nnen wir sehr\u2019 h\u00e4ufig mit dem Auge erkennen. Wenn auch die'Schwingungen zu schnell vor sich gehen, als dass wir jeder einzelnen mit dem Auge folgen k\u00f6nnten, so erkennen wir doch leicht an einer t\u00f6nenden Saite, oder Stimmgabel, oder an der Zunge einer Zungenpfeife, dass dieselben in lebhafter hin- und hergehender Bewegung zwischen zwei festen Grenzlagen begriffen sind, und das regelm\u00e4ssige und scheinbar ruhig fortbestehende Bild, welches ein solcher schwingender K\u00f6rper trotz seiner Bewegung dem Aug\u00e9 darbietet, l\u00e4sst auf die Regelm\u00e4ssigkeit seiner Hin- und Herg\u00e4nge schliessen. ln anderen F\u00e4llen k\u00f6nnen wir die schwingende Bewegung der t\u00f6nenden festen K\u00f6rper f\u00fchlen. So f\u00fchlt der Bla--sende die Schwingungen der Zunge am Mundst\u00fcck der Clarinette: Oboe, des Fagotts, oder die Schwingungen seiner eigenen Lippen im Mundst\u00fcck der Trompete und Posaune.\nUnserem Ohre werden nun die Ersch\u00fctterungen, welche von den t\u00f6nenden K\u00f6rpern ausgehen, in der Regel erst durch Vermittelung der Luft zugetragen. Auch die Lufttheilchen m\u00fcssen periodisch sich wiederholende Schwingungen ausf\u00fchren, um in unserem Ohre die Empfindung eines musikalischen Klanges hervorzubringen. Dies ist auch in der That der Fall, obgleich in der allt\u00e4glichen Erfahrung der Schall zun\u00e4chst als ein Agens erscheint, welches fortdauernd im Luftr\u00e4ume vorw\u00e4rts schreitet und sich immer weiter und weiter ausbreitet. Wir m\u00fcssen aber hier unterscheiden zwischen der Bewegung der einzelnen Lufttheilchen selbst \u2014 diese ist periodisch hin- und hergehend innerhalb enger Grenzen \u2014 und der Ausbreitung der Ersch\u00fctterung des Schalls; diese letztere ist es, welche fortdauernd vorw\u00e4rts schreitet, indem immer neue und neue Lufttheilchen in den Kreis der Ersch\u00fctterung gezogen werden.\nEs ist dies eine Eigenth\u00fcmlichkeit aller sogenannten Wellenbewegungen. Man denke sich in eine eben ruhige Wasser-","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"17\nAusbreitung des Schalls.\nfl\u00e4che einen Stein geworfen. Uin den getroffenen Punkt der Fl\u00e4che bildet sich sogleich ein kleiner Wellenring, welcher nach allen Pachtungen hin gleichm\u00e4ssig fortschreitend sich zu einem immer gr\u00f6sser werdenden Kreise ausdehnt. Diesem Wellenringe entsprechend geht in der Luft von einem ersch\u00fctterten Punkte der Schall aus, und schreitet nach allen Richtungen fort, so weit die Grenzen der Luftmasse es erlauben. Der Vorgang in der Luft ist im Wesentlichen ganz derselbe wie auf der Wasserfl\u00e4che, der Hauptunterschied ist nur, dass der Schall in dem r\u00e4umlich ausgedehnten Luftmeere nach allen Seiten kugelf\u00f6rmig fortschreitend sich ausbreitet, w\u00e4hrend die Wellen an der Oberfl\u00e4che des Wassers nur ringf\u00f6rmig fortschreiten k\u00f6nnen. Den Wellenbergen der Wasserwell e-n entsprechen in den Schallwellen Schichten, in denen die Luft verdichtet ist, den Wellenth\u00e4lern verd\u00fcnnte Schichten. An der freien Wasseroberfl\u00e4che kann die Masse nach oben aus-weichen, wo sie sich zusammendr\u00e4ngt, und so die Berge bilden. Im Inneren des Luftmeeres muss sie- sich verdichten, weil sie nicht ausweichen kann.\nDie Wasserwellen also schreiten best\u00e4ndig vorw\u00e4rts ohne umzukehren; aber man muss nicht glauben, dass die Wassertheil-chen, aus denen die Wellen zusammengesetzt sind, eine \u00e4hnliche fortschreitende Bewegung haben wie die Wellen seihst. Die Bewegungen der Wassertheilchen l\u00e4ngs der Oberfl\u00e4che des Wassers k\u00f6nnen wir leicht sichtbar machen, indem wir ein H\u00f6lzchen auf dem Wasser schwimmen lassen. Ein solches macht die Bewegungen der benachbarten Wassertheilchen vollst\u00e4ndig mit. Nun wird ein solches H\u00f6lzchen von den Wellenringen nicht mitgenommen, sondern nur auf und ah geschaukelt, und bleibt schliesslich an der Stelle ruhen, an der es sich zuerst befand. Wie das H\u00f6lzchen, so auch die benachbarten Wassertheilchen. Wenn der Wellenring bei ihnen ankommt, werden sie in Schwankungen versetzte wenn er vor\u00fchergezogen ist, sind sie wieder an ihrer alten Stelle und bleiben nun in Ruhe, w\u00e4hrend der Wellenring zu immer neuen Stellen der Wasserfl\u00e4che fortschreitet und diese in Bewegung setzt. Es werden also die Wellen, welche \u00fcber die Wasseroberfl\u00e4che hinziehen, fort und fort aus neuen Wassertheilchen aufgebaut, so dass dasjenige, was als Welle fortr\u00fcckt, nur die Ersch\u00fctterung, ver\u00e4nderte Form der Oberfl\u00e4che ist, w\u00e4hrend die einzelnen Wassertheilchen in vor\u00fcbergehenden Schwankungen hin- und hergehen, sich aber nie weit von ihrem ersten Platze entfernen.\nHelmholtz, phys Theorie der Musik.\n2","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18\tErste Abtheilung. Erster Abschnitt.\nNoch deutlicher zeigt sich dasselbe Verh\u00e4ltniss bei den Wellen eines Seils oder einer Kette. Man nehme einen biegsamen F\u00e4den von einigen Fuss L\u00e4nge oder ein d\u00fcnnes Metallkettchen, halte es an einem Ende und lasse das andere herabh\u00e4ngen, so dass der Faden nur durch seine Schwere gespannt ist. Nun beT wege man die Hand, die es h\u00e4lt, schnell ein wenig nach einer Seite und wieder zur\u00fcck. Es wird die Ausbiegung, die wir am oberen Ende des Fadens durch die Bewegung der Hand hervorgebracht haben, als eine Art Welle an ihm herablaufen, so dass immer tiefere und tiefere Theile des Fadens sich seitw\u00e4rts ausbiegen, w\u00e4hrend die oberen wieder in die gestreckte Ruhelage \u00fcbergehen, und doch ist es deutlich, dass, w\u00e4hrend die Welle nach unten hin abl\u00e4uft, jeder einzelne Theil des Fadens nur horizontal hin- und herschwanken kann, und keineswegs die abw\u00e4rts schreitende Bewegung der Welle theilt.\nNoch vollkommener gelingt ein solcher Versuch an einem langen elastischen, schwach gespannten Faden, z. B. einer dicken Kautschukschnur, oder einer Messingspiralfeder von 8 bis 12 Fuss L\u00e4nge, deren eines Ende befestigt ist, w\u00e4hrend man das andere in der Hand h\u00e4lt. Die Hand kann hier leicht Wellen erregen, welche in sehr regelm\u00e4ssiger Weise nach dem \u00e4nderen Ende d\u00e8s Fadens ahlaufen, dort reflectirt werden und wieder zur\u00fcckkommen. Auch hier ist es deutlich, dass es kein Theil der Schnur seihst sein kann, welcher hin- und herl\u00e4uft, sondern dass immer andere und andere Theile der Schnur die fortschreitende Welle zusammensetzen. An diesen Beispielen wird der Leser sich eine Vorstellung bilden k\u00f6nnen von einer solchen Art der Bewegung, wie die des Schalls eine ist, wo die materiellen Theilchen des bewegten K\u00f6rpers nur periodische Schwingungen ausf\u00fchren, w\u00e4hrend doch die Ersch\u00fctterung selbst fortdauernd vorw\u00e4rts schreitet.\nKehren wir zu der Wasserfl\u00e4che zur\u00fcck. Wir haben vorausgesetzt, dass ein Punkt derselben von einem Steine getroffen und ersch\u00fcttert worden sei. Die Ersch\u00fctterung hat sich in Form eines Wellenringes \u00fcber die Wasserfl\u00e4che ausgebreitet, ist zu dem schwimmenden H\u00f6lzchen gekommen, und hat dieses in Schwankungen versetzt. So ist also mittelst der Wellen die Ersch\u00fctterung, welche der Stein an einem Punkte der Wasserfl\u00e4che erregt hatte, dein'H\u00f6lzchen, welches an einem anderen Punkte derselben Fl\u00e4che sich befand, mitgetheilt worden. Von ganz \u00e4hnlicher Art ist der Vorgang in dem uns umgebenden Luftmeere. Statt des","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"19\nAusbreitung des Schalls.\nSteines setze man einen t\u00f6nenden K\u00f6rper, der die Luft ersch\u00fcttert, statt des H\u00f6lzchens das menschliche Ohr, an welches die Ersch\u00fctterungswellen der Luft anschlagen und dessen bewegliche Theile sie dabei in Bewegung setzen. Die Luftwellen, welche Ton einem t\u00f6nenden K\u00f6rper ausgehen, \u00fcbertragen die Ersch\u00fctterung auf das menschliche Ohr gerade ebenso, wie das Wasser sie von dem Stein auf den schwimmenden K\u00f6rper \u00fcbertr\u00e4gt.\nHiernach wird es leicht ersichtlich sein, wie ein in periodischer Schwingung begriffener K\u00f6rper auch die Lufttheilchen in eine periodische Bewegung setzen muss. Ein fallender Stein giebt der Wasserfl\u00e4che nur einen einzelnen Stoss. Nun denke man sich aber statt des einen Steines etwa eine regelm\u00e4ssige Keihe von Tropfen aus einem Gef\u00e4sse mit enger M\u00fcndung in das Wasser fallend. Jeder Tropfen wird eine Bingwelle erregen, jede Ringwelle wird \u00fcber die Wasserfl\u00e4che ganz ebenso wie ihre Vorg\u00e4ngerin hinlaufen, und wie sie dieser folgte, werden ihr ihre Nachfolgerinnen folgen. So wird auf der Wasserfl\u00e4che eine regelm\u00e4ssige Reihe concentrischer Ringe entstehen und sich ausbreiten. So viel Tropfen in der Secunde in das Wasser fallen, so viel Wellen werden. auch in der Secunde unser schwimmendes H\u00f6lzchen treffen, und so viel Male wird dieses auf und ab geschaukelt werden, also eine periodische Bewegung ausf\u00fchren, deren Periode gleich ist den Zeitabschnitten, in denen die Tropfen fallen. In derselben Weise bringt in der Luft ein periodisch bewegter t\u00f6nender K\u00f6rper eine \u00e4hnliche periodische Bewegung zun\u00e4chst der Luftmasse, dann des Trommelfells in unserem Ohre hervor, deren Schwingungsdauer der des t\u00f6nenden K\u00f6rpers gleich sein muss.\nNachdem wir die erste Haupteintheilung des Schalls in Ger\u00e4usche und Kl\u00e4nge besprochen, und die den Kl\u00e4ngen zukommende Luftbewegung im Allgemeinen beschrieben haben, wenden wir uns zu den besonderen Eigenth\u00fcmlichkeiten, durch welche wiederum die Kl\u00e4nge sich von einander unterscheiden. Wir kennen drei Unterschiede der Kl\u00e4nge, wenn wir zun\u00e4chst nur an solche Kl\u00e4nge denken, wie sie einzeln von unseren gew\u00f6hnlichen musikalischen Instrumenten hervorgebracht werden, und Zusammenkl\u00e4nge verschiedener Instrumente ausschliessen. Kl\u00e4nge k\u00f6nnen sich n\u00e4mlich unterscheiden:\n1.\tdurch ihre St\u00e4rke,\n2.\tdurch ihre Tonh\u00f6he,\n3.\tdurch ihre Klangfarbe.\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\tErste Abtheilung. Erster Abschnitt.\nWas wir unter St\u00e4rke des Tons und unter Tonh\u00f6he verstehen, brauche ich nicht zu erkl\u00e4ren.\nUnter Klangfarbe verstehen wir diejenige Eigenth\u00fcmlichkeit, wodurch sich der Klang einer Violine von dem einer Fl\u00f6te, oder Clarinette, oder menschlichen Stimme unterscheidet, wenn alle dieselbe Note in derselben Tonh\u00f6he hervorbringen. Wir haben jetzt f\u00fcr diese drei Hauptunterschiede des Klanges auseinanderzusetzen, welche besonderen Eigenth\u00fcmlichkeiten der Schallbewegung ihnen entsprechen.\nWas zun\u00e4chst die St\u00e4rke der Kl\u00e4nge betrifft, so ist es leicht zu erkennen, dass diese mit der Breite (Amplitude) der Schwingungen des t\u00f6nenden K\u00f6rpers w\u00e4chst und abnimmt. Wenn wir eine Saite anschlagen, sind ihre Schwingungen anfangs ausgiebig genug, dass wir sie sehen k\u00f6nnen ; dem entsprechend ist ihr Ton anfangs am st\u00e4rksten. Dann werden die sichtbaren Schwingungen immer kleiner und kleiner; in demselben Maasse nimmt die St\u00e4rke des Tons ab. Dieselbe Beobachtung k\u00f6nnen wir an gestrichenen Saiten, den Zungen der Zungenpfeifen und vielen anderen t\u00f6nenden K\u00f6rpern machen. Die gleiche Folgerung m\u00fcssen wir aus der Thatsache ziehen, dass die St\u00e4rke des Klanges abnimmt, wenn wir uns im Freien von dem t\u00f6nenden K\u00f6rper entfernen, w\u00e4hrend sich weder Tonh\u00f6he noch Klangfarbe ver\u00e4ndern. In der Entfernung \u00e4ndert sich aber an den Luftwellen nur die Schwingungsamplitude der einzelnen Lufttheilchen. Von dieser muss also die St\u00e4rke des Schalls abh\u00e4ngen, aber keine seiner anderen Eigenschaften*).\nDer zweite wesentliche Unterschied verschiedener Kl\u00e4nge beruht in ihrer Tonh\u00f6he. Wir wissen schon aus der t\u00e4glichen Erfahrung, dass T\u00f6ne gleicher Tonh\u00f6he von den allerverschiedensten Instrumenten mittelst der verschiedensten mechanischen Vorg\u00e4nge und in der verschiedensten St\u00e4rke erzeugt werden k\u00f6nnen. Die Luftbewegungen, welche hierbei entstehen, m\u00fcssen alle periodisch sein, sonst erregen sie nicht die Empfindung eines musikalischen Klanges im Ohre. Innerhalb jeder einzelnen Periode kann die Bewegung sein, von welcher Art sie will, wenn\n*) Mechanisch ist die St\u00e4rke der Schwingungen f\u00fcr T\u00f6ne verschiedener H\u00f6he durch ihre lebendige Kraft, d. h. durch das Quadrat der gr\u00f6ssten Geschwindigkeit zu messen, welche die schwingenden Theilchen erreichen. Aber das Ohr hat verschiedene Empfindlichkeit f\u00fcr T\u00f6ne verschiedener H\u00f6he, so dass ein f\u00fcr verschiedene Tonh\u00f6hen g\u00fcltiges Maass der Intensit\u00e4t der Empfindung hierdurch nicht gewonnen werden kann.","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Tonh\u00f6he und Schwingungszahl.\t21\nnur die Dauer der Periode zweier Kl\u00e4nge gleich gross ist, so haben sie gleiche Tonh\u00f6he. Also: Die Tonh\u00f6he h\u00e4ngt nur ab von der Schwingungsdauer oder, was gleichbedeutend ist, von der Schwingungs zahl. Wir pflegen die Secunde als Zeiteinheit zu benutzen,und verstehendeshalb unter Schwingungszahl die Anzahl der Schwingungen, welche der t\u00f6nende K\u00f6rper in einer Zeitsecunde ausf\u00fchrt. Es ist selbstverst\u00e4ndlich, dass wir die Schwingungsdauer finden, wenn wir die Secunde durch die Schwingungszahl dividiren.\nDie Kl\u00e4nge sind desto h\u00f6her, je gr\u00f6sser ihre Schwingungszahl oder je kleiner ihre Schwingungsdauer ist.\nDie Zahl der Schwingungen solcher elastischen K\u00f6rper, welche h\u00f6rbare T\u00f6ne hervorbringen, genau zu bestimmen, ist ziemlich schwierig, und die Physiker mussten deshalb vielerlei verli\u00e4ltniss-m\u00e4ssig verwickelte Verfahrungsweisen einschlagen, um dieSe Aufgabe in jedem einzelnen Falle l\u00f6sen zu k\u00f6nnen. Die mathematische Theorie und mannigfaltige Versuche mussten sich zu dem Ende gegenseitig zu Hilfe kommen. Zur Darlegung der Grundthatsachen in diesem Gebiete ist es deshalb sehr bequem, ein besonderes Toninstrument anwenden zu k\u00f6nnen, die sogenannte Sirene, welches durch seine Construction es m\u00f6glich macht, die Zahl der Luftschwingungen, die den Ton hervorgebracht haben, direct zu bestimmen. Die einfachste Form der Sirene ist in Fig. 1 nach Seebeck der Hauptsache nach dargestellt.\nA ist eine d\u00fcnne Scheibe aus Pappe oder Blech, welche um ihre mittlere Axe b mittelst der um ein gr\u00f6sseres Rad laufenden\nSchnur ff schnell gedreht werden kann. L\u00e4ngs des Randes der Scheibe ist eine Reihe von L\u00f6chern in gleichen Abst\u00e4nden von einander angebracht, in der Zeichnung 12 ; eine oder mehrere andere Reihen gleichabstehender L\u00f6cher befinden sich auf anderen concentrischen Kreislinien (inFig. 1 eine solche von acht L\u00f6chern)\nFig\\ 1.","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\tErste Abtheilung. Erster Abschnitt.\nc ist ein R\u00f6hrchen, welches gegen eines der L\u00f6cher gerichtet 'wird. L\u00e4sst man nun die Scheibe geschwind umlaufen, und bl\u00e4st durch das R\u00f6hrchen c, so tritt die Luft frei aus, so oft eines der L\u00f6cher der Scheibe an der M\u00fcndung des R\u00f6hrchens vorbeigeht, w\u00e4hrend der Austritt der Luft gehindert ist, so oft ein undurch-bohrter Theil der Scheibe vor der M\u00fcndung des R\u00f6hrchens steht. Jedes einzelne Loch der Scheibe daher, welches vor der M\u00fcndung der R\u00f6hre vor\u00fcbergeht, l\u00e4sst einen einzelnen Luftstoss austreten. Wird die Scheibe einmal umgedreht, und ist das R\u00f6hrchen gegen den \u00e4usseren Kreis gerichtet, so .erhalten wir den 12 L\u00f6chern entsprechend 12 Luftst\u00f6sse; ist das R\u00f6hrchen dagegen gegen den inneren Kreis gerichtet, nur 8 Luftst\u00f6sse. Lassen wir die Scheibe in der Secunde 10 mal umlaufen, so giebt uns der \u00e4ussere Kreis angeblasen 120 Luftst\u00f6sse in der Secunde, welche als ein schwacher tiefer Ton erscheinen, und der innere Kreis 80 Luftst\u00f6sse. Ueberhaupt, wenn wir die Anzahl der Uml\u00e4ufe der Scheibe w\u00e4hrend einer Secunde, und die Anzahl der L\u00f6cher der angeblasenen Reihe kennen, giebt uns offenbar das Product beider Zahlen die Zahl der Luftst\u00f6sse. Diese Zahl ist also viel leichter genau zu ermitteln, als bei irgend einem anderen Tonwerkzeuge, und die Sirenen sind deshalb ausserordentlich geeignet, alle Ver\u00e4nderungen des Tons zu studiren, welche von den Ver\u00e4nderungen und den Verh\u00e4ltnissen der Schwingungszahlen abh\u00e4ngen.\nDie hier beschriebene Form der Sirene giebt nur einen schwachen Ton; ich habe sie nur vorangestellt, weil die Art ihrer Wirkung am leichtesten zu verstehen ist, auch kann sie leicht, indem man die Scheibe wechselt, sehr verschiedenartigen Versuchen angepasst werden. Einen kr\u00e4ftigeren Ton giebt die in Fig. 2, 3 und 4 dargestellte Sirene nach Cagniard la Tour. SS ist die ro-tirende Scheibe, in Fig. 3 von oben gesehen, in Fig. 2 und 4 von der Seite. Sie befindet sich \u00fcber einem Windkasten A, der durch das Rohr B mit einem Blasebalg verbunden werden kann. Der Deckel des Windkastens A, den unmittelbar unter der rotirenden Scheibe liegt, hat ebenso viel Durchbohrungen wie diese, und die Richtung der Durchbohrungen im Deckel des Kastens und in der Scheibe ist so schr\u00e4g gegen einander gestellt, wie Fig. 4 zeigt. (Fig. 4 ist ein Durchschnitt des Instruments in Richtung der Linie nn Fig. 3.) Diese Stellung der L\u00f6cher bewirkt, dass der ausfahrende Wind die Scheibe SS selbst in Rotation versetzt, und man kann durch starkes Anblasen 50 bis 60 Rotationen in der","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"23\nTonh\u00f6he und Schwingungszahl.\nSecunde erzielen. Da s\u00e4mmtliche L\u00f6cher dieser Sirene gleichzeitig angeblasen werden, so erh\u00e4lt man einen viel st\u00e4rkeren\nFig. 2.\nFig. 3.\nFig. 4.\nTon als bei der Sirene von Seebeck. Zur Z\u00e4hlung der Umdrehungen dient das Z\u00e4hlerwerk gg, in welchem sich ein gezahntes Rad. befindet, welches in die Schraube t eingreift, und bei jeder Umdrehung der Scheibe S S um einen Zahn vorw\u00e4rts bewegt wird. Durch den Griff h kann man das Z\u00e4hlerwerk ein wenig verschieben, so dass es in die Schraube t nach Belieben eingreift oder nicht eingreift. Wenn man es bei einem Secundensclilage einr\u00fcckt, bei einem sp\u00e4teren ausr\u00fcckt, zeigen die Zeiger an, wie viel Uml\u00e4ufe die Scheibe w\u00e4hrend der abgez\u00e4hlten Secunden gemacht hat.\nDove hat dieser Sirene mehrere Reihen von L\u00f6chern gegeben, zu denen der Wind beliebig zugelassen oder abgesperrt werden","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\tErste Abtheilung. Erster Abschnitt.\nkann. Eine solche mehrstimmige Sirene mit noch anderen besonderen Einrichtungen wird im achten Abschnitte abgebildet und beschrieben werden.\nZun\u00e4chst ist klar, dass, wenn die durchbohrte Scheibe einer dieser Sirenen mit gleichm\u00e4ssiger Geschwindigkeit uml\u00e4uft und die Luft stossweise durch die L\u00f6cher ausstr\u00f6mt, die dadurch hervorgebrachte Bewegung der Luft periodisch ist in dem Sinne, wie wir dieses Wort gebraucht haben. Die L\u00f6cher haben gleiche Abst\u00e4nde von einander, sie folgen sich also bei der Umdrehung in gleichen Zeitr\u00e4umen. Durch jedes Loch wird gleichsam ein Tropfen Luft in das \u00e4ussere Luftmeer ausgeleert, und erregt hier Wellen, die ebenfalls in gleichen Zwischenzeiten sich folgen, gerade ebenso wie es regelm\u00e4ssig fallende Tropfen auf einer Wasserfl\u00e4che thun. Innerhalb jeder einzelnen Periode wird bei verschieden eingerichteten Sirenen jeder einzelne Luftstoss noch eine ziemlich verschiedene Form haben k\u00f6nnen, je nachdem die L\u00f6cher enger oder weiter, n\u00e4her an einander oder entfernter sind, und je nachdem die R\u00f6hrenm\u00fcndung gestaltet ist, aber jedenfalls werden s\u00e4mmt-liche Luftst\u00f6sse derselben L\u00f6cherreihe, so lange man die Geschwindigkeit der Drehung und die Stellung des R\u00f6hrchens unver\u00e4ndert l\u00e4sst, eine regelm\u00e4ssig periodische Luftbewegung geben, und deshalb im Ohre die Empfindung eines musikalischen Klanges erregen m\u00fcssen, was denn auch der Fall ist.\nEs ergiebt sich bei den Versuchen mit der Sirene zun\u00e4chst leicht, dass zwei L\u00f6cherreihen von gleicher Anzahl der L\u00f6cher mit derselben Geschwindigkeit gedreht einen Klang von derselben Tonh\u00f6he geben, wie auch immer die Gr\u00f6sse und Form der L\u00f6cher oder des R\u00f6hrchens sein mag, ja dass wir denselben Ton sogar erhalten, wenn wir bei der Drehung der Scheibe einen Stift in die L\u00f6cher schlagen lassen, statt sie anzublasen. Daraus folgt also zun\u00e4chst, dass die musikalische H\u00f6he des Klanges nur abh\u00e4ngt von der Zahl der Luftst\u00f6sse oder Schwingungen, nicht von ihrer Form, St\u00e4rke oder Erregungsweise. Weiter ergiebt sich mit diesem Instrumente sehr leicht, dass, wenn wir die Umdrehungsgeschwindigkeit der Scheibe steigern, womit nat\u00fcrlich auch die Anzahl der Luftst\u00f6sse gesteigert wird, der Ton an H\u00f6he zunimmt. Dasselbe geschieht, wenn wir b\u00eai unver\u00e4nderter Umlaufsgeschwindigkeit erst eine Reihe L\u00f6cher von kleinerer Anzahl anblasen, dann eine von gr\u00f6sserer. Die letztere giebt den h\u00f6heren Ton.\nMit demselben Instrumente findet man nun auch sehr leicht","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"Tonh\u00f6he und Schwingungszahl.\t25\ndie merkw\u00fcrdige Beziehung, welche die Schwingungszahlen zweier T\u00f6ne haben, die mit einander ein consonirendes Intervall bilden. Man mache auf einer Scheibe eine Reihe von 8, eine von 16 L\u00f6chern, und blase sie abwechselnd an, w\u00e4hrend die Umlaufsgeschwindigkeit der Scheibe constant erhaltei\u00ee wird. Man wird zwei T\u00f6ne h\u00f6ren, die genau im Verh\u00e4ltniss einer Octave zu einander stehen. Man steigere die Umlaufsgeschwindigkeit der Scheibe; beide T\u00f6ne werden h\u00f6her geworden sein, aber beide werden auch in der neuen Tonlage mit einander eine Octave bilden. Daraus folgern wir, dass ein Ton, der die h\u00f6here Octave eines anderen bildet, genau doppelt so viel Schwingungen in gleicher Zeit macht, als der letztere.\nDie oben in Fig. 1 ahgebildete Scheibe hat zwei Reih\u00e9n von 8 und 12. L\u00f6chern. Beide abwechselnd angehlasen geben zwei T\u00f6ne, die eine genaue und reine Quinte mit einander bilden, welches auch die Umdrehungsgeschwindigkeit der Scheibe sein mag. Daraus folgt, dass zwei T\u00f6ne im Verh\u00e4ltniss einer Quinte stehen, wenn der h\u00f6here drei Schwingungen macht, genau in derselben Zeit, wo der tiefere zwei macht.\nWenn ein Ton auf der Reihe von 8 L\u00f6chern angeblasen wird, brauchen wir 16 L\u00f6cher, um seine Octave, 12 L\u00f6cher, um seine Quinte zu erhalten. Das Schwingungsverh\u00e4ltniss der Quinte zur Octave ist also 12 : 16 oder 3 : 4, das Intervall zwischen Quinte und Octave ist aber eine Quarte, und daraus ersehen wir, dass zwei T\u00f6ne miteinander eine Quarte bilden, wenn der h\u00f6here vier Schwingungen in derselben Zeit ausf\u00fchrt, wo der tiefere drei macht.\nDie mehrstimmige Sirene von Dove hat gew\u00f6hnlich vier Reihen von 8, 10, 12, 16 L\u00f6chern. Die Reihe von 16 L\u00f6chern giebt die Octave der von 8, die Quarte der von 12 L\u00f6chern, die Reihe von 12 L\u00f6chern gieht die Quinte der von 8, die kleine Terz der von 10 L\u00f6chern, die letztere die grosse Terz der von 8 L\u00f6chern. Die vier Reihen geben also die T\u00f6ne eines Dur-Accords.\nDurch diese und \u00e4hnliche Versuche ergeben sich folgende Verh\u00e4ltnisse der Schwingungszahlen:\n1\t: 2 Octave,\n2\t: 3 Quinte,\n8 : 4 Quarte,\n4\t: 5 grosse Terz,\n5\t: 6 kleine Terz.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\tErste Abtheilung. Erster Abschnitt.\nWenn man den Grundton eines gegebenen Intervalls eine Octave h\u00f6her verlegt, so heisst dies das Intervall umkehren. So ist die Quarte die umgekehrte Quinte, die kleine Sexte die umgekehrte grosse Terz, die grosse Sexte die umgekehrte kleine Terz. Das entsprechende Schwingungsverh\u00e4ltniss ergiebt sich demnach, indem man die kleinere Zahl des urspr\u00fcnglichen Intervalls verdoppelt. .\nAus 2:3 der Quinte .... 3 : 4 die Quarte,\naus 4 : 5 der grossen Terz 5 : 8 die kleine Sexte,\naus 5 : 6 der kleinen Terz 6 : 10 = 3 : 5 die grosse Sexte.\nDas sind s\u00e4mmtliche consonirende Intervalle, die innerhalb einer Octave liegen. Ihre Schwingungsverh\u00e4ltnisse sind, mit Ausnahme der kleinen Sexte, die in der That die unvollkommenste Gonsonanz unter den genannten bildet, alle ausgedr\u00fcckt durch die ganzen Zahlen 1 bis 6.\nSo findet man durch verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig einfache und leichte Versuche an der Sirene gleich das merkw\u00fcrdige Gesetz, welches wir in der Einleitung erw\u00e4hnt haben, best\u00e4tigt, wonach die Schwingungszahlen consonanter T\u00f6ne im Verh\u00e4ltnisse kleiner ganzer Zahlen stehen. Wir werden im Verlaufe unserer Untersuchung dasselbe Instrument wieder gebrauchen, um die Strenge und Genauigkeit dieses Gesetzes noch eingehender zu pr\u00fcfen.\nL\u00e4ngst, bevor man noch irgend etwas von Schwingungszahlen und deren Messung wusste, hatte Pythagoras entdeckt, dass, wenn man eine Saite durch einen Steg so theilen will, dass ihre beiden Abschnitte consonante T\u00f6ne geben, sie im Verh\u00e4ltnisse der genannten ganzen Zahlen getheilt werden muss. Setzt man den Steg so, dass rechts 2/3 der Saite stehen bleiben, links 1/-i, so stehen die beiden L\u00e4ngen im Verh\u00e4ltnisse 2 : 1 und geben das Intervall einer Octave, das l\u00e4ngere Saitenst\u00fcck den tieferen Ton. Setzt ma\u00bb den Steg so, dass rechts s/5, links 2/s der L\u00e4nge liegen, so ist das Verh\u00e4ltniss der St\u00fccke 3 : 2 und die T\u00f6ne bilden eine Quinte.\nDiese Abmessungen sind von den griechichen Musikern schon mit grosser Genauigkeit ausgef\u00fchrt worden, und sie hatten auf sie ein ziemlich k\u00fcnstliches Tonsystem gegr\u00fcndet. Zu diesen Messungen benutzte man ein besonderes Instrument, das Monochorden welchem auf einem Resonanzkasten eine einzige Saite ausgespannt war, unter der sich ein Maasstab befand, um den Steg richtig setzen zu k\u00f6nnen.","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"Tonh\u00f6he und Schwingungszahl.\t27\nErst sehr viel sp\u00e4ter durch Galilei (1638), Newton, Euler (1729) und Daniel Bernouilli (1771) lernte man die Bewegungsgesetze der Saiten kennen, und ermittelte, dass die einfachen Verh\u00e4ltnisse der Saitenl\u00e4ngen auch ebenso f\u00fcr die Schwingungszahlen der T\u00f6ne bestehen, und somit den Tonintervallen aller musikalischen Instrumente zukommen, und nicht allein denen der Saiten, an welchen man urspr\u00fcnglich das Gesetz gefunden hatte.\nDiese Beziehung der ganzen Zahlen zu den musikalischen Consonanzen erschien von jeher als ein wunderbares und bedeutsames Geheimniss. Schon die Pythagor\u00e4er beuteten sie aus in ihren Speculationen \u00fcber Harmonie der Sph\u00e4ren. Sie blieb von da ab theils das Ziel, theils der Ausgangspunkt der wunderlichsten und k\u00fchnsten, phantastischen oder philosophischen Combina-tionen, bis in neuerer Zeit die meisten Forscher sich der auch von Euler vertretenen Ansicht auschlossen, dass die menschliche Seele ein besonderes Wohlgefallen an einfachen Verh\u00e4ltnissen habe, weil sie diese besser auffassen und \u00fcbersehen k\u00f6nne. Aber es blieb uner\u00f6rtert, wie es die Seele eines nicht in der Physik bewanderten H\u00f6rers, der sich vielleicht nicht einmal klar gemacht hat, dass T\u00f6ne auf Schwingungen beruhen, anstelle, um die Verh\u00e4ltnisse der Schwingungszahlen zu erkennen und zu vergleichen. Nachzuweisen, welche Vorg\u00e4nge im Ohr den Unterschied von Consonanz und Dissonanz f\u00fchlbar machen, wird eine Hauptaufgabe der zweiten Abtheilung dieses Buches sein.\nBerechnung der Schwingung\u00f6zahlen f\u00fcr s\u00e4mmt-liche T\u00f6ne der Tonleiter.\nMittelst der angegebenen Verh\u00e4ltnisse der Schwingungszahlen f\u00fcr die consonanten Intervalle lassen sie sich leicht f\u00fcr die ganze Ausdehnung der Tonleiter berechnen, indem wir der Reihe der consonanten Intervalle durch die Tonleiter hin folgen.\nDer Durdreiklang besteht aus der grossen Terz und Quinte. Seine#Verh\u00e4ltnisse sind:\nC : E : G 1 : 6/i : 3L oder 4 :\t5:6.","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\tErste Abtheilung. Erster Abschnitt.\nWenn wir\tzu\tdiesem\tDreiklang\tnoch\tden\tder Dominante\nG : H : D und\tden der\tUnterdominante F :\tA :\tG hinzunehmen,\ndie beide je einen Ton mit dem Dreiklange der Tonica C gemein haben, so erhalten wir s\u00e4mmtliche T\u00f6ne der 6-dur-Leiter und folgende Verh\u00e4ltnisse:\nG :\tD\t: E\t:\tF : G :\tA :\tH\t: G\n1 :\t9/$\t: V4\t:\tVa : 3A =\t5/a =\t15/s\t= 2.\nUm die Rechnung auf andere Octaven ausdehnen zu k\u00f6nnen, bemerken wir zun\u00e4chst \u00fcber die Bezeichnung der T\u00f6ne Folgendes. Die deutschen Musiker bezeichnen die T\u00f6ne der h\u00f6heren Octaven durch Strichelung, wie folgt:\n1.\tUngestrichene \u00f6der kleine Octave (vierf\u00fcssige Octave der Orgel).\nc d e f g a h\n2.\tEingestrichene Octave (zweif\u00fcssig).\nd d' d f g ' a' h'\n3.\tZweigestrichene Octave (einf\u00fcssig).\nNach demselben Principe geht es weiter in die H\u00f6he. Unterhalb der kleinen Octave liegt die mit grossen ungestrichenen Buchstaben hezeichnete grosse Octave, deren C eine echtf\u00fcssige offene Orgelpfeife erfordert, daher die achtf\u00fcssige genannt.\n4.\tGrosse oder achtf\u00fcssige Octave.\nC D E F G A H","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"Tonh\u00f6he und Schwingungszahl.\t29\nUnter dieser folgt die lfif\u00fcssige oder Contra-Octave, die tiefste des Claviers und der meisten Orgeln, deren T\u00f6ne wir mit (7/ Di Dj F[ Gj Ai Hi bezeichnen wollen. Endlich wird auf grossen Orgeln auch wohl noch eine 32f\u00fcssige tiefere Octave Cn bis Hn ausgef\u00fchrt, deren Kl\u00e4nge aber kaum noch den Charakter eines musikalischen Tones haben.\nDa die Schwingungszahlen der n\u00e4chst h\u00f6heren Octave stets doppelt so gross sind als die der tieferen, so findet man die Schwingungszahlen der h\u00f6heren T\u00f6ne, wenn man die der kleinen ungestrichenen Octave so oft mit 2 multiplicirt, als ihr Zeichen Strichei oben hat, die der tieferen dagegen, wenn man die Schwingungszahlen der grossen Octave so oft mit 2 dividirt, als das Zeichen des Tons unten Strichei hat.\nSo ist c\" = 2 X 2 X c = 2 X 2 X 2 C\nCa = V. x v, X c = V* X v, X 7* &\nF\u00fcr die Tonh\u00f6he der musikalischen Scala wird von den deutschen Physikern meistens die von Scheibler gegebene und darauf von der deutschen Naturforscherversammlung im Jahre 1834 genehmigte Bestimmung festgehalten, dass das eingestrichene A in der Secunde 440 Schwingungen zu machen habe*). Daraus ergiebt sich nun f\u00fcr die C-dur-Tonleiter die umstehend folgende Tabelle, welche dazu dienen m\u00f6ge, die Tonh\u00f6he zu bestimmen f\u00fcr T\u00f6ne, welche in den folgenden Abschnitten dieses Buches durch ihre Schwingungszahl definirt sind.\n*) Neuerdings hat die Pariser Akademie f\u00fcr denselben Ton 437,5 Schwingungen festgesetzt. In franz\u00f6sischer Z\u00e4hlungsweise werden diese als 875 Schwingungen bezeichnet, da die franz\u00f6sischen Physiker unzweckm\u00e4ssiger Weise den Iliund Hergang eines schwingenden K\u00f6rpers, jeden einzeln, eine Schwingung nennen.","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\tErste Abtheilung. Erster Abschnitt.\nNo- ten\tContra Octave Ci - Ai\tGrosse Octave C - H !\tUnge- strichene Octave c* \u2014 W-\tEinge- strichene Octave c \u2014 h\tZweige- strichene Octave c\" \u2014 h\"\tDreige- strichene Octave c'\" \u2014 h'\"\tVierge- strichene Octave\nC\t33\t66\t132\t264\t528\t1056\t2112\nB\t37,125\t74,25\t148,5\t297\t594\t1188\t2376\nE\t41,25\t82,5\t165\t330\t660\t1320\t2640\nF\t44\t88\t176\t352\t704\t1408\t2816\nG\t49,5\t99\t198\t396\t792\t1584\t3168\nA\t55\t110\t220\t440\t880\t1760\t3520\nH\t61,876\t123,75\t247,5\t495\t990\t1980\t39G0\nDer tiefste Ton der Orchesterinstrumente ist das Ei des Contrabasses mit 41 y4 Schwingungen. Die neueren Claviere und Orgeln gehen gew\u00f6hnlich bis zum Cj mit 33 Schwingungen, neuere Fl\u00fcgel auch wohl bis zum An mit-271/* Schwingungen. Auf gr\u00f6sseren Orgeln hat man auch noch eine tiefere Octave his zum Cu mit I61/2 Schwingungen, wie schon erw\u00e4hnt ist. Aber der musikalische Charakter aller dieser T\u00f6ne, unterhalb des Er ist unvollkommen, weil wir hier schon der Grenze nahe sind, wo die F\u00e4higkeit des Ohrs, die Schwingungen zu einem Tone zu verbinden, aufh\u00f6rt. Diese tiefsten T\u00f6ne k\u00f6nnen deshalb auch nur mit ihren h\u00f6heren Octaven zusammen musikalisch gebraucht werden, wodurch die letzteren den Charakter gr\u00f6sserer Tiefe bekommen, ohne dass die Auffassung der Tonh\u00f6he unbestimmt wird.\nNach der H\u00f6he gehen die Pianofortes meist bis zum aIV oder auch cr von 3520 und 4224 Schwingungen, der h\u00f6chste Ton des Orchesters m\u00f6chte das Sgestrichene d auf der Piccolfl\u00f6te sein von 4752 Schwingungen. Despretz hat durch kleine Stimmgabeln, die mit dem Violinbogen gestrichen wurden, noch selbst das Sgestrichene d erreicht, dem 38016 Schwingungen entsprechen w\u00fcrden. Diese hohen T\u00f6ne waren sehr schmerzhaft unangenehm, und die Unterscheidung der Tonh\u00f6he ist ebenfalls bei denen, die \u00fcber die Grenze der musikalischen Scala hinausliegen, sehr unvollkommen.\nDie musikalisch gut brauchbaren T\u00f6ne mit deutlich wahrnehmbarer Tonh\u00f6he liegen also zwischen 40 und 4000 Schwin-","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"Klangfarbe und Schwingungsform.\t31\ngungen, im Bereiche von 7 Octaven, die \u00fcberhaupt wahrnehmbaren zwischen etwa 16 und 38000, im Bereiche von etwa 11 Octaven. Man sieht hieraus, ein wie grosser Umfang von verschiedenen Werthen der Schwingungszahlen vom Ohre wahrgenommen und unterschieden werden kann. Hierin ist das Ohr dem Auge, welches ebenfalls Licht von verschiedener Schwingungsdauer als verschiedenfarbig unterscheidet, ausserordentlich \u00fcberlegen, denn der Umfang der vom Auge wahrnehmbaren Lichtschwingungen geht wenig \u00fcber eine Octave.\nSt\u00e4rke und Tonh\u00f6he waren die ersten beiden Unterschiede, welche wir zwischen verschiedenen Kl\u00e4ngen fanden, der dritte war die Klangfarbe, zu deren Untersuchung wir nun zu schreiten haben werden. Wenn man nach einander dieselbe Note von einem Claviere, einer Violine, einer Clarinette, Oboe, Trompete und einer menschlichen Stimme angegeben h\u00f6rt, so ist trotz gleicher St\u00e4rke und gleicher Tonh\u00f6he der Klang aller dieser Instrumente verschieden, und wir erkennen an dem Klange mit der gr\u00f6ssten Leichtigkeit das Instrument wieder, welches ihn hervorgebracht hat. Die Ab\u00e4nderungen der Klangfarbe erscheinen unendlich mannigfaltig, denn abgesehen davon, dass wir noch eine lange Reihe von verschiedenen musikalischen Instrumenten haben, die alle dieselbe Note w\u00fcrden hervorbringen k\u00f6nnen, abgesehen davon, dass die verschiedenen Exemplare desselben Instruments und die Stimmen verschiedener menschlicher Individuen noch gewisse feinere Ab\u00e4nderungen der Klangfarbe zeigen, die unser Ohr unterscheidet, kann dieselbe Note zuweilen selbst auf demselben Instrumente noch mit mancherlei Ab\u00e4nderungen der Klangfarbe hervorgebracht werden. Unter den musikalischen Instrumenten sind in dieser Beziehung namentlich die Streichinstrumente ausgezeichnet. Noch reicher ist die menschliche Stimme, und die menschliche Sprache benutzt eben diese Ab\u00e4nderungen der Klangfarbe, um die verschiedenen Buchstaben zu charakterisiren. Als anhaltende, musikalisch verwendbare Kl\u00e4nge der Stimme sind hier namentlich die verschiedenen Vocale zu nennen, w\u00e4hrend die Bildung der Consonanten meistens auf kurz vor\u00fcbergehenden Ger\u00e4uschen beruht.\nWenn wir nun fragen, welcher \u00e4usseren physikalischen Verschiedenheit der Schallwellen die verschiedenen Klangfarben entsprechen, so haben wir gesehen, dass die Weite der Schwingung der St\u00e4rke, die Dauer der Schwingung der Tonh\u00f6he entspricht.","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\tErste Abtheilung. Erster Abschnitt.\nVon beiden kann die Klangfarbe nicht abh\u00e4ngig sein. Dann bleibt keine andere M\u00f6glichkeit \u00fcbrig, als dass die Klangfarbe abh\u00e4nge von der Art und Weise, wie die Bewegung innerhalb jeder einzelnen Schwingungsperiode vor sich geht. Wir haben zur Erzeugung eines musikalischen Klanges von der Bewegung des t\u00f6nenden K\u00f6rpers nur gefordert, dass sie periodisch sei, das heisst, dass innerhalb jeder Schwing\u00fcngsperiode genau dasselbe geschehe, was in den vorausgegangenen Perioden eben geschehen ist. Welche Art von Bewegung innerhalb jeder einzelnen Periode vor sich geht, war ganz beliebig geblieben, so dass in dieser Beziehung noch eine unendliche Mannigfaltigkeit der Schallbewegung m\u00f6glich bleibt.\nBetrachten wir Beispiele, und zwar zuerst solcher periodischer Bewegungen, die langsam genug gehen, dass wir ihnen mit dem Auge folgen k\u00f6nnen. Nehmen wir zuerst ein Pendel, wie wir es uns jederzeit verfertigen k\u00f6nnen, indem wir einen schweren K\u00f6rper an einem Faden aufh\u00e4ngen und in Bewegung setzen. Das Pendel schwankt von rechts nach links in gleichm\u00e4ssiger, nirgends stossweise unterbrochener Bewegung, nahe den beiden Enden seiner Bahn bewegt es sich langsam, in der Mitte schnell. Unter den t\u00f6nenden K\u00f6rpern, welche in derselben Weise sich bewegen, nur viel schneller, w\u00e4ren die Stimmgabeln zu nennen. Wenn man eine Stimmgabel entweder angeschlagen oder durch Streichen mit dem Violinbogen erregt hat, und sie nun langsam aust\u00f6nen l\u00e4sst, bewegen sich ihre Zinken genau in derselben Weise und nach demselben Gesetze hin und her, wie ein Pendel, nur dass sie viele hundert Schwingungen in derselben Zeit vollf\u00fchren, wo letzteres eine macht.\nEin anderes Beispiel einer periodischen Bewegung w\u00e4re ein Hammer, der von einer Wasserm\u00fchle bewegt wird. Er wird langsam von dem M\u00fchlwerk gehoben, dann losgelassen und f\u00e4llt pl\u00f6tzlich herunter, wirjl dann wieder langsam gehoben, und so fort. Hier haben wir es wieder mit einem periodischen Hin- und Hergang zu thun, aber es ist ersichtlich, dass die Art dieser Bewegung eine ganz andere ist als die des Pendels. Unter den t\u00f6nenden Bewegungen w\u00fcrde diesem Falle ziemlich nahe entsprechen die Bewegung einer Violinsaite, die vom Bogen gestrichen wird, wie wir es im f\u00fcnften Abschnitt genauer beschreiben werden. Die Saite haftet eine Zeit lang am Bogen fest, wird von diesem mitgenommen, bis sie sich pl\u00f6tzlich losreisst, wie der Hammer in der","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"33\nKlangfarbe und Schwingungsform.\nM\u00fchle, und nun wie dieser mit viel gr\u00f6sserer Geschwindigkeit, als sie gekommen ist, ein St\u00fcck zur\u00fcckspringt, wo sie dann von Neuem durch den Bogen gefasst und mitgenommen wird.\nMan denke ferner an einen Ball, der, senkrecht in die H\u00f6he geworfen, beim Herabfallen von dem Ball Schl\u00e4ger mit einem Schlag empfangen wird, so dass er wieder ebenso hoch hinaufsteigt als vorher, was sich dann immer in gleichen Zeitabschnitten wiederholen mag. Ein solcher Ball w\u00fcrde zum Aufsteigen so viel Zeit brauchen wie zum Absteigen, seine Bewegung w\u00fcrde am tiefsten Punkte seiner Bahn ruckweise unterbrochen, oben aber durch allm\u00e4lig langsameres Aufsteigen in allm\u00e4lig zunehmendes Absteigen \u00fcbergehen. Dies w\u00e4re also eine dritte Art einer hin- und hergehenden periodischen Bewegung, deren Verlauf sich aber von den beiden fr\u00fcheren wesentlich unterscheidet.\nUm das Gesetz solcher Bewegungen dem Auge \u00fcbersichtlicher darzulegen, als es durch weitl\u00e4uftige Beschreibungen geschehen kann, pflegen die Mathematiker und Physiker eine graphische Methode anzuwenden, die auch wir noch oft zu benutzen gezwungen sein werden, und deren Sinn ich deshalb hier auseinandersetzen muss.\nUm diese Methode verst\u00e4ndlich zu machen, wollen wir voraussetzen, dass an der Gahel A, Fig. 5, ein Stiftchen b befestigt\nFig-, 5.\nsei, welches auf der Papierfl\u00e4che BB zeichnen k\u00f6nne. Es m\u00f6ge entweder die Gabel mit gleichf\u00f6rmiger Geschwindigkeit in Richtung des oberen Pfeils \u00fcber das Papier hingeschoben werden, oder das Papier in entgegengesetzter Richtung, n\u00e4mlich in Richtung des unteren Pfeils, unter ihr fortgezogen werden, so dass die Gabel, wenn sie bei dieser Bewegung nicht t\u00f6nend ist, gerade die punktirte Linie de aufschreibt. Wird nun die Gabel \u00fcber das\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\n3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\tErste Abtheilung. Erster Abschnitt.\nPapier in derselben Weise hingef\u00fchrt, aber so, dass ihre Zinken dabei in Schwingung versetzt sind, so wird sie die Wellenlinie cd auf das Papier schreiben. Wenn sie n\u00e4mlich schwingt, wird das Ende ihrer Zinke mit dem Stiftchen b fortdauernd hin- und hergehen, und sich bald \u00fcber, bald unter der punktirten Linie c d befinden, wie es die aufgezeichnete Wellenlinie anzeigt. Diese Linie, nachdem sie auf das Papier gezeichnet ist, bleibt stehen als ein Bild von derjenigen Art der Bewegung, welche das Ende der Gabel w\u00e4hrend der t\u00f6nenden Schwingungen ausgef\u00fchrt hat. Da n\u00e4mlich das Stiftchen b in Richtung der Geraden c d mit constanter Geschwindigkeit sich verschoben hat, so entsprechen gleiche Abschnitte der Linie cd gleichen kleinen Zeitabschnitten dieser Bewegung, und die Entfernung der Wellenlinie nach oben oder unten von der betreffenden Stelle der Linie cd zeigt an, um wieviel in den betreffenden Zeitabschnitten das Stiftchen b nach oben oder unten aus seiner Gleichgewichtslage abgewichen war.\nWenn ein solcher Versuch, wie er hier angedeutet ist, wirklich ausgef\u00fchrt werden soll, so thut man am besten, das Papier \u00fcber einen Cylinder zu ziehen, der durch ein Uhrwerk in gleichf\u00f6rmige Rotation versetzt wird. Nachdem das Papier angefeuchtet ist, l\u00e4sst man es \u00fcber einer Terpentin\u00f6lflamme umlaufen, so dass es sich mit Russ bezieht, und dann kann man mit einem feinen, etwas abgerundeten Stahlspitzchen leicht feine Striche darauf ziehen. Eig. 6 ist die Copie einer Zeichnung, die in dieser Weise\nFig. 6.\nvon einer Stimmgabel auf dem rotirenden Cylinder des Phonautographen der Herren Scott und K\u00f6nig ausgef\u00fchrt ist.\nDie Fig. 7 stellt einen Theil derselben Curve in vergr\u00f6ssertem Maasstabe dar. Die Bedeutung einer solchen Curve ist leicht einzusehen. Der Zeichenstift ist in Richtung der Linie eh mit gleichm\u00e4ssiger Geschwindigkeit fortgeglitten. Nehmen wir an, er habe f\u00fcr das St\u00fcck eg 1/i6 Secunde gebraucht, theilen wir eg in 12 gleiche Theile, wie es in der Zeichnung geschehen ist, so wird der Zeichenstift, um die Breite eines solchen Theiles in horizontaler Richtung zur\u00fcckzulegen, die Zeit von i/1J0 Secunde gebraucht haben, und die Curve zeigt uns an, auf welcher Seite und","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Klangfarbe und Schwingungsform.\t35\nwie weit entfernt von der Ruhelage der schwingende Stift nach V120) V120 u. s. w. Secunde, oder \u00fcberhaupt nach jeder beliebigen\nFig. 7.\nkurzen Zeitdauer von dem Augenblicke an gerechnet sich befand, wo er durch den Punkt e ging. Wir sehen, dass er nach y 120 Secunde um die H\u00f6he 1 nach oben abgewichen war, dass seine Abweichung zunahm bis 3/120 Secunde, dann wieder abnahm, dass er nach e/120 = V20 Secunde wieder in seiner Gleichgewichtslage war, dann nach der entgegengesetzten Seite abwich u. s. w. Und wir k\u00f6nnen auch weiter leicht bestimmen, wo sich der schwingende Stift befand nach einem beliebigen Bruchtheile dieser Hundert-zwanzigtheile einer Secunde. Eine solche Zeichnung zeigt also unmittelbar, an welcher Stelle seiner Bahn sich der schwingende K\u00f6rper in jedem beliebig gew\u00e4hlten Zeitmoment befand, und giebt somit ein vollst\u00e4ndiges Bild seiner Bewegung. Will der Leser die Bewegung des schwingenden Punktes sich reproduciren, so schneide er sich in ein Blatt Papier einen senkrechten schmalen Schlitz, lege das Papier \u00fcber Fig. 6 oder 7, so dass er durch den senkrechten Schlitz einen kleinen Theil der Curve sieht, und ziehe nun das Buch unter dem Papier langsam fort, so wird der weisse oder schwarze Punkt in dem Schlitz gerade so hin- und horgehen, nur langsamer, als es urspr\u00fcnglich die Gabel gethan hat.\nNun k\u00f6nnen wir nicht alle schwingenden K\u00f6rper ihre Schwingungen direct auf Papier schreiben lassen, obgleich in den hierzu dienenden Methoden neuerdings manche Fortschritte gemacht sind. Aber wir k\u00f6nnen doch f\u00fcr alle t\u00f6nenden K\u00f6rper solche Curven zeichnen, welche graphisch in derselben Weise ihre Bewegung darstellen, wenn wir das Gesetz dieser Bewegung kennen, das heisst, wenn wir wissen, wie weit von seiner Gleichgewichtslage der schwingende Punkt in jedem beliebig gew\u00e4hlten Zeitpunkte gewesen ist. Denn tragen wir auf einer Horizontallinie wie e/, Fig. 7, L\u00e4ngen auf, welche die Zeitdauer darstellen, und\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\tErste Abtheilung. Erster Abschnitt.\nsenkrecht dazu nach oben oder nach unten hin Lothe, welche der Entfernung des schwingenden Punktes von seiner Mittellage gleich oder proportional sind, so erhalten wir, indem wir die Enden der Lothe verbinden, eine Curve, wie sie der schwingende K\u00f6rper gezeichnet haben w\u00fcrde, wenn es m\u00f6glich gewesen w\u00e4re, ihn zeichnen zu lassen.\nSo stellt Fig. 8 die Bewegung des vom Wasserrade gehobenen Hammers oder des vom Violinbogen angegriffenen Punktes der\nSaite dar, w\u00e4hrend der ersten neun Zeittheile steigt er langsam und gleichm\u00e4ssig empor, w\u00e4hrend des zehnten springt er pl\u00f6tzlich herab.\nFig. 9 stellt die Bewegung des Balles dar, der, wenn er unten angekommen ist, wieder in die H\u00f6he geschlagen wird. Aufsteigen und Absteigen geschehen gleich schnell, w\u00e4hrend in Nur am tiefsten Punkte der Bahn wird die Bewegung durch den Schlag pl\u00f6tzlich ge\u00e4ndert.\nIndem die Physiker diese Curvenformen im Sinne haben, welche das Gesetz der Bewegung des t\u00f6nenden K\u00f6rpers darstellen, sprechen sie denn auch geradezu von der Schwingungsform eines t\u00f6nenden K\u00f6rpers, und behaupten, dass von dieser Schwingungsform die Klangfarbe abh\u00e4nge. Diese Behauptung, welche sich bisher nur darauf gr\u00fcndete, dass man wusste, die Klangfarbe k\u00f6nne nicht von der Schwingungsdauer und nicht von der Schwingungsbreite oder St\u00e4rke abh\u00e4ngen, werden wir in der Folge einer n\u00e4heren Pr\u00fcfung unterwerfen. Sie wird sich in so weit als richtig erweisen, dass jede verschiedene Klangfarbe verschiedene Schwingungsform verlangt, dagegen verschiedene Schwingungsformen gleicher Klangfarbe entsprechen k\u00f6nnen.\nWenn wir die Einwirkung verschiedener Wellenformen, z. B. der in Fig. 8 gezeichneten, die der Violinsaite angeh\u00f6rt, auf das Ohr genau und aufmerksam untersuchen, so ergiebt sich eine sonderbare und unerwartete Thatsache, welche zwar lange genug einzelnen Musikern und Physikern bekannt gewesen ist, aber mei-\nFig. 8.\n\"0\t5\t10\nFig. 9.\n0\t5\t10\nFig. 8 ersteres langsamer geschieht.","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Harmonische Obert\u00f6ne.\t37\nstens nur als ein C\u00fcrios'um betrachtet wurde, da man ihre Allgemeinheit und ihre grosse Bedeutung f\u00fcr alle Klangerscheinungen nicht kannte. Das Ohr, von solchen Schwingungen getroffen, h\u00f6rt n\u00e4mlich bei geh\u00f6rig angestrengter Aufmerksamkeit nicht nur denjenigen Ton, dessen Tonh\u00f6he durch die Dauer der Schwingungen in der Weise bestimmt ist, wie wir dies vorher auseinandergesetzt haben, sondern es h\u00f6rt ausser diesem noch eine ganze Reihe h\u00f6herer T\u00f6ne, welche wir die harmonischen Obert\u00f6ne des Klanges nennen, im Gegens\u00e4tze zu jenem ersten Tone, dem Grundtone, der unter ihnen allen der tiefste und in der Hegel auch der st\u00e4rkste ist, und nach dessen Tonh\u00f6he wir die Tonh\u00f6he des ganzen Klanges beurtheilen. Die Reihe dieser Obert\u00f6ne ist f\u00fcr alle musikalischen Kl\u00e4nge genau dieselbe, es sind n\u00e4mlich folgende :\n1.\tDie h\u00f6here Octave des Grundtons, welche doppelt so viel Schwingungen macht, als der Grundton.. Nennen wir den Grund-ton c, so ist diese h\u00f6here Octave c';\n2.\tdie Quinte dieser Octave g' macht 3mal so viel Schwingungen als der Grundton;\n3.\tdie zweite h\u00f6here Octave c\" macht 4mal so viel Schwingungen.\n4.\tdie grosse Terz dieser Octave e\" mit 5mal so viel Schwingungen;\n5.\tdie Quinte dieser Octave g\u201d mit 6mal so viel Schwingungen.\nDaran schliessen sich immer schw\u00e4cherund schw\u00e4cher werdend\ndie T\u00f6ne, welche 7-, 8-, 9mal u. s. w. so viel Schwingungen als der Grundton machen.. Also in Notenschrift:\n\t\tn b\ta 1 \u25a0 . \u00bbgf :\t\n- q\tvz \t\u2014,\u20141=>\t\t-\t1\th\t\u2014\n-~i-\\\tAk-A\t \tw\t=\u2014\t\t\t\n\t\t\t\t\t\t\n1\t2*\t3\t4\t5\t6\t7\t8\t9\t10\nDie Ziffern unter den Linien bezeichnen, wie viel Mal die Schwingungszahl gr\u00f6sser ist als die des Grundtons.\nWir haben die Gesammtempfindung, welche eine periodische Luftersch\u00fctterung im Ohre hervorbringt, Klang genannt. Jetzt finden wir eine Reihe verschiedenartiger T\u00f6ne in ihm enthalten, die wir die Theilt\u00f6ne oder Partialt\u00f6ne des Klanges nennen wollen. Der erste dieser Theilt\u00f6ne ist der Grundton des Klanges, die \u00fcbrigen seine harmonischen Obert\u00f6ne. Die Ord-","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\tErste Abtheilung. Erster Abschnitt.\nnungszahl jedes Partialtons giebt an, wie viel Mal gr\u00f6sser seine Schwingungsz\u00e4hl ist, als die des Grundtons. Es macht also der zweite Theilton zwei Mal so viel Schwingungen, der dritte drei Mal so viel Schwingungen als der Grundton u. s. w.\nEs ist zuerst von G. S. Ohm ausgesprochen und behauptet worden, dass es nur eine einzige Schwingungsform giebt, deren Klang keine harmonischen Obert\u00f6ne enth\u00e4lt, deren einziger Be-standtheil also der Grundton ist. Es ist dies die Schwingungsform, welche wir oben als dem Pendel und den Stimmgabeln eigen-th\u00fcmlich beschrieben und in Fig. 6 und 7 abgebildet haben. Wir wollen sie die pendelartigen Schwingungen nennen, oder, da ihr Klang keine weitere Zusammensetzung aus verschiedenen T\u00f6nen h\u00f6ren l\u00e4sst, die einfachen Schwingungen. In welchem Sinne nicht bloss alle anderen Kl\u00e4nge, sondern auch alle anderen Schwingungsformen als zusammengesetzt betrachtet werden k\u00f6nnen, wird sich sp\u00e4ter zeigen. Die Bezeichnung einfache oder pendelartige Schwingung*) werden wir also als\n*) Das Gesetz dieser Schwingung l\u00e4sst sich popul\u00e4r mittelst der in Fig. 10 dargestellten Construction auseinandersetzen. Man denke sich einen Punkt in der um c beschriebenen Kreislinie mit gleichf\u00f6rmiger Geschwin-\nFig. 10.\ndigkeit umlaufend, und einen Beobachter in grosser Entfernung in die Verl\u00e4ngerung der Linie eh gestellt, so dass er nicht die Fl\u00e4che des besagten Kreises sieht, sondern nur die Kante dieser Fl\u00e4che, so wird diesem der in der Kreislinie umlaufende Punkt so erscheinen, als ob er nur l\u00e4ngs des Durchmessers a b auf- und abstiege. Dieses Auf- und Absteigen w\u00fcrde aber genau nach dem Gesetze der pendelartigen Schwingungen geschehen. \u2014 Um diese Bewegung durch eine Curve graphisch darzustellen, theile man die L\u00e4nge eg, welche der Zeitdauer einer ganzen Schwingung entsprechen m\u00f6ge, in ebenso viele (hier 12) gleiche Theile als die Peripherie des Kreises, und mache die Lothe 1, 2, 3 u. s. w. auf den Theilpunkten der Linie eg der Reihe nach gleich denen, die in dem Kreise von den entsprechenden Theilpunkten 1, 2, 3 u. s. w. gef\u00e4llt sind. So erh\u00e4lt man die in Fig. 10","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Harmonische Obert\u00f6ne.\t39\ngleichbedeutend gebrauchen. Wir beschr\u00e4nken ferner den Gebrauch des Wortes Ton durchaus auf den Klang einfacher Schwingungen, w\u00e4hrend bisher Ton meist in derselben Bedeutung wie Klang gebraucht worden ist. Aber es ist durchaus n\u00f6thig, in der Akustik zwischen dem Klange, d. h. dem Eindruck einer periodischen Luftbewegung \u00fcberhaupt, und dem Tone, dem Eindruck einer einfachen Schwingung, zu unterscheiden, und der bisherige Sprachgebrauch scheint mir diese Feststellung der Begriffe zu rechtfertigen. Wir sprechen von Tonh\u00f6he, welche nur einem einzelnen Tone zukommen kann, w\u00e4hrend einem Klange streng genommen verschiedene Tonh\u00f6hen zuzuschreiben sind, seinen verschiedenen Theilt\u00f6nen entsprechend. Und wir sprechen von einem Zusammenklange verschiedener Instrumente, wo das Wort Ton entschieden nicht mehr angewendet werden kann. Die hier besprochenen Thatsachen lehren, dass jeder Klang, welcher Obert\u00f6ne unterscheiden l\u00e4sst, wirklich schon ein Zusammenklang verschiedener T\u00f6ne ist.\nDa nun die Klangfarbe, wie wir gesehen .haben, von der Schwingungsform abh\u00e4ngt, von derselben Schwingungsform aber auch das Vorkommen der Obert\u00f6ne bestimmt wird, so werden wir die Frage aufwerfen m\u00fcssen, in wie fern die Unterschiede der Klangfarbe etwa auf verschiedenartigen Verbindungen des Grundtons mit verschieden starken Obert\u00f6nen beruhen. Es bietet sich uns durch diese Fragestellung ein Weg dar, um den Grund des bisher vollkommen r\u00e4thselhaften Wesens der Klangfarbe aufhellen zu k\u00f6nnen. Dann aber m\u00fcssen wir auch nothwendig die Frage zu l\u00f6sen versuchen, wie denn das Ohr dazu komme, jeden Klang in eine Reihe von Theilt\u00f6nen zu zerlegen, und welchen Sinn diese Zerlegung habe. Dies wird das Gesch\u00e4ft der n\u00e4chsten Abschnitte sein.\ngezeichnete Curve, welche mit der von der Stimmgabel gezeichneten, Fig. 6, der Form nach \u00fcbereinstimmt, nur gr\u00f6ssere Dimensionen hat.\nMathematisch ausgedr\u00fcckt ist bei der einfachen Schwingung die Entfernung des schwingenden Punktes von der Gleichgewichtslage gleich dem Sinus der Zeit, daher die einfachen Schwingungen auch Sinusschwingungen genannt werden.","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"Zweiter Abschnitt.\nDie Zusammensetzung der Schwingungen.\nWir sind am Ende. des vorigen Abschnitts auf die merkw\u00fcrdige Thatsache gestossen, dass das menschliche Ohr unter gewissen Umst\u00e4nden den Klang, welchen ein einzelnes musikalisches Instrument hervorgebracht hat, zerlegt in eine Reihe von T\u00f6nen, n\u00e4mlich den Grundton und verschiedene Obert\u00f6ne, welche es alle einzeln empfindet. Dass das Ohr solche T\u00f6ne von einander zu scheiden weiss, welche verschiedenen Ursprung haben, also aus verschiedenen, nicht aus einem, t\u00f6nenden K\u00f6rper hervorgegangen sind, ist uns aus der t\u00e4glichen Erfahrung bekannt. Wir k\u00f6nnen in einem Concerte ohne Schwierigkeit dem melodischen Gange jeder einzelnen Instrumental- oder Vocalstimme folgen, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf sie allein richten, und bei etwas gr\u00f6sserer \u00fc,ebung gelingt es auch', der gleichzeitigen Bewegung vieler verflochtener Stimmen zu folgen. Dasselbe gilt \u00fcbrigens nicht bloss f\u00fcr musikalische Kl\u00e4nge, sondern auch f\u00fcr Ger\u00e4usche oder f\u00fcr Mischungen von beiden. Wenn mehrere Menschen zugleich sprechen, so k\u00f6nnen wir im Allgemeinen beliebig auf die Worte des einen oder des anderen Sprechers hinh\u00f6ren und sie verstehen, vorausgesetzt, dass sie nicht durch die blosse St\u00e4rke der \u00fcbrigen zu sehr \u00fcbert\u00f6nt werden. Daraus folgt nun erstens, dass viele verschiedene Schallwellenz\u00fcge gleichzeitig durch denselben Luftraum hin sich fortpflanzen k\u00f6nnen, ohne sich gegenseitig zu st\u00f6ren, zweitens, dass das menschliche Ohr","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Zusammensetzung der Wellen.\t41\ndie F\u00e4lligkeit besitzt, die zusammengesetzte Luftbewegung, welche durch mehrere gleichzeitig wirkende Tonwerkzeuge hervorgebracht wird, in der Empfindung wieder in ihre einfachen Bestandtheile zu zerlegen. Wir werden zun\u00e4chst beschreiben, von welcher Art die Bewegung der Luft ist, im Falle mehrere Kl\u00e4nge in ihr gleichzeitig bestehen, und worin sich eine solche zusammengesetzte Bewegung von der eines einfachen Klanges unterscheidet. Dabei wird sich ergeben, dass durchaus nicht in allen F\u00e4llen ein sicher entscheidender Unterschied zwischen der Luftbewegung besteht, welche durch mehrere, aus verschiedenen Quellen herr\u00fchrende Kl\u00e4nge erregt wird, und zwischen der eines einzigen Klanges eines einzelnen t\u00f6nenden K\u00f6rpers, insoweit n\u00e4mlich diese Luftbewegung auf das Ohr einwirken kann, und dass das Ohr deshalb verm\u00f6ge derselben F\u00e4higkeit, mittelst welcher es zusammengesetzte Kl\u00e4nge analysirt, auch einfache Kl\u00e4nge unter Umst\u00e4nden analysiren muss. Auf diese Weise wird uns dann der Sinn der Zerlegung eines einzelnen Klanges in eine Reihe von Partialt\u00f6nen klar werden, und wir werden einsehen, dass dieses Ph\u00e4nomen auf einer der wesentlichsten Grundeigenschaften des menschlichen Ohres beruht.\nWir beginnen mit der Untersuchung der Luftbewegung, welche mehreren gleichzeitig erklingenden und neben einander bestehenden T\u00f6nen entspricht. Um die Art einer solchen Bewegung anschaulich zu machen, werden wieder die Wellen auf der Oberfl\u00e4che eines ruhigen Wassers einen geeigneten Anhaltspunkt geben k\u00f6nnen. Wir haben gesehen, dass, wenn ein Theil der Wasseroberfl\u00e4che ersch\u00fcttert wird durch einen hineingeworfenen Stein, die Ersch\u00fctterung sich in Form von Wellenringen \u00fcber die Fl\u00e4che hin ausbreitet zu immer ferneren und ferneren Punkten. Werfen wir nun zwei Steine gleichzeitig an zwei verschiedenen Stellen der Wasserfl\u00e4che hinein, so haben wir zwei Mittelpunkte der Ersch\u00fctterung, von jedem aus entsteht ein Wellenring, beide Wellenringe vergr\u00f6ssern sich und treffen endlich auf einander. Nun werden die Stellen der Wasserfl\u00e4che, wo sie sich treffen, durch beide Ersch\u00fctterungen gleichzeitig in Bewegung gesetzt, das hindert aber die beiden Wellenz\u00fcge nicht, sich gerade ebenso weiter fortzupflanzen, als wenn jeder von ihnen ganz allein auf der Wasserfl\u00e4che vorhanden w\u00e4re, und der andere gar nicht existirte. Indem sie ihren Weg fortsetzen, trennen sich diejenigen Theile beider Ringe wieder, welche eben zusammengefallen waren, und zeigen","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\tErste Abtheilung. Zweiter Abschnitt\nsich dem Auge von Neuem einzeln und in unver\u00e4nderter Gestalt. Zu diesen kleinen Wellenringen, welche hineingeworfene Steine hervorhringen, k\u00f6nnen noch andere Arten von Wellen kommen, wie sie der Wind, oder ein vor\u00fcberfahrendes Dampfschiff erregt. Man wird auf der schaukelnden Wasserfl\u00e4che unsere Kreisringe sich ebenso ruhig und regelm\u00e4ssig ausbreiten sehen, wie auf einer ebenen. Weder werden die gr\u00f6sseren Wellen von den kleineren, noch die kleineren von den gr\u00f6sseren wesentlich gest\u00f6rt, vorausgesetzt, dass die Wellen nirgend brandend zerschellen, wodurch dann allerdings ihr regelm\u00e4ssiger Verlauf gehindert werden w\u00fcrde.\nUeberhaupt wird man nicht leicht eine gr\u00f6ssere Wasserfl\u00e4che von einem hohen Punkte aus \u00fcberschauen k\u00f6nnen, ohne dass man eine grosse Menge verschiedener Wellensysteme, die sich gegenseitig \u00fcberlagern und durchkreuzen, vor sich sieht. Am reichsten ist darin die Meeresfl\u00e4che, von einem hohen Ufer aus betrachtet, wenn sie nach heftigerem Winde wieder anf\u00e4ngt sich zu beruhigen. Man sieht dann einmal die grossen Wogen, welche aus weiter stahlblauer Ferne her in langen gestreckten Linien, die sich hier und da durch ihre weiss aufsch\u00e4umenden K\u00e4mme deutlicher abzeichnen, und in regelm\u00e4ssigen Abst\u00e4nden einander folgen, gegen das Ufer ziehen. Am Ufer werden sie zur\u00fcckgeworfen, je nach dessen Einbuchtungen in verschiedener Richtung, so dass die an-kommenden Wellen von den zur\u00fcckgeworfenen schr\u00e4g durchkreuzt werden. Ein vor\u00fcberziehendes Dampfschiff bildet etwa noch seinen gabel\u00e4hnlichen Wellenschweif, oder ein Vogel, der einen Fisch erschnappt, erregt kleine kreisf\u00f6rmige Ringe. Dem Auge des Beschauers gelingt es leicht, allen diesen verschiedenen Wellenz\u00fcgen, grossen und kleinen, breiten und schmalen, geraden und gekr\u00fcmmten, einzeln zu folgen', ihren Ablauf \u00fcber die Wasserfl\u00e4che hin zu beobachten, den jeder ganz ungest\u00f6rt verfolgt, als w\u00e4re die Wasserfl\u00e4che, \u00fcber die er hinzieht, gar nicht glei\u00e7hzeitig von anderen Bewegungen und anderen Kr\u00e4ften in Anspruch genommen. Ich muss gestehen, dass mir dieses Schauspiel, so oft ich es aufmerksam verfolgt habe, eine eigehth\u00fcmliche. Art intellectuellen Vergn\u00fcgens gemacht hat, weil hier vor dem k\u00f6rperlichen Auge erschlossen ist, was f\u00fcr die Wellen des unsichtbaren Luftmeers nur das geistige Auge des Verstandes durch eine lange Reihe compli-cirter Schl\u00fcsse sich deutlich machen kann.\nEin ganz \u00e4hnliches Schauspiel muss man sich nun im Innern","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"43\nZusammensetzung der Wellen.\netwa eines Tanzsaals vorgehend denken. Da haben wir eine Anzahl von Musikinstrumenten, sprechende Menschen, rauschende Kleider, gleitende F\u00fcsse, klirrende Gl\u00e4ser u. s. w. Alle diese erregen Wellenz\u00fcge, welche durch den Luftraum des Saales hin-schiessen, an seinen W\u00e4nden zur\u00fcckgeworfen werden, umkehren, dann gegen eine andere Wand treffen, nochmals reflectirt werden, und so fort bis sie erl\u00f6schen. Man muss sich denken, dass vom Munde der M\u00e4nner und von den tieferen Musikinstrumenten langgestreckte Wellen ausgehen, 8 bis 12 Fuss lang, von den Lippen der Frauen k\u00fcrzere, 2 bis 4 Fuss lang, dass das Rauschen der Kleider ein feines kleines Wellengekr\u00e4usel hervorbringt, kurz ein Durcheinander der verschiedenartigsten Bewegungen, welches man sich kaum verwickelt genug vorstellen kann.\nUnd doch ist das Ohr im Stande, alle die einzelnen Bestand-theile eines so verwirrten Ganzen von einander zu sondern, woraus wir denn schliessen m\u00fcssen, dass in der Luftmasse alle diese verschiedenen Wellenz\u00fcge neben einander bestehen, und sich gegenseitig nicht st\u00f6ren. Wie ist es nun m\u00f6glich, dass sie neben einander bestehen, da jeder einzelne Wellenzug an jeder Stelle des Luftraumes seinen besonderen Werth der Verdichtung oder Verd\u00fcnnung, der Geschwindigkeit der Lufttheilchen nach dieser oder jener Richtung hervorzubringen strebt. Es ist klar, dass an jeder einzelnen Stelle des Luftraumes in jedem Zeitmoment nur ein einziger Grad der Dichtigkeit bestehen kann, dass die Lufttheilchen nur eine bestimmte Bewegung von einem bestimmten Grade der Geschwindigkeit und in einer bestimmten Richtung in einem einzelnen Augenblicke ausf\u00fchren k\u00f6nnen.\nWas in einem solchen Falle geschieht, wird bei den Wellen des Wassers dem Auge direct sichtbar. Wenn \u00fcber die Wasserfl\u00e4che lange gr\u00f6ssere Wellen hinziehen, und wir werfen einen Stein hinein, so werden dessen Wellenringe in die bewegte und zum Theil gehobene, zumTheil gesenkte Fl\u00e4che gerade ebenso hineingeschnitten, die Berge der Ringe ragen \u00fcber sie eben so hoch hervor, die Th\u00e4ler sind um ebensoviel tiefer als jene Fl\u00e4che, wie\n\u00ef ausbreiteten. Wo also ein Berg des Wellenringes auf einem Berge des gr\u00f6sseren^ellenzuges liegt, ist die Erhebung der Wasserfl\u00e4che gleich det Summe beider Bergh\u00f6hen, und wo ein Thal des Wellenringes in ein Thal der gr\u00f6sseren Wellen f\u00e4llt, ist Aie gesammte Einsenkung der Wasserfl\u00e4che gleich der Summe\nwenn \u00abdie Wellenringe sich auf der nat\u00fcrlichen ebenen Oberfl\u00e4che","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44 Erste Abtheilung. Zweiter Abschnitt.\nder Tiefe beider Th\u00e4ler. Wo aber auf der H\u00f6he der gr\u00f6sseren Wellenberge sich ein Thal des Wellenringes einschneidet, wird die H\u00f6he dieses Berges vermindert um die Tiefe des Thaies. K\u00fcrzer k\u00f6nnen wir diese Beschreibung liefern, wenn wir die H\u00f6hen der Berge \u00fcber dem Niveau der ruhenden Wasserfl\u00e4che als positive Gr\u00f6ssen betrachten, die Tiefen der Th\u00e4ler dagegen als negative Gr\u00f6ssen und die Summe solcher positiven und negativen Gr\u00f6ssen im algebraischen Sinne bilden, wobei bekanntlich je zwei positive Gr\u00f6ssen (Berge), welche Zusammenkommen, wirklich addirt werden, je zwei negative (Th\u00e4ler) ebenso; wo aber negative und positive Zusammenkommen, diese von einander subtrahirt werden. Wenn wir also die Addition im algebraischen Sinne ausf\u00fchren, k\u00f6nnen wir unsere Beschreibung der Wasserfl\u00e4che bei zwei zusammentreffenden Wellensystemen einfach so ausdr\u00fccken: \u201eDie Erhebung der Wasserfl\u00e4che in jedem ihrer Punkte ist in jedem Zeitmomente so gross-, wie die Summe derjenigen Erhebungen, welche die einzelnen Wellensysteme einzeln genommen an demselben Punkte und zu derselben Zeit hervorgebracht haben w\u00fcrden.\u201c\nAm deutlichsten und leichtesten unterscheidet das Auge den Vorgang in einem solchen Falle, wie ihn das eben angef\u00fchrte Beispiel eines Wellenringes auf einer von gr\u00f6sseren geradlinigenWel-len durchzogenen Fl\u00e4che voraussetzte, weil sich hier die beiden Wellensysteme durch die L\u00e4nge und H\u00f6he ihrer Wellen und durch deren Richtung betr\u00e4chtlich von einander unterscheiden. Aber bei einiger Aufmerksamkeit erkennt das Auge, dass genau dasselbe vorgeht, auch wenn die verschiedenen Wellenz\u00fcge durch ihre Form weniger von einander unterschieden sind, wenn z. B. lange geradlinige Wellen, die gegen das Ufer laufen, mit den vom Ufer in etwas anderer Richtung reflectirten sich mischen. Dann ent-' stehen die oft gesehenen kammf\u00f6rmig eingeschnittenen Wellenberge, indem der R\u00fccken der Wellenberge des einen Systems an einzelnen Punkten erh\u00f6ht wird durch die Berge des anderen Systems, an anderen eingeschnitten durch die Th\u00e4ler des letzteren. Die Mannigfaltigkeit der Formen ist hier ausserordentlich gross, es w\u00fcrde viel zu weit f\u00fchren, sie alle beschreiben zu wollen. An jeder bewegten Wasserfl\u00e4che ergiebt sich das Resultat dem aufmerksamen Beobachter leicht ohne Beschreibung. F\u00fcr unseren Zweck gen\u00fcgt es hier, wenn der Leser an dem ersten Beispiel","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Zusammensetzung der Wellen.\t45\nsich klar gemacht hat, was es heisst, dass Wellen sich zu einander addiren sollen*).\nWenn also auch die Wasseroberfl\u00e4che in jedem einzelnen Zeitmomente nur eine einzige Form annehmen kann, w\u00e4hrend zwei verschiedene Wellensysteme gleichzeitig jedes seine besondere Form der Wasserfl\u00e4che einzupr\u00e4gen suchen, so k\u00f6nnen wir doch in dem angef\u00fchrten Sinne zwei verschiedene Wellensysteme als gleichzeitig bestehend und einander superponirt betrachten, indem wir die wirklich bestehenden Erhebungen und Vertiefungen der Fl\u00e4che passend in je zwei Theile zerlegt denken, die den einzelnen Systemen angeh\u00f6ren.\nIn demselben Sinne findet nun auch eine Superposition verschiedener Schallwellensysteme in der Luft statt. Durch jeden Schallwellenzug wird die Dichtigkeit der Luft, die Geschwindigkeit und Lage der Lufttheilchen zeitweilig ver\u00e4ndert. Es gieht Stellen der Schallwelle, die wir den Wellenbergen des Wassers verglichen haben, in denen die Luftmenge vermehrt ist, und die Luft, die nicht wie das Wasser einen freien Raum \u00fcber sich hat, in den sie ausweichen kann, sich verdichtet; andere Stellen des Luftraumes, den Wellenth\u00e4lern vergleichbar, haben verminderte Luftmenge und daher geringere Dichtigkeit. Wenn also auch nicht an demselben Orte und zu derselben Zeit zwei verschiedene Grade der Dichtigkeit, durch zwei verschiedene Wellensysteme hervorgerufen, nebeneinander bestehen k\u00f6nnen, so k\u00f6nnen sich doch die Verdichtungen und Verd\u00fcnnungen der Luft zueinander addiren, gerade wie Erh\u00f6hungen und Vertiefungen der Wasseroberfl\u00e4che. Wo zwei Verdichtungen Zusammentreffen, erhalten wir eine st\u00e4rkere Verdichtung, wo zwei Verd\u00fcnnungen, eine st\u00e4rkere Verd\u00fcnnung, w\u00e4hrend Verdichtung und Verd\u00fcnnung zusammentreffend sich gegenseitig theilweise oder ganz aufheben und neutralisiren.\nDie Verschiebungen der Lufttheilchen setzen sich ebenso zusammen. Wenn die Verschiebung durch zwei verschiedene Wellensysteme nicht in derselben Richtung erfolgt, so setzen sich beide Verschiebungen nach der Diagonale zusammen; wenn z. B.\n*) Auch die Geschwindigkeiten und die Verschiebungen der Wasser-theilchen addiren sich nach dem Gesetz des sogenannten Parallelogramms der Kr\u00e4fte. Uebrigens findet eine solche einfache Addition der Wellen streng genommen nur dann statt, wenn die H\u00f6hen der Wellen verglichen mit der Wellenl\u00e4nge verschwindend klein sind.","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\tErste Abtheilung. Zweiter Abschnitt.\nder eine Wellenzug dasselbe Lufttheilehen nach oben, der zweite nach rechts zu verschieben strebt, so wird es schr\u00e4g nach rechts und oben gehen. F\u00fcr unseren vorliegenden Zweck brauchen wir auf eine solche Zusammensetzung von Bewegungen verschiedener Richtung nicht n\u00e4her einzugehen. Es interessirt uns nur die Wirkung der Luftmasse auf das Ohr, und dabei kommt es nur auf die Bewegung der Luft im Geh\u00f6rgange an. Nun ist aber unser Geh\u00f6rgang, mit den Schallwellenl\u00e4ngen verglichen, verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig so eng, dass wir nur Bewegungen der Luft, die seiner Axe parallel gehen, zu ber\u00fccksichtigen brauchen, und also nur Verschiebungen der Lufttheilehen nach aussen und nach innen, d. h. nach der M\u00fcndung und nach der Tiefe des Geh\u00f6rganges zu unterscheiden haben. F\u00fcr die Gr\u00f6sse dieser Verschiebungen sowohl, als f\u00fcr die Geschwindigkeiten, mit denen sich die Lufttheilehen nach aussen oder innen bewegen, findet wieder dieselbe Art von Addition statt, wie f\u00fcr die Wellenberge und Wellenth\u00e4ler.\nWenn also mehrere t\u00f6nende K\u00f6rper in dem uns umgebenden Luftr\u00e4ume gleichzeitig Schallwellensysteme erregen, so sind sowohl die Ver\u00e4nderungen der Dichtigkeit der Luft, als die Verschiebungen und die Geschwindigkeiten der Lufttheilehen im Innern des Geh\u00f6rganges gleich der Summe derjenigen entsprechenden Ver\u00e4nderungen, Verschiebungen und Geschwindigkeiten, welche die einzelnen Schallwellenz\u00fcge einzeln genommen hervorgebracht haben w\u00fcrden*); und insofern k\u00f6nnen wir sagen, dass alle die einzelnen Schwingungen, welche die einzelnen Schallwellenz\u00fcge hervorgebracht haben w\u00fcrden, ungest\u00f6rt neben einander und gleichzeitig in unserem Geh\u00f6rgange bestehen.\nNachdem wir in dieser Weise zur Erledigung der ersten Frage auseinandergesetzt haben, in welchem Sinne es m\u00f6glich sei, dass mehrere verschiedene Wellenz\u00fcge auf derselben Wasserfl\u00e4che oder in demselben Luftr\u00e4ume neben einander bestehen, gehen wir dazu \u00fcber, die Art der Th\u00e4tigkeit zu bestimmen, welche unseren Sinnesorganen zuf\u00e4llt, die ein so zusammengesetztes Ganze wieder in seine Bestandtheile aufl\u00f6sen sollen.\nIch habe schon angef\u00fchrt, dass das Auge, welches eine weite\n'\ti\n*) Dasselbe gilt f\u00fcr den ganzen Luftraum, wenn man die Addition der Verschiebungen von verschiedener Richtung nach dem Gesetze des Parallelogramms der Kr\u00e4fte vollzieht.","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Analyse zusammengesetzter Schwingungen. 47\nvielbewegte Wasserfl\u00e4che \u00fcberblickt, mit ziemlicher Leichtigkeit die einzelnen Wellenz\u00fcge von einander trennen und einzeln verfolgen kann. Das Auge hat hierbei dem Ohre gegen\u00fcber einen grossen Vortheil dadurch, dass es eine grosse Ausdehnung der Wasserfl\u00e4che gleichzeitig \u00fcberblicken kann. Es unterscheidet also leicht, ob die einzelnen Wellenz\u00fcge geradlinig oder gekr\u00fcmmt sind, ob sie denselben Mittelpunkt ihrer Kr\u00fcmmung haben oder nicht, in welcher Richtung sie sich fortpflanzen, und in allen diesen Beobachtungen erh\u00e4lt es ebenso viele Hilfsmittel, um zu unterscheiden, ob zwei Wellenberge zusammengeh\u00f6ren oder nicht, beziehlich die zusammengeh\u00f6rigen Theile der einzelnen herauszufinden. Dazu kommt dann auch noch, dass auf der Wasserfl\u00e4che Wellen von ungleicher Wellenl\u00e4nge mit ungleicher Geschwindigkeit fortschreiten, und, wenn sie also auch in irgend einem Zeitmomente so zusammenfallen, dass sie schwer zu trennen sind, so eilt doch unmittelbar darauf der eine Zug voran, der andere bleibt nach, und sie werden dann bald dem Auge wieder vereinzelt sichtbar. Auf diese Weise ist es im Ganzen dem Beobachter sehr erleichtert, jedes einzelne System auf seinen besondern Ursprungsort zu beziehen, und es w\u00e4hrend seines weiteren Verlaufs im Auge zu behalten. F\u00fcr den Gesichtssinn k\u00f6nnen also namentlich auch zwei Wellensysteme niemals verschmelzen, welche zwei verschiedene Ursprungsorte haben, zwei Wellenringe z. B., die von zwei an verschiedenen Punkten in das Wasser geworfenen Steinen herr\u00fchren. Wenn auch an einer Stelle die Wellenringe etwa so zusammenfallen sollten, dass sie nicht leicht zu trennen sind, so werden sie im gr\u00f6ssten Theile ihres Umfangs immer getrennt bleiben. Das Auge wird also nicht leicht in die Lage kommen k\u00f6nnen, eine zusammengesetzte Wellenbewegung mit einer einfachen zu verwechseln. Das ist es aber gerade, was unter ganz \u00e4hnlichen Umst\u00e4nden das Ohr thut, wenn es den Klang, welcher von einer einzigen Tonquelle hervorgebracht ist, in eine Reihe von Partialt\u00f6nen aufl\u00f6st.\nDas Ohr befindet sich aber auch einem Schallwellensysteme gegen\u00fcber in einer viel ung\u00fcnstigeren Lage, als das Auge einem Wasserwellensysteme gegen\u00fcber. Das Ohr wird ja n\u00e4mlich nur von der Bewegung derjenigen Luftmasse afficirt, die sich in der unmittelbarsten N\u00e4he seines Trommelfells im Geh\u00f6rgange befindet. Da der Querschnitt des Geh\u00f6rgangs verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig klein ist, verglichen mit der L\u00e4nge der Schallwellen, die f\u00fcr die musikalisch","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\tErste Abtheilung. Zweiter Abschnitt.\nbrauchbaren T\u00f6ne zwischen 32 Fuss und 6 Zoll betr\u00e4gt, so entspricht der Querschnitt des Geh\u00f6rgangs nur einem einzigen Punkte der bewegten Luftmasse. Er ist zu klein, als dass an verschiedenen Punkten desselben merklich verschiedene Grade der Verdichtung oder Geschwindigkeit Vorkommen k\u00f6nnten, denn die Orte gr\u00f6sster und kleinster Verdichtung, gr\u00f6sster positiver und negativer Geschwindigkeit sind immer um eine halbe Wellenl\u00e4nge von einander entfernt. Das Ohr befindet sich also etwa in derselben Lage, als wenn wir das Auge durch eine enge R\u00f6hre nach einem einzigen Punkte der Wasserfl\u00e4che blicken Hessen, dessen Steigen und Fallen es erkennen k\u00f6nnte, und ihm zumutheten, auch unter diesen Umst\u00e4nden die Analyse der zusammengesetzten Wellen vorzunehmen, an welcher Aufgabe, wie leicht einzusehen ist, das Auge in den meisten F\u00e4llen vollst\u00e4ndig scheitern w\u00fcrde. Das Ohr ist nicht im Stande zu erkennen, welcher Art die Luftbewegung in entfernten Stellen des Raumes sei, ob die Wellen, von denen es selbst getroffen wird, ebene oder kugelige Fl\u00e4chen seien, ob sie sich in einem oder mehreren Kreisen zusammenschliessen, in welcher Richtung sie fortschreiten. Ihm gehen alle diese Hilfsmittel ab, auf die sich das Urtheil des Auges haupts\u00e4chlich st\u00fctzt.\nWenn demnach das Ohr trotz aller dieser Schwierigkeiten doch die F\u00e4higkeit hat, die Kl\u00e4nge verschiedenen Ursprungs von einander zu trennen \u2014 und in der That zeigt es eine bewunderungsw\u00fcrdige Fertigkeit in der L\u00f6sung dieser Aufgabe \u2014, so muss es diese Trennung mittelst ganz anderer Hilfsmittel und F\u00e4higkeiten zu Stande bringen, als die sind, welche das Auge benutzt. Welches aber auch diese Hilfsmittel seien \u2014 wir werden ihre Natur sp\u00e4ter zu bestimmen suchen \u2014, so ist klar, dass die Analyse einer zusammengesetzten Klangmasse ankn\u00fcpfen muss an bestimmte Eigenth\u00fcmlichkeiten der Luftbewegung, welche auch in einer so kleinen Luftmasse sich auspr\u00e4gen k\u00f6nnen, wie die im Geh\u00f6rgange enthaltene ist. Wenn die Bewegungen der Lufttheil-chen im Geh\u00f6rgange bei zwei verschiedenen Gelegenheiten gleich sind, wird auch die gleiche Empfindung im Ohre entstehen m\u00fcssen, welches auch der Ursprung der genannten Bewegungen sein mag, ob sie von einer oder von mehreren Tonquellen herr\u00fchren.\n' Wir haben schon vorher auseinandergesetzt, dass die Luftmasse, die das Trommelfell ber\u00fchrt, bei den hier in Betracht kommenden Verh\u00e4ltnissen nur wie ein einzelner Punkt in dem uns umgebenden Luftr\u00e4ume betrachtet werden kann. Giebt es also","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Zusammensetzung der Wellen.\t49\nEigent\u00fcmlichkeiten der Bewegung eines einzelnen Lufttheilchens, welche verschieden sind bei einem einfachen Klange und einer aus mehreren Kl\u00e4ngen zusammengesetzten Klangmasse? Wir haben gesehen, dass jedem einzelnen Klange eine periodische Bewegung der Luft entspricht, und dass seine Tonh\u00f6he durch die L\u00e4nge der Periode bestimmt wird, dass aber die Art der Bewegung innerhalb einer einzelnen Periode ganz willk\u00fcrlich ist, und eine unendliche Mannigfaltigkeit verschiedener Formen zul\u00e4sst. Wenn nun die Luftbewegung innerhalb des Geh\u00f6rganges nicht periodisch ist, oder ihre Perioden wenigstens nicht so kurz sind, wie die eines h\u00f6rbaren Klanges, so ist sie durch diesen Umstand schon von jeder Bewegung unterschieden, die einem einzelnen Klange angeh\u00f6rt; sie muss dann Ger\u00e4uschen, oder einer Anzahl gleichzeitig bestehender Kl\u00e4nge entsprechen. Von dieser Art sind wirklich die meisten F\u00e4lle, wo nur der Zufall verschiedene Kl\u00e4nge zusammengebracht hat, wo die Kl\u00e4nge nicht absichtlich zu consonanten Accorden musikalisch verbunden sind, und selbst wo musicirt wird, sind bei der jetzt herrschenden temperirten Stimmung der Instrumente die Bedingungen selten so genau eingehalten, welche erf\u00fcllt sein m\u00fcssen, damit die resultirende Bewegung der Luft genau periodisch sei. In der Mehrzahl der F\u00e4lle wird also die mangelnde Periodicit\u00e4t der Bewegung das Kennzeichen einer zusammengesetzten Klangmasse abgeben k\u00f6nnen.\nAber es kann eine zusammengesetzte Klangmasse auch eine rein periodische Luftbewegung geben, dann n\u00e4mlich, wenn alle Kl\u00e4nge, welche sich mischen, Schwingungszahlen haben, welche ganze Vielfache von einer und derselben Schwingungszahl sind, oder was dasselbe sagt, wenn alle diese Kl\u00e4nge ihrer Tonh\u00f6he nach als Obert\u00f6ne eines' und desselben Grundtons angesehen werden k\u00f6nnen. Es ist schon im ersten Abschnitte gesagt worden, dass die Schwingungszahlen der Obert\u00f6ne ganze Vielfache von der Schwingungszahl des Grundtons sind. An einem bestimmten Beispiele wird der Sinn dieser Regel klar werden. Die Curve .4, Fig. 11 (a. f. S.), stellt in der Weise, wie wir es im ersten Abschnitte auseinandergesetzt haben, eine einfache pendelartige Bewegung dar, wie sie durch eine t\u00f6nende Stimmgabel in der Luft des Geh\u00f6rganges hervorgerufen wird. . Die horizontalen L\u00e4ngen in den Curven der Fig. 11 stellen also die fortschreitende Zeit dar, die verticalen H\u00f6hen der Curve die entsprechenden Verschiebungen der Lufttheilchen im Geh\u00f6r-\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\t4.","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\tErste Abtheilung. Zweiter Abschnitt.\ngange. Es soll nun zu dem ersten Tone, dem. die Curve A angeh\u00f6rt, noch ein zweiter hinzukommen, der die h\u00f6here Octave des vorigen ist und dem die durch Curve B dargestellte Luftbewegung angeh\u00f6rt. Dem entsprechend haben zwei Schwingungen der Curve B genau dieselbe L\u00e4nge, wie eine Schwingung von A. In A enthalten die Abschnitte dn d und d dx vollkommen congruente St\u00fccke\nFig. 11.\nder Curve. Die Curve, i? ist ebenfalls in congruente St\u00fccke ge-theilt durch die Punkte e, s und Zwar k\u00f6nnten wir noch jeden der Abschnitte es und halbiren, und w\u00fcrden dann wiederum unter sich congruente St\u00fcckebekommen, welche je einer einzelnen Periode von B entspr\u00e4chen. Aber indem wir je zwei Perioden von B zusammenfassen, erhalten wir eine Theilung von B in solche Abschnitte, die genau ebenso lang sind, wie die Abschnitte von A.\nWenn nun beide T\u00f6ne zusammen erklingen, und der Zeit nach der Punkt e mit d0, e mit d, \u00a3x mit d, zusammenf\u00e4llt, so addiren sich die H\u00f6hen des Curvenst\u00fccks es zu den H\u00f6hen von d0S, eben-\u25a0so die von \u00a3\u00a3x zu denen von ddx. Das Resultat dieser Addition","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Zusammengesetzte periodische Bewegungen. 51\nist dargestellt durch die Curve C. Die punktirte Linie ist eine Copie von dem Abschnitt d0 8 der Curve A. Sie dient dazu, dem Auge die Zusammensetzung unmittelbar anschaulich zu machen. Man sieht leicht, dass die Curve C sich \u00fcberall ebenso hoch \u00fcber die H\u00f6he von A hebt, oder darunter senkt, als die Curve B sich \u00fcber die gerade Linie erhebt, beziehlich unter sie senkt. Die H\u00f6hen der Curve C sind also, der Regel \u00fcber Zusammensetzung der Schwingungen entsprechend, gleich der (algebraischen) Summe der entsprechenden H\u00f6hen von A und B. So ist das Loth cx in C die Summe der Lothe a, und i, in A und B\\ der untere Theil dieses Lothes c bis zur punktirten Curve hinauf ist gleich dem Lothe a,, der obere gleich dem Lothe bx. Dagegen ist das Loth c3 gleich der H\u00f6he a2 vermindert um die Tiefe der Senkung l2, und in derselben Weise sind alle anderen H\u00f6hen der Curve C gefunden.\nDass die in der Curve C dargestellte Bewegung ebenfalls periodisch ist und dieselbe L\u00e4nge der Perioden hat wie A, ist ersichtlich. In der That muss die Addition der Abschnitte d0 8 von A. und es von B dasselbe'Resultat geben, wie die Addition der den vorigen ganz gleichen Abschnitte d8t und \u00abal5 und wenn man die Curven fortgesetzt denkt, ebenso aller folgenden gleichen Abschnitte, in die sie zerfallen. Es ist aber auch ersichtlich, dass nur dann immer wieder gleiche St\u00fccke beider Curven bei der Addition auf einander fallen werden, wenn die Curven sich in congruente Abschnitte theilen lassen, die genau gleiche L\u00e4nge haben, -tfie es in Fig. 11 der Fall ist, wo zwei Perioden von B genau gleich lang sind, wie eine von A. Die horizontalen L\u00e4ngen unserer Figuren stellen aber die Zeit dar, und indem wir von unseren Curven auf die wirklichen Bewegungen zur\u00fcckgehen, ergiebt sich demnach, dass die aus den T\u00f6nen A und B zusammengesetzte Luftbewegung trotz ihrer Zusammensetzung deshalb periodisch ist, weil der eine Ton genau doppelt so viel Schwingungen in gleicher Zeit macht, als der andere.\nEs l\u00e4sst sich an diesem Beispiele leicht einsehen, dass es gar nicht auf die besondere Form der beiden Curven A und B ankommt, damit ihre Summe C wieder eine genau periodische Curve sei. AVelche Form A und B auch haben m\u00f6gen, wenn nur jede in congruente Abschnitte zerschnitten werden kann, deren L\u00e4nge den Abschnitten der anderen Curve gleich ist, sei es, dass diese Abschnitte nun eine oder zwei, drei u. s. w. Perioden der\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\tErste Abtheilung. Zweiter Abschnitt.\neinzelnen Curve umfassen, so wird doch je ein Abschnitt der Curve A, mit je einem Abschnitte der Curve B zusammengesetzt, immer einen Abschnitt von G geben, der den \u00fcbrigen aus anderen entsprechenden Abschnitten von A und B zusammengesetzten Abschnitten von G gleich sein muss.\nWenn ein solcher Abschnitt mehrere Perioden der betreffenden Curve umfasst, wie in Fig. 11 die Abschnitte es und se1 je zwei Perioden des Tones B umfassen, so ist B der Tonh\u00f6he nach gleich einem Obertone desjenigen Grundtons, dessen Periode der L\u00e4nge eines jener Hauptabschnitte gleich ist (in Fig. 11 des Tones A), wie es die oben aufgestellte Regel verlangt.\nUm die Mannigfaltigkeit der Formen, welche durch verh\u00e4lt-nissm\u00e4ssig einfache Zusammensetzungen entstehen k\u00f6nnen, eini-germaassen anschaulich zu machen, bemerke ich, dass die zusammengesetzte Curve schon dadurch eine andere Form erh\u00e4lt, wenn wir nur die Curve B unter A etwas verschieben, ehe wir zur Addition schreiten. Es sei B so weit verschoben, dass der Punkt e unter dx f\u00e4llt, so erhalten wir die Cunve 11D mit schmalen Bergen und breiten Th\u00e4lern, die beiden Abh\u00e4nge der Berge aber gleich steil, w\u00e4hrend in der Curve C der eine Abhang steiler ist als der andere. Verschieben wir die Curve B weiter, bis e unter d-2 f\u00e4llt, so ist die zusammengesetzte Curve gleich dem Spiegelbilde von C, d. h. sie hat dieselbe Gestalt wie C, wenn man rechts mit links verkehrte; der steilere Abhang, welcher in C links liegt, w\u00fcrde rechts liegen. Endlich verschieben wir B so weit, dass der Punkt e unter d3 f\u00e4llt, erhalten wir eine Curve \u00e4hnlich D, nur das Untere nach oben gekehrt, wie D aussieht, wenn man das Buch umkehrt, die Bergr\u00fccken breit, die Th\u00e4ler schmal.\nAlle diese Curven mit ihren Uebergangsstufen sind periodische Curven. Andere zusammengesetzte periodische Curven sind in Fig. 12 G, D dargestellt, zusammengesetzt aus den beiden Curven A, B, deren Perioden im Verh\u00e4ltniss von 1 zu 3 stehen. Die punktirten Linien sind wieder Copien von der ersten Schwingung der Curve A, damit der Leser daran erkenne, wie die betreffende zusammengesetzte Curve \u00fcberall so hoch \u00fcber oder unter A steht, als B \u00fcber oder unter der Horizontallinie. In C sind A und B so addirt, wie sie unter einander stehen, in D ist B zuerst um eine halbe Wellenl\u00e4nge nach rechts geschoben und dann zu A addirt. Beide Formen sind verschieden unter einander, und ver-","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"Zusammengesetzte periodische Bewegungen. 53\nschieden von allen fr\u00fcheren. C hat breite Berge und breite Thaler, B schmale Berge und schmale Th\u00e4ler.\nFig-. 12.\nIn diesen und \u00e4hnlichen F\u00e4llen fanden wir, dass die zusam-\nmengesetzte Bewegung vollkommen und regelm\u00e4ssig periodisch ist, d. h. sie ist vollst\u00e4ndig von der Art, wie sie auch einem einzelnen Klange zukommen k\u00f6nnte. Die Curven, welche wir in unseren Beispielen zusammengesetzt haben, entsprechen der Bewegung einfacher T\u00f6ne. Es k\u00f6nnten also z. B. die in Fig. 11 abgebildeten Bewegungen durch zwei Stimmgabeln hervorgebracht werden, von denen eine die h\u00f6here Octave der anderen giebt. Aber wir werden sp\u00e4ter sehen, dass auch eine schwach angeblasene Fl\u00f6te allein schon hinreicht, eine Luftbewegung zu erzeugen, die der in Fig. 11 G oder B dargestellten entspricht. Die Bewegungen von Fig. 12 k\u00f6nnten durch zwei gleichzeitig t\u00f6nende Stimmgabeln hervorgebracht werden, von denen die eine die Duo-decime der anderen giebt. Aber auch eine einzige gedackte Orgelpfeife von der engeren Art (Register Quintaten) w\u00fcrde nahehin die Bewegung geben, welche Fig. 12 C oder B darstellen.\nHier fehlt also der Luftbewegung im Geh\u00f6rgange jede Eigen-th\u00fcmlichkeit, an welcher der zusammengesetzte Klang von dem","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\tErste Abtheilung. Zweiter Abschnitt.\neinfachen unterschieden werden k\u00f6nnte. Wenn dem Ohre nicht andere zuf\u00e4llige Umst\u00e4nde zu Hilfe kommen, dass z. B. die eine Stimmgabel eher zu t\u00f6nen beginnt und man den zweiten Ton sp\u00e4ter hinzukommen h\u00f6rt, dass man das Anschl\u00e4gen der Gabeln h\u00f6rt, oder im anderen Falle das Sausen der Luft bei der \u00e4nge-blasenen Fl\u00f6te oder Pfeife, so wird jedes Kennzeichen fehlen, um zu entscheiden, ob der Klang einfach oder zusammengesetzt sei.\nWie verh\u00e4lt sich nun das Ohr einer solchen Luftbewegung gegen\u00fcber? Zerlegt es sie, oder zerlegt es sie nicht? Die Erfahrung lehrt, dass, wenn zwei Stimmgabeln in der Octave oder Duodecimo zusammenklingen, das Ohr sehr wohl im Stande ist, ihre T\u00f6ne von einander zu scheiden, wenn auch diese Scheidung etwas schwieriger ist, als bei anderen Intervallen. Wenn aber das Ohr im Stande ist, einen solchen Zusammenklang zweier Stimmgabeln aufzul\u00f6se'n, so wird es nicht umhin k\u00f6nnen, dieselbe Analyse auch auszuf\u00fchren, wenn dieselbe L\u00fcftbewegung durch eine einzige Fl\u00f6te oder Orgelpfeife hervorgebracht wird. Und dies geschieht wirklich; der an sich einfache, aus einer Quelle hervorgehende Klang eines solchen Tonwerkzeugs wird, wie wir schon angef\u00fchrt haben, in Partialt\u00f6ne aufgel\u00f6st, einen Grundton und je einen Oberton in unseren Beispielen.\nDie Aufl\u00f6sung eines einzelnen Klanges in eine Reihe von Partialt\u00f6nen beruht also auf derselben F\u00e4higkeit des Ohres, verm\u00f6ge deren es im Stande ist, verschiedene Kl\u00e4nge von einander zu trennen, und es wird in beiden F\u00e4llen die Scheidung ausf\u00fchren m\u00fcssen nach einer Regel, die gar nicht darauf R\u00fccksicht nimmt, ob die Schallwellen aus einem oder mehreren Tonwerkzeugen hervorgegangen sind.\nDie Regel, nach welcher das Ohr die Analyse vornimmt, ist zuerst als allgemein g\u00fcltig hingestellt worden vonG. S. Ohm. Es ist schon im vorigen Abschnitte ein Theil dieser Regel ausgesprochen, indem angef\u00fchrt wurde, dass nur diejenige Luftbewegung, die wir durch den Namen der einfachen Schwingung hervorgehoben haben, bei welcher die schwingenden Lufttheilchen nach dem Gesetze des Pendels hin- und hergehen, im Ohre die Empfindung eines einzigen und einfachen Tons hervorbringe. Jede Luftbewegung nun, welche einer zusammengesetzten Klangmasse entspricht, ist nach Ohm\u2019s Regel zu zerlegen in eine Summe einfacher pendelartiger Schwingungen, und j eder solchen einfachen Schwin-","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Zerlegung in einfache Schwingungen.\t55\n(rung entspricht ein Ton, den das Ohr empfindet, und dessen Tonh\u00f6he durch die Schwingungsdauer der entsprechenden Luftbewegung bestimmt ist.\nDie Beweise f\u00fcr die Richtigkeit dieser Regel, die Ursachen, warum unter allen Schwingungsformen die eine, welche wir die einfache genannt haben, eine so hervortretende Rolle spielt, werden wir erst sp\u00e4ter im vierten und sechsten Abschnitte beibrin-gen k\u00f6nnen. Hier handelt es sich zun\u00e4chst nur noch darum, den Sinn der Regel klar zu machen.\nDie einfache Schwingungsform ist unver\u00e4nderlich und immer dieselbe, nur ihre Amplitude und die Dauer ihrer Periode kann sich ver\u00e4ndern. Wir haben in den Figuren 11 und 12 aber schon gesehen, wie durch Zusammensetzung von auch nur je zwei einfachen Schwingungen ziemlich mannigfaltige Formen entstehen k\u00f6nnen. Die Zahl dieser Formen Hesse sich nun, selbst ohne neue einfache Schwingungen von anderer Periode hinzuzunehmen, noch weiter dadurch vermehren, dass wir entweder das Verh\u00e4lt-niss der H\u00f6hen beider einfachen Schwingungscurven A und B zu einander ver\u00e4nderten, oder dass wir die Curve B um andere L\u00e4ngen unter A verschieben, als wir in den Zeichnungen gethan haben. Nach diesen einfachsten Beispielen solcher Zusammensetzung wird der Leser sich eine Vorstellung davon bilden k\u00f6nnen, eine wie ungeheure Verschiedenheit von Formen sich ergeben w\u00fcrde, wenn wir statt zweier einfacher Schwingungen eine gr\u00f6ssere Zahl derselben zusammensetzen wollten, welche alle Obert\u00f6nen desselben Grundtons entsprechen, und daher durch Addition immer wieder periodische Curven geben w\u00fcrden. Wir w\u00fcrden die H\u00f6hen jeder einzelnen beliebig gr\u00f6sser oder kleiner machen k\u00f6nnen, wir w\u00fcrden jede einzelne um ein beliebiges St\u00fcck gegen den Grundton verschieben oder, nach physikalischer Ausdrucksweise, die Amplitude und den Phasenunterschied zwischen ihr und dem Grundtone ver\u00e4ndern k\u00f6nnen, und jede solche Aenderung der Amplitude oder des Phasenunterschiedes jeder einzelnen von ihnen w\u00fcrde eine neue Ab\u00e4nderung der zusammengesetzten Schwingungsform geben.\t\u2022\nDie Mannigfaltigkeit der Schwingungsformen, welche in dieser Weise durch Zusammensetzung einfacher pendelartiger Schwingungen erhalten werden kann, ist nicht nur ausserordentlich gross, sondern sie ist so gross, dass sie gar nicht gr\u00f6sser sein kann. Es hat n\u00e4mlich der ber\u00fchmte franz\u00f6sische Mathematiker Fourier","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56 Erste Abtheilung. Zweiter Abschnitt.\nein mathematisches Gesetz erwiesen, welches wir mit Bezug auf den vorliegenden Gegenstand so aussprechen k\u00f6nnen: Jede beliebige regelm\u00e4ssig periodische Schwingungsform kann aus einer Summe von einfachen Schwingungen zusammengesetzt werden, deren Schwingungszahlen ein, zwei, drei, vier u. s. w. Mab so gross sind als die Schwingungszahl der gegebenen Bewegung.\nDie Amplituden der elementaren einfachen Schwingung, welchen in unseren Wellencurven die H\u00f6he entspricht, und die Phasenuntersch'iede, d. h. die horizontalen Verschiebungen der Wellencurven gegeneinander, k\u00f6nnen in jedem Falle, wie Fourier gezeigt hat. durch besondere Jtechnungsmethoden, welche eine popul\u00e4re Darstellung nicht erlauben, gefunden werden, wobei sich herausstellt, dass eine gegebene regelm\u00e4ssig periodische Bewegung nur in einer einzigen Weise und in keiner anderen dargestellt werden kann als Summe einer gewissen Anzahl pendelartiger Schwingungen.\nDa nun nach unseren Festsetzungen eine regelm\u00e4ssig periodische Bewegung einem musikalischen Klange entspricht, und eine einfache pendelartige Schwingung einem einfachen Tone, so k\u00f6nnen wir diese S\u00e4tze von Fourier mit Anwendung der akustischen Bezeichnungen auch so aussprechen:\nJede Schwingungsbewegung der Luft im Geh\u00f6rgange, welche einem musikalischen Klange entspricht, kann immer, und jedes Mal nur in einer einzigen Weise, dargestellt werden als die Summe einer Anzahl einfacher schwingender Bewegungen, welche Theilt\u00f6nen dieses Klanges entsprechen.\nDa nach diesen S\u00e4tzen eben jede Schwingungsform, sie sei gestaltet, wie sie nur irgend wolle, ausgedr\u00fcckt werden kann als eine Summe einfacher Schwingungen, so ist ihre Zerlegung in eine solche Summe auch ganz unabh\u00e4ngig davon, ob man mit dem ' Auge sch\u00f6n der sie darstellenden Curve ansehen kann, dass und welche einfache Schwingungen etwa in ihr enthalten sein m\u00f6gen oder nicht. Ich muss dies hervorheben, weil ich ziemlich h\u00e4ufig selbst Naturforscher von der falschen Voraussetzung habe ausgehen sehen, dass die Schwingungsfigur kleine Wellen, entsprechend den einzelnen h\u00f6rbaren Obert\u00f6nen, zeigen m\u00fcsste. Schon an den Beispielen der Figuren 11 und 12 wird man sich \u00fcber-","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Zerlegung in einfache Schwingungen.\t57\nzeugen, dass das Auge die Zusammensetzung allenfalls an dem Theile der Curve \u00fcbersehen kann, wo wir die Curve des Grundtons punktirt hinzugesetzt haben, aber schon nicht mehr an den isolirt gezeichneten Theilen der Curven G und D beider Figuren. Oder wenn ein Beobachter, der sich die Form der einfachen Schwingungen recht genau eingepr\u00e4gt hat, dies auch allenfalls noch leisten zu k\u00f6nnen glauben m\u00f6chte, so w\u00fcrde er doch gewiss scheitern, wenn er mit dem Auge allein zu ermitteln versuchen wollte, wie etwa die in Fig. 8 und 9 des ersten Abschnittes gezeichneten Curven zusammenzusetzen w\u00e4ren. In diesen kommen gerade Linien und scharfe Ecken vor. Man wird vielleicht fragen, wie ist es m\u00f6glich, durch eine Zusammensetzung so weich und gleichm\u00e4ssig gekr\u00fcmmter Curven, wie unsere einfachen Wellen-curven A und ~B Fig. 11 und 12 sind, theils gerade Linien, theils scharfe Ecken zu erzeugen. Darauf ist' zu erwidern, dass man eine unendlich grosse Anzahl von einfachen Schwingungen braucht, um Curven zu erzeugen mit solchen Discontinuit\u00e4ten, wie sie dort hervortreten. Wenn aber sehr viele solche Curven Zusammenkommen und so gew\u00e4hlt werden, dass an gewissen Stellen die Kr\u00fcmmungen aller in gleichem Sinne gewendet sind, an anderen Stellen entgegengesetzt, so verst\u00e4rken sich die Kr\u00fcmmungen am ersteren Orte gegenseitig, und wir erhalten schliesslich eine unendlich starke Kr\u00fcmmung, das heisst eine scharfe Ecke, an den \u00fcbrigen Stellen heben sich die Kr\u00fcmmungen gegenseitig auf, so dass zuletzt ein\u00bb gerade Linie daraus hervorgeht. Im Allgemeinen kann man dem entsprechend als Regel festhalten, dass die St\u00e4rke der hohen Obert\u00f6ne desto gr\u00f6sser ist, je sch\u00e4rfere Discontinuit\u00e4ten die .Luftbewegung zeigt. Wo die Bewegung sich gleichm\u00e4ssig und allm\u00e4lig ver\u00e4ndert, entsprechend einer in weichen Bogenformen verlaufenden Schwingungscurve, haben nur die tieferen, dem Grundtone n\u00e4her liegenden Theilt\u00f6ne eine merkliche Intensit\u00e4t. Wo aber die Bewegung stossweise ver\u00e4ndert wird, in der Schwingungscurve also Ecken oder pl\u00f6tzliche Aende-rungen der Kr\u00fcmmung Vorkommen, da sind auch noch hohe Obert\u00f6ne von merklicher St\u00e4rke, obgleich in allen diesen F\u00e4llen die Amplituden abnehmen, je h\u00f6her die Obert\u00f6ne sind*).\n\u25a0\t*) Wenn n die Ordnungszahl eines Partialtones ist, nimmt bei sehr\nhohen wachsenden Werthen von n die Amplitude der Obert\u00f6ne ab: 1) wenn die\nAmplitude der Schwingung selbst einen pl\u00f6tzlichen Schwung macht, wie \u2014 ;","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\tErste Abtheilung. Zweiter Abschnitt.\nBeispiele von der Aufl\u00f6sung gegebener Schwingungsformen in die einzelnen Theilt\u00f6ne werden wir noch im f\u00fcnften Abschnitte kennen lernen.\nDas hier erw\u00e4hnte Theorem von Fourier ergiebt zun\u00e4chst nur, dass es mathematisch m\u00f6glich ist, einen Klang als eine Summe von T\u00f6nen zu betrachten, die Worte, in dem von uns festgesetzten Sinne genommen, und die Mathematiker haben es. auch immer bequem gefunden, diese Art der Zerlegung der Schwingungen ihren akustischen Untersuchungen zu Grunde zu legen. Aber daraus folgt noch keineswegs, -dass wir gezwungen seien, die Sache so zu betrachten. Wir m\u00fcssen vielmehr fragen, bestehen denn diese Theilt\u00f6ne eines Klanges, welche die mathematische Theorie ausscheidet, und welche das Ohr empfindet, auch wirklich in der Luftmasse ausserhalb des Ohres? Ist diese Art, die Schwingungsformen aufzul\u00f6sen, wie sie das Theorem von Fourier vorschreibt und m\u00f6glich macht, nicht bloss eine mathematische Fiction, welche zur Erleichterung der Rechnung erlaubt sein mag, aber nicht nothwendig irgend einen entsprechenden reellen Sinn zu haben braucht? Warum fallen wir darauf, gerade pendelartige Schwingungen als das einfachste Element aller Schallbewegungen zu betrachten ? Wir k\u00f6nnen ein Ganzfis in sehr verschiedener und beliebiger Weise in Theile zerlegt denken; wir k\u00f6nnen innerhalb einer Rechnung es vielleicht bequem finden, statt der Zahl 12 die Summe 8 -(- 4 zu setzen, weil sich die 8 weghebt, aber daraus folgt nicht, dass nun die Zahl 12 nothwendig immer als die Summe von 8 und 4 betrachtet werden m\u00fcsse. In einem anderen Falle k\u00f6nnte es vortheilhafter sein, die 12 als Summe von 7 und 5 anzusehen. Ebenso wenig berechtigt uns die durqh Fourier nachgewiesene mathematische M\u00f6glichkeit, alle Schallbewegung aus i einfachen Schwingungen zusammenzusetzen, daraus zu folgern, dass dies die einzig erlaubte Art der Analyse sei, wenn wir nicht nachweisen k\u00f6nnen, dass dieselbe auch einen wesentlichen reellen Sinn habe. Der Umstand, dass das Ohr dieselbe Zerlegung ausf\u00fchrt, spricht nun allerdings schon sehr daf\u00fcr, dass die genannte\n2) wenn ihr Differentialquotient einen Sprung macht, die Curve also eine scharfe\nEcke hat, wie \u2014-\u2014; 3) wenn, die Kr\u00fcmmung sich pl\u00f6tzlich ver\u00e4ndert, wie \u2019 n.n\n---\u00ef----; 4) wenn keiner der Differentialquotienten discontinuirlich ist, muss\nn . n . n\nsie schneller oder ebenso schnell abnehmen, wie e\u2014\u00bb.","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Zerlegung in' einfache Schwingungen.\t59\nZerlegung einen Sinn hat, der sich auch in der Aussenwelt, unabh\u00e4ngig von aller Theorie, werde bew\u00e4hren m\u00fcssen, ebenso gut wie auch schon der andere genannte Umstand, dass diese Art der Zerlegung n\u00e4mlich bei den mathematischen Untersuchungen sich als so viel vortheilhafter erwiesen hat, als jede andere, dieselbe Ver-muthung unterst\u00fctzen mag. Denn nat\u00fcrlich sind diejenigen Betrachtungsweisen, welche der innersten Natur der Sache entsprechen, auch immer diejenigen, welche die zweckm\u00e4ssigste und klarste theoretische Behandlungsweise geben. Mit den Leistungen des Ohres aber diese Untersuchung zu beginnen, m\u00f6chte nicht r\u00e4thlich sein, weil diese ausserordentlich verwickelt sind und selbst der Erkl\u00e4rung bed\u00fcrfen. Wir wollen daher zuerst im n\u00e4chsten Abschnitte untersuchen, ob die Zerlegung in einfache Schwingungen auch in der Aussenwelt unabh\u00e4ngig vom Ohr eine thats\u00e4chliclie Bedeutung habe, und wir werden in der That im Stande sein, nachzuweisen, dass bestimmte mechanische Wirkungen davon abh\u00e4ngen, ob in einer Klangmasse ein gewisser Theil-ton enthalten sei oder nicht. Dadurch erst erh\u00e4lt die Existenz der Theilt\u00f6ne ihre reelle Bedeutung, und die Kenntniss ihrer mechanischen Wirkungsf\u00e4higkeit wird dann ein neues Licht auf ihre Beziehungen zum menschlichen Ohre werfen.","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"Dritter Abschnitt.\nAnalyse der Kl\u00e4nge durch Mitt\u00f6nen.\nWir gehen jetzt darauf aus, nachzuweisen, dass den in einer Klangmasse enthaltenen einfachen Partialt\u00f6nen besondere mechanische Wirkungen in der Aussenwelt zukommen, welche unabh\u00e4ngig sind vom menschlichen Ohre und seinen Empfindungen, unabh\u00e4ngig ferner von bloss theoretischen Betrachtungsweisen, und welche daher dieser besonderen Zerlegungsweise der Schwingungsformen in pendelartige Schwingungen eine besondere ob-jectiv g\u00fcltige Bedeutung zuweisen.\nEine solche Wirkung findet in dem Ph\u00e4nomen des Mit-t\u00f6nens statt. Dieses Ph\u00e4nomen kommt bei allen solchen K\u00f6rpern ' vor, welche, wenn sie einmal durch irgend einen Anstoss in Schwingung versetzt worden sind, eine l\u00e4ngere Beihe von Schwingungen ausf\u00fchren, ehe sie wieder zurB.uhe kommen. Wenn dergleichen K\u00f6rper n\u00e4mlich von ganz schwachen, aber regelm\u00e4ssig periodischen St\u00f6ssen getroffen werden, von denen jeder einzelne viel zu unbedeutend ist, um eine merkliche Bewegung des schwingungsf\u00e4higen K\u00f6rpers hervorzubringen, so k\u00f6nnen dennoch sehr starke und ausgiebige Schwingungen des genannten K\u00f6rpers entstehen, wenn die Periode jener schwachen Anst\u00f6sse genau gleich ist der Periode seiner eigenen Schwingungen. Wenn aber die Periode der regelm\u00e4ssig sich wiederholenden St\u00f6sse abweicht von","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Mechanik des Mitt\u00f6nens.\t61\nder Periode der Schwingungen, so entsteht eine schwache oder ganz unmerkliche Bewegung.\nDergleichen periodische Anst\u00f6sse gehen nun gew\u00f6hnlich aus von einem anderen in regelm\u00e4ssigen Schwingungen begriffenen K\u00f6rper, dann rufen also die Schwingungen des letzteren nach einiger Zeit auch die Schwingungen des erstgenannten hervor. Unter diesen Umst\u00e4nden nennen wir den Vorgang Mitschwingen oder Mitt\u00f6nen. Die Schwingungen k\u00f6nnen so schnell sein, dass sie t\u00f6nen, sie k\u00f6nnen aber auch so langsam sein, dass sie keine Empfindung im Ohre hervorzurufen verm\u00f6gen; das \u00e4ndert nichts im Wesen der Sache. Das Mitt\u00f6nen ist ein den Musikern wohlbekanntes Ph\u00e4nomen. Wenn z. B. die Saiten zweier Violinen genau gleich gestimmt sind, und man die eine anstreicht, ger\u00e4th auch die gleichnamige Saite der anderen Violine in Schwingung. Das Wesen des Vorganges l\u00e4sst sich aber besser an solchen Beispielen darlegen, bei denen die Schwingungen langsam genug sind, dass man alle ihre einzelnen Phasen einzeln beobachten kann.\nSo ist es z. B. bekannt, dass die gr\u00f6ssten Kirchenglocken durch taktm\u00e4ssiges Ziehen an dem Glockenseil von einem Manne oder selbst einem Knaben in Bewegung gesetzt werden k\u00f6nnen,-Glocken von so grossem Metallgewicht, dass der st\u00e4rkste Mann, welcher sie aus ihrer Lage zu bringen sucht, sie kaum merklich bewegt, wenn er seine Kraft nicht in bestimmten taktm\u00e4ssigen Abs\u00e4tzen anw\u00e8ndet. Ist eine solche Glocke einmal in Bewegung gesetzt, so sbtzt sie, wie-ein angestossenes Pendel, ihre Schwingungen noch lange fort, ehe sie allm\u00e4lig zur K\u00fche kommt, auch wenn sie ganz sich selbst \u00fcberlassen bleibt, und keine Kraft zur Unterst\u00fctzung ihrer Bewegungen da ist. Allm\u00e4lig freilich nimmt ihre Bewegung ab, indem Reibung in den Axen und Luftwiderstand bei jeder einzelnen Schwingung einen Theil der vorhandenen Bewegungskraft der Glocke vernichten.\nW\u00e4hrend die Glocke hin- und herschwankt, hebt und senkt sich der Hebel mit dem Glockenseil, der oben an ihrer Axe befestigt ist. Wenn nun, w\u00e4hrend der Hebel sich senkt, ein Knabe sich an das untere Ende des Glockenseils anh\u00e4ngt, so wirkt die Schwere seines K\u00f6rpers so auf die Glocke, dass sie deren eben vorhandene Bewegung beschleunigt. Diese Beschleunigung mag sehr klein sein, und doch wird sie eine entsprechende Vermehrung der Schwingungsweite der Glocke bewirken, die sich auch","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\tErste Abtheilung. Dritter Abschnitt.\nwiederum eine Weile erh\u00e4lt, bis sie durch Reibung und Luftwiderstand vernichtet ist. Wollte der Knabe sich aber zu Unrechter Zeit an. das Glockenseil anh\u00e4ngen, w\u00e4hrend dieses aufsteigt, so w\u00fcrde die Schwere seines K\u00f6rpers der Bewegung der Glocke entgegenwirken und die Schwingungsweite verkleinern. Wenn sich nun der Knabe bei jeder Schwingung so lange an das Seil h\u00e4ngt, als dieses sich senkt, und es so lange frei l\u00e4sst, als es sich hebt, so wird er hei jeder Schwingung die Bewegung der Glocke nur beschleunigen, und ihre Schwingungen so allm\u00e4lig gr\u00f6sser und gr\u00f6sser machen, bis durch die Yergr\u00f6sserung der Schwingungen auch die bei jeder Schwingung von der Glocke an die Thurmw\u00e4nde und die Luft abgegebene Bewegung so gross wird, dass sie durch die Kraft, die der Knabe bei jeder Schwingung aufwendet, gerade gedeckt wird.\nDer Erfolg dieses Verfahrens beruht also wesentlich darauf, dass der Knabe seine Kraft immer nur in solchen Augenblicken anwendet, wo er durch sie die Bewegung der Glocke vergr\u00f6ssert. Er muss also seine Kraft periodisch in Th\u00e4tigkeit setzen, und die Periode dieser Th\u00e4tigkeit muss gleich der Periode der Glockenschwingungen sein, wenn er Erfolg haben will. Er w\u00fcrde ebenso gut die vorhandene Bewegung der Glocke auch schnell zur Ruhe bringen k\u00f6nnen, wenn er sich an den Strick hinge, w\u00e4hrend dieser a\u00fcfsteigt, und so das Gewicht seines K\u00f6rpers von der Glocke heben liesse.\nEin Versuch \u00e4hnlicher Art, der jeden Augenblick anzustellen ist, ist folgender. Man stelle sich ein Pendel her, indem man an das untere Ende eines Fadens einen schweren K\u00f6rper, z. B. einen Ring, befestigt, fasse das obere Ende des Fadens mit der Hand, und setze den Ring in schwache Pendelschwingungen, dann kann man die Pendelschwingungen allm\u00e4lig sehr bedeutend vergr\u00f6ssern, wenn man jedesmal, wo das Pendel seine gr\u00f6sste Abweichung von der Senkrechten erreicht hat, eine ganz kleine Verschiebung der Hand nach der entgegengesetzten Seite macht. Also, wenn das Pendel am meisten nach rechts gegangen ist, bewege man die Hand ein wenig nach links, wenn das Pendel links steht, bewege man sie ein wenig nach rechts. Auch kann man gleich von vorn herein Schwingungen des Pendels, wenn es im Anfang ruhig herabh\u00e4ngt, hervorbringen, wenn man dergleichen ganz kleine Verschiebungen der Hand in demselben Takte ausf\u00fchrt, in welchem das Pendel seine Schwingungen macht. Die Verschiebungen der Hand","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"Mechanik des Mitt\u00f6nens.\t63\nk\u00f6nnen hierbei so klein sein, dass sie kaum bei gespannter Aufmerksamkeit wahrgenommen werden, ein Umstand, auf welchem die abergl\u00e4ubische Anwendung dieses kleinen Apparates als W\u00fcnschelruthe beruht. Wenn n\u00e4mlich der Beobachter, ohne an seine Hand zu denken, den Schwankungen des Ringes mit den Augen folgt, so folgt die Hand leicht den Augen, bewegt sich also unwillk\u00fcrlich ein wenig hin und her, und zwar gerade in demselben Takte, wie das Pendel, wenn dies zuf\u00e4llig anf\u00e4ngt ein wenig zu schwanken. Diese unwillk\u00fcrlichen Schwankungen der Hand werden gew\u00f6hnlich \u00fcbersehen, wenigstens wenn der Beobachter nicht an genaue Beobachtung solcher unscheinbaren Einfl\u00fcsse gew\u00f6hnt ist. Durch sie wird eben jede vorhandene Pendelschwingung ver-gr\u00f6ssert und unterhalten, und jede zuf\u00e4llige Bewegung des Ringes leicht in eine Reihe von Pendelschwingungen verwandelt, welche scheinbar von selbst und ohne Zuthun des Beobachters eintreten, und deshalb dem Einfl\u00fcsse verborgener Metalle oder Quellen u. s. w. zugeschrieben wurden.\nWenn man dagegen die Bewegungen der Hand absichtlich entgegengesetzt ausf\u00fchrt, als vorgeschrieben ist, so kommt das Pendel bald zur Ruhe.\nDie Erkl\u00e4rung des Verfahrens ist einfach. Ist das obere Ende des Fadens unverr\u00fcckbar befestigt, so f\u00e4hrt das Pendel, einmal angestossen, in seinen Schwingungen lange Zeit fort, und deren Gr\u00f6sse vermindert sich nur sehr langsam. Die Gr\u00f6sse der Schwingungen k\u00f6nnen wir uns gemessen denken durch den Winkel, den der Faden bei seiner \u00e4ussersten Abweichung von derVer-ticallinie mit dieser bildet. Befindet sich nun der angeh\u00e4ngte K\u00f6rper in der \u00e4ussersten Abweichung nach rechts, und verr\u00fccken wir die Hand nach links, so machen wir den Winkel zwischen dem Faden und der Verticallinie offenbar gr\u00f6sser, also auch die Schwingungsweite gr\u00f6sser. W\u00fcrden wir das obere Ende des Fadens in entgegengesetzter Richtung bewegen, so w\u00fcrden wir die Schwingungsweite verkleinern.\nWir brauchen hierbei die Bewegungen der Hand nicht in demselben Takte auszuf\u00fchren wie das Pendel schwingt. Wir k\u00f6nnen auch auf je drei, je f\u00fcnf oder mehr Pendelschwingungen einen Hin- und Hergang der Hand ausfiihren, und doch starke Schwingungen erregen. So zum Beispiel: wenn das Pendel rechts steht, verr\u00fccken wir die Hand nach links, halten sie still, bis das Pendel nach links, wieder nach rechts und dann nochmals nach links","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\tErste Abtheilung. Dritter Abschnitt.\ngekommen ist, gehen zur\u00fcck in die fr\u00fchere Lage der Hand, warten bis das Pendel nach rechts, dann nach links, wieder nach rechts gekommen ist, und beginnen nun erst wieder die erste Handbewegung. Dabei kommen drei ganze Pendelschwingungen auf einen Hin- und Hergang der Hand. Ebenso k\u00f6nnen wir f\u00fcnf, sieben oder mehr Pendelschwingungen auf eine Handbewegung . kommen lassen. Der Sinn dieses Verfahrens ist immer der, dass die Handbewegung jedesmal nur zu einer solchen Zeit eintreten muss, wo sie der Abweichung des Pendels entgegen gerichtet ist, und daher diese vermehrt.\nAuch k\u00f6nnen wir bei einer kleinen Ab\u00e4nderung des Verfahrens zwei, vier, sechs u. s. w. Pendelschwingungen auf eine Handbewegung kommen lassen. Wenn wir n\u00e4mlich eine pl\u00f6tzliche Verschiebung der Hand eintreten lassen, w\u00e4hrend das Pendel durch die Verticallinie geht, so ver\u00e4ndert dies die Gr\u00f6sse der Schwingungen nicht. Man verschiebe also die Hand nach links, wenn das Pendel rechts steht und beschleunige es dadurch, lasse t es nach links kommen, dann, wenn es w\u00e4hrend des Zur\u00fcckganges durch die Verticallinie geht, f\u00fchre man die Hand in die erste Lage zur\u00fcck, lasse es das rechte,' dann wieder das linke und wieder das rechte Ende seines Bogens erreichen, und beginne nun die erste Handbewegung von Neuem.\nWir k\u00f6nnen also kr\u00e4ftige Bewegung des Pendels durch sehr -kleine periodische Bewegungen der Hand hervorbringen, deren Periode gleich, oder zwei, drei, vier u. s. w. Mal so gross ist, als die Schwingungsdauer des Pendels. Wir haben bisher die Bewegung der Hand als ruckweise betrachtet, das braucht sie, aber nicht zu sein. Sie kann auch continuirlich in jeder beliebigen anderen Weise vor sich gehen. Bei einer continuirlichen Bewegung der Hand wird es im Allgemeinen Zeiten geben, wo sie die Bewegung des Pendels vergr\u00f6ssert, und vielleicht auch andere, wo sie diese Bewegung verkleinert. Um das Pendel in starke Schwingungen zu versetzen, wird es darauf ankommen, dass die Beschleunigungen der Bewegung dauernd \u00fcberwiegen, und sie nicht durch die Summe der Verkleinerungen aufgehoben werden.\nWenn nun eine bestimmte periodische Bewegung der Hand vorgeschrieben w\u00e4re, und wrir bestimmen wollten, ob dadurch starke Pendelschwingungen hervorgebracht werden k\u00f6nnen, so w\u00fcrde sich der Erfolg ohne Rechnung nicht immer von vorn herein \u00fcbersehen lassen. Die theoretische Mechanik aber w\u00fcrde","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Mechanik des Mitt\u00f6nens.\t65\nfolgendes Verfahren vorschreiben, um dar\u00fcber zu entscheiden: Man zerlege die periodische Bewegung der Hand in eine Summe einfacher pendelartiger Schwingungen der Hand, gerade in derselben Weise, wie wir es im vorigen Abschnitte f\u00fcr die periodischen Bewegungen der Lufttheilchen besprochen haben. Ist die Periode einer dieser Schwingungen gleich der Schwingungsdauer des Pendels, so wird das Pendel in starke Schwingungen versetzt, sonst nicht. Man mag \u00fcbrigens kleine pendelartige Bewegungen der Hand von anderer Schwingungsdauer zusammensetzen, wie man will, so w\u00fcrden keine dauernden starken Schwingungen des Pendels entstehen. Somit hat hier die Zerlegung in pendelartige Schwingungen eine besondere reelle Bedeutung, von welcher bestimmte mechanische Wirkungen abh\u00e4ngen, und es kann f\u00fcr den hier vorliegenden Zweck keine andere Zerlegung der Handbewegung in irgend welche Partialbewegungen substituirt werden.\nIn den vorher besprochenen Beispielen konnte das Pendel mitschwingen, wenn die Hand in demselben Takt sich bewegte, wie das Pendel schwang; dann war die l\u00e4ngste einfache Partialschwingung der Hand, die dem Grundtone einer t\u00f6nenden Schwingung entspricht, mit dem Pendel in Uebereinstimmung. Wenn drei Schwingungen des Pendels auf einen Hin- und Hergang der Hand kamen, war es die dritte Partialschwingung der Hand, gleichsam der Duodecime ihres Grundtons entsprechend, welche das Pendel in Bewegung setzte u. s. w.\nGanz dasselbe, was wir hier f\u00fcr Schwingungen gr\u00f6sserer Dauer kennen gelernt haben, gilt nun auch f\u00fcr Schwingungen von so kurzer Dauer wie die Tonschwingungen. Jeder elastische K\u00f6rper, welcher bei seiner vorhandenen Befestigungsart im Stande ist, einmal in Bewegung gesetzt, l\u00e4ngere Zeit fortzut\u00f6nen, kann auch zum Mitt\u00f6nen gebracht werden, wenn ihm eine periodische Ersch\u00fctterung von vergleichsweise sehr kleinen Excursionen mit-getheilt wird, deren Periode der Schwingungsdauer seines eigenen Tons entspricht.\nMan hebe leise und ohne die Saite anzuschlagen eine Taste eines Claviers, so dass die betreffende Saite nur von ihrem D\u00e4mpfer befreit ist, und singe kr\u00e4ftig den Ton dieser Saite in das Innere des Claviers hinein, so wird man, indem man zu singen auf h\u00f6rt, den Ton aus dem Clavier nachklingen h\u00f6ren. Mau wird sich auch leicht \u00fcberzeugen, dass die dem gesungenen Tone gleichge-\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik,\n5","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\tErste Abtheilung.' Dritter Abschnitt.\nstimmte Saite es ist, die den Nachhall erzeugt; denn wenn man die Taste losl\u00e4sst, so dass der D\u00e4mpfer sich auf die Saite legt, h\u00f6rt das Nachklingen auf. Noch besser erkennt man das Mitschwingen der Saite, wenn man kleine Papierschnitzelchen auf ihr reiten l\u00e4sst. Diese werden abgeworfen, sobald die Saite in Schwingung ger\u00e4th. Die Saite schwingt desto st\u00e4rker, je genauer von dem S\u00e4nger ihr Ton getroffen ist. Eine sehr kleine Abweichung von der richtigen Tonh\u00f6he l\u00e4sst das Mitschwingen schon aufh\u00f6ren.\nBei diesem Versuche wird zun\u00e4chst der Resonanzboden des Instruments von den Luftschwingungen getroffen, die die menschliche Stimme erregt. Der Resonanzboden besteht bekanntlich aus einer breiten, biegsamen Holzplatte, welche wegen ihrer grossen Oberfl\u00e4che besser geeignet ist, die Ersch\u00fctterungen der Saiten an die Luft und der Luft an die Saiten zu \u00fcbertragen, als es bei der kleinen Ber\u00fchrungsfl\u00e4che zwischen Luft und Saite direct geschehen kann. Der Resonanzboden leitet die Ersch\u00fctterungen; welche die von dem Gesangston ersch\u00fctterte Luftmasse ihm mitgetheilt hat, zun\u00e4chst nach den Befestigungspunkten der Saiten hin, und theilt sie diesen mit. Die Gr\u00f6sse einer jeden einzelnen solchen Ersch\u00fctterung ist allerdings verschwindend klein; es m\u00fcssen sich die Wirkungen einer sehr langen Reihe derselben addiren, bis dadurch eine merkliche Bewegung der Saite entstehen kann, und eine solche fortdauernde Addition der Wirkungen wird in der That stattfinden, wie in den vorausgehenden Versuchen mit der Glocke und den Pendeln, wenn die Periode der kleinen Ersch\u00fctterungen, die die Luft mittelst des Resonanzbodens den Enden der Saiten mittheilt, genau deren eigener Schwingungsdauer entspricht. Ist das der Fall, so wird in der That die Saite nach einer l\u00e4ngeren Reihe von Schwingungen in eine verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig zu den Ersch\u00fctterungen ihrer Endpunkte sehr starke Bewegung gesetzt werden.\nStatt der menschlichen Stimme k\u00f6nnen wir \u00fcbrigens auch ein beliebiges musikalisches Instrument ert\u00f6nen lassen; vorausgesetzt nur, dass es den Ton einer der Claviersaiten rein, stark und ausdauernd angeben kann, so wird es sie mitschwingen machen. Statt des Claviers wiederum k\u00f6nnen wir eine Violine, Guitarre, Harfe oder ein anderes Saiteninstrument mit Resonanzboden brauchen, ferner auch gespannte Membranen, Glocken, elastische Platten u. s. w., vorausgesetzt nur, dass die letzteren pas-","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Verschiedene Breite des Mitt\u00f6nens.\t67\nsend befestigt sind, um einmal angeschlagen einen Ton von merklicher Dauer zu geben.\nWenn die Tonh\u00f6he des urspr\u00fcnglich t\u00f6nenden K\u00f6rpers nicht ganz genau der des mitt\u00f6nenden K\u00f6rpers gleich ist, so schwingt der letztere doch oft noch merklich mit, desto weniger, je gr\u00f6sser die Differenz der Tonh\u00f6he ist. In dieser Beziehung zeigen aber die verschiedenen t\u00f6nenden K\u00f6rper sehr grosse Unterschiede, je nachdem sie einmal angestossen und in Schwingung versetzt, l\u00e4ngere oder k\u00fcrzere Zeit fortt\u00f6nen, ehe sie ihre Bewegung an die Luft abgegeben haben.\nK\u00f6rper von geringer Masse, welche ihre Bewegung leicht an die Luft abgeben und schnell aust\u00f6nen, wie z. B. gespannte Membranen, Saiten einer Violine, sind leicht in Mitschwingung zu versetzen, weil auch r\u00fcckw\u00e4rts die Bewegung der Luft wieder leicht auf sie \u00fcbertragen wird, und sie werden auch von solchen hinreichend starken Luftersch\u00fctterungen merklich bewegt, welche nicht ganz die gleiche Schwingungsdauer haben, wie der eigene Ton dieser K\u00f6rper ; daher sind die Grenzen der Tonh\u00f6he ein wenig breiter, \u201e durch deren Anstimmen man das Mitschwingen hervorrufen kann. Durch den verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig gr\u00f6sseren Einfluss der Luftbewegung auf solche leichte und wenig widerstandsf\u00e4hige elastische K\u00f6rper kann deren eigene Schwingungsdauer ein wenig ver\u00e4ndert werden, so dass sie sich der des erregenden Tons anpasst. Massige und schwer bewegliche elastische K\u00f6rper dagegen, welche ihre Schallbewegung nur langsam an die Luft abgeben, wie Glocken und Platten, und lange Zeit nacht\u00f6nen, sind auch schwer von der Luft aus in Bewegung zu setzen. Es geh\u00f6rt eine viel l\u00e4ngere Addition der Wirkungen dazu, und deshalb ist es auch nothwendig, die Tonh\u00f6he ihres eigenen Tons viel strenger einzuhalten, wenn man sie in Mitschwingung setzen will. Doch ist bekannt, dass man glockenf\u00f6rmige Gl\u00e4ser, in die man ihren eigenen Ton hineinsingt, in heftige Bewegung setzen kann ; es wird sogar erz\u00e4hlt, dass S\u00e4nger von starker und reiner Stimme dergleichen Gl\u00e4ser so stark zum Mitschwingen gebracht haben, dass sie zersprangen. Die Hauptschwierigkeit bei diesem Versuche ist nur, bei starker Anstrengung der Stimme die Tonh\u00f6he so sicher und genau und lange festzuhalten, wie es hierzu n\u00f6thig ist.\nAm schwersten sind Stimmgabeln in Mitschwingung zu setzen. Um es zu k\u00f6nnen muss man sie auf Besonanzk\u00e4sten befestigen^ die selbst auf den Ton der Gabel abgestimmt sind, wie neben-","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\tErste Abtheilung. Dritter Abschnitt.\nstehende Fig. 13 zeigt. Hat man zwei dergleichen, die genau gleiche Schwingungsdauer haben, und streicht die eine Gabel mit\ndem Violinbogen, so f\u00e4ngt auch die andere an mitzuschwingen, selbst wenn sie an einem entfernten Orte desselben Zimmers steht, und man h\u00f6rt die zweite den Ton fortsetzen, wenn man die Schwingungen der ersten d\u00e4mpft. Es ist dies einer der auffallendsten F\u00e4lle des Mitschwingens, wenn man die schwere und starke Stahlmasse, welche in Bewegung gesetzt wird, vergleicht mit der leichten nach-gi\u00e8bigen Luftmasse, welche diese Wirkungen mittelst so geringer Druckkr\u00e4fte hervorbringt, dass ihre Ersch\u00fctterung keinFeder-chen in Bewegung zu setzen vermag, wenn das Federchen nicht etwa auf denselben Ton stimmt wie die Stimmgabel. Bei solchen Gabeln ist \u00fcbrigens die Zeit, welche sie brauchen um durch Mitt\u00f6nen in volle Schwingung zu kommen, von merklicher Gr\u00f6sse, und die allerkleinste Verstimmung gen\u00fcgt schon, das Mitschwingen zwischen ihnen sehr merklich zu schw\u00e4chen. Man braucht zu dem Ende nur ein kleines St\u00fcckchen Wachs auf eine der Zinken der zweiten Gabel zu kleben, so dass sie etwa eine Schwingung in der Secunde weniger macht als die andere; dies gen\u00fcgt, um das Mitschwingen vollst\u00e4ndig aufzuheben, selbst wenn die Differenz der Tonh\u00f6he vom besten Ohre noch kaum aufgefasst werden kann.\nNachdem wir so die Erscheinung des Mitschwingens im Allgemeinen beschrieben haben, m\u00fcssen wir den Einfluss der verschiedenen Wellenformen des Klanges beim Mitt\u00f6nen untersuchen.\nZun\u00e4chst ist zu bemerken, dass die meisten elastischen K\u00f6rper, wenn sie durch irgend eine schwache periodisch wirkende Kraft in anhaltende Schwingungen versetzt werden, mit wenigen Ausnahmen, welche sp\u00e4ter n\u00e4her besprochen werden sollen, stets","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"69\nEinfluss der Partialt\u00f6ne beim Mitt\u00f6nen.\nin pendelartige Schwingungen gerathen. Meistens k\u00f6nnen sie aber mehrere Arten solcher Schwingungen ausf\u00fchren, bei denen sowohl die Schwingungsdauer als auch die Art, wie die Schwingungen \u00fcber die verschiedenen Theile des schwingenden K\u00f6rpers vertheilt sind, verschieden ist. Den verschiedenen Gr\u00f6ssen der Schwingungsdauer entsprechen also verschiedene T\u00f6ne, die ein solcher elastischer K\u00f6rper hervorbringen kann, die sogenannten eigenen T\u00f6ne des K\u00f6rpers, welche aber nur ausnahmsweise, wie beiden Saiten und bei den engeren Arten der Orgelpfeifen, in ihrer Tonh\u00f6he den fr\u00fcher erw\u00e4hnten harmonischen Obert\u00f6nen eines musikalischen Klanges entsprechen, vielmehr meistentheils unharmonisch zum Grundtone sind.\nIn vielen F\u00e4llen kann man die Schwingungen und ihre Ver-theilung \u00fcber den schwingenden K\u00f6rper durch ein wenig aufgestreuten feinen Sand leicht sichtbar machen. Nehmen wir z. B. eine Membran (thierische Blase oder eine d\u00fcnne Kautschukmembran). die \u00fcber einen kreisf\u00f6rmigen Ring gespannt ist. In Fig. 14\nFig. 14.\nsind verschiedene Formen, die eine Membran beim Schwingen annehmen kann, abgebildet. Die Durchmesser und Kreise auf der Fl\u00e4che der Membran bezeichnen solche Punkte, die beim Schwingen in Ruhe bleiben, sogenannte Knotenlinien. Durch die Knotenlinien wird die Fl\u00e4che in eine Anzahl verschiedener Ab-","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\tErste Abtheilung. Dritter Abschnitt.\ntheilungen getheilt, welche sich abwechselnd nach oben und nach unten ausbiegen, und zwar so, dass w\u00e4hrend die mit -f- bezeich-neten sich nach oben biegen, die mit \u2014 bezeichneten es nach unten thun. Ueber den Figuren a, b, c sind die Formen gezeichnet, die die Membran auf einem Querschnitt w\u00e4hrend der Bewegung zeigen w\u00fcrde. Es sind hier nur diejenigen Formen der Bewegung dargestellt, welche den tiefsten und am leichtesten hervorzubringenden T\u00f6nen der Membran entsprechen. Uebrigens kann die Zahl der Kreise und Durchmesser beliebig gr\u00f6sser werden, wenn nur die Membran d\u00fcnn genug und gleichm\u00e4ssig genug gespannt ist, wodurch man dann immer h\u00f6here und h\u00f6here T\u00f6ne erh\u00e4lt. Durch Aufstre\u00fcen von Sand lassen sich die gezeichneten Schwingungsfiguren leicht sichtbar machen ; sowie die Membran zu schwingen beginnt, sammelt sich der Sand auf den Knotenlinien.\nIn \u00e4hnlicher Weise k\u00f6nnen die Knotenlinien und Schwingungsformen von ovalen oder viereckigen Membranen, von verschieden gestalteten ebenen elastischen Platten, St\u00e4ben u. s. w. sichtbar gemacht werden. Es ist dies eine Reihe sehr interessanter Erscheinungen, die von Chladni entdeckt.sind, deren n\u00e4here Beschreibung uns aber von unserem Wege abf\u00fchren w\u00fcrde. Es gen\u00fcge deshalb hier, den einfachsten Fall, den einer kreisf\u00f6rmigen Membran, n\u00e4her zu besprechen.\nF\u00fcr die Zeit, innerhalb deren die Membran bei der Schwingungsform a 100 Schwingungen ausf\u00fchrt, ist die Zahl der Schwingungen bei den anderen Formen folgende:\nSchwingungsf'orm\tSchwingungszahl\tTonh\u00f6he\na ohne Knotenlinie\t\t100\tc\nb mit einem Kreise\t\t229,6\td' +\ne mit zwei Kreisen\t\t359,9\tb' +\nd mit einem Durchmesser\t\t159\tas\ne mit einem Durchmesser und einem Kreise\t292\t</-\n/ mit zwei Durchmessern\t\t214\teis'\nDen Grundton habe ich willk\u00fcrlich c genannt, nur um darnach die Intervalle der h\u00f6heren T\u00f6ne bezeichnen zu k\u00f6nnen. Die T\u00f6ne, welche auf der Membran etwas h\u00f6her sind als die angege-","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"71\nEinfluss der Partialt\u00f6ne beim Mitt\u00f6nen.\nbene Note, sind mit -j-, die, welche niedriger sind, mit \u2014 bezeichnet. Es fehlt hier jedes rationale Verh\u00e4ltnis zwischen dem Grundton und den \u00fcbrigen T\u00f6nen.\nWenn man eine solche Membran ganz d\u00fcnn mit feinem Sand bestreut und ihren Grundton in der N\u00e4he kr\u00e4ftig angiebt, so sieht man den Sand, von den Schwingungen der Membran ersch\u00fcttert, nach dem Rande hinfliegen und sich dort sammeln. Giebt man einen der anderen Membrant\u00f6ne an, so sammelt sich der Sand in den betreffenden Knotenlinien der Membran, und man kann daraus leicht erkennen, auf welchen ihrer T\u00f6ne die Membran geantwortet hat. Ein S\u00e4nger, der die T\u00f6ne der Membran gut zu treffen weiss, kann leicht aus der Ferne her den Sand nach Belieben in diese oder jene Anordnung bringen, indem er nur die betreffenden T\u00f6ne kr\u00e4ftig angiebt. Doch werden im Allgemeinen die einfacheren Figuren der tiefen T\u00f6ne leichter erzeugt, als die zusammengesetzten der h\u00f6heren. Am leichtesten ist es, die Membran durch Angabe ihres Grundtons in allgemeine Bewegung zu setzen, und man hat deshalb in der Akustik dergleichen Membranen viel gebraucht, um das Vorhandensein eines bestimmten Tones an bestimmten Stellen des Luftraumes nachzuweisen. Am zweckm\u00e4ssigsten ist es zu dem Ende die Membran noch mit einem Luftraum zu verbinden. A, Eig. 15, ist eine Glasflasche, deren\nM\u00fcndung bei \u00ab offen ist, ihr Boden bei b ist weggesprengt, und an seiner Stelle eine Membran (nasse Schweinsblase, die man, nachdem sie aufgezogen und befestigt ist, trocknen l\u00e4sst) aufgespannt. Bei c ist mit Wachs ein Coconf\u00e4dchen befestigt, welches ein Siegellacktr\u00f6pfchen tr\u00e4gt. Letzteres h\u00e4ngt wie ein Pendel herab und legt sich gegen die Membran. So wie die Membran in Schwingung ger\u00e4th, macht das Pendelchen die heftigsten Spr\u00fcnge. Die Anwendung eines solchen Pendelchens ist sehr bequem, wenn man keine Verwechselung des Grundtons der Membran mit einem anderen ihrer Eigent\u00f6ne zu f\u00fcrchten hat. Es fliegt nicht fort, wie der Sand, und der Apparat ist stets zu seiner Function bereit. Will man aber die T\u00f6ne sicher unterschei-\nFig. 15.","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\tErste Abtheilung. Dritter Abschnitt.\nden, welche die Membran in Schwingung versetzen, so muss man die Flasche mit der M\u00fcndung nach unten stellen und Sand auf die Membran streuen. Wenn \u00fcbrigens die Flasche die richtige Gr\u00f6sse hat, und die Membran \u00fcberall gleichm\u00e4ssig gespannt und befestigt ist, so giebt auch nur der Grundton der Membran (etwas ver\u00e4ndert durch die mitschwingende Luftmasse der Flasche) leicht an. Den Grundton der Membran macht man tiefer, wenn man die Gr\u00f6sse der Membran oder das Volumen der Flasche gr\u00f6sser nimmt, oder die Membran weniger spannt, oder endlich die Oeff-nung der Flasche verengert.\nEine solche Membran, frei oder \u00fcber den Boden einer Flasche gespannt, wird nun nicht bloss durch Kl\u00e4nge, deren Tonh\u00f6he ihrem eigenen Tone gleich istT in Schwingung gerathen, sondern auch durch solche, in welchen der eigene Ton der Membran als Oberton enthalten ist. Ueberhaupt wenn eine beliebige Menge von Wellensystemen in der Luft sich kreuzen, muss man, um zu erfahren, ob die Membran mitschwingen wird, die Bewegung der Luft am Orte der Membran in eine Summe pendelartiger Schwingungen mathematisch zerlegt denken. Ist unter diesen ein Glied, dessen Schwingungsdauer der Schwingungsdauer eines der Membrant\u00f6ne gleich ist, so wird die betreffende Schwingungsform der Membran eintreten. Fehlen aber bei einer solchen Zerlegung der Luttbewegung die den Membrant\u00f6nen entsprechenden Glieder, oder sind sie zu klein, so wird die Membran in Ruhe bleiben.\nAlso auch hier finden wir, dass die Zerlegung der Luftbewegung in pendelartige Schwingungen und die Existenz gewisser Schwingungen dieser Art entscheidend f\u00fcr das Mitschwingen der Membran ist, und es kann hierbei statt der Zerlegung in pendelartige Schwingungen keine andere \u00e4hnliche Zerlegung der Luftbewegung substituirt werden. Die pendelartigen Schwingungen, in welche die zusammengesetzte Luftbewegung zerlegt werden kann, beweisen sich hier als wirkungskr\u00e4ftig in der Aussenwelt, unabh\u00e4ngig vom Ohre, und unabh\u00e4ngig von der mathematischen Theorie. Es best\u00e4tigt sich also hierdurch, dass die theoretische Betrachtungsweise, durch welche die Mathematiker zuerst auf diese Art der Zerlegung zusammengesetzter Schwingungen kamen, wirklich in der Natur der Sache begr\u00fcndet ist.\nIch lasse als Beispiel hier noch die Beschreibung eines einzelnen Versuches folgen:\nEine Flasche von der in Fig 15 abgebildeten Gestalt, mit","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"73\nResonatoren.\neiner d\u00fcnnen vulkanisirten Kautschukmembran \u00fcberspannt, deren schwingender Theil 49 Mm. im Durchmesser hatte, w\u00e4hrend die Flasche 140 Mm. hoch war und in der Messingfassung eine Oeff-nung von 13 Mm. Durchmesser hatte, gab angeblasen fis\u2019, wobei sich der Sand in einem Kreise nahe dem Rande der Membran aufh\u00e4ufte. Derselbe Kreis wurde hervorgebracht, wenn ich auf einer Physharmonika denselben Tones', oder seine tiefere Octave fis, oder die tiefere Duodecime H angab; schw\u00e4cher gaben auch Fis und D denselben Kreis. Jenes fis\u2019 der Membran ist Grundton des Physharmonikaklanges fis\u2019, erster Oberton von fis, zweiter von H, dritter von Fis. vierter von I). Deshalb konnten alle diese Noten angeschlagen die Membran in Bewegung setzen, und zwar'in Form ihres tiefsten Tons. Ein zweiter kleinerer Kreis wurde durch h! auf der Membran hervorgebracht mit 19 Mm. Durchmesser, derselbe schw\u00e4cher durch h, spurweise durch die tiefere Duodecime e, also durch die T\u00f6ne, deren Schwingungszahl */2 und 1J3 von der des h' ist.\nDergleichen gespannte Membranen sind nun zu diesen und \u00e4hnlichen Versuchen \u00fcber Partialt\u00f6ne von zusammengesetzten Klangmassen sehr brauchbar. Sie haben den grossen Vorzug, dass bei ihrer Anwendung das Ohr gar nicht ins Spiel kommt5 aber sie sind nicht sehr empfindlich gegen schw\u00e4chere T\u00f6ne. In der Empfindlichkeit werden sie bei weitem \u00fcbertroffen durch die von mir angegebenen Resonatoren. Es sind das gl\u00e4serne Hohlkugeln oder R\u00f6hren mit zwei Oeffnungen, abgebildet in Fig. 16 a und b (a. f. S.). Die eine Oeffnung a hat scharf abgeschnittene R\u00e4nder, die andere b ist trichterf\u00f6rmig und so geformt, dass man sie in- das Ohr einsetzen kann. Die letztere pflege ich mit geschmolzenem Siegellack zu umgeben, und wenn dieser so weit erkaltet ist, dass er zwar mit den Fingern ungestraft ber\u00fchrt werden kann, aber doch noch weich ist, dr\u00fccke ich diese Oeffnung in den Geh\u00f6rgang ein. Der Siegellack formt sich dann nach der inneren Oberfl\u00e4che des letzteren, und wenn man sp\u00e4ter die Kugel an das Ohr setzt, so schliesst sie leicht und vollst\u00e4ndig dicht. Ein solcher Resonator ist der vorher beschriebenen Resonanzflasche im Ganzen sehr \u00e4hnlich, nur dass hier an Stelle der dort angewendeten k\u00fcnstlichen elastischen Membran das Trommelfell des Beobachters tritt.\nDie Luftmasse eines solchen Resonators in Verbindung mit der des Geh\u00f6rganges und mit dem Trommelfell bildet ein elastisches","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\tErste Abtheiluiig. Dritter Abschnitt.\nSystem, welches eigent\u00fcmlicher Schwingungen f\u00e4hig ist, und namentlich wird der Grundton der Kugel, welcher viel tiefer ist.\nFig\\ 16 a.\nals alle ihre anderen Eigent\u00f6ne, durch Mitt\u00f6nen in grosser St\u00e4rke hervorgerufen. Das Ohr in unmittelbarer Verbindung mit der inneren Luft der Kugel nimmt diesen verst\u00e4rkten Ton dann auch unmittelbar wahr. Hat man sich das eine Ohr verstopft (am besten durch einen Siegellackpfropf, den man nach der\nGestalt des Geh\u00f6rganges geformt hat) und setzt an das andere einen solchen Resonator, so h\u00f6rt man die meisten T\u00f6ne, welche in der Umgebung hervorgebracht werden, viel ged\u00e4mpfter als sonst; wird dagegen der Eigenton des Resonators angegeben, so schmettert dieser mit gewaltiger St\u00e4rke in das Ohr hinein. Es wird dadurch .Tedermann, auch seihst mit musikalisch ganz unge\u00fcbtem oder harth\u00f6rigem Ohr, in den Stand gesetzt, den betreffenden Ton, selbst wenn er ziemlich schwach ist, aus einer grossen Zahl von anderen T\u00f6nen herauszuh\u00f6ren, ja man bemerkt den Ton des Resonators sogar zuweilen im Sausen des Windes, im Rasseln der Wagenr\u00e4der, im Rauschen des Wassers auftauchend. Es sind f\u00fcr diese Zwecke die genannten Resonatoren ein ausserordentlich viel empfindlicheres Mittel, als es die abgestimmten Membranen sind. Wenn der wahrzunehmende Ton verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig zu den begleitenden T\u00f6nen sehr schwach ist, ist es vortheilhaft, den Resonator abwechselnd an das Ohr anzusetzen, und wieder zu entfernen. Man bemerkt dann leicht, ob der Ton des Resonators beim Ansetzen zum Vorschein kommt oder nicht, w\u00e4hrend man einen gleichm\u00e4ssig anhaltenden Ton nicht so leicht wahrnimmt.","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Resonatoren.\t75\nEine abgestimmte Reihe solcher Resonatoren ist deshalb ein wichtiges Mittel, welches einerseits dem musikalisch unge\u00fcbten Ohre erlaubt, eine Menge von Untersuchungen durchzuf\u00fchren, bei denen es darauf ankommt, einzelne schwache T\u00f6ne neben anderen st\u00e4rkeren deutlich wahrzunehmen, wie die Combinationst\u00f6ne, Obert\u00f6ne und eine Reihe von anderen, sp\u00e4ter zu beschreibenden Erscheinungen bei den Accorden, zu deren Beobachtung sonst immer ein ge\u00fcbtes musikalisches Ohr oder eine sehr angestrengte und zweckm\u00e4ssig unterst\u00fctzte Anspannung der Aufmerksamkeit geh\u00f6rt, weshalb auch bisher die genannten Ph\u00e4nomene nur der Beobachtung weniger Individuen zug\u00e4nglich waren, und eine Menge von Physikern und selbst Musikern existirten, denen es niemals gelungen war, sie zu unterscheiden. Andererseits gelingt es nun auch dem ge\u00fcbten Ohre, die Analyse einer Tonmasse, unterst\u00fctzt von den Resonatoren, viel weiter zu treiben, als es bisher der Fall war. Ohne sie w\u00fcrde es mir schwerlich gelungen sein, die Beobachtungen, welche im Folgenden beschrieben werden sollen, so genau und so sicher anzustellen, als ich es jetzt gekonnt habe *).\nEs ist hierbei wohl zu bemerken, dass das Ohr den betreffenden Ton nur insofern st\u00e4rker h\u00f6rt, als derselbe in der Luftmasse des Resonators eine gr\u00f6ssere Intensit\u00e4t erreicht. Nun lehrt \u00fcbrigens die mathematische Theorie der Luftbewegungen, dass, so lange wir es mit hinreichend kleinen Schwingungen zu thun haben, die Luft im Resonator Pendelschwingungen von eben denselben Perioden ausf\u00fchrt, wie die \u00e4ussere Luft, und keine anderen, und dass nur die Intensit\u00e4t derjenigen Pendelschwingungen, deren Periode dem Eigenton des Resonators entspricht, eine bedeutende H\u00f6he erreicht, die Intensit\u00e4t aller anderen desto geringer bleibt, je mehr sie von der des Eigentons abweichen. Das mit dem Resonator verbundene Ohr kommt hierbei gar nicht weiter in Betracht, als dass sein Trommelfell die Luftmasse desselben abschliessen hilft. In theoretischer Beziehung ist der Apparat den fr\u00fcher beschriebenen Flaschen mit schwingender Membran, Fig. 15, ganz gleichartig, nur wird seine Empfindlichkeit dadurch ausserordentlich gesteigert, dass die elastische Membran des Resonators gleichzeitig das Trommelfell des Ohrs ist und in directer Verbin-\n*) Ueber die Maasse und die Anfertigung der Resonatoren siehe Beilage I.","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\tErste Abtheilung. Dritter Abschnitt.\nd\u00fcng mit den empfindenden Nervenapparaten dieses Organs steht. Wir bekommen also einen starken Ton im Resonator nur, wenn bei der Zerlegung der Luftbewegung des \u00e4usseren Raumes in pendelartige Schwingungen eine Pendelschwingung von der Periode des Eigentons des Resonators vorkommt, und auch hier wiederum w\u00fcrde keine andere Art der Zerlegung, als die in pendelartige Schwingungen, ein richtiges Resultat geben.\nMan kann sich durch Versuche von den angegebenen Eigenschaften der Resonatoren leicht \u00fcberzeugen. . Man setze einen solchen an das Ohr und lasse irgend- ein mehrstimmiges Musikst\u00fcck von beliebigen Instrumenten ausf\u00fchren, in dem \u00f6fters der Eigenton des Resonators vorkommt. So oft dieser Ton angegeben wird, wird das mit dem Resonator bewaffnete Ohr ihn gellend durch alle anderen T\u00f6ne des Accords hindurchdringen h\u00f6ren.\nSchw\u00e4cher wird es ihn aber oft auch h\u00f6ren, wenn tiefere Kl\u00e4nge angegeben werden, und zwar zeigt die n\u00e4here Untersuchung zun\u00e4chst, dass dies geschieht) wenn Kl\u00e4nge angegeben werden, zu deren harmonischen Obert\u00f6nen der Eigenton des Resonators geh\u00f6rt. Man nennt dergleichen tiefere Kl\u00e4nge auch wohl die harmonischen Untert\u00f6ne des Resonatortones. Es sind die Kl\u00e4nge, deren Schwingungsperiode gerade 2, 3, 4, 5 u. s. w. Mal gr\u00f6sser ist, als die des Resonatortones. Ist dieser also z. B. c\", so h\u00f6rt man ihn t\u00f6nen, wenn ein musikalisches Instrument angiebt: c',/, c, As, F, I), C u. s. w. In diesen F\u00e4llen t\u00f6nt der Resonator durch einen der harmonischen Obert\u00f6ne des im \u00e4usseren Luftr\u00e4ume angegebenen Klanges. Doch ist zu bemerken, dass nicht immer alle harmonischen Obert\u00f6ne in den Kl\u00e4ngen der einzelnen Instrumente verkommen, und dass sie bei verschiedenen auch sehr verschiedene St\u00e4rke haben. Bei den T\u00f6nen der Geigen, des Claviers, der Physharmonica sind die ersten 5 oder 6 meist deutlich vorhanden. Ueber die Obert\u00f6ne der Saiten folgt Genaueres im n\u00e4chsten Capitel. Auf der Physharmonica sind die ungeradzahligen T\u00f6ne meist st\u00e4rker als die geradzahligen. Ebenso h\u00f6rt man die Obert\u00f6ne mittelst der Resonatoren deutlich bei den .Gesangst\u00f6nen der menschlichen Stimme, aber verschieden stark bei verschiedenen Vocalen, worauf wir sp\u00e4ter zur\u00fcckkommen.","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Mitt\u00f6nen der Saiten.\t77\nUnter den K\u00f6rpern, welche starken Mitschwingens f\u00e4hig sind, sind noch die Saiten zu nennen, welche, wie im Pianoforte, mit einem Resonanzboden verbunden sind.\nDie Saiten unterscheiden sich nur dadurch einigermassen von den bisher genannten mitschwingenden K\u00f6rpern, dass ihre verschiedenen Schwingungsformen T\u00f6ne geben, die den harmonischen Obert\u00f6nen des Grundtons entsprechen, w\u00e4hrend die Nebent\u00f6ne, welche von Membranen, Glocken, St\u00e4ben u. s. w. bei anderer Schwingungsform gegeben werden, unharmonisch zum Grund-ton sind, und die Luftmassen der Resonatoren nur sehr hohe, meist unharmonische Obert\u00f6ne geben, deren Verst\u00e4rkung im Resonator sehr unbedeutend ist.\nDie Schwingungen von Saiten kann man entweder studiren an schwach gespannten, nicht t\u00f6nenden elastischen F\u00e4den, deren Schwingungen so langsam sind, dass man ihnen mit der Hand und mit dem Auge folgen kann, oder an t\u00f6nenden Saiten, wie denen des Claviers, der Guitarre, des Monochords oder der Violine. Die ersteren, nicht t\u00f6nenden Saiten verfertigt man sich aus einer 6 bis 10 Fuss langen, Spiralfeder von d\u00fcnnem Messingdraht. Selbige wird schwach ausgespannt, und mit beiden Enden befestigt. Eine solche Saite kann Schwingungen von sehr grossen Excursionen und grosser Regelm\u00e4ssigkeit machen, die leicht von einem grossen Auditorium gesehen werden. Man erregt ihre Schwingungen, wenn man nahe dem einen Ende die Saite mit den Fingern in passendem Takte hin- und herbewegt.\nEine Saite kann zun\u00e4chst so in Schwingung gesetzt werden, wie Fig. IT (a. f. S.) zeigt, dass ihre Form bei der Entfernung aus der Gleichgewichtslage stets der Form einer halben einfachen Welle gleich ist. Die Saite giebt dabei nur einen Ton, und zwar den tiefsten, den sie \u00fcberhaupt hervorbringen kann, ohne dass noch andere harmonische Nebent\u00f6ne zu h\u00f6ren sind.\nDie Saite kann aber w\u00e4hrend der Bewegung auch die Formen Fig. 17 b, c, d (a.f. S.) annehmen. Die Form der Saite ist in diesen Figuren gleich zwei, drei, vier halben Wellenl\u00e4ngen einer einfachen Wellenlinie. Bei der Schwingungsform b l\u00e4sst die Saite keinen anderen Ton als die h\u00f6here Octave ihres Grundtons h\u00f6ren, bei c die Duodecime, bei d die zweite Octave. Durch die punktirten Linien ist die Lage der Saite nach einer halben Schwingungszeit angezeichnet. Bei b bleibt der Punkt \u00df der Saite ganz in Ruhe, bei c ruhen zwei Punkte, n\u00e4mlich yx und y2,","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\tErste Abtheilung. Dritter Abschnitt.\nbei d drei Punkte, \u00f4\\, \u00f6'2, \u00f6>. Man nennt diese Punkte Knotenpunkte. An einer schwingenden Messingspirale erkennt man\nFig. 17.\nd\nsie leicht mit dem Auge, an einer t\u00f6nenden Saite dadurch, dass man ganz kleine Papierschnitzelchen auflegt, die von den bewegten Stellen der Saite abgeworfen werden, an den Knotenpunkten aber liegen bleiben. Wenn die Saite also durch einen Knotenpunkt in zwei schwingende Abtheilungen getheilt ist, giebt sie einen Ton, dessen Schwingungszahl doppelt so gross ist, als die des Grundtons. Bei drei Abtheilungen ist die Schwingungszahl die dreifache, bei vier die vierfache.\nEine Messingspirale bringt man dazu, in diesen verschiedenen Formen zu schwingen, wenn man sie entweder nahe ihrem einen Ende mit dem Finger taktm\u00e4ssig bewegt, und zwar f\u00fcr die Form a im Takte ihrer langsamsten Schwingungen, f\u00fcr b doppelt, f\u00fcr c dreifach, f\u00fcr d vierfach so schnell. Oder man unterst\u00fctzt einen der Knotenpunkte, der dem Ende der Saite am n\u00e4chsten ist, lose mit den Fingern, und zupft die Saite zwischen diesem Knotenpunkte und dem n\u00e4chsten Ende. Also wenn man y in Fig. 17 c, oder \u00d4, in Fig. 17 d festh\u00e4lt, zupft man bei e, dann treten bei der Schwingung auch die anderen Knotenpunkte hervor.\nAn einer t\u00f6nenden Saite bringt man die Schwingungsformen","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Mitt\u00f6nen der Saiten.\t79\nder Fig. 17 am reinsten hervor, wenn man auf ihren Resonanzboden eine angeschlagene Stimmgabel aufsetzt, welche den Ton giejot, der der entsprechenden Schwingungsform angeh\u00f6rt. Will man nur eine bestimmte Anzahl von Knotenpunkten hersteilen-, ohne zu verlangen, dass die einzelnen Punkte der Saite einfache Schwingungen ausf\u00fchren, so gen\u00fcgt es, einen der verlangten Knotenpunkte mit dem Finger leise zu ber\u00fchren, und die Saite anzuschlagen oder mit dem Bogen zu streichen. Durch die Ber\u00fchrung der Saite mit dem Finger d\u00e4mpft man alle diejenigen einfachen Schwingungen derselben, welche keinen Knotenpunkt an der ber\u00fchrten Stelle haben, und es bleiben nur diejenigen \u00fcbrig, welche die Saite dort ruhen lassen.\nDie Zahl der Knotenpunkte kann bei langen d\u00fcnnen Saiten ziemlich gross werden, bis endlich die St\u00fccke der Saite zwischen je zwei Knotenpunkten zu kurz und steif werden, um noch t\u00f6nen zu k\u00f6nnen. Sehr feine Saiten geben deshalb mehr hohe T\u00f6ne als dickere. Auf der Violine, an den tieferen Claviersaiten bringt man wohl noch T\u00f6ne mit zehn Abtheilungen der Saite hervor; an sehr feinen Drahtsaiten kann man aber selbst noch T\u00f6ne mit 16 oder 20 Abtheilungen der Saite ansprechen lassen.\nDie bisher beschriebenen Schwingungsformen der Saiten sind diejenigen, bei denen jeder Punkt der Saite sich in pendelartiger Schwingung hin- und herbewegt. Diese Bewegungen erregen im Ohre deshalb immer nur die Empfindung eines einzigen Tones. Bei allen anderen Bewegungsformen der Saiten sind die Schwingungen nicht einfach pendelartig, sondern geschehen nach einem abweichenden verwickelteren Gesetz. Dies ist immer der Fall, wenn man die Saite in der gew\u00f6hnlichen Weise mit den Fingern zupft (Guitarre, Harfe, Cither) oder schl\u00e4gt (Clavier) oder mit dem Violinbogen streicht. Die dann entstehenden Bewegungen k\u00f6nnen, angesehen werden, als w\u00e4ren sie zusammengesetzt aus vielen einfachen Schwingungen, welche einzeln den in Fig. 17 abgebildeten entsprechen. Die Mannigfaltigkeit solcher zusammengesetzter Bewegungsformen ist'unendlich gross, ja es kann die Saite w\u00e4hrend ihrer Bewegung jede beliebige Form annehmen (vorausgesetzt, dass man sich immer auf sehr kleine Abweichungen von der Gleichgewichtslage beschr\u00e4nkt), weil aus einer Anzahl solcher einfacher Wellen, wie sie in Fig. 17 a, b, c, d dargestellt sind, nach dem im zweiten Abschnitte Gesagten jede beliebige Wellenform zusammengesetzt werden kann. Eine gezupfte, geschlagene, ge-","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\tErste Abtheilung Dritter Abschnitt.\nstrichene Saite l\u00e4sst demgem\u00e4ss auch neben ihrem Grundton eine grosse Zahl von harmonischen Obert\u00f6nen h\u00f6ren, desto mehr in der Regel je feiner sie ist. Der eigenth\u00fcmlich klimpernde Klang sehr feiner Metallsaiten verdankt offenbar diesen hohen Nebent\u00f6nen seinen Ursprung. Man kann leicht mit Hilfe der Resonatoren die T\u00f6ne bis zum sechszehnten unterscheiden. Die h\u00f6heren r\u00fccken einander zu nahe, um sie noch deutlich zu trennen.\nWenn also eine Saite durch einen musikalischen Klang, der im umgebenden Luftr\u00e4ume erregt worden ist, und der ihrem Grundtone an H\u00f6he .entspricht, in Mitschwingung versetzt wird, so werden in der Regel eine ganze Reihe verschiedenartiger einfacher Schwingungsformen der Saite gleichzeitig erregt werden, da n\u00e4mlich, wenn der Grundton des Klanges dem Grundtone der Saite entspricht, auch alle harmonischen Obert\u00f6ne des Klanges den Obert\u00f6nen der Saite entsprechen, und die entsprechende Schwingungsform der Saite deshalb erregen k\u00f6nnen. Ueberhaupt wird die Saite durch Luftschwingungen so oft in Mitschwingung gebracht werden, als bei der Zerlegung jener Luftschwingungen in einfache Schwingungen darin Glieder Vorkommen, deren Schwna-gungsperiode einem der Saitent\u00f6ne entspricht, ln der Regel werden sich aber, wenn ein solches Glied vorhanden ist, noch mehrere finden, und es wird in vielen F\u00e4llen schwer zu ermitteln sein, durch welche T\u00f6ne unter denen, welche sie angeben kann, die Saite in Bewegung gesetzt ist. Deshalb sind die gew\u00f6hnlichen unbelasteten Saiten nicht so gut -wie Membranen oder die Luftmassen der Resonatoren zu gebrauchen, um durch ihr Mitschwingen die in einer Klangmasse vorhandenen T\u00f6ne zu finden.\nUm Versuche am Claviere \u00fcber das Mitschwingen der Saiten anzustellen, hebe man den Deckel des Instruments, so dass die Saiten frei liegen, dr\u00fccke dann die Taste der Saite, welche mit-schwingen soll, etwa c', langsam herab, ohne den Hammer zum Anschlag zu bringen, und lege quer \u00fcber die Saiten des c' ein kleines Holzsplitterchen. Man wird finden, dass das Splitterchen in Bewegung ger\u00e4th, oder selbst abgeworfen wird, wenn man gewisse andere Saiten des Claviers anschl\u00e4gt; die Bewegung des Splitterchens ist am st\u00e4rksten, wenn einer der Untert\u00f6ne des c' angeschlagen wird, also c, F, G, Ast, Fi, Di oder Oj. M\u00e4ssigere Bewegung tritt auch ein, wenn einer der Obert\u00f6ne des c' angeschlagen wird, c\", g\" oder c\"', doch bleibt im letzteren Falle das H\u00f6lzchen liegen, wenn man es auf die betreffenden Knotenpunkte","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"81\nMitt\u00f6nen der Saiten.\nder Saiten legt. Legt man es z. B. in die Mitte der Saite, so bleibt es ruhig beim c\" und d\" und bewegt sich beim g\". Legt man es auf Vg der Saitenl\u00e4nge, so bleibt es ruhig beim g'\\ bewegt sich beim c\" und d\". Endlich kann die Saite d auch noch in Bewegung gesetzt werden, wenn man einen Unterton eines ihrer Obert\u00f6ne angiebt, z. B. die Note /, deren dritter Partialton c\" identisch mit dem zweiten von d ist. Auch hier bleibt das H\u00f6lzchen ruhend, wenn man es in die Mitte der Saite e' legt, wo der Knotenpunkt des Tones c\" ist. Ebenso bewegt sich die Saite c', aber mit Bildung von zwei Knotenpunkten, wenn man g\\ g oder es angiebt, welchen T\u00f6nen mit dem d der Oberton g\" gemeinsam ist.\nIch bemerke noch, dass man am Clavier, wo das eine Ende der Saiten verdeckt zu sein pflegt, die Lage der Knotenpunkte leicht findet, wenn man den Finger leise an die beiden Saiten des betreffenden Tons andr\u00fcckt, und die Taste anschl\u00e4gt. Ber\u00fchrt der Finger einen der Knotenpunkte, so ert\u00f6nt der betreffende Oberton rein und laut. Sonst ist der Ton der Saite matt und schlecht.\nSo lange nur ein Oberton der Saite d erregt wird, kann man die betreffenden Knotenpunkte auffinden, und dadurch ermitteln, welche ihrer Schwingungsformen erregt ist. Das ist aber auf dem beschriebenen mechanischen Wege nicht mehr m\u00f6glich, wenn zwei Obert\u00f6ne gleichzeitig erregt werden, z. B. c\" und g'\\ falls diese beiden Noten gleichzeitig angeschlagen werden, dann ist die ganze Saite in Bewegung.\nWenn aber auch die Verh\u00e4ltnisse bei den Saiten f\u00fcr die Beobachtung verwickelter erscheinen, so sind sie doch demselben Gesetze unterworfen, wie das Mitschwingen der Resonatoren, der Membranen und anderer elastischer K\u00f6rper. Es entscheidet sich immer durch die Zerlegung der vorhandenen Schallbewegungen in einfache pendelartige Schwingungen. Stimmt die Periode von einer dieser Schwingungen mit der Periode eines der Eigent\u00f6ne des elastischen K\u00f6rpers \u00fcberein, sei dieser nun eine Saite, eine Membran oder eine Luftmasse, so wird derselbe in starke Mitschwingung versetzt.\nDadurch ist nun eine reelle Bedeutung f\u00fcr die Zerlegung der Schallbewegung in pendelartige einfache Schwingungen gewonnen, welche jeder anderen \u00e4hnlichen Zerlegung abgehen w\u00fcrde. Jedes einzelne einfache Wellensystem pendelartiger Schwingungen exi-stirt als ein f\u00fcr sich bestehendes mechanisches Ganze, verbreitet\nHelmholtz, phys, Theorie der Musik.\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\tErste Abtheilung. Dritter Abschnitt.\nsich, setzt andere elastische K\u00f6rper von entsprechendem Eigenton in Bewegung, ganz unabh\u00e4ngig von den gleichzeitig sich ausbreitenden anderen einfachen T\u00f6nen von anderer Tonh\u00f6he, die aus derselben oder einer anderen Tonquelle hervorgehen m\u00f6gen. Jeder einzelne Ton kann denn auch, wie wir gesehen haben, durch rein mechanische Mittel, n\u00e4mlich mitt\u00f6nende K\u00f6rper, aus der Kl\u00e4ngmasse ausgesondert werden. Jeder einzelne Partialton exi-stirt also ebensogut und in demselben Sinne in dem Klange, den ein einzelnes musikalisches Instrument hervorbringt, wie z. B. in dem weissen Lichte, was von der Sonne oder irgend einem gl\u00fchenden K\u00f6rper ausgeht, die verschiedenen Farben des Regenbogens exi-stiren. Das Licht ist auch nur eine schwingende Bewegung eines besonderen elastischen Mediums, des Licht\u00e4thers, wie der Schall eine der Luft ist. In einem Strahle weissen Lichtes findet eine Art der Bewegung statt, welche dargestellt werden kann als eine Summe vieler periodischer Bewegungen von verschiedener Schwin-gutfgsdauer, die den einzelnen Farben des Sonnenspectrum entsprechen. Aber nat\u00fcrlich hat ein jedes Aethertheilchen in jedem Augenblicke nur eine bestimmte Geschwindigkeit und nur eine bestimmte Abweichung von seiner Gleichgewichtslage, gerade wie die einzelnen Lufttheilchen in einem von vielen Tonwellenz\u00fcgen durchzogenen Raume. Die wirklich bestehende Bewegung jedes Aethertheilchens ist nat\u00fcrlich immer nur eine einzige; dass wir sie theoretisch als zusammengesetzt betrachten, ist in gewissem Sinne willk\u00fcrlich. Aber auch die Lichtwellenbewegung kann durch \u00e4ussere mechanische Mittel in die den einzelnen Farben entsprechenden Wellenz\u00fcge zerlegt werden, sei es durch Brechung in einem Prisma, sei es mittelst feiner Gitter, durch die man das Licht gehen l\u00e4sst, und mechanisch besteht jeder einfache Wellenzug des Lichtes, der einer einfachen Farbe entspricht, ganz f\u00fcr sich und unabh\u00e4ngig von allen anderen Farben.\nWir d\u00fcrfen es also nicht f\u00fcr eine T\u00e4uschung des Ohres oder eine Einbildung erkl\u00e4ren, wenn wir in dem Klange einer einzelnen Note irgend eines musikalischen Instruments viele Partialt\u00f6ne unterscheiden, wozu ich Musiker, trotzdem dass sie diese T\u00f6ne sehr wohl selbst h\u00f6rten, zuweilen geneigt gefunden habe. Wir m\u00fcssten dann auch die Farben des Spectrum, welche aus dem weissen Lichte ausgeschieden werden, f\u00fcr Sinnest\u00e4uschung halten. Die wirkliche objective Existenz der Partialt\u00f6ne l\u00e4sst sich eben","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Objective Existenz der Partialt\u00f6ne.\t83\njeden Augenblick durch eine mitschwingende Membran, die ihren Sand emporwirft, erweisen.\nIch bemerke schliesslich noch, dass ich mich in diesem Abschnitte betreffs der Bedingungen, von denen das Mitt\u00f6nen abh\u00e4ngt, vielfach auf die mechanische Theorie der Luftbewegung habe berufen m\u00fcssen. Da es sich in der Lehre von den Schallwellen um wohlbekannte rein mechanische Kr\u00e4fte, die des Luftdrucks n\u00e4mlich, und um Bewegungen der materiellen Lufttheilchen handelt, nicht um irgend welche hypothetische Erkl\u00e4rung, so ist die theoretische Mechanik in diesem Gebiete auch von einer vollkommen unanfechtbaren Autorit\u00e4t; ihre Resultate m\u00fcssen freilich von dem der mathematischen Studien unkundigen Leser auf Treu und Glauben hingenommen werden. Ein experimenteller Weg der Pr\u00fcfung der bez\u00fcglichen Fragen wird im n\u00e4chsten Abschnitte beschrieben werden, wo die Gesetze der Zerlegung der Kl\u00e4nge durch das Ohr festzustelleii sind. Genau ebenso, wie dort f\u00fcr das Ohr, l\u00e4sst sich der experimentelle Beweis auch f\u00fcr mitschwingende Membranen und Luftmassen f\u00fchren, und die Gleichheit der Gesetze f\u00fcr beide wird sich dort herausstellen.\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"Vierter Abschnitt.\nVon der Zerlegung der Kl\u00e4nge durch das Ohr.\nEs ist in den vorausgehenden Abschnitten schon mehrfach erw\u00e4hnt worden, dass musikalische Kl\u00e4nge auch durch das menschliche Ohr allein, ohne dass irgend welche Unterst\u00fctzung durch besondere Apparate n\u00f6thig ist, in eine Reihe von Partialt\u00f6nen zerlegt-werden, die den einfachen pendelartigen Schwingungen der Luftmasse entsprechen, also in dieselben Bestandtheile, in welche die Bewegung der Luft auch durch mitt\u00f6nende elastische K\u00f6rper zerlegt iyird. Wir gehen jetzt daran, die Richtigkeit dieser Behauptung zu erweisen.\nJemand, der zum ersten Male sich bem\u00fcht, die Obert\u00f6ne musikalischer Kl\u00e4nge aufzusuchen, wird gew\u00f6hnlich betr\u00e4chtliche Schwierigkeit finden, sie \u00fcberhaupt auch nur zu h\u00f6ren.\nDie Analyse unserer Sinnesempfindungen, wenn sie sich nicht entsprechenden Unterschieden der \u00e4usseren Objecte anschliessen kann, st\u00f6sst auf eigenthiimliche Hindernisse, deren Natur und Bedeutung wir weiter unten n\u00e4her besprechen werden. Es muss in der Regel die Aufmerksamkeit des Beobachters durch besondere, passend gew\u00e4hlte Hilfsmittel auf die wahrzunehmende Erscheinung hingeleitet werden, bis er sie genau kennt; nachdem dies gelungen ist, kann er dann sp\u00e4ter jeder Unterst\u00fctzung ent-","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Methoden, die Obert\u00f6ne zu beobachten. 85\nbehren. Aehnliche Schwierigkeiten treten auch der Beobachtung der Obert\u00f6ne eines Klanges entgegen. Ich lasse hier zun\u00e4chst die Beschreibung solcher Verfahrungsweisen folgen, mittelst deren es einem unge\u00fcbten Beobachter am leichtesten ist, die Obert\u00f6ne zuerst kennen zu lernen. Ich bemerke dabei, dass ein musikalisch ge\u00fcbtes Ohr die Obert\u00f6ne nicht nothwendig leichter und sicherer h\u00f6rt, als ein unge\u00fcbtes. Es kommt hier vielmehr auf eine gewisse Abstractionskraft des Geistes an, auf eine gewisse Herrschaft \u00fcber die Aufmerksamkeit, als auf musikalische Uebung. Doch hat ein musikalisch ge\u00fcbter Beobachter darin einen wesentlichen Vorzug vor dem unge\u00fcbten, dass er sich leicht vorstellt, wie die T\u00f6ne klingen m\u00fcssen, welche er sucht, w\u00e4hrend der Unge\u00fcbte sich diese T\u00f6ne immer wieder angeben muss, um ihren Klang frisch in der Erinnerung zu haben.\nZun\u00e4chst ist zu bemerken, dass man in der Regel die ungeradzahligen Partialt\u00f6ne, also die Quinten, Terzen, Septimen u. s. w. des Grundtons leichter h\u00f6rt, als die geradzahligen, welche Octa-ven entweder des Grundtons oder anderer tieferer Partialt\u00f6ne sind, wie man auch in einem Accorde leichter h\u00f6rt, oh Quinten und Terzen darin sind, als Octaven. Der zweite, vierte und achte Partialton sind h\u00f6here Octaven des Grundtons, der sechste eine h\u00f6here Octave des dritten, der Duodecime; diese zu unterscheiden erfordert schon einige Uebung. Unter den ungeradzahligen, welche leichter zu h\u00f6ren sind, steht durch ihre St\u00e4rke meistens voran der dritte Ton, die Duodecime des Grundtons oder Quinte seiner ersten h\u00f6heren Octave, dann folgt der f\u00fcnfte Partialton als Terz und meist schon sehr schwach der siebente als kleine Septime der zweiten h\u00f6heren Octave des Grundtons, wie das folgende Notenbeispiel zeigt, welches die Partialt\u00f6ne des Klanges c angiebt:\n-o- \t.\u20141\u2014\t\t\t\u00bb\t-R-\t\u20141\t\t\u2014T\"\t-|T\nr v \u2022\tII\u2019 \t\t\tfed FC1\u2014\t\u00e9\t\t\t\t\n1\t2\t3 4\t5\t6\t7\t8\nc\tcf\t9' <r\te\"\t9\"\tb\"\t<r\nWill man anfangen, Obert\u00f6ne zu beobachten, so ist es rath-sam, unmittelbar vor dem Klange, welcher analysirt werden soll, ganz schwach diejenige Note erklingen zu lassen, welche man aufsuchen will, und zwar am besten in derselben Klangfarbe, welche der Gesammtklang hat. Sehr geeignet sind zu diesen Versuchen","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\tErste Abtheilung. Vierter Abschnitt.\ndas Clavier und die Physharmonica, welche beide ziemlich starke Obert\u00f6ne geben.\nMan schlage auf einem Claviere zuerst das <j des obigen Notenbeispiels an, und indem man die Taste g' sinken l\u00e4sst, so dass deren Saiten nicht mehr fortklingen k\u00f6nnen, gleich darauf kr\u00e4ftig die Note c, in deren Klange g' der dritte Partialton ist, und halte die Aufmerksamkeit fest gerichtet auf die Tonh\u00f6he des eben geh\u00f6rten g\\ so wird man diesen Ton nun auch aus dem Klange c heraush\u00f6ren. Ebenso wenn man zuerst ganz leise den f\u00fcnften Ton e\", dann c ,anschl\u00e4gt. Oft werden diese Obert\u00f6ne deutlicher, wenn man die Saite ausklingen l\u00e4sst, indem sie, wie es scheint, langsamer an St\u00e4rke abnehmen, als der Grundton. Der siebente und neunte Partialton b\" und dl\" sind auf den Clavieren von neuerer Construction meist schwach oder gar nicht vorhanden. Stellt man dieselben Versuche an der Physharmonica an, namentlich an einem ihrer sch\u00e4rferen Register, so h\u00f6rt man den siebenten Ton meist noch gut, auch wohl den neunten.\nDem zuweilen geh\u00f6rten Einwande gegen\u00fcber, dass der Beobachter sich nur einbilde, den Oberton in der Klangmasse zu h\u00f6ren, weil er ihn kurz vorher isolirt geh\u00f6rt hat, will ich hier nur anf\u00fchren, dass wenn man an einem gut nach gleichschwebender Temperatur gestimmten Claviere das e\" erst als Partialton von c h\u00f6rt, dann direct anschl\u00e4gt, man ganz deutlich h\u00f6ren kann, dass es im letzteren Falle etwas h\u00f6her ist. Das ist Folge der Stimmung nach gleichschwebender Temperatur. Da also ein Unterschied der Tonh\u00f6he zwischen beiden T\u00f6nen erkannt wird, ist sicherlich der eine nicht Fortsetzung im Ohre oder Erinnerung des andern. Andere Thatsachen, welche dieselbe Meinung vollst\u00e4ndig widerlegen, folgen sp\u00e4ter.\nNoch geeigneter als das beschriebene Verfahren am Claviere ist es, an irgend einem beliebigen Saiteninstrumente, Clavier, Monochord, Violine, den Ton, welchen man zu h\u00f6ren w\u00fcnscht, zuerst als Flageoletten der Saite hervorzubringen, indem man diese anschl\u00e4gt oder streicht, w\u00e4hrend man einen Knotenpunkt des betreffenden Tons auf der Saite ber\u00fchrt. Dadurch wird die Aelmlich-keit des zuerst geh\u00f6rten Tons mit dem entsprechenden Theiltone der Klangmasse noch gr\u00f6sser, und das Ohr findet deshalb letzteren leichter heraus. An den Monochorden pflegt sich ein geteilter Maassstab neben der Saite zu befinden, mit dessen Hilfe man die Lage der Knotenpunkte leicht berechnen kann. Die","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Methoden, die Obert\u00f6ne zu beobachten.\t87\nKnotenpunkte f\u00fcr den dritten Ton theilen, wie schon im vorigen Abschnitte bemerkt ist, die Saite in drei gleiche Theile, die f\u00fcr den f\u00fcnften in f\u00fcnf u. s. w. Am Clavier und an der Violine findet man die Lage dieser Punkte leicht durch den Versuch, indem man die Saite in der N\u00e4he des gesuchten Knotenpunktes, dessen Lage man ja nach dem Augenmaasse ann\u00e4hernd bestimmen kann, leise mit dem Finger ber\u00fchrt, dann die Saite anschl\u00e4gt oder streicht, und den Finger so lange hin- und herschiebt, bis der verlangte Flageoletton kr\u00e4ftig und rein klingend zum Vorschein kommt. Indem man nun die Saite zum T\u00f6nen bringt bald mit Ber\u00fchrung des Knotenpunktes, bald ohne solche Ber\u00fchrung, bekommt man bald den gesuchten Oberton allein als Flageoletton, bald die ganze Klangmasse der Saite, und erkennt verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig leicht, dass auch in dieser der betreffende Oberton enthalten ist. Bei d\u00fcnnen Saiten, welche die hohen Obert\u00f6ne stark geben, ist es mir auf diese Weise gelungen, die Obert\u00f6ne bis zum sechszehnten hinauf einzeln zu erkennen. Die noch h\u00f6heren Obert\u00f6ne kommen zu nahe an einander zu liegen, als dass sie das Ohr noch so leicht von einander scheiden k\u00f6nnte.\nNamentlich empfehle ich bei solchen Versuchen folgendes Verfahren. Man ber\u00fchre den Knotenpunkt der Saite am Clavier oder Monochord mit den Haaren eines kleinen Malerpinsels, schlage an, und entferne unmittelbar danach auch den Pinsel von der Saite. Hat man den Pinsel fest an die Saite gelegt, so h\u00f6rt man entweder allein den betreffenden Oberton als Flageoletton, \u00f6der doch den Grundton nur schwach daneben.. Wiederholt man nun den Anschlag der Saite, indem man die Ber\u00fchrung des Pinsels immer leiser und leiser macht, und zuletzt den Pinsel ganz entfernt, so wird neben dem Obertone auch der Grundton der Saite mehr und mehr h\u00f6rbar, bis man zuletzt den vollen nat\u00fcrlichen Klang der freien Saite hat. Dadurch gewinnt man eine Reihe allm\u00e4liger Ueberg\u00e4nge zwischen dem isolirten Obertone und dem zusammengesetzten Klange, in welchen der erstere leicht vom Ohre festgehalten wird. Durch dieses zuletzt beschriebene Verfahren ist es mir meist gelungen, auch ganz unge\u00fcbten H\u00f6rern die Existenz der Obert\u00f6ne zu demonstriren.\nSchwerer als an Saiteninstrumenten, an der Physharmonica und an den sch\u00e4rferen Registern der Orgel ist es im Anfang die Obert\u00f6ne der meisten Blaseinstrumente und der menschlichen Stimme wahrzunehmen, weil man hier nicht so bequem den","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\tErste Abtheilung. Vierter Abschnitt.\nOberteil in gleichartiger Klangfarbe schwach vorher h\u00f6ren lassen kann. Doch gelingt es bei einiger Uebung bald, mittelst eines Claviertons das Ohr auf den Oberton hinzuleiten, den es h\u00f6ren soll. Verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig am schwersten zu isoliren sind die Partialt\u00f6ne der menschlichen Stimme aus sp\u00e4ter anzuf\u00fchrenden Gr\u00fcnden. Uebrigens sind die Obert\u00f6ne der Stimme schon von Rameau*) unterschieden worden, und zwar ohne alle k\u00fcnstliche Unterst\u00fctzung. Man verfahre folgendermassen: Eine Bassstimme lasse man die Note es aushalten, und zwar auf den Vocal 0; man schlage schwach das V des Claviers, als dritten Partial-ton der Note es, an und lasse es verklingen, w\u00e4hrend man aufmerksam darauf hin h\u00f6rt. Scheinbar wird die Note V des Claviers nicht verklingen, sondern anhalten, auch wenn man zuletzt die Taste losl\u00e4sst, indem das Ohr unvermerkt von dem Tone des Claviers hin\u00fcbergleitet auf den gleichlautenden Partialton des S\u00e4ngers, und diesen f\u00fcr die Fortsetzung des Claviertons h\u00e4lt. Aber so wie die Taste losgelassen ist, und der D\u00e4mpfer auf der Saite liegt, ist es unm\u00f6glich, dass diese noch weiter t\u00f6ne. Will man den entsprechenden Versuch f\u00fcr den f\u00fcnften Oberton von es, n\u00e4mlich g\", machen, so ist es besser, wenn der S\u00e4nger den Vocal A w\u00e4hlt.\nEin anderes sehr gutes Mittel zu diesem Zwecke, welches f\u00fcr die Kl\u00e4nge aller musikalischen Instrumente angewendet werden kann, geben die im vorigen Abschnitte beschriebenen Resonanzkugeln ab. Wenn man die Resonanzkugel an das Ohr setzt, welche irgend einem bestimmten Obertone, z. B. g' des Klanges c, entspricht, und man giebt den Klang c an, so h\u00f6rt man das g' durch die Kugel um Vieles verst\u00e4rkt. Dass man in diesem Falle das g' h\u00f6rt und unterscheidet, beweist nun noch nicht, dass das Ohr an und f\u00fcr sich ohne Hilfe der mitt\u00f6nenden Kugel den Ton g' im Klange c h\u00f6ren w\u00fcrde. Aber wohl kann itian diese Verst\u00e4rkung durch die Kugel benutzen, um das Ohr aufmerksam zu machen auf den Ton, den es h\u00f6ren soll. \u25a0 Wenn man nachher die Kugel allm\u00e4lig wieder vom Ohre entfernt, so wird das g' schw\u00e4cher ; indessen die Aufmerksamkeit, welche einmal darauf gerichtet worden ist, bleibt nun leichter an diesen Ton gefesselt, und der Beobachter h\u00f6rt diesen Ton nun auch in dem nat\u00fcrlichen unver\u00e4nderten Klange der angegebenen Note mit nicht unterst\u00fctztem Ohre. Es soll also die Resonanzkugel hierbei nur dazu dienen, das Ohr aufmerksam zu machen auf den Ton, den es h\u00f6ren soll.\n*) Nouveau Syst\u00e8me de Musique th\u00e9orique. Paris 1726. Pr\u00e9face.","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"89\nBeweis des Ohm\u2019sehen Gesetzes.\nJemand, der oft dergleichen Versuche anstellt, um die Obert\u00f6ne zu h\u00f6ren, lernt sie immer leichter finden, endlich auch, ohne dass er irgend ein besonderes Hilfsmittel anwendet. Doch ist immer eine gewisse ungest\u00f6rte Concentration der Aufmerksamkeit n\u00f6thig, um die Analyse der Kl\u00e4nge durch das Ohr allein auszuf\u00fchren, und es ist deshalb ohne Hilfe der Resonanzr\u00f6hren doch nicht m\u00f6glich, mit dem Ohr allein eine genaue Vergleichung verschiedener Klangfarben zu vollenden, namentlich nicht in Beziehung auf die schw\u00e4cheren Obert\u00f6ne. Wenigstens muss ich gestehen, dass meine eigenen Versuche, die Obert\u00f6ne der menschlichen Stimme aufzusuchen, und ihre Unterschiede f\u00fcr die verschiedenen Vocale festzustellen, ziemlich ungen\u00fcgend geblieben sind, bis ich die Resonatoren zu Hilfe nahm.\nWir gehen jetzt dazu \u00fcber, zu beweisen, dass das menschliche Ohr die Kl\u00e4nge wirklich nach dem Gesetze der einfachen Schwingungen zerlegt. Da die St\u00e4rke der Empfindung verschiedener T\u00f6ne nicht genau genug verglichen werden kann, m\u00fcssen wir uns darauf beschr\u00e4nken, nachzuweisen, dass, wenn bei der Zerlegung der Klangmasse in einfache Schwingungen, wie sie durch die theoretische Berechnung oder das Mitt\u00f6nen zu-Stande gebracht wird, einzelne Obert\u00f6ne fehlen, das Ohr solche Obert\u00f6ne ebenfalls nicht wahrnimmt.\nAm geeignetsten f\u00fcr diese Beweisf\u00fchrung sind wieder die Kl\u00e4nge der Saiten, weil sie, je nach der Art der Erregung und der Stelle, welche erregt wird, mannigfache Ab\u00e4nderungen der Klangfarbe zulassen, und weil f\u00fcr diese Kl\u00e4nge auch die theoretische oder experimentelle Zerlegung am leichtesten und vollst\u00e4ndigsten ausgef\u00fchrt werden kann. Es hat zuerst Thomas Young*) nachgewiesen, dass wenn man eine Saite zupft oder schl\u00e4gt oder, wie wir hinzuf\u00fcgen k\u00f6nnen, streicht in einem solchen Punkte ihrer L\u00e4nge, welcher Knotenpunkt irgend eines ihrer Flageolett\u00f6ne ist, dass dann diejenig\u00ebn einfachen Schwingungsformen der Saite, welche in dem angegriffenen Punkte einen Knoten haben, in der Gesammtbewegung der Saite nicht enthalten sind. Greifen wir also eine Saite gerade in der Mitte ihrer L\u00e4nge an, so fehlen alle den geradzahligen Partialt\u00f6nen entsprechenden einfachen Schwingungen, weil alle diese in der Mitte der Saite einen Knotenpunkt haben. Es giebt dies einen eigenthiimlich hohlen oder n\u00e4seln-\n*) London, Philosophical Transactions, 1800. T. I, p. 137.","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\tErste Abtheilung. Vierter Abschnitt.\nden Klang der Saite. Greifen wir die Saite in 1/3 ihrer L\u00e4nge an, so fehlen die Schwingungen, die dem dritten, sechsten, neunten Theilton entsprechen; greifen wir in 1/i ihrer L\u00e4nge an, so fehlen die des vierten, achten, zw\u00f6lften Theiltons u. s. w.*).\nDiese Folgerung der mathematischen Theorie l\u00e4sst sich zun\u00e4chst best\u00e4tigen, wenn wir den Saitenklang durch Mitt\u00f6nen ana-lysiren, entweder durch Resonanzkugeln oder mittelst anderer Saiten. Die Versuche lassen sich leicht am Claviere machen. Man dr\u00fccke die beiden Tasten f\u00fcr c und d herab, aber ohne den Hammer zum Anschlag zu bringen, so dass eben nur die beiden Saiten von ihrem D\u00e4mpfer befreit werden, und reisse eine der Saiten des Tones c mit dem Nagel, so dass sie t\u00f6nt. Man wird, wenn man die Taste c fallen l\u00e4sst, dann stets die Saiten des h\u00f6heren d nachklingen h\u00f6ren. Nur wenn man die Saite c gerade in ihrer Mitte reisst, da wo man den Finger anlegen muss, um beim Anschlag des Hammers ihren ersten Flageoletten rein zu h\u00f6ren, nur dann wird die Saite d nicht zum Mitt\u00f6nen gebracht.\nWenn man in 1/3 oder 2/3 der L\u00e4nge der Saite c den Finger anlegt, und die Taste anschl\u00e4gt, h\u00f6rt man den Flageoletten <j \\ ist der D\u00e4mpfer von der Saite g' gehoben, so klingt diese nach. Reisst man die Saite c aber mit dem Nagel an derselben Stelle in 1/3 oder 2/3 ihrer L\u00e4nge, so t\u00f6nt das g' nicht nach, wohl aber wenn man die Saite c an irgend einer anderen Stelle ihrer L\u00e4nge mit dem Nagel reisst.\nEbenso erweist sich bei der Beobachtung mit Resonanzkugeln das d in dem Klange der Saite c als fehlend, wenn man diese in ihrem Mittelpunkte gerissen hat, das g\\ wenn man sie in i/8 oder 2/3 ihrer L\u00e4nge gerissen hat. Die Analyse des Saitenklanges durch mitt\u00f6nende\" Saiten oder Resonatoren best\u00e4tigt also durchaus die von Thomas Young aufgestellte Regel.\nF\u00fcr die Saitenschwingungen haben wir aber noch eine direc-tere Art der Analyse, als die durch Mitt\u00f6nen. Wenn wir n\u00e4mlich eine schwingende Saite leise mit dem Finger oder einem Haarpinsel f\u00fcr einen Augenblick ber\u00fchren, so d\u00e4mpfen wir alle diejenigen einfachen Schwingungen, welche in dem ber\u00fchrten Punkte der Saite keinen Knotenpunkt haben. Diejenigen Schwingungen aber, welche dort einen Knotenpunkt haben, werden nicht ged\u00e4mpft, und bleiben allein bestehen. Ist also eine Saite in irgend\n*) Siehe Beilage Nro. II.","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Beweis des Ohm\u2019schen Gesetzes.\t91\nwelcher Weise zum T\u00f6nen gebracht worden, und will ich wissen, oh die der Duodecime des Grundtons entsprechende Bewegung der Saite unter den einfachen Schwingungen vorhanden ist, aus denen die Gesammtbewegung der Saite zusammengesetzt zu denken ist, so brauche ich nur einen der Knotenpunkte dieser Schwingungsform in V3 oder 2/a der Saitenl\u00e4nge zu ber\u00fchren, sogleich werden alle anderen T\u00f6ne schweigen, und die Duodecime wird allein stehen bleiben, wenn sie vorhanden war. War sie aber nicht vorhanden, und auch keiner ihrer Obert\u00f6ne, weder der sechste, neunte, zw\u00f6lfte u. s. w. Flageoletton der Saite, so wird nach der Ber\u00fchrung des Fingers absolutes Schweigen eintreten.\nMan dr\u00fccke auf die Taste einer Saite des Claviers, um sie von ihrem D\u00e4mpfer zu befreien. Man zupfe die Saite in ihrer Mitte und ber\u00fchre unmittelbar darauf dieselbe Stelle mit dem Finger, so wird die Saite vollst\u00e4ndig schweigen, als Beweis davon, dass das Zupfen in der Mitte keinen der geradzahligen Partialt\u00f6ne des Saitenklanges hervorgebracht hat. Man zupfe in Vs und ber\u00fchre unmittelbar nachher in V3 oder 2/3 ; die Saite wird wiederum schweigen, als Beweis, dass der dritte Partialton fehlte. Man zupfe an irgend einem anderen Punkte, als einem der genannten, so wird man den zweiten Partialton erhalten, wenn man die Saite in der Mitte ber\u00fchrt, den dritten, wenn man in y3 oder 2/s ihrer L\u00e4nge ber\u00fchrt.\nDie Uebereinstimmung dieser Art zu pr\u00fcfen mit den Ergebnissen der Pr\u00fcfung durch Mitt\u00f6nen, ist zun\u00e4chst wohl geeignet, auch experimentell den Satz festzustellen, den wir im vorigen Abschnitte nur durch die Ergebnisse der mathematischen Theorie gest\u00fctzt hatten, dass n\u00e4mlich das Mitt\u00f6nen eintrete oder nicht eintrete, je nachdem die entsprechenden einfachen Schwingungen in der zusammengesetzten Bewegung vorhanden seien oder nicht. Wir sind bei der letztbeschriebenen Art, einen Saitenton zu analy-siren, ganz unabh\u00e4ngig von der Theorie des Mitt\u00f6nens, und die einfachen Schwingungen der Saiten sind eben durch ihre Knotenpunkte charakterisirt, durch diese erkennbar. Wenn beim Mitt\u00f6nen die Kl\u00e4nge zerlegt w\u00fcrden nach irgend welchen anderen Schwingungsformen als nach einfachen Schwingungen, w\u00fcrde diese Uebereinstimmung nicht stattfinden k\u00f6nnen.\nNachdem durch die beschriebenen experimentellen Pr\u00fcfungen die Richtigkeit des von Thomas Young gefundenen Gesetzes festgestellt ist, bleibt uns nur noch \u00fcbrig, die Zerlegung der Sai-","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\tErste Abtheilung. Vierter Abschnitt.\ntenkl\u00e4nge durch das unbewaffnete Ohr vorzunehmen, um auch hier die v\u00f6lligste Uebereinstimmung zu finden *). So wie wir die Saite in einem ihrer Knotenpunkte zupfen oder anschlagen, fallen diejenigen Obert\u00f6ne des Saitenklanges, denen der genannte Knotenpunkt angeh\u00f6rt, auch f\u00fcr das Ohr fort, w\u00e4hrend sie geh\u00f6rt werden, wenn man die Saite an irgend einer anderen Stelle zupft. Zupft man also z. B. die Saite c in y3 ihrer L\u00e4nge, so h\u00f6rt man nicht den Partialton g\\ zupft man sie nur wenig entfernt von dieser Stelle, so h\u00f6rt man ihn ganz deutlich. Das Ohr zerlegt also den Saitenklang genau in dieselben Bestandtheile, wie er durch Mitt\u00f6nen zerlegt wird, also in einfache T\u00f6ne nach Ohm\u2019s Definition dieses Begriffs. Auch diese Versuche k\u00f6nnen \u00fcbrigens dazu dienen, zu zeigen, dass es keine T\u00e4uschung der Phantasie istf, wenn man die Obert\u00f6ne h\u00f6rt, wie Leute zuweilen glauben, welche sie zum ersten Male h\u00f6ren. Denn man h\u00f6rt sie eben nicht, wenn sie nicht da sind.\nDer Klang einer gezupften Saite ist \u00fcbrigens noch merkw\u00fcrdig als ein besonders auffallendes Beispiel, wie das Ohr eine Bewegung in eine lange Reihe von Partialt\u00f6nen zerlegt, welche das Auge und die Vorstellung in viel einfacherer Weise aufzufassen verm\u00f6gen. Eine Saite, welche durch einen spitzen Stift, oder mit dem Fingernagel zur Seite gezogen wird, hat, ehe sie losgelassen wird, die Form von Fig. 18 A. Sie geht dann durch die Reihe der Formen Fig. 18 B, C, B, E \u00fcber in die Form F, die Umkehrung von A, und dann ebenso wieder zur\u00fcck. So schwankt sie hin und her zwischen den Formen A und F. Alle diese Formen sind, wie man sieht, aus drei geraden Linien zusammengesetzt, und wollte man die Geschwindigkeit der einzelnen Saitenpunkte durch Schwingungscurven ausdr\u00fccken, so w\u00fcrden diese \u00e4hnlich ausfallen. Unmittelbar \u00fcbertr\u00e4gt nun die Saite kaum einen merklichen Theil ihrer Bewegung an die Luft; denn eine Saite, deren Enden auf zwei ganz unbeweglichen Unterlagen ruhen, z. B. auf metallenen Stegen, die an der Mauer des Zimmers befestigt sind, giebt einen kaum h\u00f6rbaren Ton. Der Schall der Saite gelangt an die Luft vielmehr nur durch dasjenige ihrer Enden, welches mittelst eines Steges auf einen nachgiebigen Resonanzboden gest\u00fctzt ist. Der Klang der Saite h\u00e4ngt also auch wesentlich nur\n*)S. Brandt in Poggendorffs Annalen der Physik Bd. CXII, S. 324, wo diese Thatsache nachgewiesen ist.","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"93\nBeweis des Ohm\u2019sehen Gesetzes.\nvon der Bewegung dieses Endes ab, beziehlich von dem Drucke', den es auf den Resonanzboden aus\u00fcbt. Die Gr\u00f6sse dieses Druckes, wie er mit der Zeit periodisch wechselt, ist in Fig. 19 dargestellt. Die Linie hh soll der H\u00f6he des Druckes entsprechen, welchen das Ende a der Saite, w\u00e4hrend sie ruht, auf den Steg aus\u00fcbt. L\u00e4ngs hh denke man sich L\u00e4ngen abgetragen, die der fortlaufenden Zeit entsprechen, die verticalen H\u00f6hen der gebrochenen Linie \u00fcber oder unter hh stellen die den betreffenden Zeitpunkten entsprechenden Erh\u00f6hungen und Verminderungen des Druckes dar. Der Druck der Saite gegen den Resonanzboden wechselt also, wie die Figur es darstellt, zwischen einem h\u00f6heren und einem niederen Werthe. Eine Zeit lang herrscht der h\u00f6here Druck ohne sich zu \u00e4ndern, dann tritt pl\u00f6tzlich der niedere ein, der dann ebenfalls eine gewisse Zeit lang unver\u00e4ndert anh\u00e4lt. Die Buchstaben a bis g, Fig. 19, entsprechen den Zeitpunkten der Saitenformen A\nFig. 19.\n----------d--------h\naFcdefgfedclia\nbis G, Eig. 18. Dieser Wechsel zwischen einem h\u00f6heren Druckgrade und einem niederen ist es, welcher den Schall in der Luftmasse hervorbringt. Man muss sich billig wundern, dass eine Bewegung, die durch ein so einfaches und leicht aufzufassendes Ver-h\u00e4ltniss erzeugt wird, vom Ohre in eine so complicirte Summe von Partialt\u00f6nen zerlegt wird. F\u00fcr das Auge und den Begriff ist\nFig. 18.","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\tErste Abtheilung. Vierter Abschnitt.\ndie Wirkung der Saite auf den Resonanzboden so ausserordentlich einfach darzustellen. Was hat die einfache gebrochene Linie der Fig. 19 zu thun mit Wellenlinien, welche in der Ausdehnung einer ihrer Perioden 3, 4, 5 bis 16 und mehr Wellenberge und Th\u00e4ler zeigen? Es ist dies eines der schlagendsten Beispiele, wie verschieden Auge und Ohr eine periodische Bewegung auffassen.\nEs giebt weiter keinen t\u00f6nenden K\u00f6rper, dessen Bewegungen unter abge\u00e4nderten Umst\u00e4nden wir so vollst\u00e4ndig theoretisch berechnen und mit der Wirklichkeit vergleichen k\u00f6nnten, wie dies bei den Saiten,der Fall ist. Beispiele, in denen sich die Theorie noch mit der Zerlegung durch das Ohr vergleichen l\u00e4sst, sind folgende:\nIch habe eine Methode aufgefunden, durch welche es m\u00f6glich ist, einfache pendelartige Schwingungen in der Luft zu erzeugen. Eine angeschlagene Stimmgabel giebt keine harmonischen Obert\u00f6ne, oder h\u00f6chstens dann Spuren davon, wenn sie in so \u00fcberm\u00e4ssig starke Schwingungen versetzt ist, dass die Schwingung nicht mehr ganz genau nach dem Gesetze des Pendels vor sich geht. Dagegen geben die Stimmgabeln sehr hohe unharmonische Nebent\u00f6ne, die das eigenth\u00fcmliche helle Klingen der Gabel im Augenblick des Anschlagens hervorbringen, und nachher bei den meisten Gabeln schnell erl\u00f6schend H\u00e4lt man die t\u00f6nende Gabel zwischen den Fingern, so geht sehr wenig von ihrem Tone an die Luft \u00fcber, nur dicht vor das Ohr gebracht h\u00f6rt man sie. Statt sie in den Fingern zu halten, kann man sie auch in ein festes dickes Brettchen einschrauben, auf dessen untere Seite man als Polster einige St\u00fccke von Kautschukr\u00f6hren geklebt hat. Stellt man ein solches Brettchen auf einen Tisch, so leiten die Kautschukr\u00f6hren, auf denen es steht, den Schall nicht an die Tischplatte \u00fcber, und man h\u00f6rt von dem Tone der Stimmgabel so gut wie nichts. N\u00e4hert man nun den Zinken der Gabel eine Resonanzr\u00f6hre *) von flaschenf\u00f6rmiger Gestalt, deren Luftmasse angeblasen denselben Ton giebt wie die Gabel, so ger\u00e4th die Luft der Resonanzr\u00f6hre in Mitschwingung, und der Ton der Gabel wird dadurch in grosser St\u00e4rke auch an die \u00e4ussere Luft \u00fcbertragen. Nun sind die h\u00f6he-\n*) Entweder eine Flasche von passender Gr\u00f6sse, die man durch Eingiessen von Wasser oder Oel leicht genauer stimmen kann, oder eine R\u00f6hre von Pappe, die an einem Ende ganz verschlossen ist, am anderen eine kleine runde Oeflhung beh\u00e4lt. S. Maasse solcher Resonanzr\u00f6hren in Beilage I. am Ende.","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"95\nBeweis des Ohm\u2019schen Gesetzes.\nren Nebent\u00f6ne der Resonanzr\u00f6hren ebenfalls unharmonisch zum Grundton, und in der Regel werden die Nebent\u00f6ne der R\u00f6hre weder den harmonischen noch den unharmonischen Nebent\u00f6nen der Gabeln entsprechen, was sich \u00fcbrigens auch in jedem einzelnen Falle genau controliren l\u00e4sst, wenn man die Nebent\u00f6ne der R\u00f6hren durch st\u00e4rkeres Anblasen und die der Stimmgabeln mit Hilfe mitschwingender Saiten, wie gleich beschrieben werden soll, aufsucht. Wenn nun von den T\u00f6nen der Gabel nur ein einziger, n\u00e4mlich der Grundton, einem Tone der R\u00f6hre entspricht, so wird auch nur dieser durch Mitschwingung verst\u00e4rkt, und nur dieser wird zur Luftmasse und zum Ohre des Beobachters geleitet. Die Untersuchung der Luftbewegung durch die Resonatoren zeigt in diesem Falle, dass wirklich jeder andere Ton neben dem Grundtone fehlt, und auch das unbewaffnete Ohr h\u00f6rt in solchem Falle nur einen einzigen Ton, n\u00e4mlich den gemeinsamen Grundton der Stimmgabel und R\u00f6hre ohne begleitende Obert\u00f6ne.\nNoch in anderer Weise kann man den Ton einer Stimmgabel von Nebent\u00f6nen reinigen, indem man sie n\u00e4mlich mit ihrem Stiele auf eine Saite aufsetzt, und sie dem Stege der Saite so weit n\u00e4hert, dass einer der eigenen T\u00f6ne des Saitenst\u00fccks, welches zwischen der Gabel und dem Stege abgegrenzt ist, dem Stimmgabelton gleich wird. Dann ger\u00e4th die Saite kr\u00e4ftig in Schwingung, und leitet den Ton der Stimmgabel in grosser St\u00e4rke an ihren Resonanzboden und zur Luft, w\u00e4hrend man den Ton nur ganz schwach oder gar nicht h\u00f6rt, so lange das genannte Saitenst\u00fcck nicht im Einkl\u00e4nge ist mit dem Tone der Gabel. Auf diese Weise kann man leicht die Saitenl\u00e4ngen finden, welche dem Grundton und den Obert\u00f6nen der Stimmgabel entsprechen, und so die Tonh\u00f6he, namentlich der letzteren, genau bestimmen. F\u00fchrt man diesen Versuch mit gew\u00f6hnlichen, in ihrer ganzen L\u00e4nge gleichartigen Saiten aus, so h\u00e4lt man wohl die unharmonischen Nebent\u00f6ne der Stimmgabel vom Ohre ab., aber nicht die zuweilen schwach vorhandenen harmonischen, welche bei starker Schwingung der Gabeln h\u00f6rbar werden k\u00f6nnen. Will man daher diesen Versuch ausf\u00fchren, um reine pendelartige Schwingungen der Luft zu erzeugen, so ist es vortheilhafter, einen Punkt der Saite etwas zu belasten, wenn auch nur durch ein angeschmolzenes Tr\u00f6pfchen Siegellack. Dadurch werden die h\u00f6heren T\u00f6ne der Saite selbst unharmonisch zum Grundton, und es trennen sich auf der Saite die Punkte, wo man die Stimmgabel aufsetzen muss, um","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nErste Abtheilung. Vierter Abschnitt.\nentweder ihren Grundton oder dessen h\u00f6here Octave (wenn sie vorhanden ist) h\u00f6rbar zu machen.\nIn den meisten anderen F\u00e4llen ist die mathematische Analyse der Schallbewegungen noch nicht so weit fortgeschritten dass wir mit Sicherheit angeben k\u00f6nnten, welche Obert\u00f6ne und wie stark sie da sein m\u00fcssen. Bei den Kreisplatten und gespannten Membranen, welche angeschlagen sind, w\u00fcrde es theoretisch gehen, aber deren unharmonische Nebent\u00f6ne sind so zahlreich und liegen so nahe aneinander, dass die meisten Beobachter an der Aufgabe, sie zu trennen, wohl scheitern m\u00f6chten. Bei den elastischen St\u00e4ben dagegen liegen die T\u00f6ne weit auseinander, sind unharmonisch und deshalb leicht einzeln mit dem Ohre zu erkennen. Die T\u00f6ne eines an beiden Enden freien Stabes sind, wenn wir die Schwingungszahl \"des Grundtons mit 1 bezeichnen, und diesen Ton selbst mit c:\nSchwingungzahl Notenbez eichnung\nErster Ton . Zweiter Ton. Dritter Ton . Vierter Ton .\n1,0000\n2,7576\n5,4041\n13,3444\nfis' - 0,2\nf\" + 0,1\na'\" \u2014 0,1\nDie Notenbezeichnung ist nach der gleichschwebenden Temperatur berechnet und die dazu gesetzten Br\u00fcche bedeuten Theile eines ganzen Tons.\nWo wir die theoretische Analyse der Bewegung nun auch nicht ausf\u00fchren k\u00f6nnen, k\u00f6nnen wir doch immer mittelst der Resonatoren und anderer mitschwingender K\u00f6rper jeden einzelnen wahrgenommenen Klang zerlegen, und diese Zerlegung, welche durch die Gesetze des Mitt\u00f6nens bestimmt ist, vergleichen mit der des unbewaffneten Ohres. Das letztere ist nat\u00fcrlich viel weniger empfindlich als das mit dem Resonator bewaffnete, und es ist h\u00e4ufig nicht, m\u00f6glich, T\u00f6ne, die der Resonator schwach an-giebt, zwischen anderen st\u00e4rkeren ohne ihn zu erkennen. Dagegen findet, soweit meine Erfahrungen reichen, insofern vollst\u00e4ndige Uebereinstimmung statt, als das Ohr alle von den Resonatoren stark angegebenen T\u00f6ne auch ohne sie wahrnimmt, und dagegen keinen Oberton empfindet, den der Resonator gar nicht angiebt. Ich habe in dieser Beziehung namentlich mit menschlichen Stimmen und mit der Physharmonica viele Versuche angestellt, die alle die angegebene Regel best\u00e4tigen.\nDurch die angegebenen Erfahrungen wird nun der von","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Beweis des Ohm\u2019sehen Gesetzes.\t97\nGr. S. Ohm aufgestellte und vertheidigte Satz als richtigerwiesen, dass das menschliche Ohr nur eine pendelartige Schwingung der Luft als einen einfachen Ton empfindet, und jede andere periodische Luftbewegung zerlegt in eine Reihe von pendelartigen Schwingungen, und diesen entsprechend eine Reihe von T\u00f6nen empfindet.\nWenn wir also unserer fr\u00fcher gegebenen Definition gem\u00e4ss die Empfindung, welche eine periodische Luftbewegung im Ohre erregt, mit dem Namen eines Klanges belegen, die Empfindung, welche eine einfache pendelartige Luftbewegung erregt, mit dem Namen eines Tones, so ist im Allgemeinen die Empfindung eines jeden Klanges aus der Empfindung mehrerer T\u00f6ne zusammengesetzt. Insbesondere werden wir nun als Klang bezeichnen den Schall, den ein einzelner t\u00f6nender K\u00f6rper hervorbringt, w\u00e4hrend der Schall, welcher von mehreren gleichzeitig erklingenden Instrumenten hervorgebracht wird, als Zusammenklang zu bezeichnen ist. Wenn also eine einzelne Note auf einem musikalischen Instrumente angegeben wird, sei es auf einer Violine, Trompete, Orgel oder von einer Singstimme, so ist sie in genauer Sprechweise als ein Klang der genannten Tonwerkzeuge zu bezeichnen. Die bisherige Ausdrucksweise, eine solche Note als einen Ton jener Instrumente zu bezeichnen, w\u00fcrde nur zul\u00e4ssig sein, wo man von der Zusammensetzung des Klanges absehen kann, und nur seinen Grundton ber\u00fccksichtigen will. In der That ist meisten-theils der Grundton st\u00e4rker als die Obert\u00f6ne, und man beurtheilt nach ihm allein deshalb auch in der Regel die Tonh\u00f6he des Klanges. Wirklich auf einen Ton reducirt sich der Klang einer Tonquelle nur in sehr wenigen F\u00e4llen z. B. bei den Stimmgabeln, deren Ton durch eine Resonanzr\u00f6hre in der beschriebenen Weise an die Luft \u00fcbertragen wird, und ausserdem ist der Klang weiter gedackter und schwach angeblasener Orgelpfeifen fast frei von Obert\u00f6nen und nur von Luftger\u00e4usch begleitet.\nEs ist bekannt, dass diese Verbindung mehrerer T\u00f6ne zu einem Klange, welche von der Natur in den Kl\u00e4ngen der meisten musikalischen Instrumente hervorgebracht ist, auf den Orgeln auch k\u00fcnstlich durch besondere mechanische Vorrichtungen nach-gealimt wird. Die Kl\u00e4nge der Orgelpfeifen sind verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig arm an Obert\u00f6nen ; wo es darauf ankommt, ein Register von scharf durchdringender Klangfarbe und grosser Gewalt der Tonst\u00e4rke\nHelmholtz, phys. Theorie (1er Musik.\tn","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\tErste Abtheilung. Vierter Abschnitt.\nherzustellen, gen\u00fcgen die weiten Pfeifen (Principalregister und Weitgedackt) nicht, weil ihr Ton zu mild, zu arm an Ohert\u00f6nen ist, die engen (Geigenregister und Quintaten) nicht, weil ihr Ton zwar sch\u00e4rfer, aber auch schw\u00e4cher ist. F\u00fcr solche Gelegenheiten, namentlich um den Gesang der Gemeinde zu begleiten, dienen nun die Mixturregister. In diesen Registern ist jede Taste mit einer gr\u00f6sseren oder kleineren Reihe von Pfeifen verbunden, die sie gleichzeitig \u00f6ffnet, und welche den Grundton und eine gewisse Anzahl der ersten Obert\u00f6ne des Klanges der betreffenden Note geben. Sehr gew\u00f6hnlich ist es, die h\u00f6here Octave mit dem Grundtone zu verbinden, demn\u00e4chst die Duodecime. Die zusammengesetzteren Mixturen (Cornett) geben die ersten sechs Partialt\u00f6ne, also ausser den ersten beiden Octaven des Grundtons und der Duodecime auch noch die h\u00f6here Terz und die Octave der Duodecime. Es ist dies die Reihe der Obert\u00f6ne, soweit sie den T\u00f6nen des Duraccords angeh\u00f6ren. Damit aber diese Mixturregister nicht unertr\u00e4glich schreiend werden, ist es n\u00f6thig, dass die tieferen T\u00f6ne jeder Note noch durch andere Pfeifenreihen verst\u00e4rkt werden. Denn in allen nat\u00fcrlichen und musikalisch brauchbaren Kl\u00e4ngen nehmen dieTheilt\u00f6ne nach der H\u00f6he hin an St\u00e4rke ab. Dies muss hei ihrer Nachahmung mittelst der Mixturen ber\u00fccksichtigt werden. Die Mixturen waren der bisherigen musikalischen Theorie, welche nur von den Grundt\u00f6nen der Kl\u00e4nge etwas weiss, ein Gr\u00e4uel, doch zwang die Praxis der Orgelspieler und Orgelbauer sie beizubehalten, und zweckm\u00e4ssig eingerichtet und richtig angewendet sind sie ein h\u00f6chst wirksames musikalisches Hilfsmittel. Dabei ist ihre Anwendung durch die Natur der Sache vollkommen gerechtfertigt. Der Musiker muss sich alle Kl\u00e4nge aller musikalischen Instrumente \u00e4hnlich wie die eines Mixturregisters zusammengesetzt denken, und welche wesentliche Rolle diese Zusammensetzung auf die Construction unserer Tonleitern und Accorde hat, wird in den sp\u00e4teren Abtheilungen dieses Buches klar werden.\nWir sind mit unserer Untersuchung hier zu einer Sch\u00e4tzung der Obert\u00f6ne gelangt, welche von den bisherigen Ansichten der Musiker und auch wohl der Physiker ziemlich abweicht, und m\u00fcssen deshalb widersprechenden Ansichten entgegentreten. Man hat die Obert\u00f6ne wohl gekannt, aber fast nur in einzelnen Klangarten, namentlich denen der Saiten, wo die Gelegenheit g\u00fcnstig war, sie zu beobachten; sie erscheinen aber in den bisherigen physikali-","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Schwierigkeiten in der Beobachtung der Obert\u00f6ne. 99\nsehen und musikalischen Werken als ein vereinzeltes, zuf\u00e4lliges Ph\u00e4nomen von geringer Intensit\u00e4t, eine Art von Curiosum, welches man wohl gelegentlich anf\u00fchrte, um dadurch die Meinung einiger-maassen zu st\u00fctzen, dass die Natur schon die Construction unseres Duraccords vorgebildet habe, welches im Ganzen aber doch ziemlich unbeachtet blieb. Dem gegen\u00fcber m\u00fcssen wir behaupten, und werden es im n\u00e4chsten Abschnitte nachweisen, dass die Obert\u00f6ne ein allgemeiner Bestandtheil fast aller Kl\u00e4nge sind, mit wenigen schon genannten Ausnahmen, dass ein gewisser Reich-thum derselben ein wesentliches Erforderniss einer guten musikalischen Klangfarbe ist. Endlich hat man sie f\u00e4lschlich f\u00fcr schwach gehalten, weil sie schwer zu beobachten sind, w\u00e4hrend im Gegen-theil in einigen der besten musikalischen Klangfarben, die St\u00e4rke der unteren Obert\u00f6ne der des Grundtons nicht viel nachgiebt.\nVon der letzteren Thatsache kann man sich wiederum an Saitenkl\u00e4ngen leicht durch den Versuch \u00fcberzeugen. Wenn man eine Saite eines Claviers oder Monochords anschl\u00e4gt, und unmittelbar nachher einen ihrer Knotenpunkte f\u00fcr einen Augenblick leicht mit dem Finger ber\u00fchrt, so bleibt der entsprechende Theilton, dessen Knotenpunkt ber\u00fchrt wurde, in unver\u00e4nderter St\u00e4rke stehen, die \u00fcbrigen T\u00f6ne erl\u00f6schen. Man kann ebenso gut auch gleich w\u00e4hrend des Anschlages den Finger auf dem Knotenpunkte ruhen lassen, und erh\u00e4lt dann von vorn herein nur den betreffenden Theilton statt des ganzen Klanges der Note. Auf beiderlei Wege kann man sich \u00fcberzeugen, dass die ersten Obert\u00f6ne, also namentlich die Octave und Duodecime, keineswegs schwache und schwer zu h\u00f6rende T\u00f6ne sind, sondern eine sehr namhafte St\u00e4rke haben. In einigen F\u00e4llen lassen sich auch Zahlenwerthe f\u00fcr die St\u00e4rke der Obert\u00f6ne geben, wie der n\u00e4chste Abschnitt zeigen wird. F\u00fcr andere als Saitent\u00f6ne ist der Nachweis nicht so leicht zu f\u00fchren, weil man die Obert\u00f6ne nicht isolirt ansprechen lassen kann, doch kann man dann immer noch mittelst der Resonatoren erkennen, wie stark die Obert\u00f6ne etwa sind, indem man die ihnen entsprechende Note auf demselben oder einem anderen Instrumente so stark angiebt, dass sie dieselbe St\u00e4rke der Resonanz im Resonator hervorbringt.\nDie Schwierigkeit, sie zu h\u00f6ren, ist kein Grund sie f\u00fcr schwach zu halten, denn diese Schwierigkeit h\u00e4ngt gar nicht von ihrer St\u00e4rke, sondern von ganz anderen Umst\u00e4nden ab, welche erst durch die neueren Fortschritte der Physiologie der Sinnesorgane\n7*","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100 Erste Abtheilung. Vierter Abschnitt.\nin das rechte Licht gestellt worden sind. An diese Schwierigkeit, die Obert\u00f6ne wahrzunehrnen, haben sich Einw\u00fcrfe gekn\u00fcpft, welche A. Seebeck*) gegen das von Ohm aufgestellte Gesetz der Klanganalyse vorgebracht hat, und vielleicht m\u00f6chten viele meiner Leser, die nicht mit der Physiologie der anderen Sinnesorgane, namentlich des Auges,bekannt sind, geneigt sein, sich Seeheck\u2019s Meinungen anzuschliessen. Ich muss deshalb hier auf diesen. Streit und die Eigenth\u00fcmlichkeiten unserer sinnlichen Wahrnehmungen, von denen seine Entscheidung abh\u00e4ngt, n\u00e4her eingehen.\nSeeheck; obgleich ein in akustischen Versuchen und Beobachtungen ausgezeichnet gewandter Forscher, war nicht immer im Stande gewesen, die Obert\u00f6ne da zu erkennen, wo sie dem von Ohm aufgestellten Gesetze gem\u00e4ss h\u00e4tten Vorhandensein m\u00fcssen. Aber, wie wir gleich hinzuf\u00fcgen m\u00fcssen, er hat auch nicht die von uns vorher aufgef\u00fchrten Methoden angewendet, um sein Ohr auf die fraglichen Obert\u00f6ne hinzuleiten. Oder wenn er die Obert\u00f6ne auch h\u00f6rte, so erschienen sie ihm doch zu schwach, verglichen mit der St\u00e4rke, die sie theoretisch haben sollten. Er schloss daraus, dass die von Ohm aufgestellte Definition des einfachen Tones zu eng sei, dass nicht bloss pendelartige Schwingungen, sondern auch anders gestaltete, wenn ihre Form sich nur nicht allzuweit von der der pendelartigen Schwingungen unterscheide, im Stande seien, im Ohre die Empfindung eines einzelnen Tones, aber von wechselnder Klangfarbe, hervorzurufen. Er behauptete deshalb, dass, wenn ein Klang aus mehreren einfachen T\u00f6nen zusammengesetzt sei, ein Theil der Tonst\u00e4rke der Obert\u00f6ne mit dem Grundtone verschmolzen werde und diesen verst\u00e4rke, w\u00e4hrend h\u00f6chstens ein kleiner Rest noch die Empfindung eines Obertons hervorbringe. Ein bestimmtes Gesetz dar\u00fcber, welche Schwingungsformen den Eindruck eines einzelnen Tones, welche den eines zusammengesetzten geben m\u00fcssten, hat er nicht aufgestellt. Die Versuche von Seebeck, auf welche er seine Behauptungen st\u00fctzt, brauchen wir hier nicht n\u00e4her zu beschreiben. Sie haben nur zum Zwecke, Kl\u00e4nge herzustellen, in denen man die St\u00e4rke der einfachen Schwingungen, die den Obert\u00f6nen entsprechen, entweder theoretisch berechnen kann, oder deren Obert\u00f6ne man isolirt h\u00f6rbar machen kann. F\u00fcr den letzteren Zweck ist namentlich die\n*) In Poggendorf'f\u2019s Annalen der Physik Bd. LX, S. 449, Bd. LXIII, S. 353 und 368. - Ohm, ebend. Bd. LIX, S. 513, Bd. LXII, S. 1.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Schwierigkeiten in der Beobachtung der Obert\u00f6ne. 101\nSirene benutzt worden; wir haben eben beschrieben, wie man dasselbe mittelst der Saiten erreichen kann. Seebeck weist in den einzelnen F\u00e4llen nach, dass die einfachen Schwingungen, die den Obert\u00f6nen entsprechen, eine namhafte St\u00e4rke haben, w\u00e4hrend doch die Obert\u00f6ne in dem zusammengesetzten Klange gar nicht, oder schwer zu h\u00f6ren sind. Diese Thatsache haben wir selbst im Laufe dieses Abschnittes schon angef\u00fchrt; sie kann f\u00fcr den einen Beobachter vollst\u00e4ndig richtig sein, namentlich wenn er nicht die richtigen Mittel f\u00fcr die Beobachtung der Obert\u00f6ne anwendet, w\u00e4hrend ein Anderer, oder auch jener Erste selbst bei besserer Unterst\u00fctzung, die Obert\u00f6ne vollkommen gut h\u00f6rt.\nDie Obert\u00f6ne sind n\u00e4mlich ein Ph\u00e4nomen, welches der reinen Empfindung des Ohres angeh\u00f6rt; ,die Zusammenfassung einer Reihe von Partialt\u00f6nen zu einem Klange, wie er irgend einem bestimmten Tonwerkzeuge zukommt, ist ein Vorgang, welcher in das Gebiet nicht der Empfindungen, sondern der Wahrnehmungen f\u00e4llt. Schon in der Einleitung habe ich auf diesen Unterschied aufmerksam gemacht. Empfindungen nennen wir die Eindr\u00fccke auf unsere Sinne, insofern sie uns nur als Zust\u00e4nde unseres K\u00f6rpers (speciell unserer Nervenapparate) zum Bewusstsein kommen; Wahrnehmungen, insofern wir aus ihnen uns die Vorstellung \u00e4usserer Objecte bilden. Wenn wir einen gewissen Schall auffassen als den Klang einer Violine, so ist dies eine Wahrnehmung, wir schliessen auf die Existenz eines bestimmten Tonwerkzeuges, welches derartige Kl\u00e4nge hervorzubringen pflegt. Wenn wir aber diesen Klang in seine Partialt\u00f6ne zu zerlegen suchen, so ist dies Sache der reinen Empfindung. Dem einzelnen Partialtone entspricht gar kein besonderer t\u00f6nender K\u00f6rper, oder Theil eines solchen ; getrennt von den \u00fcbrigen Partialt\u00f6nen desselben Klanges ist er nichts als ein Theil unserer Empfindung. Wenn wir daher wissenschaftliche Untersuchungen \u00fcber unsere Empfindungen anstellen, wie in diesem Buche, so k\u00f6nnen wir ein grosses Interesse daran haben, ihn aufzusuchen; beim allt\u00e4glichen Gebrauche des Ohres dagegen haben wir gar kein solches Interesse, denn da haben unsere Sinnesempfindungen f\u00fcr uns nur insofern Werth, als wir mit ihrer Hilfe die Vorg\u00e4nge in der uns umgebenden Aussen-welt ermitteln k\u00f6nnen. Zu letzterem Zwecke gen\u00fcgt aber die richtige Auffassung der Kl\u00e4nge; die Trennung derselben in Partialt\u00f6ne, wenn wir uns ihrer bewusst w\u00fcrden, w\u00fcrde nicht nur nichts helfen, sondern auch ausserordentlich st\u00f6rend sein.","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102 Erste Abtheilung. Vierter Abschnitt.\nIn dem Gebrauche unserer Sinneswerkzeuge spielt nun aber Ein\u00fcbung und Erfahrung eine viel gr\u00f6ssere Rolle, als wir gew\u00f6hnlich geneigt sind vorauszusetzen, und da, wie wir eben bemerkten, unsere Sinnesempfindungen f\u00fcr uns zun\u00e4chst nur insofern von Wichtigkeit sind, als wir durch sie in den Stand gesetzt werden, die uns umgebende Aussenwelt richtig zu beurtheilen, so erstreckt sich unsere Uebung in der Beobachtung dieser Empfindungen auch gew\u00f6hnlich nur genau so weit, als es dieser Zweck erfordert. Wir sind freilich nur zu geneigt zu meinen, dass wir uns alles dessen auch gleich bewusst werden m\u00fcssten, was wir empfinden, und was in unseren Empfindungen enthalten ist. Diese nat\u00fcrliche Meinung st\u00fctzt sich aber nur darauf, dass wir in der That uns alles dessen stets schnell und ohne M\u00fche bewusst werden, was uns f\u00fcr den praktischen Zweck, die Aussenwelt richtig kennen zu lernen, an unseren Empfindungen interessirt, weil wir w\u00e4hrend unseres ganzen Lebens uns t\u00e4glich und st\u00fcndlich gerade f\u00fcr diesen Zweck im Gebrauche unserer Sinnesorgane ge\u00fcbt, f\u00fcr ihn Erfahrungen gesammelt haben. Und selbst, wenn wir in dem Kreise der Empfindungen stehen bleiben, welche \u00e4usseren Dingen entsprechen, zeigt sich der Einfluss der Uebung. Es ist bekannt, wie viel feiner und schneller der Maler Farben und Beleuchtung zu unterscheiden weiss, als ein f\u00fcr diese Dinge nicht einge\u00fcbtes Auge, wie der Musiker und der musikalische Instrumentenmacher leicht und sicher Unterschiede der Tonh\u00f6he und der Klangfarbe auffasst, die f\u00fcr das Ohr des Laien nicht existiren, wie selbst in den niederen Gebieten der Kochkunst und des Weinschmeckens erst vielf\u00e4ltige Ein\u00fcbung und Vergleichung den Meister macht. Noch viel auffallender tritt aber der Werth der Ein\u00fcbung hervor, wenn wir zu solchen Empfindungen \u00fcbergehen, die nur durch innere Verh\u00e4ltnisse unserer Sinnesorgane und unseres Nervensystems bedingt sind, und die gar nicht \u00e4usseren Dingen und deren Einwirkungen auf uns entsprechen, die, deshalb auch f\u00fcr uns keinen Werth zur Erkenntniss der Aussenwelt haben. Die neuere Physiologie der Sinnesorgane hat eine Menge solcher Erscheinungen kennen gelehrt, die zum Theil durch reinen Zufall, zum Theil durch theoretische Fragen und Speculationen, zum Theil durch ein besonderes Beobachtungstalent einzelner begabterer Naturen, wie G\u00f6the\u2019s und Purkinje\u2019s, gefunden worden sind. Diese sogenannten subjectiven Erscheinungen sind ausserordentlich schwer zu finden, und wenn sie gefunden sind, erfor-","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Schwierigkeiten in der Beobachtung der Obert\u00f6ne. 103\ndern sie fast stets besondere Unterst\u00fctzungsmittel f\u00fcr unsere Aufmerksamkeit, um diese zur Beobachtung des fraglichen Ph\u00e4nomens hinzulenken, so dass es sogar meist recht schwer ist, die Erscheinungen wiederzufinden, selbst wenn man schon die Beschreibung des ersten Beobachters kennt. Wir sind n\u00e4mlich nicht nur nicht darin einge\u00fcbt, diese subjectiven Sinneserscheinungen zu beobachten, sondern wir-sind sogar ausserordentlich ge\u00fcbt, von ihnen beharrlich zu abstrahiren, weil sie uns in der Beobachtung der Aussenwelt st\u00f6ren w\u00fcrden. Nur wenn ihre \u2022 St\u00e4rke so gross wird, dass sie die Beobachtung der Aussenwelt hindern, fangen wir an sie zu bemerken, oder sie werden auch wohl in Tr\u00e4umen und Delirien die Ankn\u00fcpfungspunkte f\u00fcr Wahnvorstellungen.\nAls Beispiele will ich hier nur an einige F\u00e4lle aus der physiologischen Optik erinnern, die ziemlich bekannt sind. Sogenannte fliegende M\u00fccken sind wohl in jedem Auge vorhanden; es sind dies F\u00e4serchen, K\u00f6rnchen, Tr\u00f6pfchen, die in der Glasfeuchtigkeit des Auges herumschwimmen, ihren Schatten auf die Netzhaut werfen, und als kleine dunkle bewegliche Gebilde im Gesichtsfelde erscheinen; am leichtesten sind sie sichtbar, wenn man nach einer breiten hellen Fl\u00e4che ohne andere Zeichnung, z. B. nach dem Himmelsgew\u00f6lbe, aufmerksam hinblickt. Die meisten Personen, welche nicht besonders darauf aufmerksam gemacht worden sind, bemerken dieselben gew\u00f6hnlich erst, wenn ihre Augen krank werden, und sie deshalb anfangen, die subjectiven Symptome aufmerksamer zu beobachten. Dann ist die gew\u00f6hnliche Klage, dass die fliegenden-M\u00fccken mit der Krankheit gekommen sind; und dies veranlasst die Patienten, sich \u00fcber diese harmlosen Dinge oft sehr zu beunruhigen, und sie aufmerksam zu verfolgen. Sie wollen es dann nicht glauben, wenn man ihnen die Versicherung giebt, dass diese selben Gebilde schon w\u00e4hrend ihres ganzen fr\u00fcheren Lebens existirt haben, und in jedem gesunden Auge existiren. Ja ich habe sogar einen alten Herrn gekannt, der ein Auge bedecken musste, welches zuf\u00e4llig krank wurde, und dabei zu seinem nicht geringen Schrecken zum ersten Male bemerkte, dass er auf dem anderen Auge vollkommen blind sei, und in der That war es eine Art von Blindheit, die Jahre lang bestanden haben musste, ohne dass sie je bemerkt worden war.\nWer w\u00fcrde es ferner glauben, ohne die betreffenden Versuche ausgef\u00fchrt zu haben, dass, wenn ein Auge geschlossen wird,","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104 Erste Abtheilung. Vierter Abschnitt.\ngar nicht-weit von der Mitte des Gesichtsfeldes, welches das zweite noch offene Auge \u00fcbersieht, sich eine L\u00fccke dieses Feldes befindet, in der wir nichts sehen, und die wir nur durch die Vorstellung ausf\u00fcllen, der sogenannte blinde Fleck. Mariotte, der diese Erscheinung in Folge theoretischer Speculationen entdeckte, erregte damit nicht geringes Erstaunen am Hofe K\u00f6nig Carl\u2019s H. von England, wo er sie zeigte, und der Versuch wurde damals in vielen Variationen wiederholt,,und zur Belustigung gebraucht. In der That ist diese L\u00fccke gross genug, dass auf ihrem Durchmesser . 7 Vollmonde neben einander w\u00fcrden stehen k\u00f6nnen, und dass ein 6 bis 7 FuSs entferntes menschliches Gesicht darin verschwinden kann. Beim gew\u00f6hnlichen unbefangenen Sehen wird aber die L\u00fccke des Gesichtsfeldes gar nicht bemerkt, weil wir unseren Blick fortdauernd herumschweifen lassen, und immer so.-gleich nach denjenigen Gegenst\u00e4nden direct hinwenden, welche uns interessiren. Die Gegenst\u00e4nde also, welche im Augenblicke unsere Aufmerksamkeit erregen, kommen nie auf die L\u00fccke des Gesichtsfeldes zu liegen; deshalb wird der blinde Fleck im Gesichtsfelde gew\u00f6hnlich gar kein Gegenstand unserer Aufmerksamkeit. Wir m\u00fcssen den Blick erst absichtlich auf ein Object festheften, dann ein zweites kleines Object in die Gegend des blinden Flecks schieben, und uns bem\u00fchen, auf dieses Object zu achten, ohne unseren Fixationspunkt zu verr\u00fccken, was unserer Gewohnheit ausserordentlich widerstrebt, manchen Personen sogar gar nicht gelingt; erst dann sehen wir das zweite Object verschwinden, und \u00fcberzeugen uns von der Existenz dieser L\u00fccke.\nEndlich erinnere ich an die Doppelbilder beim gew\u00f6hnlichen Sehen mit zwei Augen. So oft wir einen Punkt mit beiden Augen fixiren, erscheinen uns alle Gegenst\u00e4nde doppelt, welche viel n\u00e4her oder viel weiter als der betrachtete Punkt liegen. Bei etwas aufmerksamer Beobachtung erkennen wir dies leicht. Wir k\u00f6nnen daraus schliessen, dass wir unser ganzes Leben hindurch fortdauernd den bei weitem gr\u00f6ssten Theil der Aussenwelt doppelt gesehen haben, und doch giebt es viele Personen, die dies nicht wissen, die h\u00f6chlichst erstaunen, wenn man sie zuerst darauf aufmerksam macht. Aber in der That haben wir auch fortdauernd gerade die Gegenst\u00e4nde nicht doppelt gesehen, auf welche unsere Aufmerksamkeit zur Zeit gerichtet war, denn diese fixiren wir stets mit beiden Augen zugleich. Es war also unsere Aufmerksamkeit beim allt\u00e4glichen Gebrauch der Augen stets abgelenkt von allen","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Schwierigkeiten ii* der Beobachtung der Obert\u00f6ne. 105\ndenjenigen Objecten, welche zur Zeit doppelt erschienen, und deshalb wissen wir nichts davon. Wir m\u00fcssen erst unserer Aufmerksamkeit einen neuen und ungew\u00f6hnlichen Zweck setzen, wir m\u00fcssen anfangen, die Seitentheile des Gesichtsfeldes zu durchmustern, nicht um die dort befindlichen Objecte kennen zu lernen, sondern um unsere Empfindungen zu analysiren, ehe wir das Ph\u00e4nomen auffinden.\nDieselbe Schwierigkeit, welche f\u00fcr die Beobachtung subjecti-ver Empfindungen besteht, denen in der Aussenwelt kein Object entspricht, besteht auch f\u00fcr die Analyse zusammengesetzter Empfindungen, welche einem einfachen, nicht zusammengesetzten Objecte entsprechen, und der Art sind eben die Empfindungen der Kl\u00e4nge. Wenn der Schall einer Violine, so oft wir ihn geh\u00f6rt haben, in unserem Ohre immer und immer wieder dieselbe Summe von Partialt\u00f6nen zur Empfindung gebracht hat, so wird diese Summe von T\u00f6nen in unserer Empfindung endlich das zusammengesetzte Zeichen f\u00fcr den Klang einer Violine, eine andere Combination von Partialt\u00f6nen wird das sinnliche Zeichen f\u00fcr den Klang einer Clarinette u. s. w. Je \u00f6fter eine solche Combination geh\u00f6rt worden ist, desto mehr sind wir gew\u00f6hnt, sie als zusammenh\u00e4ngendes Ganzes aufzufassen, und desto schwerer ist es, sie durch unmittelbare Beobachtung zu analysiren. Ich glaube, dass dies einer der haupts\u00e4chlichsten Gr\u00fcnde ist, warum die Zerlegung der menschlichen Gesangst\u00f6ne verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig so schwer ist. Dergleichen Verschmelzungen mehrerer Empfindungen zu einem einfachen Ganzen bewusster Wahrnehmung kommen im Gebiete aller unserer Sinnesorgane vor.\nWir finden daf\u00fcr wieder interessante Beispiele in der physiologischen Optik. Die Anschauung der k\u00f6rperlichen Form eines nahen Gegenstandes wird hervorgebracht durch die Verbindung je zweier verschiedener Bilder, welche die beiden Augen von dem Gegenst\u00e4nde liefern, und deren Verschiedenheit darauf beruht, dass die beiden Augen den betreffenden Gegenstand von etwas verschiedenen Standpunkten aus betrachten, und deshalb zwei etwas verschiedene perspectivische Ansichten von ihm erhalten. Dass dies wirklich so sei, konnte vor Erfindung des Stereoskops nur vermuthet werden, jetzt aber mit Hilfe dieses Instrumentes jeden Augenblick leicht erwiesen werden. Im Stereoskope setzen wir je zwei flache Zeichnungen zusammen, welche die beiden per-spectivischen Ansichten beider Augen darstellen, so dass jedes Auge das ihm zugeh\u00f6rige Bild am passenden Orte erblickt, und","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106 Erste Abtheilung. Vierter Abschnitt.\nwir erhalten dadurch die Anschauung eines k\u00f6rperlich ausgedehnten Gegenstandes ganz ebenso vollst\u00e4ndig und ebenso lebendig, als wenn wir einen wirklichen K\u00f6rper vor uns h\u00e4tten. Nun k\u00f6nnen wir allerdings, wenn wir, darauf aufmerksam gemacht, ein Auge nach dem andern schliessen, diese Verschiedenheiten der Bilder erkennen, wenigstens, wenn sie nicht zu klein sind ; es gen\u00fcgen aber f\u00fcr die stereoskopische Anschauung der Tiefendimension Bilder, welche so ausserordentlich wenig von einander verschieden sind, dass es selbst bei genauer Vergleichung kaum m\u00f6glich ist ihre Unterschiede zu erkennen, und jedenfalls haben wir bei der gew\u00f6hnlichen unbefangenen Betrachtung k\u00f6rperlicher Gegenst\u00e4nde durchaus keinen Gedanken daran, dass diese Anschauung aus zwei verschmolzenen perspectivischen Ansichten zusammengesetzt ist, da sie selbst eine Anschauung ganz anderer Art ist, als jedes der flachen perspectivischen Bilder f\u00fcr sich genommen. Es verschmelzen also hier zwei verschiedene Empfindungen beider Augen in eine dritte von beiden ganz verschiedene Vorstellung, gerade wie Partialt\u00f6ne zur Vorstellung des Klanges eines bestimmten Instruments verschmelzen. Und gerade, wie wir die Partialt\u00f6ne einer Saite zu trennen lernen, wenn wir sie zun\u00e4chst isolirt erklingen lassen, indem wir einen Knotenpunkt d\u00e4mpfen, so lernen wir die Bilder beider Augen trennen, indem wir erst eines, dann das andere schliessen.\nEs giebt noch viel zusammengesetztere F\u00e4lle, wo viele Empfindungen Zusammenkommen m\u00fcssen, um die Grundlage f\u00fcr eine ganz einfache Wahrnehmung abzugeben. Wenn wir z. B. wahrnehmen, dass ein gesehener Gegenstand in einer gewissen Richtung liege, so m\u00fcssen wir zun\u00e4chst unterscheiden, dass ein gewisser Theil unserer Sehnervenfasern von seinem Lichte getroffen worden ist, andere nicht; danach bestimmt sich die Lage des Objects zum Auge. Dann m\u00fcssen wir die Stellung der Augen im Kopfe mittelst des Muskelgef\u00fchls unserer Augenmuskeln richtig be-urtheilen, und wir m\u00fcsSen endlich selbst die Stellung des Kopfes zum K\u00f6rper mittelst des Muskelgef\u00fchls der Nackenmuskeln richtig beurtheilen. So wie einer dieser Vorg\u00e4nge gest\u00f6rt wird, bilden wir falsche Vorstellungen \u00fcber die Lage der Gesichtsobjecte. Wenn wir die Brechung des Lichtes \u00e4ndern, indem wir ein Prisma vor das Auge setzen, und so bewirken, dass andere Nervenfasern vom Lichte des betreffenden Objects getroffen werden, oder wenn wir den Augapfel seitw\u00e4rts dr\u00fccken und dadurch das freie","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Schwierigkeiten in der Beobachtung der Obert\u00f6ne. 107\nSpiel der Augenmuskeln hemmen, k\u00f6nnen wir durch solche Versuche allerdings nachweisen, dass die Empfindungen dieser verschiedenen Organe concurriren m\u00fcssen f\u00fcr die einfache Wahrnehmung der Lage des Objectes, aber es w\u00fcrde ganz unm\u00f6glich sein, dies unmittelbar aus dem sinnlichen Eindr\u00fccke herauszulesen, den uns das Object macht. Und selbst wenn wir jene Versuche angestellt und uns in jeder Weise davon \u00fcberzeugt haben, dass es so sein m\u00fcsse,, bleibt es doch f\u00fcr unsere'unmittelbare Selbstbeobachtung durchaus verborgen.\nDiese Beispiele m\u00f6gen gen\u00fcgen, um die grosse Rolle nachzuweisen, welche die Richtung der Aufmerksamkeit und die Uebung in der Beobachtung bei unseren Sinneswahrnehmungen spielt. Wenden wir dies nun auf die Beobachtung durch das Ohr an. Die gew\u00f6hnliche Aufgabe, welche unser Ohr beim Zusammentreffen mehrerer Kl\u00e4nge zu l\u00f6sen hat, ist die, die einzelnen Kl\u00e4nge, welche den einzelnen t\u00f6nenden K\u00f6rpern oder Instrumenten angeh\u00f6ren, von einander zu scheiden; nur so weit hat die Analyse durch das Ohr objectives Interesse. Wir w\u00fcnschen zu wissen, wenn mehrere Menschen durch einander sprechen, was jeder Einzelne sagt, wenn mehrere Instrumente und Stimmen Zusammenwirken, welche Melodie eine jede Einzelstimme ausf\u00fchrt. Die weitere Analyse dagegen, wodurch die einzelnen Kl\u00e4nge in ihre Theilt\u00f6ne zerlegt werden, obgleich sie durch dieselben Mittel und dieselben F\u00e4higkeiten des Ohres ausgef\u00fchrt werden kann, wie jene erste, w\u00fcrde uns nichts Neues mehr lehren \u00fcber die vorhandenen Tonquellen, sie w\u00fcrde uns \u00fcber deren Zahl eher irre machen. Deshalb beschr\u00e4nken wir die Richtung unserer Aufmerksamkeit gew\u00f6hnlich auf die Zerlegung der Klangmasse in Kl\u00e4nge der einzelnen Instrumente, und halten sie gleichsam zur\u00fcck von der weiteren Zerlegung der Kl\u00e4nge in T\u00f6ne. Ebenso ge\u00fcbt, wie wir daher in dem ersteren Gesch\u00e4fte sind, ebenso unge\u00fcbt sind wir in dem letzteren.\nEs giebt nun mancherlei Hilfsmittel, durch welche wir unterst\u00fctzt werden in dem Gesch\u00e4fte, die Kl\u00e4nge verschiedener Tonquellen von einander zu sondern, dagegen die Partialt\u00f6ne derselben Tonquelle zusammen zu halten. Wenn zu einem bestehenden Klange ein zweiter hinzukommt, dann vielleicht der zweite besteben bleibt, w\u00e4hrend der erste aufh\u00f6rt, ist die Trennung schon durch die Zeitfolge erleichtert. Wir haben den ersten Klang einzeln kennen gelernt, und wissen deshalb gleich, was wir von dem","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\tErste Abtheilung. Vierter Abschnitt.\neintretenden Zusammenklange auf Rechnung des ersten Klangs abzuziehen haben. Aber auch seihst, wenn in vielstimmiger Musik mehrere Stimmen sich in gleichem Rhythmus fortbewegen, ist die Ansatzweise der Kl\u00e4nge bei den verschiedenen Instrumenten und Stimmen, die Art ihrer Schwellung, die Sicherheit ihres Aushaltens, die Art, wie sie abklingen, meist ein wenig verschieden. Die T\u00f6ne der Claviere zum Beispiel setzen pl\u00f6tzlich mit einem Schlage ein, sind also im ersten Augenblicke am st\u00e4rksten, und nehmen dann schnell ab; die T\u00f6ne der Blechinstrumente dagegen setzen schwerf\u00e4llig ein, sie brauchen eine kleine merkliche Zeit, um in voller St\u00e4rke sich zu entwickeln; die Kl\u00e4nge der Streichinstrumente zeichnen sich aus durch ihre ausserordentlich grosse Beweglichkeit, aber wenn die Spielart oder das Instrument nicht sehr vollendet sind, so sind sie durch kleine sehr kurze Pausen unterbrochen, die im Ohr das Gef\u00fchl des Kratzens hervorbringen, wie wir sp\u00e4ter bei der Analyse des Violinklanges noch n\u00e4her beschreiben werden. Wenn dergleichen Instrumente also auch Zusammengehen, so giebt es doch meist Zeiten, wo ein oder der andere Klang das Uebergewicht hat, und deshalb vom Ohre leicht ausgesondert wird. Uebrigens wirdin guten vielstimmigen Compositionen auch durchaus darauf R\u00fccksicht genommen, dem Ohre die Trennung der Kl\u00e4nge zu erleichtern. In der eigentlich polyphonen Musik, wo jede einzelne Stimme ihre selbstst\u00e4ndige Melodief\u00fchrung hat, ist es stets ein Hauptmittel gewesen, um den Gang der Stimmen klar zu erhalten, dass man sie in- verschiedenem Rhythmus und auf verschiedenen Takttheilen sich neben einander fortbewegen l\u00e4sst, und wo dies gar nicht, oder nur in beschr\u00e4nkter Weise angeht, wie in den vierstimmig ausgesetzten Chor\u00e4len, ist es deshalb die alte Regel, wo m\u00f6glich drei Stimmen sich nur um eine Tonstufe fortbewegen zu lassen, w\u00e4hrend die vierte \u00fcber mehrere wegspringt Der geringe Wechsel in der Tonh\u00f6he macht es dann dem H\u00f6rer leichter, die Identit\u00e4t der einzelnen Stimmen festzuhalten.\nBei der Zerlegung der Kl\u00e4nge in Theilt\u00f6ne f\u00e4llt dieses Hilfsmittel weg; wenn ein Klang einsetzt, setzen alle seine Theilt\u00f6ne in gleicher St\u00e4rke ein, wenn er schwillt, schwellen sie meistens alle gleichm\u00e4ssig, wenn er aufh\u00f6rt, h\u00f6ren alle zusammen auf. Es ist deshalb die Gelegenheit, diese T\u00f6ne vereinzelt und selbstst\u00e4ndig zu h\u00f6ren meist abgeschnitten. Ganz \u00e4hnlich, wie die nat\u00fcrlich zusammengeh\u00f6rigen Partialt\u00f6ne einer einzelnen Tonquelle, verschmelzen denn auch die Partialt\u00f6ne in einem Mixturregister der","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Schwierigkeiten in der Beobachtung der Obert\u00f6ne. 109\nOrgel, welche alle mit derselben Taste angeschlagen werden, und in gleicher Weise wde ihr Grundton sich in der Melodie fortbewegen.\nFerner sind die Kl\u00e4nge der meisten Instrumente noph mit charakteristischen unregelm\u00e4ssigen Ger\u00e4uschen begleitet; ich erinnere an das Kratzen und Reihen des Violinbogens, das Sausen der Luft an Fl\u00f6ten und Orgelpfeifen, das Schnarren der Zungenwerke u. s. w. Diese Ger\u00e4usche erleichtern es ebenfalls sehr, die Kl\u00e4nge der einzelnen Instrumente, die wir als mit ihnen verbunden schon kennen, einzeln aus einer Klangmasse auszuscheiden. Den Theilt\u00f6nen eines Klanges fehlt nat\u00fcrlich dieses Erkennungszeichen.\nWir d\u00fcrfen uns daher nicht wundern, wenn die Aufl\u00f6sung der Kl\u00e4nge inTheilt\u00f6ne f\u00fcr unser Ohr nicht ganz so leicht ist, als die Aufl\u00f6sung eines Zusammenklanges vieler Instrumente in seine n\u00e4chsten Bestandtheile, und dass seihst ein ge\u00fcbtes musikalisches Ohr einen ziemlich hohen Grad von Aufmerksamkeit anwenden muss, wenn es der erstgenannten Aufgabe sich unterzieht.\nAuch ist leicht einzusehen, dass die genannten Unterst\u00fctzungsmittel zu einer richtigen Trennung verschiedener Kl\u00e4nge von einander nicht immer ausreichen werden, dass namentlich hei gleich-massig anhaltenden Kl\u00e4ngen, deren einer als ein Oberton des anderen betrachtet werden kann, das Urtheil schwankend werden mag. Und in der That ist es so. Ein sehr belehrender Versuch ist dar\u00fcber vonG. S. Ohm angestellt worden, und zwar mit Kl\u00e4ngen einer Violine. Viel zweckm\u00e4ssiger ist es, diesen Versuch mit einfachen T\u00f6nen, z. B. denen einer geduckten Orgelpfeife, auszuf\u00fchren. Am besten eignen sich dazu angeblasene Glasflaschen von der in Fig. 19 dargestellten Form, die man sich leicht her-stellen und dem Versuche anpassen kann. An der Flasche ist mittelst des St\u00e4bchens c ein Rohr a von Guttapercha in passender Lage befestigt. Die der Flasche zugekehrto M\u00fcndung des Rohres ist voi\u2019her in warmem Wasser erweicht, und platt gedr\u00fcckt worden, so dass sie einen schmalen Spalt darstellt, aus welchem","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110 Erste Abtheilung. Vierter Abschnitt.\ndie Luft \u00fcber die M\u00fcndung der Flasche hinstr\u00f6mt. Wird das Rohr durch einen Gummischlauch mit einem Blasehalge verbunden, und die Flasche angeblasen, so giebt sie einen dumpfen, dem Vocal U \u00e4hnlichen Ton, welcher noch freier von Obert\u00f6nen als der Ton einer gedackten Pfeife ist, nur von wenig Luftger\u00e4usch begleitet. Die Tonh\u00f6he, finde ich, ist bei kleinen Aenderungen der Windst\u00e4rke leichter constant zu halten, als bei den gedackten Pfeifen. Man macht solche Flaschen tiefer, wenn man ihre M\u00fcndung durch eine aufgelegte kleine Holzplatte zum Theil deckt, man macht sie h\u00f6her, wenn man Oel oder geschmolzenes Wachs hineingiesst, und kann dadurch leicht kleine Aenderungen ihrer Stimmung, wie man sie w\u00fcnscht, hervorbringen. Ich hatte eine gr\u00f6ssere auf b, eine kleinere auf V gestimmt, und verband sie beide mit demselben Blasebalge, so dass beim Gebrauch des Balges beide zugleich ansprachen. Beide in dieser Weise verbunden gaben einen Klang von der Tonh\u00f6he b der tieferen unter ihnen, aber von der Klangfarbe des Vocals \u00f6. Wenn ich dann bald den einen, bald den anderen Kautschukschlauch zudr\u00fcckte, so dass ich nach einander die beiden T\u00f6ne einzeln h\u00f6rte, war ich im Stande sie auch in ihrer Vereinigung wohl noch einzeln zu erkennen, aber nicht f\u00fcr lange Zeit; allm\u00e4lig verschmolz wieder der h\u00f6here mit dem tieferen. Diese Verschmelzung tritt sogar ein, wenn der h\u00f6here Ton etwas st\u00e4rker als der tiefere ist. Bei dieser allm\u00e4lig eintretenden Verschmelzung ist nun die Aende-rung der Klangfarbe charakteristisch. Wenn man erst den hohen Ton angegeben hat, dann den tieferen hinzukommen l\u00e4sst, h\u00f6rt man anfangs, wie ich finde, den h\u00f6heren Ton noch in seiner ganzen St\u00e4rke weiter; daneben klingt der tiefe in seiner nat\u00fcrlichen Klangfarbe wie ein U. Allm\u00e4lig aber, wie sich die Erinnerung des isolirt geh\u00f6rten h\u00f6heren Tones verliert, wird jener immer undeutlicher und dabei auch schw\u00e4cher, w\u00e4hrend der tiefe Ton scheinbar st\u00e4rker wird, und wie 0 lautet. Diese Schw\u00e4chung des hohen und Verst\u00e4rkung des tiefen Tones hat Ohm auch an der Violine beobachtet; sie tritt freilich, wie Seebeck bemerkt, nicht immer ein, wahrscheinlich je nachdem die Erinnerung an die einzeln geh\u00f6rten T\u00f6ne mehr oder weniger lebendig ist, und beide T\u00f6ne mehr oder weniger gleichm\u00e4ssig neben einander hinklingen. Wo der Versuch aber gelingt, giebt er den besten Beweis daf\u00fcr ab, dass es sich hier ganz wesentlich um die verschiedene Th\u00e4tigkeit der Aufmerksamkeit handelt. Bei den Flaschen-","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Verschmelzung der Obert\u00f6ne zu einem Klange. 111\nt\u00f6nen ist ausser der Verst\u00e4rkung des unteren Tones auch die Aenderung seiner Klangfarbe sehr deutlich und bezeichnend f\u00fcr das Wesen des Vorganges; bei den scharfen Violinkl\u00e4ngen ist sie weniger auffallend.\nDiesen Versuch nahmen sowohl Ohm wie Seebeck f\u00fcr ihre Meinung in Anspruch. Wenn Ohm es f\u00fcr eine Geh\u00f6rst\u00e4uschung erkl\u00e4rt, dass das Ohr die Obert\u00f6ne ganz oder zum Theil als Verst\u00e4rkung des Grundtones (oder vielmehr des Klanges, dessen H\u00f6he durch die des Grundtones bestimmt wird) auffasst, so hat er hier freilich einen nicht ganz richtigen Ausdruck gebraucht, obgleich er Richtiges meinte, und Seebeck konnte ihm mit Recht erwidern , dass das Ohr der einzige Richter in Sachen der Geh\u00f6rempfindungen sein m\u00fcsse, und man die Art, wie das Ohr T\u00f6ne auffasse, nicht als T\u00e4uschung bezeichnen d\u00fcrfe. Indessen zeigen doch die von uns beschriebenen Versuche, dass das Ohr sich hier verschieden verh\u00e4lt, je nach der Lebhaftigkeit der Erinnerung an die einzelnen zum Ganzen verschmolzenen Geh\u00f6reindr\u00fccke und je nach der Spannung der Aufmerksamkeit. WTir k\u00f6nnen also allerdings von den Empfindungen des unbefangen auf die Aussen-dinge gerichteten Ohres, dessen Interessen Seebeck vertritt, ap-pelliren an das sich selbst aufmerksam beobachtende und in seinen Beobachtungen zweckm\u00e4ssig unterst\u00fctzte Ohr, welches in der That so verf\u00e4hrt, wie das von Ohm aufgestellte Gesetz es vorschreibt.\nAuch ein anderer Versuch noch ist hier anzuf\u00fchren. Wenn man den D\u00e4mpfer eines Claviers hebt, so dass alle Saiten frei schwingen k\u00f6nnen, und nun stark gegen den Resonanzboden des Instrumentes den Vocal .4 auf irgend eine der Noten des Claviers kr\u00e4ftig singt, so giebt die Resonanz der nachklingenden Saiten deutlich A, singt man 0, so klingt 0 nach, singt man E, so klingt E nach; I weniger gut. Der Versuch gelingt nicht so gut, wenn man den D\u00e4mpfer nur von der Saite entfernt, deren Ton man singt. Der Vocalcharakter in dem Nachhall entsteht dadurch, dass dieselben Obert\u00f6ne nachklingen, welche f\u00fcr die Vocale charakteristisch sind. Diese klingen aber besser und deutlicher nach, wenn die ihnen entsprechenden h\u00f6heren Saiten frei sind und mitklingen k\u00f6nnen. Also auch hier wird schliesslich der Klang der Resonanz zusammengesetzt aus den T\u00f6nen mehrerer Saiten, und viele einzelne T\u00f6ne combiniren sich zu einem Klange von besonderer Klangfarbe. Ausser den Vocalen der menschlichen Stimme","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112 Erste Abtheilung. Vierter Abschnitt.\nahmt das Clavier auch den Klang einer Clarinette ganz deutlich nach, wenn man mit einer solchen stark hineinbl\u00e4st.\nZu bemerken ist \u00fcbrigens, dass, wenn auch die H\u00f6he eines Klanges f\u00fcr seinen musikalischen Gebrauch nach dem Grundtone bestimmt wird, doch in Wirklichkeit der Einfluss der Ohert\u00f6ne dabei nicht verloren geht. Sie geben dem Klange immer etwas Helleres und H\u00f6heres. Einfache T\u00f6ne klingen dumpf. Wenn man sie mit gleich hohen zusammengesetzten Kl\u00e4ngen vergleicht, ist man geneigt, letztere in eine h\u00f6here Octave zu verlegen als erstere. Es ist ein Unterschied derselben Art, als wenn man den Vocal U und dann A auf dieselbe Note singt. Uebrigens wird eben deshalb die Vergleichung der Tonh\u00f6he von Kl\u00e4ngen verschiedener Klangfarbe oft recht schwer ; man irrt sich n\u00e4mlich leicht um eine Octave, und es sind den ber\u00fchmtesten Musikern und Akustikern dergleichen Irrth\u00fcmer zugestossen. So ist bekannt, dass der als Violinist und theoretischer Musiker ber\u00fchmte Tartini die Com-binationst\u00f6ne alle um eine Octave zu hoch angegeben hat, w\u00e4hrend andererseits Henrici*) die Obert\u00f6ne der Stimmgabeln um eine Octave zu tief angieht.\nSo ergiebt sich dann schliesslich als Resultat dieser Discussion :\n1)\tDass die Obert\u00f6ne, welche den einfachen Schwingungen einer zusammengesetzten Luftbewegung entsprechen, empfunden werden, wenn sie auch nicht immer zur bewussten Wahrnehmung kommen.\n2)\tDass sie ohne andere Hilfe, als eine zweckm\u00e4ssige Leitung der Aufmerksamkeit, auch zur bewussten Wahrnehmung gebracht werden k\u00f6nnen.\n3)\tDass sie aber auch in dem Falle, wo sie nicht isolirtwahr-geuommen werden, sondern in die ganze Klangmasse verschmelzen, doch ihre Existenz in der Empfindung erweisen durch die Ver\u00e4nderung der Klangfarbe, wobei sich namentlich auch der Eindruck ihrer gr\u00f6sseren Tonh\u00f6he in charakteristischer Weise dadurch \u00e4ussert, dass die Klangfarbe heller und h\u00f6her erscheint.\nGenaueren Aufschluss \u00fcber die Beziehungen der Ohert\u00f6ne zur Klangfarbe wird der n\u00e4chste Abschnitt geben.\n*) Poggd. Ann. Bd. XCIX, S. 506. \u2014 Dieselbe Schwierigkeit erw\u00e4hnt Zamminer als bekannt unter den Musikern. (Die Musik und die musikalischen Instrumente, S. 111.)","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"F\u00fcnfter Abschnitt.\nVon den Unterschieden der musikalischen\nKlangfarbe.\nWir haben am Ende des ersten Abschnitts gesehen, dass die Unterschiede der Klangfarbe abh\u00e4ngen m\u00fcssen von der Form der Luftschwingungen. Die Gr\u00fcnde f\u00fcr diese Behauptung waren nur negative. Es hatte sich ergeben, dass die St\u00e4rke abh\u00e4ngt von der Amplitude der Schwingungen, die Tonh\u00f6he von ihrer Anzahl; so blieb f\u00fcr die Unterschiede der Klangfarbe kein anderer Unterschied der Schallwellen \u00fcbrig, als der ihrer Schwingungsform. Wir haben dann weiter gesehen, dass von' der Schwingungsform auch die Existenz und St\u00e4rke der den Grundton des Klanges begleitenden Obert\u00f6ne abh\u00e4ngt, und m\u00fcssen daraus schliessen, dass Kl\u00e4nge von gleicher Klangfarbe auch immer dieselben Combinationen von Partialt\u00f6nen zeigen m\u00fcssen. Denn die besondere Schwingungsform, welche im Ohre die Empfindung einer gewissen Klangfarbe hervorruft, wird auch immer die Empfindung der ihr entsprechenden Obert\u00f6ne hervorrufen m\u00fcssen. Es entsteht also die Frage, ob und in wie weit sich die Verschiedenheiten der Klangfarben darauf zur\u00fcckf\u00fchren lassen, dass in verschiedenen Kl\u00e4ngen verschiedene Partialt\u00f6ne in verschiedener St\u00e4rke verbunden sind. Wir haben am Ende des vorigen Abschnitts gefunden, dass seihst k\u00fcnstlich zusammengef\u00fcgte T\u00f6ne verschmelzen k\u00f6nnen in einen Klang, dessen Klangfarbe dann merklich ahweicht von\nHelmholtz, pliys. Theorie der Musik.\tg","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nder seiner beiden Theilt\u00f6ne, dass also in der That die Existenz eines neuen Obertons die Klangfarbe ver\u00e4ndert. Dadurch \u00f6ffnet sich uns ein Weg, um dem bisher durchaus r\u00e4thselhaften Wesen der Klangfarbe und den Ursachen ihrer Unterschiede auf den Grund kommen zu k\u00f6nnen.\nZun\u00e4chst ist indessen zu bemerken, dass man bisher im Allgemeinen geneigt war, alle m\u00f6glichen verschiedenen Eigenth\u00fcm-lichkeiten der Kl\u00e4nge, welche nicht gerade deren St\u00e4rke und Tonh\u00f6he betrafen, der Klangfarbe zuzuschreiben, was auch insofern richtig war, als der Begriff der Klangfarbe selbst eben nur negativ definirt werden konnte. Eine leichte Ueberlegung zeigt nun aber, dass manche von diesen Eigenth\u00fcmlichkeiten der Kl\u00e4nge von der Art und Weise abh\u00e4ngen, wie die Kl\u00e4nge anfangen und enden.' Die Arten des Anklingens und Ausklingens sind ja zum Theil so charakteristisch, dass sie f\u00fcr die menschliche Stimme durch eine Reihe verschiedener Buchstaben bezeichnet werden. Es geh\u00f6ren hierher n\u00e4mlich die explosiven Consonanten B, B, G und P, T, K. Diese Buchstaben werden gebildet, indem entweder die verschlossene Mundh\u00f6hle ge\u00f6ffnet oder die ge\u00f6ffnete verschlossen wird. Bei B und P liegt der Verschluss zwischen den Lippen, bei B und T zwischen Zunge und Oberz\u00e4hnen, bei G und K zwischen Zungenr\u00fccken und Gaumen. Die Reihe der Mediae Br B, G unterscheidet sich von der der Tenues P, T, K dadurch, dass bei ersteren die Stimmritze zur Zeit der Oeffnung des Verschlusses schon hinreichend verengt ist, um t\u00f6nen zu k\u00f6nnen, oder um wenigstens das Luftger\u00e4usch der Fl\u00fcsterstimme hervorzubringen, dass bei den Tenues dagegen die Stimmritze erweitert ist und nicht t\u00f6nen kann. Die Mediae sind deshalb vom Stimmton begleitet; dieser kann sogar, wenn sie die Sylbe anfangen, schon einen Augenblick vorher einsetzen, und wenn sie die Sylbe schliessen, noch einen Augenblick l\u00e4nger dauern, als die Oeffnung des Mundes, weil etwas Luft auch noch in die Verschlossene Mundh\u00f6hle eingetrieben werden und die Ansprache der Stimmb\u00e4nder im Kehlkopfe unterhalten kann. Wegen der verengten Stimmritze ist der Zufluss der Luft m\u00e4ssiger, das Luftger\u00e4usch deshalb weniger scharf als bei den Tenues, welche mit ge\u00f6ffneter - Stimmritze gesprochen werden, so dass eine grosse Menge Luft aus dem Brustkasten auf einmal hervorst\u00fcrzen kann. Wenn wir aber auch in dieser Weise angeben k\u00f6nnen, wie diese Buchstaben hervorgebracht werden-, und die Unterschiede im An-","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Begriff der musikalischen Klangfarbe. 115\nsatz des Stimmtones h\u00f6ren, so sind wir noch nicht im Stande genau zu definiren, welche Unterschiede der Luftbewegung dadurch hervorgebracht werden.\nWfe bei diesen Buchstaben beruht auch der Unterschied des Klanges angeschlagener Saiten zum Theil auf der Schnelligkeit, mit der der Ton sich verliert. Wenn die Saiten wenig Masse haben (Darmsaiten) und auf einem leicht beweglichen Resonanzboden befestigt sind (wie an der Violine, Guitarre, Cither), oder wenn die Theile, auf die sie sich st\u00fctzen oder die sie ber\u00fchren, wenig elastisch sind (wenn z. B. die Violinsaiten mit der weichen Fingerspitze auf das Griffbrett gedr\u00fcckt werden), so erl\u00f6schen ihre Schwingungen sehr schnell nach dem Anschlag, der Ton wird trocken, kurz und klanglos, wie beim Pizzicato der Violinen. Sind dagegen die Saiten von Metall, und deshalb von gr\u00f6sserem Gewicht und starker Spannung, auf starken und schweren Stegen befestigt, die wenig ersch\u00fcttert werden k\u00f6nnen, so geben sie ihre Schwingungen nur langsam an die Luft und den Resonanzboden ab; ihre Schwingungen halten l\u00e4nger an, ihr Klang wird dauernder und voller, wie beim Pianoforte, ist aber verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig nicht so kr\u00e4ftig und durchdringend, wie bei gleich stark geschlagenen Saiten, welche den Ton schnell ahgeben, daher das Pizzicato der Streichinstrumente, gut ausgef\u00fchrt, viel durchdringender ist als ein Clavierton. Die Claviere mit schweren und starken Widerlagen f\u00fcr die Saiten haben deshalb einen weniger durchdringenden, aber viel anhaltenderen Ton, als die mit leichteren Widerlagen bei gleicher Saitenst\u00e4rke.\nSo liegt andererseits viel Charakteristisches darin, wie die f\u00f6ne bei den Blechinstrumenten, der Trompete und Posaune, meist abgebrochen und schwerf\u00e4llig ansetzen. Die verschiedenen T\u00f6ne werden bei diesen Instrumenten dadurch erzeugt, dass man verschiedene Obert\u00f6ne der Lufts\u00e4ule durch verschiedenes Anblasen hervorbringt, wobei diese sich \u00e4hnlich einer Saite in schwingende Abtheilungen von verschiedener Zahl und L\u00e4nge theilt. Den neuen Schwingungszustand an Stelle des fr\u00fcheren hervorzurufen kostet immer eine etwas gr\u00f6ssere Anstrengung ; ist er einmal eingetreten, so l\u00e4sst er sich mit geringerer Kraft des Luftstromes unterhalten. Dagegen geschieht der Uebergang von einem Ton zum andern sehr leicht bei den Holzblaseinstrumenten, Fl\u00f6te, Oboe, Clarinette, Wo die Lufts\u00e4ule durch verschiedene Applicatur der Finger an","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\ndie Seiten\u00f6ffnungen und Klappen schnell ihre L\u00e4nge \u00e4ndern kann, und die Weise des Anblasens wenig zu \u00e4ndern ist.\nDiese Beispiele m\u00f6gen gen\u00fcgen, um zu zeigen, wie gewisse charakteristische Eigent\u00fcmlichkeiten des Klanges mancher Instrumente abh\u00e4ngen von der Art, wie ihr Klang beginnt und wieder aufh\u00f6rt. Wenn wir im Folgenden, von musikalischer Klangfarbe reden, sehen wir zun\u00e4chst von diesen Eigent\u00fcmlichkeiten des Anfangs und Endes ab, und ber\u00fccksichtigen nur die Eigent\u00fcmlichkeiten des gleichm\u00e4ssig andauernden Klanges.\nAber auch wenn ein Klang mit gleicher oder ver\u00e4nderlicher St\u00e4rke andauert, mischen sich ihm bei den meisten Methoden seiner Erregung Ger\u00e4usche bei als der Ausdruck kleinerer oder gr\u00f6sserer Unregelm\u00e4ssigkeiten der Luftbewegung. Bei den durch einen Luftstrom unterhaltenen Kl\u00e4ngen der Blaseinstrumente h\u00f6rt man meistenteils mehr oder weniger Sausen und Zischen der Luft, die sich an den scharfen R\u00e4ndern der Anblase\u00f6ffnung bricht. Bei den mit dem Violinbogen gestrichenen t\u00f6nenden Saiten oder St\u00e4ben und Platten h\u00f6rt man ziemlich viel Reibeger\u00e4usch des Bogens. Die Haare, mit denen dieser bespannt ist, sind nat\u00fcrlich mit vielen, wenn auch sehr kleinen Unregelm\u00e4ssigkeiten besetzt, der harzige Ueberzug ist nicht absolut gleichm\u00e4ssig verbreitet, auch treten wohl kleine Ungleichm\u00e4s.sigkeiten in der F\u00fchrung des Bogens durch den Arifl, in der St\u00e4rke des Druckes ein, welche auf die Bewegung der Saite von Einfluss sind, so dass der Ton \u00c6nes schlechten Instruments oder eines ungeschickten Spielers wegen dieser Unregelm\u00e4ssigkeiten rauh, kratzend und ver\u00e4nderlich ausf\u00e4llt. Ueber die Beschaffenheit der diesen Ger\u00e4uschen entsprechenden Luftbewegungen und Geh\u00f6rempfindungen k\u00f6nnen wir erst sp\u00e4ter sprechen, wenn wir den Begriff der Schwebungen er\u00f6rtert haben. Gew\u00f6hnlich sucht man, wenn man Musik h\u00f6rt, diese Ger\u00e4usche zu \u00fcberh\u00f6ren, man abstrahirt absichtlich von ihnen, bei n\u00e4herer Aufmerksamkeit jedoch h\u00f6rt man sie in den meisten durch Blasen und Streichen hervorgebrachten Kl\u00e4ngen sehr... deutlich. Bekanntlich werden die meisten Consonanten der menschlichen Sprache durch solche anhaltende Ger\u00e4usche charakterisirt, wie F, W, 8, \u00c4, englisch Th, J, Ch. Bei einigen wird der Klang durch Zitterungen der Mundtheile noch unregelm\u00e4ssiger gemacht, wie beim B und L. Beim B wird der Luftstrom durch Zittern des weichen Gaumens oder der Zungenspitze periodisch ganz unterbrochen, und wir bekommen dadurch einen","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"Begriff der musikalischen Klangfarbe. 117\nintermittirenden Klang, dessen eigent\u00fcmliche knarrende Beschaffenheit eben durch diese Intermissionen hervorgebracht wird. Beim L sind es die vom Luftstrom bewegten schlaffen seitlichen Zungenr\u00e4nder, welche zwar nicht vollst\u00e4ndige Unterbrechungen, aber doch Schwankungen der Tonst\u00e4rke hervorbringen.\nAber auch die Vocale der menschlichen Stimme sind nicht ganz frei von solchen Ger\u00e4uschen, wenn sie auch neben dem musikalischen Theile des Stimmtons mehr zur\u00fccktreten. Auf diese Ger\u00e4usche hat Donders zuerst aufmerksam gemacht; es sind zum Theil dieselben, welche beim leisen, tonlosen Sprechen f\u00fcr die entsprechenden Vocale hervorgebracht werden. Am st\u00e4rksten sind sie beim/, \u00db, U, und bei diesenVocalen kann man' sie auch laut sprechend leicht h\u00f6rbar machen; durch einfache Verst\u00e4rkung derselben geht der Vocal I in den Consonanten J, und der Vocal TJ in das englische W \u00fcber. Bei A, \u00c4, E. 0 scheinen mir die Ger\u00e4usche des leisen Sprechens nur in der Stimmritze hervorgebracht zu werden, und beim lauten Sprechen in den Stimmton aufzugehen. Bemerkenswerth ist aber, dass man beim Sprechen die Vocale A, \u00c4 und E in einer tonloseren Weise hervorbringt als beim Singen, indem man unter dem Gef\u00fchl st\u00e4rkerer Pressung im Kehlkopf statt des klangvollen Stimmtons einen mehr knarrenden Ton herausbringt, bei welchem eine deutlichere Articulation m\u00f6glich ist. Es scheint hier die Verst\u00e4rkung des Ger\u00e4usches die Charakterisirung des besonderen Vocalklanges zu erleichtern. Beim Singen sucht man dagegen den musikalischen Theil des Klanges zu beg\u00fcnstigen, wobei die Articulation etwas undeutlicher wird.\nWenn nun aber auch in den begleitenden Ger\u00e4uschen, also in den kleinen Unregelm\u00e4ssigkeiten der Luftbewegung, viel Charakteristisches f\u00fcr die T\u00f6ne der musikalischen Instrumente und f\u00fcr die T\u00f6ne der menschlichen Stimme bei verschiedener Mundstellung liegt, so bleiben doch auch noch genug Eigenth\u00fcmlich-keiten der Klangfarbe \u00fcbrig, die an dem eigentlich musikalischen Theile des Klanges, an dem vollkommen regelm\u00e4ssigen Theile der Luftbewegung haften. Wie wichtig diese letzteren sind, kann man namentlich erkennen, wenn man musikalische Instrumente und menschliche Stimmen aus solcher Entfernung h\u00f6rt, wo die verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig schwachen Ger\u00e4usche nicht mehr h\u00f6rbar sind Trotzdem diese mangeln, bleibt es in der Regel m\u00f6glich, die verschiedenen musikalischen Instrumente von einander zu unter-","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nscheiden, wenn auch allerdings unter solchen Umst\u00e4nden einmal einzelne Hornt\u00f6ne mit Gesang, oder ein Violoncell mit einer Phys-harmonica verwechselt werden kann. Bei der menschlichen Stimme verlieren sich in der Entfernung zuerst die Consonanten, welche durch Ger\u00e4usche charakterisirt sind, w\u00e4hrend M, N und die Vocale noch in grosser Entfernung erkennbar sind. M und N sind den Vocalen dadurch \u00e4hnlich gebildet, dass in keinem Tlieile der Mundh\u00f6hle ein Luftger\u00e4usch gebildet wird, diese vielmehr vollkommen geschlossen ist, und der Stimmton durch die Nase entweicht. Der Mund bildet nur eine Resonanzh\u00f6hle, die den Klang ver\u00e4ndert. Bei recht stillem Wetter ist es interessant, von hohen Bergen herab die Stimmen der Menschen aus der Ebene zu belauschen. Worte sind dann nicht mehr erkennbar, oder h\u00f6chstens solche, welche aus M, N und blossen Vocalen zusammengesetzt sind, wie Mama, Nein. Aber die in den gesprochenen Worten enthaltenen Vocale unterscheidet man leicht und deutlich. Sie folgen sich in seltsamem Wechsel und wunder, lieh erscheinenden Tonf\u00e4llen, weil man sie nicht mehr zu Worten und S\u00e4tzen zu verbinden weiss.\nWir wollen in dem vorliegenden Abschnitte zun\u00e4chst von allen unregelm\u00e4ssigen Theilen der Luftbewegung, vom Ansetzen und Abklingen des Schalles abgehen, und nur auf den eigentlich musikalischen Theil <Jes Klanges, welcher einer gleichm\u00e4ssig anhaltenden, regelm\u00e4ssig periodischen Luftbewegung entspricht, R\u00fccksicht nehmen, und die Beziehungen zu ermitteln suchen zwischen dessen Zusammensetzung aus einzelnen T\u00f6nen und der Klangfarbe. Was von den Eigenth\u00fcmlichkeiten der Klangfarbe hierher geh\u00f6rt, wollen wir kurz die musikalische Klangfarbe nennen.\n. Die Aufgabe des vorliegenden Abschnittes wird es nun sein, die verschiedene Zusammensetzung der Kl\u00e4nge, wie sie von verschiedenen musikalischen Instrumenten hervorgebraeht werden, zu beschreiben, um daran nachzuweisen, wie ein verschiedener Charakter in der Combination der Obert\u00f6ne gewissen charakteristischen Abarten der Klangfarbe entspricht. Es stellen sich dabei gewisse allgemeine Regeln heraus f\u00fcr diejenigen Anordnungen der Obert\u00f6ne, welche den in der Sprache als weich, scharf, schmetternd, leer, voll oder reich, dumpf, hell u. s. w. unterschiedenen Arten der Klangfarbe entsprechen. Abgesehen von dem hier zun\u00e4chst vorliegenden Zwecke, die physiologischen","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge ohne Obert\u00f6ne.\t119\nTh\u00e4tigkeiten des Ohres genauer bestimmen zu k\u00f6nnen, welche zur Unterscheidung der Klangfarbe f\u00fchren, ein Gesch\u00e4ft, welches dem n\u00e4chstfolgenden Abschnitte Vorbehalten bleibt, sind die Ergebnisse dieser Untersuchung auch deshalb f\u00fcr die Beantwortung rein musikalischer Fragen in sp\u00e4teren Abteilungen dieses Buches von Wichtigkeit, weil sie uns lehren, wie reich im Allgemeinen die musikalisch gut zu verwendenden Klangfarben an Obert\u00f6nen sind, und welche Eigenth\u00fcmlichkeiten der Klangfarben an solchen musikalischen Instrumenten beg\u00fcnstigt werden, deren Klangfarbe einiger-massen der Willk\u00fcr des Erbauers \u00fcberlassen ist.\nDa die Physiker \u00fcber diesen Gegenstand noch ausserordentlich wenig gearbeitet haben, werde ich gezwungen sein, etwas tiefer auf die Mechanik der Tonerzeugung mehrerer Instrumente einzugehen, als es vielleicht manchem meiner Leser angenehm sein wird. Ein solcher findet die Hauptresultate am Ende dieses Abschnittes zusammengestellt. Andererseits muss ich um Nachsicht bitten, wenn ich in diesem fast ganz neuen Gebiete grosse L\u00fccken bestehen lassen muss, und mich haupts\u00e4chlich auf diejenigen Instrumente beschr\u00e4nke, deren Wirkungsweise so weit bekannt ist, dass wir einen einigermassen gen\u00fcgenden Einblick in die Entstehung ihrer Kl\u00e4nge gewinnen k\u00f6nnen. Es liegt hier noch reiches Material f\u00fcr interessante akustische Arbeiten vor; ich selbst musste mich damit begn\u00fcgen, Hier so viel zu leisten, als f\u00fcr den Fortgang der Untersuchung n\u00f6thig war.\n1. Kl\u00e4nge ohne Obert\u00f6ne.\nWir beginnen mit denjenigen Kl\u00e4ngen, welche nicht zusammengesetzt sind, sondern nur aus einem einfachen Tone bestehen. Am reinsten und leichtesten werden solche hervorgebracht, wenn eine Stimmgabel, angeschlagen, vor die M\u00fcndung einer Resonanz-r\u00f6hre gebracht wird, wie es im vorigen Abschnitte schon beschrieben worden ist. Es sind diese T\u00f6ne ungemein weich, frei von allem Scharfen und Rauhen; sie scheinen, wie schon fr\u00fcher angef\u00fchrt ist, verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig tief zu liegen, so dass schon die, welche ihrer Tonh\u00f6he nach den tiefen T\u00f6nen einer Bassstimme entsprechen, den Eindruck einer ganz besonderen und ungew\u00f6hnlichen Tiefe machen; die Klangfarbe solcher tiefen einfachen T\u00f6ne ist auch ziemlich dumpf. Die einfachen T\u00f6ne der Sopranlage","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nklingen hell, aber auch die den h\u00f6chsten Soprant\u00f6nen entsprechenden sind sehr weich, ohne eine Spur von der schneidenden oder gellenden Sch\u00e4rfe, welche diese T\u00f6ne auf den meisten Instrumenten zeigen mit Ausnahme etwa der Fl\u00f6te, deren Kl\u00e4nge den einfachen T\u00f6nen ziemlich nahe stehen, indem sie wenige und schwache Obert\u00f6ne haben. Unter den menschlichen Stimmlauten kommt das U diesen einfachen T\u00f6nen am n\u00e4chsten, doch ist auch dieser Vocal nicht ganz frei von Obert\u00f6nen. Vergleicht man die Klangfarbe eines solchen einfachen Tones mit der eines zusammengesetzten Klanges, dem sich die niedrigeren harmonischen Ohert\u00f6ne anschliessen, so hat der letztere etwas klangvolleres, metallischeres und gl\u00e4nzenderes neben dem einfachen Tone. Selbst schon der Vocal U der menschlichen Stimme, obgleich er unter allen der dumpfeste und klangloseste ist, klingt merklich gl\u00e4nzender und weniger dumpf als ein gleich hoher einfacher Ton. Wenn wir die Reihe der sechs ersten Partialt\u00f6ne eines zusammengesetzten Klanges \u00fcberblicken, so k\u00f6nnen wir letzteren in musikalischer Beziehung als einen Dur-Accord mit \u00fcberwiegend starkem Grundton betrachten, und wirklich hat auch ein solcher Klang, zum Beispiel ein sch\u00f6ner Gesangston, neben einem einfachen Tone in der Klangfarbe ganz deutlich etwas von der angenehmen Wirkung eines harmonischen Accordes.\nDa die Form einfacher Wellen vollst\u00e4ndig gegeben ist, wenn ihre Schwingungsweite gegeben ist, so k\u00f6nnen einfache T\u00f6ne nur Unterschiede der St\u00e4rke, aber nicht der musikalischen Klangfarbe darbieten. In der That ist der Klang derselben ganz gleich, ob wir nun nach den oben beschriebenen Methoden den Grundton einer Stimmgabel mittelst einer Resonanzr\u00f6hre aus beliebigem Material, Glas, Metall oder Pappe, oder mittelst einer Saite an die Luft leiten, wenn man daf\u00fcr sorgt, dass nichts an dem Apparate klirren kann.\nEinfache T\u00f6ne, die nur von einem Luftreibeger\u00e4usch begleitet sind, kann man auch erhalten, wie oben erw\u00e4hnt ist, wenn man bauchige Flaschen anbl\u00e4st. Wenn man von der Luftreibung abstrahirt, so ist die eigentlich musikalische Klangfarbe dieser T\u00f6ne wirklich dieselbe, wie die der Stimmgabelt\u00f6ne.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"121\nKl\u00e4nge mit unharmonischen Obert\u00f6nen.\n2. Kl\u00e4nge mit unharmonischen Obert\u00f6nen.\nAn diese T\u00f6ne ohne Obert\u00f6ne schliessen sich zun\u00e4chst solche Kl\u00e4nge an, deren Nebent\u00f6ne unharmonisch zum Grundtone sind, und welche deshalb strenge genommen nicht zu den musikalischen Kl\u00e4ngen unserer Definition entsprechend gerechn\u00ebt werden k\u00f6nnen. Sie werden auch nur ausnahmsweise in der k\u00fcnstlerischen Musik gebraucht , und wo es geschieht, nur in solcher Anschlagsweise, dass der Grundton die Nebent\u00f6ne an St\u00e4rke bei weitem \u00fcbertrifft, so dass deren Existenz vernachl\u00e4ssigt werden kann. Daher stelle ich sie hier unmittelbar hinter die einfachen T\u00f6ne, weil sie musikalisch nur in Betracht kommen, insofern sie mehr oder weniger gut einfache T\u00f6ne darstellen. Zun\u00e4chst geh\u00f6ren die Stimmgabeln selbst hierher, wenn man sie anschl\u00e4gt, und dann auf einen Resonanzboden setzt, oder dem Ohre sehr nahe bringt. Die Obert\u00f6ne *der Stimmgabeln liegen sehr hoch ; der erste machte bei den von mir untersuchten Gabeln 5,8 bis 6,6 so viel Schwingungen als der Grundton, liegt also zwischen der dritten verminderten Quinte und grossen Sext des Grundtones. Die Schwingungszahlen dieser hohen Obert\u00f6ne zu einander verhalten sich wie die Quadrate der ungeraden Zahlen. In der Zeit, wo der erste angef\u00fchrte Oberton 3.3 = 9 Schwingungen macht, machen die folgenden 5.5 = 25, 7.7 = 49 u. s. w. Schwingungen. Ihre H\u00f6he steigt also ausserordentlich schnell, und sie sind in der Regel alle unharmonisch zum Grundton, einzelne von ihnen k\u00f6nnen aber durch Zufall auch harmonisch werden. Nennen wir den Grundton der Stimmgabel c, so sind die folgenden T\u00f6ne etwa as11, (V v, cisr. Diese hohen Nebent\u00f6ne bewirken neben dem Grundtone ein helles unharmonisches Klingen, welches auch leicht beim Anschl\u00e4gen der Gabel aus weiterer Entfernung geh\u00f6rt wird, w\u00e4hrend man den Grundton nur h\u00f6rt, wenn man die Gabel dicht an das Ohr bringt. Das Ohr trennt den Grundton leicht von den Obert\u00f6nen, und hat keine Neigung beide zu verschmelzen. Die hohen T\u00f6ne verklingen gew\u00f6hnlich schnell, w\u00e4hrend der Grundton lange stehen bleibt. Uebrigens ist zu bemerken, dass das Ver-h\u00e4ltniss der Stimmgabelt\u00f6ne zu einander etwas verschieden ist nach der Form der Gabel, und die gemachten Angaben deshalb nur als ann\u00e4hernd betrachtet werden d\u00fcrfen. Bei der theoreti-","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nsehen Bestimmung der h\u00f6heren T\u00f6ne kann jede Zinke der Stimmgabel als ein an einem Ende fester. Stab betrachtet werden.\nAehnlich verh\u00e4lt es sich mit den geraden elastischen St\u00e4ben, auch diese geben, wie schon angef\u00fchrt wurde, beim Anschl\u00e4gen ziemlich hohe unharmonische Obert\u00f6ne. Wenn man solche St\u00e4be an der Stelle der beiden Knotenlinien ihres Grundtones auf einer Unterl\u00e4ge festh\u00e4lt, so beg\u00fcnstigt man dadurch allerdings das Fortklingen des Grundtones vor allen anderen h\u00f6heren T\u00f6nen, und die h\u00f6heren T\u00f6ne st\u00f6ren wenig, weil sie schnell nach dem Anschl\u00e4gen erl\u00f6schen; aber zur eigentlich k\u00fcnstlerischen Musik bleiben solche St\u00e4be trotzdem wenig anwendbar, obgleich man sie in der Milit\u00e4r- und Tanzmusik ihres durchdringenden Tones wegen neuerdings verwendet hat. Fr\u00fcher hat man auch Glasst\u00e4be und Holzst\u00e4be \u00e4hnlich verwendet, zur Glasstabharmonica und Strohfiedel oder Holzharmonica. Die St\u00e4be werden zwischen zwei Paar zusammengedrehter Schn\u00fcre eingeschoben, so dass sie zwischen diese am Orte der beiden Knotenlinien des Grundtones eingeklemmt sind. Die Holzst\u00e4be der Strohfiedel liess man auch einfach auf Strohcylindern ruhen. Sie werden mit h\u00f6lzernen oder Korkh\u00e4mmern geschlagen.\nDas Material der St\u00e4be hat auf die Klangfarbe hierbei wohl nur dadurch Einfluss, dass es mehr oder weniger lange die T\u00f6ne verschiedener H\u00f6he nachklingen l\u00e4sst. Am l\u00e4ngsten pflegen die T\u00f6ne, namentlich auch die hohen in elastischem Metall von feinem gleichm\u00e4ssigen Gef\u00fcge nachzuklingen, weil dies durch seine grosse Masse ein gr\u00f6sseres Bestreben hat in der einmal angenommenen Bewegung zu verharren, und wir unter den Metallen beim Stahl, den besseren Kupferzink- und Kupferzinnlegirungen, auch die vollkommenste Elasticit\u00e4t finden. Bei den schwach legirten edlen Metallen wird das Beharren des Klanges trotz der geringeren Elasticit\u00e4t durch die grosse Schwere gesteigert. Die volh kommenere Elasticit\u00e4t scheint besonders das Fortbestehen der h\u00f6heren T\u00f6ne zu beg\u00fcnstigen, da schnellere Schwingungen im Allgemeinen durch unvollkommene Elasticit\u00e4t und durch Reibung schneller ged\u00e4mpft werden als langsamere Schwingungen. Das allgemeine Kennzeichen dessen, was man metallische Klangfarbe zu nennen pflegt, glaube ich deshalb dadurch bezeichnen zu k\u00f6nnen, dass verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig hohe Obert\u00f6ne anhaltend und in gleichm\u00e4ssigem Flusse mitklingen. Die Klangfarbe des Glases ist \u00e4hnlich, aber da man ihm nicht starke Ersch\u00fctterungen zu-","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge mit unharmonischen Obert\u00f6nen. 123\nmuthen darf, bleibt der Ton immer schwach und zart, auch ist er verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig hoch und verklingt schneller, wegen der geringeren Masse des schwingenden K\u00f6rpers. Beim Holz dagegen ist die Masse gering, die innere Structur verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig grob, \u25a0mit zahllosen kleinen Hohlr\u00e4umen erf\u00fcllt, die Elasticit\u00e4t verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig unvollkommen, deshalb verklingen die T\u00f6ne und namentlich die h\u00f6heren T\u00f6ne schnell. Eben deshalb aber ist die Strohfiedel vielleicht den Anspr\u00fcchen eines musikalischen Ohres mehr entsprechend, als die aus Stahlst\u00e4ben oder Glasst\u00e4ben gebildete Harmonica mit den gellenden unharmonischen Obert\u00f6nen, so weit eben einfache T\u00f6ne zur Musik geeignet sind, wor\u00fcber sp\u00e4ter mehr.\nMan braucht bei all\u00e7n diesen Schlaginstrumenten H\u00e4mmer aus Holz oder Kork, \u00fcberzieht diese auch wTohl noch mit Leder; dadurch werden die h\u00f6chsten Obert\u00f6ne schw\u00e4cher, als wenn man harte Metallh\u00e4mmer nimmt. Letztere w\u00fcrden gr\u00f6ssere Disconti-nuit\u00e4ten in der anf\u00e4nglichen Bewegung der Platte geben. Ich werde diesen Einfluss bei dem Anschlag der Saiten n\u00e4her besprechen, wo er sich in \u00e4hnlicher Weise \u00e4ussert.\nEbene elastische Scheiben, kreisf\u00f6rmig, oval, quadratisch, rechteckig, dreieckig oder sechseckig geschnitten, k\u00f6nnen nach Chladni\u2019s Entdeckung in einer grossen Zahl verschiedener Schwingungsformen t\u00f6nen, und dabei T\u00f6ne geben, welche im Allgemeinen unharmonisch zu einander sind. In Fig. 21 sind die\nPig. 21.\neinfacheren Schwingungsformen einer kreisf\u00f6rmigen Scheibe dargestellt; viel complicirtere Schwingungsformen entstehen, wenn noch mehr Kreise oder Durchmesser als Knotenlinien auftreten, oder Kreise sich mit Durchmessern verbinden. Wenn die Schwingungsform A den Ton c giebt, geben die anderen folgende T\u00f6ne :","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nErste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nAnzahl der Knoten- kreise\tAnzahl der Durchmesser\t\t\t\t\t\n\t0\t1\t2\t3\t4\t5\n0\t\t\tc\td'\tc\"\tg\" \u2014 gis\"\n1\tgis\tV\tg\" '\t\t\t\n2\tgis\" -f\t\t\t\t\t\nMan sieht, wie viele einander verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig nahe liegende T\u00f6ne eine solche Scheibe giebt. So oft man die Scheibe anschl\u00e4gt, erklingen alle diejenigen unter ihren T\u00f6nen, welche an der geschlagenen Stelle keinen Knotenpunkt haben. Das Auftreten von bestimmten einzelnen T\u00f6nen kann man indessen dadurch beg\u00fcnstigen, dass man die Scheibe in solchen Punkten unterst\u00fctzt, die den Knotenlinien der gew\u00fcnschten T\u00f6ne angeh\u00f6ren; dann verklingen alle diejenigen T\u00f6ne schneller*, die in den ber\u00fchrten Punkten keine Knotenlinien bilden k\u00f6nnen. Unterst\u00fctzt man z. B. eine kreisf\u00f6rmige Scheibe in drei Punkten des Knotenkreises in Fig. 21 C, und schl\u00e4gt genau im Mittelpunkte an, so erh\u00e4lt man den Ton der genannten Schwingungsform, der in unserer Tabelle gis genannt ist, und es werden alle T\u00f6ne sehr schwach, unter deren Knotenliuien Durchmesser des Kreises sind, also die T\u00f6ne c, d\\ c\", g\". V unserer Tabelle. Ebenso verklingt der Ton gis\" mit zwei Knotenkreisen sogleich, weil die Unterst\u00fctzungspunkte in einen seiner Schwingungsb\u00e4uche fallen, und es kann erst der Ton mit drei Knotenkreisen st\u00e4rker mitklingen, dessen eine Knotenlinie der von Nro. 2 ziemlich nahe k\u00f6mmt. Dieser ist drei Octaven und mehr als einen ganzen Ton h\u00f6her, als der Ton von Nro. 2, und st\u00f6rt diesen nicht sehr wegen des grossen Intervalls. Deshalb giebt ein solcher Anschlag der Scheibe einen ziemlich guten musikalischen Klang, w\u00e4hrend sonst im Allgemeinen der Klang der Scheiben, aus vielen unharmonischen und nahe an einander liegenden T\u00f6nen gemischt, hohl und kesselartig klingt, und musikalisch nicht brauchbar ist. Aber auch bei zweckm\u00e4ssiger Unterst\u00fctzung verklingt er gew\u00f6hnlich schnell, wenigstens wenn die Scheiben aus Glas bestehen, weil die Ber\u00fchrung mehrerer Punkte, selbst wenn es Knotenpunkte sind, die Freiheit der Schwingungen immer merklich beeintr\u00e4chtigt.","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"125\nKl\u00e4nge mit unharmonischen Obert\u00f6nen.\nDer Klang der Glocken ist ebenfalls von unharmonischen Nebent\u00f6nen begleitet, die aber nicht so nahe wie bei den ebenen Platten an einander liegen. Die gew\u00f6hnlich eintretenden Schwingungsarten sind solche, wo sich Knotenlinien bilden, 4, 6, 8, 10 u. s. w., welche von dem Scheitelpunkte nach dem Rande der Glocke in gleichen Abst\u00e4nden von einander herablaufen. Die entsprechenden T\u00f6ne sind bei Glasglocken, welche \u00fcberall ziemlich gleiche Dicke haben, nahehin den Quadraten der Zahlen 2, 3, 4, 5 proportional, also wenn wir den tiefsten C nennen:\nZahl der Knotenlinien\t4\t6\t8\t10\t12\nT\u00f6ne\t\tc\td'\tc\"\tgis\" \u2014\td'\" -\nDie T\u00f6ne \u00e4ndern sich aber, wenn die Wand der Glocke nach dem Rande zu d\u00fcnner oder dicker wird, und es scheint ein wesentlicher Punkt in der Kunst des Glockengusses zu sein, dass man die tieferen T\u00f6ne durch eine empirisch gefundene, passende. Form der Glocke zu einander harmonisch machen kann. Dann sind auch wohl noch andere Schwingungsformen der Glocke m\u00f6glich, wobei sich Knotenkreise bilden, die dem Rande parallel sind, diese scheinen aber schwer zu entstehen, und sind noch nicht untersucht.\nWenn eine Glocke nicht ganz symmetrisch in Beziehung auf ihre Axe ist, z. B. die Wand an einer Stelle ihres Umfanges etwas dicker als an anderen, so giebt die Glocke beim Anschlag im Allgemeinen zwei ein wenig von einander verschiedene T\u00f6ne, die mit einander Schwebungen geben. Man findet vier um rechte Winkel von einander entfernte Stellen des Randes, wo nur der eine dieser T\u00f6ne ohne Schwebungen h\u00f6rbar wird, vier andere dazwischen liegende, wo nur der andere erklingt, wenn man irgend eine andere Stelle anschl\u00e4gt, erklingen beide und geben die Schwebungen, welche man bei den meisten Glocken h\u00f6rt, wenn dieselben ruhig ausklingen.\nDie gespannten Membranen geben wieder unharmonische T\u00f6ne, die einander ziemlich nahe liegen; diese sind f\u00fcr eine kreisf\u00f6rmige Membran nach der Tonh\u00f6he geordnet, wenn der tiefste Ton C ist:","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\nErste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nZahl der Knotenlinien\t\tTon\nDurchmesser\tKreise\t\n0\t0\tc\n1\t0\tas\n2\t0\tci s'\t0,1\n0\t1\td' + 0,2\n1\t1\tg' - 0,2\n0\t2\tV + 0,1\nDiese T\u00f6ne verklingen sehr schnell. Werden die Membranen mit einem Luftr\u00e4ume verbunden, wie in der Pauke, so kann dadurch das Verh\u00e4ltniss der T\u00f6ne abge\u00e4ndert werden, und es scheint der Grundton dadurch in seiner St\u00e4rke gegen die \u00fcbrigen beg\u00fcnstigt zu werden. N\u00e4here Untersuchungen \u00fcber die Beit\u00f6ne des Paukentones fehlen noch. Die Pauke wird zwar in der k\u00fcnstlerischen Musik gebraucht, aber doch nur, um einzelne Accente zu geben; man stimmt sie zwar ab, aber nicht, um durch ihren Ton die Accorde zu f\u00fcllen, sondern nur, damit sie nicht st\u00f6rend in die \u00fcbrige Harmonie einfalle.\nDas Gemeinsame der bisher beschriebenen Instrumente ist, dass sie angeschlagen unharmonische Obert\u00f6ne geben, sind diese naheliegend zum Grundton, so ist der Klang in hohem Grade unmusikalisch, schlecht und kessel\u00e4hnlich. Sind die Nebent\u00f6ne weit entfernt vom Grundtone und schwach, so wird der Ton zwar musikalischer, wie bei den Stimmgabeln, der Stabharmonica, den Glocken, und brauchbar f\u00fcr M\u00e4rsche und andere rauschende Musik, die den Rhythmus besonders hervorzuheben hat, aber in der eigentlich k\u00fcnstlerischen Musik hat man, wie oben bemerkt wurde, dergleichen Instrumente noch immer verschm\u00e4ht, und wohl mit Recht. Denn die unharmonischen Nebent\u00f6ne, .wenn sie auch schnell verklingen, st\u00f6ren doch die Harmonie in sehr unangenehmer Weise, wenn sie sich bei jedem Anschlag neu wiederholen. Einen \u00e4usserst schlagenden Beweis davon gab eine Gesellschaft von (angeblich schottischen) Glockenspielern, welche neuerdings herumreiste, und allerlei Musikst\u00fccke, zum Theil ziemlich k\u00fcnstlicher Art, ausf\u00fchrte. Die Pr\u00e4cision und Geschicklichkeit in der Ausf\u00fchrung war anerkennenswerth, der musikalische Effect aber abscheulich wegen der Masse falscher Beit\u00f6ne, welche die","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Saiten.\t*\t127\nMusik begleiteten, trotzdem dass die einzelnen angeschlagenen Glocken ged\u00e4mpft wurden, so wie die Dauer ihrer Note abgelaufen war, dadurch, dass sie auf einen mit Tuch \u00fcberzogenen Tisch gesetzt wurden.\nMan kann die genannten K\u00f6rper mit unharmonischen Kl\u00e4ngen auch durch den Violinbogen in T\u00f6nung bringen und dabei durch passende D\u00e4mpfung in den Knotenlinien des gew\u00fcnschten Tones die n\u00e4chsten Nebent\u00f6ne beseitigen. Es klingt dann der eine Ton kr\u00e4ftig \u00fcber alle anderen hervor, und w\u00e4re also eher musikalisch zu brauchen, aber der Violinbogen giebt auf allen diesen K\u00f6rpern mit unharmonischen Obert\u00f6nen, Stimmgabeln, Platten, Glocken, ein heftig kratzendes Ger\u00e4usch, und bei der Untersuchung mit den Resonanzr\u00f6hren zeigt sich, dass dieses Ger\u00e4usch haupts\u00e4chlich durch die unharmonischen Nebent\u00f6ne der Platte gebildet ist, welche in kurzen unregelm\u00e4ssigen St\u00f6ssen h\u00f6rbar werden. Dass intermittirende T\u00f6ne den Eindruck des Knarrens oder Kratzen s geben, ist schon fr\u00fcher erw\u00e4hnt. Nur wenn der vom Bogen erregte K\u00f6rper harmonische Obert\u00f6ne hat, kann er sich jeden Be-wegungsanstoss, den der Bogen ihm mittheilt, vollst\u00e4ndig f\u00fcgen, und giebt einen vollst\u00e4ndig musikalischen Ton. Das beruht darin, dass eben jede beliebige periodische Bewegung, wie sie der Bogen hervorzubringen strebt, aus den Bewegungen, die den harmonischen Obert\u00f6nen entsprechen ; zusammengesetzt werden kann, aber nicht aus anderen Unharmonischen Schwingungsbewegungen.\n3. Kl\u00e4nge der Saiten.\nWir gehen nun \u00fcber zur Analyse der eigentlich musikalischen Kl\u00e4nge, welche\" durch harmonische Obert\u00f6ne charakteri-sirt sind. Wir k\u00f6nnen sie am besten eintheilen nach der Art, wie der Ton erregt wird, in solche, die 1) entweder durch Anschlag, 2) oder durch den Bogen, 3) oder durch Bl^tepitgegen eine scharfe Kante, 4) durch Blasen gegen elastische Zungen zum T\u00f6nen kommen. Die beiden ersten Klassen umfassen allein Saiteninstrumente, da die Saiten ausser den musikalisch nicht gebrauchten longitudinal schwingenden St\u00e4ben die einzigen festen elastischen K\u00f6rper sind, welche reine harmonische Obert\u00f6ne geben. In die dritte Klasse geh\u00f6ren die Fl\u00f6ten und die Fl\u00f6tenwerke der Orgel,","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nin die vierte die \u00fcbrigen Blasinstrumente und die menschliche Stimme.\nSaiten durch Anschlag erregt. Von den jetzt gebr\u00e4uchlichen musikalischen Instrumenten geh\u00f6ren hierher das Fortepiano, die Harfe, Guitarre, Cither, von den physikalischen das Monochord, eingerichtet zur genaueren Untersuchung der Gesetze der Saitenschwingungen; auch ist das Pizzicato der Streichinstrumente hierher zu rechnen. Dass die geschlagenen und gerissenen Saiten Kl\u00e4nge mit einer grossen Menge von Obert\u00f6nen geben, ist schon fr\u00fcher erw\u00e4hnt worden. F\u00fcr die gerissenen Saiten haben wir den Vortheil, eine ausgebildete Theorie ihrer Bewegung zu besitzen, aus der sich die St\u00e4rke ihrer Obert\u00f6ne unmittelbar ergiebt. Schon im vorigen Abschnitte haben wir einen Theil der Folgerungen aus dieser Theorie mit der Erfahrung verglichen und damit \u00fcbereinstimmend gefunden. Eine ebenso vollst\u00e4ndige Theorie l\u00e4sst sich f\u00fcr den Fall aufstellen, wo eine Saite mit einem harten scharfkantigen K\u00f6rper in einem ihrer Punkte geschlagen worden ist. Weniger einfach ist das Problem, wenn weiche elastische H\u00e4mmer, wie die des Claviers, die Saite treffen, doch l\u00e4sst sich eine Theorie der Bewegung der Saite auch f\u00fcr diesen Fall geben, welche wenigstens die wesentlichsten Z\u00fcge des Vorganges umfasst und \u00fcber die St\u00e4rke der Obert\u00f6ne Rechenschaft giebt *).\nDie St\u00e4rke der Obert\u00f6ne im Klange einer angeschlagenen Saite h\u00e4ngt im Allgemeinen ab :\n1)\tvon der Art des Anschlags,\n2)\tvon der Stelle des Anschlags,\n3)\tvon der Dicke, Steifigkeit und Elasticit\u00e4t der Saite.\nWas zun\u00e4chst die Art des Anschlags betrifft, so kann die Saite entweder gerissen werden, indem man sie mit dem Finger oder einem Stifte (Plectrum, Ring der Citherspieler) zur Seite zieht, und dann losl\u00e4sst. Es ist diese Art, den Ton zu erregen, bei einer grossen \u201eZaJP alter und neuer Saiteninstrumente gebr\u00e4uchlich. Unter den modernen nenne ich nur Harfe, Gui7 tarre und Cither. Oder die Saite kann geschlagen werden mit einem hammerartigen K\u00f6rper, wie es beim Fortepiano und seinen \u00e4lteren Abarten, dem Spinett u. s. w., geschieht. Ich habe\n*) Siehe Beilage Nro. IV.","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Saiten.\t129\nschon obon bemerkt, dass die St\u00e4rke und Zahl der hohen Obert\u00f6ne desto bedeutender ist, je mehr und je sch\u00e4rfere Disconti-nuit\u00e4ten die Art der Bewegung zeigt. Dies bedingt nun auch den Unterschied bei verschiedener Erregungsweise einer Saite. Wenn die Saite gerissen wird, entfernt der Finger sie, ehe er sie losl\u00e4sst, in ihrer ganzen L\u00e4nge aus ihrer Gleichgewichtslage. Eine Discontinuit\u00e4t entsteht an der Saite nur dadurch, dass sie da, wo sie um den Finger oder den Stift, mit dem sie gerissen wird, sich umlegt, eine mehr oder minder scharfe Ecke bildet. Diese Ecke ist sch\u00e4rfer, wenn sie mit einem spitzen Stifte gerissen wird) als wenn es mit dem Finger geschieht. Deshalb h\u00f6rt man auch im ersten Falle einen sch\u00e4rferen Klang mit einer gr\u00f6sseren Menge hoher klimpernder Obert\u00f6ne, als im letzteren Falle. Doch ist die Intensit\u00e4t des Grundtons in jedem Falle gr\u00f6sser als die eines jeden Obertons. Wird die Saite geschlagen mit einem harten scharfkantigen metallenen Hammer, der gleich wieder ahspringt, so wird nur ein einziger Punkt, der vom Schlage getroffen ist, direct in Bewegung gesetzt. Unmittelbar nach dem Schlage ist der \u00fcbrige Theil der Saite noch in Ruhe; er ger\u00e4th erst in Bewegung, indem von dem geschlagenen Punkte eine Beugungswelle entsteht, und \u00fcber die Saite hin- und herl\u00e4uft. Die Beschr\u00e4nkung der urspr\u00fcnglichen Bewegung auf einen Punkt der Saite giebt die sch\u00e4rfste Discontinuit\u00e4t, und dem entsprechend eine lange Reihe von Obert\u00f6nen, deren Intensit\u00e4t*) zum grossen Theil der des Grundtons gleichkommt oder ihn \u00fcbertrifft. Wenn der Hammer weich elastisch ist, hat die Bewegung auf der Saite Zeit sich auszubreiten, ehe der Hammer wieder zur\u00fcckspringt, und durch den Anschlag eines solchen Hammers wird der geschlagene Theil der Saite nicht ruckweise in Bewegung gesetzt, sondern seine Geschwindigkeit w\u00e4chst allm\u00e4lig und stetig w\u00e4hrend der Ber\u00fchrungszeit des Hammers. Dadurch wird die Discontinuit\u00e4t der Bewegung sehr vermindert, um so mehr, je weicher der Hammer ist, und dem entsprechend nimmt die St\u00e4rkender hohen Obert\u00f6ne bedeutend ah.\nMan kann sich an jedem Fortepiano, desseu Deckel man \u00f6ffnet, von der Richtigkeit des Gesagten leicht \u00fcberzeugen. Wenn\n*) Wenn hier von Intensit\u00e4t die Rede ist, so ist sie immer ob.jectiv gemessen, durch die lebendige Kraft oder das mechanische Arbeits-aquivaient der entsprechenden Bewegung.\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik\n9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nman eine der Tasten durch ein aufgesetztes Gewicht herabdr\u00fcckt, wird die entsprechende Saite von ihrem D\u00e4mpfer frei, und man kann sie nun nach Belieben mit dem Finger oder mit einem Stift reissen, mit einem metallenen Stift oder mit dem Pianofortehammer schlagen. Man erh\u00e4lt dabei ganz verschiedene Klangarten. Wenn man mit hartem Metall reisst oder schl\u00e4gt, ist der Ton scharf und klimpernd, und man h\u00f6rt bei einiger Aufmerksamkeit leicht eine grosse Menge sehr hoher T\u00f6ne darin. Diese fallen weg, der Klang der Saite wird weniger hell, weicher und wohlklingender, wenn man mit dem weichen Finger reisst, oder mit dem weichen Hammer des Instruments anschl\u00e4gt. Auch die verschiedene St\u00e4rke des Grundtons erkennt man leicht. Wenn man mit Metall 'schl\u00e4gt, h\u00f6rt man ihn kaum; der Klang h\u00f6rt sich dem entsprechend ganz leer an. Die Eigenth\u00fcmlichkeit des Klanges n\u00e4mlich, welche wir mit dem Namen der Leerheit belegen, entsteht, wenn die Obert\u00f6ne verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig zu stark gegen den Grundton sind. Am vollsten h\u00f6rt man den Grundton, wenn man mit dem weichen Finger die Saite zupft, wobei der Ton voll und doch harmonisch klingend ist. Der Anschlag mit dem Pianofortehammer giebt wenigstens in den mittleren und tieferen Octaven des Instruments den Grundton nicht so voll, wie das Reissen der Saite.\nHierin ist der Grund zu suchen, warum es vortheilhaft ist, die Pianoforteh\u00e4mmer mit dicken Lagen stark gepressten und dadurch elastisch gewordenen Filzes zu \u00fcberziehen. Die \u00e4ussersten Lagen sind die weichsten und nachgiebigsten, die tieferen sind fester. Die Oberfl\u00e4che des Hammers legt sich ohne h\u00f6rbaren Stoss der Saite an, die tieferen Lagen geben namentlich die elastische Kraft, durch welche der Hammer wieder von der Saite zur\u00fcckgeworfen wird. Nimmt man einen Clavierhammer heraus und l\u00e4sst ihn kr\u00e4ftig gegen eine Tischplatte oder gegen die Wand schlagen, so springt er auch von solchen unnachgiebigen Fl\u00e4chen zur\u00fcck, wie ein Kautschukball. Je schwerer der Hammer und je dicker die Filzlagen sind, was namentlich bei den H\u00e4mmern der tieferen Octaven der Fall ist, desto l\u00e4nger muss es w\u00e4hren, ehe er von der Saite abspringt. Die H\u00e4mmer der h\u00f6heren Octaven pflegen leichter zu sein und d\u00fcnnere Filzlagen zu haben. Offenbar haben die Erbauer der Instrumente durch die Praxis hier gewisse Verh\u00e4ltnisse allm\u00e4lig ausgefunden, wie die Elasticit\u00e4t des Hammers dem Tone der Saite sich am besten anpasst. Die Be-","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Saiten.\t131\nschaffenheit des Hammers hat einen ausserordentlich grossen Einfluss auf die Klangfarbe. Die Theorie ergieht, dass diejenigen Obert\u00f6ne heim Anschl\u00e4ge besonders beg\u00fcnstigt werden, deren halbe Schwingungsdauer nahe gleich ist der Zeit, w\u00e4hrend welcher der Hammer anliegt, dass dagegen diejenigen verschwinden, deren halbe Schwingungsdauer 3, 5, 7 etc. Mal so gross ist.\nNach meinen Versuchen an' einem sehr guten neuen Fl\u00fcgel von Kaim und G\u00fcnther scheint in den mittleren und tieferen Octaven der erste schwache oder verschwindende Oherton meist der siebente zu sein, oft ist es auch der sechste oder f\u00fcnfte; es zeigen sich hier Verschiedenheiten oft in dicht neben einander liegenden Tasten. Daraus folgt, dass die Zeit, w\u00e4hrend welcher der Hammer anliegt, ungef\u00e4hr der halben Schwingungsdauer des zweiten Tons der Saite entsprechend ist. In den h\u00f6heren Octaven dagegen scheint die genannte Zeit sich der halben Schwingungsdauer des Grundtons zu n\u00e4hern, oder sie selbst zu \u00fcbertreffen. Welche St\u00e4rke der einzelnen Obert\u00f6ne sich hieraus berechnet, wird weiter unten angegeben werden.\nDer zweite Umstand, welcher auf die Zusammensetzung des Klanges Einfluss hat, ist die An Schlags stelle. Es ist schon im vorigen Abschnitte bei der Pr\u00fcfung des von Ohm f\u00fcr die Analyse der Kl\u00e4nge durch das Ohr aufgestellten Gesetzes bemerkt worden, dass sowohl im Klange gerissener als geschlagener Saiten diejenigen Obert\u00f6ne fehlen, welche am Orte des Anschlags einen Knotenpunkt haben. Umgekehrt sind diejenigen anderen verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig am st\u00e4rksten, welche an der geschlagenen Stelle ein Schwingungsmaximum haben. Ueberhaupt, wenn man dieselbe Art des Anschlags nach einander verschiedene Punkte der Saite treffen l\u00e4sst, wachsen die einzelnen Obert\u00f6ne oder nehmen ab in demselben Verh\u00e4ltnisse, wie die Schwingungsst\u00e4rke der entsprechenden einfachen Schwingung der Saite an den betreffenden Punkten ihrer L\u00e4nge gr\u00f6sser oder kleiner ist. So kann denn die Zusammensetzung des Saitenklanges mannigfach abge\u00e4ndert werden, indem man nichts thut, als den Ort des Anschlags \u00e4ndert.\nSchl\u00e4gt man die Saite z. B. gerade in ihrer Mitte, so f\u00e4llt ihr zweiter Ton fort, dessen einziger Knotenpunkt dort liegt. Der dritte Ton dagegen, dessen Knotenpunkte in i/8 oder 2/3 der Saitenl\u00e4nge liegen, tritt kr\u00e4ftig heraus, weil die Anschlagsstelle m der Mitte dieser beiden Knotenpunkte liegt. Der vierte Ton li\u00e2t seine Knotenpunkte in l/4, 2/4 (\u2014 l/.,) und 3/4 der Saitenl\u00e4nge\n9*","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nEr bleibt aus, weil die Anschlagsstelle mit seinem zweiten Knotenpunkte zusammenf\u00e4llt; ebenso der sechste, achte, \u00fcberhaupt alle geradzahligen T\u00f6ne, w\u00e4hrend der f\u00fcnfte, siebente, neunte und die anderen ungeradzahligen geh\u00f6rt werden. Durch das Ausbleiben der geradzahligen T\u00f6ne erh\u00e4lt die Saite, in der Mitte angeschlagen, in der That eine eigenth\u00fcmliche Klangfarbe, die sich von dem gew\u00f6hnlichen Saitenklange wesentlich unterscheidet; sie klingt einigermaassen hohl oder n\u00e4selnd. Der Versuch l\u00e4sst sich leicht an jedem Pianoforte ausf\u00fchren, nachdem man es ge\u00f6ffnet und den D\u00e4mpfer gehoben hat. Die Mitte der Saite findet man schnell hinreichend genau, indem man die Stelle sucht, wo man mit dem Finger die Saite leise ber\u00fchren muss, um beim Anschlag den ersten Oberton rein und klingend zu erhalten.\nSchl\u00e4gt man in 1/3 der Saitenl\u00e4nge an, so f\u00e4llt der dritte, sechste, neunte u. s. w. Ton fort. Auch dies gieht dem Klange etwas Hohles, obgleich viel weniger als der Anschlag in der Mitte. Wenn man mit der Anschlagsstelle dem Ende der Saite sehr nahe r\u00fcckt, so wird das Hervortreten sehr hoher Obert\u00f6ne auf Kosten des Grundtons und der niederen Obert\u00f6ne beg\u00fcnstigt, der Klang der Saite wird dadurch leer und klimpernd.\nIn den Pianoforte\u2019s ist beiden mittleren Saiten die Anschlagsstelle auf i/7 bis 1/9 der Saitenl\u00e4nge verlegt; wir m\u00fcssen annehmen, dass diese Stelle haupts\u00e4chlich deshalb so gew\u00e4hlt ist, weil sie erfahrungsgem\u00e4ss den musikalisch sch\u00f6nsten und f\u00fcr harmonische Verbindungen brauchbarsten Klang liefert. Es hat dazu keine Theorie geleitet, sondern allein das Bed\u00fcrfniss des k\u00fcnstlerisch gebildeten Ohres und die technische Erfahrung zweier Jahrhunderte. Es ist deshalb die Untersuchung der Zusammensetzung des Klanges bei dieser Anschlagsstelle von besonderem Interesse. Ein wesentlicher Vorzug f\u00fcr die Wahl dieser Stelle scheint darin zu liegen, dass der siebente und neunte Partialton des Klanges wegfallen oder mindestens sehr schwach werden. Es sind diese T\u00f6ne die ersten in der Reihe, welche dem Durdreiklange des Grundtons nicht angeh\u00f6ren. Bis zum sechsten Tone haben wir nur Octaven, Quinten und grosse Terzen des Grundtons, der siebente ist nahehin eine kleine Septime, der neunte die grosse Secunde des Grundtons. Diese passen also in den Durdreiklang nicht hinein. In der That kann man sich an den Pianoforte\u2019s leicht \u00fcberzeugen, dass, w\u00e4hrend es leicht ist unter Ber\u00fchrung entsprechender Knotenpunkte die sechs ersten T\u00f6ne wenig-","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Saiten.\t133\nsteiis auf den Saiten der mittleren < und unteren Oetaven des Instruments durch Anschlag der Taste h\u00f6ren zu lassen, es nicht gelingt, den siebenten, achten und neunten Ton hervorzubringen, oder dieselben wenigstens sehr unvollkommen und schwach hervortreten. Die Schwierigkeit beruht hier nicht in der Unf\u00e4higkeit der Saite, so kurze schwingende Abtheilungen zu bilden, denn wenn man, statt die Taste anzuschlagen, die Saite n\u00e4her nach ihrem Ende hin mit dem Finger reisst, und die betreffenden Knotenpunkte d\u00e4mpft, bekommt man den siebenten, achten, neunten, ja selbst den zehnten und elften Partialton noch sehr gut und klingend. Erst in den h\u00f6heren Oetaven werden die Saiten zu kurz und steif, um noch hohe Obert\u00f6ne bilden zu k\u00f6nnen. Dort pflegen manche Instrumentenmacher die Anschlagsstelle auch n\u00e4her dem Ende zu w\u00e4hlen, wodurch ein hellerer und durchdringenderer Klang dieser hohen Saiten erzielt wird. Deren Obert\u00f6ne, welche wegen der Steifigkeit schon schwer ansprechen, werden in solchem Falle durch diese Wahl der Anschlagsstelle dem Grundton gegen\u00fcber beg\u00fcnstigt. Einen \u00e4hnlich helleren, aber auch d\u00fcnneren und leeren Klang erh\u00e4lt man, wenn man einer der tieferen Saiten einen Steg n\u00e4her der Anschlagsstelle unterlegt, so dass der Hammer die Saite jetzt in einem Punkte trifft, der um weniger als */? ihrer L\u00e4nge von ihrem einen Ende entfernt ist.\nW\u00e4hrend man einerseits den Klang klimpernder, sch\u00e4rfer und spitzer machen kann, indem man die Saite mit h\u00e4rteren K\u00f6rpern schl\u00e4gt, so kann man andererseits den Ton auch dumpfer machen, d. h. den Grundton \u00fcber die Obert\u00f6ne \u00fcberwiegen machen, wenn man mit einem weichen und schweren Hammer schl\u00e4gt, z. B. mit einem kleinen eisernen Hammer, dessen Schlagfl\u00e4che mit einer Kautschukplatte \u00fcberzogen ist. Namentlich die Saiten der tieferen Oetaven geben dann einen viel volleren, aber dumpfen Klang. Um hierbei die verschiedenen Kl\u00e4nge der Saite vergleichen zu k\u00f6nnen, die der verschiedenen Beschaffenheit des Hammers entsprechen, muss man aber darauf achten, dass man immer in derselben Entfernung von einem beider Enden anschl\u00e4gt, wie der Hammer des Instruments, sonst vermischen sich damit die Aenderungen des Klanges, welche von der Lage der Anschlagsstelle abh\u00e4ngen. Diese Umst\u00e4nde sind den Instrumentenmachern nat\u00fcrlich bekannt, da sie ja selbst schon theils schwerere und weichere H\u00e4mmer f\u00fcr die tiefen Oetaven, theils leichtere und weniger weiche f\u00fcr die hohen Oetaven gew\u00e4hlt haben. Wenn sie aber denn doch bei einem ge-","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nwissen Maasse der H\u00e4mmer stehen geblieben sind, und diese nicht weiter in der Weise abge\u00e4ndert haben, dass die St\u00e4rke der Obert\u00f6ne noch mehr beschr\u00e4nkt wird, so beweist dies klar, dass das musikalisch gebildete Ohr einen mit Obert\u00f6nen in gewisser St\u00e4rke ausgestatteten Klang bei einem Instrumente, welches f\u00fcr reiche Harmoniev\u00e8rbinduugen bestimmt ist, vorzieht. In dieser Beziehung ist die Zusammensetzung des Klanges der Claviersaiten von grossem Interesse f\u00fcr die ganze Theorie der Musik. Bei keinem anderen Instrumente ist eine so breite Ver\u00e4nderlichkeit der Klangfarbe vorhanden, wie hier; bei keinem anderen kann deshalb das musikalische Ohr sich so frei * die seinen Bed\u00fcrfnissen entsprechende ausw\u00e4hlen.\nIch habe schon oben darauf aufmerksam gemacht, dass bei den Claviersaiten der mittleren und unteren Octaven die sechs ersten Partialt\u00f6ne in der Regel deutlich durch den Anschlag der Taste zu erzeugen sind, und zwar die drei ersten stark, der 5te und fite zwar deutlich, aber doch viel schw\u00e4cher. Der 7te, 8te, 9te fehlen, wegen der Lage der Anschlagsstelle ; die noch h\u00f6heren sind immer sehr schwach. Ich lasse zur n\u00e4heren Vergleichung hier eine Tabelle folgen, in welcher die Intensit\u00e4t der Partialt\u00f6ne einer Saite f\u00fcr verschiedene Anschlagsweisen theoretisch aus den in den Beilagen entwickelten Formeln berechnet ist. Die Wirkung des Anschlags durch den Hammer h\u00e4ngt ab von der Zeit, w\u00e4hrend welcher er der Saite anliegt. Diese Zeit ist in der Tabelle angegeben in Theilen der Schwinguugsdauer des Grundtons. Ausserdem findet sich die Berechnung f\u00fcr eine mit dem Finger gerissene Saite. Die Anschlagsstelle ist stets in lj1 der Saitenl\u00e4nge angenommen.","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Saiten.\t185\nTheoretische Intensit\u00e4t der Partialt\u00f6ne.\nAnschlag in x/7 der Saitenl\u00e4nge.\nAnschlag durch den Hammer, dessen \u00e4'\u00c4.lS? Ber\u00fchrung dauert\nOrdnungszahl des Partialtons\nAnschlag mit einem ganz harten Hammer\nAnschlag\ndurch\nHeissen\nvon der Schwingurigsdauer des \u00dfrundtons\nDer besseren Vergleichung wegen ist die Intensit\u00e4t des Grundtons immer gleich 100 gesetzt worden. Ich habe die berechnete St\u00e4rke der Obert\u00f6ne verglichen mit ihrer St\u00e4rke an dem schon erw\u00e4hnten Fl\u00fcgel, und gefunden, dass die erste mit 3/, \u00fcber-schriebene Reihe etwa passt f\u00fcr die Gegend des c\". In noch h\u00f6herer Lage werden die Obert\u00f6ne noch schw\u00e4cher, als in dieser Columne. Beim Anschlag der Taste c\" bekam ich den zweiten Ton stark, den dritten fast gar nicht mehr. Die zweite mit 3/i0 \u00fcber-schriebene Columne w\u00fcrde etwa entsprechen der Gegend des g' die ersten beiden Obert\u00f6ne sind hier sehr stark, der vierte Ton ist schwach. Die dritte Columne entspricht den tieferen Saiten vom c' an abw\u00e4rts ; die ersten vier Partialt\u00f6ne sind kr\u00e4ftig da, der f\u00fcnfte schw\u00e4cher. In der folgenden Columne wird der dritte Partialton st\u00e4rker als der zweite, was an den Kl\u00e4ngen des von mir untersuchten Fl\u00fcgels nicht mehr vorkommt. Bei dem ganz harten Hammer werden endlich der dritte und vierte Ton gleich stark, und die st\u00e4rksten von allen. Es ergiebt sich aus den in der Tabelle zusam-mengestellten Berechnungen, dass bei den Clavierkl\u00e4ngen der mittleren und tieferen Octaven der Grundton schw\u00e4cher ist als der erste oder selbst als die beiden ersten Obert\u00f6ne. Es l\u00e4sst sich dies","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"136 Erste Abheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nauch durch den schon erw\u00e4hnten Vergleich mit den gerissenen Saiten best\u00e4tigen. Auf diesen ist der zweite Ton etwas schw\u00e4cher als der erste; der letztere, der Grundton, ist aber in dem Klange viel deutlicher, wenn man eine Claviersaite mit dem Finger reisst, als wenn man sie mittelst der Taste anschl\u00e4gt.\nObgleich es also, wie die Mechanik der h\u00f6heren Octaven der Claviere zeigt, m\u00f6glich ist, einen Klang hervorzubringen, in welchem der Grundton \u00fcberwiegt, hat man es doch vorgezogen, den Anschlag der tieferen Saiten so einzurichten, dass die Obert\u00f6ne bis zum f\u00fcnften oder sechsten Tone deutlich bleiben, und der zweite und dritte sogar st\u00e4rker als der erste werden.\nEndlich hat, wie ich oben erw\u00e4hnt habe, auch die Dicke und das Material der Saiten Einfluss auf die Klangfarbe. Es k\u00f6nnen sich auf sehr steifen Saiten namentlich keine sehr hohen Obert\u00f6ne bilden, weil solche Saiten nicht leicht in sehr kurzen Abtheilungen entgegengesetzte Biegungen annehmen. Man bemerkt dies leicht, wenn man auf dem Monochord zwei Saiten von verschiedener Dicke aufzieht, und ihre hohen Obert\u00f6ne hervorzubringen sucht. Dies gelingt auf der d\u00fcnneren viel besser als auf der dickeren. Um hohe Obert\u00f6ne hervorzubringen, sind Saiten von ganz feinem Draht, wie ihn die Posamentiere zum Bespinnen brauchen, am vortheilhaftesten, und wenn man eine Anschlagsweise braucht, welche hohe Obert\u00f6ne hervorzubringen geeignet ist, zum Beispiel mit einem Metallstift die Saite schl\u00e4gt oder reisst, h\u00f6rt man dies auch dem Klange an. Die vielen hohen Obert\u00f6ne, die einander in der Scala sehr nahe liegen, geben n\u00e4mlich das eigen-th\u00fcmlich hohe, unharmonische Ger\u00e4usch, welches wir mit dem Worte \u201eKlimpern\u201c zu bezeichnen pflegen. Vom 8ten Partialtone an liegen diese T\u00f6ne um weniger als eine ganze Tonstufe von einander entfernt, vom l\u00f6ten ab um weniger als eine halbe. Sie bilden deshalb eine enge Reihe dissonirender T\u00f6ne. Auf einer Saite aus feinstem Eisendraht, wie er zur Verfertigung k\u00fcnstlicher Blumen gebraucht wird, von 700 Centimeter L\u00e4nge, konnte ich noch den 18ten Ton isolirt hervorbringen. Die Eigenth\u00fcmlichkeit der Citherkl\u00e4nge beruht auf der Anwesenheit solcher klimpernder hoher Obert\u00f6ne, nur geht die Reihe der Obert\u00f6ne bei ihnen nicht so weit hinauf, wie an dem genannten Eisendrahte, weil ihre Saiten k\u00fcrzer sind.\nDie Darmsaiten sind bei gleicher Festigkeit viel leichter als Metallsaiten, und geben deshalb h\u00f6here T\u00f6ne. Theils hierauf beruht der Unterschied ihres Klanges, theils aber auch wohl auf der","page":136},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Streichinstrumente.\t137\nweniger vollkommenen Elasticit\u00e4t der Darmsaiten, wodurch ihre T\u00f6ne, namentlich die hohen, schneller ged\u00e4mpft werden. Der Klang gerissener Darmsaiten (Guitarre, Harfe) ist deshalb weniger klimpernd als der von Metallsaiten.\n4. Kl\u00e4nge der Streichinstrumente.\nF\u00fcr die Bewegung der mit dem Violinbogen gestrichenen Saiten kann noch keine vollst\u00e4ndige mechanische Theorie gegeben werden, weil man nicht weiss, in welcher Weise der Bogen auf die Bewegung der Saite einwirkt. Doch habe ich es m\u00f6glich gefunden, mittelst einer eigenth\u00fcmlichen, von dem franz\u00f6sischen Physiker L i s s a j o u s in ihren Grundz\u00fcgen vorgeschlagenen Methode die Schwingungsform der einzelnen Punkte einer Violin-saite zu beobachten, und aus der beobachteten Schwingungsform, welche verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig sehr einfach ist, dann die ganze Bewegung der Saite und die St\u00e4rke ihrer Obert\u00f6ne zu berechnen.\nMan sehe durch eine Loupe, welche eine stark vergr\u00f6ssernde convexe Glaslinse enth\u00e4lt, nach einem kleinen lichten Objecte, zum Beispiel nach einem St\u00e4rkmehlk\u00f6rnchen, welches das Licht einer Flamme reflectirt, und als ein sehr feines Lichtp\u00fcnktchen erscheint. Wenn man dann die Loupe auf- und abbewegt, w\u00e4hrend das lichte P\u00fcnktchen in Wirklichkeit ruhig an seinem Orte bleibt, so scheint dieses P\u00fcnktchen doch, durch die bewegte Loupe gesehen, selbst auf und ab zu schwanken. Diese Loupe ist nun in dem Apparate, welchen ich angewendet habe, und der in Fig. 22 (a. f. S.) dargestellt ist, am Ende einer Zinke der Stimmgabel G befestigt und mit L bezeichnet. Sie ist aus zwei achromatischen Glaslinsen zusammengesetzt, wie sie als Objectivgl\u00e4ser der Mikroskope gebraucht werden. Man braucht diese beiden Linsen entweder einfach als Loupe, ohne sie noch mit anderen Linsen zu verbinden, oder wenn man st\u00e4rkere Vergr\u00f6sserung gebraucht, wird hinter der Metallplatte A A, welche die Stimmgabel tr\u00e4gt, die R\u00f6hre und das Ocularst\u00fcck eines Mikroskops angebracht, dessen Objec-tiv dann von den genannten Glaslinsen gebildet wird. Wenn man nun das Instrument, welches wir das Vibrationsmikroskop nennen k\u00f6nnen, so aufstellt, dass man durch dasselbe einen feststehenden lichten Punkt deutlich sieht, und dann die Gabel in Schwingung setzt, so wird von dieser das Linsensystem L periodisch auf und ab bewegt, und zwar in pendelartiger einfacher","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nSchwingung. F\u00fcr den Beobachter entsteht dadurch der Schein, als ob das Lichtp\u00fcnktchen selbst sich auf und ab bewegte, und\nFig. 22.\nda die einzelnen Schwingungen so schnell auf einander folgen, dass der Eindruck des Lichts im Auge w\u00e4hrend der Dauer einer Schwingung nicht erl\u00f6schen kann, so erscheint der Weg des Lichtp\u00fcnktchens als eine feststehende gerade Linie, welche um so l\u00e4nger ist, je gr\u00f6sser die Excursionen der Gabel sind *).\n*) Das Ende der zweiten Zinke der Stimmgabel ist verdickt, und bildet ein Gegengewicht f\u00fcr die Loupe. Das eiserne B\u00fcgelchen B, welches auf die eine Zinke aufgeklemmt ist, dient dazu, die Tonh\u00f6he der Gabel etwas zu ver\u00e4ndern; wenn man es gegen das Ende der Zinke hinschiebt, wird ihr Ton tiefer. E ist ein Elektromagnet, mit dessen Hilfe man die","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Streichinstrumente.\t139\nDas St\u00e4rkek\u00f6rnchen nun, dessen Lichtretiex man wahrnimmt, wird an demjenigen t\u00f6nenden K\u00f6rper befestigt , dessen Schwin-gungsform man beobachten will, und dieser in solche Lage gebracht, dass das K\u00f6rnchen sich horizontal hin und her bewegte wenn das Linsensystem sich vertical auf und ab bewegt. Wenn beide Arten von Bewegungen gleichzeitig vor sich gehen, erblickt der Beobachter den Lichtpunkt sowohl horizontal hin und her bewegt, entsprechend seiner wirklichen Bewegung, als auch scheinbar vertical hin - und hergehend wegen der Bewegung der Glaslinsen, und beide Arten von Verschiebungen setzen sich dann zusammen zu einer krummlinigen Bewegung. Dabei erscheint im Gesichtsfelde des Mikroskops eine scheinbar ganz feststehende und unver\u00e4nderliche helle Curve, wenn entweder die Schwingungsperiode des St\u00e4rkek\u00f6rnchens und die der Stimmgabel genau gleich sind, oder die eine genau 2, 3 oder 4 Mal so gross ist als die andere, weil in diesem Falle der lichte Punkt nach einer oder einigen Schwingungen immer genau wieder dieselbe Bahn durchl\u00e4uft, die er vorher durchlaufen hatte. Sind diese Verh\u00e4ltnisse der Schwfngungzahlen nicht vollkommen genau getroffen, so ver\u00e4ndern sich die Curven langsam, und zwar sieht es t\u00e4uschend so aus, als w\u00e4ren sie auf die Oberfl\u00e4che eines durchsichtigen Cylinders gezeichnet, der sich langsam um seine Axe dreht. Eine solche langsame Verschiebung der gesehenen Curven ist nicht unvortheilhaft, weil der Beobachter sie dann nach einander in verschiedenen Lagen erblickt. Ist das Verh\u00e4ltniss der Schwingungszahlen des beobachteten K\u00f6rpers und der Gabel'aber zu abweichend von einem durch kleine ganze Zahlen darstellbaren Verh\u00e4ltnisse, so geschieht die Bewegung der Curven zu schnell, als dass das Auge ihnen folgen k\u00f6nnte, und es verwirrt sich dann alles.\nSoll das Vibrationsmikroskop benutzt werden zur Untersuchung der Bewegung einer Violiusaite, so muss man den re-flectirten Lichtpunkt an dieser anbringen. Zu dem Ende schw\u00e4rzt man zun\u00e4chst die betreffende Stelle der Saite mit Tinte, reibt sie, wenn sie trocken geworden ist, mit Kleb wachs ein und pulvert etwas St\u00e4rkmehl \u00fcber, von dem einige K\u00f6rnchen haften bleiben. Die Violine wird dann dem Mikroskope gegen\u00fcber so befestigt,\nGabel dauernd in gleiohm\u00e4ssiger Schwingung erhalten kann, wenn man \u00abeine Drahtrollen von intermittirenden elektrischen Str\u00f6men durchfliessen i\u00e4sst, wie dies im sechsten Abschnitt n\u00e4her beschrieben werden soll.","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\ndass die Saiten vertical stehen, und man durch das Mikroskop blickend den Lichtreflex eines der St\u00e4rkniehlk\u00fcgelchen deutlich sieht. Den Bogen f\u00fchrt man den Zinken der Stimmgabel parallel \u00fcber die Saite, dann schwingt jeder Punkt der Saite horizontal, und der Beobachter sieht bei gleichzeitiger Bewegung der Stimmgabel die eigenth\u00fcmlichen Schwingungscurven. Zur Beobachtung habe ich dienet Saite der Violine benutzt, welche ich etwas h\u00f6her auf V stimmte, so dass sie gerade zwei Octaven h\u00f6her war als die Stimmgabel des Apparats, welche B gab.\nIn Fig. 23 sind Schwingungscurven abgebildet, wie sie durch das Vibrationsmikroskop erscheinen. Die gerade Horizontallfnie\nFig. 23.\nder Figuren fl\u00ab, bb und cc stellt die scheinbare Bahn des beobachteten Lichtpunktes dar, ehe er selbst in Schwingung versetzt ist, die Curven und Zickzacklinien derselben Figuren dagegen die Bahn des Lichtpunktes, wenn er selbst ebenfalls schwingt. Daneben sind in A, B, C dieselben Schwingungsformen nach der im ersten und zweiten:Abschnitte angewendeten Methode dargestellt, wobei die einzelnen Theile der horizontalen Grundlinie den entsprechenden Zeittheilen direct proportional sind, w\u00e4hrend in den Figuren aa, bb und cc die horizontalen L\u00e4ngen den Excursionen der schwingenden Linse proportional sind. A und aa stellen die Schwingungscurven f\u00fcr eine Stimmgabel dar, also eine einfache Schwingung, B und bb die des Mittelpunktes ,einer Violinsaite, welche mit der Gabel des Vibrationsmikroskops im Einkl\u00e4nge ist,","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Streichinstrumente.\t141\nC und cc dieselbe f\u00fcr eine Saite, die eine Octave h\u00f6her gestimmt, ist. Man kann sich die Figuren aa, bb und cc aus den Figuren A, B und C gebildet denken, indem man die Fl\u00e4che, auf welche die letzteren gezeichnet sind, um einen durchsichtigen Cylinder herumgelegt denkt, dessen Umfang gleich d\u00e9r horizontalen Grundlinie dieser Figuren ist. Die auf die Cylinderfl\u00e4che gezeichnete Curve werde dann aus einer solchen Stellung des Beobachters betrachtet, dass ihm die um den Cylinder zum Kreise zusammengeschlossene horizontale Grundlinie jener Figuren perspectivisch als einfache gerade Linie erscheint, dann wird ihm auch die Schwingungscurve A in der Form aa, B als bb, C als cc erscheinen. Wenn die Tonh\u00f6he der beiden schwingenden K\u00f6rper nicht in einem genauen harmonischen Verh\u00e4ltnisse ist, sieht es so aus, als wenn dieser imagin\u00e4re Cylinder, auf den die Schwingungscurve gezeichnet ist, rotirte.\nEs ist nun auch leicht aus den Formen aa, bb und cc die A, B, C wiederzufinden, und da die letzteren ein verst\u00e4ndlicheres Bild der Bewegung der Saite geben als die ersteren, werde ich im Folgenden immer gleich die scheinb\u00e4r auf eine Cylinderfl\u00e4che gezeichnete Curve so zeichnen, als w\u00e4re die Cylinderfl\u00e4che wie in den Figuren A, B und C auf eine Ebene abgerollt. Dann entspricht der Sinn unserer Schwingungscurven ganz den in den fr\u00fcheren Abschnitten dargestellten \u00e4hnlichen Curven. Wenn vier Schwingungen der Violinsaite auf eine Schwingung der Gabel kommen, wie das bei unseren Versuchen der Fall war, also vier Wellen rings um den Umfang des imagin\u00e4ren Cylinders aufgezeichnet erscheinen, und diese ausserdem noch langsam rotiren und sich in verschiedenen Stellungen zeigen, ist es gar nicht schwer, sie gleich auf die Ebene abgewickelt nachzuzeichnen; denn die mittleren Zacken erscheinen dann auf der Cylinderfl\u00e4che ziemlich ebenso, als w\u00e4ren sie auf eine Ebene gezeichnet.\nDie Figuren 23 B und C geben direct die Schwingungsform f\u00fcr die Mitte einer Violinsaite, wenn der Bogen gut fasst, und der Grundton der Saite voll und kr\u00e4ftig zum Vorschein kommt. Man sieht leicht, dass diese Schwingungsform sich wesentlich unterscheidet von der in Fig. 23 A dargestellten Form einer einfachen Schwingung. Mehr gegen die Enden der Saite zu wird die Schwingungsfigur die umstehende der Fig. 24 A, und zwar verhalten sich die beiden Abschnitte je einer Welle a\u00df und \u00dfy zu einander, wie die beiden St\u00fccke der Saite, welche zu beiden Sei-","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\n\u2022ten des beobachteten Punktes gelegen sind. In der Figur ist das Verh\u00e4ltniss 1:3, wie es sich findet y4 vom Ende der Saite ent-\nFig. 24.\nA.\tB\nfernt. Ganz gegen das Ende der Saiten hin wird die Form wie Fig. 24 B. Die kurzen St\u00fccke der Figur werden dabei so licht-schwach, weil in ihnen die Geschwindigkeit des hellen Punktes sehr gross ist, dass sie oft dem Auge entschwinden, und nur die langen Linienst\u00fccke stehen bleiben.\nDiese Figuren geben zu erkennen, dass jeder Punkt der Saite sich zwischen den Endpunkten seiner Schwingung mit constanter Geschwindigkeit hin- und herbewegt. F\u00fcr den Mittelpunkt ist die Geschwindigkeit, mit der er aufsteigt, gleich der, mit der er absteigt. Wird der Violinbogen nahe dem rechten Ende der Saite absteigend gebraucht, so ist auf der rechten H\u00e4lfte der Saite die Geschwindigkeit des Absteigens kleiner als die des Aufsteigens, desto mehr, je n\u00e4her man dem Ende kommt. Auf der linken H\u00e4lfte der Saite ist es umgekehrt. An der Stelle, wo gestrichen wird, scheint die Geschwindigkeit des Absteigens gleich zu sein der des Violinbogens. W \u00e4hrend des gr\u00f6sseren Theiles jeder Schwingung haftet hier die Saite an dem Violinbogen, und wird von ihm mitgenommen, dann reisst sie sich pl\u00f6tzlich los und springt schnell zur\u00fcck, um sogleich wieder von einem anderen Punkte des Bogens gefasst und mitgenommen zu werden *).\nF\u00fcr unseren gegenw\u00e4rtigen Zweck kommt es nun namentlich auf die Bestimmung der Obert\u00f6ne an. Da wir die Schwingungsform der einzelnen Punkte der Saite kennen, so l\u00e4sst sich aus ihr die Intensit\u00e4t der einzelnen Obert\u00f6ne vollst\u00e4ndig berechnen. Die mathematischen Formeln f\u00fcr diese Rechnung sind in der Beilage entwickelt. Die Rechnung selbst ergiebt Folgendes. Es sind bei guter Ansprache der gestrichenen Saite alle Obert\u00f6ne auf ihr vorhanden, welche bei dem bestehenden Grade von Steifigkeit der Saite \u00fcberhaupt sich bilden k\u00f6nnen, und zwar nach der H\u00f6he hin in abnehmender\n*) Die hier beschriebenen Thatsaehen gen\u00fcgen, um die Bewegung der gestrichenen Saite vollst\u00e4ndig festzustellen. Siehe Beilage Nro. V.","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Streichinstrumente.\t143\n9\nSt\u00e4rke. Die Schwingungsweite sowohl als die Intensit\u00e4t des zweiten Tones ist ein Viertel von der des Grundtones, die des dritten Tones ein Neuntel, die des vierten ein Sechszehntel u. s. w. Es ist dies dasselbe Verh\u00e4ltnis in der St\u00e4rke der Obert\u00f6ne wie bei einer Saite, die man in ihrer Mitte durch Reissen in Bewegung gesetzt hat, nur dass bei letzterer die geradzahligen T\u00f6ne alle fehlen, welche im Gegentheile durch die Anwendung des Bogens mit hervorgerufen werden. Uebrigens h\u00f6rt man die Obert\u00f6ne im Klange der Violine sehr leicht und stark, namentlich wenn man sie sich vorher als Flageolett\u00f6qe auf der Saite angegeben hat-Letzteres erreicht man bekanntlich dadurch, dass man die Saite streicht, w\u00e4hrend man sie in einem Knotenpunkte des gew\u00fcnschten Tones mit dem Finger leise ber\u00fchrt. Bis zum sechsten Obertone sprechen die Saiten der Violine leicht an, mit einiger M\u00fche bringt man es auch bis zum zehnten Obertone. Die tieferen T\u00f6ne sprechen am besten an, wenn man die Saite um Vio bis >/ls der L\u00e4nge einer schwingenden Abtheilung von ihrem Ende entfernt streicht; f\u00fcr die h\u00f6heren T\u00f6ne, wo die schwingenden Abtheilungen kleiner werden, muss man etwa >/4 bis % ihrer L\u00e4nge vom Ende entfernt streichen.\nDer Grundton ist im Klange der Streichinstrumente verh\u00e4lt-nissm\u00e4ssig kr\u00e4ftiger als in den nahe ihren Enden geschlagenen oder gerissenen Saiten des Claviers und der Guitarre; die ersten Obert\u00f6ne sind verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig schw\u00e4cher, dagegen sind die h\u00f6heren Obert\u00f6ne vom sechsten bis etwa zehnten hin viel deutlicher, und verursachen die Sch\u00e4rfe des Klanges der Streichinstrumente.\nDie im Vorigen beschriebene Grundform der Schwingungen von Violinsaiten ist wenigstens in ihren wesentlichen Z\u00fcgen ziemlich unabh\u00e4ngig von der Stelle, wo die Saite gestrichen wird, \\yenn nur \u00fcberhaupt die Saite gut anspricht; sie ver\u00e4ndert sich durchaus nicht in der Weise, wie die Schwingungsform einer gerissenen oder geschlagenen Saite nach der Stelle des Anschlags sich \u00e4ndert. Doch machen sich kleine Unterschiede in der Schwingungsfigur merklich, welche von der Stelle des Streichens abh\u00e4ngen. Gew\u00f6hnlich zeigen n\u00e4mlich die Linien der Schwinguugsfigur kleine Kr\u00e4uselungen, wie in Fig. 25 (a. f. S.), deren Zacken an Breite und H\u00f6he zunehmen, je mehr sich der Bogen vom Ende der Saite entfernt. Wenn man in einem dem Stege benachbarten Knotenpunkte eines der hohen Obert\u00f6ne die Saite anstreicht, so lassen sich diese Kr\u00e4uselungen einfach darauf reduciren, dass von","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"144 Erste Abtheil\u00fcng. F\u00fcnfter Abschnitt.\nder bisher beschriebenen normalen Saitenbewegung alle diejenigen T\u00f6ne wegfallen, welche in dem gestrichenen Punkte einen Knotenpunkt haben. Wenn die Beobachtung der Schwingungsform in einem der \u00fcbrigen, zugeh\u00f6rigen Knotenpunkte des tiefsten aus-\nFig. 25.\nfallenden Tones angestellt wird, sieht man nichts von jenen Kr\u00e4uselungen. Also wenn man zum Beispiel um y7 der Saitenl\u00e4nge vom Stege entfernt streicht, und in 6/7 oder 5/7 oder 4/7 u. s. w. beobachtet, ist die Schwingungsfigur einfach, wie inFig. 24; wenn man aber zwischen je zwei Knotenpunkten beobachtet, erscheinen die Kr\u00e4uselungen wie in Fig. 25. Ver\u00e4nderungen in der Klangfarbe des Tones h\u00e4ngen zum Theil von diesem Umstande ab. N\u00e4hert man sich beim Streichen zu sehr dem Griffbrett, dessen Ende um y5 der Saitenl\u00e4nge vom Stege entfernt ist, so fehlt in dem Klange der Saite der 5te oder 6te Ton, welche beide sonst noch deutlich h\u00f6rbar zu sein pflegen. Der Klang wird dadurch etwas dumpfer. Die gew\u00f6hnliche Stelle f\u00fcr das Anstreichen liegt etwa in y10 der Saitenl\u00e4nge, wird im Piano etwas entfernter vom Stege, im Forte etwas n\u00e4her genommen. N\u00e4hert man sich mit dem Bogen dem Stege, indem man ihn nur leicht andr\u00fcckt, so geht eine andere Ver\u00e4nderung des Klanges vor, die sich in der Schwingungsfigur leicht zu erkennen giebt. Es entsteht n\u00e4mlich ein Gemisch aus dem Grundton und dem ersten Flageoletten der Saite. Bei leichtem und schnellem Streichen um etwa y20 der Saitenl\u00e4nge vom Stege entfernt, erh\u00e4lt man n\u00e4mlich zuweilen die h\u00f6here Octave des Grundtons allein, indem in der Mitte der Saite ein Knotenpunkt entsteht; bei fester angedr\u00fccktem Bogen erklingt zugleich der Grundton. Dazwischen kann sich nun die h\u00f6here Octave in jedem Verh\u00e4ltnisse einmischen. In der Schwingungsfigur giebt sich dies gleich zu erkennen. Fig. 26 stellt die Reihenfolge der Formen bei dieser Ver\u00e4nderung dar. Man sieht, wie aus der l\u00e4ngeren Saite eines Wellenbergs sich eine neue Spitze, zuerst wenig, dann st\u00e4rker erhebt, bis die neuen Berg-","page":144},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Streichinstrumente.\t145\nspitzen so hoch wie die fr\u00fcheren werden, wobei die Schwingungszahl des Tones sich verdoppelt hat, und seine H\u00f6he in die Octave \u00fcbergegangen ist. Die Klangfarbe des tiefsten Klanges der Saite wird durch die beginnende Einmischung des ersten Obertons zar-\nFig-, 26.\nter und heller, aber weniger voll und kr\u00e4ftig. Es ist \u00fcbrigens ein sehr interessantes Schauspiel, die Schwingungsfigur zu beobachten, w\u00e4hrend man kleine Ver\u00e4nderungen in der Bogenf\u00fchrung vor sich gehen l\u00e4sst, und dabei wahrzunehmen, wie leise Ver\u00e4nderungen in der Klangfarbe sich immer gleich durch sehr merkliche Ver\u00e4nderungen der Schwingungsfigur zu erkennen geben.\nDie bisher beschriebenen Schwingungsformen k\u00f6nnen bei einer recht gleichm\u00e4ssigen Bogenf\u00fchrung auch gleichm\u00e4ssig ruhig und ohne sich zu ver\u00e4ndern erhalten werden, dabei giebt das Instrument einen ununterbrochenen reinen musikalischen Klang. Jedes Kratzen des Bogens giebt sich dagegen durch pl\u00f6tzliche und sprungweise eintretende Verschiebungen und Ver\u00e4nderungen der Schwingungsform zu erkennen. Ist das Kratzen anhaltend, so hat das Auge gar nicht Zeit, eine regelm\u00e4ssige Figur aufzufassen. Die kratzenden Ger\u00e4usche des Violinbogens sind also als unregelm\u00e4ssige Unterbrechungen der normalen Saitenschwingungen zu betrachten, worauf die letzteren von Neuem und mit neuem Anfangspunkt einsetzen. An der Schwingungsfigur sind \u00fcbrigens alle kleinsten Anst\u00f6sse des Bogens, die das Ohr kaum bemerkt, durch schnelle Spr\u00fcnge bezeichnet. Durch die H\u00e4ufigkeit solcher kleiner und grosser St\u00f6rungen der regelm\u00e4ssigen Schwingung scheinen sich nun namentlich die schlechten Streichinstrumente von den guten zu unterscheiden. Auf einer Saite meines Monochords, der eben nur gelegentlich hierbei als Streichinstrument gebraucht wurde, war eine grosse Sauberkeit des Striches n\u00f6thig, um nur l\u00fci- so kurze Zeit eine ruhige Schwingungsfigur zu erhalten, dass man sie mit dem Auge eben noch auffassen konnte ; der Klang\nHelmholtz, pliys. Theorie der Musik,\tin","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nwar \u00fcbrigens raub und das Kratzen sehr h\u00e4ufig. Bei einer sehr guten neueren Violine von Bausch war es dagegen leichter, die Schwingungsfigur einige Zeit ruhig zu halten, und noch viel besser gelang es mir an einer alten italienischen Violine von Gua-danini; erst an dieser hatte ich die Schwingungsfigur so ruhig, dass ich die kleinen Kr\u00e4uselungen z\u00e4hlen konnte. Diese grosse Gleichm\u00e4ssigkeit der Schwingungen ist offenbar der Grund des reineren Tones dieser \u00e4lteren Instrumente, da jede kleine Unregelm\u00e4ssigkeit sich sogleich dem Ohr als etwas Rauhes oder Kratzendes des Tones zu erkennen giebt.\nEs kommt hierbei wahrscheinlich darauf an, dass der Bau des Instrumentes und eine m\u00f6glichst vollkommene Elasticit\u00e4t des Holzes sehr regelm\u00e4ssigen Saitenschwingungen g\u00fcnstig sind, und wenn solche vorhanden sind, auch jjer Bogen leicht regelm\u00e4ssig wirkt. Dadurch wird der reine, von allen Rauhigkeiten freie Abfluss des Tones bedingt. Andererseits kann aber bei solcher Regelm\u00e4ssigkeit der Schwingungen die gestrichene Saite mit gr\u00f6sserer Kraft in Anspruch genommen werden; die guten Instrumente erlauben deshalb eine kr\u00e4ftigere Bewegung der Saiten, und die ganze Intensit\u00e4t ihres Tones wird ohne Verlust der Luft mit-getheilt, w\u00e4hrend jede Unvollkommenheit in der Elasticit\u00e4t des Holzes einen Theil der Bewegung durch Reibung verloren gehen l\u00e4sst. Ein guter Theil der Vorz\u00fcge der alten Violinen m\u00f6chte aber wohl eben auf ihrem Alter und namentlich dem langen Gebrauche beruhen, welche beide auf die Elasticit\u00e4t des Holzes nur g\u00fcnstig einwirken k\u00f6nnen. Mehr als auf alles Andere kommt aber offenbar auf die Kunst der Bogenf\u00fchrung an; wie fein diese ausgebildet sein muss, um einen m\u00f6glichst vollkommenen Klang und dessen verschiedene Abarten sicher zu erhalten, davon kann man sich durch nichts besser \u00fcberzeugen, als durch Beobachtung der Schwingungsfiguren. Auch ist es bekannt, dass ausgezeichnete Spieler selbst aus mittelm\u00e4ssigen Instrumenten einen vollen Ton hervorlocken.\nDie bisher mitgetheilten Beobachtungen und Schl\u00fcsse beziehen sich allein auf die Schwingungen der Saiten des Instruments und die St\u00e4rke der Obert\u00f6ne, insofern sie in der zusammengesetzten Schwingungsbewegung der Saiten enthalten sind. Die T\u00f6ne verschiedener H\u00f6he gehen aber nicht gleich gut an die Luft \u00fcber, und treffen also auch das Ohr des H\u00f6rers nicht genau in demselben Verh\u00e4ltniss der St\u00e4rke, welches ihnen in der Bewe-","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Streichinstrumente.\t147\ngung der Saite zukommt. Die Ueberleitung an die Luft geschieht durch den resonirenden K\u00f6rper des Instruments; unmittelbar theilen schwingende Saiten der Luft keinen merklichen Theil ihrer Bewegung mit, wie ich schon vorher bemerkt habe. Die schwingenden Saiten der Violine ersch\u00fcttern zun\u00e4chst den Steg, \u00fcber den sie hingezogen sind. Dieser steht mit zwei F\u00fcsschen auf dem zwischen den Schalll\u00f6chern gelegenen beweglichsten Theil der Decke des Hohlk\u00f6rpers. Der eine Fuss des Steges ruht auf einer relativ festen Unterlage, n\u00e4mlich auf dem sogenannten Stimmstocke, einem festen St\u00e4bchen, welches zwischen der oberen und unteren Platte des K\u00f6rpers eingef\u00fcgt ist. Der andere Fuss des Steges allein ist es, welcher die elastischen Holzplatten und mittelst deren Hilfe die innere Luftmasse des K\u00f6rpers ersch\u00fcttert.\nEin Luftraum, welcher, wie der der Violine, Bratsche und des Violoncello, durch elastische Holzplatten abgegrenzt ist, hat gewisse Eigent\u00f6ne, welche man durch Anblasen der Schall\u00f6ffnungen des Kastens hervorrufen kann. Die Violine giebt, in dieser Weise angeblasen, den Ton d nach Savart, welcher Instrumente von Stradivario untersuchte, denselben Ton fand Zamminer constant auch bei ziemlich mangelhaften Instrumenten wieder. F\u00fcr das Violoncell fand Savart durch Anblasen F, Zamminer 6r. Der Kasten der Bratsche ist nach des Letzteren Rechnung einen Ton tiefer gestimmt, als der der Violine. Wenn man das \u00d6hr fest an die R\u00fcckseite des Kastens einer Violine anlegt, und auf-einem Claviere die Tonleiter spielt, findet man ebenfalls, dass einige T\u00f6ne durch die Resonanz des Instruments verst\u00e4rkt in das Ohr dringen. Bei einer Violine von Bausch traten auf diese IW'ise namentlich zwei T\u00f6ne st\u00e4rkster Resonanz hervor, n\u00e4mlich d cis' und a! \u2014 b'\\ bei einer Bratsche fand ich \u00fcbereinstim-raend mit Zamminer\u2019s Rechnung beide etwa um eine ganze Tonstufe tiefer liegend.\nDie Folge dieser eigenth\u00fcmlichen Resonanzverh\u00e4ltnisse ist, dass diejenigen T\u00f6ne der Saiten, welche den eigenen T\u00f6nen der Luftmasse nahe liegen, verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig st\u00e4rker hervortreten M\u00fcssen. Man bemerkt dies auch sowohl auf der Violine wie auf 6m Cello deutlich, wenigstens f\u00fcr den tiefsten Eigenton, wenn Man die entsprechenden Noten auf den Saiten hervorbringt. Sie k ngen besonders voll, und der Grundton dieser Kl\u00e4nge tritt besonders stark heraus. In schw\u00e4cherem Grade meine ich dasselbe\n10*","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148 Erste \u00c2bthei\u00eeung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nauch f\u00fcr das ax der Violine, welches ihrem h\u00f6heren Eigentone entspricht, geh\u00f6rt zu haben.\nDa der tiefste Ton der Violine g ist, so k\u00f6nnen von den Ohert\u00f6nen ihrer Kl\u00e4nge nur die h\u00f6heren Octaven ihrer drei tiefsten Noten durch die Resonanz des h\u00f6heren Eigentons ihres Luftraumes etwas verst\u00e4rkt werden, im Allgemeinen m\u00fcssen dagegen die Grundt\u00f6ne, namentlich ihrer h\u00f6heren Noten, den Obert\u00f6nen gegen\u00fcber beg\u00fcnstigt werden, weil die-genannten Grundt\u00f6ne den eigenen T\u00f6nen der Luftmasse n\u00e4her liegen als die Obert\u00f6ne. Es wird dadurch eine \u00e4hnliche Wirkung wie am Claviere hervorgebracht, wo ebenfalls durch die Construction der H\u00e4mmer die Obert\u00f6ne der tiefen Noten beg\u00fcnstigt, die der h\u00f6heren geschw\u00e4cht sind. Beim Cello, dessen tiefste Saite C giebt, liegt der st\u00e4rkere Eigenton der Luftmasse ebenso wie bei der Violine, eine Quarte bis Quinte h\u00f6her als der der tiefsten Saite. Es entsteht dadurch ein \u00e4hnliches Verh\u00e4ltniss der beg\u00fcnstigten und nicht beg\u00fcnstigten T\u00f6ne, aber alles eine Duodecime tiefer. Bei der Bratsche dagegen liegen die am meisten beg\u00fcnstigten T\u00f6ne, etwa demfe' entsprechend, nicht zwischen denen der ersten und zweiten Saite, sondern zwischen der- zweiten und dritten, wras mit der ver\u00e4nderten Klangfarbe dieses Instruments zusammenzuh\u00e4ngen scheint. In Ziffern l\u00e4sst sich dieser Einfluss leider noch nicht ausdr\u00fccken. Sehr stark ist das Maximum der Resonanz f\u00fcr die eigenen T\u00f6ne der Luftmasse nicht gerade ausgesprochen; es w\u00fcrde auch sonst eine viel gr\u00f6ssere Ungleichartigkeit in der Tonleiter der genannten Streichinstrumente hervorrufen, sobald man den Theil der Scala passirte, in welchem die eigenen T\u00f6ne ihrer Luftmassen liegen. Demgem\u00e4ss ist zu vermuthen, dass auch der Einfluss auf die relative St\u00e4rke der einzelnen Partialt\u00f6ne der Kl\u00e4nge dieser Instrumente nicht sehr hervortretend ist.\n5. Kl\u00e4nge der Fl\u00f6tenpfeifen.\nBei den in diese Classe geh\u00f6rigen Instrumenten wird der Ton hervorgebracht dadurch, dass man einen Luftstrom gegen die meist mit scharfen R\u00e4ndern versehene Oeffnung eines mit Luft gef\u00fcllten Hohlraumes treibt. Es geh\u00f6ren hierher ausser den schon im vorigen Abschnitte erw\u00e4hnten und in Fig. 19 abgebildeten Flaschen\" haupts\u00e4chlich die Fl\u00f6ten und der gr\u00f6sste Theil der Orgelpfeifen. Bei den Fl\u00f6ten ist die t\u00f6nende Luftmasse in","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Fl\u00f6tenpfeifen.\t149\nder cylindrischen Bohrung ihres K\u00f6rpers eingeschlossen, das Anblasen geschieht mit dem Munde gegen die etwas zugesch\u00e4rften R\u00e4nder ihrer Mund\u00f6ffnung. Die Construction der Orgelpfeifen wird durch die nebenstehenden beiden Figuren versinnlicht. Fig. 27 A stellt eine h\u00f6lzerne viereckige Pfeife der L\u00e4nge nach durchschnitten dar, B die \u00e4ussere Ansicht einer runden zinnernen Pfeife. RR bezeichnet in beiden die R\u00f6hre, welche die t\u00f6nende Luftmasse einschliesst, ab die Mund\u00f6ffnung, an welcher sie angehlasen wird, die nach oben durch eine scharfe Lippe begrenzt ist. In Fig. 27 A sieht man bei AT die Luftkammer, in welche die Luft aus dem Blasebalge zun\u00e4chst eingetrieben wird; aus ihr kann die Luft nur durch den engen Spalt cd entweichen, und wird hier gerade gegen die Sch\u00e4rfe der Lippe getrieben. Die dargestellte h\u00f6lzerne PfeifeM.","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nist oben offen, sie giebt einen Ton, dessen Welle in der Luft doppelt so lang ist, als die L\u00e4nge des Rohres RH. Die andere Pfeife B ist eine gedackte, d. h. ihr oberes Ende ist geschlossen. Sie giebt einen Ton, dessen Welle viermal so lang ist, als die L\u00e4nge des Rohres B B, und der deshalb eine Octave tiefer ist, als der einer gleich langen offenen Pfeife.\nEbenso wie solche Pfeifen, wie die Fl\u00f6ten, die beschriebenen Flaschen, die Luftk\u00e4sten der Violinen, kann man nun aber auch \u00fcberhaupt alle mit einer hinreichend engen Oeffnung versehenen lufthaltigen Hohlr\u00e4ume zum T\u00f6nen bringen, wenn man einen schmalen bandf\u00f6rmigen Luftstrom \u00fcber ihre Oeffnung hingehen l\u00e4sst, vorausgesetzt, dass diese Oeffnung mit einigermassen hervortretenden und kantigen R\u00e4ndern versehen ist.\nAn dem Rande der Anblase\u00f6ffnung liegt n\u00e4mlich der Ursprungsort des Tons aller diesbr Instrumente, indem sich an ihr der dagegen getriebene Luftstrom bricht, und ein eigenth\u00fcmliches zischendes oder sausendes Ger\u00e4usch erzeugt, welches man allein h\u00f6rt, so oft die Pfeife nicht anspricht, oder auch wenn man statt der Mund\u00f6ffnung einer Pfeife eine entsprechende Oeffnung -in irgend einer ebenen Platte anbl\u00e4st. Je enger die Oeffnung, je st\u00e4rker der Wind, desto h\u00f6her wird dieses Blaseger\u00e4usch. Ein solches Ger\u00e4usch kann man, wie schon fr\u00fcher er\u00f6rtert ist, als die Mischung vieler nahe au einander liegender unharmonischer T\u00f6ne betrachten. Wenn nun der Hohlraum der Pfeife hinzukommt, so verst\u00e4rkt dieser durch Resonanz diejenigen T\u00f6ne des Ger\u00e4usches, welche seinen eigenen T\u00f6nen entsprechen, so dass diese an St\u00e4rke \u00fcber alle anderen hinaus wachsen, und durch ihre St\u00e4rke die anderen verdecken. Daher h\u00f6rt man auch bei allen solchen Pfeifen immer mehr oder weniger deutlich das Luftger\u00e4usch den Ton begleiten, und dies giebt der Klangfarbe etwas Eigenth\u00fcmliches. Gerade so wie die T\u00f6ne des Luftger\u00e4usches durch Resonanz verst\u00e4rkt werden, kann auch der Ton einer Stimmgabel verst\u00e4rkt werden, welche man der M\u00fcndung der Pfeife n\u00e4hert, wenn die Tonh\u00f6he der Gabel einem der eigenen T\u00f6ne der Luftmasse des Rohres entspricht, und man kann mittelst einer Reihe verschiedener Stimmgabeln leicht und genau die Eigent\u00f6ne *) des Rohres finden und\n*) Ich habe deshalb in meinen mathematischen Untersuchungen diese T\u00f6ne auch T\u00f6ne st\u00e4rkster Resonanz genannt. Crelle, Journal f\u00fcr Mathematik Bd. LVII.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Fl\u00f6tenpfeifen.\t151\nbestimmen. Uebrigens b\u00e4ngt nun der Charakter der musikalischen Klangfarbe dieser Pfeifen wesentlich davon ab, ob die harmonischen Obert\u00f6ne des angeblasenen Tones hinreichend nahe eigenen T\u00f6nen der Pfeife entsprechen, um ebenso wie der Grundton verst\u00e4rkt zu werden, oder nicht. Nur bei den engen cylindri-schen offenen Pfeifen, wie z. B. den Fl\u00f6ten, den Geigenprincipalen der Orgel, sind die h\u00f6heren Eigent\u00f6ne des Rohres genau entsprechend den harmonischen Obert\u00f6nen des Grundtons. Durch st\u00e4rkeres Blasen, wobei das erregende Luftger\u00e4usch selbst h\u00f6her wird, kann man die h\u00f6heren T\u00f6ne des Rohres allein, zum Ansprechen bringen. Eine Fl\u00f6te, welche bei schwachem Blasen mit geschlossenen L\u00f6chern d' h\u00f6ren l\u00e4sst, giebt bei st\u00e4rkerem Blasen d\", bei noch st\u00e4rkerem \u00ab\"und(\u00fc\"', also den ersten, zweiten, dritten, vierten harmonischen Oberton von d'. Bei den engen cylindrischen Pfeifen werden demnach neben dem Grundton auch eine Reihe seiner harmonischen Obert\u00f6ue durch die. Resonanz des Rohres verst\u00e4rkt, namentlich wenn scharf geblasen wird, so dass das Luftger\u00e4usch selbst viele h\u00f6here T\u00f6ne enth\u00e4lt. Dem entsprechend h\u00f6rt man denn auch bei den stark angeblasenen engen cylindrischen Pfeifenregistern der Oi\u2019gel (Geigenprincipal, Violon-cell, Yiolonbass, Viola di Gamba) eineReihe vonObert\u00f6nen deutlich und kr\u00e4ftig den Grundton begleiten, was dem Klang die sch\u00e4rfere, geigen\u00e4hnliche Farbe giebt. Ich finde mit Hilfe der Resonanzr\u00f6hren, dass dieTheilt\u00f6ne bis zum 6ten bei den genannten engeren Pfeifenarten deutlich h\u00f6rbar sind. Bei den weiteren offenen Pfeifen dagegen sind die n\u00e4chstliegenden Eigent\u00f6ne des Rohres alle etwas h\u00f6her, als die entsprechenden harmonischen T\u00f6ne des Grundtons, und deshalb werden die letzteren durch die Resonanz des Rohres viel weniger verst\u00e4rkt. Die weiten Pfeifen, welche wegen ihrer gr\u00f6sseren schwingenden Luftmasse und weil sie st\u00e4rkeres Anblasen erlauben, ohne in einen Oberton \u00fcberzuspringen, die Hauptklangmasse der Orgel geben, und deshalb Principalstimmen heissen, bringen aus dem angef\u00fchrten Grunde allein den Grundton stark und voll, mit schw\u00e4cherer Begleitung von Nebent\u00f6nen. Bei h\u00f6lzernen Principalpfeifen finde ich den ersten Oberton, die Octave, sehr deutlich, den zweiten, die Duodecime, schon schwach, die h\u00f6heren nicht mehr deutlich wahrnehmbar. Bei metallenen war auch noch der vierte Partialton wahrnehmbar. Die Klangfarbe dieser Pfeifen ist voller und weicher als die der Geigenprincipale. Bei schwachem Anblasen","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nin den Fl\u00f6tenregistern der Orgel und auf der Querfl\u00f6te verlieren die Obert\u00f6ne ebenfalls yerh\u00e4ltnissm\u00e4ssig mehr an St\u00e4rke als der Grundton, und der Klang wird schwach und weich.\nEine andere Ver\u00e4nderung bieten die nach oben kegelf\u00f6rmig verengten Pfeifen aus den Registern Salicional, Gemshorn, Spitzfl\u00f6te. Ihre obere Oeffnung hat meist die H\u00e4lfte des Durchmessers des unteren Querschnitts; Salicional hat den engsten, Spitz fl\u00f6te den gr\u00f6ssten Querschnitt bei gleicher L\u00e4nge. Diese Pfeifen haben, wie ich finde, das Eigenth\u00fcmliche, dass einige h\u00f6here Theilt\u00f6ne, der 5te bis 7te, verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig deutlicher werden als die niederen. Der Klang ist leer, aber eigenth\u00fcmlich hell durch diesen Umstand.\nDie gedackten cylindrischen Pfeifen haben bei enger Mensur eigene T\u00f6ne, welche den ungeradzahligen Theilt\u00f6nen des Grundtons, also dem 3ten oder der Duodecime, dem 5ten oder der h\u00f6heren Terz u. s. w. entsprechen. Bei den weiteren gedackten Pfeifen liegen, wie bei den weiten offenen Pfeifen, die n\u00e4chsten eigenen T\u00f6ne der Luftmasse merklich h\u00f6her als die entsprechenden Obert\u00f6ne des Grundtons, und letztere werden deshalb wenig oder gar nicht verst\u00e4rkt. Weite gedackte Pfeifen, namentlich wenn sie schwach angeblasen werden, geben deshalb den Grundton fast rein, und wir haben sie schon vorher als Beispiele einfacher T\u00f6ne angef\u00fchrt. Engere lassen namentlich noch sehr deutlich die Duodecime mitklingen, was zu dem Namen derselben, Quintaten (quintam tenens), Veranlassung gegeben hat. Uebrigens ist auch der 5te Theilton an diesen Pfeifen sehr deutlich, wenigstens wenn sie scharf angeblasen werden. Eine andere Ab\u00e4nderung der Klangfarbe entsteht bei der sogenannten Rohrfl\u00f6te. Hier ist ein beiderseits offenes R\u00f6hrchen in den Deckel einer gedackten Pfeife eingesetzt, dessen L\u00e4nge in den von mir untersuchten Beispielen so gross war, wie eine offene Pfeife sein m\u00fcsste, die den 5ten Theilton des Klanges geben sollte. Dadurch wird an diesen Pfeifen der 5te Theilton verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig st\u00e4rker als der ziemlich schwache dritte hervorgehoben, wodurch der Klang etwas eigenth\u00fcmlich Helles erh\u00e4lt. Im Vergleich mit dem der offenen Pfeifen hat der Klang der gedackten Pfeifen, dem also die geradzahligen Partialt\u00f6ne fehlen, etwas Hohles ; die wreiten gedackten Register klingen dumpf, namentlich in der Tiefe, weich und unkr\u00e4ftig. Sie bilden durch ihre Weichheit aber einen sehr wirksamen Gegensatz gegen die sch\u00e4rferen Klangfarben der enge-","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"153\nKl\u00e4nge der Zungenpfeifen.\nren offenen und der rauschenden Mixturregister, von d\u00e9nen schon oben die Rede gewesen ist, und welche bekanntlich durch Verbindung mehrerer Pfeifen, die einem Grundtone und seinen Obert\u00f6nen entsprechen, zu einem Klange gebildet werden.\nDie Holzpfeifen geben nicht so scharfes Blaseger\u00e4usch wie die metallenen, auch widerstehen ihre W\u00e4nde nicht so gut der Ersch\u00fctterung durch die-Schallwellen, wobei die h\u00f6heren Tonschwingungen leichter durch Reibung vernichtet zu werden scheinen. Holz giebt deshalb eine weichere oder dumpfere, weniger scharfe Klangfarbe.\nCharakteristisch f\u00fcr alle diese Pfeifen ist weiter, dass ihr Ton leicht anspricht, und sie deshalb eine grosse Beweglichkeit musikalischer Figuren zulassen, aber die St\u00e4rke ihres Klanges erlaubt fast gar keine Abwechselung, da die Tonh\u00f6he durch geringe Verst\u00e4rkung des Blasens schon merklich gesteigert wird. Auf der Orgel muss deshalb Forte und Piano durch die Registerz\u00fcge hervorgebracht werden, indem man bald mehr, bald weniger Pfeifen, bald starke und scharf t\u00f6nende, bald schwache und weiche ansprechen l\u00e4sst. Die Mittel des Ausdrucks sind auf diesem Instrumente deshalb allerdings beschr\u00e4nkt, aber andererseits verdankt \u20acs offenbar einen Theil seiner grossartigen Eigenth\u00fcmlich-keit dem Umstande, dass sein Ton in unver\u00e4nderlicher St\u00e4rke, unber\u00fchrt von subjectiven Erregungen hinaus str\u00f6mt.\n6. Kl\u00e4nge der Zungenpfeifen.\nDer Ton der hierher geh\u00f6rigen Instrumente wird in \u00e4hnlicher Weise wie der der Sirene hervorgebracht dadurch, dass der Weg des Luftstroms sich abwechselnd \u00f6ffnet und schliesst, wodurch denn der Luftstrom selbst in eine Reihe einzelner Luftst\u00f6sse zerlegt wird. In der Sirene geschieht dies, wie wir oben auseinandergesetzt haben, mittelst der rotirenden durchl\u00f6cherten Scheibe; in den Zungenwerken sind es elastische Platten oder B\u00e4nder, welche in schwingende Bewegung gesetzt werden, und dabei die Oeffnung, in der sie befestigt sind, bald schliessen, bald frei lassen. Es geh\u00f6ren hierher\n1. Die Zungenpfeifen der Orgel und die Physharmonica. Ihre Zungen, abgebildet perspectivisch in Kg- 28 A, im Durchschnitt Fig. 28 B (a. f. S.), sind l\u00e4nglich viereckige Metallbl\u00e4ttchen, g g, welche auf einer ebenen Messing-","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nplatte aa befestigt sind, in der hinter der Zunge eine Oeffnuug bb von gleicher Gestalt wie die Zunge angebracht ist. Wenn die Zunge in ihrer Ruhelage sich befindet, schliesst sie die Oeffnung ganz bis auf einen m\u00f6glichst feinen Spalt l\u00e4ngs ihres Randes. Wenn sie in Schwingung versetzt wird, schwankt sie zwischen den in Fig. 28 B mit Z\\ und z2 bezeichneten Stellungen hin und her. In der Stellung Z\\ ist, wie man sieht, eine Oeffnung\nFig. 28.\nA\nU\nf\u00fcr die einstr\u00f6mende Luft gebildet, deren Richtung durch den Pfeil angedeutet ist, bei der entgegengesetzten Ausbeugung der Zungen nach z2 hin, ist dagegen die Oeffnung geschlossen. Die dargestellte Zunge ist eine durchschlagende, wie sie*gegen-w\u00e4rtig allgemein gebr\u00e4uchlich sind. Solche Zungen sind etwas kleiner, als die zugeh\u00f6rige Oeffnung, so dass sie sich in diese hineinbiegen k\u00f6nnen, ohne die R\u00e4nder der Oeffnung zu ber\u00fchren. Fr\u00fcher brauchte man auch aufschlagende Zungen, welche bei jeder Schwingung gegen ihren Rahmen schlugen; diese sind aber wegen ihres rasselnden Tones nicht mehr gebr\u00e4uchlich.\nDie Art, wie die Zungen in den Zungenregistern der Orgel befestigt sind, ist abgebildet in Fig. 29 A und B. A tr\u00e4gt oben einen Schallbecher, B ist der L\u00e4nge nach durchschnitten gedacht; pp ist das Windrohr, in welches von unten der Wind eingetrieben wird ; die Zunge l ist in der Rinne r, und diese in dem h\u00f6lzernen Stopfen s befestigt; d ist der Stimmdraht. Dieser dr\u00fcckt unten gegen die Zunge; wenn man ihn tiefer hineinschiebt, macht man die Zunge k\u00fcrzer und ihren Ton h\u00f6her; umgekehrt, wenn man ihn herauszieht. Dadurch kann man kleineWenderungen der Tonh\u00f6he leicht beliebig herbeif\u00fchren.\n2. Ziemlich \u00e4hnlich construirt sind die aus elastischen Rohrplatten geschnitzten Zungen der Clarinette, der Oboe und des Fagotts. Die Clarinette hat nur eine breite Zunge, die","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Zungenpfeifen.\t155\nvor einer entsprechenden Oeffnung des Mundst\u00fccks \u00e4hnlich den be-A\tFig. 29.\tb\tschriebenen Metall-\nzungen befestigt ist, und aufschlagen w\u00fcrde, wenn sie weite Excur-sionen machte. Ihre Excursionen sind aber klein, und sie wird durch den Druck der Lippen ihrem Rahmen nur so weit gen\u00e4hert, dass sie die Spalte hinreichend verengt, ohne aufzuschlagen. Bei der Oboe und dem Fagott stehen sich zwei solche Rohrzungen am Ende des Mundst\u00fccks einander gegen\u00fcber, welche durch eiuen schmalen Spalt getrennt sind, und ebenfalls beim Blasen so weit an einander gedr\u00e4ngt werden, dass sie den Spalt schlies-sen, so oft sie nach innen schwingen.\n3. Membran\u00f6se Zungen. Ihre Eigen-thiimlichkeiten studirt man am besten an k\u00fcnstlich verfertigten Zungen dieser Art. Zu dem Ende schneidet man das obere Ende eines h\u00f6lzernen oder Guttapercha-Rohres von zwei Seiten her schr\u00e4g so ab, wie Fig. 30 zeigt, dass zwei etwa rechtwinkelige Spitzen zwischen den beiden schr\u00e4gen Schnittfl\u00e4chen stehen bleiben. Dann legt\nFig. 30.","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nman mit leichter Spannung Streifchen von vulkanisirtem Kautschuk \u00fcber die beiden Abdachungsfl\u00e4chen, so dass sie oben einen schmalen Spalt zwischen sich lassen, und umschlingt sie mit einem Faden. Auf solche Weise ist ein Zungenmundst\u00fcck hergestellt, welches man beliebig mit R\u00f6hren oder arideren Luftr\u00e4umen verbinden kann. Wenn die Membranen sich nach innen biegen, schliessen sie den Spalt. Nach aussen biegend, \u00f6ffnen sie ihn. Solche schr\u00e4g gestellte Membranen sprechen viel leichter an, als wenn man sie nach Joh. M\u00fcllerV Vorschlag senkrecht gegen die Axe des Rohres stellt. Dann m\u00fcssen sie erst durch den Luftdruck ausgebogen sein, ehe ihre Schwingung die Spalte abwechselnd zu \u00f6ffnen und zu schliessen beginnen kann. Man kann solche membran\u00f6se Zungen sowohl in Richtung der Pfeile anblasen, als in entgegengesetzter Richtung. Im ersten Falle \u00f6ffnen sie den Spalt, wenn sie sich gegen den Luftbeh\u00e4lter, also nach der Tiefe der R\u00f6hrenleitung bewegen. Solche Zungen nenne ich einschlagende; sie geben angeblasen immer tiefere T\u00f6ne, als wenn man sie frei schwingen l\u00e4sst ohne Verbindung mit einem Luftraum. Die bisher erw\u00e4hnten Zungen der Orgelpfeifen, Physharmonica und der Holzblaseinstrumente sind ebenfalls stets als einschlagende gestellt. Man kann die membran\u00f6sen (und auch die metallenen) Zungen aber auch entgegengesetzt gegen den Luftstrom stellen, so dass sie den Weg \u00f6ffnen, wenn sie sich nach der \u00e4usseren Oeffnung des Instrumentes hin bewegen. Dann nenne ich sie ausschlagende Zungen. Die T\u00f6ne der ausschlagenden Zungen sind stets h\u00f6her als die der isolirten Zunge.\nAls musikalische Instrumente kommen nun zwei Arten solcher membran\u00f6ser Zungen in Betracht, n\u00e4mlich die menschlichen-Lippen heim Anblasen der Blechinstrumente, und der menschliche Kehlkopf im Ges\u00e4nge.\nDie Lippen sind als sehr schwach elastische, mit vielem wasserhaltigem unelastischem Gewebe belastete membran\u00f6se Zungen zu betrachten, die deshalb verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig sehr langsam schwingen w\u00fcrden, wenn man sie isolirt dazu bringen k\u00f6nnte. Sie bilden in den Blechinstrumenten ausschlagende Zungen, welche nach der eben angegebenen Regel h\u00f6here T\u00f6ne geben m\u00fcssen, als ihr Eigenton ist. Wegen ihres geringen Widerstandes werden sie aber beim Gebrauch der Blechinstrumente auch leicht durch den wechselnden Druck der schwingenden Lufts\u00e4ule in Bewegung gesetzt.","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"157\nKl\u00e4nge der Zungenpfeifen.\nIm Kehlkopfe spielen die -elastischen Stimmb\u00e4nder die Rolle membran\u00f6ser Zungen. Sie sind von vorn nach hinten gespannt, \u00e4hnlich den Kautschukb\u00e4ndern der Fig. 30, und lassen zwischen sich einen Spalt, die Stimmritze. Sie haben vor allen k\u00fcnstlich nachgebildeten Zungen den Vorzug voraus, dass die Weite ihres Spalts , ihre Spannung und selbst ihre Form willk\u00fcrlich ausserordentlich schnell und sicher ge\u00e4ndert werden kann, wozu noch die grosse Ver\u00e4nderlichkeit des durch die Mundh\u00f6hle gebildeten Ansatzrohres kommt, so dass eine viel gr\u00f6ssere Mannigfaltigkeit von Kl\u00e4ngen durch sie hervorgehracht werden kann, als durch irgend ein k\u00fcnstliches Instrument. Wenn man die Stimmb\u00e4nder mit dem Kehlkopfspiegel von oben her betrachtet, w\u00e4hrend ein Ton hervorgehracht wird, so sieht man sie namentlich bei tieferen Brustt\u00f6nen sehr ausgiebige Schwingungen machen, wobei die Stimmritze ganz eng geschlossen wird, so oft sie nach innen schlagen.\nDie Tonh\u00f6he der hier erw\u00e4hnten verschiedenen Zungenwerke wird mittelst sehr verschiedener Verfahrungsweisen ge\u00e4ndert. Die metallenen Zungen der Orgel und Physharmonica sind immer nur f\u00fcr die Erzeugung eines einzigen Tones bestimmt. Auf die Bewegung dieser verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig schweren und steifen Zungen hat der Druck der schwingenden Luft einen sehr geringen Einfluss, so dass auch ihre Tonh\u00f6he innerhalb des Instrumentes sich nur wenig von derjenigen zu unterscheiden pflegt, welche die freie Zunge f\u00fcr sich giebt. F\u00fcr jede Note m\u00fcssen diese Instrumente mindestens eine Zunge haben.\nIn den H\u00f6lzblaseinstrumenten haben wir nur eine einzige Zunge, welche f\u00fcr die ganze Notenreihe dienen muss. Die Zungen dieser Instrumente sind aber aus leichtem elastischem Holze gebildet, welches durch den wechselnden Druck der schwingenden Luftmasse leicht in Bewegung gesetzt wird, und die Schwingungen der Luft mitmacht. Es k\u00f6nnen die genannten Instrumente deshalb ausser solchen sehr hohen T\u00f6nen, die der eigenen Tonh\u00f6he ihrer Zungen nahe entsprechen w\u00fcrden, wie Theorie und Erfahrung \u00fcbereinstimmend zeigen*), auch noch andere von dieser Tonh\u00f6he weit entfernte tiefere T\u00f6ne hervorbringen, deren Tonh\u00f6he dadurch bestimmt ist, dass die in dem Rohre des In-\n*) Siehe Helmholtz, Verhandlungen des naturhistorischen medicini-schen Vereins zu Heidelberg vom 26. Juli 1861, in den Heidelberger Jahrb\u00fcchern. \u2014 Poggendorff\u2019s Annalen 1861.","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nstrumentes entstehenden Luftwellen in dessen Tiefe, wo sich die Zunge befindet, einen hinreichend starken Wechsel des Luftdruckes m\u00fcssen hervorbringen k\u00f6nnen, dass die Zunge merklich bewegt wird. In einer schwingenden Lufts\u00e4ule ist aber der Druckwechsel am gr\u00f6ssten, wo die Geschwindigkeit der Lufttheilchen am kleinsten ist, und. da am Ende eines geschlossenen Rohres, wie das der gedackten Orgelpfeifen ist, die Geschwindigkeit immer gleich Null, also ein Minimum, der Druckwechsel daher ein Maximum sein muss, so sind die besprochenen T\u00f6ne der Zungenpfeifen ,gleich denen, welche das Ansatzrohr allein hervorbringen w\u00fcrde, wenn es am Ort der Zunge verschlossen w\u00e4re, und als gedackte Pfeife angeblasen w\u00fcrde. In der musikalischen Anwendung werden nun diejenigen T\u00f6ne dieser Instrumente, welche dem eigenen Tone der Zunge entsprechen, gar nicht gebraucht, weil sie sehr hoch und kreischend sind, auch ihre Tonh\u00f6he nicht hinreichend unver\u00e4nderlich sein kann, wenn die Zunge feucht wird; es werden vielmehr nur solche T\u00f6ne hervorgebracht, welche viel tiefer als der Ton der Zunge sind, und deren Tonh\u00f6he von der L\u00e4nge der Lufts\u00e4ule abh\u00e4ngt, indem sie den eigenen T\u00f6nen d\u00e8s gedackten Rohres entsprechen.\nDie Clarinette hat ein cylindrisches Rohr, dessen Eigent\u00f6ne dem dritten, f\u00fcnften, siebenten u. s. w. Theiltone des Grundtones entsprechen. Durch ver\u00e4ndertes Anblasen kann man vom Grundtone auf die Duodecime oder die h\u00f6here Terz \u00fcbergehen, ausserdem l\u00e4sst sich die akustische L\u00e4nge des Rohres ver\u00e4ndern, wenn man die Seitenl\u00f6cher der Clarinette \u00f6ffnet, indem dann haupts\u00e4chlich nur die Lufts\u00e4ule zwischen Mundst\u00fcck und dem obersten ge\u00f6ffneten Seitenloch schwingt.\nDie Oboe und das Fagott haben kegelf\u00f6rmige R\u00f6hren. Kegelf\u00f6rmige R\u00f6hren, welche bis zur Spitze ihres Kegels hin geschlossen sind, haben Eigent\u00f6ne, welche denen von gleich langen offenen R\u00f6hren gleich sind. Dem entsprechend sind denn auch die T\u00f6ne der beiden genannten Instrumente nahehin entsprechend denen von offenen Pfeifen. Durch Ueberblasung geben sie die Octave, Duodecime, zweite Octave u. s. w. des Grundtones. Die T\u00f6ne dazwischen werden durch Oeffnung der Seitenl\u00f6cher gewonnen.\nDie \u00e4lteren H\u00f6rner und Trompeten bestehen aus einem langen kegelf\u00f6rmigen gewundenen Rohre ohne Klappen oder Ventile ; sie k\u00f6nnen nur solche T\u00f6ne geben, welche den eigenen T\u00f6nen des Rohres entsprechen, die hier wieder den nat\u00fcrlichen har-","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Zungenpfeifen.\t159\nmonischen Obert\u00f6nen des Grundtones gleich sind. Da der Grundton eines so langen Rohres aber sehr tief ist, liegen die Obert\u00f6ne in den mittleren Gegenden der Scala ziemlich nahe zusammen, namentlich bei dem sehr langen Rohre des Horns *), so dass dadurch die meisten Stufen der Scala gegeben sind. Die Trompete war auf diese nat\u00fcrlichen T\u00f6ne beschr\u00e4nkt, beim Horn konnte man mit der Faust, die den Schallbecher verengert, bei der Posaune durch den Auszug des Rohres die fehlenden T\u00f6ne einiger-massen erg\u00e4nzen, die unpassenden verbessern.. In neuerer Zeit hat man Trompeten und H\u00f6rner vielf\u00e4ltig mit Klappen versehen, um die fehlenden T\u00f6ne zu erg\u00e4nzen, wobei aber die Kraft des Tones und der Glanz der Klangfarbe einigermassen leidet. Die Schwingungen der Luft in diesen Instrumenten sind ungemein m\u00e4chtig, und nur feste, glatte und undurchbrochene R\u00f6hren k\u00f6nnen ihnen vollen Widerstand-\" leisten, so dass nichts von ihrer Kraft verloren geht. Beim Gebrauche der Blechinstrumente kommt die verschiedene Form und Spannung der Lippen des Bl\u00e4sers nur insoweit in Betracht, als dadurch bestimmt wird, welcher von den eigenen T\u00f6nen des Rohres anspricht, w\u00e4hrend die H\u00f6he der einzelnen T\u00f6ne so gut wie unabh\u00e4ngig von der Spannung der Lippen ist.\nIm menschlichenKehlkopfe dagegen wird die Spannung der Stimmb\u00e4nder, welche hier die membran\u00f6sen Zungen bilden,, selbst ver\u00e4ndert und bestimmt die H\u00f6he des Tones. Die mit dem Kehlkopfe verbundenen Lufth\u00f6hlen sind nicht geeignet, den Ton der Stimmb\u00e4nder betr\u00e4chtlich zu ver\u00e4ndern; namentlich haben sie zu nachgiebige W\u00e4nde, als dass in ihnen Luftschwingungen zu Stande kommen k\u00f6nnten, stark genug, um den .Stimmb\u00e4ndern eine Schwingungsperiode aufzudr\u00e4ngen, die nicht der von ihrer eigenen Elasticit\u00e4t geforderten sich anpasst. Auch ist die Mundh\u00f6hle ein zu kurzes und meist zu weit ge\u00f6ffnetes Ansatzrohr, als dass ihre Luftmasse wesentlichen Einfluss auf die Tonh\u00f6he haben k\u00f6nnte.\nAusser der ver\u00e4nderten Spannung der Stimmb\u00e4nder, welche nicht bloss durch Entfernung ihrer Ansatzpunkte an den Knorpeln des Kehlkopfes von einander vergr\u00f6ssert werden kann, sondern auch durch willk\u00fcrliche Spannung der in ihnen gelegenen Mus-\n*) Das Rohr des Waldhorns ist nach Zamminer 27 Fuss lang, sein eigentlicher Grundton Es\u2014lt dieser und der n\u00e4chste Es werden nicht gebraucht, wohl aber die weiteren T\u00f6ne E, es, g, b, des'\u2014, es\u2019, f, g', as'\u2014a', b' u. s. w.","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nkelfasern, scheint auch die Dicke der Stimmb\u00e4nder sich ver\u00e4ndern zu k\u00f6nnen. Es liegt nach unten von den eigentlich elastischen Faserz\u00fcgen und Muskelfasern der Stimmb\u00e4nder noch viel weiches, mit Wasser getr\u00e4nktes, unelastisches Gewebe, welches bei der Bruststimme wahrscheinlich als Belastung der elastischen B\u00e4nder eine Rolle spielt und ihre Schwingungen verlangsamt. Die Fistelstimme entsteht wahrscheinlich dadurch, dass die unter den B\u00e4ndern gelegene Schleimhautmasse nach der Seite gezogen wird, und so der Rand der B\u00e4nder sch\u00e4rfer, das Gewicht ihres schwingenden Theils vermindert wird, w\u00e4hrend ihre Elasticit\u00e4t dieselbe bleibt.\nWir kommen jetzt zur Er\u00f6rterung der Klangfarbe der Zungenpfeifen, unserem eigentlichen Gegenst\u00e4nde. Der Schall wird in diesen Pfeifen erregt durch die intermittirenden Luft-st\u00f6sse, welche durch die von der Zunge geschlossene Oeffnung hei jeder ihrer Schwingungen hindurchbrechen. Eine frei schwingende Zunge hat eine viel zu kleine Oberfl\u00e4che, als dass sie eine irgend in Betracht kommende Quantit\u00e4t von Schallbewegung an die Luft ahgehen k\u00f6nnte ; ebenso wenig geschieht dies in den Pfeifen. Der Schall entsteht vielmehr ganz so, wie in der Sirene, deren Metallscheibe gar keine Schallschwingungen ausf\u00fchrt, nur durch die Luftst\u00f6sse. Durch die wechselnde Oeflhung und Ver-schliessung des Kanals wird der continuirliche Fluss des Luftstroms in eine periodisch wiederkehrende Bewegung verwandelt, welche das Ohr zu afficiren vermag. Wie jede periodische Bewegung der Luft kann auch diese in eine Reihe von einfachen Schwingungen zerlegt werden. Schon fr\u00fcher ist bemerkt worden, dass die Zahl der Glieder einer solchen* Reihe desto gr\u00f6sser ist, je discontinuirlicher die zu zerlegende Bewegung ist. Das ist nun die Bewegung der durch eine Sirene oder an einer Zunge vor-beistr\u00f6menden Luft in hohem Grade, da die einzelnen Luftst\u00f6sse meist durch vollst\u00e4ndige Pausen von einander getrennt sein m\u00fcssen w\u00e4hrend der Zeitr\u00e4ume, wo die Oeffnung geschlossen ist. Freie Zungen ohne Ansatzrohr, hei denen alle die einzelnen einfachen T\u00f6ne der von ihnen erregten Luftbewegung unmittelbar und frei an die umgehende Luftmasse \u00fcbergehen, haben deshalb immer einen sehr scharfen, schneidenden oder schnarrenden Klang| und man h\u00f6rt in der That mit bewaffnetem oder unbewaffnetem Ohre eine lange Reihe von Obert\u00f6nen bis zum sechzehnten oder zwanzigsten stark und deutlich, und selbst noch h\u00f6here Obert\u00f6ne sind offenbar vorhanden, wenn auch schwer oder gar nicht von","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Zungenpfeifen.\t161\neinander zu scheiden, da sie einander n\u00e4her liegen als halbe Tonstufen. Dieses Gewirr dissonirender T\u00f6ne macht die Kl\u00e4nge freier Zungen sehr unangenehm. Auch diese Art des Klanges gieht bestimmten Aufschluss \u00fcber die Quelle des Tones. Ich habe die schwingende Zunge einer Zungenpfeife, wie Fig. 29, w\u00e4hrend sie angeblasen wurde, nach Lis sajou\u2019 s Methode mit dem Vibrationsmikroskop beobachtet, um die Schwingungsform der Zunge zu ermitteln, und habe gefunden, dass die Zunge ganz regelm\u00e4ssige einfache Schwingungen ausf\u00fchrt. Sie w\u00fcrde deshalb auch an die Luft nur einen einfachen Ton abgeben k\u00f6nnen, nicht einen zusammengesetzten Klang, wenn der erzeugte Schall wirklich direct durch ihre Schwingungen hervorgebracht w\u00fcrde.\nUebrigens ist nun die St\u00e4rke der Obert\u00f6ne, welche eine Zunge oh\u00e7e Ansatzrohr giebt, und ihr Verh\u00e4ltniss zum Grundton sehr abh\u00e4ngig von der Beschaffenheit der Zunge, von ihrer Stellung zum Rahmen, von der Dichtigkeit, mit der sie schliesst u. s. w. Aufschlagende Zungen, welche die am meisten discontinuirlichen Luftst\u00f6sse geben, geben auch den sch\u00e4rfsten Klang. Je k\u00fcrzer die Luftst\u00f6sse, je pl\u00f6tzlicher sie eintreten, desto mehr hohe Obert\u00f6ne werden wir erwarten d\u00fcrfen, ganz wie bei der Sirene nach Seeb eck\u2019 s Untersuchungen der Fall ist. Hartes unnachgiebiges Material, wie das der Messingzungen, wird die Luftst\u00f6sse vielmehr abgerissen hervortreten lassen, als weiches nachgiebiges. Hierin haben wir wahrscheinlich haupts\u00e4chlich den Grund zu suchen, warum unter allen Kl\u00e4ngen von Zungenpfeifen die menschlichen Gesangst\u00f6ne gut gebildeter Kehlen sich durch Weichheit auszeichnen. Indessen ist auch an den menschlichen Stimmen, namentlich wenn sie in angestrengtem Forte gebraucht werden, die Zahl der hohen Obert\u00f6ne sehr gross, sie reichen noch sehr deutlich und kr\u00e4ftig bis in die viergestrichene Octave hinauf, worauf wir gleich nachher zur\u00fcckkommen werden.\nWesentlich ver\u00e4ndert wird nun der Klang der Zungen durch die Ansatzr\u00f6hren, indem n\u00e4mlich diejenigen Obert\u00f6ne, welche eigenen T\u00f6nen des Ansatzrohres entsprechen, betr\u00e4chtlich verst\u00e4rket werden und hervortreten, \u00e4hnlich wie das bei den Orgelpfeifen mit den T\u00f6nen des Luftger\u00e4usches geschah. Die Ansatzr\u00f6hreu m\u00fcssen dabei als an der Stelle der Zunge geschlossen betrachtet werden. *)\n*) Siehe Beilage VI.\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\n11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"Ifi2 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nIch habe als Ansatzrohr einer Messingzunge, wie sie in den Orgeln gebraucht wird, Und welche b gab, eine meiner gr\u00f6sseren Resonanzkugeln aufgesetzt, welche ebenfalls auf b abgestimmt war. Nachdem der Druck im Blasebalg betr\u00e4chtlich gesteigert war, sprach die Zunge an, etwas tiefer als sonst, aber ich erhielt einen ausserordentlich vollen, starken, sch\u00f6nen und weichen Klang, dem fast alle Obert\u00f6ne fehlten. Ich gebrauchte dabei wenig Luft, diese aber von starkem Druck. Hier war nur der Grundton des Klanges im Einkl\u00e4nge mit der stark resonirenden Glaskugel, und wurde deshalb sehr m\u00e4chtig. Keiner der h\u00f6heren T\u00f6ne konnte verst\u00e4rkt werden. Die Theorie der Luftschwingungen in der Kugel zeigt weiter, dass in der Kugel der h\u00f6chste Druck immer eintreten musste, zu der Zeit, wo die Zunge sich \u00f6ffnete. Daher war starker Druck im Blasebalg n\u00f6thig, um den gesteigerten Druck in der Kugel zu \u00fcberwinden, und trotz dessen wurde nicht viel Luft entleert.\nWenn man statt der Glaskugel andere Aufsatzr\u00f6hren anwendet, welche eine gr\u00f6ssere Anzahl von eigenen T\u00f6nen haben, so erh\u00e4lt man auch zusammengesetztere Kl\u00e4nge. An der Clarinette haben wir ein cylindrisches Rohr, welches durch seine Resonanz die ungeradzahligen Obert\u00f6ne des Klanges verst\u00e4rkt. Die kegelf\u00f6rmigen R\u00f6hren dagegen der Oboen, Fagotte, Trompeten und H\u00f6rner verst\u00e4rken s\u00e4mmtliche harmonische Obert\u00f6ne des Klanges bis zu einer gewissen H\u00f6he hinauf. F\u00fcr Tonwellen n\u00e4mlich, deren L\u00e4nge die Weite der Oeffnungen nicht bedeutend \u00fcbertrifft, geben die R\u00f6hren keine Resonanz mehr. So habe ich denn in der That in dem Klange der Clarinetten nur ungerade Obert\u00f6ne gefunden, deutlich bis zum siebenten hinauf, w\u00e4hrend die Kl\u00e4nge der \u00fcbrigen genannten Instrumente, deren R\u00f6hren kegelf\u00f6rmig sind, auch die geradzahligen enthalten, lieber die weiteren Unterschiede des Klanges der einzelnen Instrumente mit kegelf\u00f6rmigen R\u00f6hren hatte ich aber bis jetzt keine Gelegenheit Beobachtungen zu machen. Es ist dies ein ziemlich weitl\u00e4ufiges Feld der Untersuchung, da die Klangfarbe auch durch die Art des Anblasens sich vielf\u00e4ltig ver\u00e4ndert, und selbst an demselben Instrumente die verschiedenen Theile der Scala, wenn sie die Er\u00f6ffnung von Seitenl\u00f6chern erfordern, ziemlich verschiedene Klangfarbe haben. Namentlich sind an den Holzblaseinstrumenten diese Unterschiede auffallend. Die Er\u00f6ffnung von Seitenl\u00f6chern ist immer kein vollst\u00e4ndiger Ersatz f\u00fcr die Verk\u00fcrzung des Rohres, und die Reflexion","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Vocale.\t163\nder Schallwellen geschieht dort nicht wie an einem freien offenen Ende des Rohres. Die Obert\u00f6ne eines solchen Rohres, welches durch ein ge\u00f6ffnetes Seitenloch abgegrenzt ist, werden meist betr\u00e4chtlich abweichen m\u00fcssen von der harmonischen Reinheit, und dies wird auf ihre Resonanz merklichen Einfluss haben.\n7. Kl\u00e4nge der Vocale.\nWir haben bisher diejenige]! F\u00e4lle von Resonanz des Ansatzrohres besprochen, wo dasselbe im Stande war zun\u00e4chst den Grundton und ausser diesem noch eine gewisse Anzahl von den harmonischen Obert\u00f6nen des betreffenden Klanges zu verst\u00e4rken. Es kann nun auch der Fall Vorkommen, dass der tiefste Ton des Ansatzrohres nicht dem Grundton, sondern einem der Obert\u00f6ne des Klanges entspricht, und in solchen F\u00e4llen finden wir den bisher entwickelten Grunds\u00e4tzen gem\u00e4ss, dass in der That der betreffende Oberton auch mehr als der Grundton und die \u00fcbrigen Obert\u00f6ne durch die Resonanz des Ansatzrohres verst\u00e4rkt wird, , und sich deshalb aus der Reihe der \u00fcbrigen Obert\u00f6ne besonders stark heraushebt. Der Klang bekommt dadurch einen besonderen Charakter, er wird n\u00e4mlich einem der Vocale der menschlichen Stimme mehr oder weniger \u00e4hnlich. Denn in der That sind die Vocale der menschlichen Stimme T\u00f6ne membran\u00f6ser Zungen, n\u00e4mlich der Stimmb\u00e4nder, deren Ansatzrohr, n\u00e4mlich die Mundh\u00f6hle, verschiedene Weite, L\u00e4nge und Stimmung erhalten kann, so dass dadurch bald dieser, bald jener Theilton des Klanges verst\u00e4rkt wird *).\nUm die Zusammensetzung der Vocalkl\u00e4nge zu begreifen, muss man zun\u00e4chst ber\u00fccksichtigen, dass der Ursprung ihres S\u00f6halles in den Stimmb\u00e4ndern .liegt, und dass diese bei laut t\u00f6nender Stimme als membran\u00f6se Zungen wirken, und wie alle Zungen, zun\u00e4chst eine Reihe entschieden discontinuirlicher und scharf getrennter Luftst\u00f6sse hervorbringen, die, wenn sie als eine\n*) Die Theorie der Vocalt\u00f6pe ist zuerst von Wheatstone in einer leider wenig bekannt gewordenen Kritik \u00fcber die Versuche von Willis hingestellt worden. Diese Versuche sind beschrieben in Transact, of Cambridge Phil. Soc. T. III, p. 231. Poggend. Annalen der Physik. Bd. XXIV,\nS. 397. \u2014 Wheatstone\u2019s Bericht dar\u00fcber in London and Westminster Review 1837, October.\n11*","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164 Erste Abtheilurig. F\u00fcnfter Abschnitt.\nSumme einfacher Schwingungen dargestellt werden sollen, einer sehr grossen Anzahl von solchen Schwingungen entsprechen, und deshalb im Ohre als ein aus einer ziemlich langen Reihe von Obert\u00f6nen zusammengesetzter Klang erscheinen. Mit Hilfe der Resonanzr\u00f6hren kann man in tiefen, kr\u00e4ftig gesungenen Bassnoten bei den helleren Vocalen sehr hohe Obert\u00f6ne, selbst bis zum sechszehnten hin, erkennen, und bei etwas angestrengtem Forte der h\u00f6heren Noten jeder menschlichen Stimme erscheinen deutlicher als bei allen anderen Tonwerkzeugen hohe Obert\u00f6ne aus der Mitte der viergestrichenen Octave (der obersten Octave der neuen Claviere), von deren besonderer Beziehung zum Ohre wir sp\u00e4ter noch handeln werden. Die St\u00e4rke der Obert\u00f6ne, namentlich der ganz hohen, ist \u00fcbrigens ziemlich grossen individuellen Verschiedenheiten unterworfen. Sie ist bei scharfen und hellen Stimmen gr\u00f6sser als bei weichen und dumpfen. Bei scharfen Stimmen mag der Grund ihrer Klangfarbe vielleicht darin zu suchen sein, dass die R\u00e4nder der Stimmb\u00e4nder nicht glatt oder gerade genug sind, um sich zu einem engen geradlinigen Spalte Zusammenlegen zu k\u00f6nnen, ohne dabei aneinander zu stossen, und dass dadurch der Kehlkopf sich mehr den aufschlagenden Zungenwerken n\u00e4hert, die eine viel sch\u00e4rfere Klangfarbe haben, w\u00e4hrend die normalen Stimmb\u00e4nder durchschlagende Zungen sind. Bei heiseren Stimmen kann vielleicht der Grund darin gesucht werden, dass kein ganz vollkommener Schluss der Stimmritze zu Stande kommt, w\u00e4hrend die B\u00e4nder schwingen. Wenigstens erh\u00e4lt man von k\u00fcnstlichen membr\u00e4n\u00f6sen Zungen \u00e4hnliche Ab\u00e4nderungen des Klanges, wenn man entsprechende Aenderungen ihrer Stellung ausf\u00fchrt. Zu einem starken und doch weichen Klange der Stimme ist es n\u00f6thig, dass die Stimmb\u00e4nder auch bei den st\u00e4rksten Schwingungen in den Augenblicken, wo sie sich einander n\u00e4hern, sich geradlinig ganz eng an einander stellen, so dass sie momentan die Stimmritze vollst\u00e4ndig schliessen, ohne doch auf einander zu schlagen. Wenn sie nicht vollst\u00e4ndig schliessen, wird der Luftstrom nicht vollst\u00e4ndig unterbrochen, und der Ton kann nicht stark werden. Wenn sie aneinanderschlagen, muss, wie schon bemerkt ist, der Klang scharf werden, wie von auf-schlagenden Zungen. Wenn man durch den Kehlkopfspiegel die t\u00f6nenden Stimmb\u00e4nder betrachtet, ist es auffallend, mit welcher Genauigkeit sie schliessen bei Schwingungen, deren Breite fast der ganzen Breite der B\u00e4nder gleich ist.","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Vocale.\t165\nUebrigens findet beim Sprechen und beim Singen eine gewisse Verschiedenheit im Ansatz der Stimme statt, verm\u00f6ge dessen wir beim Sprechen einen viel sch\u00e4rferen Klang, namentlich der offenen Vocale, hervorbringen, und wobei wir im Kehlkopf einen st\u00e4rkeren Druck f\u00fchlen. Ich vermuthe, dass beim Sprechen die Stimmb\u00e4nder als aufschlagende Zungen gestellt werden.\nWenn die Schleimhaut des Kehlkopfes catarrhalisch ist, sieht man durch den Kehlkopfspiegel zuweilen kleine Schleimfl\u00f6ckchen in die Stimmritze eintreten. Diese st\u00f6ren, wenn sie zu gross sind, die Bewegung der schwingenden B\u00e4nder und machen sie unregelm\u00e4ssig, wobei auch der Klang unregelm\u00e4ssig, knarrend oder heiser wird. Uebrigens ist merkw\u00fcrdig, wie verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig grosse Schleimfl\u00f6ckchen in der Stimmritze liegen k\u00f6nnen, ohne eine gerade sehr auffallende Verschlechterung des Klanges hervorzubringen.\nEs ist schon erw\u00e4hnt worden, dass es meist viel schwerer ist, die Obert\u00f6ne der menschlichen Stimme mit unbewaffnetem Ohre zu erkennen, als die Obert\u00f6ne anderer Tonwerkzeuge; die Resonatoren sind f\u00fcr diese Untersuchung nothwendiger, als f\u00fcr die Analyse irgend eines anderen Klanges. Doch sind sie zuweilen von aufmerksamen Beobachtern geh\u00f6rt worden; schon Rameau hat sie im Anfang des vorigen Jahrhunderts gekannt, und sp\u00e4ter erw\u00e4hnt Seiler in Leipzig, dass er in schlaflosen N\u00e4chten, auf den Gesang des Nachtw\u00e4chters lauschend, zuweilen anfangs aus der Ferne die Duodecime des Gesanges geh\u00f6rt habe, und sp\u00e4ter erst den Grundton. Der Grund dieser Schwierigkeit ist wohl darin zu suchen, dass wir die Kl\u00e4nge der menschlichen Stimme mehr, als irgend welche andere, unser Leben hindurch mit unserer Aufmerksamkeit verfolgt und beobachtet haben, immer in der Absicht, sie als ein Ganzes aufzufassen, und die mannigfachen Ab\u00e4nderungen ihrer Klangfarbe genau kennen zu lernen und wahrzunehmen.\nWir d\u00fcrfen wohl annehmen, dass bei den Kl\u00e4ngen des menschlichen Kehlkopfes, wie bei denen anderer Zungenwerke, die Obert\u00f6ne ihrer St\u00e4rke nach mit steigender H\u00f6he continuirlich abnehmen w\u00fcrden, wenn wir sie ohne die Resonanz der Mundh\u00f6hle beobachten k\u00f6nnten. In der That entsprechen sie dieser Annahme ziemlich gut bei denjenigen Vocalen, welche mit trichterf\u00f6rmig weit ge\u00f6ffneter Mundh\u00f6hle gesprochen werden, n\u00e4mlich beim scharfen A oder \u00c4. Dieses Verh\u00e4ltniss wird nun aber sehr wesentlich ver\u00e4ndert durch die Resonanz in der Mundh\u00f6hle. Je mehr die Mundh\u00f6hle verengert ist, entweder durch die Lippen oder","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\ndurch die Zunge, desto entschiedener kommt ihre Resonanz f\u00fcr T\u00f6ne von ganz bestimmter H\u00f6he zum Vorschein, und desto mehr verst\u00e4rkt sie dann auch in dem Klange der Stimmb\u00e4nder diejenigen Obert\u00f6ne, welche sich den bevorzugten Graden der Tonh\u00f6he n\u00e4hern; desto mehr werden dagegen die \u00fcbrigen ged\u00e4mpft. Bei der Untersuchung des Klanges der menschlichen Stimme mittelst der Resonatoren findet man deshalb wohl ziemlich regelm\u00e4ssig die ersten sechs bis acht Obert\u00f6ne zwar deutlich wahrnehmbar, aber je nach den verschiedenen Stellungen der Mundh\u00f6hle in sehr verschiedener St\u00e4rke, bald m\u00e4chtig in das Ohr hineinschmetternd, bald kaum vernehmbar.\nUnter diesen Verh\u00e4ltnissen ist die Untersuchung der Resonanz in der Mundh\u00f6hle von grosser Wichtigkeit. Das sicherste und leichteste Verfahren, diejenigen T\u00f6ne zu finden, auf welche die Luftmasse der Mundh\u00f6hle in den verschiedenen Stellungen abgestimmt ist, die sie zur Hervorbringung der verschiedenen Vocale annimmt, ist dasselbe, welches man f\u00fcr Glasflaschen und andere Luftr\u00e4ume anwendet. Man nimmt n\u00e4mlich angeschlagene Stimmgabeln von verschiedener H\u00f6he und bringt sie vor die M\u00fcndung des Luftraumes, in unserem Falle vor den ge\u00f6ffneten Mund, wobei man denn den Ton der Stimmgabel um so st\u00e4rker h\u00f6rt, je genauer er einem der eigenen T\u00f6ne der in der Mundh\u00f6hle eingeschlossenen Luftmasse entspricht. Da man die Stellung der Mundh\u00f6hle willk\u00fcrlich ver\u00e4ndern kann, so l\u00e4sst sie sich denn auch stets dem Tone einer gegebenen Stimmgabel anpassen, und man ermittelt also auf diese Weise leicht, welche Stellung man der Mundh\u00f6hle geben m\u00fcsse, damit ihre Luftmasse auf eine bestimmte Tonh\u00f6he abgestimmt sei.\nEs stand mir eine Reihe von Stimmgabeln zu Gebot, mit denen ich bei einer solchen Untersuchung folgende Resultate gefunden habe.\nDie Tonh\u00f6hen st\u00e4rkster Resonanz der Mundh\u00f6hle h\u00e4ngen nur ab von dem Vocale, f\u00fcr dessen Bildung man die Mundtheile zurecht gestellt hat, und \u00e4ndern sich ziemlich betr\u00e4chtlich selbst bei kleinen Ab\u00e4nderungen in der Klangfarbe des Vocals, wie sie etwa in verschiedenen Dialekten derselben Sprache Vorkommen. Dagegen sind die Eigent\u00f6ne der Mundh\u00f6hle fast unabh\u00e4ngig von Alter und Geschlecht. Ich habe im Allgemeinen dieselben Resonanzen bei M\u00e4nnern, Frauen und Kindern gefunden. Was der kindlichen und weiblichen Mundh\u00f6hle an Ger\u00e4umigkeit abgeht,","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"167\nKl\u00e4nge der Vocale.\nkann durch engeren Verschluss der Oeffnung leicht ersetzt werden, so dass die Resonanz doch eben so tief werden kann, wie in der gr\u00f6sseren m\u00e4nnlichen Mundh\u00f6hle.\nDie Vocale zerfallen in drei Reihen nach der Stellung der Mundtheile, welche wir mit dem \u00e4lteren du Bois-Reymond*) folgendermassen hinschreiben k\u00f6nnen:\ni\n\u00dc\nii\nDer Vocal A bildet den gemeinsamen Ausgangspunkt f\u00fcr alle drei Reihen. Ihm entspricht eine sich vom Kehlkopf ab ziemlich gleichm\u00e4ssig trichterf\u00f6rmig erweiternde Gestalt der Mundh\u00f6hle. Bei den Vocalen der untersten Reihe 0 und U wird die Mundh\u00f6hle vorn mittelst der Lippen verengert, so dass sie beim TJ vorn am engsten ist, w\u00e4hrend sie durch Herabziehen der Zunge in ihrer Mitte m\u00f6glichst erweitert wird, im Ganzen also die Gestalt einer Flasche ohne Hals erh\u00e4lt, deren Oeffnung, der Mund, ziemlich eng ist, deren innere H\u00f6hlung aber nach allen Richtungen hin ohne weitere Scheidung zusammenh\u00e4ngt. Die Tonh\u00f6he solcher flaschenf\u00f6rmigen R\u00e4ume ist desto tiefer, je weiter der Hohlraum und je enger seine M\u00fcndung ist. Gew\u00f6hnlich l\u00e4sst sich nur ein Eigenton mit starker Resonanz deutlich erkennen; wenn andere eigene T\u00f6ne existiren, so sind sie verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig sehr hoch und haben nur schwache Resonanz. Ganz diesen Erfahrungen entsprechend, wie man sie an Glasflaschen machen kann, findet man auch, dass beim U, wo die Mundh\u00f6hle am weitesten und der Mund am engsten ist, die Resonanz am tiefsten ausfallt, n\u00e4mlich dem ungestrichenen / entspricht. Wenn man das U in 0 \u00fcberf\u00fchrt, steigt die Resonanz allm\u00e4lig, so dass bei einem vollklingenden reinen 0 die Stimmung der Mundh\u00f6hle gleich V ist. Die Stellung des Mundes beim 0 ist besonders g\u00fcnstig f\u00fcr die Resonanz, die Oeffnung des Mundes ist weder zu gross noch zu klein, und die H\u00f6hle hinreichend ger\u00e4umig. Wenn\n*) Norddeutsche Zeitschrift, redigirt von de la Motte Fouqu\u00e9 1812. \u2014 Kadmus oder allgemeine Alphabetik von F. H. du Bois-Rey-mond, Berlin 1862, S. 152.","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nman daher eine auf V gestimmte Gabel angeschlagen vor die Mund\u00f6fihung bringt, w\u00e4hrend man 0 leise spricht, oder auch nur die Mundtheile in die Stellung bringt, als wollte man 0 sprechen, so h\u00f6rt man den Ton der Stimmgabel sehr voll und laut wiederklingen, so dass ein ganzes Auditorium ihn h\u00f6ren kann. Man kann auch die gew\u00f6hnlich von den Musikern gebrauchten, auf a\u2018 gestimmten Gabeln f\u00fcr denselben Zweck benutzen, nur muss man dann das 0 schon ein wenig dumpfer aussprechen, um die volle Resonanz zu erhalten.\nF\u00fchrt man die Mundh\u00f6hle aus der Stellung des 0 durch die des 6 und \u00c2 allm\u00e4lig \u00fcber in die des A, so steigt dem entsprechend die Resonanz allm\u00e4lig um eine Octave bis b\". Dieser Ton entspricht dem norddeutschen A ; das etwas sch\u00e4rfere A der Engl\u00e4nder und Italiener steigt bis zur Tonh\u00f6he d'\", also noch eine Terz h\u00f6her. Uebrigens ist es gerade beim A besonders auffallend, wie kleine Verschiedenheiten in der Tonh\u00f6he betr\u00e4chtlichen Ab\u00e4nderungen in dem Klange des Vocals entsprechen, und ich m\u00f6chte deshalb Sprachgelehrten f\u00fcr die Definition der Vocale verschiedener Sprachen besonders empfehlen, die Tonh\u00f6he st\u00e4rkster Resonanz f\u00fcr die Mundh\u00f6hle festzustellen.\nBei den bisher genannten Vocalen habe ich keinen zweiten Eigenton auffinden k\u00f6nnen, auch ist es nach der Analogie der Erscheinungen, welche \u00e4hnliche k\u00fcnstlich hergestellte Luftr\u00e4ume zeigen, kaum zu erwarten, dass ein solcher in merklicher St\u00e4rke existirt. Sp\u00e4ter zu beschreibende Versuche wrnrden zeigen, dass die Resonanz dieses einen Tones in der That gen\u00fcgt, die genannten Vocale zu charakterisiren.\nDie zweite Reihe der Vocale, zu der wir uns wenden, enth\u00e4lt die Folge A, A, E, I Die Lippen werden so weit zur\u00fcckgezogen, dass sie den Luftstrom nicht mehr beengen, dagegen entsteht eine neue Verengerung zwischen dem vorderen Theile der Zunge und dem harten Gaumen, w\u00e4hrend 'der Raum unmittelbar \u00fcber dem Kehlkopfe sich dadurch erweitert, dass die Zungenwurzel eingezogen wird, wobei gleichzeitig der Kehlkopf emporsteigt. Die Form der Mundh\u00f6hle n\u00e4hert sich dabei derjenigen einer Flasche mit einem engen Halse. Der Bauch der Flasche liegt hinten im Schlunde, der Hals ist der enge Kanal zwischen der oberen Fl\u00e4che der Zunge und dem harten Gaumen. In der angegebenen Reihenfolge dieser Buchstaben \u00c4, E, I nehmen diese Ver\u00e4nderungen zu, so dass beim I der Hohlraum der Flasche am gr\u00f6ssten, der Hals","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Vocale.\t169\nam engsten ist. Beim \u00c4 ist der ganze Kanal dagegen noch ziemlich weit, so dass man mit dem Kehlkopfspiegel sehr gut bis in den Kehlkopf hineinsehen kann. Ja dieser Vocal giebt sogar f\u00fcr die Anwendung dieses Instruments die allerbeste Mundstellung, weil die Zungenwurzel, welche beim A die Einsicht noch hindert, eingezogen ist, und man an ihr vorbeisehen kann.\nWenn man eine mit einem engen Halse versehene Flasche als Resonanzraum anwendet, findet man leicht zwei T\u00f6ne, von denen der eine angesehen werden kann als Eigenton des Bauches, der andere als ein solcher des Halses der Flasche. Allerdings kann die Luft des Bauches nicht ganz unabh\u00e4ngig von der des Halses schwingen, und die betreffenden eigenen T\u00f6ne beider Theile m\u00fcssen deshalb etwas anders, und zwar tiefer ausfallen, als w\u00e4ren Bauch und Hals von einander getrennt, und w\u00fcrden einzeln auf ihre Resonanz gepr\u00fcft. Der Hals bildet ann\u00e4hernd eine kurze an beiden Enden offene Pfeife. Zwar m\u00fcndet sein inneres Ende nicht frei in den offenen Luftraum aus, sondern nur in den Hohlraum der Flasche, aber wenn der Hals nur recht eng, der Bauch der Flasche recht weit ist, kann letzterer einigermassen als offener Raum angesehen werden im Verh\u00e4ltniss zu den Schwingungen der im Halse eingeschlossenen Luft. Diese Bedingung trifft am meisten beim Jzu; die L\u00e4nge des Kanals zwischen Zunge und Gaumen von den Oberz\u00e4hnen bis zum hinteren Rande des kn\u00f6chernen Gaumens gemessen betr\u00e4gt etwa 6 Centimeter. Eine offene Pfeife von dieser L\u00e4nge angeblasen w\u00fcrde den Ton elv geben, w\u00e4hrend die Beobachtungen f\u00fcr den verst\u00e4rkten Ton des I ungef\u00e4hr dIV ergeben, was so weit \u00fcbereinstimmt, als man hei der Berechnung der Tonh\u00f6he einer so unregelm\u00e4ssig gebildeten Pfeife, wie die zwischen Zunge und Gaumen nur irgend erwarten kann.\nDie Vocale \u00c4, E und I haben dem entsprechend einen h\u00f6heren und einen tieferen Resonanzton. Die h\u00f6heren T\u00f6ne setzen die aufsteigende Reihe von Eigent\u00f6nen der Vocale U, O, A fort. Mit Stimmgabeln habe ich f\u00fcr \u00c4 den Ton g1\" bis asm gefunden, f\u00fcr E den Ton bul. F\u00fcr /hatte ich keine passende Gabel mehr; man kann sich aber hier helfen mittelst des Luftger\u00e4usches, welches ich gleich nachher besprechen werde, und dieses ergiebt ziemlich bestimmt dIV.\nDie tieferen Eigent\u00f6ne, welche der hinteren Abtheilung der Mundh\u00f6hle angeh\u00f6ren, sind etwas schwerer zu bestimmen. Man","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nkann dazu Stimmgabeln anwenden; doch ist die Resonanz ver-h\u00e4ltnissm\u00e4ssig schwach, weil sie eben durch den langen engen Hals des Luftraumes hindurchgeleitet werden muss. Es ist ferner darauf zu achten, dass diese Resonanz nur eintritt, so lange man den betreffenden Vocal mit der Fl\u00fcsterstimme leise angiebt, und schwindet, wenn man schweigt, weil sich im letzteren Falle sogleich die Gestalt der H\u00f6hle \u00e4ndert, von der diese Resonanz abh\u00e4ngt. Man muss auch die angeschlagene Stimmgabel m\u00f6glichst nahe an die hinter den Oberz\u00e4hnen gelegene Oeffnung des Luftraumes bringen. So fand ich f\u00fcr das \u00c4 d11, f\u00fcr das E \u00df. F\u00fcr / konnte ich sie nicht direct mit den Stimmgabeln beobachten; doch schliesse ich aus den Obert\u00f6nen, dass sie etwa so tief wie die des U bei / liegt. Wenn man also vom A zum / \u00fcbergeht, steigen diese tieferen Eigent\u00f6ne der Mundh\u00f6hle herab, w\u00e4hrend die h\u00f6heren aufsteigen. Endlich bei der dritten Reihe von Vocalen, welche von A durch \u00d6 nach \u00dc \u00fcbergeht, haben wir im Inneren des Mundes dieselbe Stellung der Zunge wie f\u00fcr die vorhergehende Reihe. F\u00fcr das U n\u00e4mlich ungef\u00e4hr dieselbe wie f\u00fcr einen zwischen E und I in der Mitte gelegenen Vocal, f\u00fcr das \u00d6 dagegen dieselbe wie f\u00fcr ein E, welches ein wenig nach \u00c4 zieht. Ausser der Verengerung, welche hier wie bei der zweiten Reihe zwischen Zunge und Gaumen besteht, verengern sich aber auch die Lippen wieder und zwar so, dass sie sich ebenfalls so gut sie k\u00f6nnen zu einer R\u00f6hre formen, und somit eine vordere Verl\u00e4ngerung der zwischen Zunge und Gaumen liegenden R\u00f6hre bilden. Der Luftraum der Mundh\u00f6hle im Ganzen ist also auch bei diesen Vocalen einer mit einem Halse versehenen Flasche \u00e4hnlich geformt, deren Hals aber l\u00e4nger ist als bei den Vocalen der zweiten Reihe. Beim I fand ich diesen Hals 6 Centimeter lang, beim \u00dc betr\u00e4gt seine L\u00e4nge, von dem vorderen Rande der Oberlippe bis zum Anfang des weichen Gaumens gemessen, 8 Centimeter. Die Tonh\u00f6he des h\u00f6heren Eigentons, welcher der Resonanz des Halses entspricht, muss dadurch ungef\u00e4hr um eine Quarte tiefer werden als beim I. Der Rechnung nach m\u00fcsste diese Pfeife hm geben, wenn ihre beiden Enden frei w\u00e4ren; in Wirklichkeit resonirt sie durch eine Stimmgabel, deren Ton zwischen gm und asm liegt, wie wir denn auch beim I eine solche Abweichung gefunden haben, welche in diesem wie in jenem Falle wohl dadurch zu erkl\u00e4ren ist, dass das hintere Ende dieser R\u00f6hre zwar in einen erweiterten, aber doch nicht ganz freien Raum ausm\u00fcndet. Die Reso*","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Vocale.\t171\nnanz des hinteren Raumes ist nach denselben Regeln zu beobachten, wie bei den Vocalen der I- Reihe. Sie findet sich bei \u00d6 gleich der yon E, n\u00e4mlich \u00df, bei \u00dc gleich der von L n\u00e4mlich /.\nDie Thatsache, dass die Mundh\u00f6hle bei verschiedenen Vocalen auf verschiedene Tonh\u00f6hen abgestimmt sei, ist zuerst von Don-ders *), und zwar nicht mit H\u00fclfe von Stimmgabeln, aufgefunden worden, sondern mittelst des Ger\u00e4usches, welches heim Fl\u00fcstern der Luftstrom im Munde hervorbringt. Die Mundh\u00f6hle wird dabei gleichsam wie eine Orgelpfeife angeblasen, und verst\u00e4rkt durch ihre Resonanz die entsprechenden T\u00f6ne des Luftger\u00e4usches, welches theils in der verengerten Stimmritze **), theils in den vorderen verengten Stellen des Mundes, wo dergleichen sind, hervorgebracht wird. Dabei kommt es allerdings gemeiniglich nicht zu einem vollen Ton; nur beim \u00dc und U kann das Luftger\u00e4usch zu einem solchen gesteigert wurden, indem man mit dem Munde zu pfeifen beginnt. Beim Sprechen w\u00e4re dies aber ein Fehler. Vielmehr tritt gew\u00f6hnlich nur dieselbe Art der Verst\u00e4rkung des Luftger\u00e4usches ein, wie hei einer Orgelpfeife, welche wegen falscher Stellung der Lippe, oder ungen\u00fcgender Windst\u00e4rke nicht gut anspricht. Doch zeigt ein solches Ger\u00e4usch, wenn es auch nicht zum vollen musikalischen Tone wird, schon eine ziemlich eng begrenzte Tonh\u00f6he, welche sich durch ein ge\u00fcbtes Ohr bestimmen l\u00e4sst. Nur irrt man sich, wie in allen solchen F\u00e4llen, wo T\u00f6ne von sehr verschiedener Klangfarbe zu vergleichen sind, leicht in der Octave. Hat man aber einige von den Tonh\u00f6hen, auf die es ankommt, mittelst der Resonanz von Stimmgabeln bestimmt, andere, wie \u00dc und \u00d6 dadurch, dass man sie in regelm\u00e4ssiges Pfeifen \u00fcberf\u00fchrt, so sind die \u00fcbrigen leicht * zu bestimmen, indem man sie mit den ersteren in melodischer Folge zusammenf\u00fcgt. So giebt die Folge:\n*) Archiv f\u00fcr die Holl\u00e4ndischen Beitr\u00e4ge f\u00fcr Natur- und Heilkunde von Donders und Berlin. Bd. I, S.157. Aeltere unvollst\u00e4ndige Wahrnehmungen \u00fcber denselben Gegenstand bei Samuel Reyher Mathesis mosaica, Kiel 1619. \u2014 Chr. Hellwag de formatione loquelae Diss. Tubingae 1780. \u2014 Fl\u00f6rke, Neue Berliner Monatsschrift, Septbr. 1803, Febr. 1804. \u2014 Olivier, Ortho-epo-graphisches Elementarwerk 1804, Thl. Ill, S. 21.\n**) Es ist der hinterste Theil der Stimmritze zwischen den Giessbeckenknorpeln, welcher beim Fl\u00fcstern als dreieckige Oeffnung offen bleibt und die Luft passiren l\u00e4sst, w\u00e4hrend die Stimmb\u00e4nder aneinander gelegt werden.","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nScharfes A, \u00c4, E, I \u00e4rr gu ln d'n,\neinen aufsteigenden Quartsextenaccord des \u00bb/-Moll - Dreiklanges, und l\u00e4sst sich leicht mit der entsprechenden Tonfolge auf dem Clavier vergleichen. Die Lage des A, \u00c4 und E konnte ich noch mittelst der Stimmgabeln bestimmen, und dadurch auch die des /festsetzen*).\nF\u00fcr das U ist es ebenfalls nicht ganz leicht, die Resonanzh\u00f6he mittelst der Stimmgabel zu finden; die Resonanz ist wegen der kleinen Oeffnung des Mundes ziemlich schwach. Hier hat mich ein anderes Ph\u00e4nomen geleitet. Wenn man von c die Scala aufw\u00e4rts auf den Vocal U singt, f\u00fchlt man, wie die Ersch\u00fctterung der Luft im Munde und selbst an den Trommelfellen beider Ohren, wo sie Kitzel erregt, am heftigsten wird, wenn man bis / gelangt ist, vorausgesetzt, dass man sich bem\u00fcht ein nat\u00fcrliches dumpfes U festzuhalten, ohne es in 0 \u00fcbergehen zu lassen. Sobald man / \u00fcberschreitet, \u00e4ndert sich die Klangfarbe, die starke Erzitterung im Munde und das Kitzeln in den Ohren h\u00f6rt auf. Es ist hier bei der Note / ganz dieselbe Erscheinung, als wenn man eine Zunge mit einer kugelf\u00f6rmigen Ansatzr\u00f6hre verbindet, deren eigener Ton dem der Zunge nahehin entspricht. Auch dann erh\u00e4lt man ungemein kr\u00e4ftige Ersch\u00fctterung der Luft im Inneren der\n*) Die Angaben von Donders differiren etwas von den meinigen. theils weil sie sich auf die holl\u00e4ndische Aussprache beziehen, meine auf die norddeutsche, theils weil Donders, nicht unterst\u00fctzt durch Stimmgabeln, die Octave nicht sicher finden konnte, in welche die geh\u00f6rten Ger\u00e4usche zu legen sind. Folgende Tafel zeigt diese Abweichungen:\nVocal\tTonh\u00f6he nach Donders.\tTonh\u00f6he nach Helmholtz\nU\tP\t/\n0\tdi\tbi\nA\tbi\tbn\n\u00d6\tP\tcisin\n\u00dc\tan\tgill\u2014 asm\nE\tcisin\tbin\nI\tfin\tdiv","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Vocale.\t173\nKugel, und einen pl\u00f6tzlichen Sprung in der Klangfarbe, wenn man von einer tieferen Tonh\u00f6he der Luftmasse durch die Tonh\u00f6he des Zungentons hindurch zu einer h\u00f6heren \u00fcbergeht. Dadurch bestimmt sich die Resonanz der Mundh\u00f6hle f\u00fcr U auf die H\u00f6he von f noch leichter und sicherer als mittelst der Stimmgabeln. Danach k\u00f6nnen wir die Resonanz der Mundh\u00f6hle f\u00fcr die verschiedenen Vocale in Noten ausdr\u00fcck en wie folgt:\nU O A \u00c4 E I \u00d6 \u00dc\nDer Einfluss, den die Abstimmung der Mundh\u00f6hle auf die Klangfarbe der Stimme hat, ist nun ganz derselbe, welchen wir bei den k\u00fcnstlich construirten Zungenpfeifen schon kennen gelernt haben. Es werden n\u00e4mlich alle diejenigen Obert\u00f6ne verst\u00e4rkt, welche mit einem der Eigent\u00f6ne der Mundh\u00f6hle zusammenfallen, oder ihm doch nahe genug liegen, w\u00e4hrend die \u00fcbrigen Obert\u00f6ne mehr oder weniger ged\u00e4mpft werden. Die D\u00e4mpfung der nicht verst\u00e4rkten T\u00f6ne ist desto auffallender, je enger die Mundh\u00f6hle geschlossen ist, entweder zwischen den Lippen wie heim \u00fc, oder zwischen Zunge und Gaumen wie beim I und \u00dc.\nEs lassen sich diese Unterschiede in den Obert\u00f6nen der verschiedenen Vocallaute 'mittelst der Resonatoren sehr leicht und deutlich erkennen, wenigstens soweit es sich um.T\u00f6ne der eingestrichenen und zweigestrichenen Octave handelt. Man setze zum Beispiel einen Resonator, der auf b1 abgestimmt ist, an das Ohr und lasse nun eine Bassstimme, welche ge\u00fcbt ist, die Tonh\u00f6he gut festzuhalten und die Vocale richtig zu bilden, auf einen der harmonischen Untert\u00f6ne des b1, sei es b oder es oder B. Ges, Es, der Reihe nach die Vocale in gleiclim\u00e4ssiger St\u00e4rke singen. Man wird finden, dass bei einem reinen vollt\u00f6nenden 0 das I\u00df des Resonators m\u00e4chtig in das Ohr hineinschmettert. Demn\u00e4chst ist derselbe Oberton in einem scharfen \u00c4 und einem Mittelton von A und \u00d6 noch sehr kr\u00e4ftig, schw\u00e4cher bei A, JE, \u00d6, am schw\u00e4chsten bei \u00dc und I Auch findet man leicht, dass die Resonanz des 0 sich merklich schw\u00e4cht, wenn man es entweder dumpfer macht und","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\ndem U n\u00e4hert, oder wenn man \u00e9s offener bildet, dass es \u00d6 wird. Nimmt man dagegen den Resonator eine Octave h\u00f6her, ba, so ist es nun der Vocal A, welcher den Resonator am kr\u00e4ftigsten mitt\u00f6nen l\u00e4sst, w\u00e4hrend das beim ersten Resonator kr\u00e4ftig wirkende 0 hier eine geringe Wirkung hat.\nF\u00fcr die hohen Obert\u00f6ne des \u00c4, E, Hassen sich nun allerdings keine Resonatoren beschaffen, welche eine erhebliche Verst\u00e4rkung der betreffenden Obert\u00f6ne zu geben im Stande sind. Hier ist man also doch wieder haupts\u00e4chlich auf die Beobachtungen des unbewaffneten Ohres angewiesen. Diese Verst\u00e4rkungst\u00f6ne in dem Klange der Stimme zu entdecken, hat mir deshalb viel M\u00fche gekostet, und ich habe sie bei meinen fr\u00fcheren Ver\u00f6ffentlichungen*) \u00fcber diesen Gegenstand noch nicht gekannt. Zu ihrer Beobachtung ist es besser, hohe T\u00f6ne weiblicher Stimmen oder m\u00e4nnlicher Fistelstimmen singen zu lassen. Die Obert\u00f6ne hoher Noten liegen in der betreffenden Gegend der Scala nicht so nahe aneinander, wie die von tiefen Noten, und man unterscheidet sie deshalb leichter von einander. Auf dem b1 zum Beispiel k\u00f6nnen weibliche Stimmen noch bequem alle Vocale vollt\u00f6nend herausbringen, h\u00f6her hinauf ist die Auswahl beschr\u00e4nkter. Dann h\u00f6rt man die Duodecime fjn bei einem breiten \u00c4, die Dop-peloctave lnI bei E, und die hohe Terz dIV bei I deutlich, letztere oft sogar recht durchdringend, hervortreten.\nBei diesen Versuchen muss man aber darauf achten, dass gewisse Vocale in gewissen Gegenden der Scala viel besser ansprechen als andere**). So weit meine eigenen, in dieser Beziehung aber wenig ausgedehnten Beobachtungen reichen, sprechen zun\u00e4chst immer diejenigen Vocale am besten an, deren charakteristischer Ton ein wenig h\u00f6her liegt als die gesungene Note, demn\u00e4chst diejenigen, deren charakteristischer Ton der zweite oder dritte Theilton der gesungenen Note ist. Ich finde, dass bei M\u00e4nnern U, dessen charakteristischer Ton/ ist, am besten anspricht auf d, e und /, demn\u00e4chst auf dem eine Octave tieferen F- E mit dem charakteristischen Tone f1 spricht in den hohen Noten des\n*) Gelehrte Anzeigen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 18. Juni 1859.\n**) Diese f\u00fcr den Gesang offenbar h\u00f6chst wichtigen Unterschiede sind n\u00e4her ber\u00fccksichtigt in E. Seiler, Altes und Neues \u00fcber die Ausbildung des Gesangorgans. Leipzig 1861, S. 52.","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"175\nKl\u00e4nge der Vocale.\nBasses dl, e1 und f1 an, demn\u00e4chst in den harmonischen Untert\u00f6nen des /7, n\u00e4mlich / und B. An der Grenze meiner Fistelstimme auf V kann ich nur 0, \u00c4 oder A\u00f6 singen, f\u00fcr welche Vocale b1 der charakteristische Ton ist. Gerade bei den schwer zu erreichenden Noten, welche an den Grenzen der Stimme liegen, ist der Einfluss der Vocale am auffallendsten. Die weiblichen Stimmen haben unterhalb des c1 alle die Neigung nach einem dunklen 0 oder OU \u00fcberzugehen, dessen Eigent\u00f6ne hier liegen. In ihren hohen T\u00f6nen oberhalb eri oder fu spricht A am besten an, dessen charakteristischer Ton bei bn liegt, oberhalb bu dann I, dessen Eigenton eine Octave h\u00f6her liegt und welches wohllautender ist, als das in derselben H\u00f6he liegende \u00c4.\nWenn man nun bei der Beobachtung der Obert\u00f6ne eine Note zum Singen w\u00e4hlt, auf der gewisse Vocale besonders stark ansprechen, so h\u00f6rt man auch deren Obert\u00f6ne verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig zu stark. Bei den tiefer liegenden M\u00e4nnerstimmen hat dies weniger Einfluss, weil in der Tiefe nur U und I ihre Verst\u00e4rkungen haben, und diese in der bequemsten mittleren Gegend der Stimme liegen, wo die St\u00e4rke der verschiedenen Vocale leicht gleich gemacht werden kann. Bei den Frauenstimmen dagegen ist dieser Einfluss viel gr\u00f6sser. Namentlich die hohen Soprant\u00f6ne, welche in das Verst\u00e4rkungsbereich des Vocals A fallen, sprechen auf A so sehr viel m\u00e4chtiger an, als auf irgend einen anderen Vocal, dass auch die Obert\u00f6ne eines solchen A in der oberen H\u00e4lfte der dreigestrichenen Octave viel kr\u00e4ftiger heraustreten, als die hier liegenden verst\u00e4rkten T\u00f6ne des E und I. Man muss also stets unter den harmonischen Untert\u00f6nen des Resonanzrohres einen solchen w\u00e4hlen, auf welchem der S\u00e4nger die zu vergleichenden Vocale leicht gleich stark angeben kann, oder ihn darauf aufmerksam machen, dass er den leichter angebenden Ton so weit massige, um ihn dem schwerer ansprechenden gleich zu machen. Uebri-gens habe ich bei den Beobachtungen mit den Resonanzr\u00f6hren, ebenso wie bei denen mit den Stimmgabeln, die Tonh\u00f6he der verst\u00e4rkten T\u00f6ne bei mehreren Frauenstimmen der der M\u00e4nnerstimmen gleich gefunden, nur dass die zu tiefen Verst\u00e4rkungst\u00f6ne des U und I nicht zum Vorschein kommen k\u00f6nnen.\nEinen eigenth\u00fcmlichen Umstand muss ich hier noch erw\u00e4hnen, durch welchen sich die menschliche Stimme vor anderen musikalischen Instrumenten auszeichnet, und eine eigenth\u00fcmliche Beziehung zum menschlichen Ohre zeigt. Oberhalb der hohen","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nVerst\u00e4rkungst\u00f6ne f\u00fcr das I in der Gegend des eIr bis gIr klingen die T\u00f6ne der Claviere eigenth\u00fcmlich scharf, und man wird leicht zu dem Glauben verleitet, dass diese hohen T\u00f6ne zu harte H\u00e4mmer haben, oder in ihrer Mechanik von ihren Nachbarn irgendwie abweichen. Indessen ist die Sache bei allen Clavieren die gleiche, und wenn man eine ganz kleine Glasr\u00f6hre oder Glaskugel an das Ohr setzt, so werden die fr\u00fcher scharfen T\u00f6ne der Scala mild und schwach wie die anderen, w\u00e4hrend eine andere tiefer gelegene Reihe von T\u00f6nen jetzt st\u00e4rker und sch\u00e4rfer hervortritt. Daraus folgt, dass das menschliche Ohr selbst durch seine Resonanz die T\u00f6ne zwischen eIV und gIV beg\u00fcnstigt, dass es selbst f\u00fcr einen dieser T\u00f6ne abgestimmt ist. Empfindlichen Ohren erregen jene T\u00f6ne auch wohl Schmerz. Dadurch treten nun die Obert\u00f6ne dieser Lage, wenn sie so hoch hinaufreichen, besonders kr\u00e4ftig' hervor, und afficiren das Ohr sehr stark. Das geschieht bei der menschlichen Stimme im Allgemeinen, wenn sie mit Anstrengung gebraucht wird, so dass sie einen schmetternden Charakter bekommt. Bei kr\u00e4ftigen M\u00e4nnerstimmen, welche forte singen, h\u00f6rt man jene T\u00f6ne gleichsam wie ein helles Schellengerassel mitklingen, am deutlichsten aber bei Ch\u00f6ren, wenn die Stimmen etwas schreien. Es giebt jede einzelne M\u00e4nnerstimme in solcher H\u00f6he schon dissonirende Obert\u00f6ne. Wenn B\u00e4sse ihr hohes e1 singen, so ist dIV der siebente, e/Fder achte, fisIV der neunte, gisIV der zehnte Oherton. Wenn nun gleichzeitig eIV und fisIV stark, dIV und gisIr schw\u00e4cher h\u00f6rbar werden, so giebt das nat\u00fcrlich eine scharfe Dissonanz. Kommen gar viele Stimmen zusammen, welche diese T\u00f6ne mit kleinen H\u00f6heunterschieden au-geben, so giebt es eine eigenth\u00fcmliche Art von Gerassel, was man sehr leicht immer wieder wahrnimmt, wenn man erst einmal darauf aufmerksam geworden ist. Einen Unterschied der Vocale habe ich dabei nicht wahrgenommen, wohl aber h\u00f6rt das Rasseln auf, wenn die Stimmen piano gebraucht werden, obgleich dabei die Tonst\u00e4rke eines Chors immer noch eine ziemlich bedeutende sein kann. Es ist diese Art von Rasseln eine Eigenth\u00fcmlichkeit der menschlichen Stimmen, die Orchesterinstrumente bringen es nicht in derselben Weise so deutlich und stark hervor. Ich habe es \u00fcberhaupt von keinem anderen Tonwerkzeuge je so deutlich geh\u00f6rt, wie von menschlichen Stimmen.\nAuch in den Sopranstimmen, wenn sie forte singen, h\u00f6rt man dieselben Obert\u00f6ne; bei scharfen und unsicheren Stimmen sind","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Vocale.\t177\nsie tremulirend und bekommen da\u00c4urch etwas Aehnlichkeit mit dem Gerassel, welches sie in den Kl\u00e4ngen der M\u00e4nnerstimmen bilden. Von recht sicheren und wohlklingenden Frauenstimmen habe ich sie aber auch schon ganz rein und ruhig fortklingend geh\u00f6rt. Beim melodischen Fortschritte der Singstimm fe h\u00f6re ich dann diese hohen T\u00f6ne der viergestrichenen Octave bald etwas abw\u00e4rts, bald aufw\u00e4rts schreitend innerhalb des Umfanges einer kleinen Terz, je nachdem verschiedene Obert\u00f6ne der gesungenen Noten in das Gebiet einr\u00fccken, f\u00fcr welches unser Ohr so empfindlich ist. Auffallend ist es aber, dass gerade die menschliche Stimme so reich ist an Obert\u00f6nen, f\u00fcr welche das menschliche Ohr so empfindlich ist. Uebrigens bemerkt Frau E. Seiler, dass auch Hunde gegen das hohe e der Violine sehr empfindlich sind.\nDiese erw\u00e4hnte Verst\u00e4rkung der in der Mitte der viergestrichenen Octave gelegenen T\u00f6ne hat \u00fcbrigens mit der Charakteristik der Vocale nichts zu thun; ich habe sie hier nur deshalb erw\u00e4hnt, weil man die genannten hohen T\u00f6ne bei Untersuchungen \u00fcber di\u00f6 Klangfarbe der Vocale und der menschlichen Stimmen leicht bemerkt, und man sich nicht verleiten lassen darf, in ihnen eine besondere Charakteristik einzelner Vocale zu suchen. Sie sind nur eine Charakteristik der angestrengten Stimme.\nAn das U schliesst sich noch an der brummende Ton, der entsteht, wenn man mit geschlossenem Munde singt. Dieser brummende Ton wird beim Ansatz der Consonanten M, N und NG gebraucht. Die Nasenh\u00f6hle, welche hierbei f\u00fcr den Ausgang des Luftstroms dient, hat im Verh\u00e4ltniss zur Gr\u00f6sse ihrer H\u00f6hlung eine noch engere Oeffnung, als die Mundh\u00f6hle beim Vocal U. Beim Brummen eines Tones treten deshalb die Eigenth\u00fcmlichkeiten des U in noch gesteigertem Maasse auf. N\u00e4mlich obgleich noch Obert\u00f6ne da sind, und sogar ziemlich hoch hinauf reichen, so nehmen sie nach der H\u00f6he hin noch viel schneller an St\u00e4rke ab als beim U. Die h\u00f6here Octave des Grundtons hat beim Brummen noch ziemliche St\u00e4rke, alle h\u00f6heren Partialt\u00f6ne sind aber schwach. Das Brummen in der Mundstellung f\u00fcr M und N unterscheidet sich noch ein wenig in der Klangfarbe, indem beim N die Obert\u00f6ne weniger ged\u00e4mpft sind als beim M. Aber ein deutlicher Unterschied dieser Consonanten entsteht doch erst im Moment, wo die Mundh\u00f6hle ge\u00f6ffnet oder geschlossen wird. Auf die Zusammensetzung des Schalls der \u00fcbrigen Consonanten k\u00f6nnen wir hier nicht n\u00e4her eingehen, weil sie Ger\u00e4usche ohne constante\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\n12","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nTonh\u00f6he geben, nicht musikalische Kl\u00e4nge, und wir uns hier zun\u00e4chst auf die letzteren beschr\u00e4nken m\u00fcssen.\nDie hier auseinandergesetzte Theorie der Vocallaute l\u00e4sst sich best\u00e4tigen durch Versuche mit k\u00fcnstlichen Zungenpfeifen, an welche man passende Ansatzr\u00f6hren anhringt. Es geschah dies zuerst durch Willis, welcher Zungenpfeifen mit cylindrischen Ansatzr\u00f6hren von ver\u00e4nderlicher L\u00e4nge verband, und durch Verl\u00e4ngerung des Ansatzrohres verschiedene T\u00f6ne hervorbrachte. Die k\u00fcrzesten R\u00f6hren gaben ihm I, dann E, A, 0, schliesslich U, bis die R\u00f6hre die L\u00e4nge einer Viertel-Wellenl\u00e4nge \u00fcberschritt. Bei weiterer Verl\u00e4ngerung kehrten die Vocale in umgekehrter Ordnung wieder. Seine Bestimmung der Tonh\u00f6he der resonirenden Pfeifen stimmt f\u00fcr die tieferen Vocale gut mit der m einigen \u00fcberein. F\u00fcr die h\u00f6heren Vocale hat Willis aber wohl relativ zu hohe T\u00f6ne gefunden, weil dann die Wellenl\u00e4ngen kleiner als der Durchmesser der R\u00f6hre wurden, und deshalb die gew\u00f6hnliche Berechnung der Tonh\u00f6he nach der L\u00e4nge der R\u00f6hre allein nicht mehr anwendbar war. Auch waren nothwendig die Vocale E und I denen des Mundes ziemlich un\u00e4hnlich, wegen Mangels der zweiten Resonanz und deshalb, wie Willis selbst angiebt, nicht eben gut von einander abzugrenzen.\nVocal\tim Worte\tTonh\u00f6he nach Willis\tTonh\u00f6he nach Helmholtz\n0 v\tNo\teu\ten\nAO\tNought\tes11\tesu\n\tPaw\t9n\t911\nA\tPart\tdes111\tdeni a\n\tPaa\tfin\t\nE\tPay\tdir\thm\n\tPet\ter\teir\nI\tSee\t9V\tdir\nNoch besser und deutlicher als mit cylindrischen R\u00f6hren erh\u00e4lt man die Vocale, wenn man abgestimmte kugelf\u00f6rmige Hohlr\u00e4ume anwendet. Wenn ich auf eine Zungenpfeife, welche b gab, die gl\u00e4serne Resonanzkugel f\u00fcr b aufsetzte, so erhielt ich den Vocal U, mit der Kugel b' erhielt ich \u00f6, mit der Kugel b\" dagegen","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"Kl\u00e4nge der Vocale.\t179\nA, ein wenig geschlossen, mit d'\" ein scharfes A. Bei gleicher Abstimmung der angesetzten Hohlr\u00e4ume erhalten wir daher auch dieselben Vocale ganz unabh\u00e4ngig von ihrer Form und Wandung. Auch ist es mir gelungen, mit derselben Zungenpfeife verschiedene Abstufungen von \u00c4, \u00d6, E und I hervorzubringen, indem ich gl\u00e4serne Hohlkugeln aufsetzte, in deren \u00e4ussere Oeffnung noch ein 6 bis 10 Centimeter langes Glasr\u00f6hrchen eingef\u00fcgt war, um die doppelte Resonanz der Mundh\u00f6hle bei diesen Vocalen nachzubilden.\nWillis hat noch eine andere interessante Methode angegeben Vocale hervorzubringen. Wenn man ein Zahnrad mit vielen Z\u00e4hnen schnell umdreht, und an seinem gezahnten Rande eine Feder schleifen l\u00e4sst, so wird die Feder von jedem Zahn gehoben, und man erh\u00e4lt dadurch einen Ton, dessen Schwingungszahl gleich der Zahl der vor\u00fcbergehenden Z\u00e4hne ist. Nun giebt aber die Feder selbst, wenn sie an ihrem einen Ende gut befestigt ist und in Schwingung versetzt wird, einen Ton, der desto h\u00f6her steigt, je k\u00fcrzer die Feder gemacht wird. L\u00e4sst man nun die Feder schleifen, w\u00e4hrend das Rad mit gleichbleibender Geschwindigkeit gedreht wird, und ver\u00e4ndert dann die L\u00e4nge der Feder, so erh\u00e4lt man bei langer Feder einen 77-\u00e4hnlichen Klang, bei k\u00fcrzerer O, A. E, J, indem der Ton der Uhrfeder hierbei die Rolle des verst\u00e4rkten Vocaltones spielt. Doch ist diese Nachahmung der Vocale allerdings viel unvollkommener als die mittelst der Zungenpfeifen. Aber der Sinn auch dieses Verfahrens beruht offenbar darin, dass Kl\u00e4nge hervorgebracht werden, in denen gewisse Obert\u00f6ne, die n\u00e4mlich, welche dem eigenen Tone der anschlagenden Feder entsprechen, verst\u00e4rkt werden.\nWillis selbst hat eine andere Theorie von der Natur der Vocalkl\u00e4nge aufgestellt, als wires hier dem Zusammenh\u00e4nge aller \u00fcbrigen akustischen Erscheinungen entsprechend gethan haben. Willis stellt sich vor, dass die Luftst\u00f6sse, welche den Klang der Vocale hervorbringen, selbst schon schnell verhallende T\u00f6ne sind, entsprechend dem Eigentone der Feder in seinem letzten Versuch oder dem kurzen Widerhall, welchen ein Stoss oder eine kleine Luftexplosion in der Mundh\u00f6hle, beziehlich im Ansatzrohre einer Zungenpfeife, hervorbringt. In den That h\u00f6rt man etwas dem Vocalklange Aehnliches, wenn man auch nur mit einem St\u00e4bchen an den Z\u00e4hnen klappert, w\u00e4hrend man die Mundh\u00f6hle in die Stellung der verschiedenen Vocale formt. Willis\u2019 Beschreibung\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180 Erste Abtheilung. F\u00fcnfter Abschnitt.\nder Schallbewegung bei den Vocalen trifft jedenfalls mit der Wirklichkeit ziemlich nahe zusammen, aber sie giebt nur die Art und Weise an, wie die Bewegung in der Luft geschieht, und nicht die entsprechende Reaction des Ohres gegen diese Bewegung. Dass auch diese Art der Bewegung vom Ohre nach den Gesetzen des Mitt\u00f6nens in eine Reihe von Obert\u00f6nen zerlegt wird, zeigt sich in der \u00fcbereinstimmenden Analyse des Voealklanges, wie sie vom unbewaffneten Ohre und von den Resonatoren ausgef\u00fchrt wird. Dasselbe wird sich noch deutlicher im n\u00e4chsten Abschnitte zeigen in.der Beschreibung derjenigen Versuche, in welchen Vo-calkl\u00e4nge direct aus ihren Obert\u00f6nen zusammengesetzt werden.\nDie Vocalkl\u00e4nge unterscheiden sich von den Kl\u00e4ngen der meisten anderen musikalischen Instrumente also wesentlich dadurch, dass die St\u00e4rke ihrer Obert\u00f6ne nicht von der Ordnungszahl derselben, sondern von deren absoluter Tonh\u00f6he abh\u00e4ngt. Wenn ich z. B. den Vocal A auf die Note Es singe, ist der verst\u00e4rkte Ton b\" der zw\u00f6lfte des Klanges, und wenn ich denselben Vocal auf die Note b' singe, ist es der zweite Ton des Klanges, welcher verst\u00e4rkt wird.\nWir k\u00f6nnen aus den angef\u00fchrten Beispielen \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeit der Klangfarbe von der Zusammensetzung des Klanges im Allgemeinen folgende Regeln ziehen:\n1.\tEinfache T\u00f6ne, wie die der Stimmgabeln mit Resonanzr\u00f6hren, der weiten gedackten Orgelpfeifen, klingensehr weich und angenehm, ohne alle Rauhigkeit, aber unkr\u00e4ftig und in der Tiefe dumpf.\n2.\tKl\u00e4nge, welche von einer Reihe ihrer niederen Obert\u00f6ne bis etwa zum sechsten hinauf in m\u00e4ssiger St\u00e4rke begleitet sind, sind klangvoller, musikalischer. Sie haben, mit den einfachen T\u00f6nen verglichen, etwas Reicheres und Pr\u00e4chtigeres, sind aber vollkommen wohllautend und weich, so lange die h\u00f6heren Obert\u00f6ne fehlen. Hierher geh\u00f6ren die Kl\u00e4nge des Fortepiano, der offenen Orgelpfeifen, die weicheren Pianot\u00f6ne der menschlichen Stimmen und des Horns, welche letzteren den Uebergang zu den Kl\u00e4ngen mit hohen Obert\u00f6nen machen, w\u00e4hrend die Fl\u00f6ten und schwach angeblasenen Fl\u00f6tenregister der Orgel sich den einfachen T\u00f6nen n\u00e4hern.\n3.\tWenn nur die ungeradzahligen Obert\u00f6ne da sind, wie bei","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"Allgemeine Unterschiede des Klanges. 181\nden engen gedackten Orgelpfeifen, den in der Mitte angeschlagenen Fortepianosaiten und der Clarinette, so bekommt der Klang einen hohlen oder bei einer gr\u00f6sseren Zahl von Obert\u00f6nen einen n\u00e4selnden Charakter. Wenn der Grundton an St\u00e4rke \u00fcberwiegt, ist der Klang voll, leer dagegen, wenn jener an St\u00e4rke den Obert\u00f6nen nicht hinreichend \u00fcberlegen ist. So ist der Klang weiter offener Orgelpfeifen voller als der von engeren, der Klang der Saiten voller, wenn sie mit den H\u00e4mmern des Pianoforte angeschlagen werden, als wenn es mit einem St\u00f6ckchen geschieht, oder wenn sie mit den Fingern gerissen werden, der Ton von Zungenpfeifen mit passendem Ansatz voller als von solchen ohne Ansatzrohr.\nA Wenn die h\u00f6heren Obert\u00f6ne jenseits des sechsten oder siebenten sehr deutlich sind, wird der Klang scharf und rauh. Den Grund davon werden wir sp\u00e4ter in den Dissonanzen nachweisen, welche die h\u00f6heren Obert\u00f6ne mit einander bilden. Der Grad der Sch\u00e4rfe kann verschieden sein; bei geringerer St\u00e4rke beeintr\u00e4chtigen die hohen Obert\u00f6ne die musikalische Brauchbarkeit nicht wesentlich, sind im Gegentheil g\u00fcnstig f\u00fcr die Charakteristik und Ausdrueksf\u00e4higkeit der Musik. Von dieser Art sind besonders wichtig die Kl\u00e4nge der Streichinstrumente, ferner die meisten Zungenpfeifen, Oboe, Fagott, Physharmonica, menschliche Stimme. Die rauheren, schmetternden Kl\u00e4nge der Blechinstrumente sind ausserordentlich durchdringend, und machen deshalb mehr den Eindruck grosser Kraft als \u00e4hnliche Kl\u00e4nge von weicherer Klangfarbe. Sie sind deshalb f\u00fcr sich allein wenig geeignet zur k\u00fcnstlerischen Musik, aber von grosser Wirkung im Orchester. In welcher Weise die hohen dissonirenden Obert\u00f6ne den Klang durchdringender machen k\u00f6nnen, wird sich sp\u00e4ter ergeben.","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"Sechster Abschnitt.\nUeber die Wahrnehmung der Klangfarben.\nWir haben bisher nur gegebene Kl\u00e4nge zu analysiren gesucht, indem wir bestimmten, welche Unterschiede in der Zahl und St\u00e4rke ihrer Obert\u00f6ne sie darbieten. Ehe wir die Rolle des Ohres bei der Auffassung der Klangfarbe genauer bestimmen k\u00f6nnen, ist es nun n\u00f6thig zu untersuchen, ob f\u00fcr die Wahrnehmung einer bestimmten musikalischen Klangfarbe es ausreicht, dass die Obert\u00f6ne eine bestimmte St\u00e4rke haben, oder ob auch von dieser unabh\u00e4ngig noch andere Unterschiede der Klangfarbe existiren und wahrgenommen werden k\u00f6nnen. Da wir uns zun\u00e4chst nur mit musikalischen Kl\u00e4ngen besch\u00e4ftigen, d. h. solchen, die durch eine genau periodische Lufthewegung hervorgebracht werden, und alle unregelm\u00e4ssigen Luftbewegungen, die als Ger\u00e4usch erscheinen, ausschliessen, so l\u00e4sst diese Frage eine noch bestimmtere Begrenzung zu. Denken wir uns n\u00e4mlich die Luftbewegung des gegebenen Klanges zerlegt in eine Summe von pendelartigen Luftschwingungen, so ist nicht nur die St\u00e4rke aller dieser einzelnen pendelartigen Schwingungen nach der Form der Gesammtbewegung verschieden, sondern auch ihre Stellung zu einander, nach physikalischem Ausdruck, ihr Phase\u2019nunter-schied. Setzen wir z. B. die beiden pendelartigen Schwingungen A und B. Fig. 31, zusammen, so dass einmal der Punkt e der","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"Ob die Klangfarbe von den Phasen abh\u00e4ngt? 183\nCurve B gelegt wird auf den Punkt d0 der Curve A, dann auf d,, so erhalten wir die beiden ganz verschiedenen Schwingungs-\nFig. 31.\nformen C und I). Durch Verlegung des Anfangspunktes e auf d.2 oder d3 erhalten wir noch andere Formen, welche Umkehrungen der Formen C und D sind, wie schon oben S. 52 er\u00f6rtert ist. Wenn nun die Klangfarbe nur von der St\u00e4rke der Obert\u00f6ne abh\u00e4ngt, so m\u00fcssen die Bewegungen CD u. s. w. alle auf das Ohr genau den gleichen Eindruck machen. Wenn es aber auch auf die Stellung der beiden Wellen zu einander, oder auf ihren Phasenunterschied ankommt, so werden sie verschiedenen Eindruck auf das Ohr machen.\nUm nun dar\u00fcber zu entscheiden, ob dies der Fall sei oder nicht, war es n\u00f6thig, verschiedene Kl\u00e4nge geradezu aus einfachen T\u00f6nen zusammenzusetzen, und zu sehen, ob Ab\u00e4nderung des Phasenunterschiedes bei gleichbleibender St\u00e4rke der Ob ert\u00f6ne Aenderungen des Klanges zur Folge hat. Einfache T\u00f6ne von grosser Reinheit, die in ihrer St\u00e4rke und ihrem Phasenunterschiede genau regulirt werden k\u00f6nnen, erh\u00e4lt man am besten durch Stimmgabeln, deren Ton durch eine Resonanzr\u00f6hre, wie es","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184 Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\nschon fr\u00fcher beschrieben ist, verst\u00e4rkt, und an die Luftmasse \u00fcbertragen wird. Um die Stimmgabeln dauernd in eine sehr gleichm\u00e4ssige Bewegung zu versetzen, wurden sie zwischen die Schenkel kleiner Ele'ktromagnete gestellt, in der Weise, wie in Fig. 32 abgebildet ist. Eine jede Stimmgabel a war in ein be-\nFig. 32.\nsonderes Brettchen dd eingeschraubt, welches auf untergeklebten St\u00fccken von Gummischl\u00e4uchen ee ruhte, um zu verhindern, dass die Schwingungen der Gabel direct an den Tisch \u00fcbertragen, und dadurch h\u00f6rbar w\u00fcrden. Die mit Drahtwindungen umgebenen Schenkel des Elektromagneten sind mit hb bezeichnet, seine Pole, die der Stimmgabel zugewendet sind, mit /. Auf dem horizontalen Brettchen d d befinden sich zwei Klemmschrauben g, die mit den Drahtwindungen des Elektromagneten in leitender Verbindung stehen und dazu dienen, andere Dr\u00e4hte aufzunehmen, durch welche elektrische Str\u00f6me zugeleitet werden k\u00f6nnen. Um die Gabeln in lebhafte Schwingung zu versetzen, m\u00fcssen diese Str\u00f6me von periodisch wechselnder St\u00e4rke sein. Zu ihrer Erzeugung dient ein besonderer Apparat, welcher unten beschrieben werden wird.","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"K\u00fcnstliche Vocale.\t185\nWenn bei dieser Einrichtung die Gabeln in Schwingung versetzt werden, h\u00f6rt man ausserordentlich wenig von ihrem Ton, weil sie wenig Gelegenheit haben, ihre Schwingungen der Luftmasse oder den umliegenden festen K\u00f6rpern mitzutheilen. Soll der Ton stark geh\u00f6rt werden, so muss den Gabeln die Resonanzr\u00f6hre i gen\u00e4hert werden, welche auf den Ton der Gabel abgestimmt ist. Diese Resonanzr\u00f6hre ist auf einem Brettchen le befestigt, welches in einem passenden Einschnitte des Brettes dd verschoben werden kann, um die M\u00fcndung der R\u00f6hre der Gabel m\u00f6glichst zu n\u00e4hern. In der Zeichnung ist die R\u00f6hre von der Gabel entfernt dargestellt worden, um die einzelnen Theile deutlicher zu zeigen ; beim Gebrauche wird sie so dicht wie m\u00f6glich herangeschoben. Die M\u00fcndung der Resonanzr\u00f6hre ist durch ein Deckelchen l geschlossen, welches an einem Hebel m sitzt. Zieht man an dem Faden n, so wird der Deckel vor der Oeffnung fortgezogen, und der Ton der Gabel wird nun kr\u00e4ftig der Luft mitge-theilt. L\u00e4sst man den Faden n nach, so wird das Deckelchen durch die Federp wieder vor die Oeffnung der R\u00f6hre geschoben, und der Ton der Gabel wird nicht mehr vernommen. Indem man die M\u00fcndung der R\u00f6hre nur theilweise \u00f6ffnet, kann man dem Tone der Gabel jede beliebige geringere St\u00e4rke geben. S\u00e4mmtliche F\u00e4den, welche die Resonanzr\u00f6hren der verschiedenen Gabeln \u00f6ffnen, sind \u00fcbrigens zu einer kleinen Clavi\u00e4tur geleitet und mit deren Tasten so verbunden, dass wenn man eine Taste niederdr\u00fcckt, die betreffende Resonanzr\u00f6hre ge\u00f6ffnet wird.\nIch habe zuerst acht solche Gabeln zur Verf\u00fcgung gehabt, welche dem Tone B und den sieben ersten harmonischen Obert\u00f6nen desselben (b,f, 6', d\",f\" as\" und b\") entsprachen. Jener Grundton entspricht etwa der Tonlage, in der Bassstimmen zu sprechen pflegen; sp\u00e4ter habe ich noch Gabeln f\u00fcr die T\u00f6ne d\"', /'\", as'\" und b'\" machen lassen und den Ton b als Grundton des Klanges genommen.\n\u00fcm die Gabeln in Bewegung zu setzen, werden intermitti-rende elektrische Str\u00f6me gebraucht, die man durch die Drahtwindungen der Elektromagnete leitet, und zwar muss die Zahl der elektrischen Stromst\u00f6sse genau ebenso gross sein wie die Zahl der Schwingungen der tiefsten Gabel B, n\u00e4mlich 120 in der Se-cunde. Jeder Stromstoss macht f\u00fcr einen Augenblick das Eisen des Elektromagneten-b b magnetisch, so dass es die Zinken der Gabeln, welche selbst dauernd magnetisch gemacht sind, anzieht.","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186 Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\nDie Zinken der tiefsten Gabel B werden so bei jeder Schwingung einmal f\u00fcr kurze Zeit von den Polen des Elektromagneten angezogen, die Zinken der zweiten Gabel b, welche doppelt so viel Schwingungen macht, bei jeder zweiten Schwingung einmal u. s. w., und dadurch werden die Schwingungen der Gabeln sowohl hervorgerufen, als auch dauernd unterhalten, so lange man eben die elektrischen Str\u00f6me durch den Apparat gehen l\u00e4sst. Die Schwingungen der tieferen Gabeln sind dabei sehr heftig, die der h\u00f6heren verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig schwach.\nUm solche intermittirende Str\u00f6me von genau bestimmter Pe-riodicit\u00e4t hervorzurufen dient der in Fig. 33 abgebildete Apparat.\nFig. 33.\nEine horizontal befestigte Stimmgabel a steht zwischen den Schenkeln eines Elektromagneten bb\\ ihre Enden tragen zwei Platindr\u00e4hte ec, die in zwei halb mit Quecksilber, halb mit Alkohol gef\u00fcllte N\u00e4pfchen d tauchen, welche die oberen Enden einer messingenen S\u00e4ule bilden. Die S\u00e4ulen haben Klemmschrauben, i, die Dr\u00e4hte aufzunehmen, und stehen auf zwei Brettchen, fg, die um eine Axe bei f drehbar sind, und jedes durch eine Stellschraube bei g etwas gehoben und gesenkt werden k\u00f6nnen, um sie genau so einzustellen, dass die Spitzen der Platindr\u00e4hte cc","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Kiinstlich\u00e8 Vocale.-\t187\ndas Quecksilber in den Gef\u00e4ssen d unter dem Alkohol gerade ber\u00fchren. Eine dritte Klemmschraube e ist mit dem Griff der Stimmgabel leitend verbunden. Wenn die Gabel schwingt und ein elektrischer Strom durch sie von i nach e geleitet wird, so wird dieser so oft unterbrochen, als sich das Ende der Gabel a aus dem Quecksilber des N\u00e4pfchens d hebt, und so oft wieder hergestellt, als der Platindraht wieder in das Quecksilber eintaucht. Wenn der so unterbrochene Strom nun gleichzeitig durch den Elektromagneten bft, Fig. 33, geleitet wird, so erh\u00e4lt dieser, indem er so oft magnetisch wird, als der Strom durch ihn l\u00e4uft, die selbst magnetische Gabel a in Schwingung. In der Regel wird nur eines der N\u00e4pfchen d zur Zuleitung des Stromes gebraucht. Alkohol wird \u00fcber das Quecksilber gegossen, um zu vermeiden, dass das Quecksilber durch die bei der Unterbrechung des Stromes entstehenden elektrischen Funken verbrannt wird. Es ist diese Art der Stromunterbrechung von Neef erfunden worden; derselbe benutzte eine einfache schwingende Feder statt der Stimmgabel, eine Einrichtung, die sich an den zu medicinischen Zwecken viel gebrauchten Inductionsapparaten meistentheils vorfindet. Die Schwingungen einer Feder theilen sich aber allen benachbarten K\u00f6rpern mit, sind deshalb f\u00fcr unsere Zwecke zu h\u00f6rbar und ausserdem zu unregelm\u00e4ssig. Ich fand es deshalb n\u00f6thig, statt der Feder eine Stimmgabel anzuwenden. Der Stiel einer recht symmetrisch gearbeiteten Stimmgabel wird durch die Schwingungen der Gabel ausserordentlich wenig ersch\u00fcttert, und setzt- deshalb auch die mit ihm verbundenen anderen K\u00f6rper nicht in so kr\u00e4ftige Ersch\u00fctterung, wie das befestigte Ende einer geraden Feder es thut. Die Stimmgabel des zuletzt beschriebenen Apparates muss in genauem Einkl\u00e4nge mit der des Grundtons \u00a3 sein; um diesen erhalten zu k\u00f6nnen, habe ich eine kleine Klemme h aus starkem Stahldraht benutzt, wel\u00e7he \u00e0uf der einen Zinke sitzt. Schiebt man diese nach dem freien Ende der Zinke hin, so wird der Ton der Gabel tiefer, schiebt man sie gegen den Stiel der Gabel, so wird der Ton h\u00f6her*).\nIst der ganze Apparat in Gang gebracht bei geschlossenen Resonanzr\u00f6hren, so sind s\u00e4mmtliche Gabeln in gleichm\u00e4ssigan-\n*) Der Apparat ist von Fessel in C\u00f6ln gearbeitet; genauere Beschreibungen einzelner seiner Theile und Anweisungen f\u00fcr die damit auszuf\u00fchrenden Versuche sind in Beilage VII gegeben.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188 Erste Abth\u00e9ilung. Sechster Abschnitt.\nhalt\u00e9nder Bewegung, w\u00e4hrend man von ihren T\u00f6nen nichts wahrnimmt, als h\u00f6chstens ein leises Summen, welches durch die directe Einwirkung der Gabeln auf die Luft veranlasst wird. Wenn man aber eine oder einige der Resonanzr\u00f6hren \u00f6ffnet, so kommen deren T\u00f6ne hinreichend kr\u00e4ftig zum Vorschein, und 'zwar desto st\u00e4rker, je weiter man \u00f6ffnet. So kann man schnell hinter einander verschiedene Zusammensetzungen des Grundtons mit einem oder mehreren harmonischen Obert\u00f6nen in verschiedener St\u00e4rke h\u00f6rbar machen, und dadurch Kl\u00e4nge von verschiedener Klangfarbe hervorbringen.\nUnter den nat\u00fcrlichen Kl\u00e4ngen, welche zur Nachahmung durch die Stimmgabeln geeignet erscheinen, treten zun\u00e4chst die Vocale der menschlichen Stimme hervor, weil sie verh\u00e4ltniss-m\u00e4ssig wenig fremdartiges Ger\u00e4usch enthalten und sehr entschiedene Unterschiede der Klangfarbe zeigen, welche leicht aufzufassen sind. - Dabei sind die meisten Vocale durch verh\u00e4ltniss-m\u00e4ssig niedrige Obert\u00f6ne charakterisirt, die sich mit unseren Gabeln erreichen lassen, nur E und I gehen \u00fcber diese Grenze etwas hinaus. Die Bewegung der ganz hohen Gabeln ist zu schwach unter dem Einfl\u00fcsse solcher elektrischer Str\u00f6me, als ich brauchen durfte, ohne anderweitige St\u00f6rungen der Versuche durch den L\u00e4rm der elektrischen Funken zu veranlassen.\nDie erste Reihe von Versuchen stellte ich mit den 8 Gabeln von B bis 6\" an. \u00fc, 0, \u00d6 und auch noch A liessen sich nachbilden, das letztere aber doch nicht sehr scharf, weil die unmittelbar \u00fcber seinem charakteristischen Tone b\" gelegenen, und im nat\u00fcrlichen Klange des Vocals auch noch merklich verst\u00e4rkten Obert\u00f6ne cf\" und dl\" fehlten. Der Grundton dieser Reihe B allein genommen gab ein sehr dumpfes U, viel dumpfer, als es die Sprache hervorbringen kann. Der Klang wurde dem TJ \u00e4hnlicher, wenn man den zweiten und dritten Partialton b und f schwach mitt\u00f6nen liess. Ein sehr sch\u00f6nes 0 liess sich hervorbringen, wenn man V stark angab, daneben schw\u00e4cher b, f und d\". Dabei musste der Grundton B etwas ged\u00e4mpft werden. Wenn ich dann pl\u00f6tzlich die Stellung der Klappen vor den Resonanzr\u00f6hren \u00e4nderte, so dass B ganz stark, die Obert\u00f6ne alle aber schwach wurden, so sprach der Apparat sehr gut und deutlich hinter dem 0 ein U.\nA oder vielmehr A erhielt ich, indem ich namentlich die h\u00f6chsten T\u00f6ne der Reihe vom f\u00fcnften zum achten m\u00f6glichst hervortreten liess, die unteren schw\u00e4chte.","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"K\u00fcnstliche Vocale.\t189\nDie Vocale der zweiten und dritten Reihe, welche noch h\u00f6here charakteristische T\u00f6ne haben, Hessen sich nur sehr unvollst\u00e4ndig nachbilden durch das Hervortreten ihrer tieferen Verst\u00e4rkungst\u00f6ne. Sie waren dann zwar nicht an sich selbst deutlich, aber wenigstens im Gegens\u00e4tze zu U und 0, wenn man sie mit diesen wechseln Hess. So gab es ein ertr\u00e4glich deutliches \u00c4, wenn ich haupts\u00e4chlich den vierten und f\u00fcnften Ton stark hielt, die tieferen schwach, eine Art von E, wenn ich den dritten verst\u00e4rkte, alle anderen schwach hielt. Der Unterschied vom 0 lag bei diesen beiden Vocale# haupts\u00e4chlich darin, dass der Grundton und seine Octave heim \u00c4 und E viel* schw\u00e4cher sein mussten als beim 0*).\t-\nUm die Versuche auch auf die helleren Vocale ausdehnen zu ' k\u00f6rinen, habe ich sp\u00e4ter mir noch die Gabeln d'\", /'\", as'\", V\" anfertigen lassen, deren beide oberste aber schon sehr schwach t\u00f6nen, und als Grundton b statt des fr\u00fcheren tieferen Tons B gew\u00e4hlt. Mit diesen gelang es denn \u00c4 und A recht gut herzustellen, und\u00fc? wenigstens viel deutlicher als fr\u00fcher. Bis zu dem hohen charakteristischen Tone des I freilich konnte ich nicht hinaufreichen.\nIn dieser h\u00f6heren Gahelreihe gab nun der Grundton b allein genommen wieder U. Derselbe in m\u00e4ssiger St\u00e4rke angegeben und stark mit seiner Octave V, schw\u00e4cher mit der Duodecime /\" begleitet, giebt 0, dessen charakteristischer Ton eben b' ist. A erh\u00e4lt man, wenn man zu b zun\u00e4chst V und/\" m\u00e4ssig stark, dagegen b\" und d!\" als charakteristische T\u00f6ne kr\u00e4ftig t\u00f6nen l\u00e4sst. Um A in \u00c4 \u00fcberzuf\u00fchren muss mau V und/\", die Nachbarn des tieferen charakteristischen Tones d\" etwas verst\u00e4rken, b\" d\u00e4mpfen, dagegen d'\" und /\"' m\u00f6glichst hervortreten lassen. F\u00fcr E muss man die beiden tiefsten T\u00f6ne der Reihe b und V m\u00e4ssig stark halten, als Nachbarn des tieferen Verst\u00e4rkungstones/', und die h\u00f6chsten/\"', as\"', V\" m\u00f6glichst heraustreten lassen. Es ist mir aber bisher noch nicht so gut, wie mit den anderen Vocalen, gelungen, weil die hohen Gabeln zu schwach waren und die zun\u00e4chst oberhalb des charakteristischen Tones Hegenden Obert\u00f6ne, wie es scheint, nicht ganz fehlen d\u00fcrfen.\n*) Es sind nach diesen Angaben die in den M\u00fcnchener gelehrten Anzeigen, 20. Juni 1859, gemachten zu verbessern. Ich kannte damals noch nicht die hohen Obert\u00f6ne des E und I, und machte deshalb das 0 dumpfer als es sein muss, um es von dem unvollkommenen E zu scheiden.","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190 Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\nAehnlich wie die genannten Vocale der menschlichen Stimme lassen sich auch T\u00f6ne von, Orgelpfeifen verschiedener Register nachahmen, vorausgesetzt, dass sie nicht zu hohe Nebent\u00f6ne geben; doch fehlt den nachgeahmten T\u00f6nen das scharfe sausende Ger\u00e4usch, welches der an der.Lippe der Pfeife gebrochene Luft-strom giebt. Die Stimmgabeln sind eben darauf beschr\u00e4nkt, den rein musikalischen Theil des Klanges nachzuahmen. F\u00fcr dife Nachahmung der Zungeninstrumente fehlen die scharfen hohen Obert\u00f6ne, doch l\u00e4sst sich das n\u00e4selnde der Clarinette durch eine Reihe ungerader Obert\u00f6ne nachmachen, und dfte weicheren Kl\u00e4nge des Horns durch den vollen Chor s\u00e4mmtlicher Gabeln.\nWenn aber nun auch nicht die Nachahmung s\u00e4mmtlicher Kl\u00e4nge m\u00f6glich ist, so leistet der Apparat doch genug, um die wichtige Frage entscheiden zu k\u00f6nnen, , ob eine Ver\u00e4nderung der Phasenunterschiede die Klangfarbe \u00e4ndert. Diese Frage ist, wie ich schon im Anf\u00e4nge dieses Abschnittes hervorgehoben habe, f\u00fcr die Lehre von 'den Geh\u00f6rempfindungen von fundamentaler Wichtigkeit. Ich muss aber die mit der Physik nicht vertrauten Leset um Entschuldigung bitten, wenn ihnen die Auseinandersetzung der zu ihrer Entscheidung angestellten Versuche vielleicht schwierig und trocken erscheint.\nDie einfachste Art die Phasen der Nebent\u00f6ne zu \u00e4ndern besteht darin, dass man die Resonanzr\u00f6hren durch Verengerung ihrer M\u00fcndung etwas verstimmt, dadurch wird die Resonanz schw\u00e4cher, und gleichzeitig \u00e4ndert sich die Phase. Ist die Resonanzr\u00f6hre so abgestimmt, dass der Ton, welcher die st\u00e4rkste Resonanz in ihr erregt, mit dem Ton der zugeh\u00f6rigen Gabel genau zusammerif\u00e4llt, so f\u00e4llt der mathematischen Theorie gem\u00e4ss *) die gr\u00f6sste nach aussen gerichtete Geschwindigkeit der Luft in der M\u00fcndung der R\u00f6hre zusammen mit der gr\u00f6ssten nach innen gerichteten Geschwindigkeit der Gabelenden. Wird die R\u00f6hre dagegen etwas tiefer gestimmt, so tritt die gr\u00f6sste Geschwindigkeit der Luft etwas fr\u00fcher ein, und wird die R\u00f6hre h\u00f6her gemacht, so tritt sie sp\u00e4ter ein, als die gr\u00f6sste Geschwindigkeit der Gabel. Je mehr man die Stimmung \u00e4ndert, desto betr\u00e4chtlicher wird der Phasenunterschied, zuletzt wird er gleich einer Viertelschwingungsdauer. Die Gr\u00f6sse des Phasenunterschiedes h\u00e4ngt dabei genau zusammen mit der St\u00e4rke der Resonanz, so dass man nach der\n*) Siehe Beilage VIII.","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Die Klangfarbe unabh\u00e4ngig von den Phasen. 191\nSt\u00e4rke der Resonanz auch einigermassen die Gr\u00f6sse des Phasenunterschiedes sch\u00e4tzen kann. Wenn wir die St\u00e4rke des Schalles in der R\u00f6hre bei vollkommenem Einkl\u00e4nge der R\u00f6hre und der Gabel gleich 10 setzen, und die Dauer einer ganzen Schwingung, wie die Peripherie eines Kreises in 360 Grade eingetheilt denken, so wird die St\u00e4rke der Resonanz in folgender Weise von dem Phasenunterschiede ahh\u00e4ngen:\nSt\u00e4rke der Resonanz.\tPhasenunterschied in Winkelgraden.\n10\t0 \u00bb\n9\t35\u00bb 54'\n8\t50\u00bb 12'\n7\t60\u00b0 40'\n6\t68\u00bb 54'\n5\t75\u00bb 81'\n4\t80\u00bb 48'\n3\t84\u00bb 50'\n2\t87\u00bb 42'\n1\t89\u00bb 26'\nDaraus geht hervor, dass eine verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig kleine Schw\u00e4chung der Resonanz durch Ver\u00e4nderung der Stimmung betr\u00e4chtliche Phasenunterschiede hervorhringt, w\u00e4hrend bei gr\u00f6sserer Schw\u00e4chung die Phasen sich nur noch wenig ver\u00e4ndern. Dieser Umstand l\u00e4sst sich benutzen, um bei der Zusammensetzung ^der Vo-calkl\u00e4nge mittelst der Stimmgabeln alle m\u00f6glichen Ver\u00e4nderungen der Phasen hervorzubringen ; man braucht nur den Deckel vor die Resonanzr\u00f6hre so weit vortreten zu lassen, dass die St\u00e4rke des Tones merklich geschw\u00e4cht wird. Wenn man das Verh\u00e4ltniss, in welchem diese St\u00e4rke ahgenommen hat, ungef\u00e4hr zu beurtheilen weiss, findet man aus der oben gegebenen Tafel den Phasenunterschied. Auf diese Weise kann man die Schwingungen des betreffenden Tones um jede Gr\u00f6sse bis zu einer Viertelschwingungsdauer ver\u00e4ndern. Aenderung der Phasen um eine halbe Schwingungsdauer erreicht man dadurch, dass man den elektrischen Strom in dem Elektromagneten der betreffenden Gabel in entgegengesetz-","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192 Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\nter Richtung gehen l\u00e4sst. Die Enden der Gabel werden dann von dem Elektromagneten abgestossen, w\u00e4hrend der Strom durchgeht, anstatt angezogen zu werden, und die Bewegung der Gabel wird gerade die entgegengesetzte als vorher. Man darf aber eine solche Erregung der Gabel durch abstossende Str\u00f6me nicht zu lange fortsetzen, weil sonst allm\u00e4lig der Magnetismus der Gabel geschw\u00e4cht wird, w\u00e4hrend die anziehenden Str\u00f6me ihn verst\u00e4rken oder auf seinem Maximum erhalten. Es ist bekannt, dass der Magnetismus von Eisenmassen, welche in starke Ersch\u00fctterung versetzt sind,, sich leicht ver\u00e4ndert.\nHat man auf diese Weise einen Klang zusammengesetzt, in welchem durch halbe Oeffnung einiger Resonanzr\u00f6hren die entsprechenden T\u00f6ne geschw\u00e4cht und ihrer Phase nach ge\u00e4ndert sind, so kann man denselben Klang zusammensetzen mit derselben Schw\u00e4chung der betreffenden Theilt\u00f6ne, aber ohne Phasen\u00e4nderung, wenn man die Resonanzr\u00f6hren ganz \u00f6ffnet, aber von den schwingenden Gabeln etwas zur\u00fcckzieht, bis ihr Ton so weit als n\u00f6thig abgeschw\u00e4cht ist.\nL\u00e4sst man z. B. neben einander die Gabel B und b t\u00f6nen, zuerst hei vollst\u00e4ndig ge\u00f6ffneten Resonanzr\u00f6hren und vollem Einkl\u00e4nge, so werden sie ihre Schwingungen so ausf\u00fchren, dass in den Luftwellen der Fig. 31 A und B S. 183 die Punkte e und d0 zusammenfallen, und in entfernteren Th eilen des Zimmers die zusammengesetzte Schwingungscurve G den Luftschwingungen entspricht. Nun kann man den Punkt e der Curve B auch mit Punkten zwischen d0 und d2 der Curve A zusammenfallen lassen, indem man die Resonanzr\u00f6hre der Gabel B mehr und mehr schliesst. Soll e auf di fallen, so muss die Tonst\u00e4rke von B etwa 3/4 von der Tonst\u00e4rke desselben Tons hei offener R\u00f6hre werden. Andererseits kann man den Punkt e mit d4 zusammenfallen lassen, indem man den elektrischen Strom in einem der Elektromagneten umkehrt und die Resonanzr\u00f6hren vollst\u00e4ndig \u00f6ffnet. Endlich kann man wieder durch unvollst\u00e4ndige Oeffnung der R\u00f6hre B den Punkt e gegen \u00f4 hin wandern lassen. Andererseits kann man auch e, wenn es entweder mit d0 (oder was dem gleich ist mit S) oder mit ff4 zusammenf\u00e4llt, durch unvollst\u00e4ndige Oeffnung der R\u00f6hre b r\u00fcckw\u00e4rts von d gegen dx oder von rf4 bis d3 wandern lassen. Die Verh\u00e4ltnisse der Tonst\u00e4rken lassen sich in allen diesen F\u00e4llen dadurch ausgleichen, ohne die Phasen zu ver\u00e4ndern,","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"Die Klangfarbe unabh\u00e4ngig von den Phasen. 193\ndass man die eine oder andere R\u00f6hre von ihrer Gabel entfernt, ohne die Weite der Oeffnung zu ver\u00e4ndern.\nIn der beschriebenen Weise lassen sich also alle m\u00f6glichen Phasenunterschiede zwischen je zwei R\u00f6hren hervorbringen. Dasselbe Verfahren kann nat\u00fcrlich auch f\u00fcr jede beliebige Zahl von R\u00f6hren angewendet werden. Ich habe in dieser Weise mannigfache Combinationen der T\u00f6ne mit verschiedenen Phasenunterschieden versucht, aber niemals gefunden, dass sich die Klangfarbe im geringsten dabei ver\u00e4nderte. Es war f\u00fcr den Klang immer vollst\u00e4ndig gleichg\u00fcltig, ob ich einzelne Partialt\u00f6ne durch unvollst\u00e4ndige Oeffnung der R\u00f6hren, oder durch deren Entfernung von den Stimmgabeln abschw\u00e4chte, wodurch also die von uns aufgestellte Frage dahin entschieden wird, dass die Klangfarbe des musikalischen Theiles eines Klanges nur abh\u00e4ngt von der Zahl und St\u00e4rke der Theilt\u00f6ne, nicht von ihren Phas enunterschied en.\nDie bisherige Beweisf\u00fchrung f\u00fcr die Unabh\u00e4ngigkeit der Klangfarbe von den Phasenunterschieden ist experimentell am leichtesten auszuf\u00fchren, aber ihre Beweiskraft beruht nur auf der theoretischen Einsicht, dass die Phasen gleichzeitig mit der St\u00e4rke des Tones ver\u00e4ndert werden, und diese Einsicht kann nur durch die mathematische Theorie gegeben werden. Wir k\u00f6nnen die Luftschwingungen nicht unmittelbar sichtbar machen. Mit einer kleinen Ab\u00e4nderung l\u00e4sst sich der Versuch indessen auch so ausf\u00fchren, dass wir die ver\u00e4nderten Phasen unmittelbar sichtbar machen, wenn wir n\u00e4mlich die Stimmgabeln, aber nicht die Resonanzr\u00f6hren verstimmen; dies l\u00e4sst sich durch aufgesetzte Wachskl\u00fcmpchen leicht bewirken. F\u00fcr die Phasen einer Stimmgabel, welche unter dem Einfluss elektrischer Str\u00f6me schwingt, gilt n\u00e4mlich dasselbe Gesetz, wie f\u00fcr die Resonanzr\u00f6hren. Die Phase ver\u00e4ndert sich allm\u00e4lig um eine Viertelschwingungsdauer, wenn durch Verstimmung der Gabel deren Tonst\u00e4rke allm\u00e4lig vom Maximum auf Null gebracht wird. Die Phase der Luftbewegung beh\u00e4lt immer dieselbe Beziehung zu der Phase der Stimmgabelschwingung, da die Tonh\u00f6he, welche durch die Zahl der elektrischen Entladungen bestimmt wird, bei der Ver\u00e4nderung der Gabel nicht mit ver\u00e4ndert wird. Diese Ver\u00e4nderung der Phase der Gabel kann direct beobachtet werden mittelst des Vibrationsmikroskops von Lissajou, welches schon oben beschrieben und in Fig. 22 auf Seite 138 abgebildet worden ist. Man stellt die Zinken der Ga-\nHelmholtz, phys. Theorie <ler Musik.\t13","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194 Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\nbei und das Mikroskop dieses Instruments horizontal auf, die zu untersuchende Gabel vertical, pulvert auf das obere Ende' von einer ihrer Zinken etwas St\u00e4rkmehl, stellt das Mikroskop auf eines der St\u00e4rkmehlk\u00f6rnchen ein, und erregt beide Gabeln durch die elektrischen Str\u00f6me der Unterbrechungsgabel, Fig.' 33. Die Gabel des Instruments von Lis-sajou ist im Einkl\u00e4nge mit der Unterbrechungsgabel. Das Amylumk\u00f6rnchen schwingt selbst in einer horizontalen Linie, das Objectivglas des Mikroskops vertical, und so entstehen durch die Zusammensetzung beider Bewegungen Curven, wie bei den fr\u00fcher beschriebenen Beobachtungen an den Saiten der Violine.\nIst die beobachtete Gabel ebenfalls im Einklang mit der Unterbrechungsgabel, so ist die Curve eine schr\u00e4ge gerade Linie, Fig. 34 (1), wenn beide Gabeln gleichzeitig durch ihre Gleichge-\nFig. 34.\nwichtslage gehen; die gerade Linie geht durch eine langgestreckte schr\u00e4g liegende Ellipse (2, 3) in einen Kreis oder senkrechte Ellipse (4) \u00fcber, wenn der Phasenunterschied bis zu 1/i Schwingungsdauer steigt; dann durch eine anders gerichtete Ellipse (5, 6) in eine eben solche gerade Linie (7), wenn der Unterschied bis auf eine halbe Schwingungsdauer vergr\u00f6ssert wird.\nIst die zweite Gabel die h\u00f6here Octave der Unterbrechungsgabel, so stellen die Curven Fig. 35 1, 2, 3, 4, 5 die Reihe der Formen dar, wobei 3 wieder dem Falle entspricht, wo beide Ga-\nFig. 35.\nbeln gleichzeitig durch die Gleichgewichtslage gehen, 2 und 4 sind um V12, 1 und 5 um */4 Undulation der h\u00f6heren Gabel davon\u00bb unterschieden.\nWenn man zun\u00e4chst die Gabeln mit der Unterbrechungsgabel'","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"Die Klangfarbe unabh\u00e4ngig von den Phasen. 195\nin m\u00f6glichst genauen Einklang bringt, so dass beide ihre st\u00e4rkste Vibration geben, und dann durch aufgelegtes oder abgenommenes Wachs ihre Stimmung ein wenig ver\u00e4ndert, so siebt man auch gleichzeitig in dem mikroskopischen Bilde die eine Figur in die andere \u00fcbergehen, und man kann sich so sehr leicht von der Richtigkeit des angef\u00fchrten Gesetzes \u00fcberzeugen. Die Versuche \u00fcber die Klangfarbe werden nachher so ausgef\u00fchrt, dass man zuerst alle Gabeln m\u00f6glichst genau auf die harmonischen Obert\u00f6ne der Unterbrechungsgabel abstimmt, und durch Entfernung der Resonanzr\u00f6hren von den Gabeln die gew\u00fcnschten Verh\u00e4ltnisse der St\u00e4rke hervorhringt, dann die Gabel durch aufgelegte Wachskl\u00fcmpchen beliebig verstimmt. Die Gr\u00f6sse der Wachskl\u00fcmpchen kann man vorher bei den mikroskopischen Beobachtungen so reguliren, dass sie einen Phasenunterschied von verlangter Gr\u00f6sse hervorhringen. Dadurch werden die Schwingungen der Gabeln gleichzeitig aber auch schw\u00e4cher, und man muss deshalb die St\u00e4rke der T\u00f6ne durch N\u00e4herung oder Entfernung der Resonanzr\u00f6hren wieder der fr\u00fcheren gleich machen.\nDas Resultat ist hei diesen Versuchen, wo die Gabeln verstimmt werden, wieder dasselbe, wie bei der Verstimmung der Resonanzr\u00f6hren, es ist keine Ver\u00e4nderung der Klangfarbe wahrzunehmen, wenigstens keine solche, welche deutlich genug w\u00e4re, dass man sie nach der kleinen Zeit von einigen Secunden, die man zur Um\u00e4nderung des Apparats gebraucht, noch erkennen k\u00f6nnte, jedenfalls also keine solche Ver\u00e4nderung der Klangfarbe, wodurch ein Vocal in einen anderen verwandelt w\u00fcrde.\nEine scheinbare Ausnahme von dieser Regel muss hier erw\u00e4hnt werden. Wenn man die Gabeln \u00a3 und b nicht ganz rein stimmt, und durch' Streichen oder Anschl\u00e4gen in Schwingung bringt, so h\u00f6rt ein aufmerksames Ohr ganz schwache Schwebungen, die als kleine Ver\u00e4nderungen der Tonst\u00e4rke und der Klangfarbe erscheinen. Diese Schwebungen h\u00e4ngen allerdings damit zusammen, dass die schwingenden Gabeln nach einander in verschiedene Phasenunterschiede gelangen. Ihre Erkl\u00e4rung wird bei den Com-binationst\u00f6nen gegeben werden, und es wird sich dort zeigen, dass auch diese kleinen Ver\u00e4nderungen der Klangfarbe auf Ver\u00e4nderungen der Tonst\u00e4rke eines der T\u00f6ne zur\u00fcckgef\u00fchrt werden k\u00f6nnen.\nWir k\u00f6nnen demnach das wichtige Gesetz aufstellen, dass die Unterschiede der musikalischen Klangfarbe nur ab-h\u00e4ngen von der Anwesenheit und St\u00e4rke der Partial-\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196 Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\nt\u00f6ne, nicht von ihren Phasenunterschieden. Es ist hier wohl zu bemerken, dass nur von der musikalischen Klangfarbe, wie wir diese oben definirt haben, die Rede ist. Wenn unmusikalische Ger\u00e4usche mit dem Klange verbunden sind, Knarren, Kratzen, Sau^ sen, Zischen, so k\u00f6nnen wir diese entweder gar nicht als regelm\u00e4ssig periodische Bewegungen betrachten, oder sie entsprechen sehr hohen, dicht neben einander liegenden und mit einander scharf dissonirenden Obert\u00f6nen. Auf letztere konnten wir unsere Versuche nicht ausdehnen, und wir werden es deshalb vorl\u00e4ufig zweifelhaft lassen m\u00fcssen, ob bei dergleichen dissonirenden T\u00f6nen Phasenunterschiede in Betracht kommen. Sp\u00e4tere theoretische Betrachtungen werden es wahrscheinlich machen, dass dies wirklich der Fall ist.\nWir gehen jetzt dazu \u00fcber, die Rolle, welche das Ohr bei der Wahrnehmung der Klangfarben spielt, n\u00e4her zu besprechen. Die \u00e4ltere Voraussetzung \u00fcber die Leistungen des Ohres ist, dass daa Ohr sowohl die F\u00e4higkeit habe, die Zahl der Schwingungen eines Klanges zu unterscheiden und danach die H\u00f6he des Tones zu bestimmen, als auch die Form der Schwingungen, von welcher letzteren die Verschiedenheit der Klangfarbe abh\u00e4nge. Die letztere Behauptung gr\u00fcndete sich nur auf Schl\u00fcsse, welche auf die Exclusion der anderen m\u00f6glichen Annahmen gegr\u00fcndet waren. Da nachgewiesen werden konnte, dass gleiche H\u00f6he zweier T\u00f6ne durchaus gleiche Zahl der Schwingungen erfordere, da ferner die St\u00e4rke des Tones sichtlich von der St\u00e4rke der Schwingungen abhing, so musste die Klangfarbe von etwas anderem als von der Zahl und St\u00e4rke der Schwingungen abh\u00e4ngen. Es blieb nur die Form der Schwingungen. Wir k\u00f6nnen nun diese Ansicht noch genauer bestimmen. Die zuletzt beschriebenen Versuche ergaben, dass Wellen von sehr verschiedener Form (z. B. Fig. 31 CD, Fig. 12 G und D) gleiche Klangfarbe haben k\u00f6nnen, und zwar existiren in jedem Falle (den einfachen Ton ausgenommen) unendlich viele verschiedene Wellenformen dieser Art, da jede Aenderung des Phasenunterschiedes die Form ver\u00e4ndert, ohne den Klang zu \u00e4ndern. Entscheidend ist nur, ob die Luftschwingungen, welche das Ohr treffen, wenn sie in eine Summe einfacher pendelartiger Schwingungen zerlegt gedacht werden, die gleichen einfachen Schwingungen in gleicher St\u00e4rke geben.\nDas Ohr unterscheidet also nicht die verschiedene Form der Wellen an sich genommen, wie das Auge Bilder der verschiedenen","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"Mitschwingende Theile im Ohre.\t197\nSchwingungsformell unterscheiden kann; das Ohr zerlegt vielmehr die Wellenformen nach einem bestimmten Gesetze in einfachere Bestandtheile, es empfindet diese einfachen Bestandtheile einzeln als harmonische T\u00f6ne; es kann sie bei geh\u00f6rig geschulter Aufmerksamkeit einzeln zum Bewusstsein bringen, und es unterscheidet als verschiedene Klangfarben nur verschiedene Zusammensetzungen aus diesen einfachen Empfindungen.\nLehrreich ist in dieser Beziehung die Vergleichung zwischen Auge und Ohr. Wenn dem Auge die schwingende Bewegung sichtbar gemacht wird, z. B. durch das Vibrationsmikroskop, so ist es im Stande, alle verschiedenen Formen von Schwingungen von einander zu unterscheiden, auch solche, welche das Ohr nicht \u00fcnterscheiden kann. Aber das Auge ist nicht im Stande, unmittelbar die Zerlegung der Schwingungen in einfache Schwingungen auszuf\u00fchren, wie es das Ohr thut. Das Auge, mit dem genannten Instrumente bewaffnet, unterscheidet also wirklich die Form der Schwingung als solche, und unterscheidet alle verschiedenen Formen der Schwingung, das Ohr dagegen unterscheidet nicht alle verschiedenen Schwingungsformen, sondern nur solche, welche, in pendelartige Schwingungen zerlegt, verschiedene Bestandtheile ergeben, aber indem es eben diese Bestandtheile einzeln unterscheidet und empfindet, ist es dem Auge, welches dies nicht kann, wieder \u00fcberlegen.\nEs ist diese Zerlegung der Schwingungen in einfache pendelartige eine sehr auffallende Eigenschaft des Ohres. Der Leser muss sich wohl daran erinnern, dass wenn wir die Schwingungen, welche ein einzelnes musikalisches Instrument hervorbringt, zusammengesetzte genannt haben, diese Zusammensetzung zun\u00e4chst eben nur f\u00fcr unsere Wahrnehmung durch das Ohr existirt, oder f\u00fcr die mathematische Theorie, w\u00e4hrend in Wirklichkeit die Bewegung der Lufttheilchen keine zusammengesetzte, sondern eine einfache ist, verursacht durch eine einzige Ursache. Wenn wir uns nun in der Natur nach Analogien f\u00fcr eine solche Zerlegung periodischer Bewegungen in einfache umsehen, so finden wir keine andere Analogie als die Erscheinungen des Mitschwingens. In der That, denken wir uns den D\u00e4mpfer eines Claviers gehoben, und lassen irgend einen Klang kr\u00e4ftig gegen den Resonanzboden wirken, so bringen wir eine Reihe von Saiten in Mitschwingung, n\u00e4mlich alle die Saiten und nur die Saiten, welche (ten einfachen T\u00f6nen entsprechen, die in dem angegebenen Klange","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198 Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\nenthalten sind. Hier tritt also auf rein mechanischem Wege eine \u00e4hnliche Trennung der Luftwellen ein wie durch das Ohr, indem die an sich einfache Luftwelle eine gewisse Anzahl von Saiten in Mitschwingung bringt, und indem das Mitschwingen dieser Saiten von demselben Gesetze abh\u00e4ngt, wie die Empfindung der harmonischen Obert\u00f6ne im Ohre.\nEin gewisser Unterschied zwischen beiden Apparaten beruht nur darin, dass die Claviersaiten auch ziemlich leicht in ihren Obert\u00f6nen mitschwingen, wobei sie in mehrere schwingende Abtheilungen zerfallen. Wir wollen von diesem Umstande bei unserem Vergleich absehen. Uebrigens w\u00e4re es m\u00f6glich, ein Instrument herzustellen, dessen Saiten nur auf ihren Grundton merklich und stark mitschwingen, wenn man n\u00e4mlich die Saiten in ihrer Mitte mit Gewichtchen belasten wollte, wodurch die h\u00f6heren T\u00f6ne der Saiten unharmonisch zu ihrem Grundtone werden w\u00fcrden.\nK\u00f6nnten wir nun jede Saite eines Claviers mit einer Nervenfaser so verbinden, dass die Nervenfaser erregt w\u00fcrde und em-pi\u00e4nde, so oft die Saite in Bewegung geriethe, so w\u00fcrde in der That genau so, wie es im Ohre wirklich der Fall ist, jeder Klang, der das Instrument trifft, eine Reihe von Empfindungen erregen, genau entsprechend den pendelartigen Schwingungen, in welche die urspr\u00fcngliche Luftbewegung zu zerlegen w\u00e4re, und somit w\u00fcrde die Existenz jedes einzelnen Obertones genau ebenso wahrgenommen werden, wie es vom Ohre wirklich geschieht. Die Empfindungen verschieden hoher T\u00f6ne w\u00fcrden unter diesen Umst\u00e4nden verschiedenen Nervenfasern zufallen, und daher ganz getrennt und unabh\u00e4ngig von einander zu Stande kommen.\nNun lassen in der That die neueren Entdeckungen der Mi-kroskopiker \u00fcber den inneren Bau des Ohres die Annahme zu, dass im Ohre \u00e4hnliche Einrichtungen vorhanden seien, wie wir sie uns eben erdacht haben. Es findet sich n\u00e4mlich das Ende jeder Nervenfaser des Geh\u00f6rnerven verbunden mit kleinen elastischen Theilen , von denen wir annehmen m\u00fcssen, dass sie durch die Schallwellen in Mitschwingung versetzt werden.\nDer Bau des Ohres l\u00e4sst sich kurz in folgender Weise beschreiben. Die zarten Enden der Nervenfasern des Geh\u00f6rnerven befinden sich ausgebreitet auf feinen Membranen in einer mit Wasser gef\u00fcllten H\u00f6hle, welche wegen ihrer verwickelten Form das Labyrinth des Ohres genannt wird. Um die Schwingungen der Luft hinreichend kr\u00e4ftig auf das Wasser des Labyrinths zu","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"Mitschwingende Theile hn Ohre.\n199\n\u00fcbertragen, dazu dient ein zweiter Tlieil des Ohres, n\u00e4mlich die Paukenh\u00f6hle mit den darin liegenden Theilen. Fig. 36 zeigt in nat\u00fcrlicher Gr\u00f6sse einen schematischen Durchschnitt der zum\nFig. 36.\nR\nGeh\u00f6rorgan geh\u00f6rigen H\u00f6hlen. A ist das Labyrinth, BB die Paukenh\u00f6hle, _D der trichterf\u00f6rmige Eingang in den \u00e4usseren Geh\u00f6rgang, der in seiner Mitte am engsten ist, gegen das innere Ende hin sich wieder etwas erweitert. Das innere Ende des aus einer theils knorpeligen, theils kn\u00f6chernen R\u00f6hre gebildeten \u00e4usseren Geh\u00f6rganges ist von der Paukenh\u00f6hle B getrennt durch eine kreisrunde d\u00fcnne Membran, das Trommelfell (Paukenfell) cc, welche in einem kn\u00f6chernen Ringe ziemlich schlalf ausgespannt ist. Die Paukenh\u00f6hle B liegt zwischen dem \u00e4usseren Geh\u00f6rgange und dem Labyrinth. Von dem letzteren ist sie durch kn\u00f6cherne W\u00e4nde getrennt, in denen nur zwei durch Membranen verschlossene Oeffnungen bleiben, die beiden sogenannten Fenster des Labyrinths, von denen das obere oder ovale Fenster, o, Fig. 36, mit dem einen Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen, dem Steigb\u00fcgel verbunden ist. Das untere oder runde Fenster r ist ohne Verbindung mit den Kn\u00f6chelchen.\nVom \u00e4usseren Geh\u00f6rgange und dem Labyrinthe ist also die Paukenh\u00f6hle \u00fcberall abgeschlossen, dagegen hat sie einen freien Eingang vom oberen Theile der Schlundh\u00f6hle aus, die sogenannte Eustachische Trompete oder Tuba E, sogenannt, weil ihre gegen den Schlund gekehrte Oeffnung wie das Ende einer Trompete erweitert ist, w\u00e4hrend die Mitte der R\u00f6hre sehr eng ist. Das in die Paukenh\u00f6hle \u00fcbergehende Ende der Tuba ist aus Knochen gebildet, das gegen den Schlund gekehrte erweiterte Ende dagegen","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200 Erste Abtheiluiig. Sechster Abschnitt.\naus einer d\u00fcnnen biegsamen Knorpelplatte, welche l\u00e4ngs der oberen Seite gespalten ist. Die R\u00e4nder der Spalte sind durch eine sehnige Membran geschlossen. Man kann durch die Tuba Luft in die Trommelh\u00f6hle eintreiben oder herausziehen, wenn man Nase und Mund verschliesst, und die Luft im Munde entweder zusammenpresst oder durch Saugen verd\u00fcnnt. Sowie die Luft in die Trommelh\u00f6hle eintritt oder austritt, f\u00fchlt man ein pl\u00f6tzliches Rucken im Ohr und h\u00f6rt ein Knacken. Dabei wird man bemerken, dass die Luft nur in solchen Augenblicken vom Schlunde in das Ohr oder vom Ohre in den Schlund tritt, wo man eine Schlingbewegung macht. Ist die Luft in das Ohr eingodrun-gen, so bleibt sie darin, auch wenn man nun Mund und Nase wieder \u00f6ffnet, bis man eine Schlingbewegung macht. Bei letzterer tritt sie aus, was sich dadurch zu erkennen giebt, dass ein neues Knacken eintritt, und das Gef\u00fchl der Spannung im Trommelfell, was so lange bestand, nun aufh\u00f6rt. Es folgt aus diesen Versuchen, dass die Tuba f\u00fcr gew\u00f6hnlich gar nicht offen ist, sondern nur beim Schlingen ge\u00f6ffnet wird, was sich dadurch erkl\u00e4rt, dass die Muskeln, die das Gaumensegel heben und beim Schlingen in Th\u00e4tigkeit gesetzt werden, zum Theil von dem knorpeligen Ende der Tuba entspringen. F\u00fcr gew\u00f6hnlich ist also die Paukenh\u00f6hle ganz geschlossen, mit Luft gef\u00fcllt, und der Druck dieser Luft bleibt dem der atmosph\u00e4rischen Luft gleich, da er von Zeit zu Zeit w\u00e4hrend der Schlingbewegungen Gelegenheit hat, sich mit diesem auszugleichen.\nDie Luft der Paukenh\u00f6hle ist an zwei Stellen vom Wasser des Labyrinths ebenfalls nur durch d\u00fcnne gespannte Membranen getrennt. Die durch diese Membranen geschlossenen Oeffnuugen heissen das ovale (o Fig. 36) und das runde Fenster (r) des Beide Membranen sind auf ihrer \u00e4usseren Seite mit der Luft der Trommelh\u00f6hle, auf der inneren mit dem Wasser des Labyrinths in Ber\u00fchrung; die des runden Fensters ist ganz frei, die des ovalen Fensters dagegen mittelst einer Reihe von drei durch Gelenke verbundenen Kn\u00f6chelchen, Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen, mit dem Trommelfell verbunden. Fig. 37 zeigt die drei Kn\u00f6chelchen einzeln in nat\u00fcrlicher Gr\u00f6sse, m den Hammer, o den Steigb\u00fcgel, l ist ein kleines in das Gelenk zwischen Amboss und Steigb\u00fcgel eingeschobenesL insenbei neben.\nLabyrinths. Fig. 37.\n\u00abSs\nden Amboss, t","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"201\nMitschwingende Theile im Ohre.\nFig. 38 dagegen zeigt die innere Seite des Trommelfells in ihrer nat\u00fcrlichen Verbindung mit den beiden ersten Kn\u00f6chelchen, dem\nHammer und dem Amboss. Am Hammer unterscheidet man den Stiel a, den Kopf b und den langen Fortsatz c. Der b Stiel ist fest mit dem Trommelfell verbun-^ den, so dass das Ende des Stieles im Mit-a telpunkte dieser Membran liegt und dieselbe trichterf\u00f6rmig nach innen zieht. Der Kopf (b Fig. 38) des Hammers ist durch ein ziemlich straffes Gelenk mit dem Amboss verbunden. Der lange Fortsatz c ist ein elastisches Knochenblatt, welches nach vorn gerichtet in einer Spalte des Felsenbeins steckt, die in der Abbildung als aufgebrochen gedacht ist. Die Stelle des Hammers, wo Stiel und Kopf sich verbinden, tr\u00e4gt noch einen kurzen gegen den Rand des Trommelfells gerichteten Vorsprung, der durch eine straffe Selmenverbindung hier festgelieftet ist. Der Amboss / bat ungef\u00e4hr die Gestalt eines Backenzahns mit zwei Wurzeln d und e. Die Kaufl\u00e4che dieses Zahnes bildet das Gelenk mit dem Hammer, die eine l\u00e4ngere Wurzel e (lange Fortsatz des Amboss) liegt frei im Inneren der Paukenh\u00f6hle, dem Stiele des Hammers nahehin parallel. Die zweite k\u00fcrzerze Wurzel d (kurze Fortsatz des Amboss) sieht horizontal nach hinten und ihr Ende ist an die hintere Wand der Trommelh\u00f6hle straff angeheftet. Hammer und Amboss sind mit einander ziemlich straff verbunden, und gegen einander wenig beweglich; dagegen k\u00f6nnen sie sich beide zusammen leicht um eine von c nach d gehende Axe drehen, wobei der lange Fortsatz des Hammers c und das Ende des kurzen F\u2019ortsatzes des Amboss d, welche beide an den Knochen angeheftet sind, die Enden der Drehungsaxe bestimmen. Bei einer solchen Drehung bewegt sich die in der Mitte des Trommelfelles befestigte Spitze des Hammerstieles entweder nach innen oder nach aussen, und der lange Fortsatz des Amboss ebenso.\nDas dritte Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen, der Steigb\u00fcgel, ist in der Form einem solchen vollst\u00e4ndig \u00e4hnlich (Fig. 38, ab). Die Basis des Steigb\u00fcgels a ist eine elliptische Knochenplatte, welche mit der Membran des ovalen F'ensters verwachsen ist. Der B\u00fcgel b tr\u00e4gt in seiner Mitte ein Kn\u00f6pfchen, welches mit dem Ende des langen Fortsatzes, des Amboss, durch ein Gelenk verbunden ist. Die Stellung der drei Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen zu einander ist in Fig. 39","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202 Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\ndargestellt (rechte Ohr von vorn gesehen). Das Trommelfell a a ist durch die Spitze des Hammerstiels b nach innen gezogen;\nFig. 39. c ist der Kopf des Hammers, d der lange Fortsatz des Amboss, e die Basis des Steigb\u00fcgels im ovalen Fenster. Letztere f\u00fcllt das Fenster fast ganz aus, so dass nur ein sehr schmaler Saum der Membran ringsum frei bleibt. Wenn Luft in den Geh\u00f6rgang eingetrieben wird, welche das Trommelfell nach innen presst, so wird dadurch auch der Stiel des Hammers nach innen getrieben. Hammer und Amboss zusammen f\u00fchren die vorher beschriebene Drehbewegung um ihre gemeinschaftliche Axe aus. Der lange Fortsatz des Amboss r\u00fcckt deshalb ebenfalls nach innen, und treibt den Steigb\u00fcgel in das ovale Fenster ein. Dass die Bewegung der Kn\u00f6chelchen wirklich in der beschriebenen Weise von Statten geht, davon kann man sich an anatomischen Pr\u00e4paraten des Ohres vollst\u00e4ndig \u00fcherzeugen, wenn man die H\u00f6hlen \u00f6ffnet, ohne die Verbindungen der Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen zu verletzen, und durch eine in den \u00e4usseren Geh\u00f6rgang gesetzte R\u00f6hre in diesen und gegen das Trommelfell Luft bald eintreibt, bald sie herauszieht, um dadurch den wechselnden Luftdruck der anschlagenden Schallwellen nachzuahmen. Die Beweglichkeit des Steigb\u00fcgels ist sehr gering, weil seine Basis durch einen sehr schmalen membran\u00f6sen Saum in das ovale Fenster eingeheftet ist. Die Beweglichkeit des Trommelfells und des Hammers ist viel gr\u00f6sser. Dadurch dass sich der Amboss gegen den Hammer verschieben kann, wird die Bewegung des Trommelfells einigermassen unabh\u00e4ngig von der des ovalen Fensters. Aber die Verschiebung des Amboss gegen den Hammer ist nicht frei, sie geschieht immer nur mit Dehnung der Gelenkb\u00e4nder, und es ist deshalb wohl anzunehmen, dass bei den schnellen Schallschwingungen Hammer und Amboss als unbeweglich verbunden angesehen werden k\u00f6nnen, w\u00e4hrend ihre Beweglichkeit doch gen\u00fcgt, dass das Trommelfell bei Aenderungen des Luftdrucks in der Paukenh\u00f6hle seine Stellung \u00e4ndern kann, ohne die Membran des ovalen Fensters zu zerreissen.\nDurch diese Einrichtung werden die Schallbewegungen der Luft mit hinreichender Intensit\u00e4t auf das Wasser des Labyrinths","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Mitschwingende Theile im Ohre.\t203\n\u00fcbertragen. Eine gespannte Membran wird von den Luftwellen leicht in Ersch\u00fctterung versetzt, am leichtesten, wenn sie auf beiden Seiten mit Luft in Ber\u00fchrung ist, aber auch, wenn sie auf einer Seite mit Luft und auf der andern mit Wasser in Ber\u00fchrung ist. Das letztere ist der Fall mit den Membranen des runden und ovalen Fensters. Diese sind an sich schon geeignet, die Ersch\u00fctterungen der Luft auf das Labyrinthwasser zu \u00fcbertragen, und das Geh\u00f6r besteht deshalb auch fort, freilich merklich geschw\u00e4cht, wenn der Apparat der Paukenh\u00f6hle besch\u00e4digt ist, z. B. das Trommelfell durchbohrt ist, oder die Gelenkverbindung zwischen Amboss und Steigb\u00fcgel zerrissen ist. Viel besser scheint nach den Versuchen von Johannes M\u00fcller die Ueber-tragung mittelst einer Membran zu geschehen, die auf beiden Seiten mit Luft in Ber\u00fchrung ist, wie das Trommelfell. Dazu kommt nun, dass das Trommelfell, verglichen mit der Membran des ovalen Fensters, eine verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig grosse Oberfl\u00e4che hat, auf welche die Schallwellen des Geh\u00f6rgangs einwirken, und dass durch die Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen diese Wirkung auf die kleine Fl\u00e4che der Steigb\u00fcgelbasis concentrirt und \u00fcbertragen wird.\nWir gehen jetzt zur Beschreibung des Labyrinths \u00fcber, des innersten Tlieils des Geh\u00f6rorgans, in welchem sich die Nerven ausbreiten. Dasselbe ist eine vollst\u00e4ndig geschlossene, mit Wasser angef\u00fcllte H\u00f6hle. Mit Ausnahme der beiden Fenster ist diese H\u00f6hle ganz von kn\u00f6chernen W\u00e4nden begrenzt, indem sie eine Aush\u00f6hlung in der besonders festen und dichten Knochenmasse des Felsenbeines bildet. Eine schematische Darstellung giebtFig. 40, eine perspectivische dagegen Fig. 41 (a. f. S.), in wel-\nFig. 40.\neher die H\u00f6hlung halb aufgebrochen dargestellt ist. In ersterer ist der Zusammenhang der Theile deutlicher. Man unterscheidet zwei Haupttheile des Labyrinths, den Vorhof A mit den Bogeng\u00e4ngen B und die Schnecke C. Das ovale Fenster, in welchem der Steig-","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204 Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\nb\u00fcgel steht, ist mit \u00ab, das runde mit b bezeichnet; die dunkel schraffirten Theile bezeichnen die umgebende Knochenmasse des Felsenbeines. Der Vorhof A ist eine rundliche Aush\u00f6hlung, die durch die Membran des ovalen Fensters a von der Trommelh\u00f6hle getrennt ist. Von ihr aus gehen drei Bogeng\u00e4nge, von denen nur einer (B) in der Figur 40 gezeichnet ist. Die drei liegen in drei auf einander rechtwinkeligen Ebenen, wie Fig. 41 zeigt.\nFig. 41.\nJeder dieser Bogeng\u00e4nge ist ein gekr\u00fcmmter cylindrisclier Gang, dessen beide Enden in den Vorhof einm\u00fcnden. Das eine Ende eines jeden hat eine rundliche flaschenf\u00f6rmige Erweiterung, eine Am pulle c.\nInnerhalb der so beschriebenen kn\u00f6chernen H\u00f6hle liegt das sogenannte h\u00e4utige Labyrinth, aus einer zarten Membran gebildet, die im Wasser schwimmt, fast \u00fcberall den W\u00e4nden der kn\u00f6chernen H\u00f6hle parallel und in geringer Entfernung von ihnen verl\u00e4uft, und nur durch die Nervenfasern und Blutgef\u00e4sse mit den W\u00e4nden der H\u00f6hlung zusammenzuh\u00e4ngen scheint. Die Form des h\u00e4utigen Labyrinths c, d. e ist daher im Ganzen der des kn\u00f6chernen Labyrinths entsprechend, nur ist es enger, und ausserdem ist der h\u00e4utige Vorhof in zwei S\u00e4ckchen getheilt, den gr\u00f6sseren halbovalen d und den kleineren runden e. Uebrigens hat das h\u00e4utige Labyrinth dieselben drei Bogeng\u00e4nge, jeden mit einer Ampulle versehen (Fig. 41 hh). Die H\u00f6hlung des h\u00e4utigen Labyrinths ist ganz geschlossen, und ebenfalls mit Wasser (inneres Labyrinthwasser), gef\u00fcllt; ausserdem befinden sich im Innern der","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"Mitschwingende Theile irn Ohre.\t205\nS\u00e4ckchen kleine Kalkkrystallchen, der sogenannte Geh\u00f6rsand. Die Nervenfasern des Geh\u00f6rnerven (Fig. 40 f, Fig. 41 gg) treten als zarte F\u00e4serchen von den kn\u00f6chernen W\u00e4nden des Labyrinths durch das \u00e4ussere Wasser hin\u00fcber an das h\u00e4utige Labyrinth, und enden dort in besonderen wulstig verdickten Stellen der Membran. An jedem Vorhofs\u00e4ckchen liegt ein solcher Nervenwulst, und an jeder Ampulle einer. Die besondere Art, wie die Nerven hier enden, wird unten beschrieben werden.\nDer zweite Haupttheil des Labyrinths ist die Schnecke C, so1 genannt, weil ihre H\u00f6hlung die Form der H\u00f6hlung eines Schneckengeh\u00e4uses hat. Sie ist in Fig. 40 so gezeichnet, als w\u00e4re der Canal von seiner Axe abgewickelt und gerade gestreckt worden, um dadurch den Zusammenhang der H\u00f6hlungen deutlicher zu machen. In seiner nat\u00fcrlichen Windung erscheint der Schneckencanal in Fig. 41, halb aufgebrochen, halb geschlossen. Der Canal der Schnecke ist durch eine Scheidewand, die nur an der Spitze d, Fig. 40, eine enge Oeffnung (Helicotrema) hat, in zwei Theile getheilt. Die eine H\u00e4lfte des Canals (Vorhofstreppe) m\u00fcndet bei e in den Vorhof ein, die andere H\u00e4lfte des Canals (Paukentreppe) l\u00e4uft gegen die Trommelh\u00f6hle aus, und ist von dieser durch die Membran des runden Fensters b geschieden. Die Scheidewand ist aus einer kn\u00f6chernen Leiste und einer Membran gebildet, welche beide l\u00e4ngs der ganzen L\u00e4nge des Schneckencanals sich hinziehen, und zwar so, dass die kn\u00f6cherne Leiste l\u00e4ngs der inneren Wand des gewundenen Canals angeheftet ist, die membran\u00f6se Scheidewand (Fig. 41, ii) von der \u00e4usseren Seite des Canals nach der kn\u00f6chernen Leiste her\u00fcbergespannt ist.\nWenn das Paukenfell durch vermehrten Luftdruck im Geh\u00f6rgange nach innen getrieben wird, dr\u00e4ngt es, wie oben auseinandergesetzt ist, auch die Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen nach innen, und namentlich tritt dabei die Fussplatte des Steigb\u00fcgels tiefer in das ovale Fenster ein. Die Fl\u00fcssigkeit des Labyrinths, welche \u00fcbrigens rings von festen Knochenw\u00e4nden eingeschlossen ist, hat nur einen Ausweg, wohin sie vor dem Druck des Steigb\u00fcgels aus-weichen kann, n\u00e4mlich das runde Fenster mit seiner nachgiebigen Membran. Um dahin zu gelangen, muss aber die Labyrinthfl\u00fcssigkeit entweder durch das Helicotrema, die enge Oeffnung in der Spitze der Schnecke, hin\u00fcberfliessen von der Vorhofstreppe zur Paukentreppe, oder, da hierzu bei den Schall Schwingungen wahr-","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206\nErste Abtheilung.\nSechster Abschnitt.\nscheinlich nicht gen\u00fcgende Zeit ist, die membran\u00f6se Scheidewand der Schnecke gegen die Paukentreppe hindr\u00e4ngen. Das Umgekehrte muss bei Luftverd\u00fcnnung im Geh\u00f6rgange geschehen.\nSo werden also die Schallschwingungen der im \u00e4usseren Geh\u00f6rgange enthaltenen Luft schliesslich \u00fcbertragen auf die Membranen des Labyrinths, namentlich die Schneckenmembran, und die dort ausgebreiteten Nerven.\nIch habe schon erw\u00e4hnt, dass die Endausbreitungen dieser Nerven verbunden sind mit sehr kleinen elastischen Anh\u00e4ngen, die dazu bestimmt zu sein scheinen, durch ihre Schwingungen die Nerven in Erregung zu versetzen.\nWas zun\u00e4chst die Nerven gg, Fig. 41, des Vorhofs betrifft, so enden sie an gewissen verdickten Stellen der S\u00e4ckchen des h\u00e4utigen Labyrinths, wo das Gewebe auch gr\u00f6ssere, fast knorpelartige Festigkeit hat. Eine solche mit Nerven versehene Stelle tritt in Form einer Leiste in das Innere der Ampulle eines jeden Bogenganges hervor, eine andere liegt an jedem der S\u00e4ckchen des Vorhofs. Die Nervenfasern treten hier zwischen die zarten cylindrischen Zellen des feinen H\u00e4utchens (Epithelium), welches\nFig. 42.\ndie innere Fl\u00e4che der Leisten \u00fcberzieht. In den Ampullen ragen, nach Max Schultze\u2019sEnt-deckung, aus der inneren Fl\u00e4che dieses Epitheliums ganz eigen-th\u00fcmliche, steife, elastische Haare hervor, welche in Fig. 42 abgebildet sind. Sie sind viel l\u00e4nger als die Wimperh\u00e4rchen der Flimmerzellen (beim Rochen y25 Linie lang), zerbrechlich, und laufen in eine sehr feine Spitze aus. Dergleichen feine und steife H\u00e4rchen sind offenbar in hohem Grade geeignet, von den Bewegungen der Fl\u00fcssigkeit mitbewegt zu werden, und dabei eine mechanische Reizung der in dem weichen Epithelium zwischen ihrer Basis liegenden Nervenf\u00e4den hervorzubringen.","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"Mitschwingende Theile im Ohre.\t207\nDie betreffenden verdickten Leisten in den Vorh\u00f6fen, in wel--chen die Nervenenden liegen, zeigen, nach Max Schultze, dasselbe zarte Epithelium, in welches die Nervenfasern sich einsenkten, aber keine oder nur kurze Haare. Dagegen liegen ganz nahe der nervenreichen Oberfl\u00e4che kalkige Concremente, die sogenannten H\u00f6rsteine (Otolithen), welche bei den Fischen zusammenh\u00e4ngende convexconcave Theilchen sind, und an der convexen Seite einen Eindruck von der Nervenleiste zeigen. Beim Menschen dagegen sind die Otolithen H\u00e4ufchen kleiner krystallini-scher K\u00f6rperchen von l\u00e4nglich eckiger Gestalt, welche der Membran der S\u00e4ckchen eng anliegen und an dieser festgeheftet zu sein scheinen. Auch diese Otolithen erscheinen in hohem Grade geeignet, bei jeder pl\u00f6tzlichen Bewegung des Labyrinthwassers eine mechanische Reizung der Nervenmasse auszu\u00fcben. Die feine und leichte Membran mit der eingewebten Nervenmasse folgt wahrscheinlich der Bewegung des Wassers augenblicklich, w\u00e4hrend die schwereren Krystallchen langsamer in Bewegung gesetzt werden und auch ihre Bewegung wieder langsamer abgeben, so dass sie dabei die benachbarte Nervenmasse theils zerren, theils pressen m\u00f6gen. Dadurch werden aber die Bedingungen zur Reizung der Nerven ganz \u00e4hnlich wie in Heidenhain\u2019s Tetanomo-tor erf\u00fcllt. In diesem Instrumente wird ein Muskelnerv der Einwirkung eines sehr schnell schwingenden Elfenbeinh\u00e4mmerchens ausgesetzt, so dass der Nerv bei jedem Schlage zwar gepresst, aber nicht zerdr\u00fcckt wird. Man erh\u00e4lt dadurch eine kr\u00e4ftige und anhaltende Erregung des Nerven, die sich durch eine anhaltende kr\u00e4ftige Zusammenziehung des von ihm abh\u00e4ngigen Muskels zu erkennen giebt. F\u00fcr eine solche Art mechanischer Erregung erscheinen auch im Ohre die beschriebenen Theile passend angeordnet zu sein.\nViel complicirter ist der Bau der Schnecke. Die Nervenfasern treten durch die Axe oder Spindel der Schnecke zun\u00e4chst in den kn\u00f6chernen Theil der Scheidewand, dann'auf den h\u00e4utigen; wo sie diesen erreichen, finden sich eigenth\u00fcmliche, erst in neuester Zeit vom Marchese Corti entdeckte Gebilde, nach ihm das Corti\u2019sehe Organ genannt, an welchen die Nerven endigen.\nEin schematischer Querschnitt der membran\u00f6sen Scheidewand der Schnecke, so gut ihn die bisherigen Beobachtungen zu construiren gestatten, ist in Fig. 43 gegeben. Fig. 44 stellt eine wirkliche Ansicht desselben Theiles, von oben und etwas seitw\u00e4rts","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208 Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\ngesehen, vor, nach einem Pr\u00e4parat von Deiters. Dieselben Theile sind in beiden Abbildungen mit den gleichen Buchstaben\nFig. 43.\nbezeichnet. Die membran\u00f6se Scheidewand der Schnecke besteht, wie man in Fig. 43 sieht, aus zwei Membranen, zwischen denen ein Hohlraum bleibt, die sogenannte mittlere Treppe der Schnecke. Diese mittlere Treppe enth\u00e4lt die Nervenendigungen\nFig. 44.","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"Mitschwingende Theile im Ohre.\t209\nund die damit verbundenen Organe. In Fig. 43 denke man sich oberhalb der Zeichnung den Raum der Vorhofstreppe der Schnecke, unterhalb den Raum der Paukentreppe ; sss stellt den Rand der kn\u00f6chernen Scheidewand vor, der hier in zwei Knochenbl\u00e4tter gespalten ist, zwischen denen die Nervenfasern rc austreten. Diese durchbohren bei c den Anfang der h\u00e4utigen Scheidewand in einer Reihe von L\u00f6chern (Fig. 44 c), und gelangen so in den Raum der mittleren Treppe. Die beiden Membranen, welche den Raum der mittleren Treppe abschliessen, sind 1) die Grundmembran (Membrana basilar is) eu Fig. 43, welche vom Rande der kn\u00f6chernen Scheidewand selbst entspringt und die mittlere Treppe von der Paukentreppe trennt. Bei t Durchschnitt eines Gef\u00e4sses, was in ihrer ganzen L\u00e4nge verl\u00e4uft. Diese Membran ist sehr elastisch, und so lange sie festgeheftet ist, offenbar ziemlich stark gespannt, da sie sich merklich zusammenzieht und faltet, wenn man l\u00e4ngereStreifen gel\u00f6st hat. 2) Die obere Corti\u2019-sche Membran av (fehlt in Fig. 44); sie entspringt von einem Wulste aa, den die Knochenhaut hier bildet, und der an seinem Rande eine Reihe zahnartiger Forts\u00e4tze bildet. Beide Membranen setzen sich an vorspringende Leisten (uv) der gegen\u00fcberliegenden Wand des Schneckenganges. Die Gorti\u2019sehe Membran zeigt bei v ein Netzwerk von Fasern, mit denen sie sich an den Knochen anheftet. Ob zwischen diesen Fasern die Maschen des Netzes offen sind, und die mittlere Treppe dort mit der Vorhofstreppe communicirt, ist bisher zweifelhaft geblieben.\nDer Raum der mittleren Treppe ist l\u00e4ngs seines inneren Randes bei b, wie l\u00e4ngs seines \u00e4usseren bei nn durch grosse durchsichtige kugelige Zellen verengert. In dem mittleren Raume, der nach Deiters von ihnen frei bleibt, findet man nun die Gebilde, auf die es hier ankommt. Das verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig festeste und zuerst in das Gesicht fallende Gebilde dieses Raumes sind die Corti\u2019schen B\u00f6gen oder Fasern. Jeder Bogen dieser Art besteht aus einem aufsteigenden Theile dd, oder der Faser erster Reihe, und einem absteigenden Theile ee, der Faser zweiter Reihe. Die Fasern erster Reihe sind platte, schw\u00e4ch \u00c4f\u00f6rmig gekr\u00fcmmte Gebilde, die mit einer unteren Endanschwellung von der Grundmembran aufsteigen, an welche sie angeheftet sind, und oben mit einer Art Gelenkst\u00fcck endigen, welches zur Verbindung Mit den Fasern zweiter Reihe bestimmt ist. In Fig. 44 bei d sieht man eine grosse Zahl dieser aufsteigenden Fasern regel-\nHe 1 m h ol t as, phys. Theorie der Musik.\t14","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210 Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\nmassig neben einander liegen. In derselben Weise sind sie auf der ganzen L\u00e4nge der Schneckenmembran dicht neben einander gestellt, so dass man ihre Zahl auf viele Tausend sch\u00e4tzen muss. Ihre Seiten legen sich dicht an die der Nachbarn an, und scheinen sich selbst mit diesen zu verbinden, aber so, dass stellenweise offene Spalten in der Verbindungslinie stehen bleiben, durch welche wahrscheinlich Nervenfasern durchtreten. So bilden die Fasern erster Reihe zusammengenommen eine Art steifer Leiste, die sich, sobald die nat\u00fcrlichen Befestigungen keinen Widerstand mehr leisten, steil aufrecht zu stellen strebt, wobei sich die Grundmembran zwischen den Ansatzstellen der Gort Eschen B\u00f6gen d und e zusammenfaltet.\nDie Fasern zweiter Reihe, welche den absteigenden Theil des Bogens de, Fig. 43, bilden, sind glatte biegsame cylin-drische F\u00e4den mit verdickten Enden. Das obere Ende bildet eine Art Gelenkst\u00fcck zur Verbindung mit den Fasern erster Reihe, das untere Ende ist glockenf\u00f6rmig erweitert und haftet der Grundmembran fest an. In den mikroskopischen Pr\u00e4paraten sieht man sie meist mannigfaltig gebogen, doch kann wohl kein Zweifel dar\u00fcber sein, dass sie in ihrer nat\u00fcrlichen Verbindung gestreckt und einigermassen gespannt sind, so dass das obere Gelenkende der Fasern erster Reihe durch sie herabgezogen wird. W\u00e4hrend die Fasern erster Reihe vom inneren Rande der Membran aufsteigen, welcher verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig wenig ersch\u00fcttert werden kann, heften sich die Fasern zweiter Reihe ziemlich' in der Mitte der Membran an, also gerade da, wo deren Schwingungen am ausgiebigsten sein m\u00fcssen. Wird der Druck des Labyrinthwassers in der Paukentreppe durch den in das ovale Fenster eindr\u00e4ngenden Steigb\u00fcgel vermehrt, so muss die Grundmembran nach unten weichen, die Faser zweiter Reihe st\u00e4rker gespannt werden, und vielleicht wird die entsprechende Stelle der ersten Faserreihe etwas nach unten gebogen. Uebrigens erscheint es nicht sehr wahrscheinlich, dass die Fasern erster Reihe sich einzeln viel bewegen, denn ihre seitlichen Verbindungen sind doch stark genug, dass, wenn man sie bei der anatomischen Pr\u00e4paration von ihrer Befestigung l\u00f6st, sie zuweilen in langen Reihen zusammenh\u00e4ngend bleiben, wie eine Art Membran. Dass das Corti\u2019sche Organ ein Apparat sei, geeignet die Schwingungen der Grundmembran aufzunehmen und selbst in Schwingung zu gerathen, dar\u00fcber kann die ganze Anordnung keinen Zweifel lassen, aber es l\u00e4sst sich mit","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"Mitschwingende Theile im Ohre.\t211\nunseren gegenw\u00e4rtigen Kenntnissen noch nicht sicher bestimmen, in welcher Weise diese Schwingungen vor sich gehen. Dazu m\u00fcsste man die Festigkeit der einzelnen Theile, den Grad ihrer Spannung und ihrer Biegsamkeit erst besser beurtheilen k\u00f6nnen, als es die bisherigen Beobachtungen an den isolirten Theilen, wie sie sich eben zuf\u00e4llig unter dem Mikroskope gelagert haben, erkennen lassen. Am wahrscheinlichsten erscheint es mir, dass die Keihe der ersten Fasern eine Art elastischen Steg darstellt, zwischen dessen Kante und der Mitte der Membran die d\u00fcnnen und biegsamen absteigenden Fasern wie Saiten befestigt sind, und wie solche schwingen, wenn ihr anderes Ende an der Membran ersch\u00fcttert wird. In der That ger\u00e4th eine Saite in starke Schwingung, wenn ihr eines Ende mit einem schwingenden K\u00f6rper, z. B. einer Stimmgabel, verbunden wird, namentlich dann, wenn sie unisono mit dem Tone gestimmt ist, der ihr zugeleitet wird.\nDie Cor ti\u2019sehen Fasern sind nun umsponnen und umgeben von einer Menge sehr zarter und verg\u00e4nglicher Gebilde, Fasern und Zellen verschiedener Art, tlieils feinsten Ausl\u00e4ufern von Nervenfasern mit zugeh\u00f6rigen Nervenzellen, theils Bindegewebfasern, welche als ein St\u00fctzapparat zur Befestigung und Suspension der Nervengebilde zu dienen scheinen. Zu den letzteren geh\u00f6rt namentlich wohl das' sonderbar regelm\u00e4ssig geformte Netzwerk, welches von der H\u00f6he des Bogens nach aussen l\u00e4uft, die sogenannte Netzmembran (Membrana reticularis), (am vollst\u00e4ndigsten zu sehen in Fig. 44 zwischen den Linien ii und kk, in Fig. 43 nur von der Kante gesehen von e bis w). Nach aussen l\u00f6st es sich in ver\u00e4stelte Fasern auf, die sich zwischen die grossen Zellen nn hineinmischen. Nach unten sind an diesen die Corti\u2019-schen Zellen xx unmittelbar, andere spindelf\u00f6rmige Zellen y y durch feine F\u00e4den mittelbar verbunden; haarf\u00f6rmige Forts\u00e4tze laufen von ihnen nach unten zur Grundmembran nach/. Andere \u00e4hnliche Zellen m sitzen in einfacher Reihe an der anderen Seite der Gelenkst\u00fccke und schicken ver\u00e4stelte und mit Kernen versehene Ausl\u00e4ufer an die grossen Zellen b an der inneren Seite der mittleren Treppe. Ein anderes Netzwerk von St\u00fctzfasern, Fig. 44 o, findet sich zwischen den Schenkeln der B\u00f6gen. Dazwischen gelagert erkennt man feinste perlschnurf\u00f6rmige Nervenfasern, die durch die schon erw\u00e4hnten L\u00f6cher c der Grundmembran herauftreten, die B\u00f6gen umspinnen, und namentlich in meh-\n14*","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212 Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\nrere L\u00e4ngsb\u00fcndel g, h, i, h zusammengeordnet verlaufen. In Fig. 44 sieht man diese L\u00e4ngsb\u00fcnde] deutlich, in Fig. 43 erscheinen sie nur im Querschnitt. Zarte Zellen, wahrscheinlich dem Nervensystem angeh\u00f6rig, liegen zwischen den Schenkeln der B\u00f6gen, und namentlich an den beiden Verbindungsstellen der Corti\u2019sehen B\u00f6gen mit der Grundmembran, in den Winkeln, die die Fasern erster und zweiter Reihe hier mit dieser bilden.\nUeber das eigentliche Ende der Nervenfasern, namentlich \u00fcber die Frage, ob sie, wie K\u00f6lliker vermuthete, direct in die Substanz der Corti\u2019schenB\u00f6gen \u00fcbergehen, weiss man noch nichts. Jedenfalls sind sie hier so gelagert, dass sie von den C or ti\u2019sch en B\u00f6gen direct mit ersch\u00fcttert werden m\u00fcssen, wenn diese in Schwingung versetzt werden.\nDas wesentliche Ergebniss unserer Beschreibung des Ohres fassen wir demnach dahin zusammen, dass wir die Enden des H\u00f6rnerven \u00fcberall mit besonderen theils elastischen, theils festen Hilfsapparaten verbunden gefunden haben, welche unter dem Einfl\u00fcsse \u00e4usserer Schwingungen in Mitschwingung versetzt werden k\u00f6nnen, und dann wahrscheinlich die Nervenmasse ersch\u00fcttern und erregen. Nun ist schon im dritten Abschnitte auseinander gesetzt worden, dass die Vorg\u00e4nge des Mitt\u00f6nens f\u00fcr die Beobachtung ein sehr verschiedenes Verhalten zeigen, je nachdem der mitschwingende K\u00f6rper, einmal in Bewegung gesetzt, lange nacht\u00f6nt, oder seine Bewegung schnell verliert. K\u00f6rper, welche, einmal angeschlagen, lange nacht\u00f6nen, wie Stimmgabeln, sind des Mitt\u00f6nens in hohem Grade f\u00e4hig, trotz der Schwerbeweglichkeit ihrer Masse, weil sie eine lange Summirung der an sich sehr kleinen Anst\u00f6sse zulassen, welche jede einzelne Schwingung des erregenden Tones auf sie aus\u00fcbt. Aber eben deshalb muss auch die allergenaueste Uebereinstimmung herrschen zwischen dem eigenen Tone der Gabel und der Tonh\u00f6he des erregenden Tones, weil sonst die Anst\u00f6sse durch die sp\u00e4teren Luftschwingungen nicht fortdauernd regelm\u00e4ssig in dieselbe Schwingungsphase fallen k\u00f6nnen, wo sie die Nachwirkungen der fr\u00fcheren Anst\u00f6sse verst\u00e4rken. Nimmt man dagegen K\u00f6rper, deren Ton schnell verklingt, z. B. aufgespannte Membranen oder d\u00fcnne leichte Saiten, so werden diese ebenfalls die Erscheinung des Mitt\u00f6nens zeigen, wenn die schwingende Luft Gelegenheit hat auf sie einzuwirken, aber ihr Mitt\u00f6nen wird nicht so beschr\u00e4nkt auf eine gewisse Ton-","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"D\u00e4mpfung der Schwingungen im Ohre. 213\n\u00ab\nh\u00f6be sein, sie werden von ziemlich verschiedenartigen T\u00f6nen leicht bewegt werden. Denn wenn ein elastischer K\u00f6rper einmal ange-stossen und danach frei fortt\u00f6nend nach 10 Schwingungen seine Bewegung nahehin verloren hat, wird es nicht darauf ankommen, ob neue Anst\u00f6sse, die er nach Ablauf dieser Zeit empf\u00e4ngt, mit den fr\u00fcheren vollst\u00e4ndig \u00fcbereinstimmend wirken, wie es bei einem andern t\u00f6nenden K\u00f6rper n\u00f6thig sein w\u00fcrde, bei welchem die durch den ersten Anstoss erzeugte Bewegung noch fast unver\u00e4ndert besteht, wenn ihn der zweite Anstoss trifft. Im letzteren Falle wird der zweite Anstoss die Bewegung nur dann vermehren k\u00f6nnen, wenn er gerade in eine solche Phase der Schwingung f\u00e4llt, wo seine Richtung mit der der schon bestehenden Bewegung zusammentrifft.\nDer Zusammenhang zwischen diesen beiden Verh\u00e4ltnissen l\u00e4sst sich ganz unabh\u00e4ngig von der Natur des mitt\u00f6nenden K\u00f6rpers genau berechnen, und da dies f\u00fcr die Beurtheilung der Verh\u00e4ltnisse im Ohre wichtig ist, habe ich hier folgend eine kleine Tabelle daf\u00fcr gegeben *). Man denke sich einen mitt\u00f6nenden K\u00f6rper, der zuerst durch einen genau' gleichgestimmten Ton in das Maximum der Schwingung versetzt sei; der erregende Ton werde nun ge\u00e4ndert bis die Intensit\u00e4t des Mitschwingens bis auf Vio des fr\u00fcheren Werths verringert ist. Die Gr\u00f6sse dieser Tondifferenz ist in der ersten Columne der folgenden Tabelle angegeben. Nun sei derselbe t\u00f6nende K\u00f6rper angeschlagen worden, und man lasse ihn ungehindert aust\u00f6nen. Es werde beobachtet, nach wieviel seiner Schwingungen die Intensit\u00e4t seines Tones auf J/10 ihres Anfangswerthes reducirt sei. Die Anzahl dieser Schwingungen ist in der zweiten Columne angegeben.\n*) Die Art ihrer Berechnung ist in Beilage IX n\u00e4her auseinandergesetzt.","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214\nErste Abtheiluiig, Sechster Abschnitt.\nDifferenz der Tonh\u00f6he, durch welche die Intensit\u00e4t des Mitschwingens auf yl0 reducirt wird.\tZahl der Schwingungen, nach welcher die Intensit\u00e4t des ausklingenden Tons auf V10 reducirt wird.\n1. Ein achtel Ton\t38.00\n2. Ein viertel Ton\t19.00\n3. Ein halber Ton\t9.50\n4. Drei viertel Ton\t6.33\n5. Ein ganzer Ton\t4.75\n6. F\u00fcnf viertel Ton\t3.80\n7. Kleine Terz (3/2 Ton)\t3.17\n8. Sieben viertel Ton\t2.71\n9. Grosse Terz (2 T\u00f6ne)\t2.37\nWenn wir nun auch f\u00fcr das Ohr und dessen einzelne Theile noch nicht genau ermitteln k\u00f6nnen, wie lange sie nachklingen, so lassen uns doch bekannte Erfahrungen ungef\u00e4hr beurtheilen, in welche Gegend der in unserer Tabelle aufgestellten Scala die Theile des Ohres etwa zu stellen sein m\u00fcssen. Es k\u00f6nnen im Ohre nat\u00fcrlich keine Theile vorhanden sein, die etwa so lange wie eine Stimmgabel nachklingen, denn das w\u00fcrde sich schon der gew\u00f6hnlichen Beobachtung gleich verrathen. Aber auch wenn im Ohre Theile w\u00e4ren, welche nur der ersten Stufe unserer Tafel entsprechen, und 38 Schwingungen brauchten, um bis auf 1/10 auszuklingen, so w\u00fcrden wir dies bei tieferen T\u00f6nen erkennen. Denn 38 Schwingungen erfordern heim A ein Drittel einer Secunde, beim a ein Sechstheil, beim al ein Zw\u00f6lftheil u. s. w. So langes Nachklingen w\u00fcrde jede schnelle Bewegung innerhalb der ungestrichenen und eingestrichenen Octave unm\u00f6glich machen; es w\u00fcrde, wenn es im Ohre selbst stattf\u00e4nde, f\u00fcr Musik ebenso st\u00f6rend sein, wie starke Resonanz in einem gew\u00f6lbten Raume, oder Entfernung des D\u00e4mpfers am Pianoforte. Beim Trillern k\u00f6nnen wir sein' gut 8 bis 10 Anschl\u00e4ge in der Secunde machen, so dass jeder der beiden T\u00f6ne 4 oder 5 Mal angeschlagen wird. Wenn nun der erste Ton vor dem Ende des zweiten noch nicht verklungen ist, oder wenigstens so weit vermindert ist, dass man ihn neben dem andern nicht mehr wahrniinmt, so w\u00fcrden die beiden","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"215\nD\u00e4mpfung der Schwingungen im Ohre.\nT\u00f6ne des Trillers nicht jeder f\u00fcr sich deutlich hervortreten k\u00f6nnen, sondern man w\u00fcrde fortdauernd ein Gemisch beider T\u00f6ne h\u00f6ren. Dergleichen Triller von je 10 Schl\u00e4gen auf die Secunde sind nun im gr\u00f6ssten Theile der Scala scharf und klar auszuf\u00fchren, aber allerdings vom A abw\u00e4rts in der grossen und Contra-Octave klingen sie schlecht und rauh und ihre T\u00f6ne fangen an sich zu vermischen. Es l\u00e4sst sich auch leicht zeigen, dass hieran nicht der Mechanismus der Instrumente Schuld ist. Wenn man z. B. auf der Physharmonica trillert, so sind die Tasten der tiefen T\u00f6ne genau ebenso gebaut und ebenso leicht zu bewegen als die der h\u00f6heren. Jeder einzelne Ton ist ganz sicher und vollst\u00e4ndig abgeschnitten, sobald die Klappe auf den Luftcanal gefallen ist, und jeder spricht auch in dem Moment an, wo die Klappe ge\u00f6ffnet wird, weil die Zungen w\u00e4hrend einer so kurzen Unterbrechung in Schwingung bleiben. Aehnlich ist es am Violoncell. In dem Moment, wo der trillernde Finger auf die Saite gesetzt ist, muss diese in die andere Schwingungsperiode \u00fcbergehen, die ihrer jetzigen L\u00e4nge entspricht, und in dem Moment, wo der Finger entfernt ist, muss die Vibration eintreten, die dem fr\u00fcheren Tone entspricht, und doch ist der Triller in der Tiefe so unvollkommen, wie auf jedem anderen Instrumente. Auf dem Clavier sind L\u00e4ufe und Triller in der Tiefe noch verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig am besten auszuf\u00fchren, weil in dem Augenblicke des Anschlags der neue Ton mit grosser und schnell abnehmender Intensit\u00e4t erklingt. Daher h\u00f6rt man wenigstens neben dem unharmonischen L\u00e4rme, den das gleichzeitige Bestehen beider T\u00f6ne hervorbringt, auch die einzelnen T\u00f6ne scharf hervordringen. Da die Schwierigkeit, in der Tiefe schnell zu trillern, also f\u00fcr alle musikalischen Instrumente dieselbe ist, und an einzelnen Instrumenten erweislich von der Weise, wie die T\u00f6ne hervorgebracht werden, ganz unabh\u00e4ngig ist, so m\u00fcssen wir schliessen, dass wir es hier mit einer Schwierigkeit zu thun haben, die im Ohre selber liegt. Es ist dies eine Erscheinung, welche deutlich darauf hinweist, dass die D\u00e4mpfung der schwingenden Theile f\u00fcr tiefe T\u00f6ne im Ohre nicht gen\u00fcgend stark und schnell ist, um einen so raschen Wechsel von T\u00f6nen ungest\u00f6rt zu Stande kommen zu lassen.\nJa diese Thatsache beweist weiter, dass es verschiedene Theile des Ohres sein m\u00fcssen, welche durch verschieden hohe T\u00f6ne in Schwingung versetzt werden, und diese T\u00f6ne empfinden. Man k\u00f6nnte n\u00e4mlich daran denken,","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"2 Hi Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\ndass die schwingungsf\u00e4hige Masse des ganzen Ohres, Trommelfell, Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen und Labyrinthwasser zusammengenommen, schwingen k\u00f6nnte, und dass es von der Tr\u00e4gheit dieser Masse abhinge, wenn die Tonschwingungen im Ohre nicht gleich erl\u00f6schen. Aber eine solche Annahme w\u00fcrde nicht gen\u00fcgend sein, die besprochene Thatsache zu erkl\u00e4ren. Wenn n\u00e4mlich ein elastischer K\u00f6rper durch einen Ton in Mitschwingung versetzt wird, so schwingt er mit in der Schwingungszahl des erregenden Tones, sowie der erregende Ton aufh\u00f6rt, klingt er aber aus in der Schwingungszahl seines eigenen Tones. Diese Thatsache, welche aus der Theorie folgt, l\u00e4sst sich an Stimmgabeln mittelst des Vibrationsmikroskops ganz scharf erweisen.\nWenn nun das Ohr als ganzes System schwingt, und eines merklichen Nachschwingens f\u00e4hig ist, muss es dies thun in seiner eigenen Schwingungszahl, welche ganz unabh\u00e4ngig ist von der Schwingungszahl des vorausgegangenen Tones, der diese Schwingungen etwa erregt hat. Daraus w\u00fcrde also folgen, dass erstens die Triller auf hohen und tiefen T\u00f6nen gleich schwierig sein m\u00fcssten, und zweitens, dass die beiden T\u00f6ne des Trillers nicht mit einander sich vermischen k\u00f6nnten, sondern dass jeder sich vermischen w\u00fcrde mit einem dritten Tone, der dem Ohre selbst angeh\u00f6rt. Einen solchen Ton haben wir schon kennen gelernt im vorigen Abschnitte, das hohe//v. Der Erfolg w\u00fcrde also unter diesen Umst\u00e4nden ein ganz anderer sein, als wir ihn wirklich beobachten.\nWenn nun auf dem A von 110 Schwingungen ein Triller mit 10 Anschl\u00e4gen in der Secunde ausgef\u00fchrt wird, so wird derselbe Ton nach je */\u00bb Secunde immer wieder angeschlagen. Wir d\u00fcrfen wohl annehmen, dass der Triller nicht klar sein w\u00fcrde, wenn die Intensit\u00e4t des ausklingenden Tones nach l/b Secunde nicht mindestens auf Vio vermindert ware. Daraus folgt, dass nach mindestens 22 Schwingungen die beim A mitschwingenden Theile des Ohres auf Vio der fr\u00fcheren Tonst\u00e4rke herabkommen m\u00fcssen, wenn sie ausklingen, dass ihr Mitschwingen also nicht der ersten, wohl aber der zweiten, dritten oder einer noch h\u00f6heren Stufe unserer Tafel entsprechen kann. Dass \\lie Stufe wenigstens keine sehr viel h\u00f6here sein kann, geht zun\u00e4chst daraus hervor, dass die Triller und L\u00e4ufe schon auf wenig tiefer liegenden T\u00f6nen anfangen schwierig zu werden. Dasselbe werden sp\u00e4ter zu besprechende Beobachtungen \u00fcber Schwebungen lehren. Wir werden im Gan-","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"D\u00e4mpfung der Schwingungen im Ohre. 217\nzen annehmen k\u00f6nnen, dass die mitscliwingenden Theiie im Ohre etwa den Grad der D\u00e4mpfung zeigen, der der dritten Stufe unserer Tabelle entspricht, wo die Intensit\u00e4t des Mitschwingens bei i/sj Tonstufe Differenz nur noch Vio von der bei vollem Einkl\u00e4nge ist. Es kann hier nat\u00fcrlich von einer genauen Bestimmung nicht die Rede sein, aber es ist schon wichtig, dass wir uns wenigstens einen ann\u00e4hernden Begriff von dem Einfl\u00fcsse der D\u00e4mpfung auf das Mitschwingen im Ohre machen. Es ist dies von einflussreicher Bedeutung f\u00fcr die Verh\u00e4ltnisse der Consonanz. Wenn wir also im Folgenden davon sprechen werden, dass einzelne Theiie des Ohres f\u00fcr einen bestimmten Ton mitt\u00f6nen, so ist es so zu verstehen, dass sie durch diesen Ton zwar am st\u00e4rksten in Bewegung gesetzt werden, in schw\u00e4cherem Grade aber doch auch durch die benachbarten, so dass auch bei der Differenz eines halben Tones ihr Mitschwingen wenigstens noch merklich ist. Um eine Uebersicht von dem Gesetze zu geben, nach welchem die Intensit\u00e4t des Mitschwingens abnimmt, wenn die Differenz der Tonh\u00f6he zunimmt, diene die nebenstehende Fig. 45. Die Horizontallinie abc stellt\neinen Theil der musikalischen Scala vor, und zwar ab und bc jedes die Breite eines ganzen Tones. Ein mitschwingender K\u00f6rper sei auf den Ton b gestimmt, und die Verticallinie bd bezeichne das Maximum der Intensit\u00e4t des Tones, welchen er bei vollem Einkl\u00e4nge mit dem erregenden Tone giebt. Auf der Grundlinie ist die Breite jedes ganzen Tones in Zehntheile getheilt, und die dar\u00fcber stehenden H\u00f6hen bezeichnen die zugeh\u00f6rige Tonintensit\u00e4t des mitschwingenden K\u00f6rpers, wenn der erregende Ton um die betreffende Differenz von dem Einkl\u00e4nge abweicht.\nIch lasse hier die Zahlen folgen, nach denen die Fig, 45 con-struirt ist.\nFig. 45.\nd","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218\nErste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\nDifferenz der Tonh\u00f6he\tIntensit\u00e4t des Mitschwingens\n0,0\t100\n0,1\t74\n0,2\t41\n0,3\t24\n0,4\t15\nHalber Ton\t10\n0,6\t7,2\n0,7\t5,4\n0,8\t#\n0,9\t3,3\nGanzer Ton\t2d\nWelche Theile im Ohre es nun sind, die bei den einzelnen T\u00f6nen mitsehwingen, l\u00e4sst sich allerdings nicht mit Sicherheit nachweisen. Die H\u00f6rsteinchen, in einer schleimigen Fl\u00fcssigkeit suspendirt, sind wohl kaum eigentlich regelm\u00e4ssiger Schwingungen f\u00e4hig, sondern eher geeignet, einzelnen St\u00f6ssen nachzugeben und diese auf die Nerven zu \u00fcbertragen. Dasselbe gilt wohl noch, wenn auch in geringerem Grade von den H\u00e4rchen in den Ampullen, da K\u00f6rperchen von so geringer Masse in ihrer Bewegung nicht lange beharren k\u00f6nnen. Nach ihrer ganzen Construction erscheinen vielmehr die auf der Schneckenscheidewand gelagerten Corti\u2019schen Fasern am ehesten geeignet, selbst\u00e4ndige Schwingungen auszuf\u00fchren. Die F\u00e4higkeit, lange Zeit ohne Unterst\u00fctzung fortzuschwingen, brauchen wir ja auch nicht von ihnen zu verlangen. Es hat wohl eine wichtige Bedeutung f\u00fcr das Geh\u00f6r, dass wir so verschiedenartige Endapparate an den Nerven finden. Elastische Gebilde mit starker D\u00e4mpfung werden durch kurz vor\u00fcbergehende St\u00f6sse und Str\u00f6mungen des Labyrinthwassers verh\u00e4ltniss-m\u00e4ssig st\u00e4rker afficirt werden als durch musikalische T\u00f6ne. Sie werden also namentlich der Wahrnehmung schnell vor\u00fcbergehender unregelm\u00e4ssiger Ersch\u00fctterungen, also der Empfindung der Ger\u00e4usche dienen k\u00f6nnen. Dagegen werden schw\u00e4cher ged\u00e4mpfte elastische K\u00f6rper durch einen musikalischen Ton von entsprechender H\u00f6he viel st\u00e4rker erregt werden, als von einzelnen St\u00f6ssen. Unser","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"219\nAnsicht \u00fcber den Nutzen der Schnecke.\nOhr ist beider Leistungen f\u00e4hig, und wir d\u00fcrfen wohl vermuthen, dass dies auf der Existenz der verschiedenartigen Endorgane beruht, dass also die Nervenausbreitungen im Vorhofe und den Ampullen f\u00fcr die Wahrnehmung der Ger\u00e4usche, die Gorti\u2019schen Fasern f\u00fcr die der musikalischen T\u00f6ne dienen. Dann m\u00fcssen wir aber auch weiter annehmen, dass die Stimmung der letzteren verschieden sei und einer regelm\u00e4ssigen Stufenfolge durch die musikalische Scala hindurch entspreche. Nach Koelliker sind etwa 3000 Corti\u2019sche Fasern in der menschlichen Schnecke enthalten. Rechnen wir 200 auf die ausserhalb der in der Musik gebrauchten Grenzen liegenden T\u00f6ne, deren Tonh\u00f6he nur unvollkommen aufgefasst wird, so bleiben 2800 f\u00fcr die sieben Octaven der musikalischen Instrumente, d. h. 400 f\u00fcr jede Octave, 33V\u00e4 f\u00fcr jeden halben Ton, jedenfalls genug, um die Unterscheidung kleiner Theile eines halben Tones, so weit eine solche m\u00f6glich ist, zu erkl\u00e4ren. Nach E. H. Weber\u2019s Untersuchungen k\u00f6nnen ge\u00fcbte Musiker noch einen Unterschied der Tonh\u00f6he wahrnehmen, welcher dem Schwingungsverh\u00e4ltnisse 1000 zu 1001 entspricht. Das w\u00e4re etwa i/e4 eines halben Tones, eine noch kleinere Gr\u00f6sse, als dem genannten Abstande der Corti\u2019sclien Fasern entspricht. Darin liegt aber kein Hinderniss f\u00fcr unsere Annahme. Denn wenn ein Ton angegeben wird, dessen H\u00f6he zwischen der von zwei benachbarten Corti\u2019schen Fasern liegt, so wird er beide in Mitschwingung versetzen, diejenige aber st\u00e4rker, deren eigenem Tone er n\u00e4her liegt. Es wird also schliesslich nur abh\u00e4ngen von der Feinheit, mit welcher die Erreguugsst\u00e4rke der beiden entsprechenden Nervenfasern verglichen werden kann, wie kleine Abstufungen der Tonh\u00f6he in dem Intervalle zweier Fasern wir noch werden unterscheiden k\u00f6nnen. Eben daher erkl\u00e4rt es sich, dass bei continuir-licli steigender H\u00f6he des \u00e4usseren Tones auch unsere Empfindung sich eontinuirlich ver\u00e4ndert und nicht stufenweise springt, wie es derFall sein m\u00fcsste, wenn immer nur je eine Corti\u2019scheFaser in Mitschwingen versetzt w\u00fcrde.\nZiehen wir weiter die Folgerungen aus unserer Hypothese. Wird ein einfacher Ton dem Ohre zugeleitet, so m\u00fcssen diejenigen Corti\u2019schen Fasern, die mit ihm ganz oder nahehin im Einklang sind, stark erregt werden, alle anderen schwach oder gar nicht. Es wird also jeder einfache Ton von bestimmter H\u00f6he nur durch gewisse Nervenfasern empfunden werden, und verschieden hohe f\u00f6ne werden verschiedene Nervenfasern erregen. Wenn ein zu-","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220 Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\nsammengesetzter Klang oder ein Accord dem Ohre zugeleitet wird, so werden alle diejenigen elastischen Gebilde erregt werden, deren Tonh\u00f6he den verschiedenen in der Klangmasse enthaltenen einzelnen T\u00f6nen entspricht, und bei geh\u00f6rig gerichteter Aufmerksamkeit werden also auch alle die einzelnen Empfindungen der einzelnen einfachen T\u00f6ne einzeln wahrgenommen werden k\u00f6nnen. Der Accord wird in seine einzelnen Kl\u00e4nge, der Klang in seine einzelnen harmonischen T\u00f6ne zerlegt werden m\u00fcssen.\nDadurch w\u00fcrde nun auch eine Erkl\u00e4rung daf\u00fcr gewonnen sein, warum das' Ohr die Luftbewegungen gerade in pendelartige Schwingungen zerlegt. Jedes einzelne Lufttheilchen kann zu jeder Zeit nat\u00fcrlich nur eine Bewegung ausf\u00fchren. Dass wir eine solche Bewegung in der mathematischen Theorie als eine Summe von pendelartigen Schwingungen betrachteten, war zun\u00e4chst eine willk\u00fcrliche Fiction zur Bequemlichkeit der Theorie eingef\u00fchrt, ohne eine reelle Bedeutung. Eine solche haben wir f\u00fcr diese Zerlegung erst in der Betrachtung des Mitschwingens gefunden, da eine periodische Bewegung, die nicht pendelartig ist, K\u00f6rper von verschiedener Tonh\u00f6he, entsprechend den harmonischen Obert\u00f6nen, zum Mitt\u00f6nen bringen kann. Und nun haben wir durch unsere Hypothese auch die Ph\u00e4nomene des H\u00f6rens auf solche des Mit-t\u00f6nens zur\u00fcckgef\u00fchrt, und finden darin den Grund, warum die urspr\u00fcnglich einfache periodische Bewegung der Luft eine Summe von verschiedenen Empfindungen hervorbringt, und deshalb auch f\u00fcr die Wahrnehmung als zusammengesetzt erscheint.\nDie Empfindung verschiedener Tonh\u00f4h\u00e8n w\u00e4re hiernach also eine Empfindung in verschiedenen Nervenfasern. Die Empfindung der Klangfarbe w\u00fcrde darauf beruhen, dass ein Klang ausser den seinem Grundtone entsprechenden Corti\u2019 sehen Fasern noch eine Anzahl anderer in Bewegung setzte, also in mehreren verschiedenen Gruppen von Nervenfasern Empfindungen erregte.\nIn physiologischer Beziehung ist hier noch zu bemerken, dass durch diese Annahme die verschiedene Qualit\u00e4t der Geh\u00f6rempfindungen nach Tonh\u00f6he und Klangfarbe zur\u00fcckgef\u00fchrt wird auf die Verschiedenheit der Nervenfasern, welche in Erregung versetzt werden. Es ist dies ein Schritt \u00e4hnlicher Art, wie ihn in einem gr\u00f6sseren Gebiete Johannes M\u00fcller durch seine Lehre von den specifischen Sinnesenergien gethan hat. Er hat nachgewiesen, dass der Unterschied der Empfindungen verschiedenerSinne nicht abh\u00e4ngig sei von den \u00e4usseren Einwirkungen, welche die Empfin-","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"221\nAnsicht \u00fcber den Nutzen der Schnecke.\ndung erregen, sondern von den verschiedenen Nervenapparaten, welche sie aufuehmen. Wir k\u00f6nnen uns durch den Versuch davon \u00fcberzeugen, dass der Gesichtsnerv und seine Ausbreitung, die Netzhaut des Auges, wie sie auch gereizt werden m\u00f6gen, durch Licht, durch Zerrung, durch Druck oder durch Elektricit\u00e4t, immer nur Lichtempfindung haben, dass die Tastnerven dagegen immer nur Tastempfindungen, nie Lichtempfindung, oder Geh\u00f6rempfindung oder Geschmacksempfindungen hervorbringen. Dieselben Sonnenstrahlen, welche vom Auge als Licht empfunden werden, empfinden die Nerven der Hand als W\u00e4rme, dieselben Ersch\u00fctterungen, welche die Hand als Schwirren empfindet, empfindet das Ohr als Ton.\nWie das Ohr Schwingungen von verschiedener Dauer als T\u00f6ne verschiedener H\u00f6he auffasst, erregen Aetherschwingungen von verschiedener Dauer im Auge die Empfindung verschiedener Farben; die schnellsten die des Violet und Blau, die mittleren des Gr\u00fcn und Gelb, die langsamsten des Both. Die Gesetze der Farbenmischung f\u00fchrten Th. Young zu der Hypothese, dass es im Auge dreierlei Nervenfasern gebe, denen verschiedene Art der Empfindung zuk\u00e4me, n\u00e4mlich Rothempfindende, Gr\u00fcnempfindende und Violetempfindende. In der That giebt diese Annahme eine sehr einfache und vollst\u00e4ndig cons\u00e9quente Erkl\u00e4rung s\u00e4mmtlicher Gesichtserscheinungen, die sich auf die Farben beziehen. Dadurch werden also die qualitativen Unterschiede der Gesichtsempfindungen zur\u00fcckgef\u00fchrt auf die Verschiedenartigkeit der empfindenden Nerven. Es bleiben dann f\u00fcr die Empfindungen jeder einzelnen Sehnervenfaser nur die quantitativen Unterschiede st\u00e4rkerer und schw\u00e4cherer Reizung \u00fcbrig.\nDasselbe thut die Hypothese, auf welche uns unsere Untersuchung der Klangfarbe gef\u00fchrt hat, f\u00fcr das Geh\u00f6r. Die Verschiedenheiten der Qualit\u00e4t des Tones, n\u00e4mlich Tonh\u00f6he und Klangfarbe, werden zur\u00fcckgef\u00fchrt auf die Verschiedenheit der empfindenden Nervenfasern, und f\u00fcr jede einzelne Nervenfaser bleiben nur die Unterschiede der St\u00e4rke der Erregung \u00fcbrig.\nDie Reizungsvorg\u00e4nge innerhalb der Muskelnerven, durch deren Reizung die Muskeln zur Zusammenziehung bestimmt werden, sind der physiologischen Untersuchung mehr zug\u00e4nglich ge-","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222 Erste Abtheilung. Sechster Abschnitt.\nwesen, als die in den Sinnesnerven. Dort finden wir in der That, nur den Unterschied st\u00e4rkerer und schw\u00e4cherer Erregung, keine qualitativen Unterschiede. Dort k\u00f6nnen wir nachweisen, dass im Zustande der Erregung die elektrisch wirksamen Theilchen der Nerven bestimmte Ver\u00e4nderungen erleiden, welche ganz in derselben Weise eintreten, durch welche Art von Reizmittel auch der Erregungszustand hervorgerufen sein mag. Genau dieselbe Ver\u00e4nderung tritt aber auch in den gereizten Empfindungsnerven ein, obgleich hier der Erfolg der Reizung eine Empfindung ist, dort eine Bewegung war, und wir sehen daraus, dass der Mechanismus des Reizungsvorganges in den Empfindungsnerven dem in den Bewegungsnerven durchaus \u00e4hnlich sein muss. Die beiden genannten Hypothesen f\u00fchren nun in der That die Vorg\u00e4nge in den Nerven der beiden vornehmsten Sinne des Menschen, trotz der scheinbar so verwickelten qualitativen Unterschiede der Empfindungen, auf dasselbe einfache Schema zur\u00fcck, welches wir von den Bewegungsnerven kennen. Man hat die Nerven vielfach nicht unpassend mit Telegraphendr\u00e4hten verglichen. Ein solcher Draht leitet immer nur dieselbe Art elektrischen Stromes, der bald st\u00e4rker, bald schw\u00e4cher oder auch entgegengesetzt gerichtet sein kann, aber sonst keine qualitativen Unterschiede zeigt. Dennoch kann man, je nachdem man seine Enden mit verschiedenen Apparaten in Verbindung setzt, telegraphische Depeschen geben, Glocken l\u00e4uten, Minen entz\u00fcnden, Wasser zersetzen, Magnete bewegen. Eisen magnetisiren, Licht entwickeln u. s. w. Aehnlich in den Nerven. Der Zustand der Reizung, der in ihnen hervorgerufen werden kann und von ihnen fortgeleitet wird, ist, so weit er sich an der isolirten Nervenfaser erkennen l\u00e4sst, \u00fcberall derselbe, aber nach verschiedenen Stellen theils des Gehirns, theils der \u00e4usseren Theile des K\u00f6rpers hingeleitet, bringt er Bewegungen hervor, Absonderungen von Dr\u00fcsen, Ab - und Zunahme der Blutmenge, der Rothe und der W\u00e4rme einzelner Organe, dann wieder Lichtempfindungen, Geh\u00f6rempfindungen u. s. \\v, Wenn jede qualitativ verschiedene Wirkung der Art in verschiedenartigen Organen hervorgebracht wird, zu denen auch gesonderte Nervenfasern hingehen m\u00fcssen, so kann der Vorgang der Reizung in den einzelnen Fasern \u00fcberall ganz derselbe sein, wie der elektrische Strom in den Telegraphendr\u00e4hten immer derselbe ist, was f\u00fcr verschiedenartige Wirkungen er auch an den Enden hervorbringen m\u00f6ge. So lange wir dagegen annehmen, dass dieselbe Nervenfaser verschieden-","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"223\nAnsicht \u00fcber den Nutzen der Schnecke.\nartige Empfindungen leitet, w\u00fcrden auch verschiedene Arten des Reizungsvorganges in ihr vorhanden sein m\u00fcssen, die wir bisher nachzuweisen noch nicht im Stande gewesen sind.\nIn dieser Beziehung hat also die hingestellte Ansicht, eben so gut wie die Hypothese von Young \u00fcber den Unterschied der Farben, noch eine weitere Bedeutung f\u00fcr die Nervenphysiologie im Allgemeinen.","page":223},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"ZWEITE ABTHEILUNG.\nDIE ST\u00d6RUNGEN\nDES\nZUSAMMENKLANGS.\nCOM BINAT IONS T\u00d6NE UND SCHWEBUNGEN, CONSONANZ UND DISSONANZ.\nHe 1 m h oltz , phys. Theorie der Musik.\n15","page":225},{"file":"p0227.txt","language":"de","ocr_de":"Siebenter Abschnitt.\nDie Oombinationst\u00f6ne.\nIn der ersten Abtbeilung dieses Buches ist das Gesetz ausgesprochen und fortdauernd angewendet worden, dass die schwingenden Bewegungen der Luft und anderer elastischer K\u00f6rper, welche durch mehrere gleichzeitig wirkende Tonquellen hervorgebracht werden, immer die genaue Summe der einzelnen Bewegungen sind, welche die einzelnen Tonquellen hervorbringen. Dieses Gesetz ist von ausserordentlicher Wichtigkeit f\u00fcr die Akustik, weil es die Betrachtung zusammengesetzter F\u00e4lle ganz auf die der einfachen zur\u00fcckf\u00fchrt, aber es ist zu beachten, dass es in voller Strenge nur gilt, wo die Schwingungen an allen Stellen des Luftraumes und der t\u00f6nenden elastischen K\u00f6rper von unendlich klei ner Gr\u00f6sse sind, wo also die Dichtigkeits\u00e4nderungen der elastischen K\u00f6rper so klein sind, dass sie, verglichen mit der ganzen Dichtigkeit derselben K\u00f6rper, nicht in Betracht kommen, und ebenso die Verschiebungen der schwingenden Theilchen verschwindend klein sind, verglichen mit den Dimensionen der ganzen elastischen Massen. Nun sind allerdings in den praktischen Anwendungen dieses Gesetzes auf t\u00f6nende K\u00f6rper die Schwingungen fast immer sehr klein, und dem unendlich kleinen nahe genug, dass jenes Gesetz mit sehr grosser Ann\u00e4herung auch f\u00fcr die wirklichen Schallschwingungen der musikalischen T\u00f6ne richtig bleibt, und bei weitem der gr\u00f6sste Theil der Erscheinungen aus jenem Gesetze mit der Beobachtung \u00fcbereinstimmend gefolgert werden kann. Indessen giebt es doch gewisse Erscheinungen, die davon herr\u00fchren, dass jenes Gesetz f\u00fcr die zwar sehr\n15*","page":227},{"file":"p0228.txt","language":"de","ocr_de":"228 Zweite Abtheilung. Siebenter Abschnitt.\nkleinen, aber doch nicht unendlich kleinen Schwingungen elastischer K\u00f6rper nicht ganz genau zutrifft *). Eine dieser Erscheinungen, die uns hier interessirt, sind die Combinationst\u00f6ne, zuerst entdeckt von Sorge 1740**), einem deutschen Organisten, sp\u00e4ter allgemeiner bekannt geworden, aber zum Theil mit irrigen Angaben \u00fcber ihre H\u00f6hev durch den italienischen Violinisten Tartini, nach welchem^e auch oft Tartini\u2019sche T\u00f6ne genannt werden.\nMan h\u00f6rt diese Combinationst\u00f6ne, wenn zwei musikalische T\u00f6ne von verschiedener H\u00f6he gleichzeitig kr\u00e4ftig und gleichm\u00e4s-sig anhaltend angegeben werden. Die H\u00f6he der Combinationst\u00f6ne ist im Allgemeinen verschieden sowohl von der der prim\u00e4ren T\u00f6ne, als auch von der ihrer harmonischen Obert\u00f6ne. Bei Versuchen unterscheidet man sie daher von den letzteren einfach dadurch, dass die Combinationst\u00f6ne fehlen, wenn einer der prim\u00e4ren T\u00f6ne allein angegeben wird, und jene erst auftreten, wenn beide prim\u00e4ren T\u00f6ne gleichzeitig angegeben werden. Die Combinationst\u00f6ne zerfallen in zwei Classen. Die erste, von Sorge und Tartini entdeckte Classe, welche ich Differenzt\u00f6ne genannt habe, ist dadurch charakterisirt, dass ihre Schwingungszahlen gleich sind den Differenzen zwischen den Schwingungszahlen der prim\u00e4ren T\u00f6ne. Die zweite Classe, die Summationst\u00f6ne, sind von mir entdeckt ; ihre Schwingungszahlen sind gleich der Summe der Schwingungszahlen der prim\u00e4ren T\u00f6ne.\nSucht man die Combinationst\u00f6ne von zwei zusammengesetzten Kl\u00e4ngen auf, so k\u00f6nnen sowohl deren Grundt\u00f6ne als deren Obert\u00f6ne mit einander sowohl Summationst\u00f6ne als Differenzt\u00f6ne geben. Die Zahl der vorhandenen Combinationst\u00f6ne ist in solchem Falle also sehr gross. Doch ist zu bemerken, dass im Allgemeinen die Differenzt\u00f6ne st\u00e4rker sind als die Summationst\u00f6ne, und dass die st\u00e4rkeren prim\u00e4ren T\u00f6ne auch die st\u00e4rkeren Combinationst\u00f6ne geben. Ja die Combinationst\u00f6ne wachsen sogar in einem viel st\u00e4rkeren Verh\u00e4ltnisse als die prim\u00e4ren T\u00f6ne, und nehmen auch schneller ab als diese. Da nun in musikalischen Kl\u00e4ngen der Grundton meist an St\u00e4rke die Obert\u00f6ne \u00fcberwiegt, sind es haupts\u00e4chlich die Combinationst\u00f6ne der beiden\n*) Helmholtz, \u00fcber Combinationst\u00f6ne in Poggendorff\u2019s Annalen Bd. XCIX, S. 497. \u2014 Monatsberichte der Berliner Akademie, 22. Mai 1856.\n**) Vorgemach musikalischer Composition.","page":228},{"file":"p0229.txt","language":"de","ocr_de":"Die Combinationst\u00f6ne.\n229\nGrundt\u00f6ne, und zwar deren Differenzt\u00f6ne, welche st\u00e4rker als alle anderen in das Ohr fallen, und welche deshalb auch zuerst gefunden worden sind. Am leichtesten sind sie zu h\u00f6ren, wenn die beiden prim\u00e4ren T\u00f6ne um weniger als eine Octave von einander abstehen, dann ist der Differenzton der Grundt\u00f6ne tiefer, als beide prim\u00e4ren T\u00f6ne. Um ihn zuerst zu h\u00f6ren, w\u00e4hle man zwei Kl\u00e4nge, welche stark und anhaltend hervorgebracht werden k\u00f6nnen und ein rein gestimmtes harmonisches Intervall bilden, das enger als eine Octave ist. Man lasse erst den tieferen von beiden angeben, dann auch den h\u00f6heren. Bei geh\u00f6riger Aufmerksamkeit wird man bemerken, dass in dem Augenblicke, wo die h\u00f6here Note hinzukommt, auch ein schwacher tieferer Ton h\u00f6rbar wird, der eben der gesuchte Combinationston ist. Bei einzelnen Instrumenten, z. B. der Physharmonica, kann man die Combinationst\u00f6ne auch durch passend abgestimmte Resonanzkugeln h\u00f6rbarer machen. Hier sind sie schon in dem Luftr\u00e4ume des Instruments erzeugt. In anderen F\u00e4llen aber, wo sie nur im Ohre erzeugt werden, helfen die Resonanzkugeln wenig oder nichts.\nFolgende Tafel giebt die ersten Differenzt\u00f6ne der gew\u00f6hnlichen harmonischen Intervalle :\nIntervalle\tSchwingungs- verh\u00e4ltniss\tDifferenz\tCombinationston ist tiefer als der tiefere prim\u00e4re Ton um\nOctave\t\t1 : 2\t1\tEinklang\nQuinte\t\t2 : 3\t1\tOctave\nQuarte\t\t3 : 4\t1\tDuodecimo\nGrosse Terz . . .\t4 : 5\t1\t2 Octaven\nKleine Terz . . .\t5 : 6\t1\t2 Octaven u. grosse Terz\nGrosse Sexte . . .\t3 : 5\t2\tQuinte\nKleine Sexte . . .\t5 : 8\t3\tGrosse Sexte\noder in Notenschrift, wobei die prim\u00e4ren T\u00f6ne durch halbe Noten, die Combinationst\u00f6ne durch Viertel angegeben sind:","page":229},{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230\nZweite Abtheilung. Siebenter Abschnitt.\nNachdem man sich ge\u00fcbt hat, die Combinationst\u00f6ne reiner Intervalle und gehaltener T\u00f6ne zu h\u00f6ren, lernt man sie auch bei disharmonischen Intervallen und bei den schnell verhallenden T\u00f6nen des Claviers erkennen. Die der disharmonischen Intervalle werden dadurch schwerer erkennbar, dass sie in st\u00e4rkeren oder schw\u00e4cheren Schwebungen begriffen sind, wovon wir den Grund sp\u00e4ter er\u00f6rtern werden. Die der schnell verhallenden T\u00f6ne, wie die des Claviers, sind eben nur im ersten Augenblicke stark genug, um deutlich geh\u00f6rt zu werden, und verhallen selbst schneller als die prim\u00e4ren T\u00f6ne. Auch sind sie im Allgemeinen bei den einfachen T\u00f6nen der Stimmgabeln und der gedachten Orgelpfeifen leichter zu h\u00f6ren, als bei zusammengesetzten Kl\u00e4ngen, wo schon eine Menge anderer Nebent\u00f6ne vorhanden sind. Letztere geben, wie schon erw\u00e4hnt ist, auch noch eine Anzahl von Differenzt\u00f6nen der harmonischen Obert\u00f6ne, die leicht die Aufmerksamkeit von dem Differenzton der Grundt\u00f6ne ablenken. Dergleichen Combinationst\u00f6ne der Obert\u00f6ne h\u00f6rt man namentlich bei der Violine und Physharmonica h\u00e4ufig.\nBeispiel: Man nehme die grosse Terz c'e', Zahlenverh\u00e4ltniss 4 : 5. Der erste Differenzton ist 1, d. h. C. Der erste harmonische Oberton von c' ist e\" mit der Schwingungszahl 8. Dieser giebt mit e' die Differenz 3, d. h. g. Der erste Oberton von e' ist e\" mit der Schwingungszahl 10, dieser giebt mit c' oder 4 die Differenz 6, d. h. ()'. Dann geben cn und 6fl den Combinationston 2, d. h. c. So erhalten wir also durch die ersten Obert\u00f6ne schon die Reihe der Combinationst\u00f6ne 1,3,6,2, oder C,g,g',c. Von diesen ist namentlich der Ton 3 oft leicht wahrzunehmen.\nDiese mehrfachen Combinationst\u00f6ne sind gew\u00f6hnlich nur dann deutlich h\u00f6rbar, wenn die prim\u00e4ren Kl\u00e4nge deutlich h\u00f6rbare harmonische Obert\u00f6ne enthalten. Doch kann man nicht behaupten, dass erstere ganz fehlten, wo die letzteren fehlen ; nur sind sie dann so schwach, dass das Ohr sie nicht leicht neben den starken prim\u00e4ren T\u00f6nen und dem ersten Differenzton erkennt. Einmal l\u00e4sst die Theorie schliessen, dass sie schwach da seien, und","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"Die Combinationst\u00f6ne.\t231\ndie Schwebungen unreiner harmonischer Intervalle, von denen sp\u00e4ter zu sprechen ist, gehen ebenfalls ihr Dasein zu erkennen. Man kann in diesen F\u00e4llen mit Hallstroem*) die Entstehung der mehrfachen Combinationst\u00f6ne so darstellen, als wenn der erste Differenzton, der Combinationston erster Ordnung, mit den prim\u00e4ren T\u00f6nen selbst wieder Differenzt\u00f6ne giebt, Combinationst\u00f6ne zweiter Ordnung, diese wieder neue mit den prim\u00e4ren T\u00f6nen und den T\u00f6nen erster Ordnung und so fort.\nBeispiel: Setzen wir wieder voraus, dass zwei einfache T\u00f6ne im Verh\u00e4ltnis 4 : 5, n\u00e4mlich c' und e' zusammenklingen, so ist der Differenzton erster Ordnung 1 oder G. Dieser giebt mit den prim\u00e4ren T\u00f6nen 4 und 5 die Differenzt\u00f6ne zweiter Ordnung 3 und 4, g und ein zweites c'. Der neue Ton 3 giebt mit den prim\u00e4ren T\u00f6nen 4 und 5 die T\u00f6ne dritter Ordnung 1 und 2, C und c, mit dem Tone erster Ordnung 1 den Ton vierter Ordnung 2, n\u00e4mlich ein zweites c u. s. w. Die T\u00f6ne verschiedener Ordnung, welche in diesem Beispiele unter Voraussetzung absolut reiner Stimmung zusammenfallen, thun es nicht mehr vollst\u00e4ndig, wenn die Stimmung des prim\u00e4ren Intervalls nicht absolut rein ist; dann entstehen Schwebungen, wie sie durch die Anwesenheit dieser T\u00f6ne gefordert werden. Davon sp\u00e4ter mehr.\nHier folgen die Systeme der Differenzt\u00f6ne verschiedener Ordnungen f\u00fcr verschiedene Intervalle. Die prim\u00e4ren T\u00f6ne sind in halben Noten, die Combinationst\u00f6ne erster Ordnung in Vierteln, die zweiter Ordnung in Achteln u. s. w. geschrieben. Dieselben T\u00f6ne entstehen bei zusammengesetzten Kl\u00e4ngen auch als Combinationst\u00f6ne der Obert\u00f6ne.\n\t\t-o- f\t- * \u00b1.\n$Z\t-\u00cf-\t:\t\ti\u2014q E i\t\u2014P IM-\n\t\t\t\nOctave\tQuinte\tQuarte\tGrosse Terz.\n*) Poggendorff\u2019s Annalen Bd. XXIV, S. 438.","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232 Zweite Abtheilung. Siebenter Abschnitt.\nKleine Terz. Grosse Sexte. Kleine Sexte.\nDie Reihen sind abgebrochen, sobald die letzte Ordnung keine neuen T\u00f6ne mehr liefert. Im Allgemeinen ergiebt diese TJebersicht, dass sich immer die Reihe der harmonischen T\u00f6ne 1, 2, 3, 4, 5 u. s. w. bis zu den prim\u00e4ren T\u00f6nen hinauf vollst\u00e4ndig her stellt.\nDie zweite Art der Comhinationst\u00f6ne, welche ich Summationst\u00f6ne genannt habe, ist im Allgemeinen von viel geringerer Tonst\u00e4rke, als die Differenzt\u00f6ne, und nur bei besonders g\u00fcnstigen Gelegenheiten, namentlich bei der Physharmonica uffd der mehrstimmigen Sirene leichter zu h\u00f6ren. Es kommen fast nur die ersten derselben zur Wahrnehmung, deren Schwingungszahl gleich der Summe der Schwingungszahlen der prim\u00e4ren T\u00f6ne ist. Es k\u00f6nnen nat\u00fcrlich auch Summationst\u00f6ne der harmonischen Obert\u00f6ne existiren. Da ihre Schwingungszahl immer gleich der Summe der Schwingungszahlen der prim\u00e4ren T\u00f6ne ist, so sind sie stets h\u00f6her als diese. F\u00fcr die einfachen Intervalle ergeben sie sich aus folgender Uebersicht.\nztz\t\t\u25a0\t\u2014\t-, \u25a0 *\t\t\t\t- 1\u2014\n\t\t\t\tj .\t\t\t. .1 *\t\n1-V4 d\t\t\t\t\t\t\t|\tn. un TOTTM\u2014rr\t\n9 .\t\t\t.kJ .\t\t\t\t3 HW\u201c\t\nw\t^w\t\t\t\t\t\tW\tTT\t\t\t\t\n\t\t\tqS-\t\t\t\t\t\n\t\t\t4\u20141\ti\tH\t- 1\t\t::\t1\nBei den letzten beiden Intervallen liegen die Summationst\u00f6ne zwischen den beiden oben angegebenen T\u00f6nen. In musikalischer Beziehung will ich hier gleich darauf aufmerksam machen, dass viele dieser Summationst\u00f6ne sehr unharmonische Intervalle mit den prim\u00e4ren T\u00f6nen geben. W\u00e4ren sie nicht an den meisten Instrumenten sehr schwach, so w\u00fcrden sie \u00e4usserst st\u00f6rende Dissonanzen geben. In der That klingen auch die grosse und kleine","page":232},{"file":"p0233.txt","language":"de","ocr_de":"Die Combinationst\u00f6ne.\t233\nTerz und die kleine Sexte auf der mehrstimmigen Sirene, wo alle Combinationst\u00f6ne auffallend stark hervortreten, sehr schlecht, w\u00e4hrend die Octave, Quinte und grosse Sexte sehr sch\u00f6n klingen; auch die Quarte macht auf der Sirene nur den Eindruck eines massig gut klingenden Septimenaccords.\nMan hat die Combinationst\u00f6ne fr\u00fcher f\u00fcr rein subjectiv gehalten, und geglaubt, sie entst\u00e4nden erst im Ohre selbst. Man kannte nur die Differenzt\u00f6ne, und stellte diese mit den Schwebungen zusammen, welche je zwei zusammenklingende T\u00f6ne von wenig verschiedener Tonh\u00f6he zu gehen pflegen, eine Erscheinung, die wir in den n\u00e4chsten Abschnitten noch n\u00e4her untersuchen werden. Man glaubte, wenn solche Schwebungen schnell genug w\u00e4ren, k\u00f6nnten die einzelnen Schwellungen der Tonst\u00e4rke, gerade so wie es ebenso viele gew\u00f6hnliche einfache Luftst\u00f6sse thun w\u00fcrden, die Empfindung eines neuen Tones hervorbringen, dessen Schwingungszahl der Zahl der Schwebungen gleich sei. Diese Ansicht erkl\u00e4rt aber erstens nicht die Entstehung der Summationst\u00f6ne, sondern nur die der Difierenzt\u00f6ne ; zweitens l\u00e4sst sich nach-weisen, dass unter Umst\u00e4nden die Combinationst\u00f6ne objectiv exi-stiren, unabh\u00e4ngig vom Ohr, welches die Schwebungen zu einem neuen Tone zusammen addiren soll, und drittens l\u00e4sst sich diese Ansicht nicht mit dem durch alle \u00fcbrigen Erfahrungen best\u00e4tigten Gesetze vereinigen, dass das Ohr nur diejenigen T\u00f6ne empfindet, welche einfachen pendelartigen Bewegungen der Luft entsprechen.\nEs l\u00e4sst sich in der That ein anderer Grund f\u00fcr die Entstehung der Combinationst\u00f6ne nachweisen, der schon oben im Allgemeinen bezeichnet ist. Wenn n\u00e4mlich irgendwo die Schwingungen der Luft, oder eines anderen elastischen K\u00f6rpers, der von beiden prim\u00e4ren T\u00f6nen gleichzeitig in Bewegung gesetzt wird, so heftig werden, dass die Schwingungen nicht mehr als unendlich klein betrachtet werden k\u00f6nnen, da m\u00fcssen, wie die mathematische Theorie nachweist, solche Schwingungen der Luft entstehen, deren Tonh\u00f6he den Combinationst\u00f6nen entspricht.\nEinzelne Instrumente liefern besonders starke Combinationst\u00f6ne. Die Bedingung f\u00fcr ihre Erzeugung ist, dass dieselbe Luft-masse von beiden T\u00f6nen in heftige Ersch\u00fctterung versetzt wird. Dies geschieht am st\u00e4rksten in der mehrstimmigen Sirene, in welcher dieselbe rotirende Scheibe zwei oder mehrere L\u00f6cherreihen enth\u00e4lt, die aus demselben Windkasten gleichzeitig angeblasen wer-","page":233},{"file":"p0234.txt","language":"de","ocr_de":"284 Zweite Abtheilung. Siebenter Abschnitt.\nden *). Die Luft des Windkastens ist verdichtet, so oft die L\u00f6cher geschlossen sind; wenn sie ge\u00f6ffnet werden, st\u00fcrzt ein grosser Theil derselben in das Freie, es tritt eine betr\u00e4chtliche Druckvermin-derung ein. So ger\u00e4th die Luftmasse im Windkasten und zum Theil selbst im Blasebalg, wie man an diesem leicht f\u00fchlen kann, in heftige Schwingungen. Werden zwei L\u00f6cherreihen angeblasen, so entstehen solche Schwingungen in der Luftmasse des Windkastens beiden T\u00f6nen entsprechend, und durch jede Eeihe von Oeffnungen wird nicht ein gleichm\u00e4ssig zufliessender Luftstrom entleert, sondern ein Luftstrom, der durch den andern Ton schon in Schwingungen versetzt ist. Die Combinationst\u00f6ne sind unter diesen Umst\u00e4nden ausserordentlich stark, fast ebenso stark wie die prim\u00e4ren T\u00f6ne. Dass sie hierbei objectiv in der Luftmasse existiren, kann man durch schwingende Membranen nacliweisen, welche mit den Combinationst\u00f6nen im Einklang sind. Solche werden in Mitschwingung versetzt, sobald man beide prim\u00e4re T\u00f6ne zugleich angiebt, nicht aber, wenn man nur einen oder den andern prim\u00e4ren Ton angiebt. Namentlich sind in diesem Falle auch die Summationst\u00f6ne so stark, dass sie Accorde, in denen Terzen oder kleine Sexten Vorkommen, \u00e4usserst widrig machen. Statt der Membranen ist es bequemer, die Resonatoren zu gebrauchen, welche ich oben f\u00fcr die Untersuchung der harmonischen Obert\u00f6ne empfohlen habe. Auch diese k\u00f6nnen nur'einen Ton verst\u00e4rken, dessen entsprechende pendelartige Schwingung im Luftraum vorhanden ist, und nicht einen Ton, der nur in der Empfindung des Ohres existirt ; man kann sie deshalb gebrauchen, um zu ermitteln, ob ein C\u00f6mbinationston objectiv' vorhanden ist. Sie sind sehr viel empfindlicher als die Membranen, und geeignet, auch sehr schwache objective T\u00f6ne deutlich erkennen zu lassen.\nAehnlich der Sirene sind die Verh\u00e4ltnisse bei der Physharmo-nica. Auch hier ist ein gemeinsamer Windraum vorhanden, und wenn zwei Tasten angeschlagen werden, haben wir zwei Oeffnungen, welche durch die Zungen rhythmisch ge\u00f6ffnet und geschlossen werden. Auch hier wird die Luft in dem gemeinsamen Beh\u00e4lter durch beide T\u00f6ne stark ersch\u00fcttert, und durch jede Oeff-nung Luft geblasen, die von der andern Zunge her schon in schwingende Bewegung gesetzt ist. Es sind deshalb auch bei\n*) Ein solches Instrument wird im n\u00e4chsten Abschnitte genauer beschrieben werden.","page":234},{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"235\nDie Combinationst\u00f6ne.\ndiesem Instrumente die Combinationst\u00f6ne objectiv vorhanden, und verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig sehr deutlich, aber sie sind lange nicht so stark, wie in der Sirene, wohl weil der Windkasten im Verh\u00e4ltniss zu den Oeffnungen ausserordentlich viel gr\u00f6sser ist, und deshalb w\u00e4hrend der kurzen Er\u00f6ffnung eines Windlochs durch die schwingende Zunge nicht so viel Luft herausst\u00fcrzen kann, um den Druck erheblich zu vermindern. Auch bei der Physharmonica h\u00f6rt man die Combinationst\u00f6ne durch gleichgestimmte Resonatoren sehr deutlich verst\u00e4rkt, namentlich den ersten und zweiten Differenzton und den ersten Summationston. Indessen habe ich mich durch besondere Versuche \u00fcberzeugt, dass auch bei dem genannten Instrumente der gr\u00f6ssere Theil der St\u00e4rke des Combinations-tons erst im Ohre entsteht. Ich habe die Windleitungen in dem Instrumente so eingerichtet, dass ein Ton von den unteren mit dem Fusse getretenen B\u00e41 gen aus mit Luft versehen wurde, ein zweiter von dem vorher vollgepumpten und durch Ausziehen des sogenannten Expressionszuges nachher abgeschlossenen Reservebalge, und fand die Combinationst\u00f6ne nicht eben viel schw\u00e4cher als bei der gew\u00f6hnlichen Anordnung. Wohl aber war der objective Theil derselben, welcher durch die Resonatoren verst\u00e4rkt werden kann, viel schw\u00e4cher. Mau wird nach der oben gegebenen Uebersicht der Combinationst\u00f6ne leicht die Tasten finden k\u00f6nnen, welche man anschlagen muss, um einen Combinationston hervorzubring\u00e9n, der durch eine gegebene Resonanzr\u00f6hre verst\u00e4rkt wird.\nWenn dagegen die Erregungsstellen der beiden T\u00f6ne ganz von einander getrennt sind, und keinen mechanischen Zusammenhang haben, wenn also z. B. zwei Singstimmen, oder zwei einzelne Blasinstrumente, oder zwei Violinen den Ton angeben, ist die Verst\u00e4rkung der Combinationst\u00f6ne durch die Resonanzr\u00f6hren schwach und zweifelhaft. Hier ist also im Luftraum nicht deutlich wahrnehmbar eine dem Combinationst\u00f6ne entsprechende pendelartige Schwingung vorhanden, und wir m\u00fcssen schliessen, dass die Combinationst\u00f6ne, die zuweilen recht kr\u00e4ftig sind, wirklich erst im Ohre entstehen. Aber nach der Analogie der fr\u00fcheren F\u00e4lle d\u00fcrfen wir auch hierbei wohl annehmen, dass es zun\u00e4chst die \u00e4usseren schwingenden Theile des Ohres, namentlich das Trommelfell und die Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen sind, welche in eine hinreichend kr\u00e4ftige combinirte Schwingung versetzt werden, um Combinationst\u00f6ne zu erzeugen, so dass also die den Combinationst\u00f6nen","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236 Zweite Abtheilung. Siebenter Abschnitt.\nentsprechenden Schwingungen in den Theilen des Ohres wirklich objectiv bestehen m\u00f6gen, ohne dass sie im Luftraum objectiv bestehen. Eine kleine Verst\u00e4rkung des Combinationstons durch den entsprechenden Resonator kann daher auch wohl in diesem Falle dadurch entstehen, dass das Trommelfell solche Schwingungen, die dem Combinationstone entsprechen, an die Luftmasse des Resonators abgiebt.\nWelche wichtige Rolle die Combinationstone bei der Accord-bildung spielen, wird sich sp\u00e4ter ergeben. Ehe wir dazu \u00fcbergehen k\u00f6nnen, m\u00fcssen wir ein zweites Ph\u00e4nomen des Zusammenklanges zweier T\u00f6ne untersuchen, n\u00e4mlich die Schwebungen.","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Achter Abschnitt.\nVon den Schwebungen einfacher T\u00f6ne.\nWir gehen jetzt \u00fcber zu anderen Vorg\u00e4ngen beim Zusammen-klange zweier T\u00f6ne, wobei allerdings die Bewegungen der Luft und der \u00fcbrigen mitwirkenden elastischen K\u00f6rper ausserhalb und innerhalb des Obres durchaus aufgefasst werden k\u00f6nnen als ein ungest\u00f6rtes Nebeneinanderbesteben der beiden Schwingungssysteme, welche den beiden T\u00f6nen entsprechen, wo aber die Empfindung im Obre nicht mehr der Summe der beiden Empfindungen entspricht,. welche von beiden T\u00f6nen einzeln erregt werden. Dadurch unterscheiden sich die Combinationst\u00f6ne wesentlich von den nun zu betrachtenden Schwebungen, dass bei jenen die Addition der Schwingungen in den schwingenden elastischen K\u00f6rpern entweder ausserhalb oder innerhalb des Ohres St\u00f6rungen erleidet, w\u00e4hrend das Ohr die ihm schliesslich zugeleitete Bewegung nach dem gew\u00f6hnlichen Gesetze in einfache T\u00f6ne zerlegt. Bei den Schwebungen folgen im Gegentheil die objectiven Bewegungen der elastischen K\u00f6rper dem einfachen Gesetze, aber die Addition der Empfindungen findet nicht ungest\u00f6rt statt. So lange mehrere T\u00f6ne in das Ohr fallen, deren Tonh\u00f6hen hinreichend verschieden von einander sind, k\u00f6nnen die Empfindungen derselben im Ohre ganz ungest\u00f6rt neben einander bestehen* weil dadurch wahrscheinlich ganz verschiedene Nervenfasern afficirt werden.","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238 Zweite Abtheilung. Achter Abschnitt.\nAber T\u00f6ne von gleicher oder nahe gleicher H\u00f6he, welche dieselben Nervenfasern afficiren, geben nicht einfach die Summe der Empfindungen, die jeder einzelne f\u00fcr sich geben w\u00fcrde, sondern es treten hier neue und eigenth\u00fcmliche Erscheinungen ein, die wir mit dem Namen der Interferenz belegen, wenn sie durch zwei gleiche T\u00f6ne, mit dem Namen der Schwebungen, wenn sie durch zwei nahe gleiche T\u00f6ne hei\u2019vorgehracht werden.\nWir wollen zuerst die Erscheinungen der Interferenz beschreiben. Man denke sich irgend einen Punkt in der Luft oder im Ohre durch eine Tonquelle in Bewegung gesetzt, und die Bewegung dargestellt durch die Curve 1, Fig. 46. Die Bewegung, welche die zweite Ton quelle hervorbringt, sei in den gleichen Zeit-\nFig. 46.\npunkten genau dieselbe, dargestellt durch 2, so dass die Berge von 2 auf die Berge von 1, die Th\u00e4ler auf die Th\u00e4ler fallen. Wirken beide gleichzeitig, so wird die Gesammtbewegung die Summe beider sein, dargestellt durch die Curve 3 von \u00e4hnlicher Art, aber mit doppelt so hohen Bergen und doppelt so tiefen Th\u00e4lern, als jede der beiden ersten. Da die Intensit\u00e4t des Schalls dem Quadrate der Schwingungsweite proportional zu setzen ist, so erhalten wir dabei einen Ton nicht von der doppelten, sondern von der vierfachen Intensit\u00e4t.\nJetzt denke man die Schwingungen der zweiten Tonquelle um eine halbe Schwingungsdauer verschoben, so werden die zu addirenden Schwingungen wie die Curven 4 und 5, Fig. 47, unter einander stehen, und wenn wir sie addiren, so sind die H\u00f6hen der zweiten Curve immer gleich gross denen der ersten, aber negativ genommen, beide werden sich also gegenseitig aufheben, und ihre Summe wird Null sein, dargestellt durbh die gerade Linie 6. Hier","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"239\nInterferenz des Schalles.\naddiren sich die Berge von 4 zu den Th\u00e4lern von 5, und umgekehrt; indem die Berge die Th\u00e4ler ausf\u00fcllen,- zerst\u00f6ren sie sich gegenseitig. Die Intensit\u00e4t des Schalles wird also Null werden,\nFig. 47.\nund wenn eine solche Aufhebung der Bewegungen innerhalb des Ohres geschieht, so h\u00f6rt auch die Empfindung auf, und w\u00e4hrend jede einzelne Tonquelle f\u00fcr sich wirkend in unserem Ohre die gleiche Empfindung hervorruft, gehen beide zusammenwirkend gar keine Empfindung. Schall hebt den scheinbar gleichen Schall in diesem Falle vollst\u00e4ndig auf. Dies erscheint der gew\u00f6hnlichen Anschauung ausserordentlich paradox, weil sich das nat\u00fcrliche Bewusstsein unter Schall nicht die Bewegung der Lufttheilchen denkt, sondern etwas Reelles, der Empfindung des Schalles Analoges. Da nun die Empfindung eines Tones von gleicher Tonh\u00f6he nicht Gegens\u00e4tze von positiv und negativ zeigt, so erscheint es nat\u00fcrlich unm\u00f6glich, dass eine positive Empfindung die andere auf heben soll. Was sich aber gegenseitig auf hebt, sind in einem solchen Falle die Bewegungs-anst\u00f6sse, welche beide Tonquellen auf das Ohr aus\u00fcben. Wenn diese so geschehen, dass die Bewegungsanst\u00f6sse der einen Tonquelle fortdauernd mit entgegengesetzten von der andern Tonquelle Zusammentreffen, und sich vollst\u00e4ndig im Gleichgewicht halten, so kann eben im Ohr keine Bewegung entstehen, und der Geh\u00f6rnerv nichts empfinden.\nIch will hier einige Beispiele solcher F\u00e4lle anf\u00fchren, wo Schall den Schall a\u00fcfhebt.\n1. Man setze zwei ganz gleich gebaute gedackte Orgelpfeifen von gleicher Stimmung auf dieselbe Windlade dicht neben einander. Jede einzelne, allein angeblasen, giebt einen kr\u00e4ftigen Ton; wenn man aber beide zugleich anbl\u00e4st, so passt sich die Luftbewegung beider Pfeifen so einander an, dass, w\u00e4hrend aus der einen die Luft ausstr\u00f6mt, sie in die andere einstr\u00f6mt, und sie ge-","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240 Zweite Abtheilurig. Achter Abschnitt.\nben deshalb f\u00fcr das Ohr eines entfernteren Beobachters keinen Ton, sondern lassen nur das Sausen der Luft h\u00f6ren. Bringt man aber ein F\u00e4serchen einer Feder nahe den Lippen der Pfeifen, so zeigt dies dieselben Schwingungen, als wenn jede Pfeife allein angeblasen wird. Auch wenn man vom Ohre ein Rohr nach einer der M\u00fcndungen leitet, h\u00f6rt man den Ton dieser Pfeife so viel st\u00e4rker, dass er durch den der anderen nicht mehr vollst\u00e4ndig zerst\u00f6rt werden kann.\nAuch jede Stimmgabel zeigt Interferenzerscheinungen, die davon herr\u00fchren, dass beide Zinken entgegengesetzte Bewegungen machen. Wenn man eine Stimmgabel anschl\u00e4gt, dem Ohre n\u00e4hert und sie dann um ihreL\u00e4ngsaxe dreht, so findet man, dass es vier Stellungen der Gabel giebt, in denen man ihren Ton deutlich h\u00f6rt, w\u00e4hrend er in vier dazwischen liegenden Stellungen unh\u00f6rbar wird. Die vier Stellungen starken Schalles sind diejenigen, wo entweder eine der beiden Zinken, oder eine der beiden Seitenfl\u00e4chen der\nGabel dem Ohre zugekehrt ist. Die Stellen ohne Schall liegen zwischen den genannten nahehin in Ebenen, die unter 45\u00b0 gegen die Fl\u00e4chen der Zinken durch die Axe der Gahel gehen. Stellt Fig. 48 a und b die Enden der Gabel von oben gesehen dar, so sind c, d, e und / Orte starken Schalles, die punktirten Linien dagegen bezeichnen die Orte der Ruhe. Die Pfeile unter a und b bezeichnen die gleichzeitige Richtung der Bewegung beider Zinken. W\u00e4hrend also die Zinke a der benachbarten Luftmasse bei c einen Bewegungsanstoss in der Richtung ca mittheilt, thut b das Entgegengesetzte. Beide Impulse heben sich bei c nur zum Theil auf, weil a st\u00e4rker wirkt als b. Die punktirten Linien dagegen bezeichnen die Stellen, wo die entgegengesetzten Bewegungsanst\u00f6sse von a und b her gleiche St\u00e4rke haben, und sich daher vollst\u00e4ndig aufheben. Bringt man das Ohr nun an eine solche Stelle, wo es nichts h\u00f6rt, und schiebt man entweder \u00fcber die Zinke a oder b ein enges R\u00f6hrchen mit der Vorsicht, dass es die schwingende Zinke nicht ber\u00fchrt, so wird der Schall sogleich lauter, indem da-","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Interferenz des Schalles.\t241\ndurch der Einfluss der bedeckten Zinke fast ganz beseitigt wird, und nun die andere Zinke ungest\u00f6rt allein wirken kann.\nSehr bequem f\u00fcr die Demonstration dieser Verh\u00e4ltnisse ist eine Doppelsirene, die ich habe construiren lassen *). In Fig. 49 (a. f. S.) ist eine perspectivische Ansicht derselben gegeben. Dieselbe ist aus zwei solchen mehrstimmigen Dove\u2019sehen Sirenen zusammengesetzt, wie sie schon fr\u00fcher erw\u00e4hnt sind; a0 und a{ sind die beiden Windk\u00e4sten, c0 und cx die Scheiben, welche auf einer gemeinsamen Axe b festsitzen, die bei k eine Schraube tr\u00e4gt, um ein Z\u00e4hlwerkzu treiben, welches eingesetzt werden kann; die Einrichtung eines solchen Z\u00e4hlwerks ist schon oben beschrieben Seite 23. Der obere Kasten ax kann selbst um seine Axe gedreht werden. Zu dem Ende ist- er mit einem Zahnrade versehen, in welches das kleinere mit einer Kurbel d versehene Zahnrad e eingreift. Die Axe des Kastens ax, um die er sich dreht, ist eine Verl\u00e4ngerung des oberen Windrohres g. Auf jeder der beiden Sirenenscheiben sind vier L\u00f6cherreihen, die einzeln oder beliebig verbunden angeblasen werden k\u00f6nnen; bei i sind die Stifte, welche die L\u00f6cherreihen vermittelst einer besonderen Einrichtung **) \u00f6ffnen. Die untere Scheibe hat vier Reihen von 8, 10, 12, 18 L\u00f6chern, die obere von 9, 12, 15, 16. Nennen wir also den Ton von acht L\u00f6chern c, so hat die untere Scheibe die T\u00f6ne c, e, g, du die obere d, g, h, Cj. Man kann demnach folgende Tonintervalle hervorbringen:\n1.\tEinklang: gg auf beiden Scheiben zugleich.\n2.\tOctave: ccx und ddx auf beiden.\n3.\tQuinten: cg und gdx entweder auf der unteren allein oder beiden zusammen.\n4.\tQuarten: dg und gcx auf der oberen allein oder beiden Scheiben.\n5.\tGrosse Terz: ce auf der unteren, gh auf der oberen, letztere auch auf beiden.\n6.\tKleine Terz: eg auf der unteren oder beiden, hdx auf beiden.\n7.\tGanzer Ton: cd und cxdx auf beiden.\n8.\tHalber Ton: hcx auf der oberen.\nWerden beide T\u00f6ne auf derselben Scheibe angeblasen, so sind die objective\u00ae Combinationst\u00f6ne sehr stark, wie im vorigen\n*) Vom Mechanicus Sauerwald in Berlin.\n**) Deren Beschreibung in Beilage X.\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\n16","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242 Zweite Abtheilung. Achter Abschnitt.\nFig. 49.","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Interferenz des Schalles.\t243\nParagraphen schon bemerkt worden ist. Werden sie dagegen auf verschiedenen Scheiben angeblasen, so sind die Combinationst\u00f6ne schwach; im letzteren Falle ist es m\u00f6glich, worauf es uns hier zun\u00e4chst besonders ankommt, die beiden T\u00f6ne mit jedem beliebigen Phasenunterschiede Zusammenwirken zu lassen. Zu dem Ende hat man nur die Stellung des oberen Kastens zu \u00e4ndern.\nZun\u00e4chst haben wir nur die Erscheinungen an dem Einkl\u00e4nge g g zu untersuchen. Der Erfolg der Interferenz beider T\u00f6ne wird in diesem Falle dadurch complicirter, dass die Sirenenkl\u00e4nge nicht einfache, sondern zusammengesetzte T\u00f6ne sind, und die Interferenz der einzelnen harmonischen T\u00f6ne von der des Grundtones und von einander unabh\u00e4ngig ist. Um die hai-monisclien Obert\u00f6ne des Sirenenklanges durch ein Ansatzrohr zu d\u00e4mpfen, habe ich cylindrische Messingk\u00e4sten .fertigen lassen, von denen man bei\nund h0h0 die hintere H\u00e4lfte sieht. Diese K\u00e4sten sind in je zwei H\u00e4lften zerschnitten, so dass man sie abnehmen, wieder aufsetzen und dann durch Schrauben auf dem Windkasten befestigen kann. Wenn der Sirenenton sich dem Grundtone dieser K\u00e4sten n\u00e4hert, wird der Klang voll, stark und weich, wie ein sch\u00f6ner Hornton, w\u00e4hrend sonst die Sirene einen ziemlich scharfen Ton hat. Gleichzeitig braucht man wenig Luft, aber starken Druck. Es sind dies ganz dieselben Verh\u00e4ltnisse, wie bei einer Zunge, der man ein Ansatzrohr von ihrer eigenen Tonh\u00f6he gegeben hat. In dieser Weise gebraucht, ist die Sirene namentlich zu den Interferenzversuchen sehr geeignet.\nStehen beide K\u00e4sten so, dass die Luftst\u00f6sse auf beiden Seiten genau gleichzeitig erfolgen, so fallen die gleichen Phasen des Grundtones sowohl, wie s\u00e4mmtlicher Obert\u00f6ne zusammen, sie werden alle verst\u00e4rkt.\nDreht man die Kurbel um einen halben rechten Winkel, was einer Drehung des Kastens um 1j6 eines rechten Winkels, oder um 7*4 der Peripherie, oder um einen halben Abstand der L\u00f6cher in der angeblasenen Reihe von 12 L\u00f6chern entspricht, so betr\u00e4gt die Phasendifferenz der beiden Grundt\u00f6ne 1ji Schwingungsdauer, die Luftst\u00f6sse des einen Kastens fallen gerade in die Mitte zwischen die des anderen, und die beiden Grundt\u00f6ne vernichten sich gegenseitig. Aber die Phasendifferenz ihrer h\u00f6heren Octaven betr\u00e4gt unter denselben Umst\u00e4nden eine ganze Schwingungsdauer, 4. h. diese verst\u00e4rken sich gegenseitig, und so verst\u00e4rken sich in der gleichen Stellung alle geradzahligen harmonischen T\u00f6ne, w\u00e4hle*","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244 Zweite Abtheilung. Achter Abschnitt.\nrend die ungeradzahligen sich aufheben. In der neuen Stellung wird der Ton also schw\u00e4cher, weil eine Anzahl seiner T\u00f6ne fortf\u00e4llt, aber er h\u00f6rt nicht ganz auf, sondern schl\u00e4gt vielmehr in seine Octave um. Dreht man die Kurbel um einen zweiten halben Rechten, so dass die. ganze Drehung einen ganzen Rechten betr\u00e4gt, so fallen die Luftst\u00f6sse beider Scheiben wieder genau zusammen, die T\u00f6ne verst\u00e4rken sich. Bei einer ganzen Umdrehung der Kurbel findet man also vier Stellungen, wo der ganze Klang der Sirene verst\u00e4rkt erscheint, und vier andere dazwischen, wo der Grundton nebst allen ungeradzahligen harmonischen T\u00f6nen verschwindet, und daf\u00fcr schw\u00e4cher die h\u00f6here Octave mit den geradzahligen Obert\u00f6nen eintritt. Achtet man auf den n\u00e4chsten Oberton, die Octave des Grundtones allein, indem man ihn durch eine passende Resonanzr\u00f6hre belauscht, so findet man, dass er nach Drehung um V4 Rechten schwindet, nach Drehung um Va Rechten wieder verst\u00e4rkt wird, also bei einer ganzen Umdrehung der Kurbel acht Mal schwindet und acht Mal hervorkommt. Der dritte Ton, die Duodecime des Grundtones, schwindet in derselben Zeit 12 Mal, der vierte Ton 16 Mal u. s. w.\nAehnlich wie bei der Sirene erscheint die Interferenz auch bei anderen zusammengesetzten Kl\u00e4ngen, wenn man zwei Kl\u00e4nge derselben Art mit dem Unterschiede einer halben Schwingungsdauer Zusammenwirken l\u00e4sst; der Ton erlischt nicht, sondern schl\u00e4gt in die Octave um. Wenn man z. B. zwei offene Orgelpfeifen oder zwei Zungenpfeifen von gleichem Bau und gleicher Stimmung neben einander auf dieselbe Windlade setzt, so adapti-ren sich ihre Schwingungen gew\u00f6hnlich ebenfalls so, dass der Luftstrom abwechselnd in die eine und die andere hineintritt, und w\u00e4hrend der Klang der gedackten Pfeifen, die nur ungerade T\u00f6ne haben, dann fast ganz erlischt, tritt bei den offenen und Zungenpfeifen die h\u00f6here Octave hervor. Es ist dies der Grund, warum man keine Verst\u00e4rkung des Tones auf der Orgel oder Physhar-monica durch Combination gleichartiger Zungen oder gleichartiger Pfeifen erhalten kann.\nBisher haben wir je zwei T\u00f6ne Zusammenkommen lassen, welche genau gleiche H\u00f6he haben; untersuchen wir jetzt, was geschieht, wenn zwei T\u00f6ne von etwas verschiedener Tonh\u00f6he Zusammenkommen. Um Aufschluss \u00fcber diesen Fall zu geben, ist die oben beschriebene Doppelsirene wieder sehr geeignet. Wir k\u00f6nnen n\u00e4mlich die H\u00f6he des oberen Tones ein wenig ver\u00e4ndern,","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung der Schwebungen.\t245\n\u25a0wenn wir den Windkasten mittelst der Kurbel langsam herum-drehen ; und zwar wird der Ton tiefer, wenn der Windkasten in derselben Richtung gedreht wird, wie die Scheibe rotirt, und er wird h\u00f6her, wenn der Kasten in entgegengesetzter Richtung gedreht wird. Die Schwingungsdauer des Sirenentones ist n\u00e4mlich gleich der Z\u00e9it, welche ein Loch der rotirenden Scheibe gebraucht, um von einem Loche des Windkastens bis vor das n\u00e4chste zu \"dangen. Kommt das Loch des Kastens dem Loche der Scheibe ' entgegen durch eine Drehung des Kastens, so werden die beiden L\u00f6cher eher zusammenstossen, als wenn der Kasten stillsteht; die Schwingungsdauer wird k\u00fcrzer, der Ton h\u00f6her. Das Umgekehrte findet bei der entgegengesetzten Drehung des Kastens statt. Man h\u00f6rt diese Erh\u00f6hungen und Vertiefungen des Tones sehr leicht-, wenn man ein wenig schneller dreht. Gieht man nun an beiden rotirenden Scheiben die T\u00f6ne von zw\u00f6lf L\u00f6chern an, so sind diese in absolut genauem Einkl\u00e4nge, so lange der obere Kasten der Sirene stillsteht. Die beiden T\u00f6ne verst\u00e4rken sich entweder fortdauernd, oder schw\u00e4chen sich fortdauernd gegenseitig, je nach der Stellung des oberen Kastens. Setzt man aber den oberen Kasten in langsame Rotation, so ver\u00e4ndert man dadurch, wie wir eben gesehen haben, die Tonh\u00f6he des oberen Tones, w\u00e4hrend der untere, dessen Windkasten nicht beweglich ist, unver\u00e4ndert bleibt. Wir bekommen also nun den Zusammenklang zweier etwas verschiedener T\u00f6ne. Wir h\u00f6ren dann sogenannte Schwebungen der T\u00f6ne, d. h. die Intensit\u00e4t des Tones wird abwechselnd stark und schwach in regelm\u00e4ssiger Folge. Der Grund davon wird durch die Einrichtung unserer Sirene leicht erkennbar. N\u00e4mlich durch seine Drehung kommt der obere Windkasten abwechselnd in die Stellungen, welche, wie wir vorher gesehen haben, starken und schwachen Ton geben. Wenn die Kurbel um einen rechten Winkel gedreht wird, geht der Windkasten aus einer Stellung starken Tones durch eine solche von schwachem Ton \u00fcber in die n\u00e4chste Stellung starken Tones. Dem entsprechend finden wir bei jeder ganzen Drehung der Kurbel vier Schwebungen, wie schnell auch die Scheiben laufen m\u00f6gen, und wie hoch oder tief daher ihr Ton sein mag. So wie wir den Kasten anhalten zur Zeit eines Maximums der Tonst\u00e4rke, behalten wir dauernd die grosse Tonst\u00e4rke, wenn wir ihn dagegen zur Zeit eines Minimums anhalten, den schwachen Ton.\nDie Mechanik des Instruments giebt hierbei gleichzeitig Auf-","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246 Zweite Abtheilung. Achter Abschnitt.\nSchluss \u00fcber den Zusammenhang zwischen Zahl der Schwebungen und Differenz der Tonh\u00f6he. Eine leichte Ueberlegung zeigt, dass die Zahl der Luftst\u00f6sse in der Zeit, wo die Kurbel um einen rechten Winkel gedreht wird, um Eins vermindert wird. Jeder Drehung der Kurbel um einen rechten Winkel entspricht eine Schwebung. Die Zahl der Schwebungen in einer gegebenen Zeit findet sich also gleich der Differenz in der Anzahl der Schwingungen, welche beide Kl\u00e4nge in derselben Zeit ausf\u00fchren. Dies ist das allgemeine Gesetz, welches die Zahl der Schwebungen bei allen Arten von Kl\u00e4ngen bestimmt. Seine Richtigkeit ist aber bei anderen Instrumenten nur durch sehr genaue und m\u00fchsame Messungen der Schwingungszahlen zu controliren, w\u00e4hrend sie bei der Sirene sich aus der Construction des Instruments unmittelbar ergiebt.\nGraphisch dargestellt ist der Vorgang in Fig. 50. Es bezeichne cc die Reihe der Luftst\u00f6sse des einen Tones, dd die des\nFig. 50.\nanderen. Die Strecke cc ist in 18 Theile getheilt, die gleich lange Strecke dd in 20. Bei 1,3,5 fallen die Luftst\u00f6sse beider T\u00f6ne zusammen, wir haben Verst\u00e4rkung des Tones; bei 2 und 4 fallen sie zwischen einander und schw\u00e4chen sich gegenseitig. Die Zahl der Schwebungen f\u00fcr die ganze Strecke ist 2, da die Differenz in der Anzahl der Theile, deren jeder eine Schwingung darstellt, gleich zwei ist.\nDie Maxima der Tonintensit\u00e4t w\u00e4hrend der Schwebungen nennt man Schl\u00e4ge; diese sind getrennt durch mehr oder weniger vollst\u00e4ndige Pausen.\nSchwebungen sind mit allen Tonwerkzeugen leicht hervorzurufen, sobald man zwei wenig von einander verschiedene T\u00f6ne angiebt. Am sch\u00f6nsten treten sie heraus bei einfachen T\u00f6nen von Stimmgabeln oder gedackten Pfeifen, weil hier der Ton in den Pausen wirklich ganz verschwindet. Bei den zusammengesetzten Kl\u00e4ngen anderer Instrumente treten w\u00e4hrend der Pausen des Grundtones die Ohert\u00f6ne hervor, und der Ton schl\u00e4gt deshalb in die Octave um, wie es schon f\u00fcr die F\u00e4lle von Interferenz des Schalls vorher beschrieben ist. Hat man zwei gleich","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung der Schwebungen.\t247\ngestimmte Stimmgabeln, so braucht man nur an das Ende der einen etwas Wachs zu kleben, beide anzuschlagen und entweder demselben Ohre zu n\u00e4hern, oder beide auf die Holzplatte eines Tisches, eines Resonanzbodens u. s. w. zu setzen. Um zwei gleich gestimmte gedackte Pfeifen zum Schlagen zu bringen, braucht man nur dem Munde der einen einen Finger langsam zu n\u00e4hern, wodurch sie etwas tiefer wird. Die Schwebungen zusammengesetzter Kl\u00e4nge h\u00f6rt man von selbst beim Anschlag jeder Taste eines verstimmten Claviers, wenn die Stimmung der beiden Saiten, die demselben Tone angeh\u00f6ren, nicht mehr ganz dieselbe ist; oder wenn das Clavier gut gestimmt ist, braucht man nur an eine der Saiten, die dem angeschlagenen Tone angeh\u00f6ren, ein Wachsk\u00fcgelchen von der Gr\u00f6sse einer Erbse anzukleben. Dadurch verstimmt man sie gen\u00fcgend. Bei diesen zusammengesetzten Kl\u00e4ngen muss man aber schon etwas mehr aufpassen, weil die Schw\u00e4chung des Tones nicht so auffallend ist. Die Schwebung erscheint hier mehr wie eine Aenderung d\u00e8r Tonh\u00f6he mnd des Klanges. Sehr auffallend ist das an der Sirene, je nachdem man die Ansatzr\u00f6hren aufsetzt oder nicht. Bei aufgesetzten Ansatzr\u00f6hren ist der Grundton verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig stark. Bringt man daher durch Drehung der Kurbel Schwebungen hervor, so ist Abnahme und Zunahme der Tonst\u00e4rke sehr auffallend. Nimmt man aber die Ansatzr\u00f6hren ab, so erlangen die Obert\u00f6ne verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig grosse St\u00e4rke, und da das Ohr in der Vergleichung der St\u00e4rke zweier T\u00f6ne von verschiedener H\u00f6he sehr unsicher ist, so ist die Ver\u00e4nderung der Tonst\u00e4rke w\u00e4hrend der Schwebungen viel weniger auffallend, als die der Tonh\u00f6he oder Klangfarbe.\nAchtet man bei schlagenden zusammengesetzten Kl\u00e4ngen auf die Obert\u00f6ne, so h\u00f6rt man auch diese schlagen, und zwar kommen auf jede Schwebung des Grundtones zwei Schwebungen des zweiten Partialtones, drei des dritten u. s. w. Bei starken Obert\u00f6nen kann man dadurch leicht irre werden, .wenn man die Schl\u00e4ge z\u00e4hlen will, namentlich wenn die Schl\u00e4ge des Grundtones sehr langsam sind, so dass ihre Pausen ein oder zwei Secunden betragen. Man muss dann auf die Tonh\u00f6he der geh\u00f6rten Schl\u00e4ge wohl achten, n\u00f6thigenfalls einen Resonator zu Hilfe nehmen.\nMan kann Schwebungen dem Auge sichtbar machen, wenn man einen passenden elastischen K\u00f6rper durch sie in Mitschwingen versetzt. Nat\u00fcrlich k\u00f6nnen Schwebungen in diesem Falle nur ^Stande kommen, wenn die beiden erregenden T\u00f6ne dem Grund-","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248 Zweite Abtheilung. Achter Abschnitt.\ntone des mitschwingenden K\u00f6rpers nahe genug liegen, dass derselbe von beiden T\u00f6nen in merkliches Mitschwingen versetzt wird. Am leichtesten ist dies mit einer d\u00fcnnen Saite zu erreichen, die auf einem Resonanzboden ausgespannt ist, auf den man zwei ihr selbst und unter einander nahe gleich gestimmte Stimmgabeln aufsetzt. \"Wenn man die Schwingungen der Saite durch ein Mikroskop beobachtet, oder ein F\u00e4serchen einer G\u00e4nsefederfahne an sie anklebt, welches ihre Schwingungen in verst\u00e4rktem Maasse mitmacht, so sieht man deutlich, wie die Saite abwechselnd in grossen und kleinen Excursionen mitschwingt, je nachdem der Ton der beiden Gabeln im Maximum oder Minimum seiner St\u00e4rke sich befindet.\nDas Gleiche l\u00e4sst sich erreichen beim Mitschwingen einer gespannten Membran. Fig. 51 ist die Copie einer Zeichnung,\nFig. 51.\nwelche mittelst einer solchen schwingenden Membran, der des Phonautographen der Herren Scott und K\u00f6nig zu Paris, ausgef\u00fchrt ist. Die trommelfell\u00e4hnliche Membran dieses Instruments tr\u00e4gt ein kleines steifes Stielchen, welches auf einem rotiren-den Cylinder die Schwingungen der Membran aufzeichnet. Die Membran war in dem hier vorliegenden Falle durch zwei Orgelpfeifen, welche Schwebungen geben, in Bewegung gesetzt. Man sieht an der Wellenlinie, von der hier nur ein kleines St\u00fcck dargestellt ist, wie Zeiten starker Schwingung gewechselt haben mit Zeiten, wo fast Ruhe eintrat. Also auch hier sind die Schwebungen von der Membran selbst mitgemacht worden. Aehnliche Zeichnungen endlich sind von Herrn Dr. Politzer ausgef\u00fchrt worden, indem das schreibende Stielchen direct an das Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen (die Columella) einer Ente angesetzt, und dann ein schwebender Ton durch zwei Orgelpfeifen hervorgebracht wurde, wodurch also nachgewiesen ist, dass auch die Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen den Schwebungen zweier T\u00f6ne nachfolgen.\nUeberhaupt muss dies immer geschehen, wenn die Tonh\u00f6he der beiden angegebenen T\u00f6ne von einander und von dem eigenen Tone des mitschwingenden K\u00f6rpers so wenig abweicht, dass letzterer durch beide T\u00f6ne zugleich in merkliches Mitschwingen ver-","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Schwebungen mitschwingender K\u00f6rper. 249\nsetzt werden kann. Mitschwingende K\u00f6rper von geringer D\u00e4mpfung, wie Stimmgabeln, werden also zwei ausserordentlich nahe erregende T\u00f6ne fordern, um sichtbare Schwebungen zeigen zu k\u00f6nnen, und diese werden deshalb sehr langsam sein m\u00fcssen; bei st\u00e4rker ged\u00e4mpften K\u00f6rpern, Membranen, Saiten u. s. w., wird die Differenz der erregenden T\u00f6ne gr\u00f6sser sein d\u00fcrfen, und deshalb werden auch die Schwebungen selbst schneller erfolgen k\u00f6nnen.\nDas Gleiche gilt nun auch f\u00fcr die elastischen Endgebilde der Geh\u00f6rnervenfasern. Ebenso wie wir gesehen haben, dass sichtbare Schwebungen der Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen eintreten k\u00f6nnen, werden auch die Corti\u2019schenFasern in Schwebungen gerathen m\u00fcssen, so oft zwei T\u00f6ne angegeben werden, die einander hinreichend nahe liegen, um gleichzeitig dieselben Corti\u2019schen Fasern in Mitschwingung zu versetzen. Wenn nun, wie wir fr\u00fcher vorausgesetzt haben, die Intensit\u00e4t der Empfindung in den dazu geh\u00f6rigen Nervenfasern mit der Intensit\u00e4t der elastischen Schwingungen w\u00e4chst ^nd abnimmt, so wird die St\u00e4rke der Empfindung in demselben Maasse zunehmen und abnehmen m\u00fcssen, wie es die Schwingungen der betreffenden elastischen Anh\u00e4nge des Nerven thun. Auch in diesem Falle w\u00e4re die Bewegung der Corti\u2019schen Fasern noch zu betrachten als zusammengesetzt aus denjenigen Bewegungen, welche beide T\u00f6ne einzeln in ihnen hervorgebracht h\u00e4tten. Je nachdem diese Bewegungen gleichgerichtet oder entgegengesetzt gerichtet sind, m\u00fcssen sie sich verst\u00e4rken oder schw\u00e4chen, indem sie sich addiren. Erst wenn diese Schwingungen Empfindungen in den Nerven erregen, tritt die Abweichung von dem Gesetze ein, dass je zwei T\u00f6ne und je zwei Tonempfindungen ungest\u00f6rt neben einander bestehen.\nWir kommen nun zu einem Theile dieser Untersuchung, der f\u00fcr die Theorie der musikalischen Consonanz sehr wichtig ist, und leider bisher von den Akustikern sehr wenig ber\u00fccksichtigt worden ist. Es handelt sich n\u00e4mlich um die Frage, was aus den Schwebungen wird, wenn man sie schneller und schneller werden l\u00e4sst, und wie weit ihre Anzahl wachsen darf, ohne dass das Ohr unf\u00e4hig wird, sie wahrzunehmen. Die meisten Akustiker waren bisher wohl geneigt sich der Annahme von Thomas Young an-zuschliessen, dass, wenn die Schwebungen sehr schnell w\u00fcrden, sie allm\u00e4lig in einen Combinationston (ersten Differenzton) \u00fcbergehen sollten. Young stellte sich vor, dass dieTonst\u00f6sse, welche w\u00e4hrend der Schwebungen erfolgen, dieselbe Wirkung auf das","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250 Zweite Abtheilung. Achter Abschnitt.\nOhr haben m\u00f6chten, wie elementare Luftst\u00f6sse, der Sirene zum Beispiel, und wie 30 Luftst\u00f6sse aus der Sirene, wenn sie w\u00e4hrend einer Secunde erfolgen, die Empfindung eines tiefen Tones hervorbringen, so sollten 30 Schwebungen je zweier beliebiger h\u00f6herer T\u00f6ne dieselbe Empfindung eines tiefen Tones hervorbringen k\u00f6nnen. Allerdings passt der Umstand gut zu dieser Ansicht, dass die Schwingungszahl des ersten und st\u00e4rksten Combinations-tons in der That so gross ist, wie die Zahl der Schwebungen, welche die beiden T\u00f6ne hervorbringen m\u00fcssten. Von grosser Bedeutung aber ist es hier, dass es andere Combinationst\u00f6ne giebt, namentlich die von mir so genannten Summationst\u00f6ne, welche sich dieser Ansicht durchaus nicht f\u00fcgen, dagegen leicht abz.uleiten sind aus der von mir aufgestellten Theorie der Combinationst\u00f6ne. Es ist ferner gegen Young\u2019s Ansicht einzuwenden, dass in vielen F\u00e4llen die Combinationst\u00f6ne schon ausserhalb des Ohres entstehen, und passend gestimmte Membranen oder Resonanzkugeln in Mitschwingung versetzen k\u00f6nnen, was durchaus nicht der Fall sein k\u00f6nnte, wenn die Combinationst\u00f6ne nichts w\u00e4ren, als die Reihe der Schwebungen mit ungest\u00f6rter Superposition der beiden Tonwellenz\u00fcge. Denn die mechanische Theorie des Mitschwingens l\u00e4sst erkennen, dass eine Luftbewegung, welche aus zwei einfachen Schwingungen von verschiedener Periode zusammengesetzt ist, auch immer zun\u00e4chst nur wieder solche K\u00f6rper in Mitschwingung versetzen kanii, deren eigener Ton einem jener beiden angegebenen T\u00f6ne entspricht, so lange nicht solche Bedingungen eintreten, durch welche die einfache Superposition beider Tonwellensysteme gest\u00f6rt wird, deren Art wir im vorigen Abschnitte auseinandergesetzt haben. Wir d\u00fcrfen demnach die Combinationst\u00f6ne als eine accessorische Erscheinung betrachten, durch welche aber der Ablauf der beiden prim\u00e4ren Tonwellensysteme und ihrer Schwebungen nicht wesentlich gest\u00f6rt wird.\nGegen die \u00e4ltere Meinung k\u00f6nnen wir uns auf die sinnliche Beobachtung berufen, welche lehrt, dass eine viel gr\u00f6ssere Anzahl von Schwebungen noch bestimmt geh\u00f6rt werden kann, als 30 in der Secunde. Um zu diesem Resultate zu gelangen, muss man nur all-m\u00e4lig von langsameren zu schnelleren Schwebungen vorschreiten, und dabei beachten, dass die beiden T\u00f6ne, welche die Schwebungen hervorbringen sollen, nicht zu weit in der Scala auseinander liegen d\u00fcrfen, weil h\u00f6rbare Schwebungen nur dann eintreten, wenn die T\u00f6ne in der Scala einander so nahe sind, dass beide dieselben","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"251\nGrenze der Schnelligkeit f\u00fcr Schwebungen.\nelastischen Nervenanh\u00e4nge in Mitschwingung versetzen k\u00f6nnen. Man kann aber die Zahl der Schwebungen vermehren, ohne das Intervall beider T\u00f6ne zu vergr\u00f6ssern, wenn man beide T\u00f6ne in h\u00f6heren Octaven w\u00e4hlt.\nAm besten beginnt man die Beobachtungen, indem man zwei einfache T\u00f6ne von gleicher H\u00f6he, etwa aus der eingestrichenen Octave, durch Stimmgabeln oder gedackte Orgelpfeifen neben einander hervorbringt und langsam die Stimmung des einen ver\u00e4ndert. Zu dem Ende braucht man nur an die Enden der einen Stimmgabel nach und nach mehr und mehr Wachs zu kleben; von den Orgelpfeifen kann man die eine langsam tiefer machen, wenn man ihre M\u00fcndung mehr und mehr deckt; \u00fcbrigens sind die meisten gedackten Pfeifen, um ihre Stimmung zu regeln, auch an ihrem verschlossenen Ende mit einem beweglichen Stopfen oder Deckel versehen, den man tiefer hineintreiben und dadurch die Pfeife h\u00f6her machen kann, oder herausziehen, wobei sie tiefer wird.\nWenn man in solcher Weise zuerst eine kleine Differenz der T\u00f6ne hervorbringt, so h\u00f6rt man die Schwebungen erst wie lang hinziehende Tonwellen abwechselnd fallen und wieder sich heben. Dergleichen langsame Schwebungen machen auf das Ohr durchaus keinen unangenehmen Eindruck; sie k\u00f6nnen sogar bei der Ausf\u00fchrung einer in langgetragenen Accorden hinziehenden Musik etwas sehr Feierliches haben, oder auch einen etwas bewegteren, gleichsam zitternden oder ersch\u00fctterten Ausdruck gehen. Daher findet man wohl an neueren Orgeln oder Physharmonica\u2019s ein Register mit je zwei Zungen oder Pfeifen, welche Schwebungen geben. Man ahmt dadurch das Tremuliren der menschlichen Stimme und der Geigen nach, welches, passend in einzelnen Stellen gebraucht, allerdings sehr ausdrucksvoll und wirksam sein kann, aber freilich eine ebenso abscheuliche Unart ist, wenn es fortdauernd angewendet wird, wie es leider oft genug geschieht.\nDiesen langsamen Schwebungen, wenn nicht mehr als 4 bis 6 auf die Secunde kommen, folgt das Ohr leicht. Der H\u00f6rer hat Zeit, alle ihre einzelnen Phasen aufzufassen, und sich einzeln zum Bewusstsein zu bringen; er kann die Schwebungen ohne Schwierigkeit z\u00e4hlen. Wenn'aber die Differenz der beiden T\u00f6ne w\u00e4chst, etwa bis zu einem Halbton, so wachst die Zahl der Schwebungen bis 20 oder 30 in der Secunde, und es ist nat\u00fcrlich dann nicht mehr m\u00f6glich ihnen einzeln mit dem Ohre so zu fol-","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252 Zweite Abtheilung. Achter Abschnitt.\ngen, dass man sie noch z\u00e4hlen k\u00f6nnte. Aber wenn man anfangs die langsamen Tonst\u00f6sse geh\u00f6rt hat, sie dann immer schneller und schneller auf einander folgen h\u00f6rt, so erkennt man doch, dass der sinnliche Eindruck auf das Ohr durchaus derselbe bleibt, n\u00e4mlich der einer Reihe von getrennten Tonst\u00f6ssen, obgleich man bei 20 oder 30 St\u00f6ssen in der Secunde nat\u00fcrlich nicht mehr Zeit hat, jeden einzelnen Stoss, w\u00e4hrend man ihn h\u00f6rt, im Bewusstsein zu fixiren und ihm eine Zahl beizulegen.\nW\u00e4hrend der H\u00f6rer aber in einem solchen Falle noch sehr wohl unterscheiden kann, dass sein Ohr jetzt 30 Tonst\u00f6sse von derselben Art h\u00f6rt, wie es vorher 4 oder 6 in der Secunde geh\u00f6rt hat, so wird doch der Charakter des Gesammteindrucks eines so schnell schwebenden Klanges ein anderer. Erstens n\u00e4mlich wird die Tonmasse wirr, was ich mehr auf den psychologischen Eindruck beziehen m\u00f6chte. Wir h\u00f6ren eben eine Reihe von Tonst\u00f6ssen, k\u00f6nnen erkennen, dass eine solche da ist, k\u00f6nnen ihnen aber doch einzeln nicht mehr folgen, sie nicht mehr einzeln von einander sondern. Ausser diesem mehr psychologischen Momente wird aber auch der directe sinnliche Eindruck unangenehm. Ein solcher schnell schwebender Zusammenklang ist knarrend und rauh. Warum er knarrend erscheint, erkl\u00e4rt sich auch leicht; denn das Eigenth\u00fcmliche knarrender T\u00f6ne ist, dass sie intermit-tirend sind.. Denken wir an den Buchstaben B als charakteristisches Beispiel eines knarrenden Tones. Er wird bekanntlich dadurch hervorgebracht, dass wir entweder das Gaumensegel oder den vorderen d\u00fcnnen Theil der Zunge dem Luftstrome so in den Weg stellen, dass letzterer nur in einzelnen St\u00f6ssen sich Bahn brechen kann, und deshalb der mit ihm verbundene Stimmton bald frei hervorbricht, bald abgeschnitten wird.\nAuch mittelst der oben beschriebenen Doppelsirene habe ich intermittirende T\u00f6ne hervorgebracht, indem ich statt des Windrohres des oberen Kastens eine kleine Zungenpfeife einsetzte, und durch diese die Luft eintrieb. Ihr Ton wird nach aussen hin nur h\u00f6rbar, so oft bei der Umdrehung der Scheibe deren L\u00f6cher vor die L\u00f6cher des Kastens treten und der Luft den Ausweg er\u00f6ffnen. Wenn man die Scheibe umlaufen l\u00e4sst, w\u00e4hrend man Luft durch die Pfeife treibt, so erh\u00e4lt man daher einen intermittirenden Ton, der genau so klingt, wie ein schwebender Zusammenklang, obgleich seine Intermittenzen in rein mechanischer Weise erzeugt sind. Noch in anderer Weise gelingt es mittelst derselben Sirene. Zu","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"Grenze der Schnelligkeit f\u00fcr Schwebungen. 253\ndem Ende entferne ich den unteren Windkasten und lasse nur seinen durchl\u00f6cherten Deckel stehen, \u00fcber dem die rotirende Scheibe l\u00e4uft. Von unten her wird das Ende eines Kautschukrohres an eine der OefFnungen des Deckels angesetzt, dessen anderes Ende mittelst eines passenden R\u00f6hrchens in das Ohr des Beobachters geleitet ist. Durch die umlaufende Scheibe wird die Oeffnung, an welche das Kautschukrohr angesetzt ist, abwechselnd ge\u00f6ffnet und geschlossen. Bringt man in ihre N\u00e4he oberhalb der rotirenden Scheibe eine Stimmgabel oder ein anderes passendes Tonwerkzeug, so h\u00f6rt man den Ton intermittirend, und dadurch, dass man die Scheibe der Sirene schneller oder langsamer umlaufen l\u00e4sst, kann man die Zahl der Intermissionen beliebig regu-liren.\nAuf beide Weisen erh\u00e4lt man also intermittirende T\u00f6ne. Im ersten Falle ist der Ton des Pfeifchens im \u00e4usseren Luftr\u00e4ume unterbrochen, weil er nur zeitweise hervorhrechen kann, der intermittirende Ton kann hier von einer beliebigen Anzahl von H\u00f6rern vernommen werden. Im zweiten Falle ist der Ton im \u00e4usseren Luftr\u00e4ume continuirlich, aber gelangt unterbrochen zum Ohre des Beobachters, der durch die Sirenenscheibe h\u00f6rt. Er kann dann allerdings nur von einem Beobachter geh\u00f6rt werden, aber man kann leicht alle Arten von Kl\u00e4nge von der verschiedensten H\u00f6he und Klangfarbe zum Versuche benutzen. Alle bekommen dadurch, dass man sie intermittirend macht, genau dieselbe Art von Rauhigkeit, welche zwei in schnellen Schwebungen zusammenklingende T\u00f6ne darbieten. Man erkennt auf diese Weise sehr deutlich, wie Schwebungen und Intermittenzen sowohl unter sich gleich sind, als auch beide bei einer gewissen Anzahl die Art des Ger\u00e4usches hervorbringen, welche wir Knarren nennen.\nSchwebungen bringen intermittirende Erregung gewisser H\u00f6rnervenfasern hervor. Warum eine solche intermittirende Erre, gung so viel unangenehmer wirkt, als eine gleich starke oder selbst st\u00e4rkere continuirliche, l\u00e4sst sich aus der Analogie anderer Nerven des menschlichen K\u00f6rpers erkennen. Jede kr\u00e4ftige Erregung eines Nerven bringt n\u00e4mlich zugleich eine Abstumpfung seiner Erregbarkeit hervor, so dass er in Folge dessen f\u00fcr neue Einwirkungen von Reizen unempfindlicher wird als vorher. Sobald dagegen die Erregung auf h\u00f6rt und der Nerv sich selbst \u00fcberlassen wird, so stellt sich im lebenden K\u00f6rper unter dem Einfl\u00fcsse des arteriellen Blutes die Reizbarkeit bald wieder her. Erm\u00fcdung","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254 Zweite Abtheilung. Achter Abschnitt.\nund Erholung treten, wie es scheint, in verschiedenen Organen des K\u00f6rpers mit verschiedener Schnelligkeit ein, wir finden sie aber \u00fcberall, wo Muskeln und Nerven ihre Wirkungen zu \u00e4ussern haben. Zu den Organen, wo beide verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig schnell zu Stande kommen, geh\u00f6rt das Auge, welches auch \u00fcbrigens die gr\u00f6ssten Analogien mit dem Ohre darhietet. Wir brauchen nur einen unmerklich kurzen Augenblick nach der Sonne geblickt zu haben, so finden wir schon, dass diejenige Stelle der Nervenhaut oder Netzhaut des Auges, die vom Lichte getroffen war, unempfindlicher, gegen anderes Licht geworden ist. Wir sehen n\u00e4mlich unmittelbar danach einen dunkeln Fleck von der Gr\u00f6sse des Sonnenk\u00f6rpers, wenn wir nach einer gleichm\u00e4ssig hellen Fl\u00e4che, z. B. dem Himmelsgew\u00f6lbe, blicken, oder auch mehrere solche Flecken und Linien dazwischen, wenn wir das Auge nicht fest nach dem Sonnenk\u00f6rper hingerichtet hatten, sondern mit dem Blicke hin- und herschwankten. Ein Augenblick gen\u00fcgt, um diese Wirkung hervorzubringen, ja selbst ein elektrischer Funke, der eine unmessbar kurze Zeit dauert, bringt eine solche Art der Erm\u00fcdung hervor.\nWenn wir nun dauernd nach einer hellen Fl\u00e4che hinsehen mit unerm\u00fcdetem Auge, so ist im ersten Momente der Eindruck am st\u00e4rksten, aber gleichzeitig stumpft der Eindruck auch die Empfindlichkeit des Auges ab und wird dadurch immer schw\u00e4cher und schw\u00e4cher, je l\u00e4nger wir ihn auf das Auge wirken lassen. Wer aus dem Dunkel in das volle Tageslicht tritt, ist geblendet; nach wenigen Minuten dagegen, wenn die Empfindlichkeit seines Auges abgestumpft ist durch den Lichtreiz, oder wie wir auch sagen, sobald sein Auge an den Lichtreiz gew\u00f6hnt ist, findet er diesen Grad von Helligkeit sehr angenehm. Umgekehrt, wer aus vollem Tageslicht in ein dunkles Gew\u00f6lbe tritt, ist unempfindlich gegen das schwache Licht, was dort herrscht, und kann seinen Weg nicht finden, w\u00e4hrend er nach wenigen Minuten, wenn sein Auge von dem starken Lichte sich ausgeruht hat, anf\u00e4ngt, in dem dunkeln Baume sehr bequem zu sehen.\nIm Auge lassen sich die hierher geh\u00f6rigen Erscheinungen so bequem studiren, weil man einzelne Stellen des Augengrundes erm\u00fcden kann, andere ausruhen, und die Empfindungen in beiden nachher vergleichen. Man lege ein St\u00fcckchen schwarzes Papier auf ein m\u00e4ssig hell beleuchtetes weisses, fixire kurze Zeit einen bestimmten Punkt auf oder in der N\u00e4he des schwarzen Papiers,","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Grenze der Schnelligkeit f\u00fcr Schwebungen. 255\nund ziehe dieses pl\u00f6tzlich weg ; man wird dann ein sogenanntes Nachbild des Schwarzen auf dem weissen Blatte sehen, indem die ganze Stelle, wo das Schwarz gelegen hat, jetzt in hellerem Weiss erscheint, als der Rest des weissen Papiers. Die Stelle des Auges n\u00e4mlich, auf welcher das Schwarz abgebildet war, ist ausgeruht im Vergleich mit denjenigen Stellen, welche vorher von dem Bilde des Weiss getroffen wurden, und mit der ausgeruhten Stelle sehen wir deshalb das Weiss in seinem ersten frischen Glanze, w\u00e4hrend es denjenigen Stellen der Netzhaut, die schon eine Weile durch seine Einwirkung erm\u00fcdet sind, merklich grau erscheint.\nBei fortdauernd gleichm\u00e4ssiger Einwirkung des Lichtreizes f\u00fchrt also dieser Reiz selbst eine Abstumpfung der Empfindlichkeit herbei, wodurch das Organ vor einer zu anhaltenden und heftigen Erregung gesch\u00fctzt wird.\nAnders verh\u00e4lt es sich dagegen, wenn wir intermittirendes Licht auf das Auge wirken lassen, Lichtblitze mit zwischenliegenden Pausen. W\u00e4hrend der Pausen stellt sich die Empfindlichkeit einigermassen wieder her, und der neue Reiz wirkt also viel intensiver, als wenn er in derselben St\u00e4rke dauernd eingewirkt h\u00e4tte. Jedermann weiss, wie \u00e4usserst unangenehm und qu\u00e4lend eine flimmernde Beleuchtung ist, selbst wenn sie an sich verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig sehr schwach ist, z. B. von einer kleinen flackernden Kerze herr\u00fchrt.\nAuch mit den Tastnerven verh\u00e4lt es sich \u00e4hnlich. Reiben mit dem Nagel ist f\u00fcr die Haut viel empfindlicher, als dauernde Ber\u00fchrung einer Stelle mit demselben Nagel bei demselben Drucke. Das Unangenehme des Kratzens, Reibens, Kitzelns beruht darauf, dass sie alle intermittirende Reizung der Tastnerven her'vor-bringen.\nEin knarrender, intermittirender Ton ist f\u00fcr die Geh\u00f6rnerven dasselbe, wie flackerndes Licht f\u00fcr den Gesichtsnerven und Kratzen f\u00fcr die Haut. Es wird dadurch eine viel intensivere und unangenehmere Reizung des Organs hervorgebracht, als durch einen gleiclim\u00e4ssig andauernden Ton. Dies zeigt sich namentlich auch, wenn wir sehr schwache intermittirende Kl\u00e4nge vernehmen. Wenn man eine angeschlagene Stimmgabel so weit vom Ohre entfernt, dass man aufh\u00f6rt ihren Ton zu vernehmen, so tritt er sogleich wieder ein, wenn man den Stiel der Gabel einige Mal zwischen den Fingern herumdreht. Dabei kommt die Gabel n\u00e4mlich abwechselnd in solche Lagen, wo sie dem Ohre ihren Schall zusendet","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"256 Zweite Abtheilung. Achter Abschnitt.\nund solche, wo sie dies nicht thut; und dieser Wechsel der Tonst\u00e4rke wird dem Ohre sogleich vernehmbar. Eben deshalb besteht eines der feinsten Mittel, das Dasein eines sehr schwachen Tones wahrzunehmen, darin, dass man einen zweiten Ton von ungef\u00e4hr gleicher St\u00e4rke hinzubringt, der mit dem ersten zwei bis Vier Schwebungen in der Secunde macht. Dann wechselt die Tonst\u00e4rke zwischen Null und dem Vierfachen der St\u00e4rke des einfachen Tones, und sowohl diese Verst\u00e4rkung als der Wechsel tragen dazu hei, sie dem Ohre vernehmbar zu machen.\nEbenso wie hier hei den allerschw\u00e4chsten Kl\u00e4ngen derWech-' sei der Tonst\u00e4rke dazu dienen kann, ihren Eindruck auf das Ohr zu verst\u00e4rken, so, d\u00fcrfen wir schliessen, muss dasselbe Moment dazu dienen, auch den Eindruck st\u00e4rkerer T\u00f6ne viel eindringlicher und heftiger zu machen, als er bei gleichm\u00e4ssig anhaltender Tonst\u00e4rke ist.\nWir haben bisher die Erscheinungen beschrieben, wie sie sich darbieten bei solchen Schwebungen, welche die Zahl von 20 bis 30 in der Secunde nicht \u00fcberschreiten. Wir haben gesehen, dass die Schwebungen in mittlerer Gegend der Scala noch vollkommen deutlich bleiben und eine Reihe von einander gesonderter Ton-st\u00f6sse bilden. Damit ist aber die Grenze ihrer Zahl noch nicht erreicht.\nDas Intervall hj e2 gab uns 33 Schwebungen in der Secunde, welche den Zusammenklang scharf schwirrend machen. Das Intervall eines ganzen Tones b\\ c-2 giebt nahe die doppelte Anzahl, diese sind aber viel weniger scharf als die des ersten engeren Intervalls. Endlich sollte uns das Intervall der kleinen Terz \u00abi c<i der Rechnung nach 88 Schwebungen in der Secunde geben; in der That l\u00e4sst aber das letztere Intervall kaum noch etwas von der Rauhigkeit h\u00f6ren, welche die Schwebungen der engeren Intervalle hervorbringen. Man k\u00f6nnte nun vermuthen, dass es die wachsende Zahl der Schwebungen sei, welche ihren Eindruck verwische und sie unh\u00f6rbar mache. Wir w\u00fcrden f\u00fcr diese Vermuthung die Analogie des Auges haben, welches ebenfalls nicht mehr im Stande ist, eine Reihe schnell auf einander folgender Lichteindr\u00fccke von einander zu sondern, wenn deren Anzahl zu gross wird. Man denke an eine im Kreise umgeschwungene gl\u00fchende Kohle. Wenn diese etwa 10 bis 15 Mal in der Secunde ihre Kreisbahn zur\u00fccklegt, glaubt das Auge einen continuirlichen feurigen Kreis zu sehen. Ebenso auf den Farbenscheiben, deren Anblick den meisten mei-","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"Grenze der Schnelligkeit f\u00fcr Schwebungen. 257\ntier Leser bekannt sein wird. Wenn eine solche Scheibe mehr als 10 Mal in der Secunde uml\u00e4uft, vermischen sich die verschiedenen auf sie aufgetragenen Farben zu einem ganz ruhigen Eindr\u00fccke ihrer Mischfarbe. Nur bei sehr intensivem Licht muss der Wechsel der verschiedenfarbigen Felder schneller, 20 bis 30 Mal in der Secunde, geschehen. Es tritt also beim Auge eine ganz \u00e4hnliche Erscheinung wie beim Ohre ein. Wenn der Wechsel zwischen Reizung und Ruhe zu schnell geschieht, so verwischt sich der Wechsel in der Empfindung, dieletztere wird continuirlich und anhaltend.\nIndessen k\u00f6nnen wir uns beim Ohre zun\u00e4chst davon \u00fcberzeugen, dass die Steigerung der Zahl der Schwebungen- nicht die alleinige Ursache davon ist, dass sie in der Empfindung sich verwischen. Indem wir n\u00e4mlich von dem Intervall eines halben Tones V c\" zu dem einer kleinen Terz a'c\" \u00fcbergingen, haben wir nicht bloss die Zahl der Schwebungen, sondern auch die Breite des Intervalls vergr\u00f6ssert. Wir k\u00f6nnen aber auch die Zahl der Schwebungen vergr\u00f6ssern, ohne das Intervall zu ver\u00e4ndern, indem wir dasselbe Intervall in eine h\u00f6here Gegend der Scala verlegen. Nehmen wir statt h'c\" die beiden T\u00f6ne eine Octave h\u00f6her, h\"c'\", so erhalten wir 66 Schwebungen, in der Lage h'\"c\"\" sogar 132 Schwebungen, und diese sind wirklich h\u00f6rbar in derselben Weise, wie die 33 Schwebungen von A'c\", wenn sie auch allerdings in den ganz hohen Lagen schw\u00e4cher werden. Doch sind z. B. die 66 Schwebungen des Intervalls h!' c'\" viel sch\u00e4rfer und eindringender, als die gleiche Anzahl derer des Ganztones Vc\", und die 88 des Intervalls\tnoch sehr deutlich, w\u00e4hrend die\nder kleinen Terz a'c\" so gut wie unh\u00f6rbar sind. Diese meine Behauptung, dass bis zu 132 Schwebungen in der Secunde sollen geh\u00f6rt werden k\u00f6nnen, wird den Akustikern vielleicht fremdartig und unglaublich Vorkommen. Aber der Versuch ist leicht auszuf\u00fchren, und wenn man auf einem Instrument, welches aushaltende T\u00f6ne giebt, z.B. Orgel oder Physharmonica, eine Reihe von Halbtonintervallen anschl\u00e4gt, in der Tiefe anfangend und sie allm\u00e4lig h\u00f6her und h\u00f6her nimmt, so h\u00f6rt man in der Tiefe ganz langsame Schwebungen (Hx (7,giebt 4_1/8, Hc giebt 8y4, hc' 16 y2)- Je h\u00f6her man in der Scala steigt, desto gr\u00f6sser wird ihre Zahl, w\u00e4hrend Jer Charakter der Empfindung durchaus unver\u00e4ndert bleibt. Und so kann man stufenweise von 4 zu 132 Schwebungen in der Secunde \u00fcbergehen, und sich \u00fcberzeugen, dass zwar die F\u00e4hig-\nHelmholtz, phya, Theorie der Musik.\tyj","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"258 Zweite Abtheilung. Achter Abschnitt.\nkeit sie zu z\u00e4hlen aufh\u00f6rt, aber nicht ihr Charakter als einer Reihe von Tonst\u00f6ssen, welche eine intermittirende Empfindung hervorbringen, verloren geht. Allerdings muss aber dabei bemerkt werden, dass die St\u00f6sse auch in den hohen Regionen der Scala viel sch\u00e4rfer und deutlicher werden, wenn man ihre Zahl vermindert, indem man Intervalle von Viertelt\u00f6nen oder noch kleinere nimmt. Die eindringlichste Rauhigkeit entsteht aubh in den oberen Th eilen der Scala durch eine Zahl von 30 bis 40 Schwebungen. Hohe T\u00f6ne sind deshalb beim Zusammenklang viel empfindlicher gegen Verstimmung um einen Bruchtheil eines halben Tones, als tiefe. W\u00e4hrend zwei c', welche um den zehnten Theil eines Halbtones von einander ab weichen, nur etwa eine Schwebung in der Secunde gehen, was nur bei aufmerksamer Beobachtung bemerkt wird, und wenigstens keine Rauhigkeit giebt, bringen zwei c' bei derselben Verstimmung 4, zwei d\" 8 Schwebungen hervor, was sehr unangenehm auff\u00e4llt. Auch der Charakter der Rauhigkeit ist nach der Zahl der Schwebungen verschieden. Langsamere Schwebungen geben gleichsam eine gr\u00f6bere Art von Rauhigkeit, die man als Knattern oder Knarren bezeichnen k\u00f6nnte; schnellere geben eine feinere und sch\u00e4rfere Rauhigkeit.\nDie grosse Zahl der Schwebungen ist es also nicht, oder wenigstens nicht allein, wodurch sie-unh\u00f6rbar werden, sondern auch die Gr\u00f6sse des Intervalls hat Einfluss, und deshalb kann man mit hohen T\u00f6nen schnellere wahrnehmbare Schwebungen erzeugen, als mit tiefen T\u00f6nen.\nDie Beobachtungen lehren also einerseits, dass gleich grosse Intervalle keineswegs in allen Gegenden der Scala gleich deutliche Schwebungen geben. In der H\u00f6he werden vielmehr die Schwebungen wegen wachsender Anzahl undeutlicher. Die Schwebungen eines halben Tones erhalten sich bis zur oberen Grenze der viergestrichenen Octave deutlich; dies ist auch ungef\u00e4hr die Grenze der zu Harmonieverbindungen brauchbaren musikalischen T\u00f6ne. Die eines ganzen Tones, welche in tiefer Lage sehr deutlich und kr\u00e4ftig sind, sind an der oberen Grenze der dreigestrichenen Octave kaum noch h\u00f6rbar. Die grosse und kleine Terz dagegen, welche in der Mitte der Scala als Consonanzen betrachtet werden d\u00fcrfen, und bei reiner Stimmung kaum etwas von Rauhigkeit erkennen lassen, klingen in den tieferen Octaven sehr rauh, und geben deutliche Schwebungen.","page":258},{"file":"p0259.txt","language":"de","ocr_de":"Grenze der Schnelligkeit f\u00fcr Schwebungen. 259\nAndererseits h\u00e4ngt aber die Deutlichkeit der Schwebungen und die Rauhigkeit des Zusammenklanges, wie wir gesehen haben, auch nicht allein von der Zahl der Schwebungen ab. Denn wenn wir von der Gr\u00f6sse des Intervalls absehen d\u00fcrften, m\u00fcssten gleiche Rauhigkeit haben folgende Intervalle, welche der Rechnung nach die gleiche Anzahl von 33 Schwebungen geben sollten:\nder Halbton . h' c\"\ndie Ganzt\u00f6ne c' d' und d! e'\n\u201e kleine Terz eg \u201e grosse Terz ce \u201e Quarte G c \u201e Quinte C G\nw\u00e4hrend wir vielmehr finden, dass diese tieferen Intervalle immer mehr und mehr von Rauhigkeit frei werden.\nDie Rauhigkeit des Zusammenklanges h\u00e4ngt also in einer zusammengesetzten Weise von der Gr\u00f6sse des Intervalls und von der Zahl der Schwebungen ab. Wenn wir nun die Gr\u00fcnde dieser Abh\u00e4ngigkeit aufsuchen, so haben wir oben schon hervorgehoben, dass Schwebungen im Ohre nur bestehen k\u00f6nnen, wenn zwei T\u00f6ne angegeben werden, welche in der Scala einander nahe genug sind, um dieselben elastischen Nervenanh\u00e4ngsel gleichzeitig in Mitschwingen zu versetzen. Wenn sich die beiden angegebenen T\u00f6ne zu weit von einander entfernen, werden die Schwingungen der von ihnen gemeinsam erregten Corti\u2019sehen Organe zu schwach, als dass deren Schwebungen noch merklich empfunden werden k\u00f6nnten, vorausgesetzt, dass sich keine Obert\u00f6ne und Combinationst\u00f6ne einmischen. Nach den Annahmen, die wir \u00fcber den Grad der D\u00e4mpfung der Corti\u2019sehen Organe im vorigen Abschnitte sch\u00e4tzungsweise gemacht haben, w\u00fcrde sich z. B. ergeben, dass bei der Differenz beider T\u00f6ne um einen ganzen Ton cd die Corti\u2019schen Fasern, deren Eigenton cis ist, durch jeden der beiden T\u00f6ne mit Vio seiner eigenen Intensit\u00e4t erregt werden ; sie werden also schwanken zwischen der Intensit\u00e4t 0 und4/10. Geben wir dagegen die einfachen T\u00f6ne c und cis an, so folgt aus der dort gegebenen Tabelle, dass die der Mitte zwischen c un# cis entsprechenden Corti\u2019schen Fasern zwischen der Intensit\u00e4t 0 und 12/io wechseln werden. Umgekehrt w\u00fcrde dieselbe Intensit\u00e4t der Schwebungen f\u00fcr eine kleine Terz nur noch 0,194 betragen, f\u00fcr eine grosse Terz 0,108, also neben den beiden prim\u00e4ren T\u00f6nen\n17*","page":259},{"file":"p0260.txt","language":"de","ocr_de":"260 Zweite Abtheilung. Achter Abschnitt.\nvon der Intensit\u00e4t 1 fast unmerklich werden m\u00fcssen. Dieselbe Figur 45, welche wir dort gebraucht haben, um die St\u00e4rke des Mitschwingens der Corti\u2019schen Fasern bei wachsender Tondifferenz auszudr\u00fccken, kann auch hier dienen, um die St\u00e4rke der Schwebungen darzustellen, welche zwei T\u00f6ne im Ohre erregen bei verschiedenem Abstande in der Scala. Nur m\u00fcssen wir die\nauf der Grundlinie abgemessenen Theile so nehmen, das 5 der Distanz eines ganzen Tones entspricht, nicht wie oben der eines halben Tones. In unserem Falle ist n\u00e4mlich die Entfernung beider T\u00f6ne von einander doppelt so gross, als die der mitten zwischen liegenden Corti\u2019schen Organe von jedem einzelnen.\nW\u00e4re die D\u00e4mpfung der Corti\u2019schen Organe in allen Thei-len der Scala gleich gross, und h\u00e4tte die Zahl der Schwebungen keinen Einfluss auf die Rauhigkeit der Empfindung, so w\u00fcrden gleiche Intervalle in allen Theilen der Scala gleich rauh zusammenklingen m\u00fcssen. Da dies nun nicht der Fall ist, sondern nach der H\u00f6he hin dieselben Intervalle minder rauh, nach der Tiefe rauher werden, so w\u00fcrde man entweder annehmen m\u00fcssen, dass die D\u00e4mpfung der h\u00f6her klingenden Corti\u2019schen Organe geringer sei, als der tieferen, oder wir m\u00fcssen annehmen, dass die Unterscheidung schneller Schwebungen in der Empfindung auf Schwierigkeiten stosse.\nIch sehe noch keinen Weg, zwischen diesen beiden Annahmen zu entscheiden; doch d\u00fcrfen wir wohl die erstere f\u00fcr die unwahrscheinlichere erkl\u00e4ren, weil es' wenigstens bei allen unseren k\u00fcnstlichen musikalischen Instrumenten desto schwerer wird, einen schwingenden K\u00f6rper gegen die Abgabe seiner Schwingungen an seine Umgebung zu isoliren, je h\u00f6her sein Ton ist. Ganz kurze, hoch klingende Saiten, kleine Metallzungen oder. Platten u. s. w. \u00c7eben ausserordentlich kurz abklingende hohe T\u00f6ne, w\u00e4hrend man tiefere T\u00f6ne mit entsprechenden gr\u00f6sseren K\u00f6rpern leicht lang ausklingend machen kann. F\u00fcr die zweite Annahme spricht dagegen die Analogie der anderen Nervenapparate des menschlichen K\u00f6rpers, namentlich des Auges. Ich habe sch\u00f6n","page":260},{"file":"p0261.txt","language":"de","ocr_de":"Grenze der Schnelligkeit f\u00fcr Schwebungen. 261\nangef\u00fchrt, dass eine Reihe schnell und regelm\u00e4ssig auf einander folgender Lichteindr\u00fccke im Auge eine gleichm\u00e4ssig anhaltende Lichtempfindung erregt. Wenn die Lichtreize sehr schnell auf einander folgen, dauert der Eindruck eines jeden einzelnen im Nerven ungeschw\u00e4cht fort, bis der n\u00e4chste eintritt, und so werden die Pausen in der Empfindung nicht mehr unterschieden. Beim Auge kann die Zahl der einzelnen Erregungen nicht \u00fcber 24 in der Secunde steigen, ohne dass sie vollkommen in einen zusammenh\u00e4ngenden Eindruck verschmelzen. Hierin wird das Auge vom Ohre hei Weitem \u00fcbertroffen, indem bis zu .132 Intermissionen in der Secunde unterschieden werden k\u00f6nnen, und wahrscheinlich haben wir damit die obere Grenze noch nicht erreicht. Viel h\u00f6here und hinreichend starke T\u00f6ne w\u00fcrden vielleicht noch mehr h\u00f6ren lassen. Es liegt in der Natur der Sache, dass die verschiedenen Sinnesapparate in dieser Beziehung einen verschiedenen Grad von Beweglichkeit zeigen, da es nicht bloss auf die Beweglichkeit der Nervenmolekeln ankommt, sondern auch auf die Beweglichkeit derjenigen Hilfsapparate, mittelst deren die Erregung der Nerven zu Stande kommt, oder sich \u00e4ussert. Die Muskeln sind viel tr\u00e4ger als das Auge; zehn elektrische Entladungen durch den Nerven w\u00e4hrend einer Secunde gen\u00fcgen im Allgemeinen, die Muskeln der willk\u00fcrlich bewegten Theile des K\u00f6rpers in dauernde Contraction zu bringen. F\u00fcr die Muskeln der unwillk\u00fcrlich bewegten Theile des Darms, der Gef\u00e4sse u. s. w. k\u00f6nnen die Pausen zwischen den Reizungen auf eine ganze oder selbst mehrere ganze Secunden steigen, ohne dass die Continuit\u00e4t der Zusammenziehung aufh\u00f6rt.\nDas Ohr zeigt den \u00fcbrigen Nervenapparaten gegen\u00fcber eine grosse Ueberlegenheit in di\u00e9ser Beziehung, es ist in eminentem Grade das Organ f\u00fcr kleine Zeitunterschiede, und wurde als solches von den Astronomen l\u00e4ngst benutzt. Es ist bekannt, dass wenn zwei Pendel neben einander schlagen, durch das Ohr unterschieden werden kann bis auf ungef\u00e4hr Vioo Secunde, ob ihre Schl\u00e4ge Zusammentreffen oder nicht. Das Auge w\u00fcrde schon bei V24 Secunde, oder selbst noch bei viel gr\u00f6sseren Bruchtheilen einer Secunde, scheitern, wenn es entscheiden sollte, ob zwei Lichtblitze Zusammentreffen oder nicht.\nWenn aber auch das Ohr in dieser Beziehung seine Ueberlegenheit \u00fcber andere Organe des K\u00f6rpers erweist, so d\u00fcrfen wir","page":261},{"file":"p0262.txt","language":"de","ocr_de":"262 Zweite Abtheilung. Achter Abschnitt.\ndoch wohl nicht z\u00f6gern vorauszusetzen, dass es in derselben Weise wie die anderen Nervenapparate eine Grenze der Schnelligkeit f\u00fcr sein Auffassungsverm\u00f6gen haben wird, und wir d\u00fcrfen wohl annehmen, dass wir uns dieser Grenze n\u00e4hern, wenn wir .132 Schwebungen in der Secunde nur schwach unterscheiden k\u00f6nnen.","page":262},{"file":"p0263.txt","language":"de","ocr_de":"Neunter Abschnitt.\nTiefe und tiefste T\u00f6ne.\nDi\u00e8 Schwebungen geben uns ein wichtiges Mittel ab, die Grenze der tiefsten T\u00f6ne zu bestimmen, und \u00fcber gewisse Eigen-th\u00fcmlichkeiten des Uebergangs von der Empfindung getrennter Luftst\u00f6sse zu der eines ganz continuirlichen Klanges Rechenschaft zu geben, an welches Gesch\u00e4ft wir zun\u00e4chst gehen wollen.\nAuf die Frage, wie gross die kleinste Zahl von Schwingungen sei, welche noch die Empfindung eines Tones hervorrufen k\u00f6nne, sind bisher sehr widersprechende Antworten gegeben worden. Die Angaben der verschiedenen Beobachter schwanken zwischen 8 (Savart) und etwa 30 ganzen Schwingungen f\u00fcr die Secunde. Der Widerspruch erkl\u00e4rt sich durch gewisse Schwierigkeiten der Versuche.\nErstens n\u00e4mlich ist es n\u00f6thig, die St\u00e4rke der Luftschwingungen f\u00fcr sehr tiefe T\u00f6ne ausserordentlich viel gr\u00f6sser zu machen als f\u00fcr hohe, wenn sie einen ebenso starken Eindruck auf das Ohr machen sollen. Es ist von mehreren Akustikern zuweilen die Voraussetzung ausgesprochen worden, dass unter \u00fcbrigens gleichen Umst\u00e4nden die St\u00e4rke der T\u00f6ne verschiedener H\u00f6he der lebendigen Kraft der Luftbewegung direct proportional sei, oder, was auf dasselbe herauskommt, der Gr\u00f6sse der zu ihrer Hervorbringung aufgewandten mechanischen Arbeit, aber ein einfacher Versuch mit der Sirene zeigt, dass, wenn die gleiche mechanische","page":263},{"file":"p0264.txt","language":"de","ocr_de":"264 Zweite Abtheilung. Neunter Abschnitt.\nArbeit aufgewendet wird, um tiefe oder hohe T\u00f6ne unter \u00fcbrigens gleichen Verh\u00e4ltnissen zu erzeugen, die hoben T\u00f6ne eine ausserordentlich' viel st\u00e4rkere Empfindung hervorrufen als die tiefen. Wenn man n\u00e4mlich die Sirene durch einen Blasebalg anbl\u00e4st, so dass ihre Scheibe immer -schneller und schneller uml\u00e4uft, und wenn man dabei darauf achtet, die Bewegung des Blasebalgs ganz gleichm\u00e4ssig zu unterhalten, so dass sein Hebel gleich oft in der Minute gehoben wird, und immer um dieselbe Gr\u00f6sse, wobei denn auch der Balg gleichm\u00e4ssig gef\u00fcllt bleibt, und immer dieselbe Menge Luft unter gleichem Druck in die Sirene getrieben wird: so hat man anfangs, so lange die Sirene langsam l\u00e4uft, einen -schwachen tiefen Ton, der immer h\u00f6her und h\u00f6her wird; dabei aber gleichzeitig an St\u00e4rke ausserordentlich zunimmt, so dass die h\u00f6chsten T\u00f6ne von etwa 880 Schwingungen, die ich auf meiner Doppelsirene hervorbringe, eine kaum ertragbare St\u00e4rke haben. Hierbei wird fortdauernd bei Weitem der gr\u00f6sste Theil der sich gleich bleibenden mechanischen Arbeit auf die Erzeugung der Schallbewegung verwendet, nur ein kleiner Theil kann durch die Reibung der umlaufenden Scheibe in ihren Axenlagern und durch die mit ihr in Wirbelbewegung gesetzte Luft verloren gehen, und diese Verluste m\u00fcssen bei schneller Rotation gr\u00f6sser werden als bei langsamer, so dass f\u00fcr die Hervorbringung der hohen T\u00f6ne sogar weniger Arbeitskraft \u00fcbrig bleibt, als f\u00fcr die tiefen, und doch erscheinen in der Empfindung die hohen T\u00f6ne so ausserordentlich viel st\u00e4rker, als die tiefen T\u00f6ne. Wie weit \u00fcbrigens diese Steigerung nach der H\u00f6he sich fortsetzt, kann ich bisher nicht angeben, weil die Geschwindigkeit meiner Sirene bei demselben Luftdrucke eben nicht weiter gesteigert werden kann.\nDie Zunahme der Tonst\u00e4rke mit der Tonh\u00f6he ist besonders bedeutend in den tiefsten Gegenden der Scala. Daraus folgt denn weiter, dass in zusammengesetzten Kl\u00e4ngen von grosser Tiefe die Obert\u00f6ne den Grundton an St\u00e4rke \u00fcberwiegen k\u00f6nnen, selbst wenn in Kl\u00e4ngen derselben Art, aber von gr\u00f6sserer H\u00f6he, die St\u00e4rke des Grundtons bei Weitem \u00fcberwiegt. Es ist dies leicht zu erweisen mittelst meiner Doppelsirene, da man an dieser mittelst der Schwebungen immer leicht feststellen kann, ob ein geh\u00f6rter Ton der Grundton, der zweite oder dritte Ton des betreffenden Klanges sei. W7enn man n\u00e4mlich an beiden Windk\u00e4sten die Reihen von 12 L\u00f6chern \u00f6ffnet, und die Kurbel, welche den oberen Kasten bewegt, einmal umdreht, giebt der Grundton, wie","page":264},{"file":"p0265.txt","language":"de","ocr_de":"265\nTiefe und tiefste T\u00f6ne.\noben auseinandergesetzt ist 4 Schwebungen, der zweite Ton 8, der dritte 12. L\u00e4sst man nun die Scheiben langsamer als gew\u00f6hnlich umlaufen, zu welchem Zwecke ich an dem Rande der einen Scheibe eine mit Oel benetzte Stahlfeder unter verschiedenem Drucke schleifen lasse, so kann man leicht Reihen von Luft-st\u00f6ssen erzeugen, die sehr tiefen T\u00f6nen entsprechen, dann die Kurbel drehen, und die Schwebungen z\u00e4hlen. L\u00e4sst man die Geschwindigkeit der Scheiben allm\u00e4lig steigen, so findet man, dass die zuerst entstehenden h\u00f6rbaren T\u00f6ne 12 Schwebungen bei einer Umdrehung der Kurbel machen, so lange die Zahl der Luftst\u00f6sse noch unter 36 bis 40 ist. Bei T\u00f6nen zwischen 40 und 80 Luft-st\u00f6ssen h\u00f6rt man bei jeder Drehung der Kurbel 8 Schwebungen. Hier ist also die h\u00f6here Octave des Grundtons der st\u00e4rkste Ton. Erst bei mehr als 80 Luftst\u00f6ssen h\u00f6rt man die vier Schwebungen des Grundtons.\nEs wird durch diese Versuche bewiesen, dass Luftbewegungen, deren Form nicht die der pendelartigen Schwingungen ist, deutliche und starke Empfindungen von T\u00f6nen hervorrufen k\u00f6nnen, deren Schwingungszahl 2 oder 3 Mal so gross als die Zahl der Luftst\u00f6sse ist, ohne dass der Grundton durchgeh\u00f6rt wird. Wenn man in der Scala immer tiefer hinabgeht, nimmt die Empfindungsst\u00e4rke, wie man hieraus schliessen muss, so schnell ab, dass der Grundton, dessen lebendige Kraft an und f\u00fcr sich gr\u00f6sser ist, als die der Obert\u00f6ne, wie sich bei h\u00f6herer Lage desselben Klanges erweist, doch \u00fcbert\u00f6nt und verdeckt wird von seinen Obert\u00f6nen. Auch wenn die Wirkung des Klanges auf das Ohr viel mehr verst\u00e4rkt wird, \u00e4ndert sich die Sache nicht. Es wurde hei den Versuchen mit der Sirene die oberste Platte des Blasebalgs durch die tiefen T\u00f6ne in heftige Ersch\u00fctterung versetzt, und wenn.ich den Kopf aufiegte, wurde mein ganzer Kopf so kr\u00e4ftig in Mitschwingung versetzt, dass ich die L\u00f6cher der rotirenden Sirenenscheihen, welche dem ruhenden Auge verschwinden, wieder einzeln sehen konnte verm\u00f6ge einer \u00e4hnlichen optischen Wirkung, wie sie bei den stroboskopischen Scheiben vorkommt. Die angeblasene L\u00f6cherreihe schien fest zu stehen, die anderen Reihen bewegten sich theils vorw\u00e4rts, theils r\u00fcckw\u00e4rts,\u2019 und doch wurden die tiefsten T\u00f6ne nicht deutlicher. Ein anderes Mal verband ich meinen Geh\u00f6rgang durch eine passend eingef\u00fchrte R\u00f6hre mit einer Oeff-nung, die in das Innere des Blasebalgs f\u00fchrte. Die Ersch\u00fctterungen des Trommelfells waren so stark, dass sie einen unleid-","page":265},{"file":"p0266.txt","language":"de","ocr_de":"266 Zweite Abtheilung. Neunter Abschnitt.\nliehen Kitzel verursachten, aber dennoch wurden die tiefsten T\u00f6ne nicht deutlicher.\nWill man also die Grenze der tiefsten T\u00f6ne ermitteln, so ist es nothwendig, nicht nur sehr starke Luftersch\u00fctterungen hervor-zubringen, sondern ihnen auch die Form der einfachen pendelartigen Schwingungen zu geben. So lange die letztere Bedingung nicht erf\u00fcllt ist, ist man durchaus nicht sicher, ob die geh\u00f6rten tiefen T\u00f6ne dem Grundton oder den Obert\u00f6nen der Luftbewegung entsprechen *). Unter den bisher angewendeten Instrumenten sind die weiten gedackten Orgelpfeifen wohl die zweckm\u00e4ssigsten. Ihre Obert\u00f6ne sind wenigstens ziemlich schwach, wenn sie auch nicht ganz fehlen. Hier findet man, dass schon die unteren T\u00f6ne der l\u00f6f\u00fcssigen Octave, Ci bis Eu anfangen in ein dr\u00f6hnendes Ger\u00e4usch \u00fcberzugehen, so dass es selbst einem ge\u00fcbten musika-fischen Ohre sehr schwer wird, ihre Tonh\u00f6he sicher anzugeben; auch k\u00f6nnen sie nicht mit Hilfe des Ohres allein gestimmt werden, sondern nur indirect mittelst der Schwebungen, welche sie mit den T\u00f6nen der h\u00f6heren Octaven geben. Aehnliches bemerkt man auch an denselben tiefsten T\u00f6nen des Claviers und derPhys-harmonica; sie klingen dr\u00f6hnend und unrein in der Stimmung, obgleich ihr musikalischer Charakter durch die starken sie begleitenden Obert\u00f6ne im Ganzen besser festgestellt ist, als der der Pfeifent\u00f6ne. In der k\u00fcnstlerisch vollendeten Musik des Orchesters ist deshalb auch der tiefste Ton, Welcher angewendet wird, das A, des Contrabasses von 41 Schwingungen, und ich glaube mit Sicherheit Voraussagen zu k\u00f6nnen, dass alle Anstrengungen der neueren Technik, tiefere gut musikalische T\u00f6ne hervorzubringen, scheitern m\u00fcssen, nicht weil es an Mitteln fehlte passende Luftbewegungen zu erregen, sondern weil das menschliche Ohr seine Dienste versagt. Das sechzehnf\u00fcssige Cx der Orgel von 33 Schwingungen giebt allerdings noch eine ziemlich continuirliche Empfindung von Dr\u00f6hnen, aber ohne dass man ihm einen bestimmten Werth in der musikalischen Scala zuschreiben k\u00f6nnte. Vielmehr f\u00e4ngt man\n*) Namentlich ist S a v a r t \u2019 s Instrument, wo ein rotirender Stab durch, enge Spalten schl\u00e4gt,' ganz ungeeignet, tiefste T\u00f6ne h\u00f6rbar zu machen. Die einzelnen Luftst\u00f6sse sind hier sehr kurz im Vergleich zur ganzen Sehwingungsperiode, also m\u00fcssen auch die Obert\u00f6ne sehr stark entwickelt sein, und die tiefsten T\u00f6ne, welche man h\u00f6rt bei 8 bis 16 Schl\u00e4gen, k\u00f6nnen nichts als Obert\u00f6ne sein.","page":266},{"file":"p0267.txt","language":"de","ocr_de":"267\nTiefe und tiefste T\u00f6ne.\nhier schon an, die einzelnen Luftst\u00f6sse zu merken, trotz der regelm\u00e4ssigen Form der Bewegung. In der oberen H\u00e4lfte der zweiunddreissigf\u00fcssigen Octave wird die Empfindung der einzelnen Luftst\u00f6sse immer deutlicher, der continuirliche Theil der Empfindung, den man noch mit einer Tonempfindung vergleichen k\u00f6nnte, immer schw\u00e4cher, und in der tieferen H\u00e4lfte der zweiunddreissigf\u00fcssigen Octave h\u00f6rt man wohl eigentlich nichts mehr, als die einzelnen Luftst\u00f6sse, oder wenn man noch etwas anderes h\u00f6rt, so k\u00f6nnen es wohl nur schwache Obert\u00f6ne sein, von denen auch die Kl\u00e4nge der gedackten Pfeifen nicht ganz frei sind.\nIch habe noch auf eine andere Weise tiefe einfache T\u00f6ne zu erzeugen gesucht. Saiten, welche in ihrer Mitte ein schwereres Metallst\u00fcck tragen, geben, wenn sie angeschlagen werden, einen Klang, der aus einer Anzahl zu einander nicht harmonischer T\u00f6ne besteht. Der Grundton ist durch ein Intervall von mehreren Octaven von den n\u00e4chsten Obert\u00f6nen getrennt, und man kommt deshalb nicht in Gefahr, ihn mit diesen zu verwechseln; ausserdem verklingen die h\u00f6heren T\u00f6ne sehr schnell, w\u00e4hrend die tiefen sehr lange anhalten. Eine solche Saite*) wurde auf einem Resonanzkasten ausgespannt, der nur eine Oeffnung hatte, und diese konnte durch eine R\u00f6hre mit dem Geh\u00f6r gange verbunden werden, so dass die Luft des Resonanzkastens nur in das Ohr hinein entweichen konnte. Die T\u00f6ne einer Saite von gew\u00f6hnlicher H\u00f6he sind unter diesen Umst\u00e4nden von unertr\u00e4glicher St\u00e4rke. Dagegen machte schon das Di von 37 Schwingungen nur noch eine sehr schwache Tonempfindung, und auch diese hatte etwas Knarrendes, was darauf schliessen l\u00e4sst, dass das Ohr auch hier anfing, die einzelnen St\u00f6sse trotz ihrer regelm\u00e4ssigen Form einzeln zu empfinden. Bei _Z?3 (31 Schwingungen) war kaum noch etwas zu h\u00f6ren. Es scheint also, dass diejenigen Nervenfasern, welche diese T\u00f6ne empfinden, schon nicht mehr w\u00e4hrend der ganzen Dauer einer Schwingung gleichm\u00e4ssig stark erregt werden, sei es nun, dass die Phasen.der st\u00e4rksten Geschwindigkeit oder die Pha-\n*) Es war eine d\u00fcnne messingene Claviersaite. Die Belastung bestand in einem kupfernen Kreuzerst\u00fccke, welches in der Mitte durchbohrt war. Nachdem die Saite durch die Oeffnung gesteckt war, wurde das Kupfer mittelst einer neben die Oeffnung aufgesetzten st\u00e4hlernen Spitze, welche durch Hammerschl\u00e4ge eingetrieben w\u00fcrde, comprimirt, so dass es die Saite ln der Oeffnung fest und unverr\u00fcckbar einschloss.","page":267},{"file":"p0268.txt","language":"de","ocr_de":"268 Zweite Abtheilung. Neunter Abschnitt.\nsen der st\u00e4rksten Abweichung der schwingenden Gebilde im Ohre die Erregung bewirken.\nMan darf danach wohl behaupten, dass bei etwa 30 Schwingungen die Tonempfindung beginnt, aber etwa erst bei 40 Schwingungen die T\u00f6ne anfangen eine bestimmte musikalische H\u00f6he zu bekommen. Der Hypothese \u00fcber die elastischen Anhangsgebilde der Nerven ordnen sich diese Thatsachen unter, wenn man bedenkt, dass die tiefgestimmtesten Corti\u2019sehen Fasern auch von noch tieferen T\u00f6nen zum Mitschwingen gebracht werden k\u00f6nnen, wenn auch in schnell abnehmender St\u00e4rke, wobei also wohl noch Tonempfindung, aber keine Unterscheidung der Tonh\u00f6he mehr m\u00f6glich ist. Wenn die tiefsten Corti\u2019schen Fasern gr\u00f6ssere Abst\u00e4nde in der Scala haben, gleichzeitig aber auch ihre D\u00e4mpfung so stark ist, dass von jedem Tone, der der H\u00f6he einer Faser entspricht, auch die Nachbarfasern noch ziemlich stark afficirt werden, so wird die Unterscheidung der Tonh\u00f6he in solchen Gegenden der Scala unsicher sein, aber doch continuirlich ohne Spr\u00fcnge vor sich gehen, und gleichzeitig wird die St\u00e4rke der Empfindung gering werden m\u00fcssen.\nW\u00e4hrend nun die einfachen T\u00f6ne in der oberen H\u00e4lfte der sechzehnf\u00fcssigen Octave schon vollkommen continuirlich und musikalisch klingen, verschwindet die Wahrnehmung der einzelnen Luftst\u00f6sse bei Luftschwingungen von abweichender Form, also bei zusammengesetzten Kl\u00e4ngen, auch selbst in der Contraoctave noch nicht vollst\u00e4ndig. Wenn man zum Beispiel die Scheibe der Sirene durch Anblasen in Bewegung setzt mit allm\u00e4lig steigender Geschwindigkeit, so'h\u00f6rt man anfangs nur die einzelnen Luftst\u00f6sse, dann wenn mehr als 36 Schwingungen da sind, auch schwache T\u00f6ne daneben, welche zun\u00e4chst aber Obert\u00f6ne sind. Bei steigender Geschwindigkeit wird die Empfindung der T\u00f6ne st\u00e4rker und st\u00e4rker, aber man h\u00f6rt noch lange nicht auf, die einzelnen Luftst\u00f6sse wahrzunehmen, wenn diese auch immer mehr und mehr mit einander verschmelzen. Erst bei 110 oder 120 Schwingungen (A oder B der grossen Octave) wird der Klang ziemlich continuirlich. Ganz \u00e4hnlich verh\u00e4lt es sich bei der Physharmonica, wo im Hornregister das c von 132 Schwingungen noch etwas Schnarrendes ha4, und im Fagottregister sogar das c' von 264 Schwingungen. Ueber-haupt ist mehr oder weniger deutlich dasselbe zu bemerken bei allen scharfen, schnarrenden oder schmetternden Kl\u00e4ngen, welche,","page":268},{"file":"p0269.txt","language":"de","ocr_de":"\u25a0 Tiefe und tiefste T\u00f6ne.\t269\n\u25a0wie schon fr\u00fcher erw\u00e4hnt wurde, immer mit einer sehr grossen Zahl deutlicher Obert\u00f6ne versehen sind.\nDer Grund dieser Erscheinung liegt in den Schwebungen, welche durch die in der Scala nahe zusammenliegenden hohen Obert\u00f6ne dieser Kl\u00e4nge hervorgebracht werden. Wenn in einem Klange der l\u00f6te und 16te Oberton noch h\u00f6rbar sind, so bilden diese beiden mit einander das Intervall eines halben Tones, und geben nat\u00fcrlich auch die scharfen Schwebungen einer solchen Dissonanz. Dass in der That die Schwebungen dieser T\u00f6ne an der Rauhigkeit des ganzen Klanges Schuld sind, kann man leicht beweisen, indem man eine passende Resonanzr\u00f6hre an das Ohr bringt. Wenn Gx von 49lf3 Schwingungen angeschlagen wird, ist der l\u00f6te Ton des Klanges fis\", der 16te /', der 17te gis\" u. s. w. Wenn ich nun die Resonanzr\u00f6hre g\" an das Ohr setze, welche die genannten T\u00f6ne v\u00f6ftt\u00e4rkt, und zwar am meisten g\" selbst, weniger fis\" und gis\", so tritt die Rauhigkeit des Kl\u00e0nges ausserordentlich viel sch\u00e4rfer hervor, und wird ganz \u00e4hnlich dem scharfen Knarren, welches die T\u00f6ne fis\" und g\" selbst angeschlagen geben. Dieser Versuch gelingt sowohl am Clavier, als mit beiden Registern der Physharmonica. Er gelingt auch noch deutlich bei h\u00f6herer Tonlage, so weit die verst\u00e4rkenden Resonanzr\u00f6hren reichen. Ich habe eine solche f\u00fcr g'\", durch welche der Ton freilich nur noch wenig verst\u00e4rkt wird, aber es war beim Ansatz der R\u00f6hre an das Ohr doch deutlich zu h\u00f6ren; wie die Rauhigkeit des G von 99 Schwingungen sch\u00e4rfer gemacht wird.\nAuch schon der achte und neunte Ton eines Klanges, welche um das Intervall eines ganzen Tones von einander entfernt sind, m\u00fcssen Schwebungen geben, wenn auch weniger scharf eingeschnittene als die h\u00f6heren Obert\u00f6ne. Doch gelingt bei diesen die Verst\u00e4rkung durch die Resonanzr\u00f6hren nicht so gut, weil wenigstens die tieferen R\u00f6hren nicht im Stande sind, zwei um einen ganzen Ton von einander entfernte T\u00f6ne gleichzeitig zu verst\u00e4rken. Bei den h\u00f6heren R\u00f6hren, wo die Verst\u00e4rkung geringer ist, ist gleichzeitig das Intervall der verst\u00e4rkten T\u00f6ne breiter, und so gelang es mir auch, durch die R\u00f6hren g\" bis g'\" Rauhigkeiten der T\u00f6ne G bis g (99 bis 198 Schwingungen) zu verst\u00e4rken, welche von deren siebenten, achten und neunten Theilt\u00f6nen (/\", g\" und a\" bis/\"', g'\" und \u00ab'\") herr\u00fchrten, und wenn man den Klang des G in der Resonanzr\u00f6hre mit dem Klange der direct angeschlagenen Dissonanz/\"/' oder /'\u00ab\"vergleicht, so erkennt man auch,","page":269},{"file":"p0270.txt","language":"de","ocr_de":"270 Zweite Abtheilung. Neunter Abschnitt.\ndass beide sehr \u00e4hnlich sind, dass namentlich die Schnelligkeit der Intermittenzen nahehin gleich ist.\nEs kann hiernach nicht zweifelhaft bleiben, dass Luftbewegungen, welche tiefen und mit vielen Obert\u00f6nen versehenen Kl\u00e4ngen entsprechen, gleichzeitig eine continuirliche Empfindung tiefer T\u00f6ne und discontinuirliche Empfindungen hoher T\u00f6ne erregen, und durch diese letzteren rauh oder knarrend gemacht werden. Darin liegt die Erkl\u00e4rung der Thatsache, die wir fr\u00fcher bei der Untersuchung der Klangfarben fanden, dass Kl\u00e4nge mit vielen hohen Obert\u00f6nen scharf, schnarrend oder schmetternd klingen ; darin auch der Grund, warum sie viel durchdringender sind, und warum das Ohr sie nicht so leicht \u00fcberh\u00f6ren kann. Denn ein inter-mittirender Eindruck erregt unsere Nervenapparate viel st\u00e4rker, als ein continuirlicher, und dr\u00e4ngt sich immer von Neuem wieder der Wahrnehmung auf. Einfache 'J\u00dcie dagegen oder Kl\u00e4nge, welche nur wenige von den niederen* weit auseinanderliegenden Obert\u00f6nen enthalten, m\u00fcssen im Ohre vollkommen continuirliche Empfindungen hervorbringen, welche einen weichen, sanften und wenig energischen Eindruck machen, selbst wenn sie in der That verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig grosse St\u00e4rke haben.\nWir haben bisher die \u00e4usserste Zahl der bei hohen Noten wahrnehmbaren Intermittenzen des Tones nicht bestimmen k\u00f6nnen, und nur darauf aufmerksam gemacht, dass sie unter \u00fcbrigen^ gleichen Bedingungen desto schwerer wahrnehmbar sind und einen desto schw\u00e4cheren Eindruck machen, je zahlreicher sie werden. Wenn also auch die Form der Luftbewegung, d. h. die Klangfarbe dieselbe bleibt, w\u00e4hrend die H\u00f6he gesteigert wird, so wird im Allgemeinen die Klangfarbe weniger rauh werden. Eine besonders wichtige Rolle muss hierbei namentlich die Gegend der Scala um das fis*- herum spielen, f\u00fcr welche das Ohr, wie oben bemerkt wurde, ganz besonders empfindlich ist. Dissonante Obert\u00f6ne, welche in diese Gegend fallen, m\u00fcssen besonders empfindlich sein, Das fisIV ist der achte Oberton desks' von 367 Schwingungen, welches den h\u00f6heren T\u00f6nen der M\u00e4nner, den tieferen der Frauen zugeh\u00f6rt, und der 16te Oberton des ungestrichenen fis, in der Mitte der M\u00e4nnerstimmen. Dass man bei angestrengten menschlichen Stimmen die genannten hohen T\u00f6ne oft mitklingen h\u00f6rt, habe ich schon fr\u00fcher angef\u00fchrt. Wenn dies bei den tieferen T\u00f6nen der M\u00e4nnerstimmen geschieht, so muss es in scharfen Dissonanzen geschehen, und in der That h\u00f6rt man, wie ich schon fr\u00fcher","page":270},{"file":"p0271.txt","language":"de","ocr_de":"271\nTiefe und tiefste T\u00f6ne.\nbemerkt habe, bei schmetterndem Forte einer kr\u00e4ftigen Bassstimme die hohen Nebent\u00f6ne der viergestrichenen Octave in einem gellenden Zittern begriffen. Daher ist das Knarren und Schmettern bei Bassstimmen auch viel h\u00e4ufiger und st\u00e4rker als bei h\u00f6heren Stimmen. F\u00fcr Kl\u00e4nge, welche \u00fcber das fis' hinaufgehen, sind die Dissonanzen der Nebent\u00f6ne, welche in die viergestrichene Octave fallen, schw\u00e4cher als die Dissonanzen eines ganzen Tones, und diese in so grosser H\u00f6he wohl kaum noch so scharf, dass sie sich erheblich bemerklich machen k\u00f6nnten.\nAuf diese Weise erkl\u00e4rt sich auch der im Allgemeinen angenehmere Klang der hohen Stimmen und das daraus hervorgehende Dr\u00e4ngen aller S\u00e4nger und S\u00e4ngerinnen nach der H\u00f6he. Dazu kommt dann noch, dass in den h\u00f6heren Tonlagen kleine Verstimmungen eine viel gr\u00f6ssere Zahl von Schwebungen hervorrufen, als in den tieferen Lagen, wodurch auch das musikalische Gef\u00fchl f\u00fcr die Tonh\u00f6he, f\u00fcr die Richtigkeit und Sch\u00f6nheit der musikalischen Intervalle viel sicherer wird als in der Tiefe.","page":271},{"file":"p0272.txt","language":"de","ocr_de":"Zehnter Abschnitt.\nSchwebungen der Obert\u00f6ne.\nWir haben bisher nur solche Schwebungen betrachtet, welche von je zwei einfachen T\u00f6nen hervorgerufen werden, ohne dass sich Obert\u00f6ne oder Combinationst\u00f6ne einmischen. Es konnten dergleichen Schwebungen nur entstehen, wenn die beiden angegebenen' T\u00f6ne um ein verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig kleines Intervall von einander entfernt sind. Wenn ihre Entfernung auch nur zur Gr\u00f6sse einer kleinen Terz anw\u00e4chst, werden ihre Schwebungen undeutlich. Nun ist es aber bekannt, dass Schwebungen auch entstehen k\u00f6nnen durch je zwei T\u00f6ne, welche um viel gr\u00f6ssere Intervalle von einander abstehen, und wir werden sp\u00e4ter sehen, dass diese Schwebungen eine Hauptrolle bei der Feststellung der consonan-ten Intervalle unserer musikalischen Tonleiter spielen, daher wir hier auf ihre Untersuchung n\u00e4her eingehen m\u00fcssen. Dergleichen Schwebungen von solchen Kl\u00e4ngen, die in der Tonleiter weiter als eine kleine Terz von einander entfernt sind, kommen zu Stande durch den Einfluss der Obert\u00f6ne und der Combinationst\u00f6ne. Wenn die Kl\u00e4nge mit deutlich h\u00f6rbaren Obert\u00f6nen versehen sind, sind die Schwebungen, welche durch diese entstehen, meistens viel st\u00e4rker und deutlicher als die der Combinationst\u00f6ne, auch ist der Grund dieser Schwebungen viel leichter nachzuweisen. Wir beginnen deshalb die Untersuchung der Schwebungen weiterer In-","page":272},{"file":"p0273.txt","language":"de","ocr_de":"Schwebungen der Obert\u00f6ne.\t273\ntervalle mit den Schwebungen, welche durch Hilfe der Obert\u00f6ne hervorgebracht werden. Aber allerdings ist zu bemerken, dass Schwebungen der Combinationst\u00f6ne viel allgemeiner Vorkommen, bei allen Arten von Kl\u00e4ngen, Schwebungen der Obert\u00f6ne dagegen nat\u00fcrlich nur bei Kl\u00e4ngen mit deutlich ausgesprochenen Obert\u00f6nen. Da aber die musikalisch brauchbaren Kl\u00e4nge mit wenigen Ausnahmen reichlich mit kr\u00e4ftigen Obert\u00f6nen versehen sind, so haben in der Musik die Schwebungen der Obert\u00f6ne verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig eine viel gr\u00f6ssere praktische Wichtigkeit, als die Schwebungen der schwachen Combinationst\u00f6ne.\nWenn zwei mit Obert\u00f6nen versehene Kl\u00e4nge angegeben werden, so ist es nach dem Bisherigen leicht ersicht\u00fcch, dass Schwebungen entstehen k\u00f6nnen, so oft je zwei Obert\u00f6ne beider Kl\u00e4nge einander hinreichend nahe liegen, oder auch wenn der Grundton des einen Klanges einem der Obert\u00f6ne des anderen Klanges sich n\u00e4hert. Die Zahl der Schwebungen ist nat\u00fcrlich wieder der Differenz der Schwingungszahlen der beiden betreffenden Theilt\u00f6ne gleich, durch welche die Schwebungen hervorgerufen werden. Ist die Differenz der Schwingungszahlen klein, sind also die Schwebungen langsam, so sind sie, wie \u00e4hnlich langsame Schwebungen prim\u00e4rer T\u00f6ne, verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig am deutlichsten zu h\u00f6ren, zu z\u00e4hlen, und \u00fcberhaupt ihrer ganzen Natur nach zu erkennen. Sie sind ferner desto deutlicher, je st\u00e4rker diejenigen Theilt\u00f6ne sind, durch welche sie entstehen, und das sind bei den gew\u00f6hnlich gebrauchten Klangfarben der musikalischen Instrumente die Theilt\u00f6ne von niedriger Ordnungszahl, da in der Regel die Intensit\u00e4t der Theilt\u00f6ne mit wachsender Ordnungszahl abnimmt.\nMan beginne also mit Beispielen etwa folgender Art auf einer Orgel im Principal - oder Geigenregister oder auf einer Physhar-monica :\n3=4\n\n\n\nDie halben Noten bedeuten in diesen Beispielen die Grundt\u00f6ne der Kl\u00e4nge, welche angegeben werden sollen, die Viertelnoten die dazu geh\u00f6rigen Obert\u00f6ne. Wenn die Octave Cc des ersten Beispiels rein gestimmt ist, wird sie keine Schwebungen\nHelmholtz, phys. Theorie der Muaik.\tJg","page":273},{"file":"p0274.txt","language":"de","ocr_de":"274 Zweite Abtheilung. Zehnter Abschnitt.\nh\u00f6ren lassen. Wenn man aber die h\u00f6here Note ver\u00e4ndert wie im zweiten und dritten Beispiele, so dass sie H oder des wird, so erh\u00e4lt man dieselben Schwebungen, als h\u00e4tte man direct die beiden um einen halben Ton von einander entfernten T\u00f6ne H\u2014c oder c\u2014des angegeben. Die Zahl der Schwebungen ist dieselbe (I6V2 in der Secunde), ihre Intensit\u00e4t allerdings eine etwas geringere, weil sie einigermassen bedeckt werden durch den starken tiefen Ton C, und weil das c, welches zweiter Theilton des Klanges C ist, meist nicht dieselbe Intensit\u00e4t hat wie sein Grundton.\nIn Beispiel 4 und 5 wird man bei der gew\u00f6hnlichen temperir-ten Stimmung der Tastaturinstrumente Schwebungen h\u00f6ren, u\u00efid zwar hei genauer Stimmung eine in der Secunde, weil die Note a\", welche das Instrument angiebt, nicht genau \u00fcbereinstimmt mit dem a\", welches dritter Partialton des Klanges d' ist. Dagegen ist die Note a\u201d des Instruments genau \u00fcbereinstimmend mit dem a\", welches zweiter Partialton der Note a! im f\u00fcnften Beispiele ist, daher wir im Beispiele 4 und 5 auf einem gut gestimmten Instrumente gleich viel Schwebungen erhalten m\u00fcssen.\nDa der erste Oberton doppelt so viel Schwingungen macht als sein Grundton, so ist im ersten Beispiele das direct angegebene c mit dem ersten Oberton des tieferen C identisch, wenn\u2019 das c genau doppelt so viel Schwingungen macht als das C. Nur bei diesem Verh\u00e4ltnisse der Schwingungszahlen von 1 zu 2 k\u00f6nnen beide Kl\u00e4nge zusammenklingen, ohne Schwebungen zu geben. Die kleinste Abweichung des Intervalls Ce von dem angegebenen Zahlenverh\u00e4ltniss wird sich durch Schwebungen verrathen m\u00fcssen. Im vierten Beispiele werden die Schwebungen nur dann aufh\u00f6ren, wenn wir das a\" des Instruments so stimmen, dass es dem dritten Partialtone des Klanges d genau gleich wird, und dies wird nur dann der Fall sein, wenn die Schwingungszahl des a\" genau drei Mal sogross ist als die des d'. Im f\u00fcnften Beispiele werden wir die Schwingungszahl des a! genau halb so gross machen m\u00fcssen als die des a\u201d, welches drei Mal so viel Schwingungen macht als d', d. h. die Schwingungszahlen von d! und a! werden sich genau wie 2 zu 3 verhalten m\u00fcssen, wenn keine Schwebungen eintreten sollen. Jede Abweichung der zusammenklingenden T\u00f6ne von diesem Zahlenverh\u00e4ltnisse wird sich durch Schwebungen zu erkennen geben.\nDass die Schwingungszahlen zweier Kl\u00e4nge, die das Intervall einer Octave mit einander bilden, im Verh\u00e4ltnisse von 1 zu 2, die","page":274},{"file":"p0275.txt","language":"de","ocr_de":"Schwebungen der Obert\u00f6ne.\t275\neiner Quinte im Verh\u00e4ltnisse 2 zu 3 stehen, haben wir schon oben angef\u00fchrt. Es waren diese Zahlenverh\u00e4ltnisse l\u00e4ngst gefunden, indem man bloss dem Ohre folgte und die angenehmsten Zusammenkl\u00e4nge je zweier T\u00f6ne suchte. Hier haben wir nun den Grund gefunden, warum diese nach den einfachen Zahlenverh\u00e4ltnissen gestimmten Intervalle allein einen ruhigen Zusammenklang geben, w\u00e4hrend schon ganz geringe Abweichungen von der mathematischen Stimmung sich verrathen durch die unruhig auf und ab wogenden Schwebungen. Das d! und a! des letzten Beispiels, zu einer reinen Quinte gestimmt, machen 293% und 440 Schwingungen, ihr gemeinsamer Oberton a\" hat 3 . 2931/s = 2 . 440 = 880 Schwingungen. In der temperirten Stimmung macht das d' nur 2932/a Schwingungen, sein zweiter Oberton wird 881 und diese ausserordentlich kleine Differenz verr\u00e4th sich dem Ohre durch eine Schwebung in der Secunde. Den Orgelbauern ist das Factum, dass unreine Octaven und unreine Quinten Schwebungen geben, l\u00e4ngst bekannt, und es wird von ihnen benutzt, um schnell und sicher die verlangte reine oder temperirte Stimmung herstel-len zu k\u00f6nnen, da es in der That kein empfindlicheres Mittel giebt, die Reinheit der Intervalle zu pr\u00fcfen.\nZwei Kl\u00e4nge also, welche im Verh\u00e4ltnisse einer reinen Octave, einer reinen Duodecime oder reinen Quinte stehen, ert\u00f6nen neben einander in ungest\u00f6rtem gleichm\u00e4ssigem Abfl\u00fcsse, und unterscheiden sich dadurch von ihren n\u00e4chst benachbarten Intervallen, den unreinen Octaven oder Quinten, bei denen ein Theil der Klangmasse in einzelne St\u00f6sse zerf\u00e4llt, so dass die beiden Kl\u00e4nge nicht ungest\u00f6rt neben einander hinfliessen k\u00f6nnen. Deshalb nennen wir die reine Octave, Duodecime und Quinte consonante Intervalle im Gegensatz zu den ihnen n\u00e4chst benachbarten Intervallen, welche wir dissonant nennen. Obgleich diese Namen l\u00e4ngst gegeben waren, ehe man von den Obert\u00f6nen und ihren Schwebungen etwas wusste, bezeichnen sie doch das Wesen der Sache, ungest\u00f6rtes oder gest\u00f6rtes Zusammenklingen ganz richtig.\nDa die hier beschriebenen Erscheinungen die wesentliche Grundlage f\u00fcr die Feststellung der normalen musikalischen Intervalle bilden, so wollen wir sie nach allen Richtungen hin experimentell fest begr\u00fcnden.\nZun\u00e4chst habe ich behauptet, die Schwebungen seien Schwebungen derjenigen Partialt\u00f6ne beider Kl\u00e4nge, welche nahehin Zusammentreffen. Nun ist es nicht immer ganz leicht, wenn man\n18*","page":275},{"file":"p0276.txt","language":"de","ocr_de":"276 Zweite Abtheilung. Zehnter Abschnitt.\neine schwach verstimmte Quinte oder Octave h\u00f6rt, mit unbewaffnetem Ohre deutlich zu erkennen, welche Theile des Gesammt-klanges in Schwebung begriffen sind. Es macht leicht den Eindruck, als h\u00f6re man Verst\u00e4rkungen und Schw\u00e4chungen der ganzen Klangmasse. Indessen wird ein Ohr, welches ge\u00fcbt ist, die Obert\u00f6ne zu unterscheiden, wenn es seine Aufmerksamkeit auf den betreffenden gemeinsamen Oberton fixirt, doch leicht die starken Schwebungen gerade dieses Tones h\u00f6ren, w\u00e4hrend die Grundt\u00f6ne continuirlich fortklingen. Man gebe die Note d' an, richte die Aufmerksamkeit auf ihren Oberton a'\\ lasse die temperirte Quinte a' hinzukommen, so wird man deutlich die Schwebungen des a\" h\u00f6ren k\u00f6nnen. F\u00fcr ein unge\u00fcbtes Ohr sind in diesem Falle die fr\u00fcher beschriebenen Resonatoren von grossem Nutzen. Setzt man den Resonator f\u00fcr a\" an das Ohr, so h\u00f6rt man die Schwebungen dieses Tones sehr einschneidend. Nimmt man dagegen einen Resonator f\u00fcr einen der Grundt\u00f6ne d' oder a', so h\u00f6rt man die Schwebungen im Gegentheile schw\u00e4cher, weil dadurch der continuirliche Theil des Tones verst\u00e4rkt wird.\nDiese Behauptung soll nat\u00fcrlich nicht so weit gehen, dass gar keine anderen T\u00f6ne als das a\" des letzten Beispiels Schwebungen g\u00e4ben. Im Gegentheile, es giebt noch h\u00f6here schw\u00e4chere Obert\u00f6ne, welche Schwebungen geben, und ausserdem werden wir im n\u00e4chsten Abschnitte die Schwebungen der Combinationst\u00f6ne kennen lernen, welche sich zu den hier beschriebenen Schwebungen der Obert\u00f6ne gesellen. Die Schwebungen des tiefsten gemeinsamen Obertones spielen nur gew\u00f6hnlich die Hauptrolle, weil sie von allen die st\u00e4rksten und die langsamsten sind.\nZweitens mag ein directer experimenteller Beweis w\u00fcnschens-werth erscheinen, dass die von uns aus den Schwingungszahlen der Obert\u00f6ne hergeleiteten Zahlenverh\u00e4ltnisse wirklich diejenigen sind, welche keine Schwebungen geben. Dieser Beweis kann am leichtesten durch die oben beschriebene Doppelsirene, Fig. 49, gegeben werden. Man setze die Scheiben in Rotation und \u00f6ffne an der unteren Scheibe die Reihe von 8, an der oberen von 16 Lochern, so erh\u00e4lt man beim Anblasen zwei Kl\u00e4nge, welche mit einander das Intervall einer Octave bilden. Sie klingen zusammen, ohne Schwebungen, so lange der obere Kasten nicht gedreht wird. So wie man aber anf\u00e4ngt, den oberen Kasten langsam umzudrehen, wodurch der Ton der oberen Scheibe etwas erh\u00f6ht oder erniedrigt wird, h\u00f6rt man Schwebungen. So lange der obere Wind-","page":276},{"file":"p0277.txt","language":"de","ocr_de":"277\nSchwebungen der Obert\u00f6ne.\nk\u00e4sten stillsteht, ist das Verh\u00e4ltniss der Schwingungszahlen genau 1 : 2, weil bei jeder Umdrehung der Scheibe der untere Kasten genau 8, der obere genau 16 Luftst\u00f6sse giebt. Durch eine langsame Drehung der Kurbel kann man dieses Verh\u00e4ltniss um so wenig als man will ver\u00e4ndern, aber bei jeder noch so langsamen Drehung h\u00f6rt man .die Schwebungen, welche die Verstimmung des Intervalls ank\u00fcndigen.\nAehnlich ist es mit der Quinte. Man \u00f6ffne oben die Reihe mit 12, unten mit 18 L\u00f6chern, man wird eine ganz ruhig fortklingende Quinte h\u00f6ren, so lange der obere Windkasten nicht gedreht wird. Das Verh\u00e4ltniss der Schwingungszahlen, gegeben durch die Zahlen der L\u00f6cher beider Reihen, ist genau 2 zu 3. So wie man den Windkasten dreht, h\u00f6rt man Schwebungen. Wir haben oben gesehen, dass je eine Lhndrehung der Kurbel die Anzahl der Schwingungen des Tones von 12 L\u00f6chern um 4 vergr\u00f6ssert oder verkleinert. Wenn wir an der unteren Scheibe ebenfalls den Ton von 12 L\u00f6chern erzeugten, erhielten wir 4 Schwebungen. Bei der Quinte von 12 und 18 L\u00f6chern erhalten wir dagegen bei jeder Umdrehung der Kurbel 12 Schwebungen, weil die Schwingungszahl des 3ten Partialtones f\u00fcr je eine Umdrehung der Kurbel um 3 . 4 = 12 w\u00e4chst, wenn die des Grundtones um 4 w\u00e4chst, und wir es hier mit Schwebungen des genannten Partialtones zu thun haben.\nDie Sirene hat bei diesen Untersuchungen den grossen Vorzug vor allen anderen musikalischen Instrumenten, dass die Stimmung der Intervalle nach den einfachen Zahlenverh\u00e4ltnissen durch ihren Mechanismus selbst in unver\u00e4nderlicher und festerWeise hergestellt ist, und dass wir deshalb der ausserordentlich m\u00fchsamen und schwierigen Messungen der Schwingungszahlen \u00fcberhoben sind, welche dem Beweise unseres Gesetzes vorhergehen m\u00fcssten, wenn wir andere t\u00f6nende Instrumente gebrauchen wollten. Das Gesetz war \u00fcbrigens schon fr\u00fcher durch dergleichen Messungen festgestellt worden, und es hatte sich eine desto genauere Ueber-einstimmung mit den einfachen Zahlenverh\u00e4ltnissen he'rausgestellt, je mehr die Methoden, Schwingungszahlen zu messen und rein zu stimmen, vervollkommnet waren.\nWie uns die Goincidenzen der ersten beiden Obert\u00f6ne zu den nat\u00fcrlich bestimmten Consonanzen der Octave und Quinte gef\u00fchrt haben, k\u00f6nnen wir eine weitere Reihe nat\u00fcrlich bestimmter con-sonanter Intervalle auffinden, indem wir Coincidenzen der h\u00f6he-","page":277},{"file":"p0278.txt","language":"de","ocr_de":"278 Zweite Abtheilung. Zehnter Abschnitt. .\nren Obert\u00f6ne hervorbringen. Nur ist zu bemerken, dass in dem Maasse, als diese h\u00f6heren Obert\u00f6ne schw\u00e4cher werden, auch die Schwebungen weniger vernehmlich sind, wodurch die verstimmten Intervalle von den rein gestimmten sich unterscheiden. Die Abgrenzung dieser Intervalle, welche auf Coincidenzen h\u00f6herer Obert\u00f6ne beruhen, wird deshalb f\u00fcr das Ohr immer schw\u00e4cher und unbestimmter, je h\u00f6here Obert\u00f6ne dazu beitragen. In der folgenden Tabelle enth\u00e4lt die erste Horizontalreihe und die erste Ver-ticalreihe die Ordnungszahlen der coincidirenden Partialt\u00f6ne, und wo die entsprechende verticale imd horizontale Reihe Zusammentreffen, ist die Benennung und das Schwingungsverh\u00e4ltniss des entsprechenden Intervalls der Grundt\u00f6ne angegeben. Das letztere Zahlenverh\u00e4ltniss ist immer unmittelbar gegeben durch die Ordnungszahlen der beiden coincidirenden Partialt\u00f6ne.\nCoinci- dirende\t\t\t3\t\t\nPartial-\t\t\t\t\t\nt\u00f6ne.\t\t\t\t\t\n6\t2 Octaven\tDuodecime\tOctave\tQuinte\tKleine\n\tund Quinte\t1 : 3\t1 : 2\t2:3\tTerz 5 : 6\n\t2 Octaven und Terz\tGrosse\tGrosse\tGrosse\t\n5\t\tDecime 2 : 6\tSexte 3 : 5\tTerz 4 : B\t\n4\tDoppel- octave 1 : 4\tOctave 1 : 2\tQuarte 3 : 4\t\t\n3\tDuodecime\tQuinte\t\t\t\n\t1 : 3\t2 : 3\t\t\t\n2\tOctave\t\t\t\t\n\t1 : 2\t\t\t\t\nDie beiden untersten Reihen dieser Tafel enthalten die schon besprochenen Intervalle der Octave, Duodecime und Quinte. In der dritten von unten kommt durch den Ton 4 hinzu das Intervall der Quarte und der Doppeloctave. Durch den Ton 5 bestimmt sich die grosse Terz theils einfach, theils vermehrt um eine oder zwei Octaven und die grosse Sexte. Der sechste Ton bringt noch die kleine Terz hinzu. Ich habe die Tab\u00e9lle hiermit abgebrochen, weil der siebente Partialton auf denjenigen musika-","page":278},{"file":"p0279.txt","language":"de","ocr_de":"279\nSchwebungen der Obert\u00f6ne.\nlischen Instrumenten, deren Klangfarbe man innerhalb gewisser Grenzen ver\u00e4ndern kann, wie zum Beispiel auf dem Claviere, fortgeschafft, oder sehr geschw\u00e4cht ist. Auch der sechste Ton ist dann meistens sehr schwach, w\u00e4hrend man bis zum 5ten hin die Entstehung der Partialt\u00f6ne zu beg\u00fcnstigen sucht. Wir werden auf die Intervalle, welche durch die Zahl 7 charakterisirt werden, und auf die kleine Sexte, welche durch die Zahl 8 bestimmt wird, sp\u00e4ter noch einmal zur\u00fcckkommen. Die Ordnung der consonanten Intervalle, anfangend von den^entschieden cha-rakterisirten, \u00fcbergehend zu den durch schw\u00e4chere Schwebungen h\u00f6herer Obert\u00f6ne weniger gut begrenzten, ergiebt sich hiernach folgendermassen : '\n1. Octave . . .\t... 1 : 2\n2. Duodecime . .\t... 1 : 3\n3. Quinte . . .\t... 2 : 3\n4. Quarte . . .\t... 3 : 4\n5. Grosse Sexte .\t... 3 : 5\n6. Grosse Terz .\t... 4 : 5\n7. Kleine Terz .\t... 5 : 6\nDas folgende Notenbeispiel zeigt die Coincidenzen ihrer Obert\u00f6ne. Die Grundt\u00f6ne sind wieder durch halbe Noten, die Obert\u00f6ne durch Viertelnoten bezeichnet. Die Keihe der Obert\u00f6ne ist fortgesetzt bis zu dem ersten gemeinsamen Obertone.\nq\t\t\t\tj\t|-\t\t-q q \u25a0\tq ip\t\u2014rJ\u201c -\nw -\t\t\t\u2014\\\u20144\u2014 \u2014at\u2014\u00bb\u2014\t\t\u25a0 \u25a0\tprant\ntt\tJ\ti-J. \u2014\t\t\u2014#\t\tL*|\tEj\t -*\u25a0 V\t'-5- *\t-ir |\t\n- i\t\t\t! \u2014j\t ~0\t\t\t! fH\t\n^ \u00a3 p\tp\tf 1\t\tp- i=T i\t1=5 ^ 1\trr1\tn\nOctave Duodecime\t\tQuinte\tQuarte Gr. Sexte Gr. Terz Kl. Terz.\t\t\t\n1 : 2\t1 : 3\t2 : 3\t3 : 4\t3 : 5\t4 : 5\t5:6\t5\nWir haben bisher immer nur von solchen F\u00e4llen gesprochen, wo das angegebene Intervall sehr wenig abweicht von einem der nat\u00fcrlichen consonanten Intervalle. Bei einer geringen Differenz sind in der That die Schwebungen langsam, daher leicht zu bemerken und leicht zu z\u00e4hlen. Nat\u00fcrlich sind sie auch vorhanden wenn die Abweichung der coincidirenden Obert\u00f6ne gr\u00f6sser wird.","page":279},{"file":"p0280.txt","language":"de","ocr_de":"280 Zweite Abtheilung. Zehnter Abschnitt.\nAber freilich, indem sie zahlreicher werden, verbirgt sich ihr eigentlicher Charakter unter der \u00fcberwiegenden Klangmasse der st\u00e4rkeren Grundt\u00f6ne noch leichter, als dies bei den schnelleren Schwebungen dissonanter Grundt\u00f6ne selbst geschieht. Die schnelleren Schwebungen erscheinen dann wieder als eine Rauhigkeit der ganzen Klangmasse, ohne dass das Ohr so leicht erkennt, worin diese Rauhigkeit ihren Grund hat, wenn man nicht die Versuche so einrichtet, dass man durch allm\u00e4lig wachsende Verstimmung eines harmonischen Intervalls die Schwebungen allm\u00e4lig schneller und schneller werden l\u00e4sst, wobei man denn alle Zwischenstufen zwischen z\u00e4hlbaren Schwebungen einerseits und der Rauhigkeit einer Dissonanz andererseits verfolgen und sich \u00fcberzeugen kann, dass beide nur dem Grade nach verschieden sind.\nWir haben bei den Schwebungen je zweier einfacher T\u00f6ne gesehen, dass theils der Abstand derselben in der Scala, theils ihre Anzahl Einfluss hatte auf die Deutlichkeit und die Rauhigkeit ihrer Schwebungen, in der Weise, dass bei den h\u00f6heren T\u00f6nen namentlich die wachsende Zahl der Schwebungen es war, welche selbst bei verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig ziemlich engen Intervallen ihre Deutlichkeit beeintr\u00e4chtigte, und sie in der Empfindung verwischte. Hier wo wir es mit Schwebungen der Obert\u00f6ne zu thun haben, welche meist dem h\u00f6heren Theile der Scala angeh\u00f6ren, wenn die Grundt\u00f6ne in den mittleren liegen, hat daher ebenfalls namentlich die Anzahl der Schwebungen einen \u00fcberwiegenden Einfluss auf ihre Sch\u00e4rfe.\nDas Gesetz, welches bei gegebener Verstimmung die Anzahl der Schwebungen eines consonanten Intervalls bestimmt, ergiebt sich leicht aus dem oben angef\u00fchrten Gesetze f\u00fcr die Schwebungen einfacher T\u00f6ne. Wenn zwei einander nahe einfache T\u00f6ne Schwebungen hervorbringen, ist die Anzahl der Schwebungen in der Secunde gleich der Differenz ihrer Schwingungszahlen. Nehmen wir jetzt als Beispiel an, dass ein Grundton 300 Schwingungen in der Secunde mache. Zu diesem bestimmen sich nun die Schwingungszahlen der harmonischen Intervalle folgendermassen:","page":280},{"file":"p0281.txt","language":"de","ocr_de":"Deutlichkeit der Schwebungen von Obert\u00f6nen. 281\nGrundton : 300\nH\u00f6here Octave . . .\t. . - . \u2014 600\tTiefere Octave\t\t. . \u2014 150\n\u201e Quinte . . .\t... . = 450\t\u201e Quinte ....\t\n\u201e Quarte . . .\t. . . . = 400\t\u201e Quarte ....\t. . \u2014 225\n\u201e grosse Sexte\t. . . . = 500\t\u201e grosse Sexte\t. . = 180\n\u201e grosse Terz\t. . . . = 375\t\u201e grosse Terz . .\t. . \u2014 240\n\u201e kleine Terz\t. . . . = 360\t\u201e kleine Terz . .\t. . \u2014 250\nWenn wir nun annehmen, der Grundton 300 sei verstimmt worden um eine Schwingung, so dass er 301 Schwingungen in der Secunde mache, so ergiebt sich die Zahl der Schwebungen, welche bei den verschiedenen consonanten Intervallen dadurch entsteht, wenn man die Schwingungszahlen der coincidirenden Obert\u00f6ne berechnet, und deren Differenz nimmt, wie folgt:\nIntervall nach oben\tSchwebende Partialt\u00f6ne\t\tZahl der Schwebungen.\nPrime\t1.300 = 300\t1.301=301\t1\nOctave\t1.600 = 600\t2.301 = 602\t2\nQuinte\t2.450 = 900\t3.301=903\t3\nQuarte\t3.400 = 1200\t4.301 = 1204\t4\nGrosse Sexte\t3.500 = 1500\t5.301 = 1505\t5\nGrosse Terz\t4.375 = 1500\t5.301 = 1505\t5\nKleine Terz\t5.360 = 1800\t6.301 = 1806\t6\nIntervall nach unten\tSchwebende Partialt\u00f6ne\t\tZahl der Schwebungen\nPrime\t1.300 = 300\t1.301 = 301\t1\nOctave\t2.150 = 300\t1.301=301\t1\nQuinte\t3.200 = 600\t2.301=602\t2\nQuarte\t4.225 = 900\t3.301 = 903\t3\nGrosse Sexte\t5.180 = 900\t3.301=903\t3\nGrosse Terz\t5.240=1200\t4.301 = 1204\t4\nKleine \u00eeerz\t6.250=1500\t5.301 = 1505\t6","page":281},{"file":"p0282.txt","language":"de","ocr_de":"282 Zweite Abtheilung. Zehnter Abschnitt.\nDie Anzahl der Schwebungen, welche bei der Verstimmung eines Tones in einer der angef\u00fchrten Consonanzen um eine Schwingung in der Secunde entsteht, wird also immer gegeben durch die beiden Zahlen, welche das Intervall charakterisiren, und zwar giebt die kleinere Zahl die Zahl der Schwebungen an, welche entstehen, wenn der h\u00f6here Ton eine Schwingung mehr macht, die gr\u00f6ssere Zahl dagegen geh\u00f6rt der Verstimmung des tieferen Tones an. Diese Regel ist allgemein g\u00fcltig. Nehmen wir also die Sexte c\u2014a, deren Zahlenverh\u00e4ltniss 3 : 5 ist, und lassen a in einer bestimmten Zeit eine Schwingung mehr ausf\u00fchren, so bekommen wir f\u00fcr dieselbe Zeit drei Schwebungen des Zusammenklanges, und lassen wir c in der gleichen Zeit eine Schwingung mehr machen, so erhalten wir f\u00fcnf Schwebungen u. s. w.\nUnsere Berechnung und die darauf gegr\u00fcndete Regel ergeben nun, dass bei gleicher Verstimmung eines Tones die Zahl der Schwebungen der consonanten Intervalle in dem Maasse steigt, als diese Intervalle durch gr\u00f6ssere Zahlen ausgedr\u00fcckt werden. Bei den Sexten und Terzen muss man deshalb dem normalen Schwingungsverh\u00e4ltniss sich viel genauer anschliessen, wenn man langsame Schwebungen vermeiden will, als bei den Octaven und den Einkl\u00e4ngen. Andererseits aber kommt man auch bei geringer Verstimmung der Terzen viel eher an die Grenze, wo die Schwebungen wegen zu grosser Anzahl sich zu verwischen beginnen und ihre Deutlichkeit verlieren. Wenn ich den Einklang c\"\u2014c\" durch Verstimmung des einen Tones ver\u00e4ndere in den Halbton h'\u2014c\", so erhalte ich beim Zusammenklang die scharfe Dissonanz von 33 Schwebungen, welche Anzahl, wie ich fr\u00fcher angef\u00fchrt habe, etwa das Maximum der Rauhigkeit giebt. Will ich die Quinte/'\u2014c\" auf 33 Schwebungen verstimmen, so darf ich das c\" nur um i/4 Ton ver\u00e4ndern. Ver\u00e4ndere ich es um % Ton, so dass /'\u2014c! zu f\u2014h' wird, so erhalte ich 66 Schwebungen, deren Sch\u00e4rfe schon betr\u00e4chtlich verwischt ist. In der Quinte c\"\u2014g\u201d darf ich das c\" sogar nur um y6 Tonstufe \u00e4ndern, wenn ich 33 Schwebungen behalten will, in der Quarte c\"\u2014f\" um y8, in der grossen Terz c\"\u2014e\" und in der Sexte c\"\u2014a\u201d um VlO\u2019 und in der klei-nenTerz c\"\u2014es\" um yia Tonstufe. Umgekehrt, wenn ich in jedem dieser Intervalle das c\" um 33 Schwingungen ver\u00e4ndere, so dass es h' oder des\" wird, so erhalte ich folgende Schwingungszahlen:","page":282},{"file":"p0283.txt","language":"de","ocr_de":"Deutlichkeit der Schwebungen von Obert\u00f6nen. 283\nDas Intervall der\t\tgeht \u00fcber in\toder in\tund giebt Schwebungen\nOctave . . .\t. . . c\" c'\"\th'\u2014c'\"\tdes\"\u2014c\"'\t66\nQuinte . . .\t\th'-g\"\tdes\"\u2014g\"\t99\nQuarte . . .\t\u25a0 . -c\" f\"\th'-f\"\tdes\" \u2014f\t132\nGrosse Terz\t. . . c\"\u2014e\"\th'-e\"\tdes\"\u2014e\"\t165\nKleine Terz\t. . c\"\u2014es\"\th'\u2014es\"\tdes\"\u2014es\"\t198\nWenn nun 99 Schwebungen schon unter g\u00fcnstigsten Umst\u00e4nden bei einfachen T\u00f6nen sehr schwach wirken, 132 an der Grenze des Wahrnehmbaren zu liegen scheinen, so d\u00fcrfen wir uns nicht wundern, wenn solche Zahlen von Schwebungen hervorgebracht durch schw\u00e4chere Obert\u00f6ne und \u00fcberdeckt von den st\u00e4rkeren Grundt\u00f6nen keinen merklichen Eindruck mehr machen, und dem Ohre verschwinden. Dieses Yerh\u00e4ltniss ist aber f\u00fcr die musikalische Praxis von sehr grosser Wichtigkeit, denn in unserer letzten Tabelle finden wir als verstimmte Quinte vor das Intervall h'\u2014g\", welches unter dem Namen der kleinen Sexte als unvollkommene Consonanz gebraucht wird. Ebenso finden wir als verstimmte Quarte die grosse Terz des\"\u2014f, als verstimmte grosse Terz die Quarte h\u2019\u2014e\" vor u. s. w. Dass wenigstens in dieser Gegend der Tonleiter die grosse Terz nicht die Schwebungen einer verstimmten Quarte, und die Quarte nicht die Schwebungen einer verstimmten grossen Terz h\u00f6ren l\u00e4sst, erkl\u00e4rt sich aus der grossen Zahl der Schwebungen. Es klingen vielmehr die genannten Intervalle in der angegebenen Lage vollkommen gleichm\u00e4ssig ab-fliessend, ohne eine Spur wahrnehmbarer Schwebungen und Rauhigkeiten, wenn sie rein gestimmt sind.\nWir kommen hiermit zur Er\u00f6rterung derjenigen Umst\u00e4nde, welche auf die Vollkommenheit der Consonanz in den verschiedenen Intervallen Einfluss haben. Wir haben die Consonanzen dadurch charakterisirt, dass irgend welche zwei Partialt\u00f6ne beider Kl\u00e4nge Zusammenf\u00e4llen. Wenn dies geschieht, k\u00f6nnen die beiden Kl\u00e4nge zusammen keine langsamen Schwebungen ausf\u00fchren. Wohl aber ist es m\u00f6glich, dass gleichzeitig irgend welche andere zwei Obert\u00f6ne beider Kl\u00e4nge einander so nahe kommen, dass sie schnelle Schwebungen mit einander hervorbringen, F\u00e4lle dieser","page":283},{"file":"p0284.txt","language":"de","ocr_de":"284 Zweite Abtheilung. Zehnter Abschnitt.\nArt haben sich schon in den letzten Notenbeispielen gezeigt. Unter den Obert\u00f6nen der grossen Terz FA kommen nebeneinander f und e' vor, unter denen der kleinen Terz F As die T\u00f6ne o! und as\\ welche mit einander die Dissonanz eines halben Tones bilden, und dieselben Schwebungen hervorrufen m\u00fcssen, wie wenn die betreffenden Obert\u00f6ne direct als einfache Grundt\u00f6ne angegeben w\u00fcrden. Obgleich nun solche Schwebungen theils wegen ihrer Anzahl, theils wegen der Schw\u00e4che der sie hervorbringenden T\u00f6ne, theils wegen des gleichzeitigen Erklingens der gleich-massig daneben hert\u00f6nenden Grundt\u00f6ne und \u00fcbrigen Partialt\u00f6ne keinen sehr hervortretenden Eindruck machen k\u00f6nnen, so werden sie doch nicht ganz ohne Einfluss auf den Wohlklang des Intervalls sein. Der vorige Abschnitt hat uns gezeigt, dass in gewissen Klangfarben, wo die hohen Obert\u00f6ne sehr entwickelt sind, selbst innerhalb eines einzigen Klanges Dissonanzen entstehen k\u00f6nnen, deren Rauhigkeit dem Ohre f\u00fchlbar wird. Sobald je zwei Kl\u00e4nge solcher Art Zusammenkommen, werden zu den dissonanten Intervallen zwischen den Obert\u00f6nen jedes einzelnen Klanges auch noch solche hinzukommen k\u00f6nnen zwischen je einem Obertone des einen und einem Obertone des zweiten Klanges, wodurch nothwendig eine gewisse Vermehrung der Rauhigkeit entstehen muss.\nUm f\u00fcr jedes consonante Intervall diejenigen Obert\u00f6ne leicht aufzufinden, welche Dissonanzen mit einander bilden, ergiebt sich die Methode aus dem, was wir \u00fcber st\u00e4rkere Verstimmung der consonanten Intervalle schon beigebracht haben. Wir haben dort die Terz als eine verstimmte Quarte, die Quarte als eine verstimmte Terz auftreten sehen. Wenn wir die H\u00f6he eines Klanges um einen halben Ton ver\u00e4ndern, ver\u00e4ndern wir auch die H\u00f6he aller seiner Obert\u00f6ne um einen halben Ton. Diejenigen Obert\u00f6ne, welche in dem Quartenintervall zusammenfallen, treten um einen Halbton auseinander, wenn wir die Quarte um einen halben Ton ver\u00e4ndern, so dass sie grosse Terz wird, und umgekehrt, diejenigen, welche in der Terz zusammenfallen, m\u00fcssen um einen Halbton auseinander treten in der Quarte, wie folgendes Beispiel zeigt:-","page":284},{"file":"p0285.txt","language":"de","ocr_de":"Grad des Wohlklanges der Consonanzen. 285\n0 * .\t2L\t1\t3 1\t\n\t\t\t\n\t*\tTI*\tT \u00bb, \u2014 [Zi\t\nS-=-5\u2014\t\t\\\\ tP*\t\t11\nJ 1 *\t*\tl J J\t\u2014p-\u00e4\t\n\t\u2014\tv-\u00eb\tv-\t\t\t\nA\t\t-S3\t\u2014\t\u2014 1\tu\t\t\np=\u00bb\t1 1\tT 1\tr5 i\t\nQuarte\tGr. Terz\tKl. Terz.\t\nDer vierte und dritte Partialton in der Quarte des ersten Beispiels fallen auf / zusammen. Sinkt die Quarte B dagegen im zweiten Beispiele zur grossen\u2019 Terz A lierab, so sinkt ihr dritter Partialton von /' nach e', und bildet mit dem liegenbleibenden/ des Klanges F eine Dissonanz. Dagegen r\u00fccken hier zusammen auf a' der f\u00fcnfte und sechste Ton beider Kl\u00e4nge, die im ersten Beispiele die Dissonanz a'\u2014V bildeten. Ebenso ver\u00e4ndert sich dieConsonanz a'\u2014a! des zweiten Falles in die Dissonanz a'\u2014as' des dritten, w\u00e4hrend die Dissonanz \u00e7\" \u2014 eis\u201d des zweiten in die Consonanz c\"\u2014cf' des dritten \u00fcbergeht.\nIn jedem consonanten Intervalle dissoniren also diejenigen Obert\u00f6ne, weichein den benachbarten Intervallen zusammenfallen, und man kann in diesem Sinne sagen, dass jede Consonanz durch die N\u00e4he der in der Tonleiter benachbarten Consonanzen gest\u00f6rt wird, und zwar um so mehr gest\u00f6rt wird, je niedriger und st\u00e4rker die Obert\u00f6ne sind, welche das st\u00f6rende Intervall durch ihre Coincidenz charakterisiren, oder was dasselbe sagt, je kleinere Zahlen das Schwingungsverh\u00e4ltniss desselben ausdr\u00fccken.\nFolgende Tabelle giebt nun eine Uebersicht dieses Einflusses der verschiedenen Consonanzen auf einander. Es sind die Qber-t\u00f6ne bis zum neunten aufgenommen, und den durch Coincidenz der h\u00f6heren Obert\u00f6ne entstehenden Intervallen entsprechende Namen beigelegt worden. Die dritte Columne enth\u00e4lt das Ver-h\u00e4ltniss ihrer Schwingungszahlen, welches zugleich die Ordnungszahlen der coincidirenden \u00abPartialt\u00f6ne angiebt. Die vierte Columne giebt den Abstand der einzelnen Intervalle von einander an, und die letzte giebt ein Maass f\u00fcr die relative St\u00e4rke der Schwebungen, welche durch Verstimmung des betreffenden Intervalls entstehen, berechnet f\u00fcr die Klangfarbe der Violine*). Je\n*) Siehe Beilage XI.","page":285},{"file":"p0286.txt","language":"de","ocr_de":"286 Zweite Abtheilung. Zehnter Abschnitt.\ngr\u00f6sser die hierin enthaltene Zahl ist, desto mehr st\u00f6rt das betreffende Intervall die benachbarten.\nIntervalle\nNotation\nVerh\u00e4ltniss\nder\nSchwin-\ngungszahlen\nGegen-\nseitiger\nAbstand\nSt\u00e4rke\ndes\nEinflusses\nPrime............ \u2022 \u2022\nSecunde .............\nUeberm\u00e4ssige Secunde . Verminderte Terz . . .\nKleine Terz..........\nGrosse Terz..........\nUeberm\u00e4ssige Terz . .\nQuarte...............\nVerminderte Quinte . .\nQuinte...............\nKleine Sexte.........\nGrosse Sexte ........\nVerminderte Septime . Kleine Septime . . . . Octave...............\nC\nB\nI>+\nEs\u2014\nEs\nE\nE+\nF\nGes\u2014\nG\nAs\nA\nB\u2014\nb '!\nn\n1 : 1 8 : 9 7 : 8\n6\t: 7 5 : 6\n4\t: 5\n7\t: 9 3 : 4\n5\t: 7\n2\t: 3 5 : 8\n3\t: 5\n4\t: 7 B : 9 1 : 2\n8 :\t: 9\n63\t: 64\n48 :\t: 49\n35 :\t: 36\n24 :\t: 25\n35 :\t; 36\n27 :\t: 28\n20 :\t: 21\n14 :\t: 15\n15 :\t: 16\n24 ;\t: 25\n20 :\t: 21\n35\t36\n9 :\t: 10\n100\n1.4\n1,8\n2.4\n3.3 5,0 1,6\n8.3\n2,8\n16,7\n2.5 6,7\n3.6\n2,2\n50\nDer vollkommenste Zusammenklang ist der der Prime, oder der Einklang, wo beide Kl\u00e4nge gleiche Tonh\u00f6he haben. Alle ihre Partialt\u00f6ne fallen zusammen, und es kann deshalb keine Dissonanz derselben eintreten, die nicht schon in jedem einzelnen Klange allein enthalten ist.\nAehnlich verh\u00e4lt es sich mit der Octave. S\u00e4mmtliche Partialt\u00f6ne der h\u00f6heren Note dieses Intervalls fallen mit den geradzahligen Partialt\u00f6nen der tieferen Note zusammen, und verst\u00e4rken diese, so dass auch in diesem Falle keine Dissonanz der Obert\u00f6ne entstehen kann, die nicht, wenn auch schw\u00e4cher, schon in dem tieferen Klange an sich enthalten w\u00e4re. Ein Klang, der von seiner Octave begleitet wird, erh\u00e4lt dadurch eine etwas sch\u00e4rfere Klangfarbe, indem die hohen Partialt\u00f6ne, welche die Sch\u00e4rfe der Klangfarbe bedingen, durch die hinzugesetzte Octave zum Theil verst\u00e4rkt werden, diese Wirkung w\u00fcrde aber in \u00e4hnlicher Weise","page":286},{"file":"p0287.txt","language":"de","ocr_de":"Grad des Wohlklanges der Consonanzen. 287\neintreten, wenn man den Grundton. des Intervalls einfach an St\u00e4rke wachsen Hesse, ohne die Octave hinzuzuf\u00fcgen; nur w\u00fcrde in diesem Falle die Verst\u00e4rkung auf die verschiedenen Obert\u00f6ne sich etwas anders vertheilen.\nDasselbe gilt von der Duodecime und zweiten Octave, \u00fcberhaupt von allen den F\u00e4llen, wo der h\u00f6here Klang mit einem Oherton des tieferen zusammenf\u00e4llt, nur dass bei zunehmender Entfernung beider Kl\u00e4nge der Unterschied zwischen Consonanz und Dissonanz sich immer mehr verwischt.\nDie bisher betrachteten F\u00e4lle, wo der h\u00f6here Klang mit einem der Partialt\u00f6ne des tieferen zusammenf\u00e4llt, k\u00f6nnen wir absolute Consonanzen nennen. Der zweite Klang bringt hier nichts Neues hinzu, er verst\u00e4rkt nur einen Theil des ersten Klanges.\nPrime und Octave st\u00f6ren nun die ihnen zun\u00e4chst liegenden Intervalle betr\u00e4chtlich, so dass die kleine Secunde C\u2014Bes und die grosse Septime C\u2014H, welche um einen Halbton beziehlich von der Prime und Octave abstehen, die sch\u00e4rfsten Dissonanzen unserer Tonleiter sind. Auch die grosse Secunde G\u2014B und die kleine Septime C\u2014B, wo die Entfernung von den st\u00f6renden Intervallen einen ganzen Ton betr\u00e4gt, muss man zu den Dissonanzen rechnen, doch sind sie wegen des gr\u00f6sseren Abstandes der dissonirenden T\u00f6ne viel milder, als die erstgenannten. Namentlich in den h\u00f6heren Gegenden der Tonleiter nimmt ihre Rauhigkeit sehr ab, wegen der grossen Zahl ihrer Schwebungen- Da die kleine Septime ihre Dissonanz dem ersten Obertone verdankt, welcher in den meisten musikalischen Klangfarben schw\u00e4cher ist als der Grundton, so ist ihre Dissonanz noch milder als die der grossen Secunde, und sie steht an der Grenze der Dissonanzen.\nNeue gute Consonanzen m\u00fcssen wir also in der Mitte des Octavenintervalls suchen, und hier ist es zun\u00e4chst die Quinte, welche uns begegnet. Unmittelhar neben sich in der Entfernung eines Halbtones hat sie in unserer letzten Tabelle nur die Intervalle 5 : 7 und 5 :8, welche wenig oder gar nicht st\u00f6ren k\u00f6nnen, weil bei den besseren musikalischen Klangfarben der siebente und achte Ton sehr schwach ausfallen oder ganz fehlen. Die n\u00e4chsten Intervalle mit st\u00e4rkeren Obert\u00f6nen sind die Quarte 3 :4 und die grosse Sexte 3: 5. Indessen hier ist der Abstand ein ganzer Ton, und wenn bei dieser Entfernung schon die T\u00f6ne 1 und 2 des Octavenintervalls nur wenig st\u00f6ren in der kleinen Septime, so ist","page":287},{"file":"p0288.txt","language":"de","ocr_de":"288 Zweite Abtheilung. Zehnter Abschnitt.\nnat\u00fcrlich die St\u00f6rung durch die T\u00f6ne 2 und 3 oder durch die Nachbarschaft der Quinte f\u00fcr die Quarte und grosse Sexte unbedeutend, und ganz zu vernachl\u00e4ssigen ist die R\u00fcckwirkung beider Intervalle mit den T\u00f6nen 3 und 4 oder 3 und 5 auf die Quinte. So bleibt die Quinte eine vollkommene Consonanz, in welcher so gut wie gar keine St\u00f6rung durch Dissonanzen eng zusammenliegender Obert\u00f6ne merklich wird; nur bei scharfen Klangfarben (Physharmonica, Contrabass, Violoncell, Zungenregister der Orgel) mit hohen Ohert\u00f6nen und in sehr tiefer Lage, wenn die Zahl der Schwebungen gering ist, bemerkt man, dass die Quinte etwas rauher klingt, als die Octave. Daher ist die Quinte auch seit \u00e4ltester Zeit und bei allen Musikern als Consonanz anerkannt worden. Dagegen sind die der Quinte zun\u00e4chst benachbarten Intervalle diejenigen, welche n\u00e4chst den der Octave benachbarten die sch\u00e4rfsten Dissonanzen bilden, und zwar die zwischen Quinte und Quarte liegenden, die von der einen Seite durch die T\u00f6ne 2 und 3, von der anderen durch die T\u00f6ne 3 und 4 gest\u00f6rt werden, noch entschiedener als diejenigen, welche zwischen Quinte und grosser Sexte liegen, weil hei den letzteren statt der St\u00f6rung durch den Ton 4 die durch den schw\u00e4cheren Ton 5 eintritt. Die zwischen Quinte und Quarte liegenden Intervalle werden deshalb in der musikalischen Praxis stets als Dissonanzen betrachtet; zwischen Quinte und grosser Sexte liegt dagegen das Intervall der kleinen Sexte, welches als unvollkommene Consonanz behandelt wird, und diesen Vorzug weniger seinem Wohlklange verdankt, als dem Umstande, dass es die Umkehrung der grossen Terz ist, wie denn auch auf den Tastaturinstrumenten je nach der Tonart derselbe Anschlag bald die Consonanz G\u2014As bald die Dissonanz 0 \u2014 Gis repr\u00e4sentiren muss.\nAuf die Quinte folgen zun\u00e4chst die Consonanzen der Quarte 3: 4 und grossen Sexte 3:5, deren Hauptst\u00f6rung von der Quinte auszugehen pflegt. Die Quarte liegt der Quinte etwas ferner (Abstand gleich dem Intervall 8 : 9) als die Sexte (Abstand 9:10), daher letztere eine unvollkommenere Consonanz als die Quarte ist. Doch hat diese die grosse Terz mit den coincidirenden Obert\u00f6nen 4 und 5 dicht neben sich, und wenn die Ohert\u00f6ne 4 und 5 stark entwickelt sind, kann deshalb jener Vortheil der Quarte wieder aufgehoben werden. Auch ist bekannt, dass ein langer Streit \u00fcber die Natur der Quarte, oh sie Consonanz oder Dissonanz sei, von den \u00e4lteren theoretischen Musikern gef\u00fchrt worden","page":288},{"file":"p0289.txt","language":"de","ocr_de":"Grad des Wohlklanges der Consonanzen. 289\nist. Die bevorzugte Stellung, welche der Quarte neben der grossen Sexte und grossen Terz gegeben wird, verdankt sie mehr dem Umstande, dass sie die Umkehrung der Quinte ist, als ihrem hervorstechenden Wohlklange. Die Quarte sowohl wie die grosse und kleine Sexte verschlechtern sich, wenn sie um eine Octave erweitert werden, weil sie dann in die N\u00e4he der Duodecimo zu liegen kommen, und daher sowohl die St\u00f6rung durch die charakteristischen T\u00f6ne der Duodecime 1 und 3 st\u00e4rker wird, als durch die nebenliegenden Intervalle 2 : 5 und 2:7, welche mehr st\u00f6ren als 4:5 und 4:7 in der unteren Octave.\nAlsdann folgen in der Reihe der Consonanzen die grosse und die kleine Terz. Die letztere ist in solchen F\u00e4llen, wo der sechste Ton des Klanges schwach' entwickelt ist, wie auf den neueren Pianofortes, nur noch sehr unvollkommen abgegrenzt, da ihre Verstimmung kaum noch deutlich wahrnehmbare Schwebungen hervorruft. Die kleine Terz ist der St\u00f6rung durch den Grundton noch merklich ausgesetzt, die grosse Terz der St\u00f6rung durch die Quarte ; beide st\u00f6ren sich ausserdem gegenseitig, wobei die kleine Terz schlechter wegkommt als die grosse. F\u00fcr den Wohlklang beider Intervalle ist es daher wesentlich, dass die Zahl der Schwebungen, durch welche ihr Wohlklang verunreinigt wird, gross sei. In h\u00f6heren Theilen der Tonleiter klingen sie vollkommen rein und gut, in niederen dagegen rauh. Das ganze Alterthum hat sich daher geweigert, die Terzen als Consonanzen anzuerkennen, erst seit der Zeit Franco\u2019s von C\u00f6ln (Ende des zw\u00f6lften Jahrhunderts) begann man sie als unvollkommene Consonanzen zuzulassen. Der Grund hiervon mag darin zu suchen sein, dass die Theorie der Musik bei den classischen V\u00f6lkern und im Mittelalter sich haupts\u00e4chlich am Ges\u00e4nge der M\u00e4nnerstimmen entwickelt hat, und in so tiefer Lage die Terzen in der That nicht besonders gut klingen. Damit h\u00e4ngt es denn wohl zusammen, dass man auch die richtige Stimmung der Terzen nicht fand, und die sogenannte pythagor\u00e4ische Terz 64:81 bis gegen das Ende des Mittelalters als die normale betrachtet wurde.\n\u25a0 Ich habe oben schon hervorgehohen, welchen wichtigen Einfluss auf den Wohlklang der Consonanzen, namentlich der unvollkommeneren, die Anzahl der schwachen Schwebungen der dissonanten Obert\u00f6ne hat. Wenn wir die Intervalle alle \u00fcber denselben Grundton legen, so ist die Zahl ihrer Schwebungen sehr verschieden, bei den unvollkommenen viel gr\u00f6sser, als bei den\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik,\ti g","page":289},{"file":"p0290.txt","language":"de","ocr_de":"290 Zweite Abtheilung. Zehnter Abschnitt.\nvollkommenen. Wir k\u00f6nnen aber allen von uns bisher aufgef\u00fchrten Intervallen eine solche Lage in der Tonleiter geben, dass die Anzahl der Schwebungen gleich gross ist. Da wir f\u00fcr einfache T\u00f6ne gefunden haben, dass 33 Schwebungen'in der Secunde etwa das Maximum der Rauhigkeit geben, so.habe ich in dem hier folgenden Notenbeispiel die Intervalle in der Lage zusammengestellt, wo sie 33 Schwebungen geben. Es ist die Stimmung der reinen C-Dur-Tonleiter vorausgesetzt. Der Ton b soll die verjninderte Septime von c (4 :7) bedeuten.\n\n1\n\n\t\t\t\t\t\t\t\t\n15:16\t\t8:15\t\t8:9\t\t7:8\t7:9\t6:7\t5:7\t\nrp*\t\u00c4\t\t\tw\u2014\t\t4\t\u20144\t\n\t\t\t\t4\u2014\t\t\u2014\t\t- t\u2014::\n\t\t\t\t\t\t\t\t\n4:7\t5:8\t5:6\t4:5\t3:6\t3:4\t2:3\nDie T\u00f6ne dieses Beispiels sind alle Obert\u00f6ne des Ci von 33 Schwingungen, also ihre eigenen Schwingungszahlen und die ihrer Obert\u00f6ne alle gleich der Zahl 33 multiplicirt mit ganzen Zahlen, die Differenzen dieser Schwingungszahlen, welche die Zahlen der Schwebungen angeben, m\u00fcssen daher selbst immer wieder 33, 66 oder ein h\u00f6heres Multiplum von 33 sein.\nIn der hier angegebenen niedrigen Lage sind nun die von dissonpnten Obert\u00f6nen herr\u00fchrenden Schwebungen so wirksam, als sie ihrer Intensit\u00e4t nach sein k\u00f6nnen, und hier sind die Sexten, Terzen und selbst die Quarte ziemlich rauh; doch zeigen die grosse Sexte und grosse Terz ihreUeberlegenheit \u00fcber die kleine Terz und kleine Sexte darin, dass sie etwas weiter in der Scala herabsteigen, und doch noch etwas weicher klingen als jene. Es ist auch eine allgemein bekannte praktische Regel der Musiker, dass sie in tiefer Lage diese engen Intervalle vermeiden, wenn sie weich klingende Accorde haben wollen, eine Regel, f\u00fcr welche in den bisherigen theoretischen Darstellungen der Accordlehre die Rechtfertigung fehlte.\nDie von mir hingestellte Theorie des H\u00f6rens mittels der mitschwingenden elastischen Nervenanh\u00e4nge w\u00fcrde erlauben, die","page":290},{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"Grad des Wohlklanges der \u20aconsonanzen. 291\nIntensit\u00e4t der Schwebungen verschiedener Intervalle zu berechnen, wenn die Intensit\u00e4t der Obert\u00f6ne in der betreffenden Klangfarbe des gebrauchten Instruments gegeben ist, und man die Intervalle so legt, dass die Anzahl ihrer Schwebungen die gleiche ist. Doch f\u00e4llt eine solche Berechnung je nach den verschiedenen Klangfarben sehr verschieden aus, und hat nur Werth f\u00fcr den einzelnen Fall..\nF\u00fcr Intervalle, welche \u00fcber demselben Grundton aufgebaut sind, kommt nun noch ein neuer Factor hinzu, n\u00e4mlich die Zahl der Schwebungen, deren Einfluss auf die Rauhigkeit der Empfindung sich noch nicht direct durch ein feststehendes Gesetz aus-dr\u00fccken l\u00e4sst. TJm aber eine \u00fcbersichtliche graphische Darstellung der hier zusammenwirkenden verwickelten Verh\u00e4ltnisse geben zu k\u00f6nnen, welche in einem solchen Falle in einem Ueberhlicke mehr lehrt, als die complicirtesten Beschreibungen, habe ich eine solche Berechnung durchgef\u00fchrt, und danach die Fig. 52 (a. f. S.) A und B construirt. Um sie durchf\u00fchren zu k\u00f6nnen, musste ich allerdings f\u00fcr die Abh\u00e4ngigkeit der Rauhigkeit von der Anzahl der Schwebungen ein einigermassen willk\u00fcrliches Gesetz annehmen. Ich w\u00e4hlte dazu die einfachste mathematische Formel, welche ausdr\u00fcckt, dass die Rauhigkeit verschwindet, wenn die Anzahl der Schwebungen gleich Null ist, dass sie ein Maximum wird f\u00fcr. 33 Schwebungen, und dann bei steigender Anzahl derselben wieder abnimmt. Dann habe ich f\u00fcr die Klangfarbe der Violine die Intensit\u00e4t und Rauhigkeit der Schwebungen berechnet, welche die einzelnen Obert\u00f6ne paarweise zusammengenommen geben, und nach den Resultaten schliesslich die Figuren 52 A und B construirt. Die Grundlinien c'c\" und c\" d\" bedeuten das zwischen den gleichnamigen Noten gelegene St\u00fcck der musikalischen Scala, aber so genommen, dass die Tonh\u00f6he continuirlich darin steigt, nicht stufenweise. Es ist ferner angenommen, dass die den einzelnen Punkten der Scala entsprechenden Kl\u00e4nge zusammenklingen mit dem Tone d, der den constanten Grundton aller Intervalle bildet. Fig. 52 A zeigt also die Rauhigkeit der Intervalle, welche kleiner sind als eine Octave, Fig. 52 B die derjenigen, welche weiter als eine, enger als zwei Octaven sind. Ueber den horizontalen Grundlinien sind H\u00fcgel aufgetragen, mit den Ordnungszahlen je zweier Obert\u00f6ne bezeichnet. Die H\u00f6he dieser H\u00fcgel an jeder Stelle ihrer Breite ist gleich gemacht der Rauhigkeit, welche die durch die Ziffern angegebenen beiden Obert\u00f6ne hervorbringen,\n19*","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292 Zweite Abtheilung. Zehnter Abschnitt.\nwenn der Klang von entsprechender Tonh\u00f6he zusammen mit dem d erklingt. Die Rauhigkeiten, welche die verschiedenen Ober-\nFig. 52 A.\nt\u00f6ne hervorbringen, sind \u00fcber einander geth\u00fcrmt. Man sieht, wie die verschiedenen Rauhigkeiten, die von den verschiedenen Obert\u00f6nen herr\u00fchren, \u00fcber einander greifen, und dass nur wenige schmale Thaler \u00fcbrig bleiben, entsprechend dem Orte der vorz\u00fcglichsten Conso* nanzen, in denen die Rauhigkeit des Zusammenklanges verh\u00e4ltniss-m\u00e4ssig klein wird. Die tiefsten Th\u00e4ler geh\u00f6ren in der ersten Octave de\" der Octave c\"und Quinte g' an, darauf folgt die Quarte /', die grosse Sexte a\\ die grosse Terz d in der Ordnung, wie wir schon vorher diese Intervalle gefunden haben. Die kleine Terz es' und kleine Sexte as' zeigen schon h\u00f6her liegende Thalsohlen, entsprechend der gr\u00f6sseren Rauhigkeit dieser Intervalle. Ihnen sehr nahe stehen die mit der 7 gebildeten Intervalle 4:7, 5:7, 6 ; 7.\nIn der zweiten Octave verbessern sich im Allgemeinen diejenigen Intervalle der ersten Octave, in deren Zahlenausdruck die kleinere Zahl eine gerade ist, n\u00e4mlich die Duodecime 1:3, die","page":292},{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"Grad des Wohlklanges der Consonanzen. 293\nDecime 2 : 5, die verminderte Septime 2 : 7 und die verminderte Terz 3 : 7 sind reiner als die Quinte 2:3, als die grosse Terz 4 : 5 und die Intervalle 4 : 7 und 6 : 7. Die anderen Intervalle sind relativ verschlechtert. Die Undecime oder erweiterte Quarte tritt entschieden zur\u00fcck gegen die Decime, die Tredecime oder erweiterte grosse Sexte ebenso gegen die verminderte Septime; noch ung\u00fcnstiger stellen sich die kleine Terz und kleine Sexte bei ihrer Erweiterung um eine Octave wegen der verst\u00e4rkten St\u00f6rung durch die Nebenintervalle. Diese hier aus der Berechnung sich ergebenden Folgerungen best\u00e4tigen sich leicht beim Versuche an rein gestimmten Instrumenten; dass sie auch in der musikalischen Praxis ber\u00fccksichtigt werden, trotz dem nach der gew\u00f6hnlichen musikalischen Theorie die Natur eines Accordes als unver\u00e4ndert betrachtet wird, wenn man einzelne seiner T\u00f6ne um ganze Octaven verlegt, werden wir sp\u00e4ter hei der Lehre von den Accorden und ihren Umlagerungen sehen.\nDass besondere Beschaffenheit einzelner Klangfarben die Reihenfolge des Wohlklanges der Intervalle mannigfach ver\u00e4ndern kann, ist schon erw\u00e4hnt worden'. Die Klangfarbe der jetzt gebr\u00e4uchlichen musikalischen Instrumente ist nat\u00fcrlich ausgesucht und ver\u00e4ndert worden mit R\u00fccksicht auf ihre Brauchbarkeit zu harmonischen Verbindungen. Die Untersuchung der Klangfarben unserer Hauptinstrumente hat gezeigt, dass wir f\u00fcr eine gute musikalische Klangfarbe es lieben, wenn die Octave und Duodecime des Grundtones kr\u00e4ftig, der vierte und f\u00fcnfte Ton massig mitklingen, die h\u00f6heren Obert\u00f6ne aber schnell an St\u00e4rke abnehmen. Eine solche Klangfarbe vorausgesetzt, k\u00f6nnen wir die Resultate des vorliegenden Abschnittes wie folgt zusammenfassen.\nWenn zwei musikalische Kl\u00e4nge neben einander erklingen, ergeben sich im Allgemeinen St\u00f6rungen ihres Zusammenklingens durch die Schwebungen, welche ihre Partialt\u00f6ne mit einander hervorbringen, so dass ein gr\u00f6sserer oder kleinerer Theil der Klangmasse in getrennte Tonst\u00f6sse zerf\u00e4llt und der Zusammenklang rauh wird. Wir nennen dies Verh\u00e4ltniss Dissonanz.\nEs giebt aber gewisse bestimmte Verh\u00e4ltnisse zwischen den Schwingungszahlen, bei denen eine Ausnahme von dieser Regel eintritt, wo entweder gar keine Schwebungen sich bilden, oder diese Schwebungen so schwach in das Ohr fallen, dass sie keine unangenehme St\u00f6rung des Zusammenklanges veranlassen; wir nennen diese Ausnahmsf\u00e4lle Consonanzen.","page":293},{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"294 Zweite Abtheilung. Zehnter'Abschnitt.\n1.\tDie vollkommensten Gonsonanzen sind diejenigen, welche wir absolute Gonsonanzen genannt haben, bei denen dei> Grundton des einen Klanges mit einem Partialtone des anderen Klanges zusammenf\u00e4llt. Dahin geh\u00f6ren die Octave,'Duodecimo, Doppeloctave.\n2.\tDemn\u00e4chst folgen die Quinte und die Quarte, welche wir vollkommene Consonanzen nennen k\u00f6nnen, weil sie in jedem Theile der Tonleiter ohne erhebliche St\u00f6rung des Wohlklanges gebraucht werden k\u00f6nnen. Die Quarte ist von beiden die unvollkommenere Consonanz, sie n\u00e4hert sich den Consonanzen der folgenden Gruppe, und erh\u00e4lt ihren Vorzug in der musikalischen Praxis wesentlich nur dadurch, dass sie in der Accordbil-dung die Erg\u00e4nzung der Quinte zur Octave bildet, worauf wir in einem sp\u00e4teren Abschnitte zur\u00fcckkommen werden.\n3.\tDie folgende Gruppe wird gebildet von der grossen Sexte und grossen Terz, welche wir mittlere Consonanzen nennen k\u00f6nnen. Den alten Harmonikern galten sie nur als unvollkommene Consonanzen. Die St\u00f6rung des Wohlklanges ist in tiefen Lagen schon sehr merklich, in hohen Lagen verschwindet sie, weil die Schwebungen durch ihre grosse Zahl sich verwischen. Beide sind bei guten musikalischen Klangfarben aber noch selbst\u00e4ndig charakterisirt, indem jede kleine Verstimmung derselben deutliche Schwebungen der Obert\u00f6ne hervorruft, und so sind beide Intervalle von allen benachbarten scharf geschieden.\n4.\tDie unvollkommenen Consonanzen der kleinen Terz und kleinen Sexte sind meist nicht mehr selbst\u00e4ndig bestimmt, weil die sie begrenzenden Obert\u00f6ne in guten Klangfarben f\u00fcr die Terz oft, f\u00fcr die Sexte gew\u00f6hnlich fehlen, und deshalb kleine Verstimmungen dieser Intervalle nicht nothwendig Schwebungen hervorbringen. Sie sind noch weniger in tiefen Lagen anwendbar als die vorigen, und verdanken ihren Vorzug als Consonanzen vor manchen anderen Intervallen, die auf der Grenze zwischen Consonanzen und Dissonanzen stehen, wesentlich dem Umstande, dass sie nothwendig sind in der Accordbildung als Erg\u00e4nzungen der grossen Sexte und Terz zur Octave oder Quinte. An Wohlklang ist die verminderte Septime 4 : 7 sehr h\u00e4ufig der kleinen Sexte \u00fcberlegen, n\u00e4mlich immer dann, wenn der dritte Partialton des Klanges, verglichen mit dem zweiten, ver-h\u00e4ltnissm\u00e4ssig stark ist, wobei dann die Quinte auf die um einen halben Ton von ihr entfernten Intervalle st\u00e4rker st\u00f6rend einwirkt,","page":294},{"file":"p0295.txt","language":"de","ocr_de":"Grad des Wohlklaaiges der Consonanzen. 295\nals die Octave auf die von ihr um einen ganzen Ton entfernte kleine Septime. Diese verminderte Septime aber mit anderen Consonanzen zu Aceorden verbunden, bringt lauter schlechtere Intervalle hervor als sie selbst ist, 6: 7, 5 :7, 7 : 8 u. s. w., und wird deshalb in der heutigen Musik nicht als Consonanz gebraucht.\n5. Bei der Erweiterung der Intervalle um eine Octave verbessern sich unter den genannten Intervallen die Quinte und grosse Terz als Duodecimo und grosse Decime. Schlechter werden Quarte und grosse Sexte als Undecime und Tredecime, am schlechtesten die kleine Terz und Sexte als kleine Decime und Tredecime, so dass die letztgenannten bei Weitem durch die Intervalle 2 : 7 und 3 : 7 an Wohlklang \u00fcbertroffen werden.\n^)ie hier aufgestellte Reihenfolge der Consonanzen ber\u00fccksichtigt nur den Wohlklang jedes einzelnen. Intervalls, wenn dasselbe an lind f\u00fcr sich ohne Verbindung mit. anderen angegeben wird, es sind dabei alle Beziehungen auf Tonart, Tonleiter und Modulationen unber\u00fccksichtigt geblieben. Fast alle musikalischen Theoretiker haben dergleichen Reihenfolgen f\u00fcr die Consonanzen aufgestellt, die auch in ihren Hauptz\u00fcgen unter einander und mit der von uns aus der Theorie der Schwebungen hergeleiteten gut \u00fcbereinstimmen. Namentlich wird von allen der Einklang und die Octave vorangestellt, als die vollkommensten aller Consonanzen ; demn\u00e4chst folgt die Quinte ebenfalls bei allen, die Quarte bei denjenigen wenigstens, welche nicht die modulatorischen Eigenschaften der Quarte mit hineingezogen, und sich auf die Beobachtung des Wohlklanges des isolirten Intervalls beschr\u00e4nkt haben, ln der Anordnung der Sexten und Terzen,dagegen herrscht grosse Verschiedenheit. Bei den Griechen und R\u00f6mern wurden diese Intervalle \u00fcberhaupt nicht als Consonanzen anerkannt, vielleicht weil in der ungestrichenen Octave, wo sich ihre \u00fcberwiegend f\u00fcr M\u00e4nnerstimmen berechneten Ges\u00e4nge bewegten, diese Intervalle in der That schlecht klingen, vielleicht weil ihr Ohr \u00fcberhaupt zu empfindlich war, um auch nur die schwache Zunahme der Rauhigkeit zu ertragen, welche zusammengesetzte Kl\u00e4nge geben, wenn sie in Terzen und Sexten zusammenklingen. Noch in gegenw\u00e4rtiger Zeit, versichert der Erzbischof Chrysanthus von Dyrrha-chium, h\u00e4tten die Neugriechen kein Gefallen an mehrstimmiger Musik, weshalb er es verschm\u00e4ht, in seinem Buche \u00fcber Musik \u00fcberhaupt sich darauf einzulassen, und die, welche aus Neugierde","page":295},{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"296 Zweite Abtheilung. Zehnter Abschnitt.\netwa diese Regeln kennen lernen wollten, auf die abendl\u00e4ndischen Schriften verweist*). Aehnlich denken auch die Araber nach den Berichten aller Reisenden.\nDiese Regel blieb bestehen auch w\u00e4hrend der ersten H\u00e4lfte des Mittelalters, als man schon anfing die ersten Versuche mit zweistimmigen S\u00e4tzen zu machen. Erst gegen das Ende des 12. Jahrhunderts nahm Franco von C\u00f6ln die Terzen unter die Consonanzen auf. Er unterscheidet:\n1.\tVollkommene Consonanzen: Einklang und Octave.\n2.\tMittlere Consonanzen: Quinte und Quarte.\n3.\tUnvollkommene Consonanzen: GrosseundkleineTerz.\n4.\tUnvollkommene Dissonanzen: Grosse und kleine Sexte.\n5.\tVollkommene Dissonanzen: Kleine Secunde, \u00fcbefhn\u00e4s-sige Quarte, grosse und kleine Septime **).\nErst im 13. und 14. Jahrhundert fing man an auch die Sexten unter die Consonanzen zu setzen. Philipp de Vitry und Jean de M\u00fbris***) f\u00fchren als vollkommene Consonanzen auf den Einklang, die Octave und Quinte, als unvollkommene die Terzen und Sexten. Die Quarte ist gestrichen. Uebrigens werden von dem ersteren Schriftsteller die grosse Terz und die grosse Sexte, als die vollkommeneren, den kleinen Intervallen gleiches Namens gegen\u00fcbergestellt. Dieselbe Ordnung findet sich in Dodeca-chordon des Glareanus 1557, der nur noch die um eine Octave erweiterten Intervalle hinzuf\u00fcgt. Dass man die Quarte sowohl aus den vollkommenen wie aus den unvollkommenen Consonanzen strich, hatte wohl seinen Grund in den Regeln \u00fcber die Stimmf\u00fchrung. Vollkommene Consonanzen durften nicht in denselben Stimmen auf einander folgen, Dissonanzen ebenso wenig, wohl aber unvollkommene Consonanzen, wie die Terzen und Sexten. Andererseits aber konnten die vollkommenen Consonanzen, Octaven und Quinten in solchen Accorden, welche Ruhepunkte bilden sollten, namentlich im Schlussaccorde Vorkommen. Da passte aber die Quarte des Grundtones dieses Accordes nicht hin,\n*) Stm\u00e7rjtixou fi\u00e9yu rrj\u00e7 MovGixrj\u00e7 nag\u00ab X\u00e7va\u00e2v\u00ff-ov. T\u00eb\u00e7y\u00e9aty 1832. Citirt bei Coussemaker, Histoire de l\u2019Harmonie, p. 5.\n**) 6 erb er t, Scriptores ecclesiastici de musica sacra. Saint-Biaise 1784, T. IH, p. 11.\u2014 Coussemaker, Histoire de l\u2019Harmonie. Paris 1852, p. 49.\n***) Coussemaker, 1. c. p. 66 und 68.","page":296},{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"Grad des Wohlklanges der Consonanzen. 297\nweil sie nicht in dessen Dreiklang liegt. Andererseits liess man eine Folge von Quarten in zwei -Stimmen auch nicht zu; dazu stand die Quarte der Quinte zu nahe. Also theilte die Quarte in Bezug auf die Stimmf\u00fchrung die Eigenschaften der Dissonanzen, und man setzte sie kurzweg unter die Dissonanzen, w\u00e4hrend es passender gewesen w\u00e4re, f\u00fcr sie eine Mittelstufe zwischen den vollkommenen und unvollkommenen Consonanzen einzuschiehen. Denn was den Wohlklang hetrifft, kann kein. Zweifel sein, dass hei den meisten Klangfarben die Quarte den grossen Terzen und Sexten an Wohlklang \u00fcberlegen ist, jedenfalls aber der kleinen Terz und Sexte. Die um eine Octave vergr\u00f6sserte Quarte, die Undecime, klingt aber bei einigermassen starkem dritten Theilton ziemlich schlecht.\nDer Streit \u00fcber Consonanz oder Dissonanz der Quarte zieht sich bis in die neueste Zeit hinein. Noch in der 1840 erschienenen Harmonielehre von Dehn wird die Behauptung festgehalten, sie sei als Dissonanz zu behandeln und aufzul\u00f6sen; aber freilich schiebt Dehn der Streitfrage einen ganz anderen Sinn unter, indem er die Quarte je des Grundtones innerhalb seiner Tonart und unabh\u00e4ngig von den mitklingenden Intervallen als Dissonanz zu behandeln vorschreibt. Sonst ist es in der neueren Musik ja fortdauernd gebr\u00e4uchlich, die Quarte auch in den Schlussaccorden Vorkommen zu lassen, und sie ist in diesen Accorden sogar schon l\u00e4ngst gebraucht worden, ehe man noch Terzen dort anzuwenden wagte, so dass sie dadurch auch als eine der besseren Consonanzen anerkannt ist.","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"Elfter Abschnitt.\nDie Schwebungen der Combinationst\u00f6ne.\nAusser den harmonischen Obert\u00f6nen k\u00f6nnen auch die Combinationst\u00f6ne Schwebungen erzeugen, wenn zwei oder mehrere Kl\u00e4nge gleichzeitig erklingen. Es ist in dem siebenten Abschnitte aus-einandergesetzt worden, dass der st\u00e4rkste Combinationston zweier T\u00f6ne derjenige ist, dessen Schwingungszahl der Differenz der Schwingungszahlen jener beiden T\u00f6ne entspricht, oder der Differenzton erster Ordnung. Dieser ist es denn auch, welcher haupts\u00e4chlich f\u00fcr die Erzeugung von Schwebungen in Betracht kommt. Schon dieser st\u00e4rkste Combinationston ist ziemlich schwach, wenn nicht die prim\u00e4ren T\u00f6ne betr\u00e4chtliche St\u00e4rke haben, noch mehr sind es die Combinationst\u00f6ne h\u00f6herer Ordnung und die Summationst\u00f6ne. Schwebungen, durch diese schwachen T\u00f6ne erzeugt, k\u00f6nnen nur beobachtet werden, wenn alle anderen Schwebungen, welche die Beobachtung st\u00f6ren k\u00f6nnten, fehlen, also namentlich bei den Zusammenkl\u00e4ngen zweier von Obert\u00f6nen ganz freien einfachen T\u00f6ne. Dagegen die Schwebungen der ersten Differenzt\u00f6ne sehr gut auch neben den Schwebungen der harmonischen Obert\u00f6ne zusammengesetzter Kl\u00e4nge geh\u00f6rt werden, sobald man \u00fcberhaupt nur ge\u00fcbt ist, die Combinationst\u00f6ne zu h\u00f6ren.\nDie Differenzt\u00f6ne erster Ordnung f\u00fcr sich allein un\u00df ohne Verbindung mit den Combinationst\u00f6nen h\u00f6herer Ordnung","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"Schwebungen durch Combinationst\u00f6ne. 299\nk\u00f6nnen Schwebungen veranlassen, 1) wenn zwei mit Obert\u00f6nen versehene Kl\u00e4nge Zusammenkommen; 2) wenn drei oder mehrere einfache oder zusammengesetzte T\u00f6ne Zusammenkommen. Dagegen kommen die Combinationst\u00f6ne h\u00f6herer Ordnung in solchen F\u00e4llen als Ursache von Schwebungen in Betracht, wo nur zwei einfache T\u00f6ne zusammenklingen.\nWir beginnen mit den ersten Differenzt\u00f6nen zusammengesetzter Kl\u00e4nge. So gut wie ihre Grundt\u00f6ne Combinationst\u00f6ne geben, giebt auch jedes beliebige Paar von Obert\u00f6nen der beiden Kl\u00e4nge Combinationst\u00f6ne, welche letzteren nat\u00fcrlich im Verh\u00e4ltnisse wie die Obert\u00f6ne schw\u00e4cher werden, selbst rasch an St\u00e4rke abnehmen. Wenn von diesen Combinationst\u00f6nen einer oder einige mit anderen Combinationst\u00f6nen oder den prim\u00e4ren Grundt\u00f6nen oder Obert\u00f6nen zusammenfallen, entstehen Schwebungen. Nehmen wir als Beispiel eine etwas unrein gestimmte Quinte, deren Schwingungszahlen 200 und 301 sein m\u00f6gen, statt 200 und 300, wie sie einer reinen Quinte zukommen w\u00fcrden. Wir berechnen die Schwingungszahlen der Obert\u00f6ne, indem wir die der Grundt\u00f6ne mit 1, 2, 3 u. s. w. multipliciren. Die Schwingungsz\u00e4hlen der ersten Differenzt\u00f6ne finden wir, indem wir je zwei dieser Zahlen von einander subtrahiren. Die folgende Tabelle enth\u00e4lt in der ersten Horizontal- und Verticalreihe die einzelnen Theil-t\u00f6ne beider Kl\u00e4nge, in dem beiden entsprechenden Mittelfelde die Differenz ihrer Schwingungszahlen, die der Schwingungszahl des Combinationstones entspricht.\nTheilt\u00f6ne der Quinte\n301\n602\n903\n200\t101\n400\t99\n600\t299\n800\t499\n699\n402\n202\n198\n398\n2\n703\n503\n303\n103\n97","page":299},{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"300 Zweite Abtheilung. Elfter Abschnitt.\n2\t99\t200\t301\t400\t600\t699\n101\t202\t299\t402\t602\t703\n103\t198\t303\t398\n97\nDie Zahl 2 ist zu klein, um einem Combinationstone zu entsprechen, sie zeigt nur die Zahl der Schwebungen zwischen den beiden Obert\u00f6nen 600 und 602 an. In allen den \u00fcbrigen Gruppen stehen dagegen T\u00f6ne zusammen, deren Schwingungszahlen um 2, 4 oder 6 von einander unterschieden sind, die also bezieh-lich 2, 4 oder 6 Schwebungen geben, in derselben Zeit, wo die genannten beiden Obert\u00f6ne zwei Schwebungen machen. Die st\u00e4rksten unter den Combinationst\u00f6nen sind die beiden T\u00f6ne 101 und 99, welche gleichzeitig durch ihre tiefe Lage von den \u00fcbrigen T\u00f6nen sich leichter scheiden.\nWir bemerken an unserem Beispiele, dass die langsamsten Schwebungen, welche durch die Combinationstone entstehen, an Zahl denen gleich sind, welche durch die Obert\u00f6ne entstehen. Es ist dies eine allgemeine Regel, welche f\u00fcr alle Intervalle zutrifft.\nFerner ist leicht einzusehen, dass, wenn wir in unserem Beispiele statt der Zahlen 200 und 301 die der reinen Quinte entsprechenden Zahlen 200 und 300 gesetzt h\u00e4tten, alle Zahlen unserer Tabelle sich auf Vielfache von 100 reducirt haben w\u00fcrden, und somit auch alle die verschiedenen Combinationstone und Obert\u00f6ne, welche dort Schwebungen gaben, im letzteren Falle genau zusammengefallen w\u00e4ren, ohne Schwebungen zu geben. Was sich in diesem unserem Beispiele f\u00fcr die Quinte gezeigt hat, gilt allgemein f\u00fcr alle anderen harmonischen Intervalle*).\nDie ersten Differenzt\u00f6ne zusammengesetzter Kl\u00e4nge geben immer nur dann Schwebungen, und auch immer nur eben so viel Schwebungen, wenn und wie es die Obert\u00f6ne derselben Kl\u00e4nge thun w\u00fcrden, vorausgesetzt, dass deren Reihe vollst\u00e4ndig vorhanden ist. Daraus folgt, dass an den Resultaten, die wir im vorigen Capitel aus der Untersuchung \u00fcber die Schwebungen der Obert\u00f6ne gewonnen haben, durch das Hinzukommen der Combinationstone nichts wesentlich ver\u00e4ndert wird. Nur die St\u00e4rke der Schwebungen wird etwas vergr\u00f6ssert werden k\u00f6nnen.\n*) Den mathematischen Beweis daf\u00fcr in Beilage XII.","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"Schwebungen durch Combinationst\u00f6ne. 301\nWesentlich anders verh\u00e4lt es sich dagegen heim Zusammenklingen zweier einfacher T\u00f6ne, welche von Obert\u00f6nen ganz frei sind. Wenn wir die Combinationst\u00f6ne nicht mit in Rechnung ziehen, w\u00fcrden zwei einfache T\u00f6ne, wie die zweier Stimmgabeln oder zweier gedackter Orgelpfeifen, Schwebungen nur geben k\u00f6nnen, wenn sie ziemlich nahe bei einander liegen. Kr\u00e4ftig sind diese Schwebungen, wenn ihr Intervall eine kleine oder grosse Secunde betr\u00e4gt, schwach und nur in den tieferen Theilen der Scala wahrnehmbar, wenn es einer Terz gleich ist, und sie nehmen allm\u00e4lig in dem Muasse an Deutlichkeit ab, als das Intervall w\u00e4chst, ohne dass besondere harmonische Intervalle besonders hervortretende Eigenschaften zeigten. Bei jedem gr\u00f6sseren Intervall zwischen zwei einfachen T\u00f6nen w\u00fcrden die Schwebungen ganz fehlen, wenn Obert\u00f6ne und Combinationst\u00f6ne ganz fehlten, und es w\u00fcrden also dann auch die im vorigen Abschnitt aufgefundenen consonirenden Intervalle bei solchen T\u00f6nen vor ihren Nachbarintervallen durch Nichts ausgezeichnet sein, es w\u00fcrden also \u00fcberhaupt gr\u00f6ssere consonirende und dissonirende Intervalle dann gar nicht unterschieden sein.\nDass nun doch auch weitere Intervalle einfacher T\u00f6ne Schwebungen geben k\u00f6nnen, wenn auch sehr viel schw\u00e4chere, als die bisher betrachteten, und dass sich demgem\u00e4ss auch f\u00fcr solche T\u00f6ne Consonanzen und Dissonanzen scheiden, wenn auch sehr viel unvollkommener als f\u00fcr zusammengesetzte T\u00f6ne, beruht, wie Scheibler gezeigt hat, auf den Comhinationst\u00f6nen h\u00f6herer Ordnung.\nNur bei der Octave gen\u00fcgt der erste Differenzton. Wenn der Grundton 100 Schwingungen macht, w\u00e4hrend die Octave in gleicher Zeit 201 macht, so macht der erste Differenzton 201 \u2014 100 == 101 Schwingungen, und f\u00e4llt also nahehin mit dem Grundtone 100 zusammen, mit dem er eine Schwebung auf 100 Schwingungen hervorbringt. Diese Schwebungen sind ohne Schwierigkeit zu h\u00f6ren, und man kann deshalb auch bei einfachen T\u00f6nen die reine Octave leicht von der unreinen durch die Schwebungen unterscheiden.\nBei der Quinte gen\u00fcgt der Combinationston erster Ordnung nicht mehr. Nehmen wir f\u00fcr eine unreine Quinte das Schwin-gungsverh\u00e4ltniss 200 zu 301, so ist der Combinationston erster Ordnung 101, der zu weit von den beiden prim\u00e4ren T\u00f6nen abliegt, um mit ihnen Schwebungen zu geben. Er bildet aber mit","page":301},{"file":"p0302.txt","language":"de","ocr_de":"802 Zymjte Abtheilung. Elfter Abschnitt.\ndem Tone 200 eine anreine Octave, und eine solche giebt, wie wir oben gesehen haben, Schwebungen. Diese kommen hier' zu Stande, indem der Ton 101 mit dem Tone 200 einen neuen Com-hinationston 99 bildet, der mit dem Tone 101 nun 2 Schwebungen giebt. Durch diese Schwebungen unterscheidet sich also wieder die unreine Quinte zweier einfachen T\u00f6ne von der reinen Quinte, und die Anzahf dieser Schwebungen ist wieder eben so gross, als w\u00e4ren die Schwebungen durch Obert\u00f6ne hervorgebracht. Um diese Schwebungen zu beobachten, m\u00fcssen aber doch schon die beiden prim\u00e4ren T\u00f6ne stark sein, und man darf nicht durch fremdes Ger\u00e4usch gest\u00f6rt sein. Beobachtet man aber unter g\u00fcnstigen Bedingungen, so ist es nicht schwer, sie zu h\u00f6ren.\nBei der unreinen Quarte, deren Schwingungszahlen 300 zu 401sein m\u00f6gen, ist der erste Oombinationston 10,1; dieser giebt mit dem Tone 300 den Oombinationston zweiter Ordnung, 199, und dieser mit dem Tone 401 die Differenz 202, als Combina-tionston dritter Ordnung, welcher mit dem zweiter Ordnung, 199, drei Schwebungen macht, ebenso viele als durch die Obert\u00f6ne 1200 und 1203 der beiden prim\u00e4ren T\u00f6ne erzeugt worden w\u00e4ren, wenn diese existirteii. Diese Schwebungen der Quarte sind nun schon sehr schwach, auch bei starken prim\u00e4ren T\u00f6nen. Zu ihrer Beobachtung muss man ganz ungest\u00f6rt sein, und grosse Aufmerksamkeit anwenden.\nKaum noch wahrzunehmen, auch unter den g\u00fcnstigsten Bedingungen, sind die Schwebungen der unreinen grossen Terz; Nehmen wir die Schwingungszahlen der prim\u00e4ren T\u00f6ne 400 und 501, so ist\t.\n501 \u2014 400\t=\t101 Oombinationston erster Ordnung\n400 \u2014 101\t=\t299\t\u201e\tzweiter\t\u201e\n501 \u2014 299\t\u2014\t202\t\u201e\tdritter\t\u201e\n400 \u2014 -202\t=\t198\t.,\tvierter\t\u201e\nDie T\u00f6ne 202 und-198 geben 4 Schwebungen. Scheibler hat diese Schwebungen der unreinen grossen Terz noch gez\u00e4hlt, ich selbst habe sie unter g\u00fcnstigsten Bedingungen auch wohl noch zu h\u00f6ren geglaubt, aber jedenfalls sind sie so schwer wahrzunehmen, dass sie bei der Bestimmung des Unterschiedes von Conso-nanzen und Dissonanzen nicht mehr in das Gewicht fallen k\u00f6nnen.\nDaraus folgt also, dass die verschiedenen Intervalle, die der Terz benachbart sind, durch den Zusammenklang zweier einfache\u00ab","page":302},{"file":"p0303.txt","language":"de","ocr_de":"Schwebungen durch Combinationst\u00f6ne. 303\nT\u00f6ne gleichm\u00e4ssig hergestellt werden k\u00f6nnen, ohne dass ein Unterschied des Wohlklanges stattf\u00e4nde, wenn sie nicht einerseits der Secunde oder andererseits der Quarte sich zu sehr n\u00e4hern, und ich muss nach meinen Versuchen an gedackten Orgelpfeifen behaupten, so sehr es auch den musikalischen Dogmen widersprechen mag, dass diese unsere Folgerung mit der Wirklichkeit \u00fcbereinstimmt, vorausgesetzt, dass man eben wirklich einfache T\u00f6ne zu den Versuchen benutzt. Ebenso verh\u00e4lt es sich mit den der grossen Sexte benachbarten Intervallen, auch diese zeigen keinen Unterschied, so lange sie der Quinte und Octave fern genug bleiben. W\u00e4hrend es deshalb gar nicht schwer ist, reine grosse und kleine Terzen auf der Physharmonica oder anderen Zungenpfeifen, oder an der Violine zu stimmen, indem man die beiden zu stimmenden T\u00f6ne gleichzeitig angiebt, und, die Schwebungen fortzuschaffen sucht, so ist es ganz unm\u00f6glich, dasselbe ohne Hilfe anderer Intervalle an gedackten Orgelpfeifen und Stimmgabeln zu thun. Wie sich schliesslich aber doch die Stirn--mung dieser Intervalle auch f\u00fcr solche einfache T\u00f6ne genau bestimmt, sobald mehr als zwei T\u00f6ne Zusammenkommen, wird sich sp\u00e4ter zeigen. '\t'\nIn der Mitte zwischen den Kl\u00e4ngen mit vielen und starken Obert\u00f6nen, f\u00fcr welche uns die Zungenpfeifen und die Violinen Beispiele sind, und den ganz einfachen T\u00f6nen der Stimmgabeln und gedackten Pfeifen, stehen die Kl\u00e4nge, bei denen nur die niedersten Obert\u00f6ne noch h\u00f6rbar sind, wie es bei den weiteren offenen Orgelpfeifen und bei menschlichen Stimmen f\u00fcr die dunkleren Vocale der Fall ist. Bei diesen w\u00fcrden die Obert\u00f6ne allein nicht ausreichen, um s\u00e4mmtliche consonirende Intervalle zu begrenzen, aber mit Hilfe der ersten Differenzt\u00f6ne geschieht es dennoch.\nA. Kl\u00e4nge, welche neben dem Grundton noch die Octave als Oberton h\u00f6ren lassen; f\u00fcr sie sind Quinte und Quarte nicht mehr durch Schwebungen der Obert\u00f6ne, wohl aber durch Schwebungen der' ersten Differenzt\u00f6ne begrenzt.\na. Quinte. Die Schwinguugszahlen der Grundt\u00f6ne seien 200 und 301, dazu kommen ihre Obert\u00f6ne 400 und 602; diese vier bleiben zu fern von einander, um Schwebungen zu geben Aber die Differenzt\u00f6ne:\n301 \u2014 200 = 101 400 \u2014 301 = 99 Differenz :\t2","page":303},{"file":"p0304.txt","language":"de","ocr_de":"304 Zweite Abtheilung. Elfter Abschnitt.\ngeben zwei Schwebungen. Und zwar ist die Anzahl dieser Schwebungen wieder ebenso gross, als w\u00e4ren sie durch die n\u00e4chst h\u00f6heren Obert\u00f6ne hervorgebracht. N\u00e4mlich:\n2 . 301 \u2014 3 . 200 \u2014 2.\nb. Quarte. Die Schwingungszahlen seien 300 und 401, dazu die Obert\u00f6ne 600 und 802; diese geben noch keine Schwebungen. Aber die ersten Differenzt\u00f6ne:\n600 \u2014 401 = 199\n802 \u2014 600 = 202 Differenz :\t3\ngeben 3 Schwebungen.\nF\u00fcr die Terzen w\u00fcrden noch Combinationst\u00f6ne zweiter Ordnung eintreten m\u00fcssen. '\nB.\tKl\u00e4nge, welche neben dem Grundton die Duodecimo h\u00f6ren lassen. Ein Beispiel solcher Kl\u00e4nge geben die engen gedackten Pfeifen der Orgel (Register, Quintaten). Diese verhalten sich ebenso wie die, welche bloss Octaven als Begleitung des Grundtones h\u00f6ren lassen.\na.\t; Quinte. Grundt\u00f6ne 200 und 301 mit Obert\u00f6nen 600 und 903. Erster Differenzton:\n903 \u2014 600 = 303 Quinte = 301 Zahl der Schwebungen: 2.\nb.\tQuarte. Grundt\u00f6ne: 300 und 401, mit Obert\u00f6nen 900 und 1203. Erster Differenzton:\n1203 \u2014 900 = 303 Grundton = 300 Zahl der Schwebungen: 3.\nSchwebungen der Terzen k\u00f6nnen auch in diesem Falle nur durch die schwachen zweiten Differenzt\u00f6ne eintreten.\nC.\tKl\u00e4nge, bei denen neben den Grundt\u00f6nen gleichzeitig die Octaven und Duodecimen als Obert\u00f6ne h\u00f6rbar sind. Beispiele solcher Kl\u00e4nge geben die weiteren (h\u00f6lzernen) offenen Pfeifen der Orgel (Principal-Register). Bei diesen sind die Quinten schon durch Schwebungen der Obert\u00f6ne begrenzt, die Quarten noch nicht. Hier reichen die ersten Differenzt\u00f6ne auch f\u00fcr die Begrenzung der beiden Terzen aus.\na. Grosse Terz. Grundt\u00f6ne 400 und 501 mit den Octaven","page":304},{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"Schwebungen durch Combinationst\u00f6ne. 305\n800 und 1002, und den Duodecimen 1200 und 1503. Erste Differenzt\u00f6ne :\n1002 \u2014 800 = 202 1200 \u2014 1002 = 188 Zahl der Schwebungen: 4.\nb.\tKleine Terz. Grundt\u00f6ne: 500 und 601, \u00d6ctaven 1000 und 1202. Duodecimen 1500 und 1803. Differenzt\u00f6ne:\n1500 \u2014 1202 = 298 1803 \u2014 1500 = 303 Zahl der Schwebungen: 5.\nc.\tGrosse Sexte. Grundt\u00f6ne: 300 und 501, Octaven 600 und 1002, Duodecimen 900 und 1503. Differenzt\u00f6ne:\n600 \u2014 501 = 99 1002 \u2014 900 = 102 geben Schwebungen : 3.\nIn der That sind denn auch an den offenen Orgelpfeifen nicht bloss die Schwebungen der unreinen Quinten und Quarten, sondern auch die der unreinen grossen und kleinen Terzen leicht zu h\u00f6ren, und lassen sich unmittelbar zum Stimmen der Pfeifen benutzen.\nSo treten die Combinationst\u00f6ne erg\u00e4nzend ein, wo die Obert\u00f6ne wegen der Art der Kl\u00e4nge nicht ausreichen, um jede Unreinheit der consonirenden Intervalle der Octave, Quinte, Quarte, grossen Sexte, grossen und kleinen Terz zur Quelle von Schwebungen und Rauhigkeit des Zusammenklangs zu machen, und die genannten Intervalle vor allen ihren Nachbarintervallen auszuzeichnen. Nur f\u00fcr die ganz einfachen T\u00f6ne fehlen uns bisher noch die Bestimmungsmittel der Terzen, und auch die Schwebungen, welche den Wohlklang der unreinen Quinten und Quarten st\u00f6ren, sind verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig zu schwach, um auf das Ohr eine erhebliche Wirkung zu thun, weil sie auf Combinationst\u00f6nen h\u00f6herer Ordnung beruhen. In der That habe ich schon angef\u00fchrt, dass zwei ge-dackte Pfeifen, deren Intervall zwischen grosser und kleiner Terz liegt, eine ganz ebenso gute Consonanz geben, als wenn das Intervall genau einer grossen oder genau einer kleinen Terz entspr\u00e4che. Ich will damit nicht behaupten, dass ein ge\u00fcbtes musikalisches Ohr ein solches Intervall nicht als fremd und ungewohnt erkennen, und deshalb vielleicht f\u00fcr falsch erkl\u00e4ren w\u00fcrde, aber\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik,\t20","page":305},{"file":"p0306.txt","language":"de","ocr_de":"306 Zweite Abtheilung. Elfter Abschnitt.\nder unmittelbare Eindruck auf das Ohr, der einfache sinnliche Wohlklang, abgesehen von aller musikalischen Gewohnheit, ist kein schlechterer als der der reinen Intervalle.\nGanz anders wird aber die Sache, wenn mehr als zwei T\u00f6ne Zusammenkommen. Wir haben gesehen, dass die Octaven auch bei einfachen T\u00f6nen genau begrenzt sind durch die Schwebungen des ersten Differenztones mit dem Grundtone. Denken wir nun zun\u00e4chst eine Octave rein gestimmt, und Setzen wir zwischen deren beide T\u00f6ne einen dritten Ton als Quinte hinein, so bekommen wir Schwebungen der ersten Differenzt\u00f6ne, sobald die Quinte nicht rein ist.\nEs seien gegeben die T\u00f6ne 200 und 400, welche eine reine Octave bilden, und deren unreine Quinte 301. Die Differenzt\u00f6ne:\n400 \u2014 301 = 99 301 \u2014 200 = 101 geben Schwebungen: 2.\nDiese Schwebungen der Quinte, welche zwischen zwei Octaven liegt, sind viel deutlicher als die der Quinte allein ohne Octave. Die letzteren beruhen auf den schwachen Differenzt\u00f6nen zweiter Ordnung, jene auf solchen erster Ordnung. Daher auch schon Scheibler f\u00fcr das Stimmen von Stimmgabeln die Vorschrift gegeben hat, erst zwei derselben als reine Octave zu stimmen, und dann beide zugleich mit der Quinte t\u00f6nen zu lassen, um diese zu stimmen. Sind Quinte und Octave rein gestimmt, so geben beide auch mit einander die reine Quarte.\nEbenso verh\u00e4lt es sich nun, wenn man zwei einfache T\u00f6ne zur Quinte rein gestimmt hat, und zwischen beide*einen dritten als grosse Terz einschieben will. Es seien die T\u00f6ne der reinen Quinte'400 und 600; wollte man zwischen beide die unreine grosse Terz 501 statt der reinen 500 einschieben, so haben wir folgende Differenzt\u00f6ne :\n600 \u2014 501 = 99 501 \u2014 400 \u2014 101\ngeben Schwebungen: 2.\nDie grosse Sexte bestimmt sich, sobald wir sie mit der Quarte verbinden. Es seien die T\u00f6ne 300 und 400 eine reine Quarte,> 501 eine unreine Sexte, so haben wir Differenzt\u00f6ne :","page":306},{"file":"p0307.txt","language":"de","ocr_de":"Schwebungen durch Combinationst\u00f6ne. 307\n501 \u2014 400 = 101 400 \u2014 300 =,100 geben Schwebungen: 1.\nWollen wir zwischen zwei T\u00f6ne, die im Verh\u00e4ltniss einer reinen Quarte 300 und 400 mit einander stehen, noch einen Ton ein-schieben, so kann dies nur die verminderte Terz 350 sein. Nehmen wir 351, so erhalten wir die Differenzt\u00f6ne:\n400 \u2014 351 = 49 351 \u2014 300 = 51 Schwebungen: 2.\nDiese Intervalle 8/7 und 7/c werden aber \u00fcberhaupt schon zu eng, um noch Consonanzen zu geben, sie k\u00f6nnen deshalb nur in schwach dissonirenden Accorden (Septimenaccorden) Vorkommen.\nFassen wir die Resultate unserer Untersuchungen \u00fcber die Schwebungen zusammen, so ergiebt sich, dass wenn wir zwei oder mehrere T\u00f6ne neben einander erklingen lassen, diese nur dann, wenn ihre Intervalle gewisse ganz genau bestimmte Werthe haben, neben einander ungest\u00f6rt abfliessen k\u00f6nnen. Einen solchen ungest\u00f6rten Abfluss mehrerer zusammenklingender T\u00f6ne nennen wir Consonanz. Sobald nicht jene genau bestimmten Verh\u00e4ltnisse der Consonanz eingehalten werden, entstehen Schwebungen, d. h. die ganzen Kl\u00e4nge oder einzelne Theilt\u00f6ne und Combinationst\u00f6ne dieser Kl\u00e4nge verst\u00e4rken sich abwechselnd und heben sich dann wieder gegenseitig auf. Die Kl\u00e4nge bestehen dann also nicht ungest\u00f6rt neben einander im Ohre, sondern sie hemmen gegenseitig ihren gleichm\u00e4ssigen Abfluss. Diesen Vorgang nennen wir Dissonanz.\nDie allgemeinste Ursache zur Erzeugung von Schwebungen geben die Combinationst\u00f6ne ; sie sind die einzige Ursache bei einfachen T\u00f6nen, die so weit oder weiter als eine kleine Terz von einander entfernt sind. Bei je zwei T\u00f6nen gen\u00fcgen sie wohl zur festen Begrenzung der Quinte, allenfalls der Quarte, aber nicht zur Begrenzung der Terzen und Sexten. Doch werden auch diese fest begrenzt, sobald die grosse Terz mit der Quinte zum Durdreiklang, die Sexte mit der Quarte zum Quartsextenaccord verbunden wird.\nAuch die Terzen werden aber im Zusammenh\u00e4nge von nur zwei T\u00f6nen genau begrenzt durch deutlich erkennbare Schwebungen der unrein gestimmten Intervalle, sobald nur die ersten bei-\n20*","page":307},{"file":"p0308.txt","language":"de","ocr_de":"308 Zweite Abteilung. Elfter Abschnitt.\nden Obert\u00f6ne zum Grundton sich gesellen. Immer st\u00e4rker und sch\u00e4rfer werden die Schwebungen der unreinen Intervalle, je zahlreicher und st\u00e4rker die Obert\u00f6ne in den Kl\u00e4ngen werden. Dadurch wird denn auch der Unterschied der Dissonanzen von den Oonsonanzen und der unrein gestimmten Consonanzen von den rein gestimmten immer entschiedener und sch\u00e4rfer ausgesprochen, was sowohl f\u00fcr die Sicherheit, mit der der H\u00f6rer die richtigen Intervalle als solche anerkennt, wie f\u00fcr die kr\u00e4ftige k\u00fcnstlerische Wirkung der Accordfolge von grosser Wichtigkeit ist. Werden endlich die hohen Obert\u00f6ne verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig zu kr\u00e4ftig (in den scharfen und schmetternden Klangfarben), dann wird jeder einzelne Ton schon durch die Dissonanzen seiner hohen Obert\u00f6ne intermittirende Tonempfindungen veranlassen, und jede Verbindung von zwei oder mehreren Kl\u00e4ngen der Art bringt eine merkliche Steigerung dieser Sch\u00e4rfe hervor, w\u00e4hrend gleichzeitig die grosse Menge von Obert\u00f6nen und Combinationst\u00f6nen es dem H\u00f6rer sehr erschweren, einer verwickelten Stimmf\u00fchrung zu folgen.\nEs sind diese Verh\u00e4ltnisse von gr\u00f6sster Wichtigkeit f\u00fcr die Anwendung der verschiedenen Instrumente in den verschiedenen Gattungen musikalischer Compositionen. Die R\u00fccksichten, welche man bei der Auswahl des passenden Instruments f\u00fcr eine ganze Composition oder f\u00fcr einzelne musikalische Phrasen in S\u00e4tzen, die f\u00fcr Orchester geschrieben sind, zu nehmen hat, sind sehr mannigfacher Art. Vor allen Dingen kommt es sehr an auf den Grad der Beweglichkeit und auf die Kraft des Tones der verschiedenen Instrumente; das liegt auf der Hand, und wir brauchen darauf hier nicht n\u00e4her einzugehen. In der Beweglichkeit \u00fcberragen die Streichinstrumente und das Clavier, denen sich zun\u00e4chst Fl\u00f6ten und Oboen anschliessen, alle anderen. Den Gegensatz zu ihnen bilden die schwerf\u00e4llig einherschreitenden Trompeten und Posaunen, die dagegen an Kraft alle anderen Instrumente besiegen. Eine andere wesentliche R\u00fccksicht ist die auf die Ausdrucksf\u00e4higkeit, welche haupts\u00e4chlich davon abh\u00e4ngt, ob die Tonst\u00e4rke jeden Grad von Steigerung und Schw\u00e4chung nach dem Willen des Mu^ sicirenden leicht, schnell und sicher zul\u00e4sst. In dieser Beziehung sind wieder die Streichinstrumente und mit ihnen die menschl liehe Stimme allen anderen \u00fcberlegen. Die k\u00fcnstlichen Zungenwerke, die Holzblaseinstrumente sowohl wie die Blechinstrumente, k\u00f6nnen unter eine gewisse Tonst\u00e4rke nicht hinabgehen, ohne dass ihre Zunge aufh\u00f6rt zu schwingen. Die Fl\u00f6ten und Orgelpfeifen","page":308},{"file":"p0309.txt","language":"de","ocr_de":"Dissonanz in verschiedenen Klangfarben. 309\nk\u00f6nnen \u00fcberhaupt ihre Tonst\u00e4rke nicht viel ver\u00e4ndern, ohne zugleich ihre Tonh\u00f6he zu \u00e4ndern. Auf dem Claviere beherrscht der Spieler zwar willk\u00fcrlich die St\u00e4rke des ersten Anschlages, aber nicht die Fortdauer des Tones; dadurch ist allerdings eine sehr feine Beherrschung der rhythmischen Accente auf diesem Instrumente m\u00f6glich, aber der eigentlich melodische Ausdruck fehlt ihm. Alle diese Momente haben ihren Einfluss auf den Gebrauch der genannten Instrumente; sie sind leicht zu beobachten, und sind l\u00e4ngst erkannt und ber\u00fccksichtigt worden. Schwieriger war der Einfluss der eigentlichen Klangfarbe zu definiren; indessen haben uns unsere Untersuchungen \u00fcber die Zusammensetzung der Kl\u00e4nge doch die Mittel an die Hand gegeben, um wenigstens von den haupts\u00e4chlichsten Unterschieden in der Wirkung des Zusammenklanges verschiedener Instrumente Kechenschaft geben zu k\u00f6nnen und zu zeigen, auf welchem Wege diese Aufgabe zu l\u00f6sen ist, wenn auch hier im Einzelnen noch ein grosses Feld f\u00fcr eingehendere Untersuchungen vorl\u00e4ufig unbearbeitet liegen bleibt.\nBeginnen wir mit den einfachen T\u00f6nen der weiten gedack-ten Orgelpfeifen. Sie sind an und f\u00fcr sich sehr weich, sehr sanft, in der Tiefe dumpf, in der H\u00f6he aber durchaus wohlklingend. Zu harmonischer Musik sind sie aber, wenigstens f\u00fcr unser modernes musikalisches Gef\u00fchl, g\u00e4nzlich ungeeignet. Wir haben auseinandergesetzt, dass f\u00fcr dergleichen einfache T\u00f6ne nur die engen Intervalle der Secunden eine durch starke Schwebungen charakterisirte Dissonanz geben. Unreine Octaven und die der Octave benachbarten dissonanten Intervalle, Septimen und Nonen, geben Schwebungen des ersten Combinationstones, welche doch schon verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig schwach sind im Vergleich mit denen, welche Obert\u00f6ne hervorbringen. Die Schwebungen der verstimmten Quinten und Quarten sind vollends nur noch unter den g\u00fcnstigsten Bedingungen zu h\u00f6ren. Im Allgemeinen unterscheidet sich deshalb der Eindruck dissonanter Intervalle, mit Ausnahme der Secunden, nur sehr wenig von dem der Consonanzen, und die Folge davon ist, dass die Harmonie allen Charakter und der H\u00f6rer das sichere Gef\u00fchl f\u00fcr den Unterschied der Intervalle verliert. Wenn man polyphone Compositionen mit den herbsten und k\u00fchnsten Dissonanzen auf dem gedackten Register der Orgel spielt, klingt alles fast gleichm\u00e4ssig weich und wohlklingend, aber deshalb auch unbestimmt, langweilig, Schw\u00e4chlich, charakterlos und^energielos. Ich bitte jeden meiner Leser, .welcher Gelegenheit dazu hat, sich","page":309},{"file":"p0310.txt","language":"de","ocr_de":"310 Zweite Abtheilung. Elfter Abschnitt.\ndayon zu \u00fcberzeugen. Es giebt keinen besseren Beweis f\u00fcr die wichtige Rolle, welche die Obert\u00f6ne in der Musik spielen, als der beschriebene Eindruck solcher Musik, die aus einfachen T\u00f6nen zusammengesetzt ist. Der Gebrauch der weiten gedackten Register beschr\u00e4nkt sich deshalb auch darauf, im Gegensatz gegen sch\u00e4rfere Register einzelne musikalische Phrasen von weichstem Wohlklange herauszuheben; sonst gebraucht man sie nur mit anderen Registern verbunden, um deren Grundton zu verst\u00e4rken. Den weiten gedackten Orgelpfeifen am n\u00e4chsten in der Klangfarbe stehen die Fl\u00f6ten und die Fl\u00f6tenregister der Orgel (schwach angeblasene offene Pfeifen). Bei ihnen tritt schon die Octave deutlich zum Grundtone der Kl\u00e4nge hinzu, bei scharfem Blasen auch die Duodecime. In diesem Falle sind die Octaven und die Quinten schon sch\u00e4rfer durch Obert\u00f6ne begrenzt, die Terzen und Sexten aber nur erst noch schwach durch Combinationst\u00f6ne. Ihr musikalischer Charakter ist deshalb dem vorher beschriebenen der gedackten Orgelpfeifen noch sehr \u00e4hnlich, was sehr gut ausgedr\u00fcckt wird in dem bekannten Witzworte, dass einem musikalischen Ohre nichts schrecklicher sei als ein Fl\u00f6ten concert, ausgenommen ein Concert von zwei Fl\u00f6ten. Im Vereine mit anderen Instrumenten dagegen, welche das Gef\u00fcge der Harmonie deutlich hervorheben, ist die Fl\u00f6te wegen der vollkommenen Weichheit ihres Tones und ihrer leichten Beweglichkeit ungemein lieblich und anmuthig, und: durch kein anderes Instrument zu ersetzen. In der antiken Musik hat die Fl\u00f6te eine viel gr\u00f6ssere Rolle gespielt als in der heutigen, was mit dem ganzen Charakter der classischen Kunstideale Zusammenh\u00e4ngen mag. Die classische Kunst hielt \u00fcberhaupt alles den Sinnen direct Unangenehme aus ihren Gebilden fern, und be-; schr\u00e4nkte sich auf die reine Sch\u00f6nheit, w\u00e4hrend die moderne Kunst reichere Ausdrucksmittel verlangt, und deshalb auch bis ,,zuj einem gewissen Grade das dem sinnlichen Wohlgefallen an sich: Widerstreitende in ihren Kreis aufnimmt. Uebrigens stritten doqb auch 4m Alterthum die ernsten Musikfreunde f\u00fcr die sch\u00e4rferen Kl\u00e4nge der Saiteninstrumente im Gegensatz zu der weichlichen Fl\u00f6te.\nEine g\u00fcnstige Mitte f\u00fcr die harmonischen Anforderungen verwickelter polyphoner Musik bilden die Register der offenen Orgelpfeifen, welche deshalb auch den Namen der Principalregister f\u00fchren. Sie geben die niederen Obert\u00f6ne deutlich h\u00f6rbar, die weiten Pfeifen bis zum dritten, die engen (Geigenprincipal)","page":310},{"file":"p0311.txt","language":"de","ocr_de":"Dissonanz in verschiedenen Klangfarben. 311\nbis zum sechsten Partialtone. Die weiteren haben mehr Tonkraft als die engeren; um ihnen mehr Sch\u00e4rfe zu gehen, wird sehr gew\u00f6hnlich das achtf\u00fcssige Register, welches die Hauptstimmen enth\u00e4lt, noch mit dem vierf\u00fcssigen verbunden, welches jeder Note ihre Octave beif\u00fcgt, oder man verbindet auch das Principal mit dem Geigenprincipal, so dass das erstere dem Tone die Kraft, das zweite die Sch\u00e4rfe giebt. So bringt man Klangfarben hervor, welche die Obert\u00f6ne in m\u00e4ssiger, nach der H\u00f6he abnehmender St\u00e4rke bis zum sechsten hinauf enthalten, bei denen daher das Gef\u00fchl f\u00fcr die Reinheit der consonanten Intervalle sicher bestimmt ist, Consonanzen und Dissonanzen scharf unterschieden sind, ohne dass jedoch die nicht zu vermeidenden schwachen Dissonanzen der h\u00f6heren Obert\u00f6ne in den unvollkommeneren Consonanzen sich zu sehr bemerklich machten, und ohne dass die Menge und St\u00e4rke der Nebent\u00f6ne den H\u00f6rer \u00fcber die F\u00fchrung der Stimmen irre machen k\u00f6nnte. Die Orgel bietet in dieser Beziehung einen Vortheil. den andere Instrumente nicht in gleicher Weise gew\u00e4hren, dass der Spieler n\u00e4mlich die Klangfarbe sich mischen und ver\u00e4ndern kann, wie ihm beliebt, und wie sie sich dem Charakter des zu spielenden St\u00fcckes am besten anpasst.\nDie engen gedackten Pfeifen (Quintaten), bei denen der Grundton von der Duodecime begleitet ist, die Rohrfl\u00f6ten, wo ausser dem dritten noch der f\u00fcnfte Ton hinzukommt, die kegelf\u00f6rmigen offenen Pfeifen, wie das Register Ge ms horn, welche gewisse h\u00f6here Obert\u00f6ne mehr verst\u00e4rken als die niederen, dienen nur dazu, gewisse absonderliche Klangfarben f\u00fcr einzelne Stimmen zu geben, und diese dadurch von den \u00fcbrigen abzuheben. Um die Hauptmasse der Harmonie zu bilden sind sie wenig geeignet\nGanz scharfe Klangfarben endlich erh\u00e4lt man durch die Zungenpfeifen und die Mixturen der Orgel. Die letzteren sind, wie schon fr\u00fcher er\u00f6rtert wurde, k\u00fcnstliche Nachbildungen der nat\u00fcrlichen Zusammensetzung aller Kl\u00e4nge, indem jede Taste gleichzeitig eine Reihe von Pfeifen ert\u00f6nen l\u00e4sst, welche den drei bis sechs ersten Partialt\u00f6nen' der betreffenden Note entsprechen. Sie sind nur als Begleitung des Gemeindegesanges anwendbar; isolirt gebraucht machen sie einen unertr\u00e4glichen L\u00e4rm und ein heilloses Gewirr von T\u00f6nen. Wenn aber der Gesang der Gemeinde die Grundt\u00f6ne in den Noten der Melodie \u00fcberw\u00e4ltigend stark hervortreten l\u00e4sst, wird das richtige Verh\u00e4ltniss der Klangfarbe wieder hergestellt, und eine m\u00e4chtige und wohlproportionirte Klang-","page":311},{"file":"p0312.txt","language":"de","ocr_de":"312 Zweite Abtheilung. Elfter Abschnitt.\nmasse gewonnen. Ohne die H\u00fclfe der Mixturen w\u00fcrde sich auch eine so grosse und von unge\u00fcbten Stimmen hervorgebrachte Klangf\u00fclle gar nicht beherrschen lassen.\nDen Klangfarben der Orgel sind im Ganzen die Menschenstimmen in harmonischer Beziehung ziemlich \u00e4hnlich. Zwar werden bei den helleren Vocalen einzelne hoch gelegene Obert\u00f6ne hervorgehoben, diese sind aber doch zu vereinzelt, um einen wesentlichen und durchgehenden Einfluss auf den Klang der Accorde auszu\u00fcben. Der letztere h\u00e4ngt doch immer mehr ab von den niederen bei allen Vocalen ziemlich gleichm\u00e4ssig eintretenden Obert\u00f6nen. Aber allerdings k\u00f6nnen bei einzelnen Consonanzen die charakteristischen T\u00f6ne der Vocale eine besondere Rolle spielen. Wenn zwei menschliche Stimmen zum Beispiel die Terz bd' zusammen singen auf den Vocal A, werden der vierte Theilton des b, n\u00e4mlich b\", und der dritte des d\\ n\u00e4mlich a\", gerade in die charakteristisch starken Obert\u00f6ne des A hineinfallen, und es wird die Unvollkommenheit der Terzenconsonanz in der Dissonanz a\"b\" grell zu Tage treten m\u00fcssen, w\u00e4hrend diese Dissonanz bei der Wahl des Vocals 0 ausbleiben muss. Andererseits wird die Quarte b, es auf den Vocal A gesungen rein erklingen, weil dann auch die zweite Note es dasselbe b\" als Oberton giebt wie die tiefere. Dagegen werden bei dieser Quarte entweder die Obert\u00f6ne f\" und es\" oder d'\" und es\"' st\u00f6ren k\u00f6nnen, wenn man das A entweder nach \u00c0O oder nach \u00c4 hin\u00fcberzieht. Aus diesen Betrachtungen folgt unter Anderem, dass die Uebersetzung des Textes von Ge-sangcompositionen aus einer Sprache in die andere auch f\u00fcr den rein musikalischen Effect gar nicht gleichg\u00fcltig sein kann.\nAbgesehen nun von diesen Verst\u00e4rkungen, welche die charakteristische Resonanz jedes Vocals einzelnen Obert\u00f6nen angedeihen l\u00e4sst, sind im Ganzen die Kl\u00e4nge des menschlichen Gesanges von den niederen Obert\u00f6nen in m\u00e4ssiger St\u00e4rke begleitet, und deshalb zu Accordverbindungen gut geeignet, \u00e4hnlich denen der Principal-register der Orgel. Ausserdem haben aber die menschlichen Stimmen f\u00fcr die Ausf\u00fchrung polyphoner Musik noch einen besonderen Vortheil vor der Orgel und vor allen \u00fcbrigen Tonwerkzeugen. Dadurch n\u00e4mlich, dass von den menschlichen Stimmen Worte gesungen werden, werden die Noten, wrelche jeder einzelnen Stimme angeh\u00f6ren, mit einander verbunden, und die Worte bilden f\u00fcr den H\u00f6rer einen leitenden Faden-, welcher ihn leicht und sicher die zusammengeh\u00f6rigen Theile der Klangmasse auffiuden","page":312},{"file":"p0313.txt","language":"de","ocr_de":"Dissonanz in verschiedenen Klangfarben. 313\nund verfolgen l\u00e4sst. An der menschlichen Stimme hat sich daher auch die polyphone Musik und das ganze neuere System der Harmonie zuerst entwickelt, und in der That giebt es auch nichts Wohllautenderes, als gut harmonisirte mehrstimmige S\u00e4tze von ge\u00fcbten Stimmen rein und richtig vorgetragen. Aber freilich ist es f\u00fcr den vollen Wohlklang solcher S\u00e4tze ein ganz unumg\u00e4ngliches Erforderniss, dass nach reinen musikalischen Intervallen gesungen werde, und leider lernen dies unsere jetzigen S\u00e4nger selten mehr, da sie von Anfang an gew\u00f6hnt werden in Begleitung von Instrumenten zu singen, welche nach gleichschwebender Temperatur, also in ungenauen Consonanzen, gestimmt sind. Nur solche S\u00e4nger, welche selbst feinen musikalischen Sinn haben, finden in dieser Beziehung von selbst das Richtige, was ihnen die Schule nicht mehr giebt.\nReicher an Obert\u00f6nen und deshalb von sch\u00e4rferem Klange, als die menschliche Stimme und die Principalregister der Orgel, sind demn\u00e4chst die f\u00fcr die Musik so wichtigen Str eichinstrumente. Sie spielen durch ihre ausserordentliche Beweglichkeit und Ausdrucksf\u00e4higkeit eine bevorzugte Rolle in der Instrumentalmusik, und nehmen durch die m\u00e4ssige Sch\u00e4rfe ihrer Klangfarbe etwa eine mittlere Stellung ein zwischen den weicheren Fl\u00f6ten und den schmetternden Blechinstrumenten. Zwischen den verschiedenen Instrumenten dieser Klasse findet selbst eine kleine Verschiedenheit statt, insofern Viola und Contrabass eine etwas sch\u00e4rfere und magerere Klangfarbe, d. h. relativ st\u00e4rkere Obert\u00f6ne haben als Violine und Cello. Die h\u00f6rbaren Obert\u00f6ne reichen bis zum sechsten oder achten hinauf, je nachdem der Bogen im Piano mehr dem Griffbrett, oder im Forte mehr dem Stege gen\u00e4hert wird, und sie nehmen in St\u00e4rke regelm\u00e4ssig ab in dem Maasse, wie ihre Ordnungszahl steigt. Es ist deshalb auf den Streichinstrumenten der Unterschied zwischen Consonanz und Dissonanz scharf und kr\u00e4ftig ausgesprochen, und das Gef\u00fchl f\u00fcr die Reinheit der Intervalle sehr sicher, wie ja denn auch bekannt ist, dass namentlich die ge\u00fcbten Violin- und Cellospieler ein sehr feines Ohr f\u00fcr Unterschiede der Tonh\u00f6he haben. Andererseits ist aber doch die Sch\u00e4rfe der Kl\u00e4nge wieder so gross, dass weiche gesangreiche Melodien f\u00fcr die Streichinstrumente nicht mehr recht passen, und im Orchester besser an die Fl\u00f6ten und Clari-netten abgegeben werden. Ausserdem werden auch vollstimmige Accorde verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig zu rauh, da bei jedem consonanten","page":313},{"file":"p0314.txt","language":"de","ocr_de":"314\nZweite \u00c0btheilung. Elfter Abschnitt.\nIntervalle sich diejenigen Obert\u00f6ne der beiden Kl\u00e4nge, welche ii dissonante Verh\u00e4ltnisse gegen einander zu stehen kommen, ziemlich bemerklich machen, namentlich bei Terzen und Sexten. Dazu kommt freilich noch, dass die unvollkommenen Terzen und Sex\u201c ten der gebr\u00e4uchlichen musikalischen Scala auf den Streichin-, strumenten sich schon sehr merklich von dem Klange reiner Terzen und Sexten unterscheiden, worauf wir in der Lehre von der temperirten Stimmung wieder zur\u00fcckkommen werden. Man pflegt deshalb in den Compositionen f\u00fcr Streichinstrumente langsam hinfliessende Accorde nur selten und ausnahmsweise anzuwenden, weil diese nicht genug Wohlklang haben, dagegen schnelle Bewegungen und Figuren, harpeggirte Accorde zu bevorzugen, f\u00fcr welche diese Instrumente ausserordentlich geeignet sind, und in denen die Sch\u00e4rfe ihrer Zusammenkl\u00e4nge sich nicht so merklich machen kann.\nEigent\u00fcmlich verhalten sich die Schwebungen bei den Streichinstrumenten, indem wenigstens regelm\u00e4ssige, langsame und z\u00e4hlbare Schwebungen selten h\u00f6rbar werden. Der Grund liegt in den schon fr\u00fcher besprochenen kleinen Unregelm\u00e4ssigkeiten bei der Einwirkung des Bogens auf die Saite, welche als Kratzen des Tones h\u00f6rbar werden. Aus den Beobachtungen der Schwingung^ figur ging hervor, dass bei jedem kleinsten kratzenden Anstosse des Bogens die Schwingungscurven pl\u00f6tzlich eine Strecke vor\u201c oder zur\u00fcckspringen, oder die Schwingungen, nach physikalischen! Ausdrucke, pl\u00f6tzlich ihre Phase \u00e4ndern. Da es nun von der Phasendifferenz abh\u00e4ngt, ob zwei zusammenklingende T\u00f6ne sich ge\u201c genseitig verst\u00e4rken oder schw\u00e4chen, so wird durch jedes kleinste Anhaken oder Kratzen des Bogens auch der Ablauf der Schwebungen gest\u00f6rt, und wenn zwei T\u00f6ne von gleicher H\u00f6he gespielt werden, so wird jeder Sprung der Phase einen Wechsel in der Tonst\u00e4rke hervorbringen k\u00f6nnen, \u00e4hnlich als ob unregelm\u00e4ssig und abgerissen eintretende Schwebungen vorhanden w\u00e4ren. Es geh\u00f6ren deshalb die besten Instrumente und die besten Spieler dazu, um langsame Schwebungen oder auch einen gleichm\u00e4ssigen Abfluss ausgehaltener consonanter Accorde hervorzubringen. Ich glaube, dass hierin vielleicht einer der Gr\u00fcnde zu suchen ist, warum Streichquartette, ausgef\u00fchrt von Spielern, deren jeder f\u00fcr sich Solost\u00fccke ganz angenehm zu spielen vermag, zuweilen so unertr\u00e4glich rauh und scharf klingen, dass es gar nicht im richtigen Verh\u00e4ltnisse steht zu dem, was jeder einzelne Spieler a\u00e8","page":314},{"file":"p0315.txt","language":"de","ocr_de":"Dissonanz in verschiedenen Klangfarben. 315\nkleinen Rauhigkeiten auf seinem Instrumente hervorbringt. Bei meinen Beobachtungen der Schwingungsfiguren fand ich es schwer zu vermeiden, dass nicht in jeder Secunde ein oder zwei Mal ein Sprung in der Schwingungsfigur vorgekommen w\u00e4re. Wenn nun dabei im Solospiel der Ton der Saite auf fast unwahrnehmbar kleine Momente unterbrochen wird, was der H\u00f6rer kaum bemerkt, so giebt dies im Quartett, wenn ein Accord angegeben wird, dessen Noten alle einen gemeinsamen Oberton haben, schon vier bis acht pl\u00f6tzlich und unregelm\u00e4ssig eintretende Ver\u00e4nderungen der Tonst\u00e4rke eines solchen gemeinsamen Tones, welche nicht unbemerkt vor\u00fcbergehen k\u00f6nnen. F\u00fcr ein gutes Zusammenspiel ist deshalb eine viel gr\u00f6ssere Sauberkeit des Tones n\u00f6thig, als f\u00fcr das Solospiel.\nUnter den Saiteninstrumenten, deren Saiten geschlagen werden, hat das Pianoforte die Hauptbedeutung. Aus der oben gegebenen Analyse seiner Kl\u00e4nge geht hervor, dass seine tiefen Octaven reich an Obert\u00f6nep sind, die h\u00f6heren dagegen verh\u00e4lt-nissm\u00e4ssig arm. In den tieferen Octaven ist namentlich der zweite und dritte Partialton oft ebenso stark, ersterer auch wohl selbst st\u00e4rker als der Grundton. Die Folge davon ist, dass die der Octave benachbarten Dissonanzen, die Septimen und Nonen, fast ebenso scharf ausfallen, wie die Secunden, und dass auch die verminderte und vergr\u00f6sserte Duodecime und Quinte ziemlich rauh sind. Der vierte, f\u00fcnfte und sechste Partialton dagegen, welche zur Begrenzung der Terzen dienen, nehmen an St\u00e4rke schnell ab, so dass die Terzen verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig viel weniger scharf begrenzt sind, als die Octaven, Quinten und Quarten. Das letztere Moment ist wichtig, weil es auf dem Clavier die ungenauen Terzen der temperirten Stimmung viel ertr\u00e4glicher macht, als auf anderen Instrumenten mit sch\u00e4rferen Klangfarben, w\u00e4hrend die Octaven, Quinten und Quarten doch scharf und sicher abgegrenzt sind. Trotz der verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig reichen Obert\u00f6ne ist der Eindruck der Dissonanzen des Claviers lange nicht so eindringlich, wie bei den Instrumenten mit lang ausgehaltenen T\u00f6nen, weil der Clavierton nur im Moment des ersten Anschlags grosse St\u00e4rke hat, und dann sehr schnell an St\u00e4rke abnimmt, so dass die die Dissonanzen charakterisirenden Schwebungen nicht Zeit haben, w\u00e4hrend des ersten starken Einsatzes des Tones zur Erscheinung zu kommen, sie ^bilden sich erst, w\u00e4hrend der Ton an St\u00e4rke schon wieder abnimmt. Man findet deshalb in der","page":315},{"file":"p0316.txt","language":"de","ocr_de":"316 Zweite Abtheilung. Elfter Abschnitt.\nneuerenClaviermusik, seitdem namentlich Beethoven die charakteristischen Eigent\u00fcmlichkeiten des Instruments in der Composition zu ber\u00fccksichtigen gelehrt hat, eine Verdoppelung und H\u00e4ufung der dissonanten Intervalle, welche auf anderen Instrumenten ganz unertr\u00e4glich ist. Man findet den grossen Unterschied leicht heraus, wenn man neuere Claviercompositionen auf der Pliyshar-monica oder Orgel zu spielen versucht.\nDass die Instrumentenmacher, nur geleitet durch ein ge\u00fcbtes Geh\u00f6r, nicht durch irgend eine Theorie, es vorteilhaft befunden haben, die Anschlagsstelle der H\u00e4mmer so zu legen, dass der siebente Partialton ganz wegf\u00e4llt, der sechste zwar noch vorhanden ist, aber schwach, h\u00e4ngt offenbar mit der Construction unseres Tonsystems zusammen. Der f\u00fcnfte und sechste Partialton dienen dazu, die kleine Terz zu begrenzen, und es sind auf diese Weise fast alle in der jetzigen Musik als Consonanzen behandelten Intervalle auf dem Claviere durch coincidirende Obert\u00f6ne bestimmt, die Octave, Quinte und Quarte durch relativ starke T\u00f6ne, die grosse Sexte und Terz durch schwache, die kleine Terz durch die schw\u00e4chsten. K\u00e4me der siebente Partialton noch hinein, so w\u00fcrde die verminderte Septime 4:7 den Wohlklang der kleinen Sexte beeintr\u00e4chtigen, die verminderte Quinte 5 :7 den der Quinte und Quarte, die verminderte Terz 6:7 den der kleinen Terz, ohne dass dabei neue musikalisch verwendbare Intervalle sicherer bestimmt w\u00fcrden.\t-\t:f\nEine weitere Eigenth\u00fcmlichkeit in der Auswahl der Klangfarben, dass n\u00e4mlich die hohen T\u00f6ne des Claviers viel weniger und schw\u00e4chere Obert\u00f6ne haben als die tieferen, haben wir ebenfalls schon erw\u00e4hnt. Sie ist auf diesem Instrumente viel deutlicher ausgesprochen, als auf anderen, und es l\u00e4sst sich leicht der musikalische Grund daf\u00fcr angeben. Die hohen Noten werden der Regel nach zugleich mit tiefen angegeben, und ihr Verh\u00e4lt-niss zu diesen tiefen Noten wird durch die hoch hinaufreichenden Obert\u00f6ne der tiefen Noten leicht festgestellt. Wenn das Intervall zwischen der Note des Basses und des Discants zwischen zwei und drei Octaven betr\u00e4gt, so liegen die zweite Octave, die h\u00f6here Terz und Quinte des Basstones ganz in der N\u00e4he der Note des Discants, und geben mit ihr direct Consonanz oder Dissonanz, ohne dass noch die Obert\u00f6ne der Discantnote in das Spiel zu kommen brauchen. Die h\u00f6chsten Noten des Claviers w\u00fcrden durch Obert\u00f6ne also nur eine scharfe Klangfarbe bekommen, ohne","page":316},{"file":"p0317.txt","language":"de","ocr_de":"Dissonanz in verschiedenen Klangfarben. 317\ndass f\u00fcr ihre musikalische Charakterisirung dadurch etwas gewonnen w\u00e4re, und durch den Bau der H\u00e4mmer wird es auf guten Instrumenten wirklich erreicht, dass die Noten der h\u00f6chsten Oc-taven nur noch schwach von ihrem zweiten Tone begleitet sind. Sie klingen dann mild und angenehm, fl\u00f6ten\u00e4hnlich. Andere Instrumentenmacher lieben es denn freilich auch, diese hohen Noten gellend und durchdringend zu machen, gleich der,Piccolfl\u00f6te, indem sie die Anschlagsstelle der h\u00f6chsten Saiten ganz an ihr Ende verlegen, durch welchen Kunstgriff sie die Obert\u00f6ne st\u00e4rker hervortreiben. Dadurch f\u00e4llt aber die Klangfarbe dieser Saiten aus dem Charakter der \u00fcbrigen Kl\u00e4nge des Instruments, und verliert jedenfalls an Reiz.\nAn vielen anderen Instrumenten, bei deren Construction man mit der Klangfarbe nicht so frei schalten kann wie bei der des Pianoforte\u2019s, hat man eine \u00e4hnliche Ab\u00e4nderung der Klangfarbe nach der H\u00f6he hin durch andere Mittel zu erreichen gewusst. Bei den Streichinstrumenten dient dazu die Resonanz des Kastens, dessen eigene T\u00f6ne innerhalb der tiefsten Octave der Scala des Instruments liegen. Da die Partialt\u00f6ne der t\u00f6nenden Saiten in dem Maasse st\u00e4rk\u00f6r an die Luft abgegeben werden, als sie den Partialt\u00f6nen' des Kastens n\u00e4her sind, so werden bei den hohen Noten dieser Instrumente die Grundt\u00f6ne durch die Resonanz viel mehr \u00fcber ihre Obert\u00f6ne herausgehoben als bei den tieferen. Bei den tiefsten Noten der Violine dagegen wird nicht bloss der Grundton, sondern auch seine Octave und Duodecime durch die Resonanz beg\u00fcnstigt, da der tiefere Eigenton des Kastens zwischen dem Grundtone und dem ersten Obertone, der h\u00f6here Eigent\u00f6n zwischen dem ersten und zweiten Obertone liegt. Auch bei den Mixturen der Orgel kommt etwas Entsprechendes vor, indem man die Reihen der Obert\u00f6ne, welche durch eigene Pfeifen dargestellt werden, f\u00fcr die hohen Noten des Registers k\u00fcrzer macht, als f\u00fcr die tiefen Noten. W\u00e4hrend man also mit jeder Taste der tieferen Octaven sechs Pfeifen \u00f6ffnet, entsprechend den ersten sechs Partialt\u00f6nen ihrer Note, so nimmt man in den beiden obersten Octaven zum Grundton nur die Octave und Duodecime, oder die Octave allein.\nAuch bei der menschlichen Stimme findet sich ein \u00e4hnliches Verh\u00e4ltniss, wenn auch nach den verschiedenen Vocalen mannigfach wechselnd. Vergleicht man aber h\u00f6he und tiefe Noten, welche auf denselben Vocal gesungen werden, so verst\u00e4rkt die","page":317},{"file":"p0318.txt","language":"de","ocr_de":"318 Zweite Abtheilung. Elfter Abschnitt.\nResonanz der Mundh\u00f6hle gew\u00f6hnlich noch relativ hohe Obert\u00f6ne der tiefen Noten des Basses, w\u00e4hrend im Sopran, wenn die Note des Gesanges sich der charakteristischen Tonh\u00f6he des Vocals n\u00e4hert, oder sie \u00fcberschreitet, s\u00e4mmtliche Obert\u00f6ne viel schw\u00e4cher ausfallen. Daher sind im Allgemeinen, wenigstens bei den offenen Vocalen, die h\u00f6rbaren Obert\u00f6ne des Basses viel zahlreicher, als die des Soprans.\nEs bleiben uns noch die k\u00fcnstlichen Zungenwerke, das heisst, die Blaseinstrumente aus Holz und Blech. Unter jenen zeichnet sich die Clarinette, unter diesen das Horn durch weichere Klangfarbe aus, w\u00e4hrend Fagott und Oboe einerseits, Posaune und Trompete andererseits, die sch\u00e4rfsten in der Musik gebrauchten Klangfarben darstellen.\nTrotzdem die zur sogenannten Harmoniemusik gebrauchten Klappenh\u00f6rner einen viel weniger schmetternden Klang haben als die eigentlichen Trompeten mit undurchbrochenem festen Rohre, so ist doch die Zahl und Kraft ihrer Obert\u00f6ne zu gross f\u00fcr den Wohlklang, namentlich der unvollkommeneren Consonanzen, und die Accorde dieser Instrumente klingen sehr rauschend, l\u00e4rmend und scharf, so dass sie eben nur im Freien zu ertragen sind. In der k\u00fcnstlerischen Musik des Orchesters l\u00e4sst man daher Trompeten und Posaunen, die wegen ihrer durchdringenden Kraft nicht zu entbehren sind, meist nur in wenigen und wo m\u00f6glich vollkommenen Consonanzen zusammenklingen.\nDie Clarinette unterscheidet sich von den \u00fcbrigen Blaseinstrumenten des Orchesters dadurch, dass ihr die geraden Obert\u00f6ne fehlen, was nicht verfehlen kann in die Wirkung ihrer Zusammenkl\u00e4nge manche sonderbare Abweichungen zu bringen. Wenn zwei Clarinetten Zusammenwirken, so werden alle conso-nanten Intervalle, mit Ausnahme der grossen Sexte 3:5 und Duodecimo 1:3, nur durch Combinationst\u00f6ne begrenzt werden. Doch gen\u00fcgen in allen F\u00e4llen die Differenzt\u00f6ne erster Ordnung, also die st\u00e4rksten aller Combinationst\u00f6ne, die Schwebungen der verstimmten Consonanzen hervorzubringen. Daraus folgt, dass im Allgemeinen die Consonanzen zweier Clarinetten wenig Sch\u00e4rfe haben werden und verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig wohlklingend sein m\u00fcssen, was auch der Fall ist, ausgenommen die kleine Sexte und kleine Septime, die sich der grossen Sexte zu sehr n\u00e4hern, und die Un-decime und kleine Tredecime, die der Duodecime zu nahe komi* men. Andererseits, wenn man eine Clarinette mit einer Violine","page":318},{"file":"p0319.txt","language":"de","ocr_de":"Dissonanz in verschiedenen Klangfarben. 319\noder Oboe zusammen gebraucht, werden die meisten Consonanzen merklich verschieden klingen m\u00fcssen, je nachdem die Clarinette die obere oder untere Note des Zusammenklangs \u00fcbernimmt. So wird zum Beispiel eine grosse Terz \u00e4' fis' besser klingen m\u00fcssen, wenn die Clarinette das d' und die Oboe das fis' \u00fcbernimmt, so dass der f\u00fcnfte Ton der Clarinette mit dem vierten der Oboe zusammenf\u00e4llt. Die f\u00fcr die grosse Terz st\u00f6renden Paare von Obert\u00f6nen 3:4 und 5:6 k\u00f6nnen hier nicht zu Stande kommen, weil der vierte und sechste Ton auf der Clarinette fehlen. Geben wir aber das d' der Oboe, so fehlt dem fis' der Clarinette der coincidirende vierte Ton, dagegen sind die st\u00f6renden, der dritte und f\u00fcnfte, vorhanden. Aus \u00e4hnlichen Gr\u00fcnden folgt, dass die Quarte und kleine Terz dagegen besser klingen m\u00fcssen, wenn die Clarinette die obere Note \u00fcbernimmt. Ich habe Versuche solcher Art angestellt mit der Clarinette und einem scharfen Register der Physharmonica, welches gerade Obert\u00f6ne hat, und welches nach reinen Intervallen gestimmt war, nicht nach gleichschwebender Temperatur. Gab ich auf der Clarinette b an, und spielte auf der Physharmonica dazu es', d', des', so klang die grosse Terz b \u2014 d', besser als die Quarte b \u2014 es', und viel besser als die kleine Terz b\u2014des'. Gab ich dagegen zu demselben Tone der Clarinette auf der Physharmonica nach einander /, ges, g an, so klang die grosse Terz ges \u2014 b rauher, nicht bloss als die Quarte /\u2014b, sondern selbst als die kleine Terz g \u2014 b.\nIch f\u00fchre dieses Beispiel hier an, auf welches mich rein theoretische Betrachtungen geleitet hatten, und welches sich beim Versuch sogleich als richtig best\u00e4tigte, weil sich daran zeigt, wie die den gew\u00f6hnlichen Klangfarben angepasste Reihenfolge der Consonanzen sich sogleich ver\u00e4ndert, wenn abweichende Klangfarben gebraucht werden.\nDas hier Gesagte mag gen\u00fcgen, um zu zeigen, dass auf dem eingeschlagenen Wege die Erkl\u00e4rung f\u00fcr mannigfache Eigenth\u00fcm-lichkeiten in den Wirkungen des Zusammenklangs der verschiedenen musikalischen Instrumente gewonnen werden kann. Weiter auf diesen Gegenstand hier einzugehen verbieten \u201eeines Theils der Mangel an gen\u00fcgenden Vorarbeiten, namentlich an genaueren Untersuchungen \u00fcber die, einzelnen Ab\u00e4nderungen der Klangfarben, andererseits w\u00fcrde uns die weitere Verfolgung dieses Weges zu sehr von unserem Hauptziele abf\u00fchren, und weniger allgemeines als technisch-musikalisches Interesse haben.","page":319},{"file":"p0320.txt","language":"de","ocr_de":"Zw\u00f6lfter Abschnitt.\nVon den .Accorden.\nWir haben bisher die Wirkung des Zusammenklingens je zweier T\u00f6ne in bestimmten Intervallen untersucht; es ist nun ziemlich leicht zu ermitteln, was geschehen wird, wenn mehr als zwei T\u00f6ne zusammenklingen. Zusammenkl\u00e4nge von mehr als zwei Einzelkl\u00e4ngen nennen wir Accorde. Zun\u00e4chst wollen wir den. Wohlklang der Accorde ganz in demselben Sinne untersuchen, wie wir es mit dem Wohlklange -je zweier zusammenklingender T\u00f6ne gemacht haben. Wir besch\u00e4ftigen uns n\u00e4mlich in diesen! Abschnitte nur mit der Wirkung, welche der betreffende Accord' isolirt und getrennt aus allen musikalischen Verbindungen, ohne Beziehung auf Tonart, Tonleiter, Modulation u. s. w. hervorbringt. Unsere erste Aufgabe ist, zu bestimmen, unter welchen Bedingungen Accorde consonant sind. Damit ein Accord consonant sein k\u00f6nne, ist zun\u00e4chst klar, dass jeder Ton desselben mit jedem anderen consonant sein m\u00fcsse; denn wenn nur1 zwei von den T\u00f6nen des Accordes mit einander dissoniren und Schwebungen geben, so ist der Wohlklang des Accordes gest\u00f6rt. Die consonanten Accorde von je drei T\u00f6nen finden wir, wie leicht zu ersehen ist, indem wir zu einem Grundtone, den wir c nennen wollen, zwei andere T\u00f6ne hinzusetzen, deren jeder mit c ein eon-sonirendes Intervall bildet, und dann Zusehen, ob auch das dritte'","page":320},{"file":"p0321.txt","language":"de","ocr_de":"Die eonsonanten Accorde.\t321\nneu entstehende Intervall, welches die beiden hinzugesetzten T\u00f6ne mit einander bilden, consonirt. Ist dies der Fall, so consonirt jeder der drei T\u00f6ne mit ^dem anderen , und der Accord ist consonant.\nBeschr\u00e4nken wir uns zun\u00e4chst auf solche Intervalle, welche kleiner sind als eine Octave. Unter den Intervallen, welche eine Octave nicht \u00fcberschreiten, haben wir folgende Consonanzen gefunden : 1) die Quinte c\u2014y, 3/2 ; 2) die Quarte c\u2014/, */d ; 3) die grosse Sexte c\u2014a, %; 4) die grosse Terz c\u2014e, 5/4; 5) die kleine Terz 'c\u2014es, 6/s; 6) di*3 kleine Sexte c\u2014as, 8/5 ; an sie schliesst sich endlich noch 7) die nat\u00fcrliche Septime c\u20147/4, die der kleinen Sexte an Wohlklang etwa gleichkommt. Die folgende Tabelle giebt nun eine Uebersicht der Accorde, deren Umfang kleiner als eine Octave ist. Der Accord soll bestehen aus dem Grundtone c, je einem Tone der ersten Horizontalreihe, und je einem Tone der ersten Yerticalreihe. Wo die den beiden gew\u00e4hlten T\u00f6nen entsprechenden Horizontal- und Verticalreihen sich schneiden, ist das Intervall angegeben, welches die beiden gew\u00e4hlten T\u00f6ne mit einander bilden. Dieses ist gesperrt gedruckt, wenn es eine Conso-nanz ist, so dass dem Auge gleich ersichtlich wird, wo wir conso-nirende Accorde finden.\nHelmholtz, phys, Theorie der Musik,\n21","page":321},{"file":"p0322.txt","language":"de","ocr_de":"322 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\nc\t<4\tFl\t\u00c4T\tEl \u2022 4\tEsl\tAs\\\nG\u00b1 2\tGrosse\t\t\t\t\t\nFi\tSecunde\t\t\t\t\t\n3\t9\t\t\t\t\t\n\tT\t\t\t\t\t\naj\tGrosse\tGrosse\t\t\t\t\n\tSecunde\tTerz\t*\t1\t\t\n\t10\t5\t\t\t\t\n\t9\t4\t\t\t\t\n\tKleine\tKleine\tQuarte\t\t\t\n\tTerz\tSecunde\t4\t\t\t\n\t6\t16\t3\t\t\t\n\t5\t15\t\t\t\t\n\tGrosse\tGrosse\tUeber-\tKleine\t\t\nEs-\tTerz\tSecunde\tmassige\tSecunde\t\t\n5\t5\t10\tQuarte\t25\t\t\n\t4\t9\t25\t24\t\t\n\t\t\t18\t\t\t\n\tKleine\tKleine\tKleine\tVermin-\tQuarte\t\nK\tSecunde\tTerz\tSecunde\tderte\t\t4\t\n\t16\t6\t25\tQuarte\t3\t\n\t15\t5\t24\t32\t\t\n\t\t\t\t25\t\t\n\tVermin-\tFalsche\tKleine\tVermin-\tFalsche\tGrosse\n\tderte\tQuarte\tSecunde]\tderte\tQuinte\tSecunde\n\tTerz\t21\t21\tQuinte\t35\t35\n\t7\t16\t20\t7\t24\t32\n\t6\t\t\t5\t\t\nEs ergeben sich hieraus als die einzigen consonirenden dreistimmigen Accorde, welche innerhalb des Umfanges einer Octave m\u00f6glich sind, folgende sechs:\n1 ) CE G\t2) C Es G\nZ) CF A\t4) C F As\n5) C Es As 6) CE A.\nDie ersten beiden dieser Dreikl\u00e4nge werden in der musikalischen Theorie als die fundamentalen Dreikl\u00e4nge betrachtet, von denen alle anderen abgeleitet werden k\u00f6nnen. Wir k\u00f6nnen sie ansehen als aus zwei \u00fcber einander gesetzten Terzen bestehend, einer grossen und einer kleinen. Der Accord CE G, bei welchem","page":322},{"file":"p0323.txt","language":"de","ocr_de":"Die consonanten Accorde.\t323\ndie grosse Terz tiefer liegt, die kleine h\u00f6jier, ist ein Durdreiklang, und zwar ist er vor allen anderen Durdreikl\u00e4ngen dadurch ausgezeichnet, dass seine T\u00f6ne am engsten zusammenliegen, und er wird deshalb als Grundaccord oder Stamm-accord aller anderen Duraccorde betrachtet. Der Accord CEsG dagegen, bei welchem die kleine Terz tiefer liegt, die grosse h\u00f6her, ist der Stammaccord aller Molldreikl\u00e4nge.\nDie beiden folgenden Accorde CFA und CF As heissen nach ihrer Zusammensetzung Quartsextenaccorde. Wenn man als ihren tiefsten Ton nicht C, sondern G nimmt, so verwandeln sie sich in\nG CF und G C Es.\nMan kann sie also aus dem fundamentalen Dur- und Molldreiklange CE G und CEsG entstanden denken, indem man die Quinte G desselben eine Octave tiefer verlegt.\nDie beiden letzten Accorde CEsAs und CEA heissenTerz-sextenaccorde oder einfach Sextenaccorde. Nimmt man als Bassnote des ersten E statt C, so wird er E G C, und nimmt man als Bassnote des zweiten Es statt C, so wird er Es G C. Sie k\u00f6nnen also als Umlagerungen eines fundamentalen Dur- und Molldreiklanges betrachtet werden, deren Grundton man eine .Octave h\u00f6her gelegt hat.\nIn diesen Umlagerungen zusammengestellt, werden also jene sechs consonirenden Accorde folgende Form annehmen:\nCE G\tC Es G\nE G C\tEs G C\nG CE\tG C Es.\nWir bemerken hierbei zun\u00e4chst, dass die nat\u00fcrliche Septime B\u2014, obgleich sie selbst mit dem Grundtone C einen guten Zusammenhang gieht, der eher besser, denn schlechter als die kleine Sexte CAs ist, sie doch in keinen Accord eingetreten ist, weil sie mit allen anderen zu C consonirenden Intervallen schlechtere Consonanzen giebt, als sie selbst ist. Die besten Zusammenh\u00e4nge, welche sie giebt, sind CEB_ und CGB_. In ersterem kommt das zwischen Quarte und Quinte in der Mitte liegende Intervall EB\u2014 vor, in letzterem die verminderte kleine Terz GB\u2014' Die kleine Sexte dagegen giebt mit der kleinen Terz eine reine Quarte, und mit der Quarte eine kleine Terz, so dass sie im Sexten-und Quartsextenaccorde das schlechteste Intervall des Accordes bleibt, daher diese Accorde noch als consonant gelten k\u00f6nnen. Dies\n21*","page":323},{"file":"p0324.txt","language":"de","ocr_de":"324 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\nist der Grund, warum die nat\u00fcrliche Septime keine Anwendung in der harmonischen Musik findet, w\u00e4hrend die kleine Sexte, die an und f\u00fcr sich nicht wohlklingender ist als jene, anwendbar ist.\nSehr lehrreich f\u00fcr die Theorie der Musik, worauf wir sp\u00e4ter zur\u00fcckkommen werden, ist der Accord CE As. Wir m\u00fcssen ihn unter die dissonanten rechnen, weil er die verminderte Quarte\n32\nE As enth\u00e4lt, deren Zahlenverh\u00e4ltniss ist. Diese verminderte\nQuarte ist nun so nahe gleich einer grossen Terz E Gis, dass auf unseren Tastaturinstrumenten, Orgel und Clavier, diese beiden Intervalle gar nicht unterschieden werden. Es ist n\u00e4mlich\nEAs =\n32_\n25\n_5\t125\n4 ' 128\u2019\noder abgek\u00fcrzt:\n(EAs) \u2014 (E . Gis) \u25a0 ~ \u25a0\nAuf dem Claviere sieht es so aus, als wenn dieser Accord, den man f\u00fcr den Zweck der praktischen Ausf\u00fchrung nach Belieben CE As oder CE Gis schreiben k\u00f6nnte, consonant sein m\u00fcsste,' denn jeder Ton desselben bildet mit jedem anderen ein Intervall, welches auf dem Claviere als consonant betrachtet wird, und doch ist dieser Accord eine der herbsten Dissonanzen , wor\u00fcber alle Musiker einig sind, und wovon man sich jeden Augenblik \u00fcberzeugen kann. Auf einem nach reinen Intervallen gestimmten Instrumente giebt sich freilich gleich das Intervall EAs als entschieden dissonant zu erkennen. Es ist dieser Accord ein h\u00fcbsches Beispiel daf\u00fcr, wie doch auch selbst in der ungenauen-Stimmung des Claviers der urspr\u00fcngliche Sinn der Intervalle sich geltend macht, und das Urtheil des Ohres bestimmt.\nWas den Wohlklang der oben gefundenen verschiedenen Umlagerungen der Dreikl\u00e4nge betrifft, so h\u00e4ngt er zun\u00e4chst von der vollkommeneren oder unvollkommeneren Consonanz der einzeln nen Intervalle ab. Die Quarte hat sich weniger wohllautend erwiesen als die Quinte, die kleinen Terzen und Sexten weniger als die grossen. Nun enth\u00e4lt der Accord :\nC E G Quinte. Grosse Terz. Kleine Terz. E G C Quarte. Kleine Terz. Kleine Sexte. G C E Quarte. Grosse Terz. Grosse Sexte.","page":324},{"file":"p0325.txt","language":"de","ocr_de":"325\nUnterschied der Dur- und Mollaccorde!\nG Es G Quinte. Kleine Terz. Grosse Terz.\nEs G C Quarte. Grosse Terz. Grosse Sexte.\nG C Es Quarte. Kleine Terz. Kleine Sexte.\nDa die St\u00f6rungen des Wohllautes bei reinen Intervallen von den Terzen und Sexten entschieden bedeutender sind, als von den Quarten, so folgt hieraus, dass die Quartsextenlage des Dur-accords wohllautender ist als die fundamentale, und diese besser als die Sextenlage. Umgekehrt ist die Sextenlage beim Mollaccord besser als die fundamentale, und diese besser als die Quartsextenlage. Diese Folgerung erweist sich auch als durchaus richtig in den mittleren Lagen der Scala, wenn man wirklich reine Stimmung der Intervalle herstellt. Bei solchen Versuchen muss man aber die isolirt genommenen Accorde ohne Modulation neben einander stellen. Sobald man modulatorische Verbindungen macht, die z. B. als Schlusscadenzen erscheinen k\u00f6nnen, st\u00f6rt das Gef\u00fchl f\u00fcr die Tonart, in deren Hauptaccord man Ruhe findet, die Beobachtung, auf die es hier ankommt. In den tieferen Lagen der Scala sind alle Terzen nachtheiliger f\u00fcr den Wohlklang als die Sexten.\nNach der Art der Intervalle sollte man nun erwarten, dass der Mollaccord G Es G eben so gut klinge wie GEG, da beide Accorde eine Quinte, eine grosse, und eine kleine Terz enthalten. Indessen ist das keineswegs der Fall. Der Wohlklang des Moll-accords ist merklich geringer, als der des Duraccords, und zwar liegt der Grund in den Combinationst\u00f6nen, welche wir hier noch ber\u00fccksichtigen m\u00fcssen. Wir haben schon bei der Lehre vom Wohlklang der Intervalle gesehen, dass die Combinationst\u00f6ne Schwebungen hervorbringen k\u00f6nnen, wenn zwei Intervall\u00e9 zusammengesetzt werden, deren jedes an sich keine, oder wenigstens keine deutlich h\u00f6rbaren Schwebungen giebt.\nWir haben also noch die Combinationst\u00f6ne der Dur- und Molldreikl\u00e4nge aufzusuchen. Wir beschr\u00e4nken uns auf die Com-binationst\u00f6ne erster Ordnung, welche die Grundt\u00f6ne und ihre ersten Obert\u00f6ne geben. Die Grundt\u00f6ne der Kl\u00e4nge sind mit halben Noten, die Combinationst\u00f6ne der Grundt\u00f6ne mit Viertelnoten, die Combinationst\u00f6ne von Grundt\u00f6nen mit ersten Obert\u00f6nen mit Achteln und Sechzehnteln bezeichnet. Ein Strich neben einer Note bedeutet, dass sie etwas tiefer sein sollte, als der vorgezeichnete Scalenton.","page":325},{"file":"p0326.txt","language":"de","ocr_de":"326 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt. 1) Durdreikl\u00e4nge mit den Combinationst\u00f6nen :\n2) Molldreikl\u00e4nge:\nBei den Durdreikl\u00e4ngen geben die Combinationst\u00f6ne erster Ordnung und selbst die tieferen Combinationst\u00f6ne zweiter Ordnung, welche als Achtelnoten bezeichnet sind, nur Verdoppelungen der T\u00f6ne des Accordes in den tieferen Octaven. Die h\u00f6heren Combinationst\u00f6ne zweiter Ordnung, welche als Sechzehntheile bezeichnet sind, sind ausserordentlich schwach, da unter \u00fcbrigens gleichen Umst\u00e4nden die Intensit\u00e4t der Combinationst\u00f6ne abnimmt, wenn das Intervall der erzeugenden T\u00f6ne zunimmt, womit wiederum die hohe Lage der betreffenden Combinationst\u00f6ne zusammenh\u00e4ngt. Ich habe die mit Achteln bezeichneten tieferen Combinationst\u00f6ne zweiter Ordnung an der Physharmonica mit Hilfe der Resonanzr\u00f6hren stets leicht h\u00f6ren k\u00f6nnen, dagegen nicht die mit Sechzehnteln bezeichneten h\u00f6heren. Der~Vollst\u00e4n-digkeit der Theorie wegen habe ich sie angegeben, es w\u00e4re auch nicht unm\u00f6glich, dass sie bei sehr starken Kl\u00e4ngen mit starken Obert\u00f6nen sich h\u00f6rbar machten, f\u00fcr gew\u00f6hnlich k\u00f6nnen wir sie vernachl\u00e4ssigen.\nBei den Mollaccorden dagegen bringen schon die leicht h\u00f6rbaren Combinationst\u00f6ne erster Ordnung St\u00f6rungen hervor. Sie liegen zwar noch nicht so nahe aneinander, dass sie Schwebungen geben, aber sie liegen ausser der Harmonie. Beim Grund-accord und Sextenaccord setzen diese Combinationst\u00f6ne, die mit Viertelnoten bezeichnet sind, einen As-Durdreiklang zusammen,","page":326},{"file":"p0327.txt","language":"de","ocr_de":"Unterschied der Dur- und Mollaocorde. 327\nbeim Quartsextenaccord treten sogar zwei neue T\u00f6ne, n\u00e4mlich As und B hinzu, die dem. urspr\u00fcnglichen Dreiklange fremd sind. Die Combinationst\u00f6ne zweiter Ordnung dagegen, welche mit Achtelnoten bezeichnet sind, kommen theils einander, theils den prim\u00e4ren T\u00f6nen des Accordes und den Combinationst\u00f6nen erster Ordnung so nahe, dass Schwebungen entstehen m\u00fcssen, w\u00e4hrend diese Classe von T\u00f6nen bei den Duraccorden sich noch vollst\u00e4ndig in den Accord einf\u00fcgt. So finden wir zu dem fundamentalen Molldreiklange unseres Beispiels e\u2014es'\u2014g' durch die Combinationst\u00f6ne die Dissonanzen as\u2014b\u2014c' gebildet; dieselben beim Sextenaccorde es'\u2014g' \u2014 c\". Und beim Quartsextenaccorde g' \u2014 c\" \u2014 es\" finden wir die Dissonanzen b \u2014 c' und g' \u2014 as'. Es sind diese St\u00f6rungen im Wohlklange der Molldreikl\u00e4nge durch die Combinationst\u00f6ne zweiter Ordnung allerdings zu schwach, um den genannten Accorden den Charakter von Dissonanzen zu ertheilen, aber sie bringen doch eine merkliche Vermehrung der Rauhigkeit im Vergleich mit Duraccorden auf rein, d. h. nach mathematischen Intervallen, gestimmten Instrumenten hervor. In der gew\u00f6hnlichen temperirten Stimmung unserer Tasteninstrumente macht sich freilich diese Rauhigkeit der Combinationst\u00f6ne neben den viel gr\u00f6sseren Rauhigkeiten, welche die ungenauen Consonanzen hervorbringen, verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig wenig bemerkbar. Praktisch scheint mir der Einfluss der st\u00e4rkeren tiefen Combinationst\u00f6ne erster Ordnung viel wichtiger, welche zwar nicht die Rauhigkeit des Zusammenklanges vermehren, aber zu dem Accorde fremde T\u00f6ne hinzuf\u00fcgen, die bei den C-Mollaccorden dem _4s-Dur- und j\u00dfs-Durdreiklange angeh\u00f6ren. Dadurch kommt in die Mollaccorde etwas Fremdartiges hinein, was nicht deutlich genug ist, um die Aocorde ganz zu zerst\u00f6ren, was aber doch gen\u00fcgt, dem Wohlklange und der musikalischen Bedeutung dieser Accorde etwas Verschleiertes und Unklares zu geben, dessen eigentlichen Grund sich der H\u00f6rer nicht zu entziffern weiss, weil die schwachen Combinationst\u00f6ne, welche die Ursache davon sind, von st\u00e4rkeren anderen T\u00f6nen \u00fcberdeokt werden, und nur einem ge\u00fcbten Ohre auffallen. Daher sind die Molldreikl\u00e4nge so geeignet, unklare, tr\u00fcbe oder rauhe Stimmungen auszudr\u00fccken*). F. T. Vis eher hat in\n, *) Dass die Namen Dur und Moll nichts mit dem harten oder weichen Charakter der darin sich bewegenden Tonst\u00fccke zu thun haben, sondern sich nur auf die eckige und runde Form der Zeichen \u00a3j f\u00fcr unseren","page":327},{"file":"p0328.txt","language":"de","ocr_de":"328 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\nseiner Aesthetik (Theil III, \u00a7. 772) sehr gut diesen Charakter der Molltonart er\u00f6rtert, wie sie zwar f\u00fcr mancherlei Abstufungen freudiger und schmerzlicher Aufregung passe, das Gemeinsame aller durch sie ausdr\u00fcckbaren Stimmungen aber in dem \u201eVerh\u00fcllten\u201c und Unklaren liege.\nJede kleine Terz und jede Sexte wird, indem sich ihr Haupt-combiuationston hinzugesellt, schon von selbst in einen Duraccord verwandelt. Zur kleinen Terz e' \u2014 g' ist der Combinationston Q zur grossen Sexte g \u2014 e' ist er c, zur kleinen Sexte e' \u2014 c\" ist er g. Durch alle diese Zweikl\u00e4nge sind also schon Durdreikl\u00e4nge nat\u00fcrlich vorgebildet, und sowie wir einen dritten Ton zu einem derselben hinzusetzen, der nicht in diesen schon fertig gebildeten Durdreiklang sich einf\u00fcgt, so wird nat\u00fcrlich der Widerspruch f\u00fchlbar.\nDie neueren Harmouiker str\u00e4uben sich meistentheils zuzugeben, dass der Mollaccord weniger consonant sei als der Duraccord. Sie haben ihre Erfahrungen wohl ausschliesslich an Instrumenten mit temperirter Stimmung gemacht, auf denen dieser Unterschied allerdings eher zweifelhaft bleiben kann. Bei rein gestimmten Intervallen dagegen*) und m\u00e4ssig scharfer Klangfarbe ist der Unterschied sehr auffallend und kann nicht weggel\u00e4ugnet werden. Auch ist das Gef\u00fchl daf\u00fcr bei den alten Tonsetzern des Mittelalters, welche fast ausschliesslich f\u00fcr Gesang componirten, und deshalb zu keiner Abschw\u00e4chung der Consonanzen gezwungen waren, wohl sehr entschieden entwickelt gewesen. Ich glaube, dass darin ein Hauptgrund f\u00fcr die Vermeidung des Mollaccordes am Schl\u00fcsse der Tons\u00e4tze gelegen hat. Man findet bei den mittelalterlichen Tonsetzern bis herab zu Sebastian Bach allgemein nur Duraccorde im Schl\u00fcsse gebraucht, oder Accorde ohne Terz, und selbst noch bei Haendel und Mozart findet sich zuweilen ein Duraccord als Schluss eines Mollsatzes. Ausser dem Grade der Consonanz kommen in dem Schlussaccorde allerdings auch noch andere R\u00fccksichten in Betracht, n\u00e4mlich die auf die deutliche Bezeichnung der herrschenden Tonica, welche dem Duraccorde einen entschie-\nTon h und fc f\u00fcr unseren Ton b, das B dumm und molle der mittelalterlichen Notenschrift, beziehen, ist bekannt.\n*) Ueber die Unterschiede der. Stimmungen und ein Instrument mit reiner Stimmung, um solche Beobachtungen anzustellen, unten im l\u00f6ten Abschnitte das Weitere.","page":328},{"file":"p0329.txt","language":"de","ocr_de":"Umlagerungen der Accorde.\t329\ndenen Vorzug gew\u00e4hren. Dar\u00fcber N\u00e4heres im f\u00fcnfzehnten Abschnitte.\nNachdem wir die consonanten Dreikl\u00e4nge, welche den Umfang einer Octave nicht \u00fcberschreiten, aufgesucht und verglichen haben, wenden wir uns zu denen mit gr\u00f6sseren Intervallen. Wir haben schon fr\u00fcher im Allgemeinen als Regel gefunden, dass con-sonante Intervalle consonant bleiben, wenn man einen ihrer T\u00f6ne beliebig um eine oder zwei Octaven h\u00f6her oder tiefer legt, wenn sich auch der Grad des Wohlklangs durch eine solche Umlageriing etwas ver\u00e4ndert. Daraus folgt, dass auch in allen von uns bisher aufgestellten consonanten Accor den jeder einzelne Ton beliebig um ganze Octaven h\u00f6her oder tiefer gelegt werden kann. Waren die drei Intervalle des Dreiklangs vor der Umlagerung consonant, so werden sie es auch nachher sein. Wir haben schon gesehen, dass die Sextenaccorde und Quartsextenaccorde auf diese Weise aus dem Stammaccorde gewonnen werden konnten. Es folgt weiter daraus, dass auch in weiteren Intervallen keine anderen consonanten Dreikl\u00e4nge existiren k\u00f6nnen, als die, welche durch Umlagerung der Dur- und Molldreikl\u00e4nge erzeugt sind. Denn wenn es dergleichen Accorde g\u00e4be, w\u00fcrde man ihre T\u00f6ne so umlagern k\u00f6nnen, dass sie innerhalb der Grenzen einer Octave l\u00e4gen, und man w\u00fcrde dadurch einen neuen consonanten Accord innerhalb der Octave erhalten, ein solcher kann aber nicht existiren, da wir durch unsere Methode die dreistimmigen consonanten Accorde aufzusuchen, alle, welche es \u00fcberhaupt innerhalb einer Octave geben kann, gefunden haben m\u00fcssen. Allerdings k\u00f6nnen schwach dissonante Accorde, die innerhalb einer Octave liegen, durch Umlagerung ihrer T\u00f6ne zuweilen eine geringere Rauhigkeit erhalten. So ist der Accord 1:7/e>: 1U oder C, Es~, AL_ wegen des Intervalls 1 : 7/e schwach dissonant; das Intervall 1 : 7/4, die nat\u00fcrliche Septime klingt nicht schlechter als die kleine Sexte, das Intervall 7\u00ab : 7/4 ist eine reine Quinte. Legt man nun den Ton Es\u2014 eine Octave h\u00f6her nach es_, so dass der Accord ist\n1 : Vi \u25a0 7s,\nso ist 1 : y3 ein viel milderes Intervall als 1 : 7\u00ab, es klingt selbst besser als die kleine Decime unserer Molltonleiter 1 : 12/s, und der so zusammengesetzte Accord, den ich mir auf der Physhar-monica genau abgestimmt habe, klingt zwar fremdartig, wegen der ungew\u00f6hnlichen Intervalle, aber nicht eben rauher als der schlechteste der Mollaccorde, n\u00e4mlich der Mollquartsextenaccord. Auch","page":329},{"file":"p0330.txt","language":"de","ocr_de":"330 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\njener Accord C, B-, es- wird \u00fcbrigens durch unpassende Com-binationst\u00f6ne G1 und F sehr gest\u00f6rt. Nat\u00fcrlich w\u00fcrde es nicht lohnen, zu Gunsten eines einzelnen solchen Accordes, der sich doch nur den schlechtesten unserer jetzigen consonanten Accorde an die Seite stellt, und nicht umgelegt werden kann, die in ihm enthaltenen T\u00f6ne, die der gew\u00f6hnlichen Tonleiter fremd sind, in diese einf\u00fchren zu wollen.\nBei den Umlagerungen der consonirenden Dreikl\u00e4nge in wei-tei\u00ff Intervalle ver\u00e4ndert sich ihr Wohlklang zun\u00e4chst durch Aen-derung der Intervalle. Grosse Decimen sind, wie wir im vorigen Abschnitte gefunden haben, wohlklingender als grosse Terzen\u00bb kleine Decimen schlechter als kleine Terzen, die um eine Octave vermehrten Sexten (Tredecimen) schlechter als die unver\u00e4nderten Sexten, namentlich die kleinen. Um diese Thatsachen zu merken\u00bb beachte man folgende Regel: Es verbessern sich bei der Erweiterung um eine Octave alle diejenigen Intervalle, in derenZahlenverh\u00e4ltniss die niedereZahl gerade ist, weil bei der Erweiterung das Zahlenverh\u00e4ltniss einfacher wird.\nQuinte.............2:3\twird\tzur Duodecime\t2 : 6 =\t1:3\nTerz............4:5\twird zur De cime . .\t4 : 10 =\t2 : 5\nVerminderte Terz\t6 : 7\twird zur vermindert.\tDecime\t3 : 7\nEs verschlechtern sich dagegen im Klange diejenigen Intervalle bei der Erweiterung um eine Octave, deren niedere Zahl ungerade ist, wie die Quarte 3 : 4, die kleine Terz 5 : 6, die Sexten 3 : 5 und 5 : 8.\nAusserdem kommt es aber noch wesentlich auf die Haupt-combinationst\u00f6ne der betreffenden Intervalle an. Ich gebe hier noch einmal eine Zusammenstellung der ersten Combinationst\u00f6ne deijenigen consonanten Intervalle, welche innerhalb des Umfanges von zwei Octaven liegen. Die prim\u00e4ren T\u00f6ne sind wieder mit halben Noten bezeichnet, die Combinationst\u00f6ne mit Viertelnoten.\nm\n-0\u20144\t\t\t\t\ta\t\t\tr-e\t\t\t\ti\nm ^\t\t\t\tH\t\t\t- 4-\t\t\t\t\tt=j\u2014\n\u25a0\u00e0- -J\t\t\t-r\t-o-\t-o\t\t-ei\t-O\tr-1\t\t\tP\n\nVerh\u00e4ltniss: 1:2\t1:4\t2:3\t1:3\t3:4\t3:8\t4:6\t2:6\nDifferenz :\t1\t3\t1\t2\t1\t5\t13","page":330},{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"Umlagerungen der Accorde.\n331\n-fl\tr\tT-\u201c\t -vr 1-r\t\u00b0\t\t-pp-\tIT \t1 -T\t-\t\tIT\n\t- q 5\u00ab M- J .\t\t\tIE cq -\t\tJi\n\tJ VT \u201c1 .\t\t\tI \\ -\t.\t\ty -- \u2014\tjl\n\t\t\t\t\t\t^\t-U.\n~\t\u2014\t-O-\t-\u00d6\t\t\t\t\t\tl\nc\\\u00bb.....\tt\t\u00c4\t\tur x\t\t\t\t\t\t\ng* \tt\t\t r\t\t\t\tS\t\nr/..\t| ....\ti\t\t\t\t\t\t\t\n5:6\t5 :\t12\t3:5\t3 :\t10\t5:8\t5 : 16\n1\t7\t2\t7\t3\t11\nDas Zeichen x bedeutet hierin eine Erh\u00f6hung um etwas weniger als einen halben Ton ; die T\u00f6ne b und es sind nat\u00fcrliche Septimen von c und /. Unter den Notenlinien sind die Zahlenverh\u00e4ltnisse der dar\u00fcber stehenden Intervalle angegeben, die Differenz der beiden Zahlen giebt die Schwingungszahl des betreffenden Combinationstones.\n\"Wir finden zun\u00e4chst, dass die Gombinationst\u00f6ne der Octave, Quinte, Duodecime, Quarte und grossen Terz nurOctaven-verdoppelungen eines der prim\u00e4ren T\u00f6ne sind, also jedenfalls dem Accorde keinen neuen Ton hinzuf\u00fcgen. Die f\u00fcnf genannten Intervalle k\u00f6nnen also in allen Arten consonanter Accorde gebraucht werden, ohne dass eine St\u00f6rung durch ihre Gombinationst\u00f6ne entsteht. In dieser Beziehung steht also wirklich die grosse Terz in der Accordbildung der grossen Sexte und Decime voraus, obgleich sie von beiden letzteren im Wohlklange iibertcoffen wird.\nDie Doppeloctave bringt als Combinationston eine Quinte hinein. Wird also der Grundton des Accordes in der Doppeloctave verdoppelt, so st\u00f6rt dies den Accord nicht. Wohl aber w\u00fcrde eine St\u00f6rung eintreten, wenn die Terz oder Quinte des Accordes in der Doppeloctave verdoppelt w\u00fcrde.\nDann finden wir eine Reihe von Intervallen, welche sich durch ihren Combinationston zum Duraccorde erg\u00e4nzen, und deshalb im Duraccorde keine St\u00f6rung machen, wohl aber im Mollaccorde. Es sind dies die Undecime, kleine Terz, grosse Decime, grosse Sexte, kleine Sexte.\nDagegen passen die kleinen Decimen und die beiden Tre-decimen in keinen consonanten Accord hinein, ohne durch ihre Combinationst\u00f6ne zu st\u00f6ren.\nWenden wir nun diese Betrachtungen an auf die Construction zun\u00e4chst der dreistimmigen Accorde.","page":331},{"file":"p0332.txt","language":"de","ocr_de":"332\nZweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\n1. Dreistimmige Duraceorde.\nDuraccorde lassen sich so anordnen, dass die Combinations-t\u00f6ne ganz innerhalb des Accordes bleiben. Es giebt dies die vollkommen wohlklingenden Lagen der Accorde. Um sie zu finden, ber\u00fccksichtige man, dass keine kleinen Decimen und keine Tre-decimen Vorkommen d\u00fcrfen, dass also die kleinen Terzen und alle Sexten enge Lagen haben m\u00fcssen. Indem man erst die Terz, dann die Quinte, dann den Grundton zur Oberstimme macht, findet man folgende durch Combinationst\u00f6ne nicht gest\u00f6rte Lagen dieser Accorde, welche die Breite zweier Octaven nicht \u00fcberschreiten, und hier mit Angabe der Combinationst\u00f6ne in Viertelnoten folgen:\nVollkommenste Lagen der dreistimmigen Duracco r de.\nWenn die Terz oben liegt, darf die Quinte nicht tiefer unter ihr liegen als eine grosse Sexte, weil wir sonst eine Tredecime erhalten w\u00fcrden; der Grundto.n aber kann wechseln. Deshalb giebt es bei der Terz in der Oberstimme nur die beiden Lagen 1 und 2, welche ungest\u00f6rt sind. Wenn die Quinte oben liegt, muss die Terz unmittelbar unter ihr liegen, sonst erhalten wir eine kleine De-cime ; der Grundton kann wechseln. Endlich, wenn der Grundton oben liegt, darf die Terz nur in kleiner Sexte unter ihm liegen, die Quinte ist frei. Daraus ergiebt sich, dass es keine anderen Lagen des Duraccords giebt, welche frei von allen st\u00f6renden Com-binationst\u00f6nen sind, als die hier verzeichneten, unter denen wir die drei schon oben besprochenen engen Lagen 2, 4 und 6 wiederfinden, und drei neue weitere, n\u00e4mlich 1, 3 und 5. Von diesen neuen Lagen haben zwei, 1 und 3, den Grundton im Basse, wie der Stammaccord, und werden als weitere Lagen des letzteren","page":332},{"file":"p0333.txt","language":"de","ocr_de":"333\nUmlagerungen der Accorde.\nangesehen; eine hat die Quinte unten, n\u00e4mlich 5, wie der Quart-sextenaccord 2. Der Sextenaccord 6 erh\u00e4lt dagegen keine weitere Lage.\nDem Wohlklang der Intervalle nach ist die Reihenfolge jener Accorde etwa auch die oben gegebene. Die drei Intervalle der ersten, n\u00e4mlich Quinte, grosse Decime und grosse Sexte, sind die besten, die der letzten, n\u00e4mlich Quarte, kleine Terz und kleine Sexte, verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig die ung\u00fcnstigsten der hier vorkommenden Intervalle.\nDie \u00fcbrigen Lagen der dreistimmigen Duraccorde geben nun zwar einzelne unpassende Combinationst\u00f6ne und klingen auf rein gestimmten Instrumenten merklich rauher als die bisher betrachteten, aber sie werden dadurch noch nicht dissonant, sondern r\u00fccken nur in dieselbe Kategorie mit den Mollaccorden. Man erh\u00e4lt sie alle, soweit sie innerhalb des Umfanges von zwei Octaven liegen, wenn man die vorher verbotenen Umlagerungen macht. Es sind folgende, der Reihe nach aus 1 bis 6 erzeugt :\nUnvollkommenere Lagen der dreistimmigen Duraccorde.\n8\t9,\t10 il -\u00c6:\t12-g:\nWM\n\u25a0?**-\n\n\u2014dz\nMusiker werden sogleich \u00fcbersehen, dass dies die weniger gebrauchten Lagen der Duraccorde sind ; die Lagen 7 bis 10 bekommen durch ihren Combinationston b eine gewisse Aehnliclikeit mit dem Dominantseptimenaccorde der U-Durtonart c \u2014 e \u2014 g \u2014 b; am wenigsten angenehm sind die beiden letzten, 11 und 12, welche in der That merklich rauher klingen als die besseren Mollaccorde.\n2. Dreistimmige Mollaccorde.\nDie Mollaccorde lassen sich nie ganz frei von falschen Com-binationst\u00f6nen halten, weil man ihre Terz nie in eine Stellung","page":333},{"file":"p0334.txt","language":"de","ocr_de":"334 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt,\nzum Grundtone bringen kann, wo sie nicht einen f\u00fcr den Moll-accord unpassenden Combinationston hervorbringt. Soll dieser der einzige bleiben, so m\u00fcssen die beiden T\u00f6ne Es und G des C-Mollaccordes ihre engste Lage als grosse Terz behalten, weil sie in jeder anderen Lage einen zweiten unpassenden Combinationston hervorbringen w\u00fcrden. Die beiden T\u00f6ne C und G m\u00fcssen nur das Intervall der Undecime vermeiden, wo sie sich zum Dur-accorde vervollst\u00e4ndigen w\u00fcrden. Unter diesen Bedingungen sind nur drei Lagen des Mollaccordes m\u00f6glich, n\u00e4mlich folgende :\nDie \u00fcbrigen Lagen, welche weniger gut klingen, sind folgende :\nDie Lagen 4 bis 10 enthalten je zwei unpassende Combina-tionst\u00f6ne, deren einer nothwendig von den T\u00f6nen C und Es hervorgebracht wird, deren zweiter in 4 von der Undecime G\u2014C, in den \u00fcbrigen von der umgelegten grossen Terz Es\u2014G herr\u00fchrt. Die beiden letzten Lagen 11 und 12 klingen am schlechtesten, weil sie je drei falsche Combinationst\u00f6ne haben.\nDer Einfluss der Combinationst\u00f6ne giebt sich auch bei der","page":334},{"file":"p0335.txt","language":"de","ocr_de":"Umlagerungen der Accorde.\t335\nVergleichung der verschiedenen Lagen zu erkennen. So klingt die Lage 3 mit einer kleinen Decime und grossen Terz entschieden besser als die Lage 7 mit grosser Decime und grosser Sexte, obgleich die beiden letzteren Intervalle einzeln genommen besser klingen als die beiden ersten. Der schlechtere Klang des Accordes 7 wird also allein durch den zweiten unpassenden Combina-tionston verursacht.\n\u00ef Auch im Vergleiche mit den Duraccorden zeigt sich der Einfluss der schlechten Gombinationst\u00f6ne. W enn man die Mollaccorde 1 bis 3, von denen jeder nur einen schlechten Comhinationston hat, vergleicht mit den Duraccorden 11 und 12, die deren jeder zwei haben, so klingen in der That jene Mollaccorde angenehmer und weniger rauh als die genannten Duraccorde. Es ist also auch bei (fiesen beiden Klassen von Accorden nicht die grosse oder kleine Terz, noch das Tongeschlecht, welche \u00fcber den Wohlklang entscheiden, sondern es sind die Comhinationst\u00f6ne, die es thun.\nVierstimmige Accorde.\nEs ist leicht einzusehen, dass alle consonanten vierstimmigen Accorde immer wieder Duraccorde oder Mollaccorde s|^i werden, von denen ein Ton in der Octave verdoppelt ist. Denn jeder con-sonante vierstimmige Accord muss sich in einen consonanten dreistimmigen verwandeln, so oft wir einen seiner T\u00f6ne wegnehmen. Dies k\u00f6nnen wir in verschiedener Weise thun, indem wir nach einander verschiedene T\u00f6ne des vierstimmigen Accordes wegnehmen. Aus dem vierstimmigen Accorde C\u2014E\u2014 G\u2014-c zum Beispiel k\u00f6nnen wir folgende dreistimmige entnehmen:\nC\u2014E\u2014 G E\u2014G\u2014c C\u2014E\u2014c\tC\u2014G\u2014c\nS\u00e4mmtliche so entstandene dreistimmige consonante Accorde m\u00fcssen aber, wenn sie nicht schon verdoppelte Noten enthalten, entweder Duraccorde oder Mollaccorde sein,, da es keine anderen dreistimmigen consonanten Accorde giebt. Wenn wir aber einem Durdreiklange oder Molldreiklange wieder einen vierten Ton zusetzen wollen, so dass er sich in einen vierstimmigen consonanten Accord verwandelt, so kann das nur geschehen durch Verdoppelung eines seiner drei T\u00f6ne. Denn jeder solcher Accord enth\u00e4lt","page":335},{"file":"p0336.txt","language":"de","ocr_de":"336 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\nzwei T\u00f6ne, wir wollen sie C und G nennen, die zu einander im Verh\u00e4ltnisse einer einfachen oder umgelagerten Quinte stehen. Die einzigen T\u00f6ne aber, welche mit den T\u00f6nen C und G zu con-sonanten Accorden sich verbinden lassen, sind E und Es ; - andere existiren nicht. Da nun E und Es nicht zusammen in einem con-sonanten Accorde Vorkommen k\u00f6nnen, so kann jeder consouante vierstimmige oder auch mehrstimmige Accord, der C und G enth\u00e4lt, entweder , noch E enthalten, und Verdoppelungen dieser drei T\u00f6ne, oder er kann statt E den Ton Es und dessen Verdoppelungen enthalten.\nAlle drei- und mehrstimmigen consonantenAccorde sind also entweder Duraccorde oder Mollaccorde, und k\u00f6nnen aus den beiden Stammaccorden der Dur- und Molltonart abgeleitet werden durch Umlegung und Verdoppelung ihrer drei T\u00f6ne in Octaven.\nUm die vollkommen gut klingenden Lagen der vierstimmigen Duraccorde zu finden, haben wir wieder darauf zu sehen, dass keine kleinen Decimen und keine Tredecimen Vorkommen. Die Quinte darf sich also von der Terz des Accordes nach oben nicht weiter als eine kleine Terz, nach unten nicht weiter als eine Sexte entfernen, der Grundton nach oben nicht weiter als eine Sexte. Wenn diese Regeln erf\u00fcllt sind, so ist zugleich die andere oben erw\u00e4hnte Forderung erf\u00fcllt, dass Terz und Quinte nicht in der Doppelocrave verdoppelt werden d\u00fcrfen. Diese Regeln lassen sich kurz gefasst so aussprechen: Am wohlklingendsten1 sind diejenigen Duraccorde, in denen der Grundton nach oben, die Quinte nach oben und nach unten nicht \u00fcber eine Sexte von der Terz entfernt, sind. Nach unten dagegen kann der Grundton sich so weit entfernen als er will.\nMan findet die hierher geh\u00f6renden Lagen der Duraccorde, wenn man von den vollkommensten Lagen der dreistimmigen Accorde je zwei, welche zwei gemeinsame T\u00f6ne haben, zusammensetzt. Sie folgen hier:","page":336},{"file":"p0337.txt","language":"de","ocr_de":"Umlagerungen der Accorde.\n337\nVollkommenste Lagen der vierstimmigen Dur-accorde im Umfang zweier Octaven.\n1+2 1+3 1+4 1+5 2+4 2+5 2+6 3+4 3+6 4+6 5+6\nDie Ziffern unter den Notenreihen beziehen sich auf die oben angegebenen Lagen der dreistimmigen Duraccorde.\nMan sieht, dass die Sextenaccorde ganz eng liegen m\u00fcssen, wieNro. 7; die Quartsextenaccorde d\u00fcrfen nicht \u00fcber den Umfang einer Undecime hinausgehen, kommen aber in allen drei Lagen (5, 6 und 11) vor, welche innerhalb einer Undecime m\u00f6glich sind. Am freiesten sind die Accorde, welche den Grundton im Basse haben.\nEs wird nicht n\u00f6thig sein, die weniger gut klingenden Lagen der Duraccorde hier anzuf\u00fchren. Die Zahl der schlechten Com-binationst\u00f6ne kann nicht \u00fcber zwei steigen, wie sie in der Lage 11 der dreistimmigen Accorde enthalten sind. Es sind in den dreistimmigen (7-Dur\u00e4ccorden ja \u00fcberhaupt nur die beiden falschen Combinationst\u00f6ne b und /x enthalten.\nVierstimmige Mollaccorde m\u00fcssen, wie die entsprechenden dreistimmigen, nat\u00fcrlich immer mindestens einen falschen Combinationston haben. Es giebt aber nur eine einzige Lage des vierstimmigen Mollaccordes, welche nicht mehr als einen hat, n\u00e4mlich die in dem folgenden Notenbeispiel mit 1 bezeichnete, welche aus den Lagen 1 und 2 des dreistimmigen Mollaccordes zusammengesetzt ist. Die Zahl der falschen Combinationst\u00f6ne kann bis auf 4 steigen, wenn man zum Beispiel die Lagen 10 und 11 der dreistimmigen Accorde mit einander verbindet.\nIch lasse hier die Uebersicht der vierstimmigen Mollaccorde folgen, welche nicht \u00fcber zwei falsche Combinationst\u00f6ne haben, und innerhalb des Umfanges von zwei Octaven bleiben. Es sind nur die falschen Combinationst\u00f6ne in Viertelnoten angegeben; die, welche in den Accord passen, sind weggelassen.\nHelmholtz, phya. Theorie der Mnsik.\n22","page":337},{"file":"p0338.txt","language":"de","ocr_de":"338\nZweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\nBeste Lagen der vierstimmigen Mollaccorde.\n1+8\t1+7\t2+3\t2+6 2+7\t2+9\t3+8\t1+6\nDer Quartsextenaccord kommt nur in engster Lage vor, Nro. 5, der Sextenaccord in drei Lagen (9, 3 und 6), n\u00e4mlich in allen den Lagen, welche den Umfang einer Decime nicht \u00fcberschreiten, der Stammaccord drei Mal mit verdoppelter Octave (1, 2, 4), und zwei Mal mit verdoppelter Quinte (7 und 8).\nIn der bisherigen musikalischen Theorie ist wenig genug \u00fcber den Einfluss der Umlagerungen der Accorde auf ihren Wohlklang gesagt worden. Man giebt gew\u00f6hnlich die Regel, im Basse nicht die engeren Intervalle zu gebrauchen und die Intervalle ziemlich gleichm\u00e4ssig \u00fcber den Zwischenraum der \u00e4ussersten T\u00f6ne zu vertheilen, und auch diese Regeln erscheinen nicht als Consequenzen der gew\u00f6hnlich gegebenen theoretischen Ansichten und Gesetze, in denen ein consonantes Intervall gleichm\u00e4ssig consonant bleibt, in welchem Theile der Scala es auch liegen, wie es auch umgelagert und verbunden sein mag, sondern mehr als praktische Ausnahmen von den allgemeinen Regeln. Es blieb eben dem Musiker \u00fcberlassen, sich durch Uebung und Erfahrung von dem verschiedenartigen. Ein drucke der verschieden umgelagerten Accorde eine Anschauung zu verschaffen. Man wusste ihm dar\u00fcber keine Regel zu geben.\nIch habe den vorliegenden Gegenstand so weit ausgef\u00fchrt, wie es hier geschehen ist, um zu zeigen, dass wir durch die richtige Einsicht in den Grund der Consonanz und Dissonanz auch Regeln gewinnen k\u00f6nnen \u00fcber Verh\u00e4ltnisse, welche die bisherige Harmonielehre noch nicht in Regeln zu fassen wusste. Dass unsere hier aufgestellten Behauptungen aber mit der Praxis der besten Componisten \u00fcbereinstimmen, namentlich derjenigen, welche ihre","page":338},{"file":"p0339.txt","language":"de","ocr_de":"Umlagerungen der Accorde.\t339\nmusikalischen Studien noch haupts\u00e4chlich an der Vocalmusik gemacht haben, ehe die gr\u00f6ssere Ausbildung der Instrumentalmusik zur allgemeinen Einf\u00fchrung der temperirten Stimmung zwang, davon wird man sich bei der Durchsicht solcher Compositionen, welche den Eindruck vollkommensten Wohlklanges erstreben, leicht \u00fcberzeugen. Unter allen Componisten ist Mozart wohl derjenige, welcher f\u00fcr die Feinheiten der Technik den sichersten Instinct gehabt hat. Unter seinen Vocalcompositionen ist wegen seines wunderbaren reinen und weichen Wohlklanges besonders ber\u00fchmt sein Ave verum corpus. Sehen wir diesen kleinen Satz als eines der geeignetesten Beispiele f\u00fcr unseren Zweck durch, so finden wir in seinem ersten Abs\u00e4tze, der ungemein weich und s\u00fcss klingt, Duraccorde untermischt mit Septimenaccorden. Alle diese Duraccorde geh\u00f6ren den von uns als vollkommen wohlklingend bezeichneten Accorden an. Am meisten kommt die Lage 2 vor, demn\u00e4chst 8, 10, 1 und 9. Erst in der Schlussmodulation dieses ersten Absatzes kommen zwei Mollaccorde und ein Duraccord in ung\u00fcnstiger Lage vor. Im Vergleich damit ist es nun sehr auffallend, wie im zweiten Abs\u00e4tze desselben St\u00fccks, dessen Ausdruck mehr verschleiert, sehns\u00fcchtig und mystisch ist, und dessen Modulation sich durch k\u00fchnere Ueberg\u00e4nge und h\u00e4rtere Dissonanzen hindurcharbeitet, viel mehr Mollaccorde Vorkommen, und diese sowohl wie die eingestreuten Duraccorde \u00fcberwiegend in ung\u00fcnstige Lagen gebracht sind, bis im Schlussaccord wieder der volle Wohlklang erscheint.\nGanz \u00e4hnliche Beobachtungen kann man machen an den Chors\u00e4tzen des Palaestrina und seiner Zeitgenossen und Nachfolger, so weit dieselben einen einfach harmonischen Bau ohne verwickelte Polyphonie haben. Es wurde bei der Umformung der r\u00f6mischen Kirchenmusik, welche Palaestrina auszuf\u00fchren hatte, der haupts\u00e4chlichste Nachdruck auf den Wohlklang, im Gegensatz gegen die herbe und schwer verst\u00e4ndliche Polyphonie der \u00e4lteren niederl\u00e4ndischen Weise gelegt, und in der That hat Palaestrina und seine Schule diese Aufgabe in der vollendetesten Weise gel\u00f6st. Man findet auch hier eine fast ununterbrochene Folge con-sonanter Accorde mit sparsam eingestreuten Septimen oder dissonanten Durchgangsnoten. Auch hier bestehen die consonanten Accorde ganz oder fast ausschliesslich aus denjenigen Dur- und Mollaccorden, welche wir als die wohlklingenderen bezeichnet haben. Nur in den Schlusscadenzen der einzelnen Abs\u00e4tze finden\n22*","page":339},{"file":"p0340.txt","language":"de","ocr_de":"340 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\nsich dagegen mit st\u00e4rkeren und geh\u00e4ufteren Dissonanzen gemischt \u00fcberwiegend die ung\u00fcnstigeren Lagen der Dur- und Moll-accorde, so dass der Ausdruck in der Harmonie, den die neuere Musik durch verschiedenartige dissonante Accorde, namentlich die reichliche Einmischung der Septimenaccorde erreicht, in der Schule von Palaestrina durch die viel zarteren Schatti-rungen der verschieden umgelagerten consonanten Accorde gewonnen wird. Dadurch erkl\u00e4rt sich der doch mit tiefem und zartem Ausdruck verbundene Wohlklang dieser Compositionen, welche wie Gesang von Engeln klingen, deren Herz durch irdischen Schmerz zwar bewegt, aber nicht in seiner himmlischen Heiterkeit getr\u00fcbt wird. Nat\u00fcrlich fordern solche Tons\u00e4tze sowohl vom S\u00e4nger wie vom H\u00f6rer ein feines Ohr, damit die feinen Abstufungen des Ausdrucks zu ihrem Rechte kommen, da wir durch die moderne Musik an kr\u00e4ftigere und drastischere Ausdrucksmittel gew\u00f6hnt sind.\nVon vierstimmigen D\u00fcraccorden finde ich in Palaestrina\u2019s Stabat mater \u00fcberwiegend gebraucht die Lagen 1, 10, 8, 5, 3, 2? 4, 9, von Mollaccorden die Lagen 9, 2, 4, 8, 3, 5, 1. Bei den Dur-accorden k\u00f6nnte man vielleicht noch glauben, dass ihn irgend eine theoretische Regel geleitet habe, die schlechten Intervalle der kleinen Decime oder der Tredecimen zu vermeiden. Aber f\u00fcr die Mollaccorde w\u00fcrde eine solche Regel ganz und gar nicht passen. Da man damals von den Combinationst\u00f6nen noch nichts wusste, m\u00fcssen wir schliessen, dass ihn nur sein feines Ohr geleitet hat, und dass sein Ohr in genauer Uebereinstimmung mit den von uns theoretisch abgeleiteten Regeln geurtheilt hat.\nDie angef\u00fchrten Autorit\u00e4ten m\u00f6gen vor den Musikern die Richtigkeit meiner Eintheilung der consonanten Accorde nach' ihrem Wohlklange rechtfertigen. Uebrigens kann man sich auch jeden Augenblick von ihrer Richtigkeit an jedem nach reinen Intervallen gestimmten Instrumente \u00fcberzeugen. Bei der jetzt gew\u00f6hnlichen Stimmung in temperirten Intervallen werden allerdings die feineren Unterschiede etwas verwischt, ohne dass sie jedoch ganz verschwinden.\nIndem wir hiermit denjenigen Theil der Untersuchungen abgeschlossen haben, welcher auf rein naturwissenschaftlichen Prin-cipien beruht, ward es rathsam sein, einen R\u00fcckblick auf den","page":340},{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"R\u00fcckblick.\n341\nzur\u00fcckgelegten Weg zu werfen, um zu \u00fcbersehen, was wir gewonnen haben, und in welchem Verh\u00e4ltniss unsere Ergebnisse zu den Ansichten \u00e4lterer Theoretiker stehen. Wir sind ausgegangen von den akustischen Ph\u00e4nomenen der Obert\u00f6ne, der Combinationst\u00f6ne und der Schwebungen. Diese Ph\u00e4nomene waren l\u00e4ngst bekannt, sowohl den Musikern wie den Akustikern; auch die Gesetze, nach denen sie zu Stande kommen, waren in ihren wesentlichen Z\u00fcgen richtig erkannt und aufgestellt worden. Es war f\u00fcr uns nur n\u00f6-thig, diese Erscheinungen weiter in das Einzelne zu verfolgen, als es bisher geschehen war. Es ist uns gelungen, Methoden f\u00fcr die Beobachtung der Obert\u00f6ne aufzufinden, welche das bisher so schwierige Gesch\u00e4ft verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig leicht machen, und mit H\u00fclfe dieser Methoden haben wir uns bem\u00fcht, zu zeigen, dass mit wenigen Ausnahmen die Kl\u00e4nge aller musikalischen Instrumente von Obert\u00f6nen begleitet sind, dass namentlich diejenigen Klangfarben, welche f\u00fcr musikalische Zwecke besonders g\u00fcnstig sind, wenigstens eine Reihe der niederen Obert\u00f6ne in ziemlich grosser St\u00e4rke besitzen, w\u00e4hrend die einfachen T\u00f6ne, wie die der gedackten Orgelpfeifen, eine sehr wenig befriedigende musikalische Wirkung machen. Dagegen fanden wir, dass bei den besseren musikalischen Klangfarben die hohen Partialt\u00f6ne- etwa vom siebenten ab schwach sein m\u00fcssen, weil sonst die Klangfarbe und namentlich jeder Zusammenklang zu scharf wird. In Bezug auf die Schwebungen war es unsere Aufgabe, namentlich nachzuw'eisen, was aus den Schwebungen wird, wenn man sie schneller und schneller werden l\u00e4sst. Wir fanden, dass sie dann in die der Dissonanz eigenth\u00fcmliche Rauhigkeit \u00fcbergehen; es l\u00e4sst sich dieser IJeber-gang ganz allm\u00e4lig bewirken, in allen seinen Stadien beobachten, und es ergiebt sich dabei selbst der einfachsten sinnlichen Beobachtung leicht und klar, dass das Wesen der Dissonanz eben nur auf sehr schnellen Schwebungen beruht. Diese sind f\u00fcr den Geh\u00f6rnerven rauh und unangenehm, weil jede intermittirendeErregung unsere Nervenapparate heftiger angreift, als eine gleiclim\u00e4ssig andauernde. Dazu gesellt sich vielleicht noch ein psychologisches Motiv, indem wir durch die einzelnen Tonst\u00f6sse eines dissonanten Zusammenklanges allerdings den Eindruck getrennter Tonst\u00f6sse, wie durch langsamere Schwebungen, erhalten, jedoch ohne sie noch einzeln als getrennt erkennen und z\u00e4hlen zu k\u00f6nnen; sie bilden deshalb eine wirre Tonmasse, die wir nicht in ihre einzelnen Elemente klar zerlegen k\u00f6nnen. In dem Rauhen und in dem Wirren","page":341},{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"342 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\ndgr Dissonanz glauben wir den Grund ihrer Unannehmlichkeit zu erkennen. Wir k\u00f6nnen den Sinn dieses Unterschiedes kurz so bezeichnen: Consonanz ist eine continuirliche, Dissonanz eine intermittirende Tonempfindung. Zwei cori-sonirende T\u00f6ne fliessen in ruhigem Flusse neben einander ab, ohne sich gegenseitig zu st\u00f6ren, dissonirende zerschneiden sich in eine Reihe einzelner Tonst\u00f6sse. Es entspricht diese unsere Beschreibung der Sache vollkommen der alten Definition des Euklide s: \u201eConsonanz ist die Mischung zweier T\u00f6ne, eines h\u00f6heren und eines tieferen. Dissonanz aber ist im Gegentheil die Unf\u00e4higkeit zweier T\u00f6ne, sich zu mischen, dass sie f\u00fcr das Geh\u00f6r rauh werden\u201c *).\t-\nNachdem dieses Princip einmal gefunden war, blieb weiter nichts zu thun \u00fcbrig, als zu untersuchen, in welchen F\u00e4llen und wie stark Schwebungen bei den verschiedenen m\u00f6glichen Zusammenkl\u00e4ngen theils durch die Partialt\u00f6ne, theils durch die Combi-nationst\u00f6ne verschiedener Ordnung entstehen m\u00fcssen. Diese Untersuchung war bisher eigentlich nur vonScheibler f\u00fcr dieCom-binationst\u00f6ne je zweier einfacher T\u00f6ne durchgef\u00fchrt worden ; die bekannten Gesetze der Schwebungen machten es m\u00f6glich, sie auch ohne Schwierigkeit f\u00fcr die zusammengesetzten Kl\u00e4nge durchzuf\u00fchren. Jede Folgerung der Theorie auf diesem Gebiete kann jeden Augenblick durch eine richtig angestellte Beobachtung bewahrheitet werden, namentlich wenn man sich die Analyse der Klangmasse durch Anwendung der Resonatoren erleichtert. Alle diese Schwebungen der Obert\u00f6ne und Combinationst\u00f6ne, von denen wir in den letzten Abschnitten so viel gesprochen haben, sind nicht Erfindungen leerer theoretischer Speculationen, sie sind vielmehr Thatsachen der Beobachtung, und k\u00f6nnen von jedem ge\u00fcbten Beobachter bei richtiger Anstellung des Versuchs ohne Schwierigkeit wirklich wahrgenommen werden. DieKenntniss des akustischen Gesetzes erleichtert es uns, die Erscheinungen, um die es sich handelt, schneller und sicherer aufzufinden. Aber alle die Behauptungen, auf die wir gefusst haben, um die Lehre von den Consonanzen und Dissonanzen so hinzustellen, wie sie in den letzten Abschnitten gegeben ist, begr\u00fcnden sich ganz allein auf eine\n*) Euclides, ed. Meibomius, p. 8: \u201cEaxt Ss avfxtpuvia fiiv x\u00e7aax\u00e7 Svo q>&byytav, oSjvtipou xal \u00dfaQvrsQov. jMtpmvla Si xovvavxiov Svo rpd-cy-yuiv\t, fxrj otioy xt x\u00e7a&ijvcu, \u00e2AA\u00e0 x\u00e7a/vy&rjyax zt]V axofjy.","page":342},{"file":"p0343.txt","language":"de","ocr_de":"R\u00fcckblick.\t-348\nsorgf\u00e4ltige Analyse der Geh\u00f6rempfindungen, welche Analyse durch jedes ge\u00fcbte Ohr ohne alle Hilfe der Theorie h\u00e4tte ausgef\u00fchrt werden k\u00f6nnen, die aber allerdings am Leitfaden der Theorie und durch die Hilfe zweckm\u00e4ssiger Beobachtungsmittel ausserordentlich viel leichter geworden ist, als sie sonst gewesen w\u00e4re.\nNamentlich bitte ich den Leser, auch zu bemerken, dass die Hypothese \u00fcber das Mitschwingen der Corti\u2019schen Organe des Ohres mit der Erkl\u00e4rung der Consonanz und Dissonanz gar nichts unmittelbar zu thun hat. Letztere gr\u00fcndet sich allein auf That-sachen der Beobachtung, auf die Schwebungen der Partialt\u00f6ne und die Schwebungen der Combinationst\u00f6ne. Doch glaubte ich die genannte Hypothese, welche wir nat\u00fcrlich nicht aufh\u00f6ren d\u00fcrfen als solche zu betrachten, nicht unterdr\u00fccken zu m\u00fcssen, weil sie alle die verschiedenen akustischen Ph\u00e4nomene, mit denen wir es zu thun hatten, unter einem Gesichtspunkt zusammenfasst, und f\u00fcr sie alle zusammen eine klar verst\u00e4ndliche und anschauliche Erkl\u00e4rung giebt.\nDie letzten Abschnitte haben gezeigt, dass die richtig und sorgf\u00e4ltig angestellte Analyse der Klangmasse unter Benutzung der angef\u00fchrten Principien genau zu denselben Unterschieden con-sonanter und dissonanter Intervalle und Accorde f\u00fchrt, wie sie von der bisherigen musikalischen Harmonielehre aufgestellt worden sind. Wir haben sogar gezeigt, dass unsere Untersuchungen noch speciellere Auskunft \u00fcber einzelne Intervalle und Accord-formen geben, als es die allgemeinen Regeln der bisherigen Harmonielehre zu thun im Stande waren, und sowohl die Beobachtung an rein gestimmten Instrumenten, als das Beispiel der besten Componisten best\u00e4tigte unsere Folgerungen in dieser Beziehung.\nSomit stehe ich nicht an zu behaupten, dass in den vorliegenden Untersuchungen die wahre und ausreichende Ursache des con-sonanten und dissonanten Verhaltens der musikalischen Kl\u00e4nge dargelegt worden sei, gegr\u00fcndet auf eine genauere Analyse der Tonempfindungen und auf rein naturwissenschaftliche, nicht aut \u00e4sthetische Principien.\nEin Punkt k\u00f6nnte den Musiker vielleicht bedenklich machen. Wir haben gefunden, dass von den vollkommensten Consonanzen zu den entschiedenen Dissonanzen hin eine continuirliche Reihe von Stufen existirt, von Zusammenkl\u00e4ngen, die immer rauher und rauher werden, so dass hiernach keine scharfe Trennung der Consonanzen und Dissonanzen bestehen w\u00fcrde, und es ziemlich willk\u00fcr-","page":343},{"file":"p0344.txt","language":"de","ocr_de":"344 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\nlieh erscheint, wo wir die Grenze zwischen ihnen zu ziehen geneigt sind. Die Musiker machen dagegen eine scharfe Trennung zwischen Consonanzen und Dissonanzen, und lassen keine Zwischenglieder zwischen ihnen zu, wie dies auch Hauptmann als einen Hauptgrund gegen jede Ableitung der Theorie der Consonanz aus den rationellen Zahlenverh\u00e4ltnissen hervorhebt *).\nln der That haben wir schon oben bemerkt, dass die Zusammenkl\u00e4nge der nat\u00fcrlichen Septime 4:7 und der verminderten Decime 3:7 in vielen Klangfarben mindestens ebenso gut klingen, wie die kleine Sexte 5:8, und dass das letztere Intervall 3:7 sogar meistens besser klingt, als die ziemlich unvollkommene Consonanz der kleinen Decime 5 :12. Aber wir haben schon einen f\u00fcr die musikalische Praxis sehr wichtigen Umstand angef\u00fchrt, durch welchen die kleine Sexte vor den mit der Zahl 7 gebildeten Intervallen einen Vorzug hat. Die kleine Sexte giebt n\u00e4mlich durch ihre Umkehrung ein besseres Intervall, die grosse Terz, und ihre Bedeutung als Consonanz im heutigen Musiksysteme hat sie besonders durch diese ihre Beziehung zur grossen Terz; sie ist wesentlich nothwendig und berechtigt nur, weil sie Umkehrung der grossen Terz ist. Die durch die Zahl 7 gebildeten Intervalle dagegen geben durch ihre Umkehrungen und Umlagerungen nur schlechtere Intervalle, als sie selbst sind. Das Bed\u00fcrfniss der Harmonik, die Stimmen nach Belieben umlegen zu d\u00fcrfen, w\u00fcrde also schon ein Motiv abgeben k\u00f6nnen, zwischen der kleinen Sexte einerseits und den durch die Zahl7 bestimmten Intervallen andererseits die Grenze zu ziehen. Entscheidend f\u00fcr diese Grenze ist \u00fcbrigens, wie ich glaube, erst die Construction der Tonleiter, auf' die wir in der n\u00e4chsten Abtheilung eingehen werden. Die Tonleiter der modernen Musik kann die durch die Zahl 7 bestimmten T\u00f6ne nicht in sich aufnehmen. In der musikalischen Harmonik kann es sich aber nur um Zusammenkl\u00e4nge zwischen T\u00f6nen der Tonleiter handeln. Intervalle, welche durch die Zahl 5 charakte-risirt sind, n\u00e4mlich die Terzen und Sexten, sind in der Tonleiter vorhanden, ferner kommen in ihr solche vor, welche durch die Zahl 9 charakterisirt sind, wie die grosse Secunde 8:9, zwischen beiden fallen aber aus die durch die Zahl 7 charakterisirten Intervalle, welche deii\u00fcebergang zwischen beiden bilden sollten. Hier bleibt also eine wirkliche L\u00fccke in der Reihe der nach ihrem Wohlklange\n*) Harmonik und Metrik, 8. 4.","page":344},{"file":"p0345.txt","language":"de","ocr_de":"R\u00fcckblick.\t345\ngeordneten Zusammenkl\u00e4nge, und diese L\u00fccke bestimmt dann auch die Grenze zwischen Consonanzen und Dissonanzen.\nEs sind also Gr\u00fcnde, die nicht in der Natur der Intervalle selbst, sondern die in der Construction des ganzen Tonsystems liegen, welche hier die Entscheidung geben. Dies best\u00e4tigt sich auch namentlich durch das historische Factum, dass in der That die Grenze zwischen consonanten und dissonanten Intervallen nicht immer dieselbe gewesen ist. Es ist schon oben erw\u00e4hnt worden, dass die Griechen die Terzen durchaus immer als dissonant bezeichnet haben, und wenn auch fr\u00fcher die nach Quintencyclen gestimmte Pythagor\u00e4ische Terz 64:81 keine Consonanz war, so haben sie doch in sp\u00e4terer Zeit in ihrem sogenannten syntonisch diatonischen Geschlecht nach Didymus und Ptolem\u00e4us die nat\u00fcrliche grosse Terz 4:5 gehabt, ohne sie als Consonanz anzuerkennen. Es ist schon oben angef\u00fchrt, wie man im Mittelalter erst die Terzen, sp\u00e4ter die Sexten als unvollkommene Consonanzen anerkannte, wie man lange die Terzen aus den Schlussaccor-den ganz fortliess, sp\u00e4ter die grosse, und ganz zuletzt erst die kleine Terz zuliess. Es ist unrichtig, wenn neuere musikalische Theoretiker darin nur eine Bizarrerie und Unnatur zu sehen glauben, oder meinen, die \u00e4lteren Tonsetzer h\u00e4tten sich durch blinden Glauben an die Autorit\u00e4t der Griechen fesseln lassen. Das letztere ist bei den Schriftstellern \u00fcber musikalische Theorie bis zum sechzehnten Jahrhundert hin allerdings einigermassen der Fall gewesen. Aber zwischen den Tonsetzern und den musikalischen Theoretikern m\u00fcssen wir einen Unterschied machen. Weder die Griechen, noch die grossen Tonsetzer des sechzehnten und siebenzehnten Jahrhunderts sind die Leute danach gewesen, um sich durch eine Theorie binden zu lassen, der ihre Ohren widersprochen h\u00e4tten. Der Grund dieser Abweichungen liegt vielmehr in der Verschiedenheit der Tonartensysteme alter und neuer Zeit, die .wir in der n\u00e4chsten Abtheilung n\u00e4her kennen lernen werden. Es wird sich dort zeigen, dass unser modernes System wesentlich unter dem Einfl\u00fcsse der allgemein gewordenen Anwendung harmonischer Zusammenkl\u00e4nge die Gestalt gewonnen hat, in der wir es jetzt besitzen. In diesem Systeme erst ist eine vollst\u00e4ndige Ber\u00fccksichtigung aller Anforderungen des Harmoniegewebes erreicht worden, und bei der festgeschlossenen Consequenz dieses Syst\u00e8mes d\u00fcrfen wir uns nicht nur manche Freiheiten im Gebrauche der unvollkommeneren Consonanzen und der Dissonan-","page":345},{"file":"p0346.txt","language":"de","ocr_de":"346 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\nzen erlauben, welche die \u00e4lteren Systeme vermeiden mussten, sondern die Consequenz des modernen Systems fordert sogar oft, namentlich in den Schlusscadenzen, die Anwesenheit der Terzen zur sicheren Unterscheidung des Dur und Moll, wo sie fr\u00fcher umgangen wurde.\nDa somit die Grenze zwischen Consonanzen und Dissonanzen sich wirklich ver\u00e4ndert hat mit der Ver\u00e4nderung der Tonsysteme, so ist dadurch auch bewiesen, dass der Grund, welcher bestimmt, wo diese Grenze zu ziehen sei, nicht in den Intervallen und ihrem Wohlklange selbst, sondern in der ganzen Construction des Tonsystems zu suchen sei.\nDie L\u00f6sung des R\u00e4thsels, welches vor 2500 Jahren Pythagoras der nach den Gr\u00fcnden der Dinge forschenden Wissenschaft aufgegeben hat betreffs der Beziehung der Consonanzen zu den Verh\u00e4ltnissen der kleinen ganzen Zahlen, hat sich nun darin ergeben, dass das Ohr die zusammengesetzten Kl\u00e4nge nach den Gesetzen des Mitschwingens in pendelartige Schwingungen aufl\u00f6st. Dies geschieht aber, mathematisch ausgedr\u00fcckt, nach dem von Fourier aufgestellten Gesetze, welches lehrt, wie eine jede beliebig beschaffene periodisch ver\u00e4nderliche Gr\u00f6sse auszudr\u00fccken sei durch eine Summe einfachster periodischer Gr\u00f6ssen*). Die L\u00e4nge der Perioden der einfach periodischen Glieder dieser Summe muss genau so gross sein, dass entweder eine, oder zwei, oder drei, oder vier u. s. w. ihrer Perioden gleich sind der Periode der gegebenen Gr\u00f6sse, was auf die T\u00f6ne \u00fcbertragen bedeutet, dass die Schwingungszahl der Obert\u00f6ne beziehlich genau zwei, drei, vier u. s. w. Mal so gross sein muss, als die des Grundtons. Dies sind nun die ganzen Zahlen, welche das Verh\u00e4ltniss der Consonanzen bestimmen. Denn, wie wir gesehen haben, besteht die Bedingung f\u00fcr die Consonanz darin, dass zwei von den niederen Partialt\u00f6nen der zusammenklingenden Noten gleich hoch sind; sonst giebt es st\u00f6rende Schwebungen. In letzter Instanz ist also der Grund der von Pythagoras aufgefundenen rationellen Verh\u00e4ltnisse in dem Satze von Fourier zu finden, und in gewissem Sinne ist dieser Satz als die Urquelle des Generalbasses zu betrachten.\nDas Verh\u00e4ltniss der ganzen Zahlen zu den Consonanzen ist im Alterthum, im Mittelalter und namentlich bei den orientalischen V\u00f6lkern die Grundlage ausschweifender phantastischer Speculatio-\n*) N\u00e4mlich Sinus und Cosinus der variablen Gr\u00f6sse.","page":346},{"file":"p0347.txt","language":"de","ocr_de":"R\u00fcckblick.\t347\nnen gewesen. \u201eAlles ist Zahl und Harmonie\u201c, war der charakteristische Hauptsatz der pythagor\u00e4ischen Lehre. Dieselben Zahlenverh\u00e4ltnisse, welche zwischen den sieben T\u00f6nen der diatonischen Leiter bestanden, glaubte man in den Abst\u00e4nden derWeltk\u00f6rper von dem Centralfeuer wiederzufinden. Daher die Harmonie der Sph\u00e4ren, welche Pythagoras allein unter allen Menschen, wie seine Sch\u00fcler behaupteten,/ geh\u00f6rt haben sollte. Ziemlich ebensoweit in ur\u00e4lteste Zeit reichen dieZahlenspeculationen der Chinesen zur\u00fcck. In dem Buche des Ts o-kiu-ming, eines Freundes desKonfucius (500 v. Chr.), werden die 5 T\u00f6ne der alten chinesischen Scala mit den f\u00fcnf Elementen ihrer Naturphilosophie (Wasser, Feuer, Holz, Metall und Erde) verglichen. Die ganzen Zahlen 1, 2, 3 und 4 werden als der Quell aller Vollkommenheit beschrieben. Sp\u00e4ter setzte man die 12 Halbt\u00f6ne der Octave in Beziehung zu den 12 Monaten des Jahres u. s. w. Aehnliche Beziehungen der T\u00f6ne zu den Elementen, den Temperamenten, den Sternbildern finden sich auch in bunter Menge bei den musikalischen Schriftstellern der Araber. Die Harmonie der Sph\u00e4ren spielt durch das ganze Mittelalter eine grosse Rolle, beim Athanasius Kircher musicirt nicht nur der Makrokosmus, sondern auch der Mikrokosmus, und selbst ein Mann von tiefstem wissenschaftlichen Geiste, wie Kepp-ler, konnte sich von dieser Art von Vorstellungen nicht ganz frei machen, ja noch in allerneuester Zeit erg\u00f6tzen sich daran einzelne naturphilosophische Gem\u00fcther, denen Phantasiren bequemer ist, als wissenschaftliche Arbeit.\nIn ernsterer und mehr wissenschaftlicher Art hat der ber\u00fchmte Mathematiker L; Euler*) die Beziehungen der Consonanzen zu den ganzen Zahlen auf psychologische Betrachtungen zu begr\u00fcnden gesucht, und die von ihm aufgestellte Ansicht kann wohl als diejenige betrachtet werden, welche w\u00e4hrend des verflossenen letzten Jahrhunderts den wissenschaftlichen Forschern am meisten zuzusagen, wenn auch vielleicht nicht zu gen\u00fcgen schien. Euler **) beginnt damit, auseinanderzusetzen, dass uns alles das gefalle, in welchem wir eine gewisse Vollkommenheit entdecken. Die Vollkommenheit eines Dinges sei aber dadurch bestimmt, dass alles an ihm auf die Erreichung seines Entzweckes hinarbeite. Daraus folgt, dass, wo Vollkommenheit sich finde, auch Ordnung sein m\u00fcsse; denn Ord-\n*) Tentamen novae theoriae Musicae, Petropoli, 1739.\n**) 1. o. Cap. H, \u00a7. 7.","page":347},{"file":"p0348.txt","language":"de","ocr_de":"348 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\nnung bestehe darin, dass alle Theile nach einer Regel angeordnet seien, aus welcher erkannt werden k\u00f6nne, warum jeder Theil lieber an den Platz, wo er sich befindet, als an irgend einen andern gestellt worden sei. In einem mit Vollkommenheit ausgestatteten Gegenst\u00e4nde bestimme sich aber eine solche Regel der Anordnung durch den alle Theile beherrschenden Endzweck. Deshalb gefalle uns Ordnung mehr als Unordnung. Ordnung k\u00f6nnten wir aber auf zweiei'lei Weise wahrnehmen, entweder wenn wir das Gesetz schon kennen, aus welchem die Regel der Anordnung abgeleitet ist, indem wir di\u00e8 Folgerungen aus dem Gesetze mit der wahrgenommenen Anordnung vergleichen, oder zweitens, wenn wir das Gesetz der Anordnung vorher nicht kennen, indem wir es aus der vorhandenen Anordnung der Theile r\u00fcckw\u00e4rts zu erschlossen suchen. Der letztere Fall ist derjenige, mit dem wir es in der Musik zu thun haben. Eine Zusammenstellung von T\u00f6nen werde uns gefallen , wenn wir das Gesetz ihrer Anordnung auffinden k\u00f6nnen. Dabei k\u00f6nne es wohl Vorkommen, dass der eine H\u00f6rer es zu finden wisse, der andere nicht, und beide deshalb verschieden ur-theilten.\nJe leichter wir nun die Ordnung wahrnehmen, welche in dem betreffenden Objecte wohnt, desto einfacher und vollkommener werden wir sie finden, und desto leichter und freudiger sie anerkennen. Eine Ordnung aber, deren Wahrnehmung uns M\u00fche macht, wird uns zwar auch gefallen, aber mit einem gewissen Gef\u00fchl der M\u00fche und Niedergeschlagenheit (tristitia).\nIn den T\u00f6nen seien es nun zwei Dinge, an denen Ordnung zum Vorschein kommen k\u00f6nne, n\u00e4mlich die Tonh\u00f6he und die Dauer. Die Ordnung der Tonh\u00f6he zeige sich in den Intervallen, die der Dauer im Rhythmus. Zwar w\u00fcrde auch noch eine Ordnung der Tonst\u00e4rke m\u00f6glich sein, aber f\u00fcr diese fehlte es uns an einem Maasse. Wie nun im Rhythmus zwei oder drei oder vier gleiche Noten der einen Stimme auf eine, zwei oder drei Noten der anderen Stimme fallen k\u00f6nnen, wobei wir die Regelm\u00e4ssigkeit einer solchen Anordnung leicht bemerken, besonders wenn sich dieselbe oft hintereinander wiederholt, und uns eine solche Ordnung gef\u00e4llt, so gefiele es uns auch besser, wenn wir bemerkten, dass zwei, drei oder vier Schwingungen eines Tones auf eine, zwei oder drei eines anderen k\u00e4men, als wenn das Verh\u00e4ltniss der Schwingungszeiten irrational oder nur durch grosse Zahlen darstellbar sei. Daraus folgt denn, dass der Zusammenklang zweier T\u00f6ne uns","page":348},{"file":"p0349.txt","language":"de","ocr_de":"R\u00fcckblick,\t349\ndesto mehr gefalle, durch je kleinere ganze Zahlen ihr Schwin-gungsverh\u00e4ltniss ausgedr\u00fcckt werden k\u00f6nne. Euler bemerkt auch, dass wir hei den h\u00f6heren T\u00f6nen complicirtere Schwingungsverh\u00e4ltnisse, also unvollkommenere Consonanzen, leichter ertragen k\u00f6nnten, als bei den tieferen, weil sich bei jenen die Gruppen gleichgeordneter Schwingungen in gleicher Zeit h\u00e4ufiger wiederholten, als bei letzteren, und wir deshalb die Regelm\u00e4ssigkeit auch einer verwickelteren Anordnung leichter erkennen k\u00f6nnten.\nEuler entwickelt darauf eine arithmetische Regel, nach welcher die Stufe des Wohlklanges f\u00fcr ein Intervall oder einen Accord aus den die Intervalle charakterisirenden Schwingungsverh\u00e4ltnissen berechnet werden kann. Der Einklang geh\u00f6rt in die erste Stufe, die Octave in die zweite, Duodecime und Dop pel -octave in die dritte, Quinte in die vierte, Quarte in die f\u00fcnfte, grosse Decime und Undecime in die sechste, grosse Sexte und grosseTerz in die siebente, kleine Sexte und kleine Terz in die achte, die nat\u00fcrliche Septime 4:7 in die neunte Stufe u. s. w. In die letztere Stufe geh\u00f6rt auch der Durdreiklang in seiner engstenLage, und alsQuartsextenaccord. Der Sexten-accord des Durdreiklangs dagegen kommt in die folgende zehnte Stufe zu stehen. Der Molldreiklang mit seinem Sextenaccorde steht ebenfalls in der neunten Stufe, sein Quartsextenaccord dagegen in der zehnten Stufe. In dieser Anordnung stimmen die Consequenzen des Euler\u2019sehen Systems mit unseren Resultaten ziemlich gut \u00fcberein, nur in der Stellung der Duraccorde zu den Mollaccorden fehlt in seinem System der Einfluss der Combina-tionst\u00f6ne; es ist nur auf die Art der Intervalle R\u00fccksicht genommen. Deshalb erscheinen die beiden Stammaccorde hier als gleich wohlklingend, obgleich andererseits der Sextenaccord der Durtonart und der Quartsextenaccord der Molltonart zur\u00fcckstehen, wie bei uns *).\n*) Ich will das Princip, nach welchem Euler die Stufenzahlen von Intervallen und Accorden bestimmt, hierhersetzen, weil es in der That in seinen Consequenzen, soweit nicht Combinationst\u00f6ne in Betracht kommen, sich gut bew\u00e4hrt. Wenn p eine Primzahl ist, so setzt er die Stufenzahl derselben = p. Alle anderen Zahlen sind Producte von Primzahlen. Die Stufenzahl eines Products zweier Factoren a und b, deren Stufenzablen selbst beziehlich \u00ab und \u00df sind, ist = \u00ab -j- ^ \u2014 1. Handelt es sich darum, die Stufenzahl eines Accordes zu finden, der in kleinsten Zahlen ausgedr\u00fcckt gleich p : q : r : s u. s. w. gesetzt werden kann, so sucht Euler","page":349},{"file":"p0350.txt","language":"de","ocr_de":"350 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\nEuler hat diese Untersuchungen nicht nur auf einzelne Con-sonanzen und Accorde, sondern auch auf Folgen von solchen, auf die Construction der Tonleitern, die Modulationen angewendet, und es kommen viele \u00fcberraschende Specialit\u00e4ten vollkommen richtig heraus. Aber abgesehen davon, dass das Euler\u2019sche System die Erkl\u00e4rung der Thatsache schuldig bleibt, warum eine schwach verstimmte Consonanz nahezu ebenso gut klingt, wie eine reine, und schlechter als eine st\u00e4rker verstimmte, w\u00e4hrend doch die Zahlenverh\u00e4ltnisse gerade f\u00fcr eine schwach verstimmte Consonanz in der Regel am meisten complicirt sein werden, so liegt die Hauptschwierigkeit der Euler\u2019schen Ansicht darin, dass gar nicht gesagt wird, wie es die Seele denn mache, dass sie die Zahlenverh\u00e4ltnisse je zwei zusammenklingender T\u00f6ne wahrnehme. Wir m\u00fcssen bedenken, dass der nat\u00fcrliche Mensch sich kaum klar macht, dass der Ton auf Schwingungen beruhe. Daf\u00fcr ferner, dass die Schwingungszahlen verschieden sind, bei hohen T\u00f6nen gr\u00f6sser als bei kleinen, und dass sie bei bestimmten Intervallen bestimmte Verh\u00e4ltnisse haben, fehlt der unmittelbaren bewussten sinnlichen Wahrnehmung jedes Hilfsmittel der Erkennt-niss. Es kommen zwar mancherlei sinnliche Wahrnehmungen vor, wobei wir selbst nicht anzugeben wissen, wie wir es machen zu der betreffenden Erkenntniss zu gelangen, wenn wir zum Beispiel aus der Resonanz eines Raumes auf seine Gr\u00f6sse und Gestalt, aus den Gesichtsz\u00fcgen eines Menschen auf seinen Charakter schliessen. Aber in diesen F\u00e4llen haben wir eine lange Reihe von Erfahrungen \u00fcber die betreffenden Verh\u00e4ltnisse gemacht, aus denen wir durch Analogieschl\u00fcsse uns ein Urtheil ziehen, ohne dass wir die einzelnen Thatsachen uns deutlich zu vergegenw\u00e4rtigen wissen, auf denen das Urtheil beruht. Mit den Schwingungszahlen ist es aber ganz anders. Wer nicht physikalische Versuche anstellt, hat nie in seinem Leben Gelegenheit, etwas \u00fcber die Schwingungs-\ndie kleinste Zahl, welche sowohl p, als q, als r, als s u. s. w. als Factor enth\u00e4lt, deren Stufenzahl ist auch die Stufenzahl des Accordes. Also zum Beispiel die Stufenzahl von 2 ist 2 von 3 ist 3\nvon 4 =\t2\t.\t2\tist\t2\t-(- 2\t\u2014\t1=3\nvon 12=\t4\t.\t3\tist\t3\t-j- 3\t\u2014\t1\t= 5\nvon 60 =\t12\t.\t5\t=\t5\t-f 5\t\u2014\t1\t= 9.\nDie vom Duraccord 4 : 5 : 6 ist gleich\tder\tvon 60,\tweil\t60 durch 4, durch\n5 und durch 6 ohne Rest dividirt werden kann.","page":350},{"file":"p0351.txt","language":"de","ocr_de":"R\u00fcckblick.\t351\nzahlen oder \u00fcber ihre Verh\u00e4ltnisse zu erfahren. Und in diesem Falle bleibt doch die Mehrzahl der Menschen, welche sich \u00fcber Musik freuen, ihr Leben lang.\nAlso bliebe es jedenfalls noch \u00fcbrig, die Mittel nachzuweisen, durch welche in der Sinnesempfindung die Verh\u00e4ltnisse der Schwin-gungszahlen wahrnehmbar gemacht werden. Diese Mittel habe ich mich bem\u00fcht nachzuweisen, und in gewissem Sinne erg\u00e4nzen also die Resultate der vorliegenden Untersuchung, was an der von Euler noch mangelte. Aber es folgt aus den physiologischen Vorg\u00e4ngen, welche den Unterschied zwischen Consonanz und Dissonanz, oder nach Euler der geordneten und ungeordneten Tonverh\u00e4ltnisse, f\u00fchlbar machen, doch auch schliesslich ein wesentlicher Unterschied unserer Erkl\u00e4rungsweise von der Euler\u2019sehen. Nach der letzteren soll die Seele die rationalen Verh\u00e4ltnisse der Tonschwingungen als solche wahrnehmen, nach unserer nimmt sie nur eine physikalische Wirkung jener Verh\u00e4ltnisse wahr, die inter-mittirende oder continuirliche Empfindung des Geh\u00f6rnerven. Der Physiker weiss allerdings, dass die Empfindung einer Consonanz continuirlich ist, weil die Verh\u00e4ltnisse der Schwingungsz\u00e4hlen rationell sind, aber in das Bewusstsein des der Physik unkundigen H\u00f6rers eines Musikst\u00fccks tritt nichts davon ein, und auch dem Physiker wird durch seine bessere Einsicht von der Sache ein Accord nicht wohlklingender. Ganz anders ist es mit der Ordnung des Rhythmus. Dass auf eine ganze Note genau zwei halbe, oder drei Triolen, oder vier Viertel kommen, bemerkt jeder, der aufmerksam zuh\u00f6rt, auch ohne weiteren Unterricht. Das geordnete Verh\u00e4ltniss der Schwingungen zweier zusammenklingender T\u00f6ne dagegen \u00fcbt-zwar auf das Ohr eine besondere Wirkung aus, durch die es sich von allen ungeordneten (irrationalen) Verh\u00e4ltnissen unterscheidet, aber dieser Unterschied der Consonanz und Dissonanz beruht auf physikalischen Vorg\u00e4ngen, nicht auf psychologischen.\nN\u00e4her schon unserer Theorie kommen die Betrachtungen, welche Rameau und d\u2019Alembert* *) einerseits und Tartini**) andererseits \u00fcber den Grund der Consonanz angestellt haben. Letzterer gr\u00fcndete seine Theorie auf die Existenz der Combina-\n*) El\u00e9ments de Musique suivant les principes de M. Rameau par M. d\u2019Alembert. Lyon 1762.\n*) Trait\u00e9 de l\u2019Harmonie 1754.","page":351},{"file":"p0352.txt","language":"de","ocr_de":"352 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\ntionst\u00f6ne, die Erstgenannten auf die der Obert\u00f6ne. Man sieht, sie hatten die richtigen Angriffspunkte aufgesp\u00fcrt, aber die akustischen Kenntnisse des vorigen Jahrhunderts reichten noch nicht hin, gen\u00fcgende Consequenzen daraus zu ziehen. Tartini\u2019s Buch soll nach d\u2019Alembert\u2019s Aussage so dunkel und unklar geschrieben sein, dass er, wie auch andere gut unterrichtete Leute, es unm\u00f6g- -lieh fand, sich dar\u00fcber ein Urtheil zu bilden. Das Buch von d\u2019Alembert dagegen ist ausgezeichnet klar und musterhaft in der Darstellung, wie man es nur von einem so feinen und exacten Kopfe erwarteji darf, der zugleich zu den gr\u00f6ssten Physikern und Mathematikern seines Zeitalters zu rechnen ist. Eameau und d\u2019Alembert gehen von zwei Thatsachen aus, die sie als die Grundlagen ihres Systems betrachten. Die erste ist, dass man bei jedem t\u00f6nenden K\u00f6rper mit dem Grundtone (g\u00e9n\u00e9rateur) auch die Duodecime und n\u00e4chst h\u00f6here Terz als Obert\u00f6ne (harmoniques) h\u00f6re. Die zweite ist, dass Jedermann die Aehnlichkeit bemerke, die zwischen einem jeden Tone und seiner Octave stattfinde. Durch die erste Thatsache sei gezeigt, dass der Duraccord von allenAccorden der nat\u00fcrlichste sei,und durch die zweite, dass man die Quinte und Terz auch um beziehlich eine und zwei Octaven herabr\u00fccken d\u00fcrfe, ohne das Wesen des Accords zu ver\u00e4ndern, so dass man dadurch den Durdreiklang in seinen verschiedenen Umlagerungen erh\u00e4lt. Der Mollaccord entsteht dann, indem man drei T\u00f6ne sucht, welche alle drei denselben Oberton, n\u00e4mlich die Quinte des Accords, haben (C, Es und G lassen wirklich alle ein g mitklingen). Der Mollaccord sei deshalb zwar nicht ganz so vollkommen und nat\u00fcrlich, wie der Duraccord, aber doch auch durch die Natur vorgeschrieben.\nIn der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wo man unter den Uebeln eines verk\u00fcnstelten gesellschaftlichen Zustandes schwer zu leiden anfing, mochte es gen\u00fcgen, eine Sache als nat\u00fcrlich darzustellen, um dadurch auch zu beweisen, dass sie sch\u00f6n und w\u00fcnschenswerth sei, und auch gegenw\u00e4rtig werden wir nicht l\u00e4ug-nen wollen, dass bei der grossen Vollendung und Zweckm\u00e4ssigkeit s\u00e4mmtlicher organischer Einrichtungen des menschlichen K\u00f6rpers der Nachweis solcher in der Natur gegebenen Verh\u00e4ltnisse, wie sie Rameau zwischen den T\u00f6nen des Duraccordes aufgefunden hatte, alle Beachtung verdient, wenigstens als Anhaltspunkt f\u00fcr die weitere Forschung. Und in der That hatte auch Rameau, wie wir jetzt \u00fcbersehen k\u00f6nnen, vollkommen richtig","page":352},{"file":"p0353.txt","language":"de","ocr_de":"R\u00fcckblick.\t353\nvemuthet, dass von dieser Thatsache aus die Lehre der Harmonie zu begr\u00fcnden sei. Aber abgemacht war es damit freilich nicht. Denn in der Natur kommt Sch\u00f6nes und H\u00e4ssliches, Heilsames und Sch\u00e4dliches vor. Der blosse Nachweis, dass etwas nat\u00fcrlich sei, gen\u00fcgt also noch nicht es \u00e4sthetisch zu rechtfertigen. Ausserdem h\u00e4tte Rameau bei geschlagenen St\u00e4ben, Glocken, Membranen, angeblasenen Hohlr\u00e4umen noch mancherlei andere ganz dissonante Accorde h\u00f6ren k\u00f6nnen, als bei den Saiten und \u00fcbrigen Musikinstrumenten. Solche Accorde w\u00fcrde man doch auch f\u00fcr nat\u00fcrlich erkl\u00e4ren m\u00fcssen.\n' Zweitens ist auch die Aehnlichkeit der Octave mit ihrem Grundton, auf welche Rameau sich st\u00fctzt, ein musikalisches Ph\u00e4nomen, welches eben so gut der Erkl\u00e4rung bedarf, wie das Ph\u00e4nomen der Consonanz.\nNiemand hat \u00fcbrigens besser als d\u2019Alembert selbst die L\u00fccken dieses Systems eingesehen. Er verwahrt sich deshalb in dem Vorwort seines Buches sehr entschieden gegen den Ausdruck \u201eDemonstration des Princips der Harmonie\u201c, welchen Rameau gebraucht hatte. Er erkl\u00e4rt, dass er f\u00fcr sein Theil nichts geben wolle, als eine wohl zusammenh\u00e4ngende und cons\u00e9quente Darstellung s\u00e4mmtlicher Gesetze der Harmonielehre, sie ankn\u00fcpfend an die eine Grundthatsache, n\u00e4mlich die Existenz der Obert\u00f6ne, welche er als gegeben nimmt, ohne weiter zu fragen, wo sie herkommt. So beschr\u00e4nkt er sich denn auch auf den Nachweis der \u201eNat\u00fcrlichkeit\u201c des Dur- und Molldreiklanges. Von den Schwebungen ist in dem Buche keine Rede, daher auch nicht von dem eigentlichen Unterschiede zwischen Consonanz und Dissonanz. Von den Gesetzen der Schwebungen wusste man zu jener Zeit erst ausserordentlich wenig, die Combinationst\u00f6ne waren eben erst durch Romieu (1753) und Tartini (1754) den franz\u00f6sischen Gelehrten bekannt geworden. In Deutschland waren sie einigeJahre fr\u00fcher durch Sorge (1745) entdeckt, diese Nachricht aber wohl wenig verbreitet. Es fehlte also das Material von Thatsachen, mit welchem allein eine vollst\u00e4ndigere Theorie aufgebaut werden konnte.\nDennoch ist dieser Versuch von Rameau und d\u2019Alembert von grosser historischer Wichtigkeit, insofern dadurch die Theorie der Consonanz zum ersten Male vom metaphysischen auf naturwissenschaftlichen Boden ger\u00fcckt wurde. Es ist bewundernswerth, was beide mit dem sp\u00e4rlichen Material, das ihnen zu Gebqt stand,\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik,'\t03","page":353},{"file":"p0354.txt","language":"de","ocr_de":"354 Zweite Abtheilung. Zw\u00f6lfter Abschnitt.\ngeleistet haben, und was f\u00fcr ein klares, pr\u00e4cises, und \u00fcbersichtliches System die vorher so w\u00fcste und schwerf\u00e4llige Theorie der Musik unter ihren H\u00e4nden geworden ist. Wie wichtige Fortschritte Rameau in dem eigentlich musikalischen Theile der Harmonielehre gemacht hat, werden wir sp\u00e4ter noch auseinander zu setzen haben.\nWenn ich selbst also etwas Vollst\u00e4ndigeres zu geben im Stande war, so habe ich das nur dem Umstande zu verdanken, dass mir die grosse Menge physikalischer Vorarbeiten zum Gebrauch bereit war, welche das inzwischen verflossene Jahrhundert aufgeh\u00e4uft hat.","page":354},{"file":"p0355.txt","language":"de","ocr_de":"DRITTE ABTHEILUNG.\nDIE\nVERWANDTSCHAFT DER KL\u00c4NGE.\nTONLEITERN UND TONALIT\u00c4T.\n23*","page":355},{"file":"p0357.txt","language":"de","ocr_de":"Dreizehnter Abschnitt.\nUebersicht der verschiedenen Principien\n*\ndes musikalischen Stils in der Entwickelung der Musik.\nBis hierher ist unsere Untersuchung rein naturwissenschaftlicher Art gewesen. Wir haben die Geh\u00f6rempfindungen analy-sirt, wir haben die physikalischen und physiologischen Gr\u00fcnde der gefundenen Erscheinungen, der Obert\u00f6ne, Combinationst\u00f6ne, Schwebungen aufgesucht. In diesem ganzen Gebiete hatten wir es nur mit Naturerscheinungen zu thun, die rein mechanisch und ohne Willk\u00fcr bei allen lebenden Wesen ebenso eintreten m\u00fcssen, deren Ohr nach einem \u00e4hnlichen anatomischen Plane construirt ist, wie das unsere. In einem solchen Gebiete, wo mechanische ftothwendigkeit herrscht und alle Willk\u00fcr ausgeschlossen ist, kann man auch von der Wissenschaft verlangen, dass sie feste Gesetze der Erscheinungen aufstelle, und einen strengen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung streng nachweise. Wie in den Erscheinungen, welche die Theorie umfasst, nichts Willk\u00fcrliches ist, so darf auch in den Gesetzen, unter welche diese Erscheinungen gefasst werden, in den Erkl\u00e4rungen, die wir ihnen unterlegen, schliesslich nichts Willk\u00fcrliches bleiben. Und so lange so etwas noch darin w\u00e4re, h\u00e4tte die Wissenschaft die Auf-.","page":357},{"file":"p0358.txt","language":"de","ocr_de":"358 Zweite Abtheilung. Dreizehnter Abschnitt.\ng\u00e4be und meistens auch die Mittel, durch fortgesetzte Untersuchungen es auszuschliessen.\nIndem wir in dieser dritten Abtheilung unsere Untersuchungen haupts\u00e4chlich der Musik zuwenden, und zur Begr\u00fcndung der elementaren Regeln der musikalischen Composition \u00fcbergehen wollen, betreten wir einen anderen Boden, der nicht mehr rein naturwissenschaftlich ist, wenn auch die von uns gewonnene Einsicht in das Wesen des H\u00f6rens hier noch mannigfache Anwendung finden wird. Wir schreiten hier zu einer Aufgabe, die ihrem Wesen nach in das Gebiet der Aesthetik geh\u00f6rt. Wenn wir bisher in der Lehre von den Coiisonanzen von Angenehm und Unangenehm gesprochen haben, so handelte es sich nur um den unmittelbaren sinnlichen Eindruck des isolirten Zusammenklanges auf das Ohr, ohne alle R\u00fccksicht auf k\u00fcnstlerische Gegens\u00e4tze und Ausdrucksmittel, nur um sinnliches Wohlgefallen, nicht um \u00e4sthetische Sch\u00f6nheit. Beide sind streng zu trennen, wenn auch das erstere ein wichtiges Mittel ist, um die Zwecke der letzteren zu erreichen.\n.Die ge\u00e4nderte Natur der fortan zu behandelnden Gegenst\u00e4nde verr\u00e4th sich schon durch ein ganz \u00e4usserliches Kennzeichen, n\u00e4mlich dadurch, dass wir fast hei jedem einzelnen derselben auf historische und nationale Geschmacksverschiedenheiten stossen. Ob ein Zusammenklang mehr oder weniger rauh ist als ein anderer, h\u00e4ngt nur von der anatomischen Structur des Ohres, nicht von psychologischen Motiven ab. Wie viel Rauhigkeit aber der H\u00f6rer als Mittel musikalischen Ausdrucks zu ertragen geneigt ist, h\u00e4ngt von Geschmack und Gew\u00f6hnung ab ; daher die Grenze zwischen Consonanzen und Dissonanzen sich vielf\u00e4ltig ge\u00e4ndert hat. Ebenso sind die Tonleitern, Tonarten und deren Modulationen mannigfachem Wechsel unterworfen gewesen, nicht bloss bei ungebildeten und rohen V\u00f6lkern, sondern selbst in denjenigen.Perioden der Weltgeschichte und bei denjenigen Nationen, wo die h\u00f6chsten Bl\u00fcthen menschlicher Bildung zum Aufbruch kamen.\nDaraus folgt der Satz, der unseren musikalischen Theoretikern und Historikern noch immer nicht gen\u00fcgend gegenw\u00e4rtig ist, dass dasSystem der Tonleitern, der Tonarten und deren Harmoniegewebe nicht auf unver\u00e4nderlichen Naturge-setzen beruht, sondern dass es die Consequenz \u00e4sthetischer Principien ist, die mit fortschreitender Entwickelung der Menschheit einem Wechsel unterworfen gewesen sind und ferner noch sein werden.","page":358},{"file":"p0359.txt","language":"de","ocr_de":"Unterschied-naturwissenschaftl. u. \u00e4sthetischer Methode. 359\nDaraus folgt nun noch nicht, dass die Wahl der genannten Elemente musikalischer Technik rein willk\u00fcrlich sei, und sie keine Ableitung aus einem allgemeineren Gesetze zuliessen. Im Gegentheil, die Regeln eines jeden Kunststils bilden ein wohl zusammenh\u00e4ngendes System, wenn derselbe \u00fcberhaupt zu einer reichen und vollendeten Entwickelung gekommen ist. Ein solches System von Kunstregeln ward zwar von den K\u00fcnstlern nicht aus bewusster Absicht und Consequenz entwickelt, sondern mehr durch herumtastende Versuche und durch das Spiel der Phantasie, indem sie ihre Kunstgebilde bald so, bald anders sich ausdenken oder ausf\u00fchren, und durch denVersuch allm\u00e4lig ermitteln, welche Art und Weise ihnen am besten gefalle. Aber die Wissenschaft kann die Motive doch zu ermitteln suchen, seien sie nun psychologischer oder technischer Art, die bei diesem Verfahren der K\u00fcnstler wirksam gewesen sind. Der wissenschaftlichen Aesthe-tik wesden hierbei die psychologischen Motive zur Untersuchung zufallen, der Naturwissenschaft die technischen. Wennder Zweck richtig festgestellt ist, dem die K\u00fcnstler einer gewissen Stilart nachstreben, und die Hauptrichtung des Weges, den sie dazu eingeschlagen haben, so l\u00e4sst sich \u00fcbrigens mehr oder weniger bestimmt nachweisen, warum sie gezwungen waren, diese oder jene Regel zu befolgen, dieses oder jenes technische Mittel zu ergreifen. In der Musiklehre namentlich, wo eigenth\u00fcmliche physiologische Th\u00e4tigkeiten des Ohres, die nicht unmittelbar vor der bewussten Selbstbeobachtung offen darliegen, eine grosse Rolle spielen, bleibt der wissenschaftlichen Er\u00f6rterung ein breites und reiches Feld offen, um dieNothwendigkeit der technischen Regeln f\u00fcr eine jede einzelne Richtung in der Entwickelung unserer Kunst zu erweisen.\nDie Charakterisirung freilich der Hauptaufgabe, welche jede Kunstschule verfolgt, und des Grundprincips ihres Kunststils kann nicht Aufgabe der Naturwissenschaft sein, sondern diese muss ihr aus den Resultaten der historischen und \u00e4sthetischen Forschungen gegeben werden.\nDer Vergleich mit der Baukunst, welche ebenso wie die Musik wesentlich von einander verschiedene Richtungen eingeschlagen hat, wird das Verh\u00e4ltniss deutlicher zu machen geeignet sein. Die Griechen ahmten in ihren steinernen Tempeln die urspr\u00fcnglichen Holzbauten nach; das war das Grundprincip ihres Baustils. Man erkennt noch deutlich in der ganzen Gliederung","page":359},{"file":"p0360.txt","language":"de","ocr_de":"360 Dritte Abtheilung. Dreizehnter Abschnitt,\nund in der Anordnung der Verzierungen diese Nachahmung der Holzconstruction. Die senkrechte Stellung der tragenden S\u00e4ulen die meist horizontale des getragenen Geb\u00e4lks zwangen auch alle untergeordneten Theile \u00fcberwiegend nach horizontalen und ver-ticalen Linien zu gliedern. F\u00fcr die Zwecke des griechischen Gottesdienstes, dessen Hauptacte unter freiem Himmel geschahen, gen\u00fcgten solche Bauten, deren innere R\u00e4umlichkeit nat\u00fcrlich durch die L\u00e4nge der verwendbaren steinernen oder h\u00f6lzernen Balken eng begrenzt war. Die alten Italiener (Etrusker) dagegen erfanden das Princip des aus keilf\u00f6rmigen Steinen zusammengesetzten Gew\u00f6lbes. Durch diese technische Erfindung wurde es m\u00f6glich, viel weitl\u00e4ufigere Geb\u00e4ude mit gew\u00f6lbten Decken zu \u00fcberdachen, als die Griechen es mit ihren h\u00f6lzernen Balken thun konnten. Unter diesen gew\u00f6lbten Geb\u00e4uden sind bekanntlich die Gerichtshallen (Basiliken) f\u00fcr die sp\u00e4tere Entwickelung der Baukunst bedeutend geworden. Mit der gew\u00f6lbten Decke trat nun der Rundbogen in der romanischen (byzantinischen) Kunst als Hauptmotiv der Gliederung und Verzierung auf. Die S\u00e4ulen verwandelten sich der schwereren Last entsprechend in Pfeiler, denen sich nach voller Entwickelung dieses Stils S\u00e4ulen nur noch in sehr verj\u00fcngten Dimensionen und halb in die Masse des Pfeilers eingesenkt, als eine verzierende Gliederung desselben, und als untere Fortsetzung der Gew\u00f6lberippen, die vom oberen Ende des Pfeilers nach der Decke ausstrahlten, anschlossen.\nIn dem Gew\u00f6lbe dr\u00e4ngen die keilf\u00f6rmig gehauenen Steine gegeneinander; weil sie aber alle gleichm\u00e4ssig nach innen dr\u00e4ngen, verhindert jeder den anderen wirklich zu fallen. Den st\u00e4rksten und gef\u00e4hrlichsten Druck \u00fcben die Steine in dem horizontalen Theile des Gew\u00f6lbes, die gar keine, auch keine schief gestellte Unterlage mehr haben, sondern nur noch durch ihre Keil-, form und die gr\u00f6ssere Dicke ihres oberen Endes am Fallen gehindert werden. Bei sehr grossen Gew\u00f6lben ist also der horizontal liegende mittlere Theil der gef\u00e4hrlichste, der bei der kleinsten Nachgiebigkeit der Nachbarsteine zusammenst\u00fcrzt. Als nun die mittelalterlichen Kirchenbauten immer gr\u00f6ssere Dimensionen an-nahmen, verfiel man darauf, den mittleren horizontal liegenden Theil desGew\u00f6lbes ganz wegzulassen, und die Seiten unter massigerer Steigung aufw\u00e4rts laufen zu lassen, bis sie oben im Spitzbogen zusam-menstiessen. Nun wurde dem entsprechend der Spitzbogen das herrschende Princip. Das Geb\u00e4ude gliederte sich \u00e4usserlicb durchs","page":360},{"file":"p0361.txt","language":"de","ocr_de":"Unterschiednaturwissenschaftl. u. \u00e4sthetischer Methode. 361\ndie hervortretenden Strebepfeiler. Diese, wie der \u00fcberall hindurchbrechende Spitzbogen, gaben harte Formen, die Kirchen wurden im Innern enorm hoch. Beides aber entsprach dem kr\u00e4ftigen Sinne der nordischen V\u00f6lker, und vielleicht gerade die H\u00e4rte der Formen, vollst\u00e4ndig beherrscht von der wunderbaren Consequenz, die sich durch die bunte Formenpracht der got Irischen Dome hinzieht, diente dazu, den Eindruck des - Gewaltigen und M\u00e4chtigen zu erh\u00f6hen.\nSo sehen wir hier, wie die an die wachsenden Aufgaben sich anschliessenden technischen Erfindungen nach einander drei ganz verschiedene Stilprincipien, n\u00e4mlich das der geraden Horizontallinie, des Rundbogens und des Spitzbogens, erzeugten, und wie mit jeder neuen Aenderung in dem Hauptplane der Construction des Geb\u00e4udes auch alle untergeordneten Einzelheiten bis in die kleinsten Verzierungen hinein sich \u00e4ndern; daher sind auch die einzelnen technischen Constructionsregeln nur aus dem Construc-tionsprincipe des Ganzen zu begreifen. Obgleich der gothische Stil die reichsten und in sich consequentesten, die m\u00e4chtigsten und ergreifendsten Architekturformen entwickelt hat, ungef\u00e4hr wie unser modernes Musiksystem unter den \u00fcbrigen, so wird es doch nicht leicht Jemandem einfallen, behaupten zu wollen, der Spitzbogen sei die nat\u00fcrlich gegebene Urform aller architektonischen Sch\u00f6nheit, und m\u00fcsse \u00fcberall eingef\u00fchrt werden. Und gegenw\u00e4rtig weiss man sehr wohl, dass es eine k\u00fcnstlerische Absurdit\u00e4t ist,' einem Geb\u00e4ude in griechischer Tempelform gothische Fenster einzusetzen, sowie sich auch umgekehrt leider Jedermann in unseren meisten gothischen Domen davon \u00fcberzeugen kann, wie abscheulich die vielen kleinen, in griechischem oder r\u00f6mischem Stile ausgef\u00fchrten Kapellen aus der Renaissancezeit zum Ganzen passen. Ebenso wenig, wie den gothischen Spitzbogen, m\u00fcssen wir unsere Durtonleiter als Naturproduct betrachten, wenigstens nicht in anderem Sinne, als dass beide die nothwendige und durch die Natur der Sache bedingte Folge des gew\u00e4hlten Stilprincips sind. Und ebenso wenig, wie wir in einen griechischen Tempel gothische Verzierungen setzen, m\u00fcssen wir die in Kirchentonarten geschriebenen Compositionen dadurch verbessern wollen, dass wir ihre T\u00f6ne nach dem Schema unserer Dur- und Mollharmonie mit Versetzungszeichen versehen. Bisher hat freilich dieser Sinn f\u00fcr historische Kunstauffassung bei unseren Musikern und selbst bei den musikalischen Historikern noch wenig'","page":361},{"file":"p0362.txt","language":"de","ocr_de":"362 Dritte Abtheilung. Dreizehnter Abschnitt.\nFortschritte gemacht. Sie beurtheilen alte Musik meist nach den Vorschriften der modernen Harmonielehre und sind geneigt, jede Abweichung von der letzteren f\u00fcr blosses Ungeschick der Alten zu halten, oder f\u00fcr barbarische Geschmacklosigkeit*).\nEhe wir also an die Construction der Tonleitern und der Regeln f\u00fcr das Harmoniegewebe gehen k\u00f6nnen, m\u00fcssen wir die Stilprincipien wenigstens der Hauptentwickelungsphasen der musikalischen Kunst zu bezeichnen suchen. Wir k\u00f6nnen sie f\u00fcr unsere Zwecke nach drei Hauptperioden unterscheiden.\t^\n1.\tDie homophone (einstimmige) Musik des Alterthums, an welche sich auch die jetzt bestehende \u00e4hnliche Musik der orientalischen und asiatischen V\u00f6lker anschliesst.\n2.\tDie polyphone Musik des Mittelalters, vielstimmig, aber noch ohne R\u00fccksicht auf die selbst\u00e4ndige musikalische Bedeutung der Zusammenkl\u00e4nge, vom 10. bis in das 17. Jahrhundert reichend, wo sie dann \u00fcbergeht in\n3.\tdie harmonische oder moderne Musik, cbarakteri-sirt durch die selbst\u00e4ndige Bedeutung, welche die Harmonie als solche gewinnt. Ihre Urspr\u00fcnge fallen in das 16. Jahrhundert.\n1. Die homophone Musik.\nDie einstimmige Musik ist bei allen V\u00f6lkern die urspr\u00fcngliche gewesen. Wir finden sie noch bei den Chinesen, Indern, Arabern, T\u00fcrken und Neugriechen in diesem Zustande, \u2019trotzdem diese V\u00f6lker zum Theil sehr ausgebildete Musiksysteme besitzen. Dass die Musik der hellenischen Bl\u00fcthezeit, abgesehen vielleicht von einzelnen Instrumentalverzierungen, Cadenzen und Zwischenspielen, durchaus einstimmig gewesen ist, oder die Stimmen mit einander h\u00f6chstens in der Octave gingen, kann jetzt wohl als fest-gestellt gelten. In den Problemen des Aristoteles**) wird gefragt: \u201eWeshalb wird die Consonanz der Octave allein gesungen?\n*) Namentlich in den an fleissig gesammelten Thatsachen sonst so reichen historisch musikalischen Schriften von R. G. Kiese wetter herrscht ein offenbar \u00fcbertriebener Eifer, alles zu l\u00e4'ugnen, was nicht in das Schema der Dur- und Molltonart passt.\n**) Probl. XIX, 18 und 39. Gegen das Ende der Ges\u00e4nge scheint zuweilen die Instrumentalbegleitung sich von der Stimme getrennt zu haben.","page":362},{"file":"p0363.txt","language":"de","ocr_de":"Periode der homophonen Musik.\t363\nDiese spielen sie auf der Magadis (einem harfen\u00e4hnlichen Instrumente), aber keine von den anderen Consonanzen.\u201c An einer anderen Stelle bemerkt er, dass die Stimmen von Knaben und M\u00e4nnern, die in Wechselges\u00e4ngen Zusammenwirken, das Intervall einer Octave zwischen sich lassen.\nEinstimmige Musik, allein und f\u00fcr sich genommen, ohne Begleitung der Poesie, ist zu arm an Formen und Ver\u00e4nderungen, als dass sich darin gr\u00f6ssere und reichere Kunstformen entwickeln k\u00f6nnten. Daher ist die reine Instrumentalmusik in diesem Stadium nothwendig beschr\u00e4nkt auf kurze Tanzst\u00fcckchen oder M\u00e4rsche ; mehr findet sich in der That nicht vor bei den V\u00f6lkern, welche keine harmonische Musik haben. Zwar haben Fl\u00f6tenvirtuosen*) in den pythischen Spielen wiederholt den Sieg davongetragen, aber Virtuosenk\u00fcnste lassen sich auch in knappen Com-positionsformen, z. B. in Variationen einer kurzen Melodie, aus-f\u00fchren. Dass das Princip der Variationen (iieva\u00dfokrj) einer Melodie mit Ber\u00fccksichtigung des dramatischen Ausdrucks (fiifiij\u00f6is) \u00fcbrigens den Griechen bekannt war, geht ebenfalls aus Aristo-teles (Problem 15) hervor. Er beschreibt die Sache sehr deutlich, und bemerkt, dass man die Ch\u00f6re m\u00fcsse die Melodien in den Antistrophen einfach wiederholen lassen, weil viele Variationen anzubringen einem leichter sei, als vielen. Die Wettk\u00e4mpfer aber und die Schauspieler k\u00f6nnten dergleichen ausf\u00fchren.\nUmfangreichere Kunstwerke kann homophone Musik nur als Gesang in Verbindung mit der Poesie bilden, und in dieser Weise ist die Musik auch im classischen Alterthum angewendet worden. Nicht nur Lieder (Oden) und religi\u00f6se Hymnen wurden gesungen, sondern selbst Trag\u00f6dien und grosse epische Ges\u00e4nge wurden in einer gewissen Weise musikalisch vorgetragen und mit der Lyra begleitet. Wir k\u00f6nnen uns jetzt schwer eine Vorstellung davon machen, wie das geschah, da wir nach unserer modernen Geschmacksrichtung gerade im Gegentheil von einem guten Decla-mator oder Vorleser dramatische Naturwahrheit im SprechtoD verlangen, und singenden Ton als einen der gr\u00f6ssten Fehler betrachten. In dem singenden Tone der italienischen Declamato-\nMan scheint dies unter dem Namen der Kjnsis (x\u00e7ov<n\u00e7 vnb rrjv \u00e0\u00e2ljv) verstehen zu m\u00fcssen. Siehe Arist. Probl. XIX, 39 und Plutarch de Musica\nxix, xxvni.\n*) Vielleicht waren die ccvXoi unseren Oboen \u00e4hnlicher.","page":363},{"file":"p0364.txt","language":"de","ocr_de":"364 Dritte Abtheilung. Dreizehnter Abschnitt.\nren, in den liturgischen Recitationen der r\u00f6misch-katholischen Priester m\u00f6gen wir Nachkl\u00e4nge des antiken Sprechgesanges haben. Uebrigens lehrt eine etwas aufmerksamere Beobachtung bald, dass auch im gew\u00f6hnlichen Sprechen, wo der singende Ton der Stimme mehr versteckt wird hinter den Ger\u00e4uschen, welche die einzelnen Buchstaben charakterisiren, wo ferner die Tonh\u00f6he nicht genau festgehalten wird und schleifende Ueberg\u00e4nge in der Tonh\u00f6he h\u00e4ufig eintreten, sich dennoch gewisse, nach regelm\u00e4ssigen musikalischen Intervallen gebildete Tonf\u00e4lle unwillk\u00fcrlich einfinden. Wenn einfache S\u00e4tze gesprochen werden ohne Affect des Gef\u00fchls, so wird meist eine gewisse mittlere Tonh\u00f6he festgehalten, und nur die betonten Worte und die Enden der S\u00e4tze und' Satzabschnitte werden durch einen Wechsel der Tonh\u00f6he hervorgehoben. Das Ende eines bejahenden Satzes vor einem Punkte pflegt dadurch bezeichnet zu werden, dass man von der mittleren Tonh\u00f6he um eine Quarte f\u00e4llt. Der fragende Schluss steigt empor, oft um eine Quinte \u00fcber den Mittelton. Zum Beispiel eine Bassstimme spricht :\n\t\t\nlj*i j j rs...1 w. .\t\t\n\t\t\n\t\t\nJ Ich bin spa-tzie - ren ge-gan - ge\tn.\t\nfv\tI\tI\tK A\tp\u2014 -H m\tm\t\t\n1 n\tfr j\t!\tr\tP\t\t\n\t\t\n\t\t\nBist dn spa-tzie - ren ge-gan-gen?\nAccentuirte Worte werden ebenfalls dadurch hervorgehoben, dass man sie etwa einen Ton h\u00f6her legt als die \u00fcbrigen, und so fort. Beim feierlichen Declamiren werden die Tonf\u00e4lle mannigfacher und complicirter. Das moderne Recitativ ist durch Nachahmung dieser Tonf\u00e4lle in gesungenen Noten entstanden. Dar\u00fcber spricht sich sein Erfinder Jacob Peri'in der Vorrede zu seiner 1600 herausgegebenen Oper Eurydice ganz deutlich aus. Man suchte damals durch das Recitativ die Declamation der antiken Trag\u00f6dien wieder herzustellen. Nun ist allerdings die antike Recitation von unserem modernen Recitative dadurch einigermassenverschieden gewesen, dass jene das Metrum der Gedichte genauer festhielt und ihr die begleitenden Harmonien des letzteren fehlten. Indessen k\u00f6nnen wir doch aus unserem Recitative, wenn es gut vorgetragen wird, einen besseren Begriff davon erhalten,","page":364},{"file":"p0365.txt","language":"de","ocr_de":"Periode der homophonen Musik.\t365\n\u25a0wie sehr durch eine solche musikalische Recitation der Ausdruck der Worte gesteigert werden kann, als durch die monotone Recitation der r\u00f6mischen Liturgie, obgleich die letztere der Art nach vielleicht der antiken Recitation \u00e4hnlicher ist, als das Opernrecita-tiv. Die Feststellung der r\u00f6mischen Liturgie durch Papst Gregor den Grossen (590 bis 604) reicht zur\u00fcck in eine Zeit, wo Remi-niscenzen der alten Kunst, wenn auch verblasst und entstellt, durch Tradition noch \u00fcberliefert sein konnten, namentlich wenn, wie man wohl als wahrscheinlich annehmen darf, Gregorius im Wesentlichen nur die Normen f\u00fcr die schon seit der Zeit des Papstes Sylvester (314 bis 335) bestehenden r\u00f6mischen Singschulen endg\u00fcltig festgestellt hat. Die meisten dieser Formeln f\u00fcr die Lectionen, Collecten u. s. w. ahmen deutlich den Tonfall des gew\u00f6hnlichen Sprechens nach. Sie gehen in gleicher Tonh\u00f6he fort, einzelne accentuirte oder nicht lateinische Worte werden in der Tonh\u00f6he etwas ver\u00e4ndert, f\u00fcr jede Interpunktion sind besondere Schlussformeln vorgeschrieben z. B. f\u00fcr die Lectionen nach M\u00fcnsterschem Gebrauche *) :\n- f\tm\t^wa\t0\t\t\t~* t \t** mZLZ\t\t-,\t\t\tm\t0\t1\t\nWT\\\tT \u2014I\t4\t\t\tf\u2014\u201cT\tJ \n\u00ae t\u2014f\u2014t\u2014\t\t\tV 1\t1\u2014L\t\u2014F\t1\t^\t\u2022 :\nSic can - ta com-ma, sic du - o pun-cta: sic ve- ro punctum.\n\t\t\t\t\t\t\n\t\t\t\t\tK c.\tm \u00df\tr\t\n\t\t\t1\t\t\t\tb\u20141\tr\th\t1\t\t\n*\tV\u2014 S\t\t\t1\t ic sig - num\tn t\t\u2014 er - r\tV'\t\u2014i\t1\t\t\t o ga - ti - o - nis?\t\nNach der Feierlichkeit des Festes, dem vorgetragenen Gegenst\u00e4nde, dem Range des Vortragenden oder darauf antwortenden Priesters sind diese und \u00e4hnliche Schlussformeln bald mehr bald weniger verziert. Man erkennt leicht in ihnen das Streben, die nat\u00fcrlichen Tonf\u00e4lle der gew\u00f6hnlichen Sprache nachzuahmen, aber so, dass sie von ihren individuellen Unregelm\u00e4ssigkeiten befreit, feierlicher klingen. Freilich wird in solchen feststehenden Formeln auf den grammatischen Sinn der S\u00e4tze nicht geachtet, der denn doch die Betonung sehr mannigfaltig ab\u00e4nderL In \u00e4hnlicher Weise kann man sich denken, dass die antiken Trag\u00f6diendichter ihren Schauspielern die Tonf\u00e4lle vorschrieben, in denen gesprochen werden sollte, und sie durch musikalische Be-\n*) Antony, Lehrbuch des Gregorianischen Kirchengesanges. M\u00fcnster\n1829.","page":365},{"file":"p0366.txt","language":"de","ocr_de":"366 Dritte Abtheilung. Dreizehnter Abschnitt.\ngleitung darin erhielten. Und da sich die antike Trag\u00f6die von unmittelbarer \u00e4usserlicher Naturwahrheit viel mehr entfernt hielt als das moderne Schauspiel, wie die k\u00fcnstlichen Rhythmen, die ungew\u00f6hnlichen vollt\u00f6nenden Worte, die steifen fremdartigen Masken zeigen, so konnte auch ein mehr singender Ton zur Declamation passen, als er unserem modern gew\u00f6hnten Ohre vielleicht gefallen w\u00fcrde. Dann m\u00fcssen wir bedenken, dass durch Accentuirung (Vermehrung der Tonst\u00e4rke) einzelner Worte, durch die Schnelligkeit oder Langsamkeit des Sprechens, durch Panto-' mimik sich noch viel Leben in eine solche Vortragsweise bringen l\u00e4sst, die freilich unertr\u00e4glich monoton wird, wenn der Vortragende sie nicht auf solche Weise zu beleben weiss.\nJedenfalls aber hat die homophone Musik, auch wo sie in alter Zeit ausgedehnte Dichtungen gr\u00f6sster Art zu begleiten hatte, immer nothwendig eine ganz unselbst\u00e4ndige Rolle gespielt. Die musikalischen Wendungen mussten eben durchaus von dem wechselnden Sinne der Worte abh\u00e4ngen, und konnten ohne diesen keinen selbst\u00e4ndigen Kunstwerth und Zusammenhang haben. Eine eigentliche durchgehende Melodie zum Absingen von Hexametern in den Epen, oder von jambischen Trimetern in den Trag\u00f6dien w\u00e4re unertr\u00e4glich gewesen. Freier dagegen und selbst\u00e4ndiger sind wohl diejenigen Melodien (Nomen) gewesen, welche man den Oden und tragischen Ch\u00f6ren unterlegte. F\u00fcr die Oden gab es auch bekannte Melodien, deren Benennungen zum Theil noch aufbewahrt sind, auf welche man immer wieder neue Gedichte machte.\nIn den grossen ausgef\u00fchrten Kunstwerken also musste die Musik ganz unselbst\u00e4ndig sein, selbst\u00e4ndig konnte sie nur kurze S\u00e4tze bilden. Damit h\u00e4ngt nun ganz wesentlich die Ausbildung des musikalischen Systems der homophonen Musik zusammen. Wir finden allgemein bei den Nationen, welche dergleichen Musik besitzen, gewisse Stufenleitern der Tonh\u00f6he festgesetzt, in denen sich die Melodien bewegen. Diese Tonleitern sind sehr mannigfacher, zum Theil, wie es aussieht, sehr willk\u00fcrlicher Art, so dass viele uns ganz fremdartig und unbegreiflich erscheinen, w\u00e4hrend sie doch von den begabteren unter den Nationen, denen sie angeh\u00f6ren, von den Griechen, Arabern und Indern ausserordentlich subtil und mannigfaltig ausgebildet worden sind.\nBei der Besprechung dieser Tonsysteme ist nun f\u00fcr unseren","page":366},{"file":"p0367.txt","language":"de","ocr_de":"Periode der homophonen Musik.\t367\nvorliegenden Zweck die Frage von wesentlicher Wichtigkeit, ob in ihnen eine bestimmte Beziehung aller T\u00f6ne der Leiter auf einen einzigen Haupt- und Grundton, die Tonica, zu Grunde gelegen hat. Die neuere Musik bringt einen rein musikalischen inneren Zusammenhang in alle T\u00f6ne eines Tonsatzes dadurch, dass alle in ein dem Ohre m\u00f6glichst deutlich wahrnehmbares Verwandtschafts-verh\u00e4ltniss zu einer Tonica gesetzt werden. Wir k\u00f6nnen die Herrschaft der Tonica als des bindenden Mittelgliedes f\u00fcr s\u00e4mmt-liche T\u00f6ne des Satzes mit F\u00e9tis als das Princip der Tonalit\u00e4t bezeichnen. Dieser gelehrte Musiker hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass in den Melodien verschiedener Nationen die Tonalit\u00e4t in sehr verschiedenem Grade und verschiedener Weise entwickelt sei. Sie ist namentlich in den Liedern der Neugriechen, in den Gesangsformeln der griechischen Kirche und in dem Gregorianischen Ges\u00e4nge der r\u00f6mischen Kirche nicht in der Art entwickelt, dass diese Melodien leicht zu harmonisiren w\u00e4ren, w\u00e4hrend F\u00e9tis*) im Ganzen fand, dass die alten Melodien der nordischen V\u00f6lker germanischen, celtischen und slavischen Ursprungs sich leicht mit harmonischer Begleitung versehen lassen.\nIn der That ist es auffallend, dass in den musikalischen Schriften der Griechen, welche Subtilit\u00e4ten oft in recht weitl\u00e4uftiger Weise behandeln und \u00fcber alle m\u00f6glichen anderen Eigenth\u00fcm-lichkeiten der Tonleitern den genauesten Aufschluss gehen, nichts deutlich gesagt ist \u00fcber eine Beziehung, welche in dem modernen System allen anderen vorgeht, und sich \u00fcberall auf das Deutlichste f\u00fchlbar macht. Die einzigen Hindeutungen auf die Existenz einer Tonica finden wir nicht bei den musikalischen Schriftstellern, sondern wieder beim Aristoteles**). Dieser fragt n\u00e4mlich:\n\u201eWenn Jemand von uns den Mittelton ([*-e6rj) ver\u00e4ndert, nachdem \u201eer die anderen Saiten gestimmt hat, und das Instrument gebraucht, \u201ewarum klingt alles \u00fcbel und scheint schlecht gestimmt, nicht nur \u201ewenn er an den Mittelton kommt, sondern auch durch die ganze \u201eandere Melodie? Wenn er aber den Lichanos oder irgend einen \u201eanderen Ton ver\u00e4ndert hat, so tritt ein Unterschied nur \"hervor,\n*) F\u00e9tis\u2019 Bibliographie universelle des musiccens T. I, p. 126>\n**) Problemata 20 und 36. Im Anfang des letzteren ist nach einer Conjeetur meines Collegen Stark statt ip\u00ff-iyy\u00e9utvca und ipStyyetai, was keinen vern\u00fcnftigen Sinn giebt, zu setzen tpfhlqopisvai und (pSstQftca. \u2014 Die erste Stelle ist auch von Ambrosch schon theilweise citirt.","page":367},{"file":"p0368.txt","language":"de","ocr_de":"368 Dritte Abtheilung. Dreizehnter Abschnitt.\n\u201ewenn man gerade diesen gebraucht. Geschieht dies nicht mit gu-\u201etem Grunde? Denn alle guten Melodien gebrauchen oft den Mitwelten, und alle guten Oomponisten kommen oft zum Mittelton \u201ehin, und wenn sie von ihm fortgehen, kehren sie bald wieder zu. \u201er\u00fcck, zu keinem anderen aber in gleicherweise.\u201c Dann vergleicht er den Mittelton noch mit den Bindew\u00f6rtern der Sprache, namentlich denen, welche \u201eund\u201c bedeuten und ohne die die Sprache nicht bestehen k\u00f6nne. \u201eSo auch ' ist der Mittelton wie ein Band \u201eder T\u00f6ne, und namentlich der sch\u00f6nen, weil sein Ton am meisten \u201evorhanden ist.\u201c An einer anderen Stelle finden wir dieselbe Frage wieder mit etwas ge\u00e4nderter Antwort: \u201eWarum, wenn der Mit-\u201etelton ver\u00e4ndert wird, klingen auch die anderen Saiten wie verdorben? Wenn aber jener bleibt, und von den anderen eine verhindert wird, so wird die ver\u00e4nderte allein verdorben. Ist dies so, \u201eweil sowohl das Gestimmtwerden allen zukommt, als auch allen \u201eein gewisses Verhalten zum Mittelton, und durch diesen schon die \u201eOrdnung einer jeden gegeben ist? Wenn aber der Grund der \u201eStimmung und das Zusammenhaltende weggenommen wird, so \u201escheint Ordnung nicht mehr in gleicher Weise vorhanden zu \u201esein.\u201c ln diesen S\u00e4tzen ist die \u00e4sthetische Bedeutung einer To-nica, als welche hier der Mittelton genannt wird, so gut beschrieben, wie es nur irgend geschehen kann. Dazu kommt noch, dass von den Pythagor\u00e4ern der Mittelton mit der Sonne, die anderen T\u00f6ne der Leiter mit den Planeten verglichen werden*). Man scheint auch der Kegel nach mit dem genannten Mitteltone den Gesang begonnen zu haben, denn im 33sten Probleme des Aristoteles heisst es: \u201eWarum ist es harmonischer, von der H\u00f6he \u201enach der Tiefe, als von der Tiefe zur H\u00f6he zu gehen? Vielleicht \u201eweil jenes ist vom Anf\u00e4nge angefangen? Denn der Mittelton ist \u201eauch der h\u00f6chst gelegene F\u00fchrer des Tetrachordes (n\u00e4mlich des \u201eunteren). Das andere aber hiesse nicht vom Anf\u00e4nge, sondern vom \u201eEnde anfangen. Oder ist vielleicht das Tiefe nach dem Hohen \u201eedler und wohlklingender?\u201c Daraus scheint aber auch hervorzugehen, dass man mit dem Mitteltone, mit welchem man anfing, nicht zu schliessen pflegte, sondern mit dem tiefsten Tone, der Hypate, von welcher letzteren wieder Aristoteles im vierten Probleme sagt, dass diese im Gegensatz zu der dicht dar\u00fcber liegenden Parhypate mit vollem Nachlass jeder Anspannung ge-\n*) NiComachus Harmonice Lib. I, p. 6. Edit. Meibomii.","page":368},{"file":"p0369.txt","language":"de","ocr_de":"Periode der homophonen Musik.\t369\nsungen werde, welche bei der anderen noch vorhanden sei. Die Scala, welche Aristoteles hierbei im Sinne hat, ist die achtt\u00f6nige des Pythagoras und kann durch Noten so ausgedr\u00fcckt werden:\nTiefes Tetrachord\nH\u00f6heres Tetrachord\nNach moderner Ausdrucksweise liegt in der zuletzt citirten Beschreibung des Aristoteles, dass die Parhypate eine Art absteigenden Leitton f\u00fcr die Hypate bildet. In dem Leitton ist die Anstrengung f\u00fchlbar, welche mit seinem Uebergang in den Grundton aufh\u00f6rt.\nWenn nun der Mittelton der Tonica entspricht, so ist die Hypate deren Quinte, die Dominante. F\u00fcr unser Gef\u00fchl ist es aber viel nothwendiger mit der Tonica zu schliessen, als mit ihr anzufangen, und wir erkl\u00e4ren deshalb gew\u00f6hnlich ohne Weiteres den Schlusston eines Satzes f\u00fcr dessen Tonica. Doch l\u00e4sst die moderne Musik der Regel' nach die Tonica auch in dem ersten accentuirten Takttheile des Anfangs h\u00f6ren. Die ganze Tonmasse entwickelt sich aus der Tonica heraus und kehrt wieder in sie zur\u00fcck. Eine volle Beruhigung im Schl\u00fcsse ist nicht m\u00f6glich, als indem die Tonreihe in das verbindende Centrum des ganzen Satzes ausl\u00e4uft.\nIn dieser Beziehung also scheint die \u00e4ltere griechische Musik von der unserigen abgewichen zu sein, indem sie auf der Dominante endigte, nicht auf der Tonica. Uebrigens steht dies in vollkommener Analogie mit der Betonung beim Sprechen. Wir haben gesehen, dass das Ende der bejahenden S\u00e4tze ebenfalls auf der n\u00e4chst tieferen Quinte des Haupttones gebildet wird. Dieselbe Eigenth\u00fcmlickkeit ist auch in dem modernen Recitative meist beibehalten, in welchem die Gesangstimme auf der Dominante zu enden pflegt, wo sie von den Instrumenten.mit dem Dominant-septimenaccorde aufgenommen wird, dem der Accord der Tonica folgt, um den f\u00fcr unser musikalisches Gef\u00fchl n\u00f6thigen Schluss in der Tonica zu bilden. Da nun die griechische Musik sich an der\nHelmholtz, phys. Theorie der Muaik.\t24\n,E Hypate \\F Parhypate (x Lichanos A Mese (Mittelton).\n,H Pa,ramese IC Trite D Paranete E Nete.","page":369},{"file":"p0370.txt","language":"de","ocr_de":"370 Dritte Abtheilung. Dreizehnter Abschnitt.\nRecitation von epischen Hexametern und jambischen Trimetern herangebildet hat, wird es uns nicht \u00fcberraschen d\u00fcrfen, wenn auch in den Melodien f\u00fcr Oden die erw\u00e4hnten Eigenth\u00fcmlich-keiten des Sprechgesanges so herrschend blieben, dass Aristoteles sie als Regel betrachten konnte*).\nAus den angef\u00fchrten Thatsachen geht hervor, worauf es f\u00fcr unseren Zweck besonders ankommt, dass den Griechen, bei denen sich unsere diatonische Leiter zuerst ausgebildet hat, das Gef\u00fchl f\u00fcr Tonalit\u00e4t in \u00e4sthetischer Beziehung nicht fehlte, dass es aber doch nicht sq entschieden ausgebildet war, wie in der neueren Musik, und namentlich, wie es scheint, sich in den technischen Regeln der Melodiebildung durchaus nicht deutlich geltend machte. Daher ist eben Aristoteles, der die Musik als Aesthetiker behandelt, der einzige Schriftsteller, so weit bisher bekannt ist, der davon spricht; die eigentlich musikalischen Schriftsteller erw\u00e4hnen es gar nicht. Leider sind auch die Andeutungen des Aristoteles so sparsam, dass Zweifel genug \u00fcbrig bleiben. Namentlich erw\u00e4hnt er nichts \u00fcber die Verschiedenheiten der verschiedenen Tongeschlechter in Bezug auf den Hauptton, so dass gerade der wichtigste Gesichtspunkt, aus dem wir den Bau der griechischen Tonleitern zu betrachten h\u00e4tten, fast ganz im Dunkel bleibt.\nBestimmter findet sich die Beziehung auf eine Tonica ausgesprochen in den Tonleitern der altchristlichen Kirchenmusik. Man unterschied urspr\u00fcnglich die vier sogenannten authentischen Tonleitern, wie sie vom Bischof Ambrosius von Mailand (f 398) festgesetzt waren. Keine von diesen stimmt mit einer unserer Tonleitern \u00fcberein; die sp\u00e4ter von Gregorius hinzugef\u00fcgten 4 plagalischen Tonreihen sind keine Tonleitern in unserem Sinne des \"Wortes. Die vier authentischen Tonleitern des Ambrosius sind:\n1)\tDEFGAHCD\n2)\tEFGAHGDE\n3)\tFG-AHCDEF\n4)\tGAHCFFFG\nDoch war die Ver\u00e4nderung des Hin F vielleicht von Anfang an erlaubt; dadurch wurde dann die erste Tonleiter unserer ab-\n*) Unter den angeblich antiken Melodien, welche uns \u00fcberliefert sind, zeigt das vonB. Marcello ver\u00f6ffentlichte Bruchst\u00fcck aus, der homerischen Ode an die Demeter die besprochene Eigent\u00fcmlichkeit sehr deutlich.","page":370},{"file":"p0371.txt","language":"de","ocr_de":"Periode der homophonen Musik.\t371\nsteigenden Molltonleiter gleich, die dritte eine .F-Durtonleiter. Die alte Regel war, dass die Ges\u00e4nge der ersten Leiter in D schlossen, die der zweiten in E, der dritten in F, der vierten in G. Dadurch waren also diese T\u00f6ne in unserem Sinne als Tonica cha-rakterisirt. Aber die Regel wurde nicht strenge gehalten. Man konnte auch in anderen T\u00f6nen der Leiter, sogenannten Confinal-t\u00f6nen schliessen, und schliesslich wurde die Verwirrung so gross, dass Niemand mehr recht zu sagen wusste, woran man die Tonart .erkennen solle, allerlei unzureichende Regeln aufgestellt wurden, und man zu dem mechanischen Hilfsmittel griff, gewisse Anfangsund Schlussphrasen, die sogenannten Tropen,-, festzusetzen, welche die Tonart charakterisiren sollten.\nObgleich man also bei diesen mittelalterlichen Kirchentonarten die Regel der Tonalit\u00e4t schon bemerkt hatte, war die Regel selbst jdoch so unsicher, und erlaubte so viele Ausnahmen, dass wir auch hier nicht zweifeln k\u00f6nnen, dass das Gef\u00fchl f\u00fcr die Tonalit\u00e4t viel unentwickelter gewesen sei, als in der modernen Musik.\nDen Begriff der Tonica haben \u00fcbrigens auch die Indier gefunden, deren Musik ebenfalls einstimmig ist Sie nennen sie \u201eAnsa\u201c *). Die indischen Melodien, wie sie von englischen Reisenden nachgeschrieben sind, erscheinen \u00fcbrigens den modernen europ\u00e4ischen Melodien sehr \u00e4hnlich. Dasselbe haben F\u00e9tis und Coussemaker **) bemerkt in Bezug auf die wenigen bekannten Reste alt germanischer und celtischer Melodien.\nWenn also - auch die Beziehung auf einen vorherrschenden Ton, die Tonica, der einstimmigen Musik nicht ganz fehlt, so ist sie ohne Frage viel schw\u00e4cher entwickelt gewesen als in der modernen Musik, wo wenige einander folgende Accorde hinreichen, um festzustellen, in welcher Tonart die betreffende Stelle des St\u00fccks sich bewegt. Es scheint mir dies seinen Grund zu haben in d\u00e8m unentwickelten Zustande und in der untergeordneten Rolle, welche der homophonen Musik nothwendig zukommen. Melodien, die sich in wenigen leicht \u00fcbersehbaren T\u00f6nen auf und und ab bewegen, die ihren Zusammenhang durch ein nicht musikalisches Hilfsmittel, n\u00e4mlich die Worte der Poesie, schon haben,\n*) Jones, \u00fcber die Musik der Indier, \u00fcbersetzt von Dalberg. S. 36 und 37.\n**) Histoire de l\u2019Harmonie au moyen age. Paris 1852, p. 5\u20147.\n24f","page":371},{"file":"p0372.txt","language":"de","ocr_de":"372 Dritte Abtheilung. Dreizehnter Abschnitt.\nbed\u00fcrfen keines consequent durchgef\u00fchrten musikalischen Bindemittels. Auch in dem modernen Recitative wird die Tonalit\u00e4t viel weniger festgehalten, als in anderen Compositionsformen. Die Nothwendigkeit einer festen Bindung der Tonmassen durch rein musikalische Beziehungen dr\u00e4ngt sich dem Gef\u00fchl erst dann deutlicher auf, wenn grosse Massen von T\u00f6nen, die eine selbst\u00e4ndige Bedeutung ohne Hilfe der Poesie haben sollen, k\u00fcnstlerisch zusammen zu schliessen sind.\n2, Polyphone Musik.\nDer zweite Entwickelungsabschnitt der Musik ist die polyphone Musik des Mittelalters. Die erste Art mehrstimmiger Musik, welche man f\u00fcr den kirchlichen Gesang erfand, war dasOrganum oder die Diaphonie, wie sie der flandrische M\u00f6nch Hucbald im Anf\u00e4nge des zehnten Jahrhunderts zuerst beschreibt. Man versuchte die kirchlichen Melodien begleiten zu lassen von einer zweiten Stimme, welche aber nicht mehr, wie es die Griechen gekannt und zugelassen hatten, im Abstande einer Octave nebenher geht, sondern in anderen consonanten Intervallen d. h. in Quinten, Quarten, Duo-decimen oder Undeeimen ; denn die Terzen und Sexten wurden noch zu den Disharmonien gerechnet. Man hatte dabei offenbar den Zweck, den Wohlklang consonanter Intervalle zur Versch\u00f6nerung des Gesanges anzuwenden. F\u00fcr unser Ohr klingt eine solche Begleitung in fortlaufenden Quinten oder Quarten abscheulich. SchonH\u00fccbald wendete \u00fcbrigens, wenn auch ausnahmsweise, eine andere Art der Stimmbewegung an, in welcher die Intervalle wechselten und die unserem Geschmacke mehr entspricht. Guy von Arezzo, welcher im Mittelalter als Hauptautorit\u00e4t in der Theorie des Kirchengesanges angesehen wurde, und im elften Jahrhundertlebte, war in der Kunst der Diaphonie noch nicht viel weiter gekommen als Hucbald, doch sind die Beispiele einer Diaphonie mit wechselnden Intervallen h\u00e4ufiger als bei jenem. Von da ab beschr\u00e4nkte man die Quarten- und Quintenfolgen immer mehr, liess die Stimmen \u00fcberwiegend in entgegengesetzten Bewegungen gehen, die Hauptintervalle des Zusammenklanges blieben aber noch lange Quarten, Quinten und Octaven.\nWichtiger f\u00fcr die Entwickelung der Musik war eine andere Art vielstimmiger Musik, der sogenannte Dis cantus, welcher um das","page":372},{"file":"p0373.txt","language":"de","ocr_de":"373\nPeriode der .polyphonen Musik.\nEnde des elften Jahrhunderts in Frankreich und Flandern bekannt wurde. Die \u00e4ltesten aufbewahrten Beispiele dieses Discantus sind von der Art, dass zwei ganz verschiedene Melodien \u2014 und zwar schien man sie gern so verschiedenartig wie m\u00f6glich zu w\u00e4hlen \u2014-aneinander gepasst wurden durch kleine Ver\u00e4nderungen des Rhyth-mus oder der Tonh\u00f6hen, bis sie ein einigermassen consonirendes Ganze bildeten. Zuerst scheint man namentlich gern eine liturgische Formel mit irgend \u00e8inem schl\u00fcpfrigen Liedchen gepaart zu haben. Die ersten derartigen Beispiele k\u00f6nnen nicht wohl irgend eine andere Bedeutung gehabt haben, als dass es musikalische Kunstst\u00fcckchen zur gesellschaftlichen Unterhaltung waren. Es war eine neue Entdeckung, an der man sich am\u00fcsirte, dass zwei ganz verschiedene unabh\u00e4ngige Melodien neben einander gesungen werden konnten, und gut zusammen klangen.\nDie Diaphonie betonte das Princip des Zusammenklanges, sie wollte den Wohlklang der Consonanzen benutzen f\u00fcr die Versch\u00f6nerung der musikalischen Wirkung; den begleitenden Stimmen war keine selbst\u00e4ndige Bedeutung beigelegt worden. Aber dieses Princip harmonischen Wohlklanges zu entwickeln, war jenes Zeitalter noch nicht f\u00e4hig, um so mehr, da die Aufgabe durch die Beschaffenheit der Kirchentonarten, unter denen unsere Durtonart nur dvtrch eine Art Licenz vorkam, viel schwieriger war, als sie es in der letzteren Tonart gewesen sein w\u00fcrde. Die Construction eines Systems der Harmonik erforderte noch eine lange Reihe k\u00fcnstlerischer Versuche und Erfahrungen, sie gelang erst viel sp\u00e4ter.\nDas Princip des Discantus war dagegen von solcher Art, dass jene Zeit es entwickeln konnte, und aus ihm ist die eigentlich polyphone Musik hervorgegangen. Verschiedene Stimmen, jede f\u00fcr sich selbst\u00e4ndig und eine eigene Melodie tragend, sollten vereinigt werden, so dass sie keine, oder wenigstens nur schnell vor\u00fcbergehende und sich aufl\u00f6sende Misskl\u00e4nge bildeten. Die Con-sonanz an sich war nicht Zweck, nur ihr Gegentheil, die Dissonanz, sollte vermieden werden. Alles Interesse concentrirte sich auf die Bewegung der Stimmen. Um die verschiedenen Stimmen zusammenzuhalten, war strenges Einhalten des Taktes noting, es entwickelte sich deshalb unter dem Einfl\u00fcsse des Discantus in reicher Mannigfaltigkeit das System der musikalischen Rhythmik, welches wiederum dazu beitrug, die ' Melodiebewegung kr\u00e4ftiger und eindringlicher zu machen. Der Gregorianische Cantus firmus","page":373},{"file":"p0374.txt","language":"de","ocr_de":"374 Dritte Abtheil\u00fcng. Dreizehnter Abschnitt.\n1\nkannte keine Takteintheilung, und die Rhythmik der Tanzmusik war wohl \u00e4usserst einfach gewesen. Ausserdem wuchs der Reichthum und das Interesse der melodischen Bewegung in dem Maasse, als sich die Stimmen vervielf\u00e4ltigten, und bald entdeckte man auch ein neues Mittel, einen k\u00fcnstlerischen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Stimmen herzustellen, welcher anfangs, wie wir sahen, g\u00e4nzlich fehlte. Man liess n\u00e4mlich die musikalische Phrase, welche eine Stimme vorgetragen hatte, durch eine aridere wiederholen; es entstanden also kanonische Nachahmungen, welche wir vereinzelt schon in Discanten aus dem zw\u00f6lften Jahrhundert finden *). Diese entwickelten sich allm\u00e4lig zu einem h\u00f6chst k\u00fcnstlichen Systeme, namentlich bei den niederl\u00e4ndischen Componisten, die freilich schliesslich oft mehr Berechnung als Geschmack in ihren Compositionen entwickelten.\nAber durch diese Art der polyphonen Musik, die Wiederholung' derselben Melodiewendungen hinter einander in verschiedenen Stimmen, war jetzt zuerst die M\u00f6glichkeit gegeben, grosse breit angelegte musikalische S\u00e4tze zu componiren, welche ihren k\u00fcnstlerischen Zusammenhang nicht mehr in der Verbindung mit einer fremden Kunst, der Poesie, sondern in rein musikalischen Mitteln fanden. Es passte diese Art der Musik auch in hohem Grade f\u00fcr kirchliche Ges\u00e4nge, in denen der Chor die Empfindungen einer ganzen, aus verschiedenartigen Individuen zusammengesetzten Gemeinde auszudr\u00fccken hatte. Aber man wendete si\u00e9 nicht allein auf kirchliche Compositionen an, sondern auch auf weltliche Ges\u00e4nge, Lieder (Madrigale). Man kannte eben noch keine andere Form harmonischer Musik, welche k\u00fcnstlerisch ausgebildet gewesen w\u00e4re, als die auf kanonische Wiederholungen gegr\u00fcndete. Verschm\u00e4hte man diese, so war man auf homophone Musik beschr\u00e4nkt. Daher finden sich denn auch eine Menge Lieder als strenge Kanons oder in kanonischen Wiederholungen com-ponirt, deren Inhalt ganz und gar nicht f\u00fcr eine so schwerf\u00e4llige Weise geeignet ist. Auch die \u00e4ltesten Beispiele mehrstimmiger Instrumentalcompositionen, Tanzst\u00fccke aus dem Jahre 1529**), sind im Stile der Madrigale und Motetten componirt. Selbst in\n*) Coussemaker 1. e. D\u00e9chant: Custodi nos. PI. XXVII, Nro. IY. Uebersetzt in p. XXVII, Nro. XXIX.\n**) Winterfeld, Johannes Gabrieli und sein Zeitalter. Bd. II, S. 41.","page":374},{"file":"p0375.txt","language":"de","ocr_de":"Periode der polyphonen Musik.\t375\nden ersten Versuchen zu musikalischen Dramen im sechzehnten Jahrhundert hatte man noch keine andere Form, die handelnden Personen ihre Gef\u00fchle musikalisch aussprechen zu lassen, als dass man durch einen Chor Madrigale in fugirtem Stile hinter oder auf der B\u00fchne absingen liess. Mann kann sich von unserem Standpunkte aus kaum in den Zustand einer Kunst hineinversetzen, welche die complicirtesten Stimmgeb\u00e4ude in ihren Ch\u00f6ren aufbaut, und dabei nicht im Stande ist, zu einer Liedermelodie oder zu einem Duett eine einfache Begleitung zu setzen, um die Harmonie vollst\u00e4ndig zu machen. ' Und doch wenn man liest, wie die Erfindung des Recitativs mit einfacher Accordbegleitung durch Jacob Peri gefeiert und bewundert wurde, welche Streitigkeiten sich \u00fcber den Ruhm dieser Erfindung erhoben, welches Aufsehen Viadana erregte, indem.er zu einstimmigen und zweistimmigen Ges\u00e4ngen einen Basso continuo zu setzen erfand, als eine in sich unselbst\u00e4ndige Stimme, die nur der Harmonie dienen sollte*), so kann man nicht zweifeln, dass diese Kunst, eine Melodie durch Accorde zu begleiten, welche jetzt jeder Dilettant in einfachster Weise zu l\u00f6sen weiss, den Musikern bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts noch vollst\u00e4ndig verborgen war. Erst im sechzehnten Jahrhundert fing man an sich der Bedeutung bewusst zu werden, welche die Accorde als Theile des Harmoniegewebes unabh\u00e4ngig von der Stimmf\u00fchrung besitzen.\nDiesem Zustande der Kunst entsprach der Zustand des Tonsystems. Es wurden im Wesentlichen die alten Kirchentonarten beibehalten, von denen die erste die Tonreihe von D bis d, die zweite von E bis e, die dritte von F bis /, die vierte von G bis g umfasste. Unter diesen war die von F his / gehende zur harmonischen Bearbeitung unbrauchbar, weil sie statt der Quarte F\u2014B den Tritonus F\u2014H enthielt. Andererseits war kein Grund vorhanden, die Reihen von C bis c und von G bis g auszuschlies-sen. So ver\u00e4nderten sich die Kirchentonarten unter dem Einfluss der polyphonen Musik. Da man aber trotz der Ver\u00e4nderung die alten unpassenden Namen beibehielt, entstand eine arge Verwirrung in .der Auffassung der Tonarten. Erst als das Ende dieser Periode herannahete, unternahm es ein gelehrter Theoretiker Gla-reanus in seinem Dodecachordon (Basel 1547) die Lehre von den Tonarten wieder in Ordnung zu bringen. Er unterschied 12\n*) Winterfeld, 1. c. Bd. II, S. 19 und S. 59.","page":375},{"file":"p0376.txt","language":"de","ocr_de":"376 Dritte Abtheilung. Dreizehnter Abschnitt.\nsolche, 6 authentische und 6 plagalische, und theilte ihnen griechische Namen zu, die aber unrichtig \u00fcbertragen waren. Doch ist seine Nomenclatur f\u00fcr die Kirchentonarten sp\u00e4ter allgemein beibehalten worden. Die authentischen Kirchent\u00f6ne des 61a-reanus mit ihren griechischen Namen sind folgende sechs:\nJonisch: Dorisch : Phrygisch : Lydisch: Mixolydisch: Aeolisch :\nCDEF G AH G LEFGAHGD EFGAHCDE F G AH G DEF G AH C D E F G A H C D E F G A.\nJonisch entspricht unserem Dursystem, Aeolisch unserem Moll; Lydisch ist in polyphoner Musik wegen der falschen Quarte kaum gebraucht worden, und immer nur mit allerlei Ver\u00e4nderungen.\nWie wenig man die musikalische Bedeutung des Harmoniegewebes zu beurtheilen wusste, zeigt sich nun in der Lehre von den Tonarten wieder darin, dass bei Beurtheilung der Tonart einer polyphonen Composition immer nur einzelne Stimmen ber\u00fccksichtigt wurden. Glareanus schreibt in gewissen Composi-tionen den verschiedenen Stimmen, dem Tenor und Basse, dem Sopran und Alt verschiedene Tonarten zu; Zarl.ino nimmt den Tenor als Hauptstimme, nach welcher die Tonart zu beurtheilen sei.\nDie praktischen Folgen dieser Nichtbeachtung der Harmonie zeigen sich mannigfaltig in den Compositionen. Man beschr\u00e4nkte sich im Ganzen auf die T\u00f6ne der diatonischen Leiter ; Versetzungszeichen wurden wenig angewendet. Die Erniedrigung des Tones H in B war schon bei den Griechen in einem eigenen Tetrachorde, dem der Synemmenoi, eingef\u00fchrt und wurde beibehalten. Ausserdem wird zuweilen ein if: vor /,'c und g gebraucht, um in denCadenzen Leitt\u00f6ne zu gewinnen. Es fehlte also die Modulation in unserem Sinne aus der Tonart einer Tonica in die einer anderen mit anderen Vorzeichnungen fast ganz. \u00abFerner blieben die bevorzugten Accorde bis zum Ende des f\u00fcnfzehnten Jahrhunderts die aus Oc-taven und Quinten ohne Terz gebildeten, welche uns leer klingen, und die wir zu vermeiden suchen. Sie erschienen den Tonsetzern des Mittelalters als die wohlklingendsten, weil sie nur das Bed\u00fcrfnis m\u00f6glichst vollkommener Consonanzen hatten ; namentlich","page":376},{"file":"p0377.txt","language":"de","ocr_de":"Periode der polyphonen Musik.\t377\ndurften nur solche im Schlussaccorde Vorkommen. Die vorkom-menden Dissonanzen sind allgemein solche, welche durch Vorhalt und Durchgangst\u00f6ne eintreten, die Septimenaccorde, welche in der neueren Harmonie eine so grosse Wichtigkeit f\u00fcr die Bezeichnung der Tonart, f\u00fcr die Bindung und die Beschleunigung der harmonischen Schritte haben, fehlten.\nSo gross also auch die k\u00fcnstlerische Ausbeute dieses Zeitraumes in der Rhythmik und in der Kunst der Stimmf\u00fchrung gewesen ist, f\u00fcr die Harmonik und das Tonsystem hat es wenig mehr geleistet, als dass es eine Menge noch ungeordneter Erfahrungen zusammengeh\u00e4uft hat. Da Accorde durch die verwickelten Stimmg\u00e4nge hi mannigfachen \u00dcmlagerungen und Folgen entstanden, so konnten die Musiker dieses Zeitraumes nicht umhin diese Accorde zu h\u00f6ren und ihre Wirkung kennen zu lernen, wenn sie auch noch wenig Geschicklichkeit zeigen, solche Wirkungen zu benutzen. Jedenfalls bereiteten die Erfahrungen dieses Zeitraumes die Entwickelung der eigentlich harmonischen Musik vor, und machten es den Musikern m\u00f6glich eine solche zu pro-duciren, als \u00e4ussere Einwirkungen auf eine solche Erfindung hindr\u00e4ngten.\n3. Die harmonische Musik.\nDie moderne harmonische Musik ist dadurch charakterisirt, dass in ihr die Harmonie eine selbst\u00e4ndige Bedeutung? f\u00fcr den Ausdruck und f\u00fcr den k\u00fcnstlerischen Zusammenhang der Composition erh\u00e4lt. Sie hat also das Princip wieder aufgenommen, was man in der alten Diaphonie des Hucbald und Franco von C\u00f6ln zu entwickeln gesucht, aber nicht gekonnt hatte. Die \u00e4usseren Anst\u00f6sse zu dieser Umformung der Musik waren mehrfacher Art. Der erste ging vom protestantischen Kirchengesange aus. Es lag im Princip des Protestantismus, dass die Gemeinde selbst den Gesang \u00fcbernehmen musste; man konnte ihr aber nicht zu-muthen, die k\u00fcnstlichen rhythmischen Verschlingungen der niederl\u00e4ndischen Polyphonie durchzuf\u00fchren. Dagegen waren die Stifter der neuen Confession, Luther an ihrer Spitze, zu sehr durchdrungen von der Macht und Bedeutung der Musik, um dieselbe sogleich' auf einen schmucklosen einstimmigen Gesang zur\u00fcckzuf\u00fchren. Es entstand deshalb f\u00fcr die Componisten des","page":377},{"file":"p0378.txt","language":"de","ocr_de":"378 Dritte Abtheilung. Dreizehnter Abschnitt.\nprotestantischen Kirchengesanges die Aufgabe, einfach harmoni-sirte Chor\u00e4le zu setzen, in denen alle Stimmen gleichzeitig fort-schritten. Dadurch waren die kanonischen Wiederholungen der gleichen melodischen Phrasen in verschiedenen Stimmen abgeschnitten, und diese waren es ja, welche haupts\u00e4chlich die Einheit des Ganzen zusammengehalten hatten. Es musste nun im Klange der T\u00f6ne selbst ein neues Verbindungsprincip gesucht werden, und dies ergab sich durch die strengere Beziehung auf eine herrschende Tonica. Erleichtert wurde das Gelingen dieser Aufgabe dadurch, dass die protestantischen Kirchenlieder zum grossen Theil schon bestehenden Volksmelodien angeschlossen wurden, und die Volkslieder der germanischen und celtischen St\u00e4mme, wie schon fr\u00fcher bemerkt wurde, ein festeres Gef\u00fchl f\u00fcr Tonalit\u00e4t im modernen Sinne verrietlien, als die der .s\u00fcdlichen V\u00f6lker. So entwickelte sich schon in den protestantischen Kirchenliedern des 16. Jahrhunderts das System der Harmonie der j.onischen Kirchentonart, unseres heutigen Dur, ziemlich correct, so dass wir in diesen Chor\u00e4len auch heute nichts Fremdartiges f\u00fcr unser Gef\u00fchl finden, wenn auch manche sp\u00e4ter erfundenen Hilfsmittel zur festen Bezeichnung der Tonart, wie z. B. die Septimenaccorde, noch fehlen. Dagegen dauerte es viel l\u00e4nger, ehe die \u00fcbrigen Kirchentonarten, in deren Harmonisirung noch viel Unsicherheit herrschte, in unser Mollsystem verschmolzen. Das protestantische Kirchenlied jener Zeit war von m\u00e4chtiger Wirkung auf die Gem\u00fcther der Zeitgenossen, und diese wird von allen Seiten in den lebhaftesten Worten hervorgehoben, so dass man nicht zweifeln kann, der Eindruck einer solchen Musik sei f\u00fcr sie ein ganz neuer und besonders m\u00e4chtiger gewesen.\nAuch in der r\u00f6mischen Kirche verlangte man nach einer Aenderung des Kirchengesanges. Die Ausschreitungen der polyphonen Kunst zerrissen den Sinn der Worte, machten diese unverst\u00e4ndlich, und machten es dem unge\u00fcbten, h\u00e4ufig wohl auch selbst dem gelehrten und gebildeten H\u00f6rer schwer, das Gewirr der Stimmen aufzul\u00f6sen. In Folge der Verhandlungen des Tri-dentinischen Concils und im Auftr\u00e4ge des Papstes Pius IV. hat Palestrina diese Vereinfachung und Versch\u00f6nerung des Kirchengesanges vollf\u00fchrt, und soll durch die einfache Sch\u00f6nheit seiner Compositionen die vollst\u00e4ndige Verdr\u00e4ngung des mehr; stimmigen Gesanges aus der r\u00f6mischen Liturgie verhindert haben. Palestrina, der f\u00fcr kunstge\u00fcbte S\u00e4ngerch\u00f6re schrieb, liess die","page":378},{"file":"p0379.txt","language":"de","ocr_de":"Periode der polyphonen Musik.\t379\nverwickeltere Stimmf\u00fchrung der polyphonen Musik nicht ganz fallen, aber durch passende Abschnitte und Eintheilungen gliederte er sowohl die Masse der T\u00f6ne als die Masse der Stimmen, welche letzteren meist in mehrere Ch\u00f6re gesondert erscheinen. Mehr oder weniger h\u00e4ufig treten auch die Stimmen choralm\u00e4ssig neben einander hergehend auf, und zwar dann \u00fcberwiegend in consonanten Accorden. Dadurch 'machte er seine S\u00e4tze \u00fcbersichtlicher, verst\u00e4ndlicher, und im Allgemeinen ausserordentlich wohlklingend. Nirgends tritt aber die Abweichung der Kirchen-tonarten von den f\u00fcr die harmonische Behandlung ausgebildeten neueren Tonarten so auffallend heraus, wie bei Palestrina und . den gleichzeitigen italienischen Kirehencomponisten, unter denen Johannes Gabrieli, ein Venetianer, noch haupts\u00e4chlich zu nennen ist. Palestrina war ein Sch\u00fcler des Claude Goudi-mel, eines Hugenotten, der in der Bartholom\u00e4usnacht zu Lyon ermordet wurde, und von dem harmonische Bearbeitungen der franz\u00f6sischen Psalmen ausgef\u00fchrt sind, die von der modernen Art und Weise nicht sehr viel abweichen, namentlich wo sie sich in Dur bewegen. Die Psalmenmelodien waren aber entweder Volksliedern entnommen oder solchen wenigstens nachgebildet. Durch seinen Lehrer war also Palestrina jedenfalls mit dieser Weise der Behandlung bekannt, er hatte es aber zu thun mit Thematen aus dem Gregoriani\u2019schen Cantus firmus, die in Kirchentonarten sich bewegten, deren Charakter streng festgehalten werden musste, auch selbst in solchen S\u00e4tzen, deren Melodien er selbst\u00e4ndig erfand oder umbildete. Diese Tonarten n\u00f6thigten zu einer ganz anderen Weise harmonischer Behandlung, die uns sehr fremdartig klingt. Als Probe will ich hier nur den Anfang seines achtstimmigen Stabat mater citiren.\nSta - bat ma - ter do -\t- lo - ro - sa\nHier finden wir gleich als Anfang eines St\u00fccks, wo wir f\u00easte Bezeichnung der Tonart verlangen w\u00fcrden, eine Reihe Accorde aus den verschiedensten Tonarten-von .A-Dur bis .F-Dur anscheinend regellos durch einander gew\u00fcrfelt, gegen alle unsere Regeln","page":379},{"file":"p0380.txt","language":"de","ocr_de":"380 Dritte Abtheilung. Dreizehnter Abschnitt.\nder Modulation. Und wer wiird\u00e8 ohne Kenntniss der Kirchentonarten aus diesem Anfang die Tonica des St\u00fcckes errathen k\u00f6nnen? Als solche erscheint am Ende der ersten Strophe _D, und auf das D weist auch die Erh\u00f6hung des (T zu Gis im ersten Accorde hin, und die Hauptmelodie, welche der Tenor zu f\u00fchren hat, l\u00e4sst von Anfang an D als Tonica erkennen. Aber erst im achten Takte des Satzes erscheint ein D-Mollaccord, den ein moderner Componist auf den ersten guten Takttheil des ersten Taktes h\u00e4tte setzen m\u00fcssen.\nEs spricht sich in diesen Z\u00fcgen sehr deutlich aus, wie abweichend die Natur des ganzen Systems der Kirchentonarten von unseren modernen Tonarten war, denn wir d\u00fcrfen von Meistern, wie Palestrina, sicher voraussetzen, dass ihre Harmonisirung sich auf ein richtiges Gef\u00fchl f\u00fcr das eigenth\u00fcmliclie Wesen jener Tonarten gr\u00fcndete, und nicht auf Willk\u00fcr und Ungeschick, um so mehr ihnen die Fortschritte, welche inzwischen im protestantischen Kirchenliede gemacht waren, nicht unbekannt sein konnten.\nWas wir in solchen Beispielen, wie dies angef\u00fchrte eines ist, vermissen, ist erstens, dass der Accord der Tonica nicht gleich im Anfang die hervortretende Rolle spielt, die ihm in der modernen Musik zukommt. In dieser hat der tonische Accord unter den Accorden eben dieselbe hervorragende und verbindende Bedeutung, wie unter den T\u00f6nen der Tonleiter die Tonica. Zweitens vermissen wir \u00fcberhaupt das Gef\u00fchl f\u00fcr die Verwandtschaft der auf einander folgenden Accorde, welches bewirkt, dass in der Regel die moderne Musik nur Accorde auf einander folgen l\u00e4sst, welche durch einen gemeinsamen Ton mit einander verbunden sind. Es h\u00e4ngt dies offenbar damit zusammen, dass, wie wir sp\u00e4ter sehen werden, in den alten Kirchentonarten nicht so eng unter sich und mit dem tonischen Accorde verbundene Accordketten herzustellen sind, wie in der modernen Dur- und Molltonart.\nWenn also auch bei Palestrina und Gabrieli sich schon eine feine k\u00fcnstlerische Empfindung f\u00fcr die \u00e4sthetische Wirkung der einzelnen verschiedenartigen Accorde zu erkennen giebt, und insofern die Harmonien bei ihnen schon ihre selbst\u00e4ndige Bedeutung haben, so fehlen doch noch diejenigen Erfindungen, welche den musikalischen Zusammenhang des Accordgewebes in sich selbst herstellen sollten. Diese Aufgabe erforderte aber eine Beschr\u00e4nkung und Umformung der bisherigen Tonleitern auf unSer","page":380},{"file":"p0381.txt","language":"de","ocr_de":"381\nPeriode der polyphonen Musik.\nDur und Moll. Andererseits ging durch diese Beschr\u00e4nkung diejenige Mannigfaltigkeit des Ausdrucks gr\u00f6sstentheils verloren, \u25a0welche auf der Yerschiedenartigkeit der Tonleitern beruhte. Die alten Tonleitern bilden theils Zwischenstufen zwischen Dur und Moll, theils steigern sie noch den Charakter der Molltonart, wie die phrygische Kirchentonart. Diese Verschiedenheit ging verloren und musste durch neue Hilfsmittel ersetzt werden, n\u00e4mlich durch die Transposition der Tonleitern in verschiedene Grundt\u00f6ne und die modulatorischen Ueberg\u00e4nge von einer zur anderen Tonart.\nDiese Umbildung vollzog sich im Laufe des 17. Jahrhunderts. Den lebhaftesten Anstoss aber, erhielt die Ausbildung harmonischer Musik durch die beginnende Entwickelung der Oper, welche angeregt war durch die erneute Bekanntschaft mit dem classi-schen Alterthume, und geradezu unternommen wurde in der Absicht, die antike Trag\u00f6die wieder herzustellen, von der man wusste, dass sie musikalisch recitirt worden sei. Hier dr\u00e4ngte sich unmittelbar die Aufgabe dem Componisten auf, eine oder wenige Solostimmen musikalische S\u00e4tze ausf\u00fchren zu lassen, welche doch harmonisirt sein mussten, um zwischen die polyphonisch bearbeiteten Ch\u00f6re hineinzupassen, und in denen die Singstimmen vor allen anderen heraustreten, die begleitenden Stimmen ganz untergeordnet gehalten werden mussten. Dadurch ergab sich zun\u00e4chst die Erfindung desBecitativs durch Jacob Peri und Caccini um 1600, und arioser Sologes\u00e4nge durch Claudio Monteverde und Yiadana. In der Notenschrift k\u00fcndet sich die neue Betrachtungsweise der Harmonie dadurch an, dass bei diesen Componisten die bezifferten B\u00e4sse erscheinen. Jede solche bezifferte Bassnote repr\u00e4sentirt einen Accord, und es werden also die Accorde bezeichnet, w\u00e4hrend die F\u00fchrung der Stimmen in diesen Accorden dem Geschmack des Spielers \u00fcberlassen bleibt. Was also in der polyphonen Musik Nebensache war, wird hier Hauptsache, und umgekehrt.\nDie Oper machte es auch nothwendig, nach st\u00e4rkeren Ausdrucksmitteln zu suchen, als die Kirchenmusik zugelassen hatte. Bei Monteverde, welcher an neuen Erfindungen ungemein reich war, finden wir die Septimenaccorde zuerst frei einsetzend, wor\u00fcber er von seinem Zeitgenossen Artusi heftig getadelt wird. Ueber-haupt entwickelt sich schnell ein k\u00fchnerer Gebrauch der Dissonanzen,'welche in selbst\u00e4ndiger Bedeutung, um sch\u00e4rfere Schatti-","page":381},{"file":"p0382.txt","language":"de","ocr_de":"382 Dritte Abtheilung. Dreizehnter Abschnitt.\nrangen des Ausdrucks zu erreichen, und nicht mehr als zuf\u00e4llige Ergebnisse der Stimmf\u00fchrung eintreten.\nUnt\u00e8r diesen Einfl\u00fcssen begann denn auch schon hei Mon-teverde die Umgestaltung und Verschmelzung der dorischen, \u00e4olischen und phrygischen Kirchentonart in unsere moderne Molltonart, welche im Laufe des siebenzehnten Jahrhunderts sich vollzog, wodurch auch diese Tonarten f\u00fcr die Hervorhebung der To-nica in der Harmonisirung geschickter gemacht wurden, wie wir dies sp\u00e4ter genauer begr\u00fcnden werden.\nWir haben der Hauptsache nach schon bezeichnet, welchen Einfluss diese Aenderungen auf die Natur des Tonsystems hatten. Da das bisherige Bindemittel der musikalischen S\u00e4tze, n\u00e4mlich die kanonische Wiederholung gleicher melodischer Figuren, \u00fcberall wegfallen musste, wo eine der Melodie untergeordnete einfache harmonische Begleitung eintrat, musste im Klang der Accorde selbst ein neues Mittel k\u00fcnstlerischen Zusammenhanges gesucht werden, und dies ergab sich, indem man durch die Harmonisirung einmal die Beziehungen der T\u00f6ne zu der einen herrschenden To-nica viel bestimmter konnte hervortreten lassen, als dies fr\u00fcher der Fall war, und zweitens, indem man den Accorden selbst durch ihre Verwandtschaft unter einander und zum tonischen Accorde ein neues Band gab. Wir werden im Fortgang unserer Untersuchung sehen, dass sich aus diesem Princip die untere, scheidenden Eigenth\u00fcmlichkeiten des modernen Tonsystems herleiten lassen, und dass dieses Princip mit grosser Consequenz in unserer jetzigen Musik durchgef\u00fchrt ist. In der That ist die Art, wie das Tonmaterial der Musik jetzt f\u00fcr den k\u00fcnstlerischen Gebrauch zurecht gemacht ist, an sich schon ein bewunderungsw\u00fcrdiges Kunstwerk, an welchem die Erfahrung, der Scharfsinn und der'k\u00fcnstlerische Geschmack der europ\u00e4ischen Nationen seit Terpander und Pythagoras nun drittehalb Jahrtausende gearbeitet haben. Die Ausbildung der wesentlichen Z\u00fcge seiner jetzigen Gestalt ist aber kaum 200 Jahre alt in der Praxis der Tonsetzer, und seinen theoretischen Ausdruck erhielt das neue Princip erst durch Rameau im Anf\u00e4nge des vorigen Jahrhunderts. In weltgeschichtlicher Beziehung ist es also ganz und gar Product des neueren Zeitalters, national beschr\u00e4nkt auf die germanischen, romanischen, celtischen und slavischen V\u00f6lker.\nMit diesem Tonsysteme, welches grossen Reichthum von Formen bei fest geschlossener k\u00fcnstlerischer Consequenz zuliess, ist","page":382},{"file":"p0383.txt","language":"de","ocr_de":"Periode der polyphonen Musik.\t383\nes nun m\u00f6glich geworden, Kunstwerke zu schaffen, viel gr\u00f6sser an Umfang, viel reicher in Formen und Stimmen, viel energischer im Ausdrucke, als irgend eine vorausgegangene Zeit produciren konnte, und wir sind deshalb gar nicht geneigt, mit den modernen Musikern zu rechten, wenn sie es f\u00fcr das vorz\u00fcglichste von allen erkl\u00e4ren, und ihm ihre Aufmerksamkeit vor allen anderen ausschliesslich zuwenden. In wissenschaftlicher Beziehung dagegen, wenn wir daran gehen seinen Bau zu erkl\u00e4ren und die Conse-quenz desselben aufzudecken, d\u00fcrfen wir nicht vergessen, dass das moderne System nicht aus einer Naturnotwendigkeit entwickelt ist, sondern aus einem frei gew\u00e4hlten Stilprincip, dass neben ihm und vor ihm andere Tonsysteme aus anderen Princi-pien entwickelt worden sind, in deren jedem gewisse beschr\u00e4nktere Aufgaben der Kunst so gel\u00f6st worden sind, dass der h\u00f6chste Grad k\u00fcnstlerischer Sch\u00f6nheit erreicht wurde.\nDie Beziehung auf die Geschichte der Musik wird in der vorliegenden Abtheilung unseres Werkes auch deshalb n\u00f6thig, weil wir hier Beobachtung und Experiment zur Feststellung der von uns aufgestellten Erkl\u00e4rungen meist nicht anwenden k\u00f6nnen, denn wir k\u00f6nnen uns, erzogen in der modernen Musik, nicht vollst\u00e4ndig zur\u00fcckversetzen in den Zustand unserer Vorfahren, die das Alles nicht kannten, was uns von Jugend auf gel\u00e4ufig ist, und es erst zu suchen hatten. Die einzigen Beobachtungen und Versuche also, auf die wir uns berufen k\u00f6nnen, sind diejenigen, welche die Menschheit in ihrem Entwickelungsgange \u00fcber musikalische Dinge angestellt hat. Wenn unsere Theorie des modernen Tonsystems richtig ist, muss dieselbe auch die Erkl\u00e4rung f\u00fcr die fr\u00fcheren unvollkommeneren Stadien der Entwickelung abgeben k\u00f6nnen.\nAls Grundprincip f\u00fcr die Entwickelung des europ\u00e4ischen Tonsystems stellen wir auf die Forderung, dass die ganze Masse der T\u00f6ne und Harmonieverbindungen in enge und stets deutliche Verwandtschaft zu einer frei gew\u00e4hlten To-nica zu setzen sei, dass aus dieser sich die Tonmasse des ganzen Satzes entwickele und in sie wieder zur\u00fccklaufe. Die 'antike Welt entwickelte dieses Princip an homophoner Musik, die moderne an harmonischer. Dieses Princip ist aber, wie man sieht, ein \u00e4sthetisches, kein nat\u00fcrliches.\nWir k\u00f6nnen seine .Richtigkeit nicht von vorn herein erweisen,","page":383},{"file":"p0384.txt","language":"de","ocr_de":". 384 Dritte Abtheilung. Dreizehnter Abschnitt.\nwir m\u00fcssen sie an seinen Gonsequenzen pr\u00fcfen. Auch ist die Entstehung solcher \u00e4sthetischer Grundprincipien nicht einer Natur-nothwendigkeit zuzuschreiben, sondern sie sind Producte genialer Erfindung, wie wir vorher an den Principien der architektonischen Stilarten als Beispielen erl\u00e4utert haben.","page":384},{"file":"p0385.txt","language":"de","ocr_de":"Vierzehnter Abschnitt.\nDie Tonalit\u00e4t der homophonen Musik.\nDie Musik hat sich das Material, in welchem sie ihre Werke schafft, selbst k\u00fcnstlerisch ausw\u00e4hlen und gestalten m\u00fcssen. Die bildenden K\u00fcnste finden es der Hauptsache nach vorgebildet in der Natur, die sie nachzuahmen streben; Farben und Gestalten sind dort in ihren Grundz\u00fcgen gegeben. Die Poesie findet es in den Worten der Sprache fertig vorgebildet. Die Architektur freilich muss sich ihre Formen ebenfalls selbst schaffen; aber sie werden ihr zum Theil durch technische, nicht rein k\u00fcnstlerische R\u00fccksichten aufgedr\u00e4ngt. Die Musik allein findet ein unendlich reiches, ganz ungeformtes und ganz freies Material vor in den T\u00f6nen der menschlichen Stimme und der k\u00fcnstlichen Musikinstrumente, welches nach rein k\u00fcnstlerischen Principien zu gestalten ist, ohne dass N\u00fctzlichkeitsr\u00fccksichten wie in der Architektur, oder Nachahmung der Natur wie in den bildenden K\u00fcnsten, oder schon fertig Vorgefundene symbolische Bedeutung der Kl\u00e4nge wie in der Poesie irgend eine Schranke anlegten. In der Musik herrscht eine gr\u00f6ssere und vollkommenere Freiheit im Gebrauch des Materials als in irgend einer der anderen K\u00fcnste. Aber von der absoluten Freiheit ist es freilich schwerer, einen richtigen Gebrauch zu machen, als wo \u00e4ussere zwingende Anhaltspunkte die Breite des Weges \u00c4nschr\u00e4nken, welchen der K\u00fcnstler zu betreten\nHelmholtz, pliys. Theorie der Musik.\t25","page":385},{"file":"p0386.txt","language":"de","ocr_de":"386 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nhat. Daher denn auch die Ausbildung des Tonmaterials f\u00fcr die Musik, wie wir gesehen haben, viel langsamer von Statten gegangen ist, als die Entwickelung der \u00fcbrigen K\u00fcnste.\nDiese Ausbildung des Tonmaterials haben wir nun zu untersuchen.\nDie erste Thatsache, welche uns entgegentritt, ist, dass in der Musik aller V\u00f6lker, so weit wir sie kennen, die Ver\u00e4nderung der Tonh\u00f6he in den Melodien stufenweise und nicht in continuirlichem Uebergange erfolgt. Der psychologische Grund dazu scheint derselbe gewesen zu sein, welcher zur Abtheilung rhythmisch sich wiederholender Taktabschnitte gen\u00f6thigt hat. Alle Melodie ist eine Bewegung innerhalb der wechselnden Tonh\u00f6he. Das unk\u00f6rperliche Material der T\u00f6ne ist viel geeigneter, in jeder Art der Bewegung auf das Feinste und F\u00fcgsamste der Absicht des Musikers zu folgen, als irgend ein anderes noch so leichtes k\u00f6rperliches Material; anmuthige Schnelligkeit, schwere Langsamkeit, ruhiges Fortschreiten, wildes Springen, alle diese verschiedenen Charaktere der Bewegung und noch eine unz\u00e4hlbare Menge von anderen lassen sich in den mannigfaltigsten Schattirungen und Combinationen durch eine Folge von T\u00f6nen darstellen, und indem die Musik diese Arten der Bewegung ausdr\u00fcckt, giebt sie darin auch einen Ausdruck derjenigen Zust\u00e4nde unseres Gem\u00fcthes, welche einen solchen Charakter der Bewegung hervorzurufen im Stande sind, sei es nun, dass es sich um Bewegungen des menschlichen K\u00f6rpers oder der Stimme, oder, noch innerlicher, selbst um Bewegung der Vorstellungen im Bewusstsein handeln m\u00f6ge. Jede Bewegung ist uns ein Ausdruck der Kr\u00e4fte, durch welche sie hervorgebracht wird, und wir wissen instinctiv die treibenden Kr\u00e4fte zu beurtheilen,' wenn wir die von ihnen hervorgebrachte Bewegung beobachten. Dies gilt ebenso und vielleicht noch mehr f\u00fcr die durch Kraft\u00e4usserungen des menschlichen Willens und der menschlichen Triebe hervorgebrachten Bewegungen, wie f\u00fcr die mechanischen Bewegungen der \u00e4usseren Natur. In dieser Weise kann denn die melodi\u00f6se Bewegung der T\u00f6ne Ausdruck werden f\u00fcr die verschiedensten menschlichen Gem\u00fcthszust\u00e4nde, nicht f\u00fcr eigentliche Gef\u00fchle \u2014 darin m\u00fcssen wir Hanslick anderen Aesthetikern gegen\u00fcber Recht geben, denn es fehlt der Musik das Mittel, den Gegenstand des Gef\u00fchls deutlich zu bezeichnen, wenn ihr nicht die Poesie zu Hilfe kommt, \u2014 wohl aber f\u00fcr die Gem\u00fcths\u00e4\u00fcimmung, welche","page":386},{"file":"p0387.txt","language":"de","ocr_de":"Der Fortschritt in Tonstufen.\t387\ndurch Gef\u00fchle hervorgebracht wird. Das Wort Stimmung ist offenbar von der Musik entnommen und auf Zust\u00e4nde unserer Seele \u00fcbertragen; es sollen dadurch eben diejenigen Eigen-th\u00fcmlichkeiten der Seelenzust\u00e4nde bezeichnet werden, welche durch Musik darstellbar sind, und ich meine, wir k\u00f6nnen es passend so definiren, dass wir unter Gem\u00fcthsstimmung zu verstehen haben den allgemeinen Charakter, den zeitweilig die Fortbewegung unserer Vorstellungen an sich tr\u00e4gt, und der sich dem entsprechend auch in einem \u00e4hnlichen Charakter der Bewegungen unseres K\u00f6rpers und unserer Stimme zu erkennen giebt. Unsere Gedanken k\u00f6nnen sich schnell oder langsam bewegen, sie k\u00f6nnen ruhelos und ziellos herumirren in \u00e4ngstlicher Aufregung, oder mit Bestimmtheit und Energie ein festgesetztes Ziel ergreifen, sie k\u00f6nnen sich behaglich und ohne Anstrengung in angenehmen Phantasien herumtreiben lassen, oder an eine traurige Erinnerung gebannt, langsam und schwerf\u00e4llig von der Stelle r\u00fccken in kleinen Schritten und kraftlos. Alles dieses kann durch die melodische Bewegung der T\u00f6ne nachgeahmt und ausgedr\u00fcckt werden, und es kann dadurch dem H\u00f6rer, der dieser Bewegung aufmerksam folgt, ein vollkommeneres und eindringlicheres Bild von der Stimmung einer anderen Seele gegeben werden, als es durch ein anderes Mittel, ausgenommen, etwa durch eine sehr vollkommene dramatische Nachahmung der Handlungsweise und Sprechweise des geschilderten Individuums, geschieht.\nUebrigens hat schon Aristoteles die Wirkung der Musik ganz \u00e4hnlich aufgefasst. Im 29sten Probleme fragt er: \u201eWarum passen die Rhythmen und die Melodien, welche Schall sind, sich den Gem\u00fcthsstimmungen an, die Geschm\u00e4cker aber nicht, und auch nicht die Farben und die Ger\u00fcche? Etwa weil sie Bewegungen sind, so wie auch die Handlungen? Schon die darin liegende Energie beruht auf einer Stimmung und macht eine Stimmung. Die Geschm\u00e4cker aber und Farben thun es nicht in gleicher Weise.\u201c Und am Ende des 27sten Problem sagt derselbe: \u201eDiese Bewegungen (der Rhythmen und Melodien n\u00e4mlich) sind thatkr\u00e4ftig, Thaten aber sind die Zeichen der Gem\u00fcthsstimmung.\u201c\nNicht bloss Musik, sondern auch andere Arten der Bewegung k\u00f6nnen \u00e4hnliche Wirkungen hervorbringen. Namentlich bietet das bewegte Wasser, sei es in Wasserf\u00e4llen, sei es im Wogen des Meeres, das Beispiel eines Eindrucks, der einem musikalischen einigermassen \u00e4hnlich ist. Wie lange und wie oft kann man am\n25*","page":387},{"file":"p0388.txt","language":"de","ocr_de":"388 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nUfer sitzen und den anlaufenden Wogen Zusehen! Ihre rhythmische Bewegung, welche doch im Einzelnen fortdauernden Wechsel zeigt, bringt ein eigenth\u00fcmliches Gef\u00fchl von behaglicher Ruhe ohne Langeweile hervor, und den Eindruck eines m\u00e4chtigen, aber geordneten und sch\u00f6n gegliederten Lebens. Wenn die See ruhig und glatt ist, kann man sich eine Weile an ihren Farben freuen, aber sie gew\u00e4hrt keine so dauernde Unterhaltung, als wenn sie wogt. Kleine Wellen dagegen auf kleineren Wasserfl\u00e4chen folgen sich zu hastig und beunruhigen mehr, als dass sie unterhalten.\nDie Tonbewegung aber ist allen Bewegungen k\u00f6rperlicher Massen \u00fcberlegen in der Feinheit und Leichtigkeit, mit der sie die mannigfaltigsten Arten des Ausdrucks annehmen und nachahmen kann, daher ihr die Schilderung der Stimmungen haupts\u00e4chlich zuf\u00e4llt, welche die \u00fcbrigen K\u00fcnste nur mittelbar erreichen k\u00f6nnen, indem sie die Veranlassungen darstellen, welche die Stimmung hervorgebracht haben, oder die Worte, die Handlungen, die \u00e4ussere Erscheinung des K\u00f6rpers, die aus ihr folgen. Am bedeutendsten ist die Verbindung der Musik mit dem Worte, weil das Wort die Veranlassung der Stimmung, das Object, worauf sie sich bezieht, bezeichnen und das Gef\u00fchl, welches ihr zu Grunde liegt, angeben kann, w\u00e4hrend die Musik die Art der Gem\u00fcthsbewe-gung ausdr\u00fcckt, die dem Gef\u00fchle verbunden ist. Wenn verschiedene H\u00f6rer den Eindruck von Instrumentalmusik zu schildern suchen, thun sie es oft, indem sie ganz verschiedene Situationen oder Gef\u00fchle angeben, welche in der Musik geschildert worden seien. Der Unkundige verlacht dann wohl solche Enthusiasten, und doch k\u00f6nnen sie alle mehr oder weniger Recht haben, weil die Musik nicht die Gef\u00fchle und Situationen schildert, sondern nur die Stimmungen, welche der H\u00f6rer aber nicht anders zu bezeichnen weiss, als durch Schilderung solcher \u00e4usseren Verh\u00e4ltnisse, unter denen dergleichen Stimmungen 'bei ihm einzutreten pflegen. Es k\u00f6nnen aber verschiedene Gef\u00fchle unter verschiedenen Umst\u00e4nden und bei verschiedenen Individuen gleiche Stimmungen, und gleiche Gef\u00fchle verschiedene Stimmungen hervorbringen. Liebe ist ein Gef\u00fchl. Direct als solche kann sie nicht durch die Musik dargestellt werden. Die Stimmungen eines Liebenden k\u00f6nnen bekanntlich den \u00e4ussersten Grad des Wechsels zeigen. Nun kann die Musik etwa das tr\u00e4umerische Sehnen nach \u00fcberschw\u00e4nglicher Gl\u00fcckseligkeit ausdr\u00fccken, welches durch Liebe hervorgerufen werden kann. Genau dieselbe Stimmung kann aber auch durch","page":388},{"file":"p0389.txt","language":"de","ocr_de":"Der Fortschritt in Tonstufen.\t389\nreligi\u00f6se Schw\u00e4rmerei entstehen. Wenn also ein Musikst\u00fcck diese Stimmung ausdr\u00fcckt, liegt kein Widerspruch darin, wenn der eine H\u00f6rer darin die Sehnsucht der Liehe, der andere die Sehnsucht frommer Begeisterung findet. In diesem Sinne ist Vischer\u2019s etwas paradox klingender Ausdruck nicht unrichtig, dass man die Mechanik der Gem\u00fcthsbewegungen vielleicht am besten werde an ihrem musikalischen Ausdrucke studiren k\u00f6nnen. In der That besitzen wir kein anderes Mittel, sie so genau und fein ausz\u00fc-dr\u00fccken, wie das ihrer musikalischen Darstellung.\nEs soll also, wie wir gesehen haben, die Melodie eine Bewegung ausdr\u00fccken, und zwar so, dass der Charakter dieser Bewegung sich der unmittelbaren Wahrnehmung des H\u00f6rers leicht, deutlich und sicher zu erkennen giebt. Dies kann nur geschehen, wenn die Schritte dieser Bewegung, ihre Schnelligkeit, ihre Gr\u00f6sse auch f\u00fcr die unmittelbare sinnliche Wahrnehmung genau abmessbar sind. Die melodische Bewegung ist Ver\u00e4nderung der Tonh\u00f6he in der Zeit. Um sie vollst\u00e4ndig zu messen, muss sowohl die L\u00e4nge der verlaufenden Zeit, als auch die Breite der Ver\u00e4nderung in der Tonh\u00f6he messbar sein. Beides kann f\u00fcr die unmittelbare Beobachtung nur geschehen, wenn der Fortschritt sowohl in der Zeit, als in der Tonh\u00f6he, in regelm\u00e4ssigen und fest bestimmten Stufen geschieht. F\u00fcr die Zeit ist dies unmittelbar klar, denn alle unsere Zeitmessung, auch die wissenschaftliche, beruht auf der rhythmischen Wiederkehr gleicher Ereignisse, auf dem Umlauf der Erde, des Mondes, den Schwingungen des Pendels. So erhalten wir auch durch den regelm\u00e4ssigen Wechsel accentuirter und nicht accentuirter Laute in Musik und Poesie das dem Kunstwerk mitgegebene Zeitmaass. W\u00e4hrend aber in der Poesie der Versbau nur dazu didfft, auch in die \u00e4usserlichen Zuf\u00e4lligkeiten des Sprachausdrucks k\u00fcnstlerische Ordnung zu bringen, geh\u00f6rt in der Musik der Rhythmus, gleichsam als der getheilte Maassstab f\u00fcr die Zeit, zum innersten Wesen ihres Ausdruckes ; daher denn auch eine viel feinere und mannigfaltigere Ausbildung des musikalischen Rhythmus als des poetischen n\u00f6thig wurde.\nAuch f\u00fcr die A\u00e8nderung der Tonh\u00f6he ist stufenweiser Fortschritt n\u00f6thig, weil \u00fcberhaupt Bewegung f\u00fcr die Anschauung nicht anders abzumessen ist, als wenn die Breite des durchmessenen Raum\u00e9s in Stufen abgetheilt ist. Auch in wissenschaftlichen Untersuchungen k\u00f6nnen wir ja die Geschwindigkeit einer continuir-","page":389},{"file":"p0390.txt","language":"de","ocr_de":"390 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nliehen Bewegung nicht anders messen, als indem wir den durchlaufenen Raum mit dem Maassstabe messen, wie die Zeit durch die Secundenschl\u00e4ge.\nMan k\u00f6nnte mir einwerfen, dass die Architektur in ihren Arabesken, welche man in vielen Beziehungen und mit Recht mit musikalischen Figuren verglichen hat, und welche ebenfalls einen gewissen Ausdruck geordneter Bewegung in sich tragen, vielf\u00e4ltig continuirlich gekr\u00fcmmte Linien, statt stufenf\u00f6rmig gebrochener anwendet. Aber erstens begann die Kunst der Arabesken in der That mit der griechischen M\u00e4anderlinie, welche aus rechtwinklig gestellten geraden Linien zusammengesetzt ist, die in genau gleichen Abst\u00e4nden von einander verlaufen und stufenf\u00f6rmig sich absetzen. Zweitens kann das Auge, welches Arabesken \u00fcberschaut, alle Theile der geschwungenen Linie gleichzeitig \u00fcbersehen und vergleichen, es kann hin- und hergehen, das fr\u00fcher Gesehene Wiedersehen; daher bleibt die F\u00fchrung der Linien trotz ihrer continuir-lichen Kr\u00fcmmung vollst\u00e4ndig \u00fcbersichtlich, und es konnte die strengere Regelm\u00e4ssigkeit der griechischen Arabeskenmuster aufgegeben werden mit gutem Erfolge f\u00fcr die Freiheit dieses Kunstzweiges. W\u00e4hrend aber so in den einzelnen kleinen Verzierungen der Architektur freiere Formen zugelassen sind, wird f\u00fcr die Gliederung eines gr\u00f6sseren Ganzen, sei es eine Arabeskenreihe oder die Reihe der Fenster, S\u00e4ulen u. s. w. eines ganzen Geb\u00e4udes, doch immer das einfache arithmetische Gesetz der stufenweisen Wiederholung gleicher Theile in gleichen Abst\u00e4nden festgehalten.\nVon einer Melodie treten uns die einzelnen Theile nach einander an das Ohr, wir k\u00f6nnen sie nicht alle zugleich in der Wahrnehmung haben, wir k\u00f6nnen nicht nach Belieben beobachtend vor- und zur\u00fcckgehen, es bleibt also f\u00fcr eine klare und sichere Abmessung des Wechsels der Tonh\u00f6he kein anderes Mittel, als der Fortschritt in fest bestimmten Stufen. Eine solche Stufenreihe ist vorgeschrieben in der musikalischen Tonleiter. Wenn der Wind heult, und seine Tonh\u00f6he in allm\u00e4ligeh Ueber-g\u00e4ngen ohne Absatz bald steigt, bald f\u00e4llt, so fehlt diesen Ver\u00e4nderungen der Tonh\u00f6he jedes Maass, mittelst dessen wir die sp\u00e4teren Laute mit den fr\u00fcheren vergleicheti und die Breite der Ver\u00e4nderung \u00fcberschauen k\u00f6nnten. Das Ganze macht einen wirren und unangenehmen Eindruck. Die musikalische Tonleiter ist gleichsam der eingetheilte Maassstab, an dem wir den Fortschritt","page":390},{"file":"p0391.txt","language":"de","ocr_de":"391\nDie Verwandtschaft der Kl\u00e4nge.\nin der Tonh\u00f6he messen, wie der Rhythmus dasselbe f\u00fcr die Zeit ist. Die Analogie zwischen Tonleiter und Rhythmus ist deshalb auch den musikalischen Theoretikern der \u00e4ltesten wie der j\u00fcngsten Zeit immer aufgefallen.\nDar\u00fcber also finden wir von der \u00e4ltesten Zeit bis zur neuesten und bei allen Nationen, die \u00fcberhaupt musiciren, allgemeinste Uebereinstimmung, dass von den unendlich vielen continuirlich in einander \u00fcbergehenden Graden d.er Tonh\u00f6he, welche m\u00f6glich sind, und vom Ohre wahrgenommen werden k\u00f6nnen, gewisse bestimmte Stufen ausgeschieden werden, welche die Tonleiter bilden, in der sich die Melodie bewegt. Welche besonderen. Tonstufen aber ausgew\u00e4hlt werden, ist eine Frage, bei deren Entscheidung die Abweichungen des nationalen Geschmacks sichtbar werden, denn die Zahl der Tonleitern, welche bei verschiedenen V\u00f6lkern und in verschiedenen Zeiten gebraucht worden sind, ist ziemlich gross.\nFragen wir also, welcher Grund kann da sein, wenn wir von einem gewissen Anfangstone ausgehen, den Schritt nach irgend einem bestimmten anderen Tone zu bevorzugen vor den Schritten nach seinen Nachbart\u00f6nen? Wir erinnern uns dabei, dass schon beim Zusammenklange je zweier T\u00f6ne ein solches Verh\u00e4ltniss von uns bemerkt worden ist. Es ergab sich dort, dass gewisse besondere Tonintervalle, n\u00e4mlich die Co'nsonanzen, sich im Zusammenklange vor allen von ihnen auch nur wenig verschiedenen Intervallen durch den Mangel der Schwebungen auszeichneten. Einige dieser Intervalle, die Octave, die Quinte und Quarte finden wir nun- auch in allen bekannten Tonleitern wieder. Die neueren Theoretiker, welche im Systeme der harmonischen Musik aufgewachsen waren, haben deshalb geglaubt, den Ursprung der Tonleiter durch die Annahme erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen, dass alle Melodie entstehe, indem man sich eine Harmonie dabei denke, und die Tonleiter, als die Hauptmelodie der Tonart, entstanden sei durch Aufl\u00f6sung der Grundaccorde der Tonart in ihre einzelnen T\u00f6ne. Diese Ansicht ist f\u00fcr die modernen Tonleitern allerdings richtig; wenigstens sind diese modificirt worden nach den Erfordernissen der Harmonie. Aber Tonleitern sind historisch l\u00e4ngst vorhanden gewesen, noch ehe irgend welche Erfahrungen \u00fcber Harmonie Vorlagen.' Und wenn man in der Geschichte der Musik \u00fcberblickt, wie lange Zeit die europ\u00e4ischen Musiker gebraucht haben, um eine Melodie harmonisch begleiten zu lernen, und wie ungeschickt die ersten Versuche darin ausfielen, so kann es nicht zweifelhaft","page":391},{"file":"p0392.txt","language":"de","ocr_de":"392 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nsein, dass ein Gef\u00fchl f\u00fcr harmonische Begleitung bei den \u00e4lteren Oomponisten der homophonen Musik keineswegs existirt habe, so wie sich denn auch jetzt noch viele der begabteren Orientalem gegen unsere harmonische Musik str\u00e4uben. Auch das ist zu beachten, dass viele Volksmelodien, theils aus \u00e4lterer Zeit, theils fremdl\u00e4ndischen Ursprungs, kaum eine harmonische Begleitung zulassen, die ihren Charakter nicht zerst\u00f6rt.\nEben so ist es mit Rameau\u2019s Annahme eines subintendirten Fundamentalbasses hei der Construction einer einstimmigen Melodie oder, einer Tonleiter. Ein neuerer Componist wird sich allerdings meist .sogleich den Fundamentalbass zu einer Melodie denken, die er erfindet. Aber Musiker, welche noch nie harmonische Musik geh\u00f6rt haben, und keine solche zu setzen verstehen, wie sollen die es k\u00f6nnen? Es ist hier offenbar dem allerdings unbewusst viele Beziehungen herausf\u00fchlenden K\u00fcnstlergeiste zu viel zugemuthet, wenn man behauptet, er solle Beziehungen der T\u00f6ne beachten, die er nie oder wenigstens nur selten mit leiblichem Ohre vernommen hatte, und die erst eine ferne Nachzeit herauszufinden und zu benutzen bestimmt war.\nAber wenn es auch klar ist, dass in den Perioden der rein homophonen Musik die Tonleiter nicht nach den Bed\u00fcrfnissen unbewusst dazu gedachter Accordverbindungen construirt werden konnte, so kann doch die angef\u00fchrte Ansicht und Hypothese der Musiker in etwas abge\u00e4nderter Fassung einen Sinn erhalten, wenn wir n\u00e4mlich annehmen, dass dieselben physikalischen und physiologischen Beziehungen der Kl\u00e4nge, welche sich bei den Zusammenkl\u00e4ngen geltend machen, und die Gr\u00f6sse der consonanten Intervalle bestimmen, auch in der Construction der Tonleiter, wenn auch unter abge\u00e4nderten Bedingungen, wirksam sein k\u00f6nnen.\nBeginnen wir mit der Octave, deren Beziehung zum Grundtone die auffallendste ist. Es sei irgend eine Melodie von irgend einem Instrumente, welches eine gute musikalische Klangfarbe hat, etwa einer menschlichen Stimme, ausgef\u00fchrt worden, so hat der H\u00f6rer ausser den Grundt\u00f6nen der Kl\u00e4nge auch deren h\u00f6here Octaven und schw\u00e4cher die \u00fcbrigen Obert\u00f6ne geh\u00f6rt. Wenn nun eine h\u00f6here Stimme dieselbe Melodie nachher in der h\u00f6heren Octave ausf\u00fchrt, so h\u00f6ren wir einen Theil dessen wieder, was wir eben geh\u00f6rt haben, n\u00e4mlich die geraden Theilt\u00f6ne der fr\u00fcheren Kl\u00e4nge, und wir h\u00f6ren dabei nichts Neues, was wir","page":392},{"file":"p0393.txt","language":"de","ocr_de":"393\nDie Verwandtschaft der Kl\u00e4nge.\nnicht schon geh\u00f6rt h\u00e4tten. Es ist daher Wiederholung einer Melodie in der h\u00f6heren Octave eine wirkliche Wiederholung des schon Geh\u00f6rten, zwar nicht des Ganzen, aber doch eines Theils. Wenn wir eine tiefe Stimme von einer h\u00f6heren in der Octave begleiten lassen, die einzige mehrstimmige Musik, welche die Griechen anwendeten, so f\u00fcgen wir der tieferen nichts Neues hinzu, sondern verst\u00e4rken nur die geradzahligen Theilt\u00f6ne derselben. In diesem Sinne sind also die Kl\u00e4nge einer h\u00f6heren Octave wirkliche Wiederholungen der Kl\u00e4nge der tieferen Octaven, wenigstens eines Bestandtheils derselben. Daher ist die erste und oberste Haupteintheilung unserer musikalischen Scala die in eine Reihe von Octaven, und wir betrachten in Beziehung auf Melodie und Harmonie die gleichnamigen T\u00f6ne verschiedener Octaven als gleichgeltend, was in dem angegebenen Sinne und bis zu einer gewissen Grenze richtig ist. Die Begleitung in der Octave giebt vollkommene Consonanz, aber sie giebt nichts Neues, sondern nur eine Verst\u00e4rkung schon vorhandener T\u00f6ne. Sie ist deshalb musikalisch anwendbar zur Verst\u00e4rkung einer Melodie, welche kr\u00e4ftig herausgehoben werden soll, aber ihr fehlt die Mannigfaltigkeit der polyphonischen Musik, und sie erscheint daher eint\u00f6nig, und ist verboten, wo die Musik polyphonisch sein soll.\nWas von der Octave gilt, gilt in geringerem Grade auch von der Duodecime. Wird eine Melodie in der Duodecime wiederholt, so wird ebenfalls schon Geh\u00f6rtes wieder geh\u00f6rt, nur dass der Bestandtheil des Geh\u00f6rten, welcher wiederholt wird, viel schw\u00e4cher ist, indem nur der dritte, sechste, neunte u. s. w. Theil-ton wieder angegeben werden, w\u00e4hrend bei der Wiederholung in der Octave f\u00fcr den dritten der st\u00e4rkere zweite und vierte, f\u00fcr den neunten der achte und zehnte auftreten u. s. w. Die Wiederholung der Melodie in der Duodecime ist also unvollkommener, als die in der Octave, weil nur ein kleinerer Theil des Geh\u00f6rten wiederholt wird. Statt ihrer kann nun auch die Wiederholung eine Octave tiefer in der Quinte eintreten. Die Wiederholung in der Quinte ist keine reine Wiederholung, wie es die Wiederholung in der Duodecime ist. Wrenn die Schwingungszahl des Grundtones 2 ist, so sind Theilt\u00f6ne\ndes Grundklanges\t2 4 6 8 10\t12\nder Duodecime\t6\t12\nder Quinte\t3\t6\t9\t12.\nWenn wir die Duodecime angeben, wiederholen wir die T\u00f6ne","page":393},{"file":"p0394.txt","language":"de","ocr_de":"394 Dritte Abtlieilung. Vierzehnter Abschnitt.\n6 und 12, die schon im Grundklange waren. Wenn wir die Quinte angeben, wiederholen wir zwar dieselben T\u00f6ne auch, aber wir bringen noch neue T\u00f6ne, n\u00e4mlich 3 und 9 hinzu. Bei der Wiederholung in der Quinte ist also nur ein Theil des Neuen identisch mit einem Theile des fr\u00fcher Geh\u00f6rten, aber es ist die am meisten vollkommene Wiederholung, die wir in einem kleineren Abstande als einer Octave machen k\u00f6nnen. Hiervon r\u00fchrt es offenbar her, dass man noch jetzt unge\u00fcbte S\u00e4nger, wenn sie mit anderen im Chore ein Lied singen wollen, welches ihrer Stimmlage nicht passt, oft in der Quinte mitsingen h\u00f6rt, worin sich recht deutlich ausspricht, dass auch dem ungebildeten Ohre die Wiederholung in der Quinte als eine nat\u00fcrliche Wiederholung erscheint. Systematisch ausgebildet war dies Mitsingen in der Quinte und Quarte, wie erw\u00e4hnt, in den fr\u00fcheren Zeiten des Mittelalters. Aber auch in der neueren Musik spielt die Wiederholung in der Quinte eine hervorragende Rolle n\u00e4chst der Wiederholung in der Octave. In den normalen Fugen wird bekanntlich das Thema zun\u00e4chst in der Quinte wiederholt; in der Normalform der Instrumentalst\u00fccke, der der Sonate, wird das Thema im ersten Satze in die Quinte hin\u00fcbergef\u00fchrt, um im zweiten Theile im Grundtone wiederzukehren. Diese Art unvollkommener Wiederholung des Eindrucks in der Quinte hat denn auch die Griechen veranlasst, die Breite der Octave noch einmal zu theilen in zwei \u00e4quivalente Abschnitte, n\u00e4mlich in zwei Tetrachorde. Unsere Durtonleiter nach diesem Principe abgetheilt w\u00fcrde lauten :\ncdefgahcdef\nii\nDie Tonfolge des zweiten Tetrachords ist eine Wiederholung der Tonfolge des ersten, eine Quinte h\u00f6her verlegt. Um in die Octaventheilung zu passen, m\u00fcssen die Tetrachorde abwechselnd getrennt und verbunden an einander gereiht werden. Verbunden nennt man sie, wenn wie zwischen II und III der letzte Ton c des unteren auch der erste des oberen ist; wenn dagegen wie in I und II der letzte Ton des unteren vom ersten des oberen verschieden ist, so heissen sie getrennt. In dem zweiten Tetrachorde g \u2014 c musste jede aufsteigende Tonreihe schliesslich zu c als Schlusston leiten, welches gleichzeitig auch die Octave des Grundtones des ersten Tetrachords ist. Dieses c ist nun die Quarte des g, des Grundtones des zweiten Tetrachords. Sollte die Tonfolge in bei-","page":394},{"file":"p0395.txt","language":"de","ocr_de":"395\nDie Verwandtschaft der Kl\u00e4nge.\nden Tetrachorden gleich gemacht werden, so musste zun\u00e4chst im unteren Tetrachorde der dem c entsprechende Ton / hinzugef\u00fcgt werden. Die Quarte f w\u00fcrde sich \u00fcbrigens auch unabh\u00e4ngig von dieser Analogie der Tetrachorde ergeben haben in derselben Weise wie die Quinte. Die Quinte ist der Klang, dessen zweiter Theilton gleich dem dritten des Grundtons ist; die Quarte der Klang, dessen dritter Theilton gleich dem zweiten der Octave ist. So sind also zun\u00e4chst die Grenzt\u00f6ne der beiden analogen Abtheilungen der Octave bestimmt, n\u00e4mlich:\naber die Ausf\u00fcllung der Zwischenr\u00e4ume bleibt vor der Hand noch willk\u00fcrlich, und ist auch von den Griechen seihst in verschiedenen Perioden verschieden, anders wieder von anderen alten V\u00f6lkern vollzogen worden, w\u00e4hrend die Eintheil\u00fcng der Scala in Octaven, die der Octave in zwei analoge Tetrachorde fast ausnahmslos vorkommt.\nNach einer Notiz des Bo\u00ebthius soll bis zum Orpheus hin die \u00e4lteste Stimmung der Lyra die erw\u00e4hnte in -unausgef\u00fcllten Tetrachorden gewesen sein,\nc \u2014/ \u2014 g \u2014 c,\nmit welcher freilich kaum eine Melodie zu bilden m\u00f6glich gewesen w\u00e4re. Doch sind in diesen T\u00f6nen allerdings die Hauptstufen f\u00fcr die Tonf\u00e4lle des gew\u00f6hnlichen Sprechens enthalten, so dass eine solche Lyra doch m\u00f6glicher Weise zur Begleitung der Declamation h\u00e4tte gebraucht werden k\u00f6nnen. Indessen k\u00f6nnen wir nat\u00fcrlich f\u00fcr diese Aussage des Bo\u00ebthius auch nicht den kleinsten Grad von Glaubw\u00fcrdigkeit in Anspruch nehmen.\nMan sollte nun meinen, dass nach demselben Principe, nach welchem die Octave, die Quinte, die Quarte gefunden waren, auch die Terzen und Sexten h\u00e4tten gefunden werden k\u00f6nnen, denn wenn auf einen Anfangston seine grosse Terz folgt, so ist der f\u00fcnfte Partialton des ersten Klanges gleich dem vierten des zweiten, und der f\u00fcnfte Ton ist bei guten musikalischen Klangfarben meist noch ziemlich gut zu h\u00f6ren. Indessen je schw\u00e4cher die \u00fcbereinstimmenden Obert\u00f6ne werden, desto'schwerer wird es nat\u00fcrlich, die dadurch gegebene Beziehung der T\u00f6ne zu empfinden, besonders weil diese Ueb er einstimmun g beim gew\u00f6hnlichen unbefangenen H\u00f6ren zwar empfunden werden kann, aber nicht als solche zur bewussten Wahrnehmung kommt. Wir d\u00fcrfen uns also","page":395},{"file":"p0396.txt","language":"de","ocr_de":"396 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nnicht wundern, dass die Verwandtschaft der Octave, der Quinte und auch wohl die der Quarte zu ihrem Grundtone im melodischen Fortschritte von allen musicirenden V\u00f6lkern leicht und sicher bemerkt wurde, die Verwandtschaft der Terzen und Sexten aber viel schwerer, und dass die letzteren Intervalle zu sicherer und bestimmter Anerkennung erst durch die harmonische Musik gelangten.\nWenn man also auf diesem nat\u00fcrlichsten und consequente-sten Wege zun\u00e4chst noch, nicht vorzuschreiten wusste, wenn dazu erst eine noch feinere Ein\u00fcbung des Ohres f\u00fcr Tonbeziehungen n\u00f6thig war, welche Mittel hatte man dann, um weitere feste Stufen innerhalb der Tetrachorde zu finden?\nEinzelne Abtheilungen der Tetrachorde, welche die indische und arabische Musik darbieten soll, einige auch, welche von den-sp\u00e4teren griechischen Theoretikern aufgestellt werden, sehen ganz so aus, als h\u00e4tte man hier der Willk\u00fcr oder auch vielleicht mathematischen oder phantastischen Speculationen den Z\u00fcgel schiessen lassen; so das gleiche diatonische System des Ptolem\u00e4us, in welchem das Tetrachord in drei nahehin gleiche Tonstufen 9:10, 10 : 11 und 11 : 12 getheilt wurde; das tonische des Archytas mit der Abtheilung 7:8, 8 : 9, 27 : 28. Wenn man willk\u00fcrliche Abtheilungen machen wollte, so konnte man wohl am ersten auf den Einfall kommen, das Tetrachord in eine gewisse Anzahl gleicher Theile zu theilen, zum Beispiel in drei, wie hei Ptolem\u00e4us. Und in der That entspricht dem gleichen diatonischen System desselben die noch jetzt nach Villoteau von den arabischen Musikanten in Aegypten gebrauchte Tonleiter, wenigstens'ungef\u00e4hr. Auch die indischen Tonleitern mit ihren Vierteltonsintervallen sind wenigstens nach den bisher vorliegenden Nachrichten, aus denen freilich nicht immer deutlich hervorgeht, was Pr\u00e4xis der Musiker und was Speculation der Theoretiker ist, noch auf keinen vern\u00fcnftigen und nat\u00fcrlichen Grund zur\u00fcckzuf\u00fchren.\nWenn man nun aber auch zun\u00e4chst nicht solche T\u00f6ne weiter zu finden wusste, welche direct verwandt waren mit dem Anfangston, von dem ausgehend man die Octave, Quinte und Quarte gefunden hatte, und den wir mit c bezeichnet haben, so war es doch von der gefundenen Quinte g aus m\u00f6glich, eine neue Quinte d zu finden, und von der Quarte / aus eine neue Quarte b, wodurch sich folgende Leiter bildete :","page":396},{"file":"p0397.txt","language":"de","ocr_de":"397\nF\u00fcnfstufige Tonleitern.\nc \u2014\td\u2014/\u2014\tg\t\u2014 b\t\u2014\tc\n1\ti. \u00b1\t3\t16\tO\n1\t8\t3\t2\t9\t^\nDies ist die uralte chinesische und g\u00e4lische Tonleiter. Sie zeigt drei Stufen, welche einen ganzen Ton-| betragen, n\u00e4mlich c \u2014 d, f \u2014 g, b \u2014 c, und zwei Stufen von U/j T\u00f6nen, im Ver-h\u00e4ltniss \u2014, n\u00e4mlich d \u2014 / und g \u2014 b. Beide genannten Volks-st\u00e4mme haben diese f\u00fcnftonige Leiter im Wesentlichen bis auf die neueste Zeit in der Bildung ihrer Melodien beibehalten, obgleich beide daneben die vollst\u00e4ndigere diatonische Leiter kennen gelernt haben. Bei den Chinesen soll ein Prinz Tsay-yu diese letztere unter starkem Widerspruch der conservativen Musiker eingef\u00fchrt haben, und auch die Theilung der Octave in 12 Halbt\u00f6ne, die Transpositionen der Tonleitern sind von diesem klugen und geschickten Volke gefunden worden, aber die Melodien, welche von Keisenden aufgeschrieben sind, geh\u00f6ren meist der f\u00fcnfstufigen Scala an. Die Schotten und Iren haben durch die Kirchenges\u00e4nge ebenfalls die diatonische siebenstufige Leiter kennen gelernt, und in der gegenw\u00e4rtigen Form ihrer Volksmelodien finden wir auch wohl die fehlenden beiden T\u00f6ne wenigstens fl\u00fcchtig ber\u00fchrt, als Vorschl\u00e4ge oder Durchgangsnoten. Doch sind dies in vielen F\u00e4llen moderne Verbesserungen, wie sich durch Vergleichung mit \u00e4lteren Formen der Melodie erweisen l\u00e4sst, und in der Regel kann man die Noten, die der f\u00fcnftonigen Scala fremd sind, fortlassen, ohne die Melodie wesentlich zu ver\u00e4ndern. Dies gilt, nicht bloss von alten Melodien, sondern auch von solchen, die nachweisbar erst in den beiden letzten Jahrhunderten von gelehrten und ungelehrten Musikern componirt sind, und Eingang in das Volk fanden. Es halten also die G\u00e4len, eben so gut wie die Chinesen, trotz der Bekanntschaft mit dem modernen Tonsystem, ihre alte Scala fest*), und es ist nicht zu l\u00e4ugnen, dass die schottischen Melodien durch die Vermeidung der kleinen Halbtonschritte der diatonischen Scala etwas eigenth\u00fcmlich Klares und Bewegliches bekommen, was man freilich den chinesischen\n*) Chinesische Melodien in Ambrosch\u2019s Geschichte der Musik, Bd. I, S. 30, 34, 35. Von Schottischen eine reiche Sammlung mit Angaben der Quellen und der alten Formen in G. F. Graham\u2019s, Songs of Scotland, Vol. III, Edinburgh 1859. Die hinzugesetzte moderne Clavierbegleitung passt freilich oft schlecht genug zum Charakter der Melodien.","page":397},{"file":"p0398.txt","language":"de","ocr_de":"398 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nMelodien nicht nachr\u00fchmen kann. Die geringe Zahl der T\u00f6ne innerhalb der Octave wird dadurch ausgeglichen, dass ein grosser Umfang der Stimme benutzt wird, sowohl bei den Galen, wie bei den Chinesen.\nWas die Tonalit\u00e4t der g\u00e4lisch-chinesischen Scala betrifft, so bezog sich dieselbe bei der angegebenen Entstehungsweise nicht ausschliesslich auf einen Ton, dem alle anderen direct verwandt gewesen w\u00e4ren. Die T\u00f6ne / und g sind zwar direct dem c verwandt, aber d ist nur dem g, b nur dem / verwandt. Die ganze Scala bildet eine Kette von Quintenfolgen\nb \u2014f\u2014 c \u2014 g \u2014 d,\nwodurch jedes Glied der Reihe an das vorhergehende und folgende gebunden ist; es ist aber nicht die Verwandtschaft des einen Tones zu allen \u00fcbrigen so \u00fcberwiegend, dass der eine allein das Recht h\u00e4tte, als Tonica aufzutreten. Am engsten freilich ist die Verkn\u00fcpfung, wenn c als Tonica beibehalten wird, weil dann die entferntesten T\u00f6ne b und d doch eine Verwandtschaft von nur zweitem Grade mit c haben. Nehmen wir / oder g als Tonica, so ist im Quintencirkel beziehlich d mit / und b mit g nur im dritten Grade verwandt. Endlich, wenn b oder d als Tonica gew\u00e4hlt w\u00fcrden, w\u00fcrde jeder dieser T\u00f6ne mit dem anderen nur vermittelst vier Quintenschritte, also im vierten Grade verwandt sein.\n\u2022 Indessen wenn auch die Verwandtschaft der Terzen und Sexten mit ihrem Grundtone nicht so auffallend ist, dass in den ersten Entwickelungsstadien musikalischer Praxis dieselbe zur Auffindung und richtigen Stimmung dieser Intervalle ausgereieht h\u00e4tte \u2014 wir werden dies bei der griechischen diatonischen Scala wieder so finden \u2014 so wird sich bei weiter fortschreitender Ausbildung des Ohres die directe Verwandtschaft der genannten Tonstufen zum Grundtone doch zu erkennen geben, wenn sie einmal erst durch den Quintencirkel auf abgestimmten Instrumenten gefunden sind. Zwar findet man durch den Quintencirkel nicht die genauen Terzen und Sexten, aber doch Intervalle, die ihnen so nahe kommen, dass sie in melodischer Folge ohne Schwierigkeit mit ihnen verwechselt werden k\u00f6nnen.\nIn der oben gefundenen f\u00fcnfstufigen Scala ist ebenso wie in der von Pythagoras festgestellten diatonischen Scala der Griechen das Verh\u00e4ltniss","page":398},{"file":"p0399.txt","language":"de","ocr_de":"F\u00fcnfstufige Tonleitern.\n399\nd.: F\nbig\nd : B\n8\n16\n9\n9_\n8\n27\n16\n32\n27\n81\n64\n81\n80\n80\n81\n81\n80\nEs ist also die durch den Quintencirkel gefundene Sexte F \u2014- d\\ wir k\u00f6nnen sie die Pythagor\u00e4ische grosse Sexte nennen, im Verh\u00e4ltniss d. h. um ^ Tonstufe h\u00f6her als die nat\u00fcrliche con-sonante Sexte. Die kleine Pythagor\u00e4ische Terz ist um eben so viel zu tief, die grosse Terz derselben Art um eben so viel zu hoch. Aber obgleich diese Differenz, wie wir sp\u00e4ter sehen werden, gross genug ist, um in harmonischem Zusammenklange sehr unangenehm aufzufallen, ist sie doch zu klein, um ohne besondere Aufmerksamkeit darauf hei melodischer Folge der T\u00f6ne bemerkt zu werden. Es konnte also, wenn durch Fortschritt der Melodie in Quinten und Quarten, oder durch Stimmung von Instrumenten im Quintencirkel die Pythagor\u00e4ische Terz gefunden war, vom H\u00f6rer die fast vollkommene Uehereinstimmung ihres vierten Obertones mit dem f\u00fcnften des Grundtones als Verwandtschaft beider T\u00f6ne gef\u00fchlt werden, obgleich diese Uehereinstimmung eigentlich erst in der nat\u00fcrlichen Terz vollkommen ist.\nWenn wir nun nach diesen Vorbemerkungen die oben gefundene f\u00fcnfstufige Scala so ordnen, dass ihre verschiedenen T\u00f6ne nach einander Tonica werden, so haben wir folgende Formen:\n1)\tc \u2014 d\t\u2014 / \u2014\tg\t\u2014 b\t\u2014 c\n2)\tf \u2014 g\t\u2014 b \u2014\tc\t\u2014 d\t\u2014/\n3)\tg \u2014 b\t\u2014 c \u2014\td\t\u2014 /\t\u2014 g\n4 ) b \u2014 c\t\u2014 d\u2014/\t\u2014 g\t\u2014 b\n5) d \u2014/ \u2014 g \u2014 b \u2014 oder alle transponirt auf die Tonica c:\n1)\nd \u2014 / \u2014 g \u2014 b\n1\t_\t_\t_\n\u2022*\to\to\to\n2)\n3)\n\u00a3\n3\n-/\u2022\n\u00a3\n3\n9\n3_\n2\n- es \u2014/ \u2014 g\n32\t4_ \u00a3\n27\t3\t2\n(f)\n16\n9\n-\ta -\n27\n16\n(!)\n-\tb 16 9\nd\nc\n2\nc\n2","page":399},{"file":"p0400.txt","language":"de","ocr_de":"400 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\n4)\tc \u2014 d \u2014 e \u2014 g \u2014 a \u2014 c\n1\t.i\t\u00a71\t\u00b1\t27\tO\n1\t8\t64\t2\t16\t^\n(t)\t(f)\n5)\tc\t\u2014 es\t\u2014 / \u2014 as \u2014 b\t\u2014 c\n-,\t32\t\u00a3\t128_\t16\tC)\n1\t27\t3\t81\t9\tz\n(f)\t(f)\nWenn wir statt der im Quintencirkel erzeugten Intervalle die entsprechenden consonanten setzen, welche in den Klammern angegeben sind, so sind in diesen f\u00fcnf Tonleitern alle Verwandtschaften von h\u00f6herem als zweitem Grade verschwunden, und durch directe Verwandtschaften, wenn auch schw\u00e4cherer Art, ersetzt. Die Leitern sind dann also alle gleich berechtigt, und es lassen sich in der That Melodien in allen diesen Leitern nach-weisen. Ich gebe hier folgende als Beispiele.\n1. Zur ersten Tonleiter ohne Terz und Sexte. G\u00e4lisch, wahrscheinlich eine alte Dudelsackmelodie*):\nf** Tl\t\t\t\u2014 #T\u20140\u2014N\tft*\t\tH-\nW *\t\tH\t0\u2022\t\u2014r-\u20141\t9\u2014w-\t\tLL\nBlythe, blythe and merry are we, blyfche are we one and all. Can-ty days we\u2019ve of-fen seen; a night like this we ne-versaw.\ni\nfa\n\n\n\n\n-0-\nThe gloaming saw us all sit down, and meikle mirth has been our fall, Then\nP\n\n\n*\t? r\tr\tD.C.al Segno.\nlet thetoast and sang go round,till chan - ti cleer be-gins tocraw.\n*) Ein chinesisches 'Lied derselben Art bei Ambrosch 1. c. Bd. I,\nS. 34; das zweite St\u00fcck. \u2014 Ein anderes mit einmaligem Anschlag der Sexte in Songs ofScotland, Vol. III, p. 10: \u201eMy Peggy is a young thing\u201c.","page":400},{"file":"p0401.txt","language":"de","ocr_de":"F\u00fcnfstufige Tonleitern.\t401\n2.\tZur zweiten Tonleiter ohne Terz und Septime; chinesisch nach John Barron:\n\tHt\u201c #\u2014r '\t=P T mZ\t\n\t-l-\u2014!\u2014s\u2014HF\u20141\"\u2014^\u2014L\u2014 \u2014j\u2014\u2014j\u2014{\u2022\u2014-j\u20144\u2014A-\t-4\t1\t -\u00df\u2014F\u2014c\t3\u2014\n$$ *\u2014\u00bb r f e * \t\u2014p-i-d\u2014H\u2014\t\t\t\t1\tf\u2014!\u2014\u2014i\u2014\tt -tz=$\t\n\t:4\t| V -*\u2022\t* j-rjj \t0\t\t0 L\t=1 \u2014 -\u00d6\t\t\n3.\tfZur dritten Tonleiter ohne Secundeund Sexte geh\u00f6ren die meisten schottischen Lieder, die den Charakter einer Molltonart haben, doch ist in den modernen Formen meist der eine oder andere dieser T\u00f6ne fl\u00fcchtig ber\u00fchrt. Hier folgt von der Melodie \u201eCockle Shells\u201c eine \u00e4ltere Form *):\n\t\u25a0 1\tN r( \u2022 \u25a0\t1 %\t=4\u2014i\u2014\tFA=F=i F\n\tt j \u2022\t\t\u2014*\u20140\t0\u2014a -0 \u25a0\t\nJLk :\t\tN-j\u2014s\u2014:\tIt 1 1\t\u2014i\t-\t\t\t\t\t\t1\t\n\t- * \" ~t\t\tZJL\t* i\t\n\t\t!\t,\t\u00dc3!\t-1\t:\t:\tn\n\u20224*4? ji i-T *ji \" \u00df J *\tE 0 ;\"0 J \u25a1i:\td\ti n\tTn\t\n^M-FF-F-F- h-*-i~\t\t-*\t0\t0\t1-0\u2014\tL*-3 jhfd\n\tj im \u25a0iiiiiJ-\t \u2014\t-\t1\t\t\tL-\t\t\t\t\ti\nJLfi ? < f 0 J \u00df -\tfL* \u00a3 \u00df d\t\t\t\t,\t\t\t\t\n\t\t J\t1\t.\t!\t-i +r\t\n\t4J Ll\t<-\t\t\n4.\tDer vierten Tonleiter geh\u00f6ren die meisten schottischen Melodien an, welche den Charakter einer Durtonart an sich tragen; es fehlt die Quarte und Septime der Durtonleiter. Da schottische Melodien dieser Art in jeder Sammlung solcher sich dutzendweise vorfinden und allgemein bekannt sind, so gebe ich hier als Beispiel eine chinesische alte Tempelhymne nach Bitschurin**):\n*) Play ford\u2019s Dancing master, Edition 1721. Die erste Auflage davon erschien 1657. \u2014 Songs of Scotland Yol. III, p. 170.\n**) Ambrosch 1. c. Bd.I, S. 30. \u2014 Dahin geh\u00f6rt auch das erste St\u00fcck von S. 35, nach Barrow und Amiot.\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\n26","page":401},{"file":"p0402.txt","language":"de","ocr_de":"402 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\n5. Melodien, welche der f\u00fcnften Tonleiter ohne Secunde und Quinte ganz rein angeh\u00f6rten, habe ich nicht gefunden; doch finden sich welche, in denen entweder nur die Quinte, oder beide Intervalle ganz fl\u00fcchtig ber\u00fchrt werden. Im letzteren Falle tritt die kleine Secunde ein, wodurch der Charakter der phrygischen Kirchentonart entsteht, z. B. in dem sehr sch\u00f6nen Liede \u201eAuld BobinLi. Ich gebe hier eines mit der Tonica fis, wo die Secunde ganz fehlt, und die Quinte cis nur fl\u00fcchtig zwei Mal ber\u00fchrt wird, so dass man sie ebenso gut auch ganz weglassen k\u00f6nnte:\nThe Braes of Balquhidder.\n%\n-4r-W-\n\n\n\n\n\n\n\nWill ye go, las-sie, go to the braes of Balquhid-der, where the\n\t\t\u25a0 .\t\t\t\t\t\u00ef\\\nm-\u00ab-'\u2014\u00c9\u2014\t-h\t\u25a0 *\t=#*\u25a0\u2014*-J\t^ i &\t\u2014\u00ff j\t\t\u2014\tJv\u2014\t\nblue - ber - ries grow,\u2019mang the boo - nie bloo-miug hea-ther\n&\n\nWhere the Sport the\n\n\ndeer and the rae, light-ly bounding to ge-ther, longlsummer - day,\u2019mangthe braes of Balquhidder.\nDa Capo al Segno.\nI)ie gew\u00f6hnlich gegebene Kegel, dass in der g\u00e4lisch chinesischen Scala die Quarte und Septime ausgelassen seien, passt also nur auf diejenige f\u00fcnftonige Leiter, welche unserer Durscala entspricht, und welche allerdings unter den jetzt gebr\u00e4uchlichen schottischen Melodien das numerische Uebergewicht hat, wahrscheinlich veranlasst durch die R\u00fcckwirkung des neueren Tonsystems. Die hier angef\u00fchrten Beispiele zeigen, dass jede m\u00f6gliche Lage der Tonica in der f\u00fcnftonigen Leiter vorkommt, wenn","page":402},{"file":"p0403.txt","language":"de","ocr_de":"F\u00fcnfstufige Tonleitern.\t403\nman diesen Leitern \u00fcberhaupt den Besitz einer Tonica einr\u00e4umt. In den schottischen Melodien geschehen die Auslassungen der beiden T\u00f6ne sowohl der Durtonleiter als der Molltonleiter ohne Ausnahme so, dass die Halbtonschritte der Leiter in 1 */2 Tonschritte verwandelt werden. Unter den chinesischen Melodien finde ich allerdings eine, welche sich dem sp\u00e4ter zu besprechenden alten enharmonischen Systeme der Griechen anschliesst, in welcher Halbtonstufen stehen geblieben sind; diese wird ihre Erkl\u00e4rung dort finden. Daf\u00fcr, dass in den schottischen Liedern die verschiedensten Intervalle wegfallen, ist wohl die Ableitung aus einem urspr\u00fcnglichen kurzen Quintencirkel, der nur so weit fortgesetzt wurde, dass keine kleineren Intervalle als Ganzt\u00f6ne entstanden, die einzige, allen F\u00e4llen sich anpassende.\nSpuren von der Existenz solcher l\u00fcckenhaften Leitern finden sich auch bei den Griechen. Terpander bereicherte die alte vierseitige Lyra mit drei neuen Saiten, deren beide \u00e4usserste eine Octave bildeten, und deren Stimmung nach Otfried M\u00fcller *) folgende war, indem sie von der lydischen Stimmung ausging:\nTetrachord Trichord\nSie war aus einem Tetrachord und einem Trichord zusammengesetzt, und entspricht unserer Durtonleiter mit ausgelassener Septime. Entsprechend giebt Nicoinachus das vorpythago-r\u00e4ische Heptachord in dorischer Stimmung folgendermassen an:\nTetrachord\nworin auch wieder der Ton h fehlt. Die Leistungen Terpanders standen bei den Griechen in h\u00f6chsten Ehren, und noch Pindar gebrauchte sein Heptachord, obgleich damals l\u00e4ngst die vollst\u00e4ndige diatonische Scala erfunden war**). Die erste der beiden\n*) Geschichte der griechischen Literatur, 2. AufL, Bd. I, S. 270.\n**) Auch die erhaltene angeblich Pindar\u2019sche Melodie zu ,,Xgva(a (p\u00f4ofuy\u00c7\u201c passt in die von 0. M\u00fcller gegebene Scala hinein; der oberste Ton der Scala ist darin nicht gebraucht.\n26*","page":403},{"file":"p0404.txt","language":"de","ocr_de":"404 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nLeitern passt \u00fcbrigens auch auf sehr viele schottische Melodien in ihrer jetzigen Form, wo die Quarte, welche urspr\u00fcnglich fehlte, sich eingeschlichen hat. Ebenso hat nach einer Notiz des Plutarch Olymp os, welcher das Fl\u00f6tenspiel geregelt und in Griechenland verbreitet haben soll, wahrscheinlich ein j\u00fcngerer Zeit-genosseTerpanders, in seinem Tonsysteme Trichorde gebraucht, wie sie in der f\u00fcnfstufigen Scala\nc \u2014 d\u2014/\u2014g \u2014 a \u2014 c\nVorkommen.\nDie alte f\u00fcnfstufige Leiter konnte nun in zweierlei Weise bereichert werden. Consequent war es, in derselben Weise noch zwei neue T\u00f6ne mittelst Quinten hinzuzuf\u00fcgen, wie von der Quarte und Quinte des Anfangstones aus die Secunde und Septime desselben gefunden war. Wir haben in der obigen f\u00fcnfstufigen Leiter die Quintenreihe '\n/\u2014c\u2014g\u2014d\u2014a,\nTerpander f\u00fcgte noch den Quintenschritt a\u2014e hinzu, und Pythagoras (geb. 680) den Schritt e \u2014 \u00c4, so wurde die diatonische Leiter vollst\u00e4ndig in der Quintenreihe /\u2014c\u2014g\u2014d\u2014a\u2014e\u2014h\noder in der Leiter\nc\u2014d\u2014e\u2014/\u2014g \u2014 a\u2014h\u2014c.\nAusserdem aber scheint man, ehe man die diatonische Leiter vervollst\u00e4ndigte, noch ein weniger rationelles Verfahren eingeschlagen zu haben, um den Tonreichthum der Leiter zu vefgr\u00f6s-sern. Wie einige asiatische V\u00f6lker eine willk\u00fcrliche Ausf\u00fcllung des ganzen Raumes zwischen dem Grundtone und seiner Quarte versucht haben, so setzte man willk\u00fcrliche Tonstufen in die Trichorde der f\u00fcnfstufigen Leiter ein, und zwar war es leichter, das engere Intervall eines solchen Trichordes, welches eine ganze Tonstufe betr\u00e4gt, durch einen eingeschobenen Ton nach dem Geh\u00f6re zu halbiren, als das weitere Intervall von iy2 Tonstufen, in welchem die H\u00f6he des eingeschobenen Tones doch noch ziemlich schwankend geblieben w\u00e4re, so lange man kein festes Princip f\u00fcr seine Lage hatte. Also statt des Trichordes c\u2014d\u2014/ oder d\u2014e\u2014g gebrauchte man das Tetrachord\nc \u2014 cis \u2014 d\u2014/ oder d\u2014dis \u2014 e\u2014g\n1\tlii\t1\ti il\n2\t2 L 2\t2\t2 L 2","page":404},{"file":"p0405.txt","language":"de","ocr_de":"Chromatische Tonleiter.\t405\nund nannte dies ein cliromatischesTetrachord im Gegensatz zu den diatonischen Tetrachorden, deren man drei Gattungen unterschied:\nLydisch:\tc \u2014 d\u2014e\u2014/\n1\t1\t7\nPhrygisch: d \u2014 e\u2014/\u2014g 1 T 1\nDorisch:\te\u2014/\u2014g \u2014 a\nT 1\t1\nBellermann nimmt wohl mit Recht an, dass die Einschaltung von cis zwischen c und d durch die Manier entstanden sei, die Stimme von einem Ton zum andern hin\u00fcberschleifen zu lassen, was dann die Instrumente, Kithara und Fl\u00f6te, nur nachahmen konnten durch einen dazwischen eingeschalteten Ton. Man fand sp\u00e4ter das chromatische Tongeschlecht \u00fcppig s\u00fcss und weinerlich *), und in der That kann man den Tong\u00e4ngen einer schottischen Melodie etwas sehr Weinerliches geben, wenn man sie nach dem Muster der griechischen Chromatik umformt, z. B.;\nUrspr\u00fcnglich:\n\tt 4\t7=9F\t\n\t\u25a0U\u00eft pnfzzzM.\t\t\tV-\t\u2014jL-i\u00fc\nThe woes of my heart fall in show\u2019rsfrom my e\u2019e. Chromatisch:\nDie Eigent\u00fcmlichkeit der alten f\u00fcnftonigen Leiter, wonach statt der lydischen oder phrygischen Tetrachorde der diatonischen Leiter Trichorde erschienen, indem der dritte Ton jedes Tetra-chordes wegfiel, \u00fcbertrug nach dem Berichte des Plutarch Olymp os auf die dorische Tonleiter, welche jenen beiden\n*) Aristides Quintil.-, Ed. Meibomius, S. 18. Bellermann\u2019o Anonymus, Sect. 26.","page":405},{"file":"p0406.txt","language":"de","ocr_de":"406 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nasiatischen gegen\u00fcber als die eigentlich griechische Tonleiter galt. Wie also aus dem\nLydischen:\tc \u2014 d\u2014e\u2014/ wurde c \u2014 d\u2014\u25a0/,\nPhrygischen: d \u2014 e\u2014/\u2014g wurde d \u2014 e\u2014g, so machte Olympos aus dem\nDorischen:\te\u2014/\u2014g \u2014 a jetzt e-\u2014/\u2014a.\nDas letztere Trichord unterschied sich von den beiden \u00e4lteren dadurch, dass sein erster Schritt ein halber Ton ist, in jenen beiden aber ein ganzer. Diese Trichorde des Olympos, welche enharmonisch genannt wurden, konnten erst entstehen, nachdem die diatonische Leiter erfunden war; auch berichtet Plutarch nach einer Notiz des Aristoxenos, dass vor dem Olympos alles diatonisch und chromatisch gewesen sei, wodurch also ausdr\u00fccklich anerkannt wird, dass das enharmonische Tongeschlecht das sp\u00e4tere sei. Dass Olympos die diatonisch-dorische Scala nach dem Muster der alten f\u00fcnfstufigen Scala, deren Kenntniss bei den westasiatischen V\u00f6lkern allerdings nur durch die Existenz des chromatischen Geschlechts und die siebensaitige Lyra des Terpander angedeutet ist, umgeformt habe, ist eine Hypothese von Ambrosch, die mir viel Wahrscheinlichkeit f\u00fcr sich zu haben scheint. Die vollst\u00e4ndige alte enharmonische Tonleiter des Olympos f\u00fcr den Umfang einer Octave-w\u00e4re danach gewesen :\nT 2\ne-f-\n1\na\u2014h\ne.\nDiese Scala findet sich auch in chinesischen Tonst\u00fccken *), wo sie auf dieselbe Weise durch Verk\u00fcrzung der vollst\u00e4ndigen diatonischen Scala nach dem Muster der alten Scala entstanden sein mag. Bei den Griechen endlich wurde die enharmonische .Scala sp\u00e4ter durch Ueberschleifen der T\u00f6ne in dem engen Intervalle umgebildet, wie aus den asiatischen Trichorden die chromatischen Tetrachorde geworden waren. Also wenn wir durch das Zeichen x Erh\u00f6hung um einen Viertelton vorstellen, war das enharmonische Tetrachord folgendes:\ne \u2014 eX\u2014/\u2014a\n1\n7\n2\n*) Bei Ambros oh, ^'Geschichte der Musik, Bd. I, S. 35, das zweite St\u00fcck nach P. du Halde mitgetheilt.","page":406},{"file":"p0407.txt","language":"de","ocr_de":"Enharmonische Tonleiter.\t407\neine ziemlich sonderbare und monstr\u00f6se Bildung, die auch schon zur Zeit des Aristoxenus, eines Sch\u00fclers des Aristoteles, dessen Schriften die \u00e4ltesten von der griechischen Musik \u00fcbrig gebliebenen sind, nur noch wenig gebraucht wurde*). Nach Plutarch liess man die Viertelt\u00f6ne aus, wenn man in alterth\u00fcmlicher Weise musiciren wollte. Daher erkl\u00e4rt sich auch der Widerspruch in den Urtheilen \u00fcber das enharmonische Geschlecht, indem man das alte sehr r\u00fchmte, das sp\u00e4tere h\u00f6chst unmelodisch und schwierig fand. Auch Aristoxenus erkl\u00e4rt, die Melodien mit weggelassenem Lichanos (dritten Tone des Tetrachords) seien nicht nur nicht schlecht, sondern beinahe die besten**).\nDie Enharmonik des Olympos erscheint als eine Incom sequenz, wenn man bei der Construction der Tonleiter vom Quin-tencirkel ausgeht. Denn die T\u00f6ne, welche im Quintencirkel zuerst gefunden waren, sind weggelassen, sp\u00e4ter gefundene benutzt. Sollte hier schon ein deutlicheres Gef\u00fchl f\u00fcr die Verwandtschaft der Terzen sich geltend gemacht haben? In den Trichorden der f\u00fcnfstufigen Scala\nc \u2014 d\u2014/ oder d\u2014/\u2014g\nwar in den Umfang der Quarte eine kleine Terz eingeschaltet; in denen des Olympos dagegen\ne\u2014/\u2014a oder g \u2014 h \u2014 c\nist der Mittelton grosse Terz des einen begrenzenden Tones und Leitton f\u00fcr den anderen, wenn man sich erlauben will, Leitt\u00f6ne f\u00fcr eine absteigende Bewegung anzunehmen, die freilich in den modernen Scalen nicht Vorkommen. Die grosse Terz ist aber ein verst\u00e4ndlicheres Intervall als die kleine. Hierin mag -der Grund f\u00fcr die Erfindung des Olympos gelegen haben. Auch hat schon Archy-tas im vierten Jahrhundert v. Chr. f\u00fcr das weite Intervall des enharmonischen Geschlechts das Verh\u00e4ltniss s/4, also das der con-sonanten grossen Terz, richtig gefunden, w\u00fchrend dasselbe f\u00fcr die diatonische Scala erst viel sp\u00e4ter durch Didymus aufgestellt wurde. Denn im diatonischen Geschlechte konnte man nach der Quintenfolge vorschreiten, und die mathematischen Musiker machten danach ihre Berechnungen. Im enharmonischen Geschlechte war aber die Quintenfolge durchbrochen, und daher fand man leichter die nat\u00fcrlichen Verh\u00e4ltnisse.\n*) jSfauh einer von Theon citirten Meinung des Aristoxenus.\n**) Aristoxenos, Bd. I, S. 23.","page":407},{"file":"p0408.txt","language":"de","ocr_de":"408 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nAlle weitere Entwickelung ging nun \u00fcbrigens von der siebenstufigen diatonischen Scala aus. welche im vollst\u00e4ndigen Umfange einer Octave von Pythagoras hergestellt und eingef\u00fchrt war. Dass ihre urspr\u00fcngliche Construction auf einer Quintenfolge beruhte, lehrt theils die Vergleichung mit ihrer f\u00fcnfstufigen Vorg\u00e4ngerin, theils die Definitionen, welche Pythagoras f\u00fcr ihre Intervalle gab. Diese sind n\u00e4mlich alle nach Quinten berechnet. Wenn wir d gleich 1 setzen, ergiebt sich n\u00e4mlich die Reihe:\n/ \u2014V\t\u2014\tg>\t\u2014\td\"\t-\ta\"\t\u2014 d\u201d\t\u2014 W\"\n2, I\t\u00b1\t\u00b1\t27\t\u00a71\n3\t1\t2\t4\t8\t16\t32\t\u2019\nin welcher die Verh\u00e4ltnisszahl jedes Gliedes aus dem vorhergehenden durch Multiplication mit -pdemZahlenverh\u00e4ltnisse der Quinte, gefunden .wird. Reduciren wir diese T\u00f6ne auf die Octave d \u2014 c\", so ergiebt sich:\nf \u2014 d \u2014\tg'\t\u2014\td'\t\u2014\ta'\t\u2014 d \u2014\th'\ni. 1\tJt\tJL\t27\t81\t243\n3\t1\t2\t8\t16\t64\t128 \u2018\nDies sind die von Pythagoras berechneten Verh\u00e4ltnisse. Die daraus zusammengeordnete Tonleiter:\nc \u2014 d \u2014\te \u2014f \u2014\t9\t\u2014\t\u00ab \u2014 \u00e4\t\u2014 c\n_9\t_9\t_266 9_\t_9\t_9\t256_\n8\t8\t243 8\t8\t'8\t243\nenth\u00e4lt f\u00fcnf gleiche ganze Tonschritte im Verh\u00e4ltnis -|> deren jeder gleich ist dem Abstand zwischen der Quarte und Quinte des Grundtones, und zwei kleinere Schritte, griechisch Limma genannt, im Verh\u00e4ltniss\t\u2022 fp welche etwas kleiner sind (um\nTonstufe) als der Halbton der nat\u00fcrlichen diatonischen Tonleiter.\nDie Berechnungen des Pythagoras darf man wohl als den nat\u00fcrlichen Ausdruck der Stimmungsweise der Instrumente betrachten. Theoretische Festsetzungen \u00fcber Tonintervalle und deren Stimmung Hessen sich ja \u00fcberhaupt nicht geben, ehe man Instrumente anwendete, auf denen man die Tonh\u00f6hen fixiren konnte; auch haben die Griechen seit \u00e4ltester Zeit namentlich Saiteninstrumente zur Begleitung des Gesanges angewendet. An solchen Instrumenten ist es nun nat\u00fcrlich viel leichter nach Quinten fortschreitend zu stimmen, als nach Terzen, f\u00fcr deren Reinheit bei","page":408},{"file":"p0409.txt","language":"de","ocr_de":"Diatonische Tonleiter.\t409\nbloss melodischem Fortschritt das Ohr wenig empfindlich ist. Schon die siebensaitige Lyra Terpander\u2019s erlaubte die Stimmung nach einer Quintenfolge. Wie sie sich in der \u00e4lteren Zeit mit der viersaitigen Lyra beholfen haben, in deren Tonreihe die Quintenfolge zwei Mal durchbrochen ist, m\u00fcssen wir dahingestellt sein lassen. Zum Beispiel dem dorischen Tetrachorde e\u2014/\u2014g\u2014a liegt die Folge\nf \u2014 (c) \u2014 g \u2014 (\u00e4) \u2014 a \u2014 e\nzum Grunde, aus der die T\u00f6ne c und d im Instrumente nicht enthalten sind. Der Musiker musste also entweder bloss nach dem Geh\u00f6r stimmen, was bei einem feinen Geh\u00f6r nicht nur leichter, sondern auch besser gewesen w\u00e4re, oder er musste etwa die f\u00fcr e bestimmte Saite erst auf c, dann auf d stimmen, bis er von f ausgehend a gefunden hatte; dann konnte er schliesslich die Quinte a \u2014 e herstellen.\nDie gewonnene diatonische Leiter konnte durch Hinzuf\u00fcgung der h\u00f6heren und tieferen Octaven ihrer Tonstufen beliebig weit fortgesetzt werden, und gab dann eine regelm\u00e4ssig wechselnde Reihe von ganzen Tonstufen und Limma\u2019s. F\u00fcr jedes einzelne Musikst\u00fcck wurde nun aber nur ein Theil dieser unbegrenzten diatonischen Leiter angewendet, und nach der Verschiedenheit dieser Theile unterschied man verschiedene Tonsysteme.\nSolche begrenzte Tonleitern k\u00f6nnen nun in sehr verschiedenem Sinne gegeben werden. Der erste praktische Zweck, welcher sich aufdr\u00e4ngen muss, sobald ein Instrument mit einer begrenzten Anzahl von Saiten, wie die griechische Lyra, zur Ausf\u00fchrung eines Musikst\u00fcckes gebraucht werden soll, ist offenbar der, dass alle T\u00f6ne, die in dem Musikst\u00fcck Vorkommen, auch in den Saiten der Lyra gegeben sein m\u00fcssen. Dadurch ist also f\u00fcr die Stimmung des Instrumentes eine gewisse Reihe von T\u00f6nen vorgeschrieben, welche auf den Saiten gestimmt werden m\u00fcssen. Wenn uns nun eine solche Reihe von T\u00f6nen, nach denen die Lyra gestimmt wurde, gegeben ist als Tonleiter, so folgt daraus in der Regel nicht das Geringste \u00fcber die Frage, ob eine Tonica in einer solchen Leiter zu unterscheiden ist und welche. Man wird ziemlich viele Melodien finden k\u00f6nnen, deren tiefster Ton die Tonica ist, andere, in denen noch eine Tonstufe unter der Tonica ber\u00fchrt wird, andere, in denen die Quinte oder Quarte der n\u00e4chst tieferen Octave den tiefsten Ton bildet. Der Unterschied zwischen den authentischen und plagalischen Ton-","page":409},{"file":"p0410.txt","language":"de","ocr_de":"410 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nleitern des Mittelalters ist von dieser Art. In den authentischen war der tiefste Ton der Leiter die Tonica, in den plagalischen deren Quinte, z. B.:\nErste authentische Kirchentonart, Tonica d: d \u2014 e \u2014/ \u2014 g \u2014 a \u2014 h \u2014 c \u2014 d.\nVierte plagalische, Tonica g: d \u2014 e \u2014 / \u2014 g \u2014 a \u2014 h \u2014 c \u2014 d.\nMan dachte sie aus einer Quinte und einer Quarte zusammengesetzt, wie die Klammern zeigen ; bei den authentischen lag die Quinte unten, hei den plagalischen oben. Wenn uns nun weiter nichts angegeben wird als eine solche Leiter, welche den zuf\u00e4lligen Umfang einer Reihe von Melodien bezeichnet, so k\u00f6nnen wir daraus \u00fcber die Tonart wenig entnehmen. Wir k\u00f6nnen solche Tonreihen, die nur dem Umfange gewisser Melodien sich anpassen, accidentelle Tonleitern nennen. Zu ihnen geh\u00f6ren unter anderen die plagalischen des Mittelalters. Dagegen nennen wir solche, welche in moderner Weise unten und oben durch die Tonica begrenzt sind, essentielle Tonleitern. Nun ist es klar, dass das praktische Bed\u00fcrfniss zuerst nur auf accidentelle Tonleitern f\u00fchrt. Es war unumg\u00e4nglich n\u00f6thig, eine Lyra, mit tier man den Gesang unisono begleiten wollte, so zu stimmen, dass die n\u00f6thigen T\u00f6ne da waren. Ein unmittelbares praktisches Interesse, die Tonica eines einstimmigen Gesanges als solche zu bezeichnen, sich \u00fcberhaupt nur klar zu machen, dass eine solche da sei, wie ihr Verh\u00e4ltniss zu den \u00fcbrigen T\u00f6nen sei, lag wohl nicht vor. In der modernen Musik, wo der Bau der Harmonie wesentlich von der Tonica abh\u00e4ngt, verh\u00e4lt es sich damit ganz anders. Auf die Unterscheidung der Tonica konnten erst theoretische Betrachtungen des Baues der Melodie leiten. Dass Aristoteles als Aesthetiker einige darauf deutende Notizen hinterlassen hat, die Autoren dagegen, welche eigentlich \u00fcber Musik geschrieben haben, nichts davon sagen, ist schon im vorigen Abschnitte erw\u00e4hnt worden.\nW\u00e4hrend der griechischen Bl\u00fcthezeit wendete man zur Begleitung des Gesanges der Regel nach achtsaitige Lyren an, deren Stimmung dem Umfange einer aus der diatonischen Leiter entnommenen Octave entsprach. Diese waren folgende:","page":410},{"file":"p0411.txt","language":"de","ocr_de":"Diatonische Tonleiter.\t411\n1. Lydisch:\n2.\tPhrygisch:\nd \u2014 e \u2014 / \u2014 g \u2014 a \u2014 h \u2014 c \u2014 d.\n3.\tDorisch:\ne \u2014 / \u2014 g \u2014 a \u2014 h \u2014 c \u2014 d \u2014 e.\n4.\tHypolydisch (Syntonolydisch) :\n, / \u2014 9\u2014 \u00ab \u2014 fe \u2014 c \u2014 d \u2014 e\u2014f.\n5.\tHypophrygisch (Jonisch)\n<7 \u2014 a \u2014 h \u2014 c \u2014 d \u2014 e \u2014 / \u2014 g.\n6.\tHypo dorisch (Aeolisch oder Lokrisch). a \u2014 A \u2014 c \u2014 d \u2014,e \u2014/ \u2014 g \u2014 a.\n7.\tMixolydisch:\nh \u2014 c \u2014\u25a0 d \u2014 e \u2014 / \u2014 g \u2014 a \u2014 h \u2014 (c).\nEs konnte also jeder Ton der diatonischen Leiter als Anfangsund Endpunkt eines solchen Tongeschlechtes gebraucht werden-Die lydische und hypolydische Tonreihe enthalten lydische Tetra-chorde, die phrygische und hypophrygische enthalten phrygische, die dorische und hypodorische dorische. In der mixolydischen scheint man zwei lydische Tetrachorde angenommen zu haben) von denen aber das eine zertheilt war, wie es durch die Klammern oben angedeutet ist.\nMan hat bisher die genannten Tonleitern (Tropen) .der griechischen Bl\u00fcthezeit als essentielle angesehen, das heisst, vorausgesetzt, dass .ihr tiefster Ton (Hypate) die Tonica gewesen sei. Eine bestimmte Begr\u00fcndung dieser Annahme fehlt aber, so viel ich.sehe. Was Aristoteles dar\u00fcber sagt, l\u00e4sst, wie wir gesehen haben, den Mittelton (die Mese) haupts\u00e4chlich als Tonica erscheinen, w\u00e4hrend allerdings andere Attribute unserer Tonica auf die Hypate fallen *). Wie das nun aber auch gewesen sein mag, mag\n*) Die Mixolydische von h bis h und die Syntonolydische von / bis / nennt Plato schlecht und weinerlich, was allerdings nur einen Sinn hat, wenn h und / als4ihre Grundt\u00f6ne betrachtet werden; dann hat n\u00e4mlich die erste eine falsche Quarte, die andere eine falsche Quinte. Bei der Mixoly-","page":411},{"file":"p0412.txt","language":"de","ocr_de":"412 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nnun Mese oder Hypate als Tonica betrachtet werden, m\u00f6gen wir die Tonleitern alle als authentische oder alle als plagalische betrachten, so'fblgt doch mit grosser Wahrscheinlichkeit, dass schon die Griechen, hei denen wir die diatonische Leiter zuerst vollst\u00e4ndig vorfinden, verschiedene, wahrscheinlich alle T\u00f6ne dieser Leiter als Tonica zu benutzen sich erlaubten, ebenso, wie wir gesehen haben, dass hei den Chinesen und Galen jede Stufe der f\u00fcnfstufigen Leiter als Tonica auftreten konnte. Dieselben Leitern finden wir, wahrscheinlich unmittelbar aus antiker Ueberlieferung entnommen, in dem altchristlichen Kirchengesange wieder. -\nEs bildeten sich also im homophonen Ges\u00e4nge, wenn wir ab-sehen von den chromatischen und enharmonischen Leitern und den ganz willk\u00fcrlich erscheinenden Leitern der Asiaten, welche alle zu weiterer Entwickelung sich unf\u00e4hig gezeigt haben, die sieben diatonischen Tonleitern aus, welche unter einander Unterschiede des Tongeschlechts von derselben Art zeigen, wie unsere Dur- und Molltonleitern. Diese Unterschiede treten deutlicher heraus, wenn wir alle mit derselben Tonica c beginnen lassen:\ndischen soll, nach Plutarch, Lamprocles entdeckt haben, dass ihr dia-zeuktischer Ton in der H\u00f6he liege, d. h. dass sie eine plagalische dorische Leiter sei:\nh \u2014 c \u2014 d \u2014 e \u2014 f \u2014 g \u2014 a \u2014h.\nFerner werden die \u00e4olische und lokrische Tonart von den Schriftstellern (Athenaeus, T. XIV, p. 624) unterschieden, und doch sollen beide zur hypodorischen Octavengattung geh\u00f6ren, so dass also die diatonische Reihe von a bis a drei verschiedene Namen tr\u00e4gt, die aber nicht als ganz gleichbedeutend zu betrachten sind. Ebenso werden die Jonische und die Nachgelassen Lydische vom Plutarch als \u00e4hnlich bezeichnet. Auch dies l\u00e4sst sich nicht anders verstehen, als dass, wie Bellermann annimmt, einige dieser Namen authentische Tonreihen, andere accidentelle bezeichnen; die Melodiebildung in ihnen musste trotz der Gleichheit der Tonreihe verschieden sein. Wenn aber die unmelodischen unter ihnen, namentlich die Mixolydische Reihe von h bis h, anfangs unmelodisch gebraucht wurde, bis Lamprocles eine bessere Behandlungsweise erfand, so d\u00fcrfen wir wohl nicht zweifeln, dass auch die anderen viel geeigneteren Reihen als essentielle Tonleitern gebraucht werden konnten.","page":412},{"file":"p0413.txt","language":"de","ocr_de":"Diatonische Tonleiter.\n413\n\t\tBezeich- nung nach Glarean\tNeu vorge- schlagen\nLydisch: \u2022\tc\u2014 d \u2014 e \u2014f \u2014 g \u2014 a \u2014 h \u2014 c\tJonisch\tDur- geschlecht\nJonisch:\tc\u2014 d \u2014 e \u2014 f \u2014 g \u2014 a \u2014 b \u2014 c\tMixoly- disch\tQuarten- geschlecht\nPhry gisch:\tc \u2014 d \u2014 es\u2014 f \u2014 g \u2014 a \u2014 6 \u2014 c\tDorisch\tSeptimen- geschlecht\nAeolisch:\tc \u2014 d \u2014 es \u2014 / \u2014 g \u2014 as \u2014b \u2014 c\tAeolisch\tTerzengeschlecht oder Moll\nDorisch:\tc\t\u2014 des \u2014 es \u2014 f \u2014 g \u2014 as \u2014 b\u2014e\tPhry gisch\tSexten- geschlecht\n\"Mixolydisch:\tc\u2014des\u2014es\u2014/\u2014ges \u2014as\u20146\u2014cl\t\tSecunden- geschlecht\nSyntonolyd.:\tc\u2014d\u2014e\u2014fis\u2014g\u2014a\u2014h\u2014c\\\tLydisch\tQuinten- geschlecht\nIch habe zur-Orientirung die von Glarean f\u00fcr die Kirchentonarten gegebenen Namen hinzugef\u00fcgt, deren Ertheilung zwar auf einer Verwechselung der Tongeschlechter mit den sp\u00e4teren transponirten Molltonleitern der Griechen beruht, die aber den Musikern gel\u00e4ufiger sind, als die richtigen griechischen Namen. Uebrigens-werde ich Glarean\u2019s Namen nicht brauchen, ohne ausdr\u00fccklich hinzuzusetzen, dass sie sich auf eine Kirchentonart beziehen; es w\u00e4re \u00fcberhaupt besser, wenn man sie vergessen m\u00f6chte. Die alte von Ambrosius' eingef\u00fchrte Bezeichnung durch Ziffern war viel zweckm\u00e4ssiger; da diese Ziffern aber auch wieder ge\u00e4ndert sind, und nicht f\u00fcr alle Tonarten ausreichen, so habe ich mir erlaubt, selbst neue Bezeichnungen vorzuschlagen in der obigen Tabelle, die dem Leser die M\u00fche ersparen, die Systeme griechischer Namen auswendig zu lernen, von denen die des Glarean gewiss falsch, und die anderen vielleicht auch nicht richtig angewendet sind. Nach der vorgeschlagenen neuen Bezeichnung w\u00fcrde der Ausdruck \u201eQuartengeschlecht von Cu bedeuten eine Tonart, deren Tonica C ist, welche aber dieselbe Vorzeichnung hat, wie die auf der Quarte von (7, n\u00e4mlich F, errichtete","page":413},{"file":"p0414.txt","language":"de","ocr_de":"414 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nDurtonleiter. Dabei ist zu bemerken, dass in diesen Namen unter den Septimen, Terzen, Sexten und Secunden immer die kleinen Intervalle dieses Namens zu verstehen sind; wollten wir die grossen w\u00e4hlen, so w\u00fcrde die Tonica in deren Leiter gar nicht Vorkommen. Also : \u201eTerzengeschlecht von C\u201c ist die Leiter mit der Tonica G, welche die Vorzeichnung von _Es-Dur hat, da Es die kleine Terz von G ist; das ist also G-Moll, wie es wenigstens in der absteigenden Leiter ausgef\u00fchrt wird. Ich hoffe, der Leser wird bei dieser Bezeichnung immer leicht \u00fcbersehen k\u00f6nnen, was gemeint ist.\nDies war das System der griechischen Tonarten w\u00e4hrend der Bl\u00fcthezeit griechischer Kunst bis zur Zeit der macedonischen Weltherrschaft hin. Die Gesangmelodien waren in alter Zeit auf ein Tetrachord beschr\u00e4nkt gewesen, wie noch jetzt manche Melodien der r\u00f6mischen Liturgie ; sie waren sp\u00e4ter bis zum Umfang einer Octave gewachsen. F\u00fcr den Gesang brauchte man deshalb auch nicht viel l\u00e4ngere Tonleitern zu haben, man verschm\u00e4hte es, die angestrengten hohen und klanglosen tiefen T\u00f6ne der menschlichen Stimme zu brauchen; noch die neugriechischen Lieder, von denen Weitzmann*) eine Anzahl gesammelt hat, haben einen auffallend kleinen Tonumfang. Wenn schon Phrynis (Sieger in den Panathen\u00e4en 457 v. Chr.) die Kithara mit neun Saiten versah, so war der wesentlichste Vortheil dieser Einrichtung wohl der, dass er aus einem Tongeschlecht in ein anderes \u00fcbergehen konnte.\nDie sp\u00e4tere griechische Tonleiter, wie sie beim Eu elides im dritten Jahrhundert zuerst vorkommt, umfasst zwei Octaven. Ihre Einrichtung ist folgende :\nA Zugesetzter Ton, '\tProslambanomenos.\nin\t\nc i Tiefstes Tetrachord, d |\tTetr. hypat\u00f6n.\n\u00df 0 i Mittleres Tetrachord, 9\tTetr. mes\u00f6n.\na 1\t\n*) Geschichte der griechischen Musik. Berlin 1855.","page":414},{"file":"p0415.txt","language":"de","ocr_de":"Diatonische Tonleiter.\n415\na\nb / Verbundenes Tetrachord, Getrenntes Tetr.,\t& r synemmen\u00f6\u00bb.\nT. diezeugmenon.\td'\nUebersch\u00fcssiges Tetr.,\nT. hyperbolai\u00f6n.\nWir haben hier also einmal die hypodorische Scala durch zwei Octaven, dann aber noch#ein daneben angef\u00fcgtes Tetrachord, welches neben dem h der ersten Scala auch noch den Ton b einf\u00fchrt, wodurch nach modernem Ausdruck Modulationen aus der Hauptleiter nach der Tonart der Subdominante m\u00f6glich wurden.\nDiese Scala, der Hauptsache nach eine Molltonleiter, wurde transponirt, und man erhielt dadurch eine neue Eeihe von Tonleitern, welche den verschiedenen Molltonleitern (absteigend gespielt) der modernen Musik entsprachen, auf welche man aber wiederum die alten Namen der Tongeschlechter \u00fcbertrug, indem man urspr\u00fcnglich jeder Molltonart den Namen gab, der demjenigen Tongeschlechte zukam, welches von dem zwischen den Grenzt\u00f6nen der hypodorischen Leiter liegenden Abschnitte der Molltonleiter gebildet wurde. Nach der Notenbezeichnung der Griechen m\u00fcssen wir diese T\u00f6ne/\u2014/ schreiben. Sie lagen aber wahrscheinlich dem Klange nach eine Terz tiefer. Also zum Beispiel ILM oll hiess lydisch, weil in der \u00dc-Mollleiter d \u2014 e\u2014 |/\u2014g \u2014 a\u2014b \u2014 c\u2014d \u2014 e\u2014 f | \u2014g \u2014 a~b \u2014 c \u2014 d der zwischen den T\u00f6nen / und / liegende Abschnitt der Leiter dem lydischen Tongeschlechte angeh\u00f6rte. So ver\u00e4nderten die alten Namen der Tongeschlechter ihre Bedeutung in die von Tonarten. Die Uebersicht dieser Namen ist folgende:\n1) Hypodorisch\t= E-moll.\n2) Hypoionisch\t= EVs-moll.\n(Tieferes Hypo-phrygisch)\t\n3) Hypophrygisch\t= Gr-moll.\n4) Hypaeolisch\t= Gts-moll.\n(Tieferes Hypo-\t\nlydisch)\t\n5) Hypolydisch\t= H-moll.\n6) Dorisch\t= H-moll.\n7) Jonisch\t= jff-moll.\n(Tieferes Phrygisch)\t\n8)\tPhrygisch\t=\n9)\tAeolisch\t=\n(Tieferes Lydisch)\n10)\tLydisch\t=\n11)\tHyperdorisch\t=\n(Mixolydisch)\n12)\tHyperionisch =\n(H\u00f6heres\nMixolydisch)\n13)\tHyperphrygisch = (Hypermixolydisch)\n14)\tHyper\u00e4olisch\t=\n15)\tHyperlydisch\t=\nC-moll.\nCVs-moll.\nH-moll.\nEs-moll.\nE-moll.\n/-moll.\n,/ts-moll.\ng-moil.\nco\n\u25ba\u00f6\n-i\nN\ne","page":415},{"file":"p0416.txt","language":"de","ocr_de":"416 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nInnerhalb jeder dieser Tonleitern konnte man jedes der vorher besprochenen Tongeschlechter bilden, indem man den entsprechenden Theil der Leiter benutzte. Ausserdem erlaubte diese Leiter in das Tetrachord Synemmen\u00f6n hineiuzugehen, und damit in die Tonart der Subdominante hin\u00fcber zu moduliren.\nBei den diesen Leitern zu Grunde liegenden Transpositionsversuchen erkannte man, dass man ann\u00e4hernd die Octave aus 12 Halbt\u00f6nen zusammengesetzt denken k\u00f6nne. Schon Aristoxenus wusste, dass man im Quintencirkel fortschreitend bei der zw\u00f6lften Quinte wieder auf einen Ton komme, der (wenigstens nahehin) eine h\u00f6here Octave des Ausgangstones sei. Also in der Reihe /\u2014 c\u2014g \u2014 d\u2014a\u2014e \u2014 h\u2014fis\u2014cis \u2014 gis\u2014dis \u2014 ais \u2014 eis identificirte er eis mit /, und damit war die Reihe der durch den Quintencirkel zu bildenden T\u00f6ne abgeschlossen. Die Mathematiker widersprachen zwar, und sie hatten Recht, 'insofern bei ganz reinen Quinten das eis ein wenig h\u00f6her als / ist. F\u00fcr die praktische Ausf\u00fchrung war aber dieser Fehler ganz unerheblich, und konnte in der homophonen Musik namentlich mit vollem Rechte vernachl\u00e4ssigt werden.\nDamit war der Entwickelungsgang des griechischen Tonsystems abgeschlossen. So vollst\u00e4ndig aber auch unsere Kenntnisse \u00fcber die \u00e4usserlichen Formen sind, so wenig wissen wir \u00fcber das Wesen der Sache, weil die Beispiele aufbewahrter Melodien zu gering an Zahl, und zu zweifelhaft in ihrem Urspr\u00fcnge sind.\nWie es nun aber auch mit der Tonalit\u00e4t der griechischen Tonleitern gewesen sein mag, und wie viele Fragen \u00fcber sie auch noch ungel\u00f6st bleiben m\u00f6gen, f\u00fcr die Theorie der allgemeinen historischen Entwickelung der Tongeschlechter erfahren wir, was wir brauchen, aus den Gesetzen der \u00e4ltesten christlichen Kirchenmusik, deren erste Anf\u00e4nge sich an die untergehende antike Kunstbildung noch anschliessen. Im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung setzte der Bischof Ambrosius von Mailand vier Tonleitern f\u00fcr den kirchlichen Gesang fest, welche in der unver\u00e4nderten diatonischen Leiter waren:\nErste Tonart: d\u2014e\u2014/\u2014g \u2014 a\u2014h \u2014 c \u2014 d, Septimengeschlecht. Zweite Tonart: e\u2014/\u2014g\u2014a \u2014 h \u2014 c\u2014d\u2014e, Sextengeschlecht. Dritte Tonart: /\u2014g\u2014a\u2014h \u2014 c\u2014d\u2014e\u2014f\\ Quintengeschlecht\n(unmelodisch).\nVierte Tonart: g\u2014a\u2014h\u2014c\u25a0\u2014d\u2014e\u2014/\u2014g, Quartengeschlecht.","page":416},{"file":"p0417.txt","language":"de","ocr_de":"Diatonische Leiter.\t417\nNun war aber der Ton h, wie in den sp\u00e4teren griechischen Leitern, ver\u00e4nderlich geblieben, statt seiner konnte b eintreten; dann gab es folgende Tonarten:\nErste: d\u2014e\u2014/ \u2014 g\u2014a\u2014b\u2014c \u2014 d, Zweite: e\u2014/\u2014g \u2014 a \u2014 b \u2014 c\u2014d \u2014 e,\nDritte: /\u2014g \u2014 a \u2014 b \u2014 c\u2014d\u2014e\u2014/, Vierte: g \u2014 a\u2014b \u2014 c \u2014 d\u2014e\u2014/\u2014g,\nTerzengeschlecht (Moll). Secundengeschlecht (unmelodisch).\nDur.\nSeptimengeschlecht.\nDar\u00fcber, dass diese Ambrosianischen Tonleitern als essentielle zu betrachten sind, ist kein Zweifel, denn die alte Regel ist, dass Melodien in der ersten Leiter in d schliessen m\u00fcssen, die der zweiten in e, der dritten in /, der vierten in g; dadurch ist der Anfangston jeder dieser Leitern als Tonica charakterisirt. Wir d\u00fcrfen diese von Ambrosius getroffene Anordnung wohl als eine praktische Vereinfachung der alten, mit einer inconsequenten Nomenclatur \u00fcberladenen Musiklehre f\u00fcr seine Chors\u00e4nger betrachten, und zur\u00fcckschliessen, dass wir Recht hatten zu ver-muthen, dass die \u00e4hnlich aussehenden griechischen Tonleitern aus der griechischen Bl\u00fcthezeit alle auch wirklich als essentielle Tonleitern gebraucht werden konnten.\nPapst Gregor der Grosse f\u00fcgte zwischen die Ambrosianischen Leitern noch ebensoviel accidentelle, die sogenannten plagali-schen, ein, welche von der Quinte der Tonica zur Quinte liefen. Die Ambrosianischen hiessen im Gegensatz zu diesen die authentischen. Die Existenz dieser plagalischen Kirchent\u00f6ne half die Verwirrung vermehren, welche gegen das Ende des Mittelalters \u00fcber die Kirchent\u00f6ne a\u00fcsbrach, als die Componisten die alten Regeln \u00fcber die Lage des Schlusstones zu vernachl\u00e4ssigen anfingen, und diese Verwirrung diente dazu, eine freiere Entwickelung des Tonsystemes zu beg\u00fcnstigen. Darin zeigt sich \u00fcbrigens auch, wie schon im vorigen Abschnitte bemerkt wurde, dass das Gef\u00fchl f\u00fcr die durchg\u00e4ngige Herrschaft der Tonica auch im Mittelalter noch nicht sehr ausgebildet war; w\u00e4hrend den griechischen Schriftstellern gegen\u00fcber doch wenigstens schon der Fortschritt gemacht war, dass man das Gesetz des Schlusses in der Tonica als Regel anerkannte, wenn auch nicht immer befolgte.\nGlareanus suchte 1547 in seinem Dodecachordon die Lehre von den Tonarten wieder in das Reine zu bringen. Er wies durch Untersuchung der musikalischen Compositionen seiner Zeitgenos-\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\t27","page":417},{"file":"p0418.txt","language":"de","ocr_de":"418 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nsen nach, dass nicht 4, sondern 6 authentische Tonarten zu unterscheiden seien, die er mit den oben dazu angegebenen griechischen Namen verzierte. Dazu nahm er 6 plagalische, und unterschied im Ganzen also 12 Tonarten, woher der Name seines Buches kommt. Also auch noch im sechzehnten Jahrhundert wurden essentielle und accidentelle Tonleitern in einer Reihe fortgez\u00e4hlt. Unter des Glareanus Tonleitern ist noch eine unmelodische, n\u00e4mlich f\u00fcr das Quintengeschlecht, welches er die lydische Tonart nannte. F\u00fcr dieses mangeln die Beispiele, wie auch Winterfeld bei einer sorgf\u00e4ltigen Untersuchung mittelalterlicher Com-positionen fand*), wodurch das\u00fcrtheil des Plato \u00fcber dasMixoly-dische und Syntonolydische best\u00e4tigt zu werden scheint.\nDemgem\u00e4ss bleiben \u00fcbrig als melodische Tongeschlechter, welche f\u00fcr den homophonen und polyphonen Gesang im engeren Sinne brauchbar sind, folgende f\u00fcnf:\n\tNach unserer Bezeichnung\tGriechisch\tNach Glarean\t\u00bb. Leiter\n\u00bb 1.\tDur\tLydisch\tJonisch\tC-c\n2.\tQuartengeschlecht\tJonisch\tMixolydisch\tG-g\n3.\tSeptimengeschlecht\tPhrygisch\tDorisch\tD\u2014d\n4.\tTerzengeschlecht\tAeolisch\tAeolisch\tA\u2014a\n6.\tSextengeschlecht\tDorisch\tPhrygisch\tE\u2014e\nHistorisch sind diese Tongeschlechter aus dem Quintencirkel entwickelt. Der Quintencirkel setzt nun aber gar kein Verh\u00e4lt-niss der gefundenen Tonstufen zu irgend einer besonderen Tonica fest. Auch haben wir gesehen, dass die griechischen Tongeschlechter und die Kirchent\u00f6ne entsprangen, indem man jeden beliebigen Ton der diatonischen Leiter als Anfangston w\u00e4hlte.\nIndessen wenn diess auch der historische Ursprung der diatonischen Leiter war, so liegt darin noch nicht die Rechtfertigung ihrer Existenz. Quintenfolgen lassen sich auf einem Instrumente zwar abstimmen, und so weit fortsetzen, als man will, aber der S\u00e4nger und der H\u00f6rer k\u00f6nnen unm\u00f6glich bei einem Uebergange\n*) v. Winterfeld, Johannes Gabrieli und sein Zeitalter. Berlin 1834. Bd. I, S. 73 bis 108.","page":418},{"file":"p0419.txt","language":"de","ocr_de":"Rationelle Construction der diatonischen Leitern. 419\nvon c nach e f\u00fchlen, dass der letztere Ton die vierte Quintenstufe von c aus ist. Selbst bei einer Verwandtschaft zweiten Grades durch Quinten, wenn man also von c nach d geht, wird es zweifelhaft sein, oh der H\u00f6rer die Verbindung beider T\u00f6ne f\u00fchlen wird. Hier kann man sich aber im Uebergange zwischen beiden T\u00f6nen noch ein gleichsam stummes g eingeschoben denken, welches die untere Quarte von c, die untere Quinte von d ist, und so die Verbindung, wenn auch nicht f\u00fcr das k\u00f6rperliche Ohr, doch f\u00fcr die Erinnerung herstellt. In diesem Sinne etwa m\u00f6chte es zu verstehen sein, wenn Rameau und d\u2019Alembert denUebergang von c nach d durch den vom S\u00e4nger hinzugedachten Fundamentalbass g erkl\u00e4ren. Wenn der S\u00e4nger die Bassnote g nicht gleichzeitig mit d h\u00f6rt, kann er auch nicht sein d so einrichten, dass es mit der Bassnote consonirt; aber den melodi\u00f6sen Fortgang kann er durch einen dazwischen gedachten Ton sich allerdings erleichtern. Es ist dies ein Mittel, welches zum Treffen schwieriger Intervalle bekanntlich oft mit Vortheil angewendet wird. Dagegen l\u00e4sst dies Mittel nat\u00fcrlich im Stich, wenn man zu T\u00f6nen von entfernterer Quintenverwandtschaft \u00fcbergehen sollte.\nEndlich liegt in der Quintenreihe auch kein Grund aufzuh\u00f6ren, wenn die diatonische Leiter ausgef\u00fcllt ist. Warum schreiten wir nicht vorw\u00e4rts zur chromatischen Leiter von 12 Halbt\u00f6nen? Wozu diese seltsame Ungleichheit der Stufen\n1 1 L i i i L\nmit der wir unsere Leiter ahschliessen ? Die durch fortgesetzte Quintenfolge neu hinzukommenden T\u00f6ne w\u00fcrden keine engeren Stufen geben als schon da sind. Die alte f\u00fcnftonige Leiter vermied halbe T\u00f6ne als zu enge Intervalle, wie es scheint. Wenn aber erst einmal zwei in der Leiter waren, warum nicht alle einf\u00fchren ?\nWir haben schon bei der f\u00fcnfstufigen Leiter er\u00f6rtert, wie die Quintenreihe, welche man auf Instrumenten abstimmen konnte, wahrscheinlich erst die Gelegenheitsursache war, die T\u00f6ne kennen zu lernen, welche eine schw\u00e4chere Verwandtschaft ersten Grades zum Grundtone hatten. Das Gef\u00fchl f\u00fcr eine solche schw\u00e4chere Verwandtschaft zweier T\u00f6ne konnte unzureichend sein, um darauf' allein die Erfindung einer neuen Stufe der Tonleiter unmittelbar zu gr\u00fcnden. Wenn aber der Musiker auf einem gestimmten Instrumente \u00f6fter Gelegenheit hatte Terzen und Sexten, wenn auch\n27*","page":419},{"file":"p0420.txt","language":"de","ocr_de":"420 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nnicht in ganz reiner Stimmung, auf die Tonica folgen zu h\u00f6ren, und diese Folgen zu vergleichen mit der von grossen und kleinen Secunden oder Septimen, so konnte sich sein Ohr allm\u00e4lig \u00fcben, die engere Verwandtschaft der erstgenannten Intervalle aufzufassen und anzuerkennen.\nWir wollen also nun sehen, was f\u00fcr eine Tonleiter wir erhalten, wenn wir der nat\u00fcrlichen Verwandtschaft der Kl\u00e4nge zu einander weiter nachgehen, als es in der ersten Construction der diatonischen Leiter geschehen ist. Verwandt im ersten Grade nennen wir Kl\u00e4nge, welche zwei gleiche Partialt\u00f6ne haben; verwandt im zweiten Grade solche, welche mit demselben dritten Klange im ersten Grade verwandt sind. Je st\u00e4rker die beiden \u00fcbereinstimmenden Partialt\u00f6ne sind im Verh\u00e4ltniss zu den \u00fcbrigen Partialt\u00f6nen zweier im ersten Grade verwandten Kl\u00e4nge, desto st\u00e4rker ist die Verwandtschaft, desto leichter werden S\u00e4nger und H\u00f6rer das Gemeinsame beider Kl\u00e4nge zu f\u00fchlen wissen. Daraus folgt denn aber auch weiter, dass das Gef\u00fchl f\u00fcr die Verwandtschaft der T\u00f6ne nach den Klangfarben verschieden sein muss, und ich glaube, dass man dies in der That behaupten kann, indem auf der Fl\u00f6te und den weichen Orgelregistern, wo harmonische Zusammenkl\u00e4nge wegen der mangelnden Obert\u00f6ne und der mangelhaft unterschiedenen Dissonanzen charakterlos klingen, etwas Aehnliches auch f\u00fcr die einfachen Melodien gilt. Dies r\u00fchrt, wie ich meine, davon her, dass in den genannten Klangfarben die nat\u00fcrlichen Intervalle der Terzen und Sexten, vielleicht auch die der Quarten und Quinten, nicht unmittelbar in der Empfindung des H\u00f6rers ihre Rechtfertigung haben, sondern h\u00f6chstens in der Erinnerung. Wenn der H\u00f6rer weiss, dass auf anderen Instrumenten und im Ges\u00e4nge die Terzen und Sexten als nat\u00fcrlich und direct verwandte Kl\u00e4nge hervorgetreten sind, so l\u00e4sst er sie als wohlbekannte Intervalle auch gelten, wenn sie von einer Fl\u00f6te oder von weichen Orgelregistern vorgetragen werden. Doch kann ein in der Erinnerung bewahrter Eindruck nicht dieselbe Frische und Kraft haben, wie ein solcher unmittelbarer Empfindung.\nDa die St\u00e4rke der Verwandtschaft von der St\u00e4rke der gleichen Obert\u00f6ne abh\u00e4ngt, und die Obert\u00f6ne von h\u00f6herer Ordnungszahl schw\u00e4cher zu sein pflegen, als die von niederer Ordnungszahl, so ist die Verwandtschaft zweier Kl\u00e4nge im Allgemeinen desto schw\u00e4cher, je gr\u00f6sser die Ordnungszahlen der coincidirenden Ober-","page":420},{"file":"p0421.txt","language":"de","ocr_de":"Rationelle Construction der diatonischen Leitern. 421\nt\u00f6ne sind. Diese Ordnungszahlen gehen aber auch, wie sich der Leser aus der Lehre von den consonirenden Intervallen erinnern wird, das Verh\u00e4ltnis der Schwingungszahlen f\u00fcr die betreffenden beiden Noten an.\nIch lasse hier eine Tabelle folgen, welche in der oberen Horizontalreihe die Ordnungszahlen f\u00fcr die Partialt\u00f6ne der Tonica c enth\u00e4lt, in der ersten Verticalreihe dieselben f\u00fcr den betreffenden Ton der Leiter. Wo die betreffende Vertical- und Horizontalreihe Zusammentreffen, ist der entsprechende Ton der Leiter genannt, f\u00fcr welchen dieses Zusammentreffen stattfindet. Es sind aber nur diejenigen Noten aufgenommen, welche um weniger als eine Octave von der Tonica entfernt sind. Unter jede Tonstufe sind die beiden Ordnungszahlen der coincidirenden Obert\u00f6ne hingesetzt, um an diesen einen Maassstab f\u00fcr die St\u00e4rke der Verwandtschaft zu haben.\n\tPartialt\u00f6ne der Tonica\t\t\t\t\t\n\t1\t2\t3\t4\t5\t6\n\tc\tc'\t\t\t\t\n\t1.1\t1.2\t\t\t\t\n\tc\tc\t9\tc'\t\t\n\t2.1\t2.2\t2.3\t2.4\t\t\n\t\tF\tc\t/\ta\tc'\no\t\t3.2\t3.3\t3.4\t3.5\t3.6\n\t\tC\tG\tc\te\t9\n4\t\t4.2\t4.3\t4.4\t4.5\t4.6\n\t\t\tEs\tA s\tC\tes\n5\t\t\t5.3\t5.4\t5.5\t5.6\n\t\t\tG\tF\tA\tC\n6\t\t\t6.3\t6.4\t6.5\t6.6\nIn dieser systematischen Zusammenstellung finden wir in der oberhalb des Grundtones c gelegenen Octave folgende Reihe von Kl\u00e4ngen, welche der Tonica c im ersten Grade verwandt sind, nach der Reihe ihrer Verwandtschaft geordnet:\nc d\tg\tf a e\tes\n1:1 1:2\t2:3\t3:4\t3:5\t4:5\t5:6\nin der absteigenden Octave dagegen folgende Reihe:","page":421},{"file":"p0422.txt","language":"de","ocr_de":"422 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nc C F G\tEs\tAs\tA\n1:1\t1:2\t3:2\t4:3\t5:3\t5:4\t6:5\nDen Grund, die Reihe abzubrechen, finden wir in der Enge der entstehenden Intervalle. Diese d\u00fcrfen nicht so klein werden, dass sie schwierig zu treffen und zu unterscheiden w\u00e4ren. Welches Intervall wir als das engste in der Scala zulassen d\u00fcrfen, ist eine Frage, die von verschiedenen Nationen nach ihren verschiedenen Geschmacksrichtungen, vielleicht auch nach der verschiedenen Feinheit ihres Ohres verschieden beantwortet ist. Die Chinesen und Galen Hessen urspr\u00fcnglich nur ganze Tonstufen als kleinste Intervalle zu, die Griechen halbe Tonstufen. Sie haben in ihrem enharmonischen System Vierteltonstufen versucht, diese aber sp\u00e4ter wieder verworfen. Dagegen halten die Asiatenangeblich noch jetzt Viertel- und Dritteltonstufen fest. Die europ\u00e4ischen V\u00f6lker sind der Entscheidung der Griechen gefolgt, und haben den halben Ton ^ als Grenze festgehalten. Das Intervall zwischen dem Es und E, sowie zwischen dem As und A der na-t\u00fcrHchen Scala ist kleiner, n\u00e4mHch ||, und wir vermeiden deshalb Es und E oder As und A in dieselbe Scala zu bringen. So erhalten wir folgende zwei Reihen von Tonstufen als n\u00e4chst verwandte f\u00fcr die aufsteigende und absteigende Tonleiter:\nAufsteigend : c---e \u2014 / \u2014 g \u2014 a----------c'\nA\t16\t9_\tW\t6_\n4\t6\t8\t9\t5\nAbsteigend: c------- As \u2014 G \u2014 F \u2014 Es---------C\nJL\ti6\t_9_\t\u00eeo\t_6_\n4\t15\t8\t9\t5\nDie Zahlen unter den Reihen bezeichnen die Intervalle zwischen je zwei aufeinander folgenden Stufen. Wir bemerken dabei, dass die Intervalle zun\u00e4chst an der Tonica zu gross sind, und noch weiter getheilt werden k\u00f6nnen. Eine solche Theilung ist nun aber, nachdem wir die Reihe der Verwandten ersten Grades abgebrochen haben, nur noch durch Verwandte zweiten Grades m\u00f6glich.\nDie engsten Verwandtschaften zweiten Grades werden nat\u00fcrlich durch Vermittelung der dpr Tonica n\u00e4chstverwandten T\u00f6ne gegeben. Unter diesen steht voran die Octave. Die Verwandten der Octave sind freilich keine anderen Tonstufen, als die Verwandten der Tonica selbst; aber wenn wir zur Octave der Tonica \u00fcbergehen, erhalten wir da die absteigende Reihe der Tonstufen, wo wir vorher die aufsteigende hatten, und umgekehrt.","page":422},{"file":"p0423.txt","language":"de","ocr_de":"Rationelle Construction der diatonischen Leitern. 423\nAlso wenn wir von c aufw\u00e4rts gehen, hatten wir Tonstufen unserer Durleiter gefunden:\nc---e \u2014 f \u2014 g \u2014 a \u2014\u2014 d.\nWir k\u00f6nnen aber auch die Verwandten von c' nehmen, welche sind:\nc----es \u2014 / \u2014 g \u2014 as------d.\nWir k\u00f6nnen also durch Verwandtschaft zweiten Grades die T\u00f6ne der Moll-Leiter aufsteigend erhalten. Unter den T\u00f6nen dieser letzten Leiter ist das es hier gegeben als untere grosse Sexte von d\\ es hat aber auch die durch das Verh\u00e4ltniss 5:6 gegebene schwache Verwandtschaft zu c. Wir fanden den sechsten Partialton noch in vielen Klangfarben deutlich enthalten, denen der siebente und achte fehlt, z. B. auf dem Claviere, bei den engeren Orgelpfeifen, den Mixturregistern der Orgel. Also kann das Verh\u00e4ltniss 5:6 wohl oft noch als nat\u00fcrliche Verwandtschaft ersten Grades merkbar werden; schwerlich aber je das Verh\u00e4ltniss c \u2014 as oder 5:8. Daraus folgt, dass wir in der aufsteigenden Leiter eher e in es, als a in as verwandeln k\u00f6nnen. Im letzteren Falle bleibt nur die Verwandtschaft zweiten Grades \u00fcbrig. Also folgen die drei aufsteigenden Leitern hinsichtlich ihrer Verst\u00e4ndlichkeit in folgender Weise:\nc \u2014 e \u2014 / \u2014 g \u2014 a \u2014 d c \u2014 es \u2014 / \u2014 g \u2014 a \u2014 d c \u2014 es \u2014 / \u2014 g'\u2014 as \u2014 d.\nEs sind diese Unterschiede, welche auf einer Verwandtschaft zweiten Grades mittelst der Octave beruhen, zwar sehr gering-Sie sprechen sich aber doch aus in der bekannten Umbildung der aufsteigenden Molltonleiter, auf welche die hier aufgefundenen Unterschiede hindeuten.\nWenn man von c abw\u00e4rts geht, kann man statt der Verwandten ersten Grades in der Reihe\nc ---As \u2014 G \u2014 F \u2014 Es--------- C\nauch Verwandte des tieferen C nehmen:\nc----A \u2014 G \u2014 F\u2014 E----------G.\nIn der letzteren ist A mit dem Ausgangstone c durch die schwache Verwandtschaft ersten Grades 5 : 6 verbunden, E aber nur durch Verwandtschaft zweiten Grades. Also wird auch hier wieder die dritte Leiter sich gestalten k\u00f6nnen:\nA \u2014 G \u2014F \u2014 Es---------- C,\nc","page":423},{"file":"p0424.txt","language":"de","ocr_de":"424 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nwelche wir auch aufsteigend fanden. Also haben wir f\u00fcr die absteigenden Leitern die Reihenfolge\nc\t-\tAs\t\u2014\tG\t\u2014 F \u2014 Es ------ C\nc----- A\t\u2014\tG\t- F \u2014 Es---C\nc----- A\t\u2014\tG\t\u2014 F \u2014 E ----- C.\nUeberhaupt, da alle entfernteren und n\u00e4heren, h\u00f6heren und tieferen Octaven derTonica mit dieser so eng verwandt sind, dass sie fast mit ihr identificirt werden k\u00f6nnen, sind auch alle h\u00f6heren und tieferen Octaven der einzelnen Tonstufen mit der Tonica fast so eng verwandt, als die der Tonica zun\u00e4chst liegenden desselben Namens.\nAuf die Octave folgen als Verwandte von c seine Oberquinte g und seine Unterquinte 'F. Deren Verwandte kommen also zun\u00e4chst hei der Construction der Tonleiter in Betracht. Nehmen wir zun\u00e4chst die Verwandten von g.\nAufsteigende Leiter:\nc verwandt: c--e \u2014 / \u2014 g \u2014 a \u2014\u2014 c'\ng verwandt: c d es ---- g \u2014\u2014 h \u2014 c'\nVerbunden giebt dies\n1)\tdie Durtonleiter (Lydisches Geschlecht der Griechen):\nc \u2014 d \u2014 e \u2014 / \u2014 g\t\u2014\ta \u2014\th \u2014\tc'\n\u25a0*\u25a08432\t3\t8Z\nDie Verwandlung des Tones e in es wird hier auch durch die Verwandtschaft mit dem g erleichtert. Dies giebt\n2)\tdie aufsteigende Molltonleiter:\nc \u2014 d \u2014 es \u2014 / \u2014 g \u2014 a \u2014 h \u2014 c'\n1 JL 6\t4_\t5_\t16\tn\n1\t8\tTa\t23\t8\tZ\nAbsteigende Leiter:\nc verwandt: c--As \u2014 G \u2014 F \u2014 Es-----------C\ng verwandt: c B------ G ------- Fs \u2014 D \u2014 C\ngiebt die\n3)\tabsteigende Molltonleiter (Hypodorisches oder Aeoli-sches Geschlecht der Griechen \u2014 Terzengeschlecht):\nc \u2014 B \u2014\tAs\t\u2014\tG \u2014 F \u2014 Es\t\u2014\tI) \u2014 G\nn\t9_\t_8\t3_\t_4\t_6\t\u00a3_ __ -.\n^5\t6\t235\t81\noder in der gemischten Leiter, welche As in A verwandelt:","page":424},{"file":"p0425.txt","language":"de","ocr_de":"Rationelle Construction der diatonischen Leitern. 425\n4)\tSep tim engeschlecht (Phrygisch der Griechen):\nc \u2014 B \u2014 A \u2014 G \u2014 F \u2014 Es \u2014 B \u2014 G\nn _9\t_5\t_3\t. _6\t9_ J\n\" T\t3\t2 T\t5\t8\nGehen wir nun \u00fcber zu den Verwandten der Unterquinte jR so finden wir folgende Leitern:\n#\nAufsteigend:\nc verwandt: c --\u2014 e \u2014 / \u2014 g \u2014 a \u2014*- c\nF verwandt: c \u2014 d \u25a0-f-------a \u2014 b \u2014 c\nDies giebt\n5)\tdas Quartengeschlecht (Hypophrygisch oder Jonisch der Griechen) :\nc\t\u2014 d\t\u2014 e\t\u2014 /\t\u2014 g\t\u2014 a\t\u2014 b\t\u2014 c'\n1\t10\t_5 i_ 3_\t_6\t16\tO\n*943239\t^\nVerwandeln wir e in es, so erhalten wir wieder\n6)\tdas Septimengeschlecht, aber mit anderen Bestimmungen f\u00fcr die Schaltt\u00f6ne d und b:\nc \u2014 d \u2014 es \u2014 / \u2014 g \u2014 a \u2014 b \u2014 c\ni10 A\n* T\t5\t323\t9\t'\nAbsteigende Leiter:\nc verwandt: c----\u2014 As \u2014 G \u2014 F \u2014 Fs ------ G\nF verwandt: c \u2014 B \u2014 A-------F------Bes\u2014 C\ngiebt\n7)\tdas Sextengeschlecht (Dorisch der Griechen):\nc \u2014 B \u2014 As \u2014\tG \u2014 F \u2014 Fs\t\u2014\tDes\t\u2014\tC\n9l<j_8\t3_\t4_\t16\ti\n\u2022^95\t235\t15\t1\nSo sind die melodischen Tongeschlechter der Griechen und der altchristlichen Kirche hier auf dem consequent fortgesetzten nat\u00fcrlichen Wege der Ableitung alle wiedergefunden. Alle diese Geschlechter haben in der That das gleiche Recht, so lange es sich nur um homophonen Gesang handelt.\nIch habe hier zun\u00e4chst die Leitern in der Weise gegeben, wie sie sich in der nat\u00fcrlichsten Weise ableiten. Aber da wir gesehen haben, dass jede der drei Leitern","page":425},{"file":"p0426.txt","language":"de","ocr_de":"426 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nc----- e\t\u2014 f\t\u2014\t9\t\u2014\t\u00bb\t---- C\nc----- es\t\u2014 f\t\u2014\t9\t\u2014\ta\t-\u2014\tc'\nc----- es\t\u2014 /\t\u2014\tg\t\u2014\tas\t--- c'\nsowohl aufsteigend als absteigend durchlaufen werden kann, wenn auch die erste besser zur aufsteigenden, die letzte besser zur absteigenden Bewegung passt, so k\u00f6nnen auch - die L\u00fccken jeder einzelnen von ihnen entweder ausgef\u00fcllt werden mit den *F-verwandten oder ^-verwandten T\u00f6nen, und es kann sogar die eine L\u00fccke mit einem F-verwandten, die andere mit einem ^-verwandten gef\u00fcllt werden.\nDie Zahlenbestimmungen der der Tonica direct verwandten T\u00f6ne sind nat\u00fcrlich fest*) und unver\u00e4nderlich, weil sie durch consonante Verh\u00e4ltnisse zur Tonica direct gegeben und dadurch sicherer bestimmt sind, als durch jede entferntere Verwandtschaft. Dagegen sind die Ausf\u00fcllungst\u00f6ne vom zweiten Grade der Verwandtschaft allerdings nicht so fest gegeben.\nF\u00fcr die Secund\u00ea haben wir, wenn c = 1 :\n1)\tdas <7-verwandte d = |-,\n2)\tdas /-verwandte d = ^ = j \u25a0 |j,\n3)\tdas/-verwandte des = ij.\nF\u00fcr die Septime:\nt) das ^-verwandte h \u2014 j-,\n2)\tdas <7-verwandte i =\n3)\tdas /-verwandte b \u2014 \u2122 \u2014 A . ^.\nW\u00e4hrend die T\u00f6ne h und des also ebenfalls sicher gegeben sind, bleiben die T\u00f6ne b und d unsicher. Beide k\u00f6nnen mit der Tonica c entweder einen grossen ganzen Ton oder einen kleinen ^ bilden.\nUm diese Unterschiede der Stimmung fortan sicher und un-\n*) Ich kann namentlich nicht zugeben, dass, wie Hauptmann will, in die aufsteigende Molltonleiter das Pythagor\u00e4ische a, welches die Quinte von d ist, gesetzt werde. D\u2019Alembert will dasselbe sogar auch in die Durtonleiter setzen, indem er von g nach h durch den Fundamentalbass d geht. Das w\u00fcrde eine entschiedene Modulation nach Cf-Dur anzeigen, welche nicht n\u00f6thig ist, wenn man die nat\u00fcrlichen Beziehungen der T\u00f6ne zur Tonica festh\u00e4lt. Siehe Hauptmann, Harmonik und Metrik, S. 60.","page":426},{"file":"p0427.txt","language":"de","ocr_de":"Hauptmann's Tonbezeichnung eingef\u00fchrt. 427\nzweideutig bezeichnen zu k\u00f6nnen, wollen wir von hier ab die von Hauptmann angewendete Bezeichnungsweise der T\u00f6ne einf\u00fchren, welche diejenigen T\u00f6ne, die durch eine Quintenreihe bestimmt sind, unterscheidet von denjenigen, welche durch die Verwandtschaft einer Terz zur Tonica gegeben sind. Wir haben schon gesehen, dass diese beiden verschiedenen Arten der Bestimmung auf etwas verschiedene Tonh\u00f6hen f\u00fchren, und eben deshalb m\u00fcssen in genauen theoretischen Untersuchungen beiderlei Arten von T\u00f6nen von einander getrennt bleiben, wenn sie auch in der modernen Musik praktisch gew\u00f6hnlich mit einander verwechselt werden.\nMit grossen und kleinen Buchstaben C und c haben wir bisher T\u00f6ne verschiedener Octaven bezeichnet. In den folgenden Untersuchungen kommt es nicht mehr darauf an, in welcher Octave die T\u00f6ne liegen; wir k\u00f6nnen deshalb den grossen und kleinen Buchstaben eine andere Bedeutung zuweisen.\nWenn C der Ausgangston ist, so bezeichnet Hauptmann*) dessen Quinte mit G, die Quinte dieser Quinte mit 1) u. s. w. ; ebenso die Quarte von C mit F, die Quarte dieser Quarte mit B u. s. w. Es bildet also die Reihe derjenigen T\u00f6ne, welche mit grossen Buchstaben bezeichnet sind, eine Reibe reiner Quinten und Quarten:\nB \u2014 F \u2014 C \u2014 G \u2014 JD \u2014 A \u2014 Eu. s. w.\nDadurch ist die H\u00f6he aller dieser T\u00f6ne eindeutig bestimmt, wenn einer von ihnen gegeben ist.\nDie grosse Terz von C dagegen bezeichnet Hauptmann mit dem kleinen e, die von F mit a u. s. w. Die Reihe der T\u00f6ne B \u2014 d \u2014 F \u2014 a \u2014 G \u25a0\u2014 e \u2014 G \u2014 h \u2014 JD \u2014 fis \u2014 Mu. s. w. ist also eine abwechselnde Reihe grosser und kleiner Terzen. Dabei ist es klar, dass die T\u00f6ne\nd \u2014 a \u2014 e \u2014 h \u2014 fis u. s. w. unter sich wieder eine Reihe reiner Quinten bilden.\nWir haben schon oben gefunden, dass der Ton d, d. h. die\n*) Die Natur der Harmonik und Metrik. Leipzig 1853. S. 26 u. ff. \u2014\u2022 Ich kann mich nur dem Bedauern anschliessen, welches C. E. Naumann ausgedr\u00fcckt hat, dass so viele feine musikalische Anschauungen, welche dieses Werk enth\u00e4lt, unn\u00f6thiger Weise hinter der abstrusen Terminologie der Hegel\u2019sehen Dialektik versteckt und deshalb einem gr\u00f6sseren Leserkreise ganz unzug\u00e4nglich sind.","page":427},{"file":"p0428.txt","language":"de","ocr_de":"428 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nkleine Unterterz oder grosse Sexte von F tiefer ist, als der von F aus im Quintencirkel erreichte Ton _D, und zwar ist der Unterschied der Tonh\u00f6he ein Komma, dessen Zahlenwerth |i ist, etwa der zehnte Theil eines ganzen Tones. Da nun D \u2014 A ebenso gut wie d \u2014 a eine reine Quinte ist, so ist auch A um ein ebensolches Komma h\u00f6her als a, und ebenso jeder mit einem grossen Buchstaben bezeichnete Ton um ein Komma h\u00f6her als der mit dem entsprechenden kleinen Buchstaben bezeichnete Ton, wie man leicht sieht, wenn man in Quinten immer weiter schreitet.\nEin Duraccord schreibt sich also G - e \u2014 G\nund ein Mollaccord\na \u2014 C \u2014 e oder c \u2014 Es \u2014 g.\nHauptmann vertauscht diese letztere Bezeichnung inconsequen-ter Weise mit C \u2014 es \u2014 G, wobei man das es mit der Terz des im Quintencirkel gefundenen Ces verwechseln k\u00f6nnte, von dem es verschieden ist. Sollte also vom Tone C die Mollterz genommen werden m\u00fcssen, so w\u00fcrde ich sie mit es bezeichnen, und die T\u00f6ne der dritten Quintenreihe\nes \u2014 b \u2014 / \u2014 c \u2014 g \u2014 d u. s. w. sind also um ein Komma h\u00f6her zu nehmen als die der Reihe Es \u2014 B \u2014 F \u2014 C \u2014 G \u2014 D u. s. w. oder um zwei Kommata h\u00f6her als die der Reihe\nes \u2014 b \u2014 / \u2014 c \u2014 g \u2014 d u. s. w.\nDer Strich \u00fcber dem Buchstaben erh\u00f6ht denselben also um zwei Kommata.\nWenn wir ebenso festsetzen, dass ein horizontaler Strich unter dem Buchstaben denselben um zwei Kommata erniedrigt, so k\u00f6nnen wir Duraccorde auch gelegentlich schreiben\nc \u2014 Es \u2014 g, wo wir c als Grundton nehmen m\u00fcssen.\nHaben wir die Lage der T\u00f6ne in verschiedenen Octaven zu ber\u00fccksichtigen, so werden wir die Strichelchen oben am Buchstaben c', c\", c'\" oder 6\", C\", C\" u. s. w. dazu benutzen, wie diese auch fr\u00fcher zu demselben Zwecke gebraucht sind.\nDie drei Reihen der mit C direct verwandten T\u00f6ne sind also zu schreiben","page":428},{"file":"p0429.txt","language":"de","ocr_de":"Hauptmann\u2019s Tonbezeichnung eingef\u00fchrt. 429\nG \u2014\u2014 e \u2014 F \u2014\tG\t\u2014\ta --- C\nG----1? \u2014 F \u2014\tG\t\u2014\ta --- C\nC----cF \u2014 F \u2014\tG\t\u2014\tas-- G\nund die F\u00fcllt\u00f6ne sind\nzwischen Tonica und Terz : B, d oder des, zwischen Sexte und Octave: h und B oder b.\nAlso die melodischen unter den griechischen und altkirchlichen Tongeschlechtern geben folgende Leitern :\n1)\tDurgeschlecht:\nC \u2014 D \u2014 e \u2014 F \u2014 G \u2014 a \u2014 h \u2014 C\n(d)\n2)\tQuartengeschlecht:\nC \u2014 B \u2014 e \u2014 F\u2014 G \u2014 a \u2014 B \u2014 C\n(d)\t(b)\n3)\tS eptime n ges chl e cht:\nC \u2014 B \u2014\u00fc\t\u2014\tF\t\u2014\tG\t\u2014\ta\t\u2014 B \u2014\tC\n(d)\t(b)\n4)\tTerzengeschlecht:\nG \u2014 B \u2014 es\t\u2014\tF\t\u2014\tG\t\u2014 as\t\u2014 B \u2014\tG\n(d)\t(b)\n5)\tSexterigeschlecht:\nC \u2014 des \u2014 es \u2014 F \u2014 G \u2014 a \u2014 B \u2014 C.\n(b)\nIn dieser Bezeichnungsweise ist also die Stimmung der T\u00f6ne genau ausgedr\u00fcckt dadurch, dass die Art der Consonanz, in der sie zur Tonica oder deren Verwandten stehen, festgesetzt ist.\nDieselben Leitern in der altgriechischen pythagor\u00e4ischen Stimmung w\u00fcrden \u00fcbrigens zu schreiben sein:\nDur geschlecht\nG \u2014 B \u2014 E \u2014 F \u2014 G \u2014 A \u2014 H \u2014 C und die anderen \u00e4hnlich durchaus nur mit Buchstaben gleicher Art, die derselben Quintenreihe angeh\u00f6ren.\nIn den hier aufgestellten Formeln f\u00fcr die diatonischen Tongeschlechter bleibt die Stimmung der Secunde und Septime theil-","page":429},{"file":"p0430.txt","language":"de","ocr_de":"430 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nweise schwankend. Ich habe in diesen F\u00e4llen das B vor dem d und das B vor dem b bevorzugt, weil die Verwandtschaft der Quinte eine n\u00e4here ist als die der Terz. Es stehen aber B und B im Quintenverh\u00e4ltniss beziehlich zu den der Tonica C n\u00e4chstverwandten T\u00f6nen F und G, d und b aber nur im Terzenverh\u00e4ltniss. Doch ist dieser Grund wohl nicht ausreichend, die letztgenannten T\u00f6ne von der Anwendung im homophonen Ges\u00e4nge ganz aus-zuschliessen. Denn wenn in der melodischen Bewegung die Se-cunde der Tonart in enge Nachbarschaft zu den mit F verwandten T\u00f6nen tritt, zum Beispiel zwischen F und a gestellt wird, oder ihnen nachfolgt, so wird es einem genau intonirenden S\u00e4nger gewiss nat\u00fcrlicher sein, das dem .Fund a direct verwandte d als das nur im dritten Grade verwandte I) anzugeben. Die ein wenig engere Beziehung des letzteren zur Tonica wird hier kaum den Ausschlag geben k\u00f6nnen. '\nAuch glaube ich nicht, dass in dieser Zweideutigkeit der ausf\u00fcllenden T\u00f6ne ein Mangel des Tonsystems liegt, da in dem modernen Mollsystem die Sexte und Septime der Tonart nicht nur um ein Komma, sondern um einen halben Ton ge\u00e4ndert werden, je nach der Richtung der melodischen Bewegung. Entscheidendere Gr\u00fcnde f\u00fcr die Anwendung des B statt des d werden wir \u00fcbrigens im n\u00e4chsten Abschnitte kennen lernen, wenn wir uns von der homophonen Musik zu dem Einfl\u00fcsse der harmonischen Musik auf die Tonleitern hinwenden werden.\nWir haben oben gesehen, dass die nat\u00fcrliche Stimmung der grossen Terz h zuerst von Archytas f\u00fcr das enharmonische Geschlecht gefunden und festgestellt wurde. In diesem Geschlechte war die Quintenfolge durchbrochen, und es war deshalb kein Grund, die Quintenstimmung zu bevorzugen. Die richtige Stimmung der kleinen Terz j fand erst Eratosthenes (im dritten Jahrhundert vor Chr.) und zwar f\u00fcr das chromatische Geschlecht. Erst Did y mus f\u00fcgte im ersten Jahrhundert nach Chr. die richtige Stimmung f\u00fcr das diatonische Tetrachord hinzu. Seine Ein-theilungen des Tetrachordes sind folgende:\nEnharmonisch :\nChromatisch :\nDiatonisch:\n32\t31\t\u00a3\n31\t30\t4\n16\t25\t6\n15\t24\t5\n16\t10\t9_\n15\t9\t8","page":430},{"file":"p0431.txt","language":"de","ocr_de":"Nat\u00fcrliche Terzen bei den Griechen. 431\nDas Letztere entspricht also der Folge nach unserer Bezeichnung\nh \u2014 C \u2014 d \u2014 e\n16\t10\t\u00a3\nIS\t9\t8\nDagegen ordnete Ptolem\u00e4us das diatonische Tetrachord anders, n\u00e4mlich\nh \u2014 C \u2014 D \u2014 e\n16\t9_\t10\nIS\t8\t9\nso dass hier also schon das Schwanken beginnt zwischen der Stellung der beiden verschiedenen Ganzt\u00f6ne, welches wir vorher in der Construction der nat\u00fcrlichen diatonischen Leiter bemerkt haben. Freilich stellte derselbe Ptolem\u00e4us neben diesem Tetra-chorde von nat\u00fcrlicher Stimmung, welches das syntonische Geschlecht genannt wurde, noch andere Tetrachordeintheilungen von ganz willk\u00fcrlicher Art auf, n\u00e4mlich\nWeich diatonisch:\t55\tT\tf\"\nGleich diatonisch:\tn\t\u00ef5\tT\nso dass es* nicht so aussieht, als h\u00e4tten die sp\u00e4teren Griechen ein sehr lebhaftes Gef\u00fchl f\u00fcr die Vorz\u00fcge des syntonischen Geschlechts gehabt. Deshalb haben auch die neueren Interpreten der griechischen Musiklehre meistens die Meinung aufgestellt, dass die genannten Unterschiede in der Stimmung, welche die Griechen Tonfarben (xqocu) nannten, nur theoretische Speculationen seien, welche nie zur Anwendung gekommen w\u00e4ren*). Sie meinen, diese Unterschiede seien so klein, dass eine ganz unglaublich verfeinerte Ausbildung des Geh\u00f6rs n\u00f6thig sei, um ihre \u00e4sthetische Wirkung aufzufassen. Dem gegen\u00fcber muss ich nun behaupten, dass diese Meinung der modernen Theoretiker nur deshalb hat aufgestellt werden k\u00f6nnen, weil Niemand unter ihnen versucht hat, jene verschiedenen Tongeschlechter praktisch nachzubilden und mit dem Ohre zu vergleichen. Auf einer weiter unten zu beschreibenden\n*) Auch Bellermann ist dieser Meinung (Tonleitern der Griechen S. 27). Stellen aus den griechischen Schriftstellern, welche den wirklichen praktischen Gebrauch erweisen, hat Westphal in seinen Fragmenten der griechischen Rhythmiker S. 209 zusammengestellt. Nach Plutarch, de Musica S. 38 und 39, haben die sp\u00e4teren Griechen sogar eine Vorliebe f\u00fcr die nachgelassenen Intervalle gehabt.","page":431},{"file":"p0432.txt","language":"de","ocr_de":"432 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nPhysharmonika kann ich die nat\u00fcrliche Stimmung mit der pytha-gor\u00e4ischen vergleichen und das diatonische Geschlecht bald in derWeise des Didymus, bald in der des Ptolein\u00e4us ausf\u00fchren, oder auch noch andere Abweichungen herstellen. Es ist gar nicht schwer, den Unterschied eines Komma in der Stimmung der verschiedenen Tonstufen zu erkennen, wenn man bekannte Melodien in verschiedenen \u201eTonfarben\u201c ausf\u00fchrt, und jeder Musiker, dem ich denVersuch vorgemacht habe, hat sogleich den Unterschied geh\u00f6rt. Melodische G\u00e4nge mit pythagor\u00e4ischen Terzen klingen angestrengt und unruhig, solche mit nat\u00fcrlichen Terzen dagegen wohllautend, ruhig und weich, trotzdem unsere gew\u00f6hnliche gleichschwebende Stimmung Terzen hat, welche den pythagor\u00e4ischen n\u00e4her kommen, als den nat\u00fcrlichen, und jene uns deshalb gewohnter sind, als letztere. Und was ferner die Feinheit sinnlicher Beobachtung in k\u00fcnstlerischen Dingen betrifft, so d\u00fcrfen wir Neueren darin wohl \u00fcberhaupt die Griechen als un\u00fcbertroffene Muster betrachten. Bei dem hier vorliegenden Gegenst\u00e4nde aber hatten sie ganz besondere Veranlassung und Gelegenheit, ihr Ohr feiner auszubilden, als wir das unsere. Wir sind von Jugend auf daran gew\u00f6hnt, uns mit den Ungenauigkeiten der modernen gleichschwebenden Stimmung abzufinden, und die ganze fr\u00fchere Mannigfaltigkeit der Tongeschlechter von verschiedenem Ausdruck hat sich reducirt auf den ziemlich leicht vernehmbaren Unterschied von Dur und Moll. Die verschiedenartigen Abstufungen des Ausdrucks aber, welche wir durch Harmonie und Modulation erreichen, mussten die Griechen und andere V\u00f6lker, die nur homophone Musik besitzen, durch eine feinere und mannigfaltigere Abstufung der Tongeschlechter zu erreichen suchen. Was Wunders daher, wenn sich auch ihr Ohr f\u00fcr diese Art von Unterschieden viel feiner ausbildete, als das unserige daf\u00fcr ausgebildet ist.\nEine noch consequentere und methodischer ausgebildete Benutzung der hier besprochenen Stimmungsunterschiede des pythagor\u00e4ischen und nat\u00fcrlichen Systems zeigt die arabisch-persische Musik, deren Eigenth\u00fcmlichkeiten, wie es scheint, schon vor der Eroberung durch die Araber im persischen Reiche der Sassa-niden ausgebildet waren. Um das System dieser Musik, welches bisher vollst\u00e4ndig missverstanden ist, nach seinem wahren Sinne zu verstehen, muss man noch folgenden Umstand kennen. Wenn man von C aus vier Quinten aufw\u00e4rts stimmt","page":432},{"file":"p0433.txt","language":"de","ocr_de":"Arabisch-persisches Tonsystem.\n433\nC \u2014 G - D - A \u2014 E\nkommt man zu einem E, welches um ein Komma |j h\u00f6her ist, als die nat\u00fcrliche grosse Terz von C, welche wir mit e bezeichnen. Jenes E bildet die Terz in der Pythagor\u00e4ischen Tonleiter. Wenn man dagegen von C ab durch 8 Quinten r\u00fcckw\u00e4rts geht:\nG \u2014 F \u2014 B \u2014 Es \u2014 As \u2014 Bes \u2014 Ges \u2014 Ges \u2014 jFes, kommt man auf einen Ton Fes, welcher fast genau \u00fcbereinstimmt mit dem nat\u00fcrlichen e. Das Intervall von C zu Fes wird n\u00e4mlich ausgedr\u00fcckt durch das Zahlenverh\u00e4ltniss\n884\n885\nDer Ton Fes ist also um das sehr kleine Intervall |jp welches etwa der elfte Theil eines Komma\u2019s ist, niedriger als die nat\u00fcrliche Terz e. Dieser Unterschied zwischen Fes und e ist praktisch kaum wahrzunehmen, h\u00f6chstens durch genaue Beobachtung der sehr langsamen Schwebungen, welche der Accord C\u2014Fes\u2014G auf einem ganz genau gestimmten Instrumente geben w\u00fcrde, so dass wir bei der praktischen Anwendung unbedingt die beiden T\u00f6ne Fes und e gleich setzen k\u00f6nnen, und dem entsprechend auch die reinen Quinten derselben Ges = h, Ges \u2014 fis u. s. w.\nNun ist in der arabisch-persischen Scala die Octave in 17 Stufen eingetheilt, in unserer gleichschwebenden Temperatur aber in 6 ganze Tonstufen, und dadurch ist bei den neueren Interpreten des arabisch-persischen Musiksystems die Meinung entstanden, jede einzelne von jenen 17 Stufen entspreche nahehin einer Dritteltonstufe unserer Musik. Dann w\u00fcrde in der That die Stimmung der arabischen Tonstufen von den unserigen g\u00e4nzlich abweichend sein, und arabische Musik w\u00fcrde durch unsere Musikinstrumente nicht ausgef\u00fchrt werden k\u00f6nnen. Nun finde ich aber in Kiese-wetter\u2019s Schrift \u00fcber die Musik der Araber*), welche unter philologischer Beihilfe des ber\u00fchmten Orientalisten v. Hammer-Purgstall abgefasst ist, die Uebersetzung der Vorschriften, welche Abdul Kadir, ein ber\u00fchmter persischer Theoretiker des vierzehnten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, der an den H\u00f6fen des Timur und Bajazid lebte, \u00fcber die Theilung des Monochords gegeben hat, aus denen sich die Stimmung der Tonstufen der\n*) R. G. Kiesewetter, die Musik der Araber nach Originalquellen dargestellt, mit einem Vorworte von dem Freiherrn v. Hammer-Purg-stall. Leipzig 1842. S. 32 und 33.\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\n28","page":433},{"file":"p0434.txt","language":"de","ocr_de":"434 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\norientalischen. Tonleiter mit voller Sicherheit und Genauigkeit ergiobt. Auch stimmen diese Vorschriften in den Hauptsachen \u00fcberein sowohl mit denen, welche der viel \u00e4ltere Farabi*) (f950) als auch der gleichzeitige Mahmud Schirasi**) (f 1315) f\u00fcr die Eintheilung des Griffbretts der Laute gegeben haben. Nach den Vorschriften des Abdul Kadir ergeben sich s\u00e4mmtliche Tonstufen der arabischen Leiter durch eine Reihe von 16 Quintenschritten, und sind, wenn wir die tiefste Tonstufe G nennen, in unserer Bezeichnungsweise ausgedr\u00fcckt, folgende:\n1) G,_' 2)\tDes,_3)\te\u00a3,w\t4)\tD,___ 5)\tEs,_ 6) e,w\n7) E8)\tG,_\t9)\tGes,_10)\t11)\tG,_\t12) As_\n13) a,w 14)\tA,_\t15)\tJJ,_\t16)\th,\u2014\t17)\tc,w\t18) C.\nWo das Zeichen \u2014 zwischen zwei T\u00f6nen steht, betr\u00e4gt die Stufe ein Pythagor\u00e4isches Limma f~ (abgek\u00fcrzt und wo das Zeichen w steht, betr\u00e4gt sie nur ein Komma ^ Das Limma betr\u00e4gt nahehin L, das Komma y des nat\u00fcrlichen Halhtones jj-Von den 12 Haupttonarten (Makamat) giebt Abdul Kadir die Tonleitern der drei ersten in folgender Stimmung:\n1.\tUschak: C\u2014D \u2014E\u2014F\u2014G \u2014A\u2014B\u2014C(Hypophrygisch),\n2.\tNewa:\tC\u2014D \u2014Es\u2014F\u2014G \u2014As\u2014B\u2014(7(Hypodorisch),\n3.\tBuselik: C\u2014Des\u2014Es\u2014F\u2014Ges\u2014As\u2014B\u2014C(Mixolydisch).\nDiese drei sind also vollst\u00e4ndig identisch mit altgrichischen Tonleitern in Pythagor\u00e4ischer Stimmungsweise. Da von den arabischen Theoretikern diese Leitern ahgetheilt werden in die Quarte C\u2014F und die Quinte F \u2014 G, ferner C, F und B als die festen und unver\u00e4nderlichen T\u00f6ne dieser Leitern betrachtet werden, so ist es sehr wahrscheinlich, dass F als Tonica betrachtet werden muss. Dann w\u00fcrde sein:\n1.\tUschak gleich G-Dur (Lydisch),\n2.\tNewa gleich dem Quartengeschlecht von F (Phrygisch),\n3.\tBuselik gleich dem Sextengeschlecht von F (Dorisch);\nalle drei aber in Pythagor\u00e4ischer Stimmung ; sie werden auch von der persischen Schule als zusammengeh\u00f6rig betrachtet.\n*) J. G. L. Kosegarten, Alii Ispahanensis liber cantilenarum,\nbis 86.\n**) Kiese wett er, Musik der Araber, S. 33.\np. 76","page":434},{"file":"p0435.txt","language":"de","ocr_de":"Arabisch-persisches Tonsystem.\t435\nDie n\u00e4chste Gruppe besteht aus f\u00fcnf Tonarten, welche die nat\u00fcrliche Stimmung zeigen, n\u00e4mlich:\n4.\tRast:\tG\u2014D \u2014\te \u2014 F\u2014\tG\t\u2014\ta\t\u2014\tB\t\u2014\u25a0\tG\n5.\tHusseini:\tO \u2014\td \u2014\tEs \u2014 F \u2014\tg\t\u2014\tAs\t\u2014\tB\t\u2014\tG\n6.\tHidschaf:\tG\u2014\td \u2014\tEs. \u2014 F \u2014\tg\u2014\ta\t\u2014B\u2014\tG\n7.\tRahewi:\tG\u2014\td\u2014\te \u2014 F \u2014\tg\t\u2014\tAs\t\u2014\tB\t\u2014\tG\n8.\tSeng ule: G \u2014 D \u2014 e \u2014 F\u2014 g\u2014 a \u2014B\u2014 G\nMan kann Rast ansehen als Quartengeschlecht von C, Eidschaf als dasselbe von F, Husseini als dasselbe von B; als solche h\u00e4tten sie vollkommen richtige nat\u00fcrliche Stimmung. Im Rahewi, wenn man es auf die Tonica F bezieht, ist die Mollterz As nicht in nat\u00fcrlicher, sondern in Pythagor\u00e4ischer Stimmung; man k\u00f6nnte es als Septimengeschlecht der Tonica F betrachten, in welches aber die grosse Septime e als Leitton statt der kleinen eingetreten ist, wie in unserem Mollgeschlecht. Die nat\u00fcrliche Stimmung eines solchen Tongeschlechts l\u00e4sst sich in der That mit den vorhandenen 17 Tonstufen nicht genau richtig herstellen; man muss entweder Pythagor\u00e4ische Mollterzen und nat\u00fcrliche Durterzen oder umgekehrt nehmen. Husseini kann betrachtet werden als dieselbe Tonart wie Rahewi, mit derselben falschen Mollterz, aber mit kleiner Septime. EndlichSengule w\u00e4re einF-Dur mit Pythagor\u00e4ischer Sexte. Die gleiche Auffassung Hesse auch Rast zu; beide unterscheiden sich nur durch den verschiedenen Werth der Secunde G oder g.\nDie vier letzten Makamat enthalten je acht Tonstufen, indem noch Schaltt\u00f6ne eingesetzt sind. Zwei davon sind \u00e4hnlich den Tonleitern Rast und Sengule, zwischen B und C ist ein Zwischenton c eingesetzt, n\u00e4mlich:\n9.\tIrak:\tC-r d \u2014e \u2014 F\u2014g \u2014 a \u2014 B \u2014 c\u2014 C,\n10.\tIfzfahan: C\u2014 D \u2014 e \u2014 F\u2014 G \u2014 a \u2014 B \u2014 c\u2014 C.\nDiese transponirt um eine Quarte, geben:\n11.\tB\u00fcs\u00fcrg: G \u2014 D \u2014 e \u2014 F \u2014 g \u2014 G \u2014 A \u2014 h \u2014 C.\nDie letzte ist die Tonleiter:\n12.\tZirefkend: C \u2014 d \u2014 Es \u2014 F \u2014 g \u2014 As \u2014 a \u2014 h \u2014 C,\nwelche allerdings, wenn sie richtig \u00fcberliefert ist, eine wunderliche Bildung hat. Sie k\u00f6nnte wie eine Molltonleiter mit grosser Septime erscheinen, in der grosse und kleine Sexte neben einander stehen; aber die Quinte g w\u00e4re dann falsch. Betrachtet man da-\n28*","page":435},{"file":"p0436.txt","language":"de","ocr_de":"436 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\ngegen F als ihre Tonica, so fehlt die Quarte, was freilich beides in der Mixolydischen und Hypolydischen Tonleiter der Griechen seine Analogie findet. In den Angaben \u00fcber die letztgenannten achtstufigen Tonreihen herrscht \u00fcbrigens viel Widerspruch zwischen den verschiedenen von Kiese wett er citirten Quellen.\nAls Haupttonarten werden vier von den zw\u00f6lf Makamat bezeichnet, n\u00e4mlich:\n1.\tUschak\t\u2014 Pythagor\u00e4isch .F-Dur,\n2.\tEast\t= Nat\u00fcrlich C Quartengeschlecht,\n3.\tHusseini = Nat\u00fcrlich F Septimengeschlecht,\n4.\tHidschaf = Nat\u00fcrlich F Quartengeschlecht.\nWir finden hier also ein entschiedenes Uebergewicht der Tonleitern mit vollkommen richtiger nat\u00fcrlicher Stimmung, und diese nat\u00fcrliche Stimmung ist durch eine geschickte Benutzung der fortgesetzten Quintenreihe gewannen. Dadurch wird dieses arabisch-persische System der Musik f\u00fcr deren Entwickelungsgeschichte sehr beachtenswerth. Es kommt noch hinzu, dass wir in einigen dieser Leitern aufsteigende Leitt\u00f6ne vorfinden, welche den griechischen Tonleitern vollkommen fremd waren. So in Ra-hewi das e als Leitton zu F, w\u00e4hrend \u00fcber F die Mollterz As steht, welcher Ton in einer griechischen Leiter nicht h\u00e4tte Vorkommen k\u00f6nnen, ohne auch das e in Fs zu verwandeln. Ebenso in Zirefkend das h als Leitton zu C, w\u00e4hrend \u00fcber C die Mollterz Es steht.\nEndlich entwickelte sich wenig sp\u00e4ter in Persien ein neues musikalisches System mit zw\u00f6lf Halbtonstufen in der Octave, dem modernen europ\u00e4ischen analog. Kiesewetter macht hier die sehr unwahrscheinliche Hypothese, dasselbe sei durch christliche Mission\u00e4re in Persien eingef\u00fchrt. Indessen ist es klar, dass das bisher beschriebene siebzehnstufige System im popul\u00e4ren Gebrauche, wenn das Gef\u00fchl f\u00fcr die feineren Unterschiede sich abstumpfte, und die nur um ein Komma, verschiedenen T\u00f6ne gleich gesetzt wurden, in das System der zw\u00f6lf Halbtonstufen \u00fcbergehen musste. Dazu war gar kein fremder Einfluss noting; ausserdem war das griechische Musiksystem den Arabern und Persern l\u00e4ngst durch Farabi gelehrt worden; \u00fcber dieses hinaus war die europ\u00e4ische Musiktheorie des vierzehnten und f\u00fcnfzehnten Jahrhunderts auch noch nicht wesentlich fortgeschritten, die Studien in der Harmonie abgerechnet, welche aber bei den Orientalen niemals","page":436},{"file":"p0437.txt","language":"de","ocr_de":"Bedeutung des Leittones.\t437\nAufnahme gefunden haben. Die damaligen Europ\u00e4er konnten also in der That in jener Zeit ausser den unvollkommenen Anf\u00e4ngen der Harmonie den Orientalen nichts lehren, was diese nicht schon besser wussten. Viel eher, glaube ich, kann die Frage aufgeworfen werden, oh nicht erstens die unvollkommenen Brocken des nat\u00fcrlichen Systems, die sich bei den Alexandrinischen Griechen finden, auf persischen Ueberlieferungen beruhen, und zweitens, ob nicht auch die Europ\u00e4er zur Zeit der Kreuzz\u00fcge mancherlei in der Musik von den Orientalen gelernt haben. Dass sie die lautenartigen Instrumente mit Griffbrett und die Streichinstrumente vom Orient empfangen haben, ist sehr wahrscheinlich. Im Bau der Tonarten k\u00f6nnte hier namentlich der Gebrauch des Leittones in Frage kommen, den wir bei den Orientalen gefunden haben, und der nun auch in der abendl\u00e4ndischen Musik zu erscheinen beginnt.\nIn der Anwendung der grossen Septime der Tonart als eines Leittones zur Tonica liegt ein neues Moment, welches zur weiteren Ausbildung des Zusammenhanges der Tonstufen einer Tonleiter benutzt werden konnte, und zwar noch innerhalb des Bereiches der rein homophonen Musik. Der Ton h in der (7-Durleiter hat von allen T\u00f6nen der Leiter die schw\u00e4chste Verwandtschaft zur Tonica C, da er als Terz der Dominante G eine schw\u00e4chere Verwandtschaft zu dieser hat als deren Quinte D. Daher erkl\u00e4rt es sich, dass in Terpander\u2019s Heptachord und in denjenigen g\u00e4li-schen Liedern, welche noch einen sechsten Ton in die Leiter aufgenommen haben, die Septime wegbleibt. Andererseits aber tritt f\u00fcr die Septime h eine eigenth\u00fcmliche Beziehung zur Tonica ein, welche die neuere Musik eben als das Verh\u00e4ltniss des Leittones bezeichnet. Die grosse Septime h ist n\u00e4mlich von der Octave 6\" der Tonica nur durch das kleinste Intervall der Scala, einen halben Ton, getrennt, und sie ist verm\u00f6ge dieser Nachbarschaft der Tonica leicht und ziemlich sicher zu treffen, selbst wenn man von T\u00f6nen der Scala ausgeht, die zum h gar keine Yerwandtschaft haben. Der Sprung F \u2014 h zum Beispiel ist misslich auszuf\u00fchren, weil jede Verwandtschaft zwischen beiden T\u00f6nen fehlt. YVenn aber zu singen ist F \u2014 h \u2014 C. so denkt sich der S\u00e4nger den Schritt F \u2014 C, den er leicht ausf\u00fchrt, treibt aber die Stimme nicht ganz bis zum G in die H\u00f6he, sondern setzt beim h etwas tiefer ein, ehe er sie ganz zum C steigen l\u00e4sst. Dadurch erscheint das h als eine Art von Vorhalt des G\\ es ist bei einem solchen Schritte auch f\u00fcr den H\u00f6rer nur als Vorstufe des C gerechtfertigt; dieser","page":437},{"file":"p0438.txt","language":"de","ocr_de":"438 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nerwartet also nun den Uebergang in C. Deshalb sagt man, dass das h nach C hinleite; h ist der Leitton f\u00fcr die Tonica C. In diesem Sinne geschieht es denn auch leicht, dass das h etwas h\u00f6her intonirt wird, etwa wie II, um es dem C noch mehr zu n\u00e4hern, wodurch das Yerh\u00e4ltniss noch sch\u00e4rfer bezeichnet wird.\nMeinem Gef\u00fchle nach tritt das Yerh\u00e4ltniss des h als Leitton zu C viel mehr hervor, wenn man die G\u00e4nge F \u2014 h \u2014 C oder F \u2014 a \u2014 h \u2014 C macht, in denen A den vorausgehenden T\u00f6nen nicht verwandt ist, als in dem Gange G \u2014 h \u2014 C zum Beispiel. Doch habe ich in, musikalischen Schriften nichts \u00fcber diesen Punkt angegeben gefunden, weiss also nicht, ob die Musiker dieser Behauptung beizustimmen geneigt sind. Bei der anderen Halbtonstufe der Leiter e \u2014 F erscheint e nicht als Leitton zu F, wenn die Tonalit\u00e4t der Melodie gut eingehalten ist, weil dann das e seine selbst\u00e4ndige Beziehung zur Tonica C hat, und dadurch f\u00fcr das musikalische Gef\u00fchl sicher bestimmt ist. Deshalb wird der H\u00f6rer nicht'veranlasst, das e nur als Vorstufe von F gerechtfertigt zu finden. Ebenso ist es beim Schritte g \u2014 As der Molltonart. Das g ist durch eine n\u00e4here Verwandtschaft zur Tonica c bestimmt, als As. Dagegen hat Hauptmann nicht Unrecht, wenn er den Schritt d \u2014 Es der Molltonart, wie schon oben erw\u00e4hnt ist, als einen solchen betrachtet, der das d als Leitton zu Es erscheinen lassen kann, weil d n\u00e4mlich auch nur durch eine Verwandtschaft zweiten Grades zur Tonica c bestimmt ist, wenn auch durch eine etwas festere als h.\nVollst\u00e4ndig \u00e4hnlich dem h der Durtonleiter ist aber in dieser Beziehung das des des Sextengeschlechts (des dorischen Geschlechts der Griechen) bei absteigender Bewegung; es bildet in der That eine Art absteigenden Leittones, und da die Griechen in ihrer Bl\u00fcthezeit absteigende Melodieg\u00e4nge edler und wohlklingender fanden*), mag die Eigenthiimlichkeit des dorischen Tongeschlechts, einen solchen absteigenden Leitton zu besitzen, f\u00fcr sie von besonderer Bedeutung gewesen sein, und die Bevorzugung dieses Geschlechts bedingt haben. Ja der Schluss mit dem \u00fcberm\u00e4ssigen Sextenaccorde\ndes \u2014 F \u2014 Gr \u2014 h G \u2014 \u00ebs. \u2014 G \u2014 C\n*) Aristoteles, Problemata XIX, p. 33.","page":438},{"file":"p0439.txt","language":"de","ocr_de":"Bedeutung des Leittones.\t439\nist fast die einzige isolirt und unverstanden in der neueren Musik stehengebliebene Ruine der alten Tongeschlechter. Es ist dies ein dorischer Schluss, in welchem gleichzeitig des und h als Leitt\u00f6ne f\u00fcr G auftreten.\nDas Verh\u00e4ltniss der Secunde der dorischen Tonleiter (ihrer Parhypate) zum tiefsten Tone (Hypate) derselben Leiter als Leitton scheinen \u00fcbrigens die Griechen wohl gef\u00fchlt zu haben, nach den Bemerkungen, welche Aristoteles im dritten und vierten seiner Probleme \u00fcber Harmonie dar\u00fcber macht, und welche ich mir nicht versagen kann, hier anzuf\u00fchren, weil sie das Verh\u00e4ltniss wieder vortrefflich und fein charakterisiren. Er fragt n\u00e4mlich, warum man eine st\u00e4rkere Anstrengung der Stimme f\u00fchle, wenn man die Parhypate singe, als bei der Hypate, obgleich beide durch ein so kleines Intervall getrennt seien. Die Hypate werde mit Nachlass der Anstrengung gesungen. Und dann f\u00fcgt er .hinzu, dass neben der Ueherlegung, welche den Willen zur Folge habe, auch noch die Art der Willensanstrengung dem Geiste ganz heimisch und bequem sein m\u00fcsse, wenn n\u00e4mlich das Beabsichtigte leicht erreicht werden solle *). Die Anstrengung, welche wir f\u00fchlen, wenn wir den Leitton singen, liegt eben nicht im Kehlkopfe, sondern darin, dass es schwer ist, die Stimme durch den Willen auf ihm festzuhalten, w\u00e4hrend uns schon ein anderer Ton im Sinne liegt, auf den wir \u00fcbergehen wollen, und durch dessen N\u00e4he wir den Leitton gefunden haben. Erst in dem Schlusstone f\u00fchlen wir uns heimisch und beruhigt, und singen diesen deshalb ohne Willensanstrengung.\nDie nahe Nachbarschaft in der Scala giebt ein neues verkn\u00fcpfendes Band zwischen zwei T\u00f6nen, welches sowohl in dem eben betrachteten Verh\u00e4ltnisse des Leittones sich wirksam erweist, als bei den fr\u00fcher erw\u00e4hnten Einschaltungen von T\u00f6nen zwischen zwei andere im chromatischen und enharmonischen Geschlechte. Es verh\u00e4lt sich hier mit den Entfernungen der T\u00f6ne nach der Tonh\u00f6he gerade so wie bei der Abmessung r\u00e4umlicher Entfernungen. Wenn wir Mittel haben, einen Punkt (die Tonica) sehr genau und sicher zu bestimmen, so k\u00f6nnen wir mit dessen Hilfe auch andere Punkte sicher bestimmen, die\n*) Durch diese Umschreibung glaube ich den Sinn richtig wiederzugeben von der Stelle: cif\u00ef yd\u00e7 fxiz\u00e0 evvvota\u00e7 xai xazaazc\u00e9afoj\u00e7 olxHozdzrj\u00e7 zt\u00e2 fjfht 7iQo\u00e7 zr/y \u00dfovXrjaiv.","page":439},{"file":"p0440.txt","language":"de","ocr_de":"440 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nin bekannter kleiner Entfernung (Intervall des halben Tones) von jenem abstehen, w\u00e4hrend wir sie direct vielleicht nicht so sicher h\u00e4tten bestimmen k\u00f6nnen. So braucht der Astronom seine mit \u00e4usserster Genauigkeit abgemessenen Fundamentalsterne, um mit deren Hilfe dann auch andere benachbarte Sterne genau bestimmen zu k\u00f6nnen.\nDie grosse Septime als Leitton zur Tonica gewinnt also ein besonders nahes Verh\u00e4ltniss zu dieser, welches der kleinen Septime nicht zukommt. Es wird dadurch derjenige Ton der Leiter, dessen Verwandtschaft zur Tonica die schw\u00e4chste ist, zu'einer besonderen Bedeutung erhoben. ' Dieser Umstand hat sich in der modernen Musik, welche \u00fcberall m\u00f6glichst deutliche Beziehungen zur Tonica herzustellen sucht, immer mehr geltend gemacht, und hat bewirkt, dass bei aufsteigender Bewegung zur Tonica die grosse Septime in allen Tonarten bevorzugt wurde, auch in denjenigen, denen sie urspr\u00fcnglich nicht zukam. Diese Um\u00e4nderung scheint in Europa w\u00e4hrend der Periode der polyphonen Musik begonnen zu haben, aber nicht nur in mehrstimmigen Ges\u00e4ngen, sondern auch in dem einstimmigen Cantus firmus der r\u00f6mischen Kirche. Sie wurde 1322 durch einen Erlass des Papstes Johannes XXII. ger\u00fcgt. In Folge dessen unterliess man gew\u00f6hnlich die Erh\u00f6hung des Leittons in den Noten zu bezeichnen, w\u00e4hrend sie doch von den S\u00e4ngern ausgef\u00fchrt wurde, was nach Winter-feld\u2019s Ansicht sogar noch im 16. und 17. Jahrhundert bei protestantischen Tonsetzern geschah, da es einmal Sitte geworden war. Eben deshalb ist es unm\u00f6glich, den Fortschritt dieser Ver\u00e4nderung der alten Tonarten genau zu ermitteln.\nUnter den alten Tongeschlechtern hatte nur das Lydische der Griechen und das unmelodische Hypolydische (Quintengeschlecht) die grosse Septime als Leitton zur Tonica, ersteres entwickelte sich daher als das Haupttongeschlecht der neueren Musik, als unser Durtongeschlecht. Von ihm war das \u2019Jonische (Quartengeschlecht) durch weiter nichts als die kleine Septime unterschieden. Liess man diese in die grosse \u00fcbergehen, so ging dies Geschlecht ebenfalls in Dur \u00fcber. Die anderen drei sind, indem man ihnen die grosse Septime gegeben hat, w\u00e4hrend des 17. Jahrhunderts allm\u00e4lig in unser Moll zusammengeflossen. Aus\n*) Der evangelische Kirchengesang. Leipzig 1843. Bd. I. Einleitung.","page":440},{"file":"p0441.txt","language":"de","ocr_de":"Bedeutung des Leittones.\t441\ndem Phrygischen (Septimengeschlecht) wird, wenn man B in h \u00e4ndert, die\naufsteigende Molltonleiter G \u2014 B - \u00eas \u2014 F \u2014 G \u2014 a \u2014 h \u2014 C,\nwie wir sie auch vorher schon unter Ber\u00fccksichtigung der Tonverwandtschaften allein gefunden hatten. Das Hypodorische (Terzengeschlecht), welches unserer absteigenden Molltonleiter entspricht, giebt bei der Aenderung von B in h die\ninstrumentale MoUtonleiter\nG \u2014 I) \u2014 es \u2014 F \u2014 G \u2014 \u00abs - h \u2014 C,\nwelche von S\u00e4ngern wegen des Sprunges \u00e4s \u2014 h schwer auszuf\u00fchren ist, in der modernen Instrumentalmusik aber sowohl aufsteigend wie absteigend oft vorkommt.\nDas Dorische (Sextengeschlecht) ist mit grosser Septime in der vorher erw\u00e4hnten Schlusscadenz durch den \u00fcberm\u00e4ssigen Sextenaccord noch zu finden.\nDie allgemeinere Einf\u00fchrung des Leittones bezeichnet also das immer consequenter sich entwickelnde Gef\u00fchl f\u00fcr die Herrschaft einer Tonica in der Tonleiter. Durch diese Aenderung wird nicht nur die Mannigfaltigkeit der alten Tongeschlechter arg beeintr\u00e4chtigt, und der Keichthum der bisherigen Ausdrucksmittel wesentlich verringert, sondern es wird auch der kettenartige Zusammenhang der T\u00f6ne' der Tonreihe unter einander durchbrochen und zerst\u00f6rt. Wir haben gesehen, wie die \u00e4ltesten Tonsysteme, Quintenreihen waren, erst von vier, dann von sechs Quintenschritten. Die \u00fcberwiegende Herrschaft einer Tonica als des einzigen Centrums des Systems war \u00e4usserlich wenigstens noch nicht angedeutet, oder zeigte sich h\u00f6chstens mittelbar dadurch, dass man die Zahl der Quintenschritte beschr\u00e4nkte auf diejenigen T\u00f6ne, die auch in der nat\u00fcrlichen Leiter Vorkommen. Alle griechischen Tongeschlechter lassen sich aus den T\u00f6nen der Quintenfolge\nF-C\u2014 G-B-A \u2014 E-H\nbilden. Sobald man aber zur nat\u00fcrlichen Stimmung der Terzen \u00fcbergeht, st\u00f6rt man die Reihe der Quinten schon durch eine nicht ganz richtige Quinte\nF \u2014 C \u2014 G \u2014 I) \u2014 a \u2014 e \u2014 h.","page":441},{"file":"p0442.txt","language":"de","ocr_de":"442 Dritte Abtheilung. Vierzehnter Abschnitt.\nIn dieser Reihe ist die Quinte D \u2014 a unrein. Und wenn man endlich den erh\u00f6hten Leitton einf\u00fchrt, z. B. Gis statt G in a-Moll, so durchbricht man die Reihe vollkommen.\nBei der allm\u00e4ligen Ausbildung des diatonischen Systems sind also schrittweise die R\u00fccksichten auf die kettenweise Verwandtschaft aller T\u00f6ne unter einander geopfert worden den anderen R\u00fccksichten, welche durch die Forderung, alle T\u00f6ne mit einem einzigen Centrum zu verkn\u00fcpfen, entstanden. Und in dem Maasse, wie dies geschah, sahen wir auch, dass der Begriff der Tonalit\u00e4t im Bewusstsein der Musiker sich deutlicher entwickelte.\nDie weitere Entfaltung des europ\u00e4ischen Tonsystems h\u00e4ngt nun aber von der Ausbildung der Harmonie ab, zu welchem Gegenst\u00e4nde wir jetzt \u00fcbergehen.","page":442},{"file":"p0443.txt","language":"de","ocr_de":"F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\nDie consonanten Accorde der Tonart.\nDie erste Form, in welcher mehrstimmige Musik einen gewissen Grad k\u00fcnstlerischer Vollendung erreichte, war die der Polyphonie. Das eigenth\u00fcmlich unterscheidende Merkmal dieser Richtung beruht darin, dass mehrere Stimmen neben einander hergehen, deren jede eine selbst\u00e4ndige Melodie f\u00fchrt, sei diese nun eine Wiederholung der von den anderen Stimmen vorher ausgef\u00fchrten Melodien oder ganz verschieden von jenen. Unter diesen Umst\u00e4nden musste nun jede Stimme dem allgemeinen Gesetze aller Melodiebildung, n\u00e4mlich Rem Gesetze der Tonalit\u00e4t, unterworfen sein, und zwar mussten s\u00e4mmtliche T\u00f6ne des polyphonen Satzes sich nothwendig auf dieselbe Tonica beziehen. Es musste also jede Stimme an und f\u00fcr sich von der Tonica oder einem ihr n\u00e4chstverwandten Tone a\u00fcsgehen, und wieder in die Tonica zur\u00fcckkehren. In der That liess man anfangs alle Stimmen eines mehrstimmigen Satzes in die Tonica oder eine ihrer Octaven zusammenlaufen. So war f\u00fcr jede Stimme das Gesetz der Tonalit\u00e4t erf\u00fcllt, aber man war gezwungen, einen polyphonen Satz unisono zu schliessen.\nDer Grund, warum h\u00f6here Octaven die Tonica im Schl\u00fcsse begleiten k\u00f6nnen, liegt, wie wir im vorigen Abschnitte gesehen haben, darin, dass die h\u00f6here Octave nur eine Wiederholung","page":443},{"file":"p0444.txt","language":"de","ocr_de":"444 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt,\neines Theils ihres Grundtones ist. Wenn wir also im Schl\u00fcsse zur Tonica eine ihrer h\u00f6heren Octaven hinzusetzen, so thun wir nichts, als dass wir einen Theil ihres Klanges verst\u00e4rken; es kommt dadurch kein neuer Klang dazu, der Zusammenklang enth\u00e4lt immer nur die Bestandtheile des Klanges der Tonica.\nDasselbe gilt nun ebenso f\u00fcr andere Partialt\u00f6ne des Klanges der Tonica. Der n\u00e4chste Schritt in der Entwickelung des Schluss-accordes war, dass man die Duodecime der Tonica hinzuf\u00fcgte. Der Accord c \u2014 \u00eb \u2014 g' enth\u00e4lt keine Bestandtheile, welche nicht auch Bestandtheile des Klanges von c allein sind, und insofern wird jener Accord ein Musikst\u00fcck, dessen Tonica eist, passend schliessen k\u00f6nnen, indem der Accord als Vertreter des einfachen Klanges von c gebraucht werden kann.\nJa auch der Accord \u00eb \u2014 g' \u2014 c\" wird in demselben Sinne gebraucht werden k\u00f6nnen; denn wenn man ihn angiebt, kommt, schwach freilich, aber doch h\u00f6rbar, der Combinationston c hinzu, und die ganze Klangmasse enth\u00e4lt dann wieder nur Bestandtheile des Klanges c. Freilich w\u00fcrde diese Zusammensetzung schon einer ungew\u00f6hnlicheren Klangfarbe mit verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig schwachem Grundtone entsprechen.\nDagegen kann als Schluss eines Satzes, dessen Tonica c ist, der Zusammenklang c \u2014 \u00eb\u2014/' oder \u00eb\u2014/'\u2014c\" nicht gebraucht werden, obgleich diese Accorde eben so gut consonant sind wie die vorher genannten, weil das / nicht Bestandtheil des Klanges c ist, und deshalb im Schl\u00fcsse neben dem Klange der Tonica etwas Fremdartiges stehen bleiben w\u00fcrde. Wahrscheinlich ist in dieser Thatsache der Grund zu suchen, warum einige Theoretiker des Mittelalters die Quarte zu den Dissonanzen rechnen wollten. Im Schlussaccorde ist aber die Reinheit der Consonanz noch nicht gen\u00fcgend, um ein Intervall anwendbar zu machen. Es kommt noch eine zweite Bedingung hinzu, \u00fcber welche die Theoretiker sich nicht klar geworden waren, die T\u00f6ne des Schlussaccordes m\u00fcssen Bestandtheile des Klanges der Tonica sein; sonst sind sie nicht zu brauchen.\nWie die Quarte ist die Sexte der Tonica im'Schlussaccorde nicht anwendbar, wohl aber die grosse Terz, da diese wieder im Klange der Tonica vorkommt, dessen f\u00fcnften Partialton sie bildet. Da die musikalisch brauchbaren Klangfarben den f\u00fcnften und sechsten Partialton zwar gew\u00f6hnlich noch h\u00f6ren lassen, die h\u00f6heren aber gar nicht mehr oder wenigstens nur sehr unvollkommen,","page":444},{"file":"p0445.txt","language":"de","ocr_de":"445\nAccorde als Vertreter von Kl\u00e4ngen.\nvon den h\u00f6heren Obert\u00f6nen ausserdem der n\u00e4chstfolgende, n\u00e4mlich der si\u00e9bente dissonant zum f\u00fcnften, sechsten und achten ist, und in der Leiter fehlt, so h\u00f6rt mit der Terz die Reihe der brauchbaren T\u00f6ne des Schlussaccordes auf. So finden wir denn auch in der That in den Schlussaccorden bis zum Anf\u00e4nge des achtzehnten Jahrhunderts hin theils Accorde ohne Terzen, theils Dur-accorde mit grossen Terzen gebraucht, letztere auch in solchen Tongeschlechtern, deren Leiter die kleine, nicht die grosse Terz derTonica enth\u00e4lt. Um der Vollstimmigkeit willen zog man es vor, die Consequenz der Tonleiter zu verletzen, indem man die grosse Terz im Schlussaccorde auftreten liess. Die kleine Terz der To-nica kann niemals als Bestandtheil in dem Klange der letzteren auftreten. Sie war also urspr\u00fcnglich eben so gut verboten, wie die Quarte und Sexte der Tonica. Es musste erst eine neue Seite des harmonischen Gef\u00fchls ausgebildet werden, ehe Mollaccorde als Schluss zul\u00e4ssig erschienen.\nDer Schluss in einem Duraccorde erscheint um so gen\u00fcgender, je mehr in der Lage der T\u00f6ne des Accordes die Anordnung der P\u00e4rtialt\u00f6ne eines Klanges nachgeahmt ist. Da in der neueren Musik die Oberstimme, als die hervortretendste von allen, die Hauptmelodie zu f\u00fchren pflegt, muss diese der Regel nach in der Tonica enden. Mit Ber\u00fccksichtigung dieses Umstandes kann man f\u00fcr den Schluss Accorde wde die folgenden brauchen, deren Com-binationst\u00f6ne in Viertelnoten hinzugef\u00fcgt sind:\nIn den Accorden 1 und 2 fallen alle Noten mit Obert\u00f6nen des tiefen C zusammen; hei diesen ist die Aehnlichkeit des Accordes mit dem Klange C am entschiedensten. Demn\u00e4chst werden aber daf\u00fcr auch engere Lagen des Accordes substituirt werden k\u00f6nnen, wenn sie nur darin den ersten beiden \u00e4hnlich bleiben, dass C als Grundton stehen bleibt, wie in 3, 4 und 5. Sie behalten dann noch hinreichende Aehnlichkeit mit dem Klange des tiefen G, dass man sie als Ersatz desselben brauchen kann. Ausserdem kommen","page":445},{"file":"p0446.txt","language":"de","ocr_de":"446 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\ndie Combinationst\u00f6ne zu Hilfe, die in Viertelnoten bei 3,4 und 5 angegeben sind, und welche die tieferen Theile des Klanges 0, wenn auch schwach, h\u00f6rbar machen. Aber die erster en Lagen werden immer einen befriedigenderen Schluss geben. Das Streben nach einem tiefen Schlusston in der harmonischen Musik ist sehr charakteristisch, und ich glaube in der gegebenen Erkl\u00e4rung den Grund davon zu finden. Es besteht nichts davon in der Bildung homophoner Melodien, sondern ist nur der Bassstimme vielstimmiger S\u00e4tze eigen.\nEbenso wie die Tonica als Basston ihres Duraccordes am Schluss diesem .Accorde eine Aehnlichkeit mit ihrem eigenen Klange giebt, und dadurch als wesentlichster Ton des Accordes heraustritt, geschieht dies auch mit den \u00fcbrigen Duraccorden, wenn der tiefste Ton der engsten Lage ihres Dreiklanges Grundton ist. Die anderen in der Durtonleiter liegenden Duraccorde sind die auf der Quarte und Quinte der Tonart, also in G-Dur F \u2014 a \u2014 C und G\u2014 h \u2014 _D. L\u00e4sst man also die Harmonie des St\u00fcckes sich nur in diesen Duraccorden bewegen, den Grund-tou immer im Bass, so stellt sie bis zu einem gewissen Grade den Klang der Tonica dar, welcher wechselt mit den beiden n\u00e4chstverwandten Kl\u00e4ngen, denen der Quarte und Quinte der Tonica. Dadurch erh\u00e4lt eine solche Harmonisirung eine sehr klare Durchsichtigkeit und Geschlossenheit, wenn sie auch f\u00fcr l\u00e4ngere St\u00fccke zu einf\u00f6rmig wird. Dieser Art ist bekanntlich der Bau der modernen popul\u00e4ren Tonst\u00fccke, der Volkslieder und T\u00e4nze. Das Volk und \u00fcberhaupt Leute von geringer musikalischer Bildung verlangen m\u00f6glichst einfache und verst\u00e4ndliche Verh\u00e4ltnisse von der Musik, die ihnen gefallen soll. Nun giebt sich aber \u00fcberhaupt in der harmonischen Musik die Verwandtschaft der Tone dem Gef\u00fchle viel leichter und entschiedener zu erkennen, als in der homophonen Musik. In der letzteren beruht das Gef\u00fchl f\u00fcr Tonverwandtschaft eben nur darin, dass die Tonh\u00f6he zweier Partialt\u00f6ne in zwei auf einander folgenden Kl\u00e4ngen gleich ist. Wenn wir aber den zweiten h\u00f6ren, k\u00f6nnen wir uns des ersten nur noch erinnern, und mittelst der Erinnerung m\u00fcssen wir die Vergleichung vollziehen. In der Consonanz ist dagegen die Verwandtschaft durch unmittelbare Sinnesempfindung gegeben, da sind wir nicht mehr auf die Erinnerung angewiesen, sondern wir h\u00f6ren Schwebungen, der Zusammenklang wird rauh, so wie die richtigen Verh\u00e4ltnisse nicht eingehalten sind. Und wiederum, wenn zwei Accorde auf","page":446},{"file":"p0447.txt","language":"de","ocr_de":"Harmonie der Durtonart.\t447\neinander folgen, welche eine gemeinsame Note haben, so beruht die Anerkennung ihrer Verwandtschaft nicht auf der Vergleichung schwacher Obert\u00f6ne, sondern auf der Vergleichung zweier selbst\u00e4ndig angegebenen Noten, welche dieselbe Tonst\u00e4rke, wie die \u00fcbrigen Noten des betreffenden Accordes haben.\nWenn ich also zum Beispiel von C nach seiner Sexte a steige, so erkenne ich in einer einstimmigen Melodie die Verwandtschaft beider dadurch, dass der f\u00fcnfte Oberton von C, der schon ziemlich schwach ist, dem dritten von a gleich ist. Wenn ich aber das a mit dem Accorde F \u2014 a \u2014 C begleite, so h\u00f6re ich das fr\u00fchere C in dem Accorde kr\u00e4ftig fortklingen, und nehme in unmittelbarer Empfindung wahr, dass a und G consonant sind, dass beide Bestandtheile desselben .F-Klanges sind.\nWenn ich von Cnach h oder D in einstimmigem Ges\u00e4nge melodisch \u00fcbergehe, muss ich mir eine Art von stummem G dazwischen denken, um ihre Verwandtschaft, welche nur zweiten Grades ist, anzuerkennen. Lasse ich aber neben beiden Noten das G wirklich erklingen, so wird wiederum ihre gemeinsame Verwandtschaft mit G meinem Ohre unmittelbar f\u00fchlbar gegeben.\nDie Gew\u00f6hnung an die sehr deutlich ausgesprochenen Tonverwandtschaften der harmonischen Musik hat einen unverkennbaren Einfluss auf unseren musikalischen Geschmack ausge\u00fcbt. Einstimmiger Gesang will uns nicht mehr recht gefallen, er erscheint uns leer und unvollkommen. Wenn auch nur das Klimpern einer Guitarre die Grundaccorde der Tonart hinzuf\u00fcgt, und die harmonischen Verwandtschaften der T\u00f6ne andeutet, f\u00fchlen wir uns dagegen befriedigt. Andererseits l\u00e4sst sich nicht verkennen, dass eben wegen der deutlicheren Wahrnehmung der Tonverwandtschaften in der harmonischen Musik eine viel gr\u00f6ssere Mannigfaltigkeit musikalischer Beziehungen zwischen den T\u00f6nen gewonnen worden ist, weil auch ihre schw\u00e4cheren Verwandtschaften benutzt werden k\u00f6nnen, und dass ferner der Aufbau gr\u00f6sserer musikalischer S\u00e4tze dadurch m\u00f6glich wurde, weil der gr\u00f6ssere Bau auch st\u00e4rkere B\u00e4nder fordert, um ihn zusammenzuhalten.\nDie m\u00f6glichst engste und einfachste Beziehung der T\u00f6ne wird nun in der Durtonart gewonnen, wenn alle T\u00f6ne der Melodie als Theile des Klanges theils der Tonica, theils ihrer oberen und unteren Quinte erscheinen. Dadurch werden alle Verwandtschaften der T\u00f6ne zur\u00fcckgef\u00fchrt auf die engsten und n\u00e4chsten Ver-","page":447},{"file":"p0448.txt","language":"de","ocr_de":"448 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\nwandtschaften, die es im musikalischen Systeme \u00fcberhaupt giebt, n\u00e4mlich auf das Verwandtschaftsverh\u00e4ltniss der Quinte.\nDie Beziehung des Accordes der Oberquinte G zu dem der Tonica G ist einigermassen verschieden von dem der Unterquinte F zum tonischen Accorde. Wenn ich von C \u2014 e \u2014 G fortschreite zu G \u2014 h \u25a0\u2014 I), so wende ich mich zu einem Klange hin, welcher schon in dem ersten Accorde mitgeh\u00f6rt, und dessen Eintritt daher wohl vorbereitet worden ist, w\u00e4hrend ich gleichzeitig durch diesen Schritt zu denjenigen Tonstufen der Tonart hingelange, welche von der Tonica am entferntesten sind, und nur eine indirecte Verwandtschaft zu dieser haben. Der genannte Uebergang giebt also eine sehr entschiedene Fortbewegung in der Harmonie, die doch durchaus gesichert und gut motivirt ist. Umgekehrt ist es mit dem Schritte von C \u2014 e\u2014G nach F\u2014a\u2014 C. Der A-Klang ist in dem ersten Accorde nicht vorbereitet, er muss neu gefund\u00ebn und eingesetzt werden. Als richtig und eng verwandt rechtfertigt sich dieser Schritt eigentlich erst, wenn er gemacht worden ist, dadurch, dass man in dem F-Accorde lauter T\u00f6ne findet, die der Tonica direct verwandt sind. Es fehlt also im Uebergange zu dem letzteren Accorde das Gef\u00fchl entschiedenen und sicheren Fortschritts, welches in dem Uebergange vom G-zum Cr-Dreiklange liegt. Dagegen kommt ihm eine Art weicherer und ruhigerer Sch\u00f6nheit zu, wohl weil er innerhalb der direct verwandten T\u00f6ne der Tonica bleibt. Bevorzugt aber wird namentlich in popul\u00e4rer Musik der erstgenannte Schritt nach der Oberquinte, die man deshalb auch die Dominante der Tonart nennt, und es bewegen sieh viele einfachere Lieder und T\u00e4nze nur in dem Wechsel des tonischen und dominanten Accordes. Daher denn auch die daf\u00fcr eingerichtete gew\u00f6hnliche Harmonica beim Ausziehen des Blasebalges den Accord der Tonica, beim Zusammendr\u00fccken den der Dominante zu gehen pflegt. Die Unterquinte der Tonica heisst dagegen die S\u00fcbdominante der Tonart. Ihr Accord pflegt in den gew\u00f6hnlichen popul\u00e4ren Melodien seltener einzutreten, gew\u00f6hnlich vor dem Schl\u00fcsse einmal, um das Gleichgewicht der Harmonie, welche sich von der Tonica meist nur nach der Seite der Dominante hin bewegt, auch nach der anderen Seite wieder herzustellen.\nWenn ein Absatz eines Tonst\u00fcckes so endet, dass man von dem Doininantenaccorde zum tonischen \u00fcbergeht, und dieser den Schluss bildet, so nennen dies die Musiker einen Ganzschluss.","page":448},{"file":"p0449.txt","language":"de","ocr_de":"449\nHarmonie der Durtonart.\nMan kehrt hierin von denjenigen T\u00f6nen, welche die schw\u00e4chste Verwandtschaft innerhalb der Tonart zur Tonica haben, und ihr daher am fremdesten sind, zur Tonica zur\u00fcck. Dies ist also eine entschieden ausgesprochene Bewegung von den entferntesten Thei-len in den Mittelpunkt des Systems zur\u00fcck, wie sie am Schl\u00fcsse eintreten muss. Geht man aber von dem Accorde der Subdominante in den tonischen als Schlussaccord \u00fcber, so nennt man dies einen Halbschluss (Plagalschluss). Die T\u00f6ne des Subdominantdreiklanges sind alle der Tonica direct verwandt. In diesem Dreiklange befinden wir uns der Tonica schon sehr nahe, ehe wir in sie \u00fcbergehen. Der Halbschluss entspricht einem ruhigeren Auslaufen des Tonsatzes in die Tonica zur\u00fcck, und hat weniger entschiedene Bewegung.\nIm Ganzschlusse h\u00f6rt man nur den Accord der Dominante und Tonica; um das Gleichgewicht auch nach der Seite der Subdominante herzustellen, l\u00e4sst man ihm noch den Subdominanten-accord vorausgehen, wie in 1 oder 2.\nDiese Verbindung giebt erst den vollst\u00e4ndigen Schluss5 in welchem auch s\u00e4mmtliche T\u00f6ne der Leiter wieder vorgef\u00fchrt werden, so dass in ihm noch schliesslich die ganze Tonart vollst\u00e4ndig gesammelt und festgestellt ist\u00fc&\nIn der Durtonart lassen sich, wie wir gesehen haben, die Forderungen der Tonalit\u00e4t mit denen harmonischer Vollstimmig-keit am leichtesten und vollst\u00e4ndigsten vereinigen. Die T\u00f6ne ihrer Leiter k\u00f6nnen harmonisch alle verwendet werden als Bestandteile des Klanges der Tonica, ihrer oberen und ihrer unteren Quinte, weil die genannten drei Hauptt\u00f6ne der Tonart auch zugleich Grundt\u00f6ne vo-n Duraccorden sind. Das ist nicht in gleichem Maasse der Fall in den .\u00fcbrigen alten Tongeschlechtern.\nHelmholtz, pliys. Theorie der Musik,\n29","page":449},{"file":"p0450.txt","language":"de","ocr_de":"450 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\n1.\tDur geschlecht:\nF \u2014 a \u2014 'G \u2014 e \u2014 G \u2014 h \u2014 B Dur\tDur\tDur.\n2.\tQuartenge schlecht:\nF \u2014 a \u2014C \u2014 e \u2014 G \u2014 b \u2014 B Dur\tDur\tMoll.\n3.\tSeptimengeschlecht:\nF \u2014 a \u2014 (7 \u2014 ls \u2014 G \u2014 b - B Moll\tMoll.\n4.\tTerz en g es chlecht (Moll):\nF -as \u2014 C \u2014 Fs \u2014 G \u2014 b \u2014 B Moll\tMoll\tMoll.\n5.\tSextengeschlecht:\n5 \u2014 des \u2014 F \u2014 as \u2022\u2014 C \u2014 es \u2014 G Moll\tMo\u00ee\u00ef\tMoll.\nIn den Mollaecorden liegt die Terz ausserhalb des Klanges des Grundtones, sie kann nicht als Bestandtheil dieses Klanges auf-treten, und ihre Beziehung zu diesem ist deshalb nicht so unmittelbar verst\u00e4ndlich\"wie die der Durterz, was namentlich im Schlussaccorde hinderlich wird. Daher findet man denn auch die modernen popul\u00e4ren Tanzst\u00fcpke und Lieder so \u00fcberwiegend in Durtonarten geschrieben, dass^Pwche in Molltonarten fast nur noch seltene Ausnahmen bilden. Das Volk verlangt eben die klarste und einfachste Verst\u00e4ndlichkeit in seiner Musik, und diese giebt die Durtonart. In der homophonen Musik existirte ein solches Uehergewicht der Durtonart durchaus nicht. Ehen deshalb finden wir die harmonische Begleitung der Chor\u00e4le, welche in einer Durtonart geschrieben sind, schon im 16. Jahrhundert ziemlich vollst\u00e4ndig ausgebildet, so dass viele derselben auch dem modern gebildeten musikalischen Gef\u00fchle vollst\u00e4ndig entsprechen, w\u00e4hrend die harmonische Behandlung der Molltonart oder der \u00fcbrigen Kirchentonarten in derselben Zeit noch sehr schwankend war, und uns jetzt ziemlich fremdartig vorkommt.","page":450},{"file":"p0451.txt","language":"de","ocr_de":"Zweifache Klangbedeutung der Mollaccorde. 451\nIn einem Duraccorde C \u2014 e \u2014 G k\u00f6nnen wir G und e als Bestandteile des O-Klanges ansehen, aber weder G noch G als Bestandteile des e-Klanges, und weder C noch e als solche des 6r-Klanges. Der Duraccord C \u2014 e \u2014 G ist also ganz eindeutig, er kann nur mit dem Klange des C verglichen werden, und deshalb ist G der herrschende Ton in dem Accorde, sein Qrundton, oder nach Rameau\u2019s Bezeichnung sein Fundamentalbass, und keiner der beiden anderen T\u00f6ne des Accordes hat das geringste Recht diese Stelle einzunehmen.\nIm Mollaccorde c \u2014 Es \u2014 g ist g ein Bestandteil des c-Klanges und des Rs-Klanges. Weder Es noch c kommt in einem der beiden anderen Kl\u00e4nge vor. Es ist also g jedenfalls ein abh\u00e4ngiger Ton. Dagegen kann man den genannten Mollaccord einmal als einen e-Klang betrachten, dem der fremde Ton Es hinzugef\u00fcgt ist, oder als einen Rs-Klang, dem der Ton c hinzugef\u00fcgt ist. Beide F\u00e4lle kommen vor. Es ist aber die erstere Deutung die gew\u00f6hnliche und vorwiegende. Denn wenn wir den Accord als c-Klang betrachten, so finden wir in ihm das g als dritten Partialton, und nur statt des schw\u00e4cheren f\u00fcnften Partialtones E den fremden Ton Es. Fassen wir den Accord aber als Rs-Klang, so ist zwar der schwache f\u00fcnfte'1 Partialton durch das g richtig vertreten, statt des st\u00e4rkeren dritten, welcher B sein sollte, finden wir aber den fremden Ton c. In der Regel finden wir deshalb den Mollaccord c \u2014 Es \u2014 g in der modernen Musik so gebraucht, dass c als sein Grundton oder Fundamentalbass behandelt ist, und der Accord einen etwas ver\u00e4nderten oder getr\u00fcbten c-Klang vertritt, aber es kommt der Accord in der Lage Es \u2014 g \u2014 c auch in der R-Durtonart vor, als \"Vertreter des Accordes der Subdominante Es. Rameau nennt ihn dann den Accord der grossen Sexte, und betrachtet richtiger, als die neueren Theoretiker meist thun, Es als seinen Fundamentalbass.\nIn den F\u00e4llen nun, wo es darauf ankommt, die eine oder andere dieser Deutungen des Mollaccordes bestimmt festzustellen, kann man dies dadurch erreichen, dass man den Grundton theils durch seine tiefe Lage, theils durch die Zahl der auf ihn vereinigten Stimmen hervorhebt. Die tiefe Lage des Grundtones l\u00e4sst diejenigen T\u00f6ne, welche in seinen Klang hineinpassen, direct als Partialt\u00f6ne desselben erscheinen, w\u00e4hrend er selbst nicht einem viel h\u00f6her liegenden anderen Tone als Partialton zugeeignet werden kann. Namentlich in der ersten H\u00e4lfte des vorigen Jahrhun-\n29*","page":451},{"file":"p0452.txt","language":"de","ocr_de":"452 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\nderts, wo man zuerst anfing, Mollaccorde am Schl\u00fcsse zu gebrauchen, suchen die Componisten die Tonica auch durch bedeutende Tonst\u00e4rke vor ihrer Terz hervorzuheben. So findet man in H\u00e4ndel\u2019s Oratorien regelm\u00e4ssig, dass, wo er mit einem Mollaccorde schliesst, die meisten der. hervortretenden Gesang- und Instrumentalstimmen auf die Tonica concentrirt werden, w\u00e4hrend die Moll-Terz entweder nur von einer dieser Stimmen, oder auch wohl nur von dem begleitenden Claviere, beziehlich der Orgel, angegeben wird. Es sind bei ihm in den Molltonarten die F\u00e4lle viel seltener, wo nur zwei Stimmen die Tonica im Schlussaccorde nehmen, eine deren Quinte, eine die Terz, als in den Durtonarten, wo diese Vertheilung Regel ist.\nWenn der Mollaccord in seiner zweiten untergeordneten Bedeutung erscheint, als Es \u2014 g \u2014 c mit dem Grundtone Es, wird das Es als Grundton theils durch die Lage im Basse, theils durch seine nahe Verwandtschaft zur Tonica B hervorgehoben. Noch deutlicher bezeichnet die moderne Musik diese Deutung des Accordes, indem sie auch B als Quinte von Es hinzusetzt, so dass der Accord dissonant wird in der Form Es \u2014 g \u2014 B \u2014 c.\nDas Str\u00e4uben der \u00e4lteren Componisten, mit einem Mollaccorde zu schliessen, l\u00e4sst sich theils durch die' von falschen Combina-tionst\u00f6nen herr\u00fchrende Tr\u00fcbung der Consonanz dieses Accordes erkl\u00e4ren, theils aus dem eben besprochenen Umstande, wonach der Mollaccord den Klang der Tonica nicht rein wiedergiebt, sondern mit anderen, diesem Klange fremden T\u00f6nen gemischt. Zu der Terz, welche in den Klang der Tonica nicht hineinpasst, kommen noch die Combinationst\u00f6ne, welche es ebenfalls nicht thun. So lange das Gef\u00fchl der Tonalit\u00e4t nur in dem Sinne gefasst wurde, dass ein bestimmter einzelner Ton oder Klang als verbindendes Centrum der Tonart angesehen wurde, konnte man in der That keinen gen\u00fcgenden Schluss bilden, wenn dieser Schluss nicht einfach und rein den Klang der Tonica darstellte, und nichts diesem Klange Fremdes enthielt. Es war erst eine weitere Ausbildung des musikalischen Gef\u00fchls f\u00fcr die selbst\u00e4ndige Bedeutung der Accorde in der Tonart n\u00f6thig, ehe der Mollaccord, trotz seiner dem Klange der Tonica fremden Bestandtheile, als berechtigt im Schl\u00fcsse erscheinen konnte.\nHauptmann*) giebt eine andere Erkl\u00e4rung f\u00fcr die Vermei-\n*) Harmonik und Metrik. Leipzig 18S3. S. 216.","page":452},{"file":"p0453.txt","language":"de","ocr_de":"Bedeutung des tonischen Accordes.\t453\ndung des Mollaccordes im Schl\u00fcsse. Er behauptet, ehe man Sep-timenaccorde gebraucht habe, sei keine Stimme dagewesen, welche passend in die kleine Terz des Schlussaccordes \u00fcbergehen konnte. Wenn n\u00e4mlich die Schlusscadenz aus den Accorden G \u2014 H \u2014 D und G \u2014 Es \u2014 G besteht, h\u00e4tte nur das D des ersten Accordes in das Es des zweiten melodi\u00f6s fortschreiten k\u00f6nnen, dies h\u00e4tte aber wie der Fortschritt des Leittones D in der As-Durtonart, auf seinen Grundton Es geklungen, und das Gef\u00fchl von As-Dur erweckt. Wenn wir auch zugeben wollen, dass ein solches Leit-tonverh\u00e4ltniss die Aufmerksamkeit des H\u00f6rers auf die betreffenden beiden T\u00f6ne besonders hinleitet, und in gewissem Grade das Gef\u00fchl der Tonart st\u00f6ren k\u00f6nnte, so h\u00e4tten sich doch wohl auch ohne Septimenaccorde mancherlei Formen der Stimmf\u00fchrung durch Dissonanzen hindurch finden lassen, um zu der kleinen Terz des Schlussaccordes hinzugelangen, wenn diese Bed\u00fcrfniss gewesen w\u00e4re. Namentlich ist in dem sonst so h\u00e4ufig gebrauchten Plagalschlusse\nc \u2014 es \u2014 g \u2014 c F \u2014 / \u2014 as \u2014 c G \u2014 es \u2014 g \u2014 c ,\ndie Ueberleitung der Quarte / zur Mollterz es ohne allen Anstoss. Und vollends als man die Septimenaccorde zu gebrauchen anfing, h\u00e4tte sich doch die Septime F des Accordes G \u2014 H \u2014 A \u2014 F nothwendig in die Terz Es des Schlussaccordes aufl\u00f6sen sollen. Aber im Gegentheil, wo sie in S\u00e4tzen aus dem 15. Jahrhundert vorkommt*) l\u00e4sst man sie entweder aufsteigen in die Quinte des Schlussaccordes, oder absteigen zur grossen Terz A, wie es bis auf Bach\u2019s Zeiten blieb.\nWir haben im dreizehnten Abschnitte die neuere harmonische Musik der mittelalterlichen polyphonen gegen\u00fcber dadurch charakterisirt, dass sie das Gef\u00fchl f\u00fcr die selbst\u00e4ndige Bedeutung der Accorde entwickelt habe. In der That finden wir auch schon bei Palestrina, Gabrieli, nochmehrbeiMonteverde und den ersten Operncomponisten die verschiedenen Abstufungen des Wohlklanges der Accorde sorgf\u00e4ltig f\u00fcr die Zwecke des Aus-\n*) Siehe ein Beispiel von Anton Brumel bei Forkel, Geschichte der Musik, Bd. II, S. 647. \u2014 Ein anderes mit Plagalschluss von Jos quin, ebendaselbst S. 550, wo die Stimmf\u00fchrung ohne Schwierigkeit zur Mollterz gehen k\u00f6nnte.","page":453},{"file":"p0454.txt","language":"de","ocr_de":"454 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\ndruckes benutzt. Aber es fehlt bei den genannten Meistern noch fast jede R\u00fccksicht auf die Verwandtschaft der einander folgenden Accorde unter sich. Diese folgen einander oft in ganz unzusammenh\u00e4ngenden Spr\u00fcngen, und das einzige Band, welches sie verbindet, ist die Tonart, aus deren Tonstufen sie alle gebildet sind.\nDie Um\u00e4nderung nun, welche vom 16. Jahrhundert bis zum Anfang des 18. vor sich ging, kann man, glaube ich, so d\u00e9finir en, dass sich das Gef\u00fchl f\u00fcr die selbst\u00e4ndige Verwandtschaft der Accorde unter einander ausbildete, und dass nun auch f\u00fcr die Reihe conso-nanter Accorde, welche die Tonart zul\u00e4sst, ein gemeinsam verkn\u00fcpfendes Centrum in dem tonischen Accorde gesucht und gefunden wurde. Es wiederholte sich hier f\u00fcr die Accorde dasselbe Streben, welches in der Construction der Tonleitern sich fr\u00fcher geltend gemacht hatte. Auch zwischen den Tonstufen der Leiter hatte man Verwandtschaft gesucht, erst eine kettenweise, dann eine solche, welche auf ein einziges Centrum, die Tonica, zusammenlief.\nDirect verwandt nenne ich zwei Accorde, welche einen oder mehrere T\u00f6ne gemein haben.\nIm zweiten Grade verwandt sind Accorde, welche beide mit demselben consonanten Accorde direct verwandt sind.\nAlso C \u2014 e \u2014 G und G \u2014 h \u2014 D sind direct verwandt, ebenso G \u2014 e \u2014 G und a \u2014 G \u2014 e ; aber G \u2014 h \u2014 D und a \u2014 C \u2014 e sind im zweiten Grade verwandt.\nWenn zwei T\u00f6ne zweier Accorde identisch sind, ist ihre Verwandtschaft eine engere, als wenn nur ein Ton es ist. Also sind C \u2014 e \u2014 G und a \u2014 C \u2014 e enger verwandt, als G \u2014 e \u2014 G und G \u2014 h \u2014 B.\nAls tonischer Accord innerhalb eines Tongeschlechtes kann nat\u00fcrlich immer nur einer gew\u00e4hlt werden, der mehr oder weniger gut den Klang der Tonica darstellt, also derjenige Dur- oder Mollaccord, dessen Grundton die Tonica ist. Denn ebenso wie die Tonica als verbindendes Centrum der T\u00f6ne in einer normal gebildeten einstimmigen Melodie auf dem ersten accentuirten Takttheile des Anfanges und am Schl\u00fcsse geh\u00f6rt werden muss, so dass die Melodie von ihr ausgeht und zu ihr zur\u00fcckkehrt, so gilt dasselbe auch f\u00fcr den tonischen Accord innerhalb der Accord-kette. Wir verlangen an den beiden genannten Stellen des Satzes nicht bloss die Tonica zu h\u00f6ren, diese von einem beliebigen","page":454},{"file":"p0455.txt","language":"de","ocr_de":"Bedeutung des tonischen Accordes.\t455\nAccorde begleitet, sondern wir lassen an beiden Orten als Begleitung der Tonica durchaus nur den tonischen Accord zu, dessen Grundton die Tonica ist. Noch im 16. Jahrhundert war es anders, wie das oben Seite 379 citirte Beispiel von Palestrina zeigt.\nWenn der tonische Accord ein Duraccord ist, so vereinigt sich die Herrschaft der Tonica \u00fcber die T\u00f6ne ohne alle Schwierigkeit mit den Bedingungen der Herrschaft des tonischen Accordes \u00fcber die Accorde. Denn indem das St\u00fcck mit dem tonischen Accorde beginnt und endet, beginnt und endet es zugleich mit dem reinen unvermischten Klange der Tonica. Wenn der tonische Accord dagegen ein Mollaccord ist, so l\u00e4sst sich nicht so voll-\u00dft\u00e4ndig allen Bedingungen zugleich gen\u00fcgen. Man muss etwas von der Strenge der Tonalit\u00e4t nachlassen, um die Mollterz des tonischen Accordes im Anfang und Schluss zulassen zu k\u00f6nnen. Wir finden noch bei Sebastian Bach im Anf\u00e4nge des 18. Jahrhunderts den Mollaccord zwar am Ende seiner Pr\u00e4ludien, weil diese nur einleitende St\u00fccke waren, aber nicht am Ende der Fugen, der Chor\u00e4le und anderer endg\u00fcltig schliessender S\u00e4tze gebraucht. Bei H\u00e4ndel und selbst in den kirchlichen Compositionen von Mozart ist der Schluss mit dem Mollaccorde abwechselnd gebraucht mit solchen Schl\u00fcssen, welche entweder gar keine Terz oder die Durterz enthalten. Und bei dem letztgenannten Compo-nisten kann man das auch keineswegs f\u00fcr eine \u00e4usserliche Nachahmung der alten Sitte erkl\u00e4ren. Denn es ist immer wesentlich der Ausdruck des St\u00fcckes beachtet. Wenn am Schl\u00fcsse eines Satzes, der in einer Molltonart sich bewegt, zuletzt ein Duraccord eintritt, so klingt dies immer wie eine pl\u00f6tzliche und unerwartete Aufhellung des tr\u00fcben Charakters der Molltonart; ein solcher Schluss erscheint nach der Sorge, dem Kummer, der Unruhe des Mollsatzes erheiternd, aufkl\u00e4rend und vers\u00f6hnend. Also wo die Bitte um Frieden f\u00fcr die Entschlafenen in den Worten endet : \u201eEt lux perp\u00e9tua luceat eis\u201c, oder das Confutatis maledictis mit der Bitte schliesst:\nOro supplex et acclinis Cor contritum quasi cinis Gere curam mei finis,\npasst ein Schluss mit dem Duraccorde. Ein solcher hat aber freilich f\u00fcr unser jetziges musikalisches Gef\u00fchl immer etwas Ueber-raschendes, wenn auch 'sein Einsatz bald eine wunderbare Sch\u00f6n-","page":455},{"file":"p0456.txt","language":"de","ocr_de":"456 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\nheit und Feierlichkeit zu verbreiten pflegt, bald wie ein Hoffnungsstrahl in das Dunkel tiefster Zerknirschung hineinbricht. Bleibt die Unruhe bis zuletzt bestehen, wie in dem Dies irae des Requiem von Mozart, so endet auch passender der Mollaccord, in welchem seihst noch ein ungel\u00f6ster Zwiespalt liegt, wenn er als Schlussaccord gebraucht wird. Kirchliche S\u00e4tze von unentschiedenerem Charakter pflegt Mozart mit einem Accord ohne Terz zu enden. Aehnliche Beispiele findet man in Menge bei H\u00e4ndel. Beiden Meistern also, obgleich sie ganz auf dem Standpunkte des modernen r\u00fcusikalischen Gef\u00fchls feststanden, und gleichsam die letzte Hand an den Ausbau des modernen Tonsystems gelegt haben, war das Gef\u00fchl nicht ganz fremd, welches die \u00e4lteren Musiker verhindert hatte, die Mollterz der Tonica im Schlussaccorde zu brauchen. Aber sie machten daraus keine feste Regel, sondern richteten sich nach dem Ausdruck und Charakter des Satzes und nach dem Sinne der Worte, mit denen sie zu schliessen hatten.\nZu einem k\u00fcnstlerisch zusammenh\u00e4ngenden Harmoniegewebe werden diejenigen Tongeschlechter am meisten geeignet sein, welche die gr\u00f6sste Zahl unter sich und mit dem tonischen Accorde verwandter consonanter Accorde liefern k\u00f6nnen. Da alle con-sonanten Accorde in engster Lage und einfachster Form Dreikl\u00e4nge sind, welche aus einer grossen und einer kleinen Terz zusammengesetzt sind, so finden wir s\u00e4mmtliche consonante Accorde einer Tonart einfach dadurch, dass wir alle ihre Tonstufen nach Terzen ordnen, was in folgender Uebersicht geschehen ist. Die Klammern fassen die einzelnen consonanten Dreikl\u00e4nge zusammen; der tonische Accord ist durch st\u00e4rkeren Druck ausgezeichnet :\n1)\tDurgeschlecht:\nd \u2014 F \u2014 \u00e0 \u2014 C \u2014 e \u2014 G \u2014 h \u2014 D\n2)\tQuartengeschlecht:\nB \u2014 d\u2014 F \u25a0\u2014 a \u2014 C \u2014 e \u2014 G \u2014 b \u2014 D\n3)\tSeptimengeschlecht:\nB \u2014 d \u2014 F\u2014a \u2014 C^\u00ebs \u2014 G \u2014 b \u2014 D","page":456},{"file":"p0457.txt","language":"de","ocr_de":"Harmonisirung der verschiedenen Tongeschlechter. 457\n4)\tTerzengeschlecht:\nB \u2014 d \u2014 F\u2014as \u2014 C \u2014 es \u2014 G \u2014 b \u2014 D\n5)\tSextengeschlecht:\nB \u2014 des \u2014 F \u2014 as \u2014 C \u2014 es \u2014 G \u2014 b\ny\t\u25a0>\nIn dieser Uebersicht sind die verschiedenen Stimmungen der Secunde und Septime der Tonart ber\u00fccksichtigt, welche wir in der Construction der Tonleitern f\u00fcr die homophone Musik gefunden haben. Wir bemerken nun aber hier, dass schon die dem tonischen Accorde direct verwandten Accorde jeder Tonart s\u00e4mmt-liche Tonstufen der Leiter enthalten, mit Ausnahme des Sextengeschlechts. Secunde und Septime der Tonica kommen erstens im 6*-Accor de vor, der dem tonischen direct verwandt ist, und zweitens in Accorden, welche F enthalten, die aber dem tonischen nicht direct verwandt sind. Dadurch erhalten in der harmonischen Musik die der Dominante verwandten F\u00fcllt\u00f6ne der Leiter ein bedeutendes Ueb er gewicht \u00fcber die der Subdominante verwandten. Wo directe Verwandtschaften der Accorde zur Bestimmung der Tonstufen gen\u00fcgen, werden wir diese den indirecten vorziehen m\u00fcssen. Beschr\u00e4nken wir uns also auf diejenigen Accorde, die dem tonischen direct verwandt sind, so erhalten wir folgende Uebersicht der Tongeschlechter:\n1)\tDurgeschlecht:\nF \u2014 a \u2014 C \u2014 'e \u2014 (~\u2014h \u2014 D\n2)\tQuartengeschlecht:\nF\u2014a \u2014 C\u2014e \u2014 G\u2014 b \u2014 D\n3)\tSeptimengeschlecht:\nF\u2014 g \u2014\t\u2014 & \u2014 j)\n4)\tTerzengeschlecht: .\nF \u2014 \u00e4s \u2014 C\u2014 es \u2014 G \u2014 b \u2014 D","page":457},{"file":"p0458.txt","language":"de","ocr_de":"458 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\n5) Sextengeschlecht:\n(des) \u2014 F \u2014 as \u2014 G \u2014 es \u2014 G \u2014 b.\nEin Blick auf diese letztere Uebersicht zeigt, dass die vollst\u00e4ndigsten und geschlossensten Accordreihen demD ur g e s chle cht und dem Terzengeschlecht (Moll) zukommen, so dass f\u00fcr die harmonische Behandlung diese beiden entschieden brauchbarer sind als die \u00fcbrigen Geschlechter. Dies ist auch der Umstand, auf welchem ihre Bevorzugung in der modernen harmonischen Musik beruht.\nDadurch wird nun auch die Stimmung der F\u00fcllt\u00f6ne der Leiter, wenigstens f\u00fcr die ersten vier Geschlechter, endgiltig festgestellt. Hauptmann betrachtet, wie ich meine, mit Hecht als wesentlichen Bestandtheil der G-Dur- und C-Molltonleiter nur den Ton Z), welcher mit F eine unreine Terz bildet, so dass der Accord D \u2014 F \u2014 a als dissonant betrachtet werden muss. Dieser Accord, in der genannten Stimmung ausgef\u00fchrt, ist in der That sehr entschieden dissonant. Dagegen l\u00e4sst Hauptmann eine nach der Unterdominantseite \u00fcbergreifende Durtonart zu, welche statt D den Ton d enth\u00e4lt. Ich halte diese Art der Darstellung f\u00fcr einen sehr gl\u00fccklich gew\u00e4hlten Ausdruck des wahren Sachverh\u00e4ltnisses. Wenn der consonante Accord d \u2014 F\u2014 a in einem Satze auftritt, kann man nicht unmittelbar und ohne Zwischenstufe in den tonischen Accord G \u2014 e \u2014 G zur\u00fcckkehren. Es w\u00fcrde das immer ein unvermittelter harmonischer Sprung sein. Es ist also ein richtiger Ausdruck der Sachlage, wenn dies als eine beginnende Modulation \u00fcber die Grenzen der G-Durtonart, \u00fcber die Grenzen der directen Verwandtschaft ihres tonischen Accordes hinaus betrachtet wird. In der Molltonart w\u00fcrde dem die Modulation in den Accord des \u2014 F \u2014 as entsprechen. Freilich wird in der modernen temperirten Stimmung der consonante Accord d \u2014 F \u2014 a von dem dissonanten D \u2014 F \u2014 a nicht unterschieden, und deshalb ist der Sinn f\u00fcr diesen von Hauptmann gemachten Unterschied auch nicht deutlich ausgebildet.\nWas den anderen zweideutigen F\u00fcllton b betrifft, welcher in den Accorden es \u2014 G \u2014 b und G \u2014 b \u2014 I)' Vorkommen kann, so ist schon im vorigen Abschnitte erw\u00e4hnt, dass selbst in der homophonen Musik an seiner Stelle in aufsteigender Bewegung fast immer h einzutreten pflegt. Durch harmonische R\u00fccksichten","page":458},{"file":"p0459.txt","language":"de","ocr_de":"Harmonisirung der verschiedenen Tongeschlechter. 459\n'wird der Gebrauch von A unabh\u00e4ngig von der Art der melodischen Bewegung ebenfalls beg\u00fcnstigt. Es ist schon vorher angef\u00fchrt worden, dass die beiden schwach verwandten T\u00f6ne der Leiter, wenn sie als Bestandtheile des Klanges der Dominante auftreten, in ganz enge Beziehung zur Tonica gesetzt werden. Das kann aber nur mit den Kl\u00e4ngen des Duraccordes G\u2014 A\u2014 D, nicht mit denen des Mollaccordes G \u2014 b \u2014 D geschehen. An sich sind die T\u00f6ne b und D ebenso nahe mit C verwandt als h und D. Aber indem wir die letzteren als Theile des Klanges G erscheinen lassen, binden wir sie durch dieselbe nahe Verwandtschaft an C, welche G hat. Deshalb pflegt man in der neueren Musik \u00fcberall, wo der Ton b in C'-moll als Bestandtheil des Dominantdreiklanges oder eines ihn vertretenden dissonanten Accordes vorkommt, ihn in h zu verwandeln, und je nach dem Gange der Melodie und Harmonie bald b, bald A, meistens aber das letztere, zu gebrauchen, wie ich dies schon oben bei der Construction der Molltonleitern bemerkt habe. Durch diesen systematischen Gebrauch der grossen Septime A der Tonart statt der kleinen B unterscheidet sich nun die neuere Molltonart von der \u00e4lteren Hypodorischen oder dem Terzengeschlecht. Es wird also auch hier wiederum etwas von der Consequenz der Tonleiter geopfert, um die Harmonie fester zu binden.\nDie Verkettung der consonanten Accorde des Terzengeschlechts wird zwar etwas weniger reich, wenn wir durch die Einf\u00fchrung des Tones A das Terzengeschlecht in unser Mollgeschlecht umbilden. Statt der Kette\nf \u2014 As \u2014 c \u2014 Es \u2014 ff \u2014 B \u2014 d\n- -- ^ .... \u2014v\nhaben wir in Moll folgende:\n/ \u2014 \u00c4s \u2014 c \u2014 Es \u2014 g \u2014 H_ \u2014 d\nmit einem Dreiklange weniger. Indessen bleibt der Wechsel zwischen dem Tone B und f[ immer noch frei.\nDie Einf\u00fchrung des Leittones A in die C-Molltonleiter brachte f\u00fcr den Ganzschluss in dieser Tonart eine neue Schwierigkeit hervor. Wenn die Accorde g \u2014 H \u2014 d und c \u2014 Es \u2014 g sich folgen, ist der erstere ein Duraccord von vollem Wohlklange, der letztere ein Mollaccord von ged\u00e4mpftem Wohlklange, was durch den Contrast mit dem vorhergehenden Duraccorde noch mehr hervorgehoben wird. Gerade im Schlussaccorde aber ist volle Con-","page":459},{"file":"p0460.txt","language":"de","ocr_de":"460 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\nsonanz ein wesentliches Bed\u00fcrfniss, damit sich das Gef\u00fchl des H\u00f6rers in dieser vollst\u00e4ndig beruhigen kann. Es mussten deshalb erst die Septimenaccorde erfunden sein, durch welche man den Dominantdreiklang in einen dissonanten Accord verwandelt, ehe ein derartiger Tonschluss zul\u00e4ssig schien.\n, Es geht aus der gegebenen Darstellung hervor, dass, sobald man eine enge Verkettung der der Tonart eigenth\u00fcmlichen Accorde nach demselben Principe erstrebt, nach welchem die Verkettung der T\u00f6ne der Tonleiter hergestellt ist, sobald man also verlangt, dass alle consonanten Dreikl\u00e4nge des Harmoniegewebes in derselben Weise einem unter ihnen, dem tonischen Dreiklange, verwandt sein sollen, wie alle Kl\u00e4nge der Tonleiter der Tonica verwandt sind, dass dann die Vereinigung beider Forderungen auf nur zwei Tongeschlechter f\u00fchrt, welche diese Bedingungen am vollkommensten erf\u00fcllen, n\u00e4mlich das Dur- und das Mollgeschlecht.\nDas Durgeschlecht erf\u00fcllt die Forderungen der Accord-verwandtschaft und der tonalen Verwandtschaft am vollst\u00e4ndigsten. Es hat vier dem tonischen Accorde unmittelbar verwandte Dreikl\u00e4nge :\nF\u2014a\u2014C \u2014 e\u2014 G \u2014 h\u2014D.\nMan kann seine Harmonisirung so f\u00fchren, und dies geschieht, wie gesagt, namentlich in popul\u00e4ren St\u00fccken, die leicht verst\u00e4ndlich sein m\u00fcssen, dass alle T\u00f6ne erscheinen als Theile der drei Duraecorde, welche das System enth\u00e4lt, des Duraccords der Tonica, der Dominante und der Subdominante. Solche Duraecorde mit tief liegendem Grundton erscheinen dem Ohre als Verst\u00e4rkungen des Klanges der Tonica, der Dominante und der Subdominante, welche drei Kl\u00e4nge wiederum durch engste Quintenverwandtschaft mit einander verbunden sind. So kann in diesem Geschlechte alles auf die allerengsten und n\u00e4chsten Verwandtschaften reducirt werden, welche es in der Musik giebt. Und da nun auch der tonische Accord des Durgeschlechts unmittelbar und vollst\u00e4ndig den Klang der Tonica repr\u00e4sentirt, so fallen die beiden Forderungen der durchgehenden Herrschaft der Tonica und des tonischen Accordes in eine zusammen, ohne einen Widerspruch zuzulassen, und ohne dass Ver\u00e4nderungen der Tonleiter dabei n\u00f6thig sind.\nDas Durgeschlecht hat also den Charakter vollst\u00e4ndigster melodischer und harmonischer Consequenz, gr\u00f6sster Einfachhei","page":460},{"file":"p0461.txt","language":"de","ocr_de":"Harmonisirung der verschiedenen Tongeschlechter. 461\nund Klarheit aller Verh\u00e4ltnisse. Dazu kommt nun noch, dass sich die Duraccorde, die in ihm die herrschenden sind, durch vollen und ungetr\u00fcbten Wohlklang auszeichnen, wenn man solche Umlagerungen derselben w\u00e4hlt, in welchen sie keine ungeh\u00f6rigen Combinationst\u00f6ne geben.\nDie Durtonleiter ist rein diatonisch, und mit dem aufw\u00e4rts steigenden Leitton der grossen Septime versehen, wodurch auch der am schw\u00e4chsten verwandte Ton der Leiter zur Tonica in nahe melodische Beziehung gesetzt wird.\nAn die herrschenden Duraccorde schliessen sich noch zwei dem tonischen eng verwandte Mollaccorde innerhalb der Grenzen der Tonart an, welche man benutzen kann, um in die Reihe der Duraccorde Abwechselung zu bringen.\nDas Mollgeschlecht steht in vielen Beziehungen hinter dem Dur zur\u00fcck. Die Accordkette seiner modernen Form ist\n/ \u2014 As \u2014 c \u2014 Es \u2014 g \u2014 // \u2014 d.\nV\tv\t' ~~\t' -V\t^\nDie Mollaccorde repr\u00e4sentiren nicht so rein und einfach den Klang ihres Grundtons, wie die Duraccorde, vielmehr f\u00e4llt ihre Terz aus diesem Klange heraus. Nur der Dominantdreiklang ist ein Duraccord, welcher die beiden Ausf\u00fcllungst\u00f6ne der Leiter enth\u00e4lt. Diese beiden werden deshalb, wo sie.als Bestandtheile des Dominantdreiklanges, also als Bestandtheile des Klanges der Dominante erscheinen, durch enge Quintenverwandtschaft an die Tonica gefesselt. Dagegen repr\u00e4sentiren der Dreiklang der Tonica und der Subdominante nicht einfach die Kl\u00e4nge dieser Noten, sondern sind von ihren Terzen begleitet, welche nicht auf enge Quintenverwandtschaft zur Tonica reducirt werden k\u00f6nnen. Die Verkettung der T\u00f6ne mit der Tonica l\u00e4sst sich also im Mollgeschlecht durch die Harmonisirung nicht auf so enge Verwandtschaften zur\u00fcckf\u00fchren wie im Durgeschlechte.\nDie Forderung der Tonalit\u00e4t l\u00e4sst sich mit der Herrschaft des tonischen Accordes nicht so einfach vereinigen wie im Durgeschlechte. Wenn ein Satz mit einem Mollaccorde schliesst, bleibt neben dem Klange der Tonica noch ein zweiter Klang stehen, der nicht ein Theil von jenem ist. Daher die lang dauernde Unsicherheit der Tonsetzer betreffs der Zul\u00e4ssigkeit eines Moll-accordes am Schl\u00fcsse.\nDie vorherrschenden Mollaccorde haben nicht die reine Klarheit und den ungetr\u00fcbten Wohlklang der Duraccorde, weil sie","page":461},{"file":"p0462.txt","language":"de","ocr_de":"462 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\nvon Combinationst\u00f6nen begleitet sind, welche nicht in den Accord hineinpassen.\nDie Molltonleiter enth\u00e4lt den f\u00fcr den S\u00e4nger schwer auszuf\u00fchrenden Sprung as \u2014 h, dessen Weite gr\u00f6sser als die ganzen T\u00f6ne der diatonischen Leiter ist, und dem Zahlenverh\u00e4ltniss ~ entspricht. Um die Molltonleiter melodisch zu machen, muss sie im Aufsteigen und Absteigen verschiedene Ver\u00e4nderungen erleiden, welche im vorigen Abschnitte schon besprochen sind.\nDas Molltonsystem zeigt daher nicht dieselbe einfache, klare und leicht verst\u00e4ndliche Consequenz wie das Durgeschlecht; es ist entstanden gleichsam durch ein Compromiss zwischen den verschiedenen Anforderungen, die durch das Gesetz der Tonalit\u00e4t und durch die Verkettung des Harmoniegewebes gestellt waren. Es ist deshalb auch viel ver\u00e4nderlicher, viel mehr zu Modulationen in andere Tongeschlechter geneigt.\nDiese Behauptung, dass das Mollsystem weniger vollkommen consequent sei, als das Dursystem, wird bei vielen neueren musikalischen Theoretikern Anstoss erregen, ebenso wie die oben von mir, und vor mir schon von anderen Physikern aufgestellte Behauptung, dass der Wohlklang der Molldreikl\u00e4nge im Allgemeinen ged\u00e4mpfter sei, als der der Durdreikl\u00e4nge. Es finden sich in neueren B\u00fcchern \u00fcber Harmonielehre viele eifrige Versicherungen des Gegentheils. Aber ich glaube, dass die Geschichte der Musik, die \u00e4usserst langsame und vorsichtige Entwickelung des Mollsystems im 16. und 17. Jahrhundert, der vorsichtige Gebrauch des Mollschlusses bei H\u00e4ndel, das theilweise Vermeiden desselben auch noch bei Mozart, dass alle diese Umst\u00e4nde keinen Zweifel dar\u00fcber lassen, wie das k\u00fcnstlerische Gef\u00fchl der grossen Tonsetzer f\u00fcr unsere Schlussfolgerungen sprach. Dazu kommt dann auch das Wechseln mit der grossen und kleinen Septime, grossen und kleinen Sexte der Tonart, die schnell eintretenden, schnell wechselnden Modulationen, endlich sehr entscheidend auch der Gebrauch des Volkes. Zu Volksmelodien k\u00f6nnen nur solche von klaren, durchsichtigen Verh\u00e4ltnissen werden. Man sehe Sammlungen von Liedern durch, welche gegenw\u00e4rtig bei denjenigen Classen der abendl\u00e4ndischen V\u00f6lker beliebt sind, die harmonische Musik oft zu h\u00f6ren Gelegenheit haben, also bei Studenten, Soldaten, Handwerkern. Man wird auf hundert Lieder in Dur vielleicht eines oder zwei in Moll finden, und","page":462},{"file":"p0463.txt","language":"de","ocr_de":"Harmonisirung der verschiedenen Tongeschlechter. 463\ndiese sind - dann meist alte Volksmelodien, die noch aus der Zeit des \u00fcberwiegend einstimmigen Gesanges her\u00fcbergekommen sind.\nAuch glaube ich nicht, dass in diesem Resultate eine Herabsetzung des Mollsystems liege. Das Dursystem ist f\u00fcr alle fertigen, in sich klaren Stimmungen gut geeignet, f\u00fcr kr\u00e4ftig entschlossene, wie sanfte oder s\u00fcsse, selbst f\u00fcr trauernde , wenn die Trauer in den Zustand schw\u00e4rmerischer weicher Sehnsucht \u00fcbergegangen ist. Aber es passt durchaus nicht f\u00fcr unklare, tr\u00fcbe, unfertige Stimmungen, oder f\u00fcr den Ausdruck des Unheimlichen, des W\u00fcsten, R\u00e4thselhaften oder Mystischen, des Rohen, der k\u00fcnstlerischen Sch\u00f6nheit Widerstrebenden, und gerade f\u00fcr solche brauchen wir das Mollsystem mit seinen verschleierten Wohlkl\u00e4ngen, seiner ver\u00e4nderlichen Tonleiter, seinen leicht ausweichenden Modulationen, und dem weniger deutlich in das Geh\u00f6r fallenden Princip seines Baues. Das Dursystem w\u00fcrde eine unpassende Form f\u00fcr solchen Ausdruck sein, und deshalb hat das Mollsystem neben ihm seine volle k\u00fcnstlerische Berechtigung.\t,\nDie harmonischen Eigent\u00fcmlichkeiten der modernen Tonarten treten am besten hervor, wenn wir sie mit der Harmonisirung der \u00fcbrigen alten Tongeschlechter vergleichen..\nUnter den melodischen Tongeschlechtern ist das Lydische der Griechen (Jonische Kirchentonart) mit unserem Dur \u00fcbereinstimmend, das einzige, welches in der grossen Septime einen aufsteigenden Leitton hat. Die vier \u00fcbrigen haben ihrer urspr\u00fcnglichen Natur nach kleine Septimen, die man schon in den sp\u00e4teren Zeiten des Mittelalters anfing in grosse Septimen zu verwandeln, um die der Tonica schwach verwandte Septime gerade im Schl\u00fcsse als Leitton fester an diese zu ketten.\nWas zun\u00e4chst das Quartengeschlecht (Jonisch der Griechen, Mixolydische Kirchentonart) betrifft, so unterscheidet sich dieses vom Dur nur durch die kleine Septime ; verwandelt man diese in die grosse, so verschwindet jeder Unterschied zwischen beiden. Wenn die Tonica G ist, kann der tonische Accord, ein Duraccord, nur G \u2014 h \u2014 D sein, und die Accord-kette der unver\u00e4nderten Tonart w\u00fcrde folgende sein m\u00fcssen :\nC \u2014 e \u2014 G \u2014 h \u2014 D \u2014 / - A.\nVersucht man einen Ganzschluss in dieser Tonart zu bilden, wie in den folgenden Beispielen unter 1 und 2, so klingt ein solcher","page":463},{"file":"p0464.txt","language":"de","ocr_de":"464 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\nmatt, weil ihm der Leitton fehlt, seihst wenn man den Dominant-accord zum Septimenaccord erweitert.\nQu ar tenges chlecht.\n\tj\t\t2\t3 \u20141\t:i~ :\u2014\u00b1=\t4, q=J\u20141 4-::\n\t\t\u2014f\u2014]\u2014o\to\u2014 -st-\t\u00f6\t\n\tp- 1=\t\t1\u00a9\t\u00a3\u2014\u201411\tP\u2014 \u201cfc- ^\t\t\t\n7\t\tr\t\tj==pi\nDas zweite, wo der Leitton in der Oberstimme liegt, klingt noch matter als das erste, wo er sich mehr versteckt. Das / in diesen Beispielen ist ein unsicher klingender Ton. Er ist nicht nahe genug verwandt mit der Tonica, nicht Theil des Klanges der Dominante D, nicht nahe genug der Tonica um Leitton zu sein, und das Vorw\u00e4rtsdr\u00e4ngen des Leittones zur Tonica fehlt ihm. Die \u00e4lteren Tonsetzer schlossen deshalb S\u00e4tze im Quartengeschlecht, wenn sie es auch im Schl\u00fcsse vom Durgeschlecht unterschieden halten wollten, mit dem halben oder plagalen Schl\u00fcsse, wie ich ihn im Beispiel 3 angewendet habe. Diesem fehlt an und f\u00fcr sich schon die entschiedene Bewegung des Ganzschlusses, und der Mangel an Bewegung, den dort der fehlende Leitton bedingte, f\u00e4llt hier nicht auf.\nIm Verlaufe eines Satzes, der diesem Geschlechte angeh\u00f6rt, kann bei aufsteigender Bewegung der Leitton allerdings oft angewendet werden, wenn dazwischen bei absteigender Bewegung die kleine Septime hinreichend oft eintritt. Aber gerade im Schl\u00fcsse ist es misslich, eine wesentliche Eigenschaft der Tonart zu ver\u00e4ndern. S\u00e4tze im Quartengeschlecht klingen also wie S\u00e4tze in einer Durtonart, welche eine ausgesprochene Neigung haben in die Durtonart der Unterdominante hin\u00fcber zu modu-liren. Der Uebergang zur Subdominante erscheint aus dem schon fr\u00fcher angegebenen Grunde weniger activ, als der zur Oberdominante. Dann fehlt diesem Tongeschlecht auch in seinen Schl\u00fcssen eine bestimmt ausgesprochene Bewegung, w\u00e4hrend Duraccorde, zu denen auch der tonische geh\u00f6rt, in ihm vorherrschen mit ihrem volleren Wohlklang. Das Quartengeschlecht muss demgem\u00e4ss weich und wohlklingend sein wie Dur, aber es fehlt ihm au den","page":464},{"file":"p0465.txt","language":"de","ocr_de":"Harmonisirung der verschiedenen Tongeschlechter. 465\nkr\u00e4ftigeren Bewegungsimpulsen des Durgeschlechts. Damit stimmt auch die von Winterfeld*) gegebene Charakterisirung. Er bezeichnet die Jonische Kirchentonart (Dur) als eine Tonreihe, die in sich abgeschlossen, auf den hell und heiter hinausstrah-\u201elenden harten Dreiklang, eine durch die Natur selber hinklin-\u201egende, befriedigende Verschmelzung verschiedener T\u00f6ne gegr\u00fcndet, auch das Gepr\u00e4ge heiteren, frohen Gen\u00fcgens tr\u00e4gt\u201c. Dagegen sei die mixolydische Kirchentonart (Quartengeschlecht) eine Tonreihe \u201ein der alles wieder hinklingt, hinstrebt zu dem \u201eUrspr\u00fcnge, aus dem ihr Grundton erwuchs\u201c (d. i. zur Durtonart der Subdominante), \u201edurch die ein Zug der Sehnsucht hingeht \u201eneben jenem heiteren Gen\u00fcgen, dem christlichen Sehnen gleich \u201enach geistlicher Wiedergeburt, Erl\u00f6sung, R\u00fcckkehr einer fr\u00fcheren Unschuld, gemildert aber durch die Seeligkeit der Liebe und \u201edes Glaubens\u201c.\nDas Septimengeschlecht (Phrygisch der Griechen, Dorische Kirchentonart) hat \u00fcber der Tonica d einen Moll-accord als tonischen\ng \u2014 H_ \u2014 d \u2014 F \u2014 a \u2014 G \u2014 e\neben so urspr\u00fcnglich \u00fcber der Dominante a, dagegen \u00fcber der Subdominante g einen Duraccord, durch welchen letzteren es sich vom Terzengeschlecht (Aeolisch) unterscheidet. Beide genannte Geschlechter k\u00f6nnen, ohne ihren Charakter zu verwischen, die kleine Septime zum Leitton erh\u00f6hen, und aus beiden ist unsere Molltonart zusammengeschmolzen. Die aufsteigende Molltonleiter geh\u00f6rt dem Septimengeschlecht an, dem man den Leitton gegeben hat, die absteigende dem Terzengeschlecht. Giebt man aber dem Septimengeschlecht den Leitton, so wird seine Accordkette reducirt auf die drei wesentlichen Dreikl\u00e4nge der Tonart:\n(x \u2014 h \u2014I) \u2014 / \u2014 A \u2014 cis \u2014 E.\nDiese Tonart hat im Ganzen den Charakter der Molltonart, nur dass der Uebergang auf den Accord der Subdominante mehr aufhellend wirkt, als in der normalen Molltonart, in welcher dieser Accord selbst ein Mollaccord ist. Wenn man aber die vollst\u00e4ndige Cadenz bildet, bekommen beide Dominanten der Tonart Dur-\n*) Johannes Gabrieli und sein Zeitalter, Bd. I, >8. 87.\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\t.\n30","page":465},{"file":"p0466.txt","language":"de","ocr_de":"466 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\naccorde, dazwischen bleibt der Accord der Tonica allein als Moll-accord stehen. Aber im Schl\u00fcsse gerade macht es eine ung\u00fcnstige Wirkung, wenn der Schlussaccord einen ged\u00e4mpfteren Wohlklang hat als die beiden anderen Hauptaccorde der Tonart. Man muss auf diese scharfe Dissonanzen legen, wenn dadurch nicht ein Missverh\u00e4ltnis entstehen soll. Bildet man aber nach Art der \u00e4lteren Tonsetzer auch den Schlussaccord in Dur, so ist der Charakter der Tonart in der Cadenz ganz in Dur verwandelt. Oder da in dem System der Kirchentonarten das E immer in B verwandelt werden kann, was den Subdominantenaccord des Quartengeschlechts in einen Mollaccord verwandelt, so kann man dadurch das Septimengeschlecht in seiner Cadenz vor der Verwechselung mit Dur sch\u00fctzen, dann f\u00e4llt es aber wiederum ganz mit dem alten Mollschlusse zusammen.\nSebastian Bach bringt in der Cadenz dieses Tongeschlechts die grosse Sexte der Tonica, die ihm charakteristisch ist, in andere Accordverbindungen, und vermeidet so den Durdrei-klang der Subdominante. Sehr gew\u00f6hnlich bringt er die grosse Sexte als Quinte des Septimenaccords auf der Secunde der Tonart an, wie in den nachstehenden Beispielen. Nro. 1 ist das Ende des Chorals \u201eWas mein Gott will, das gescheh\u2019 allzeit\u201c in der Matth\u00e4us-Passion. Nro. 2 ist das Ende des Hymnus Veni re-demptor gentium, am Schl\u00fcsse der Cantate: Schwingt freudig Euch empor zu den erhabenen Sternen. In beiden Tonica h, grosse Sexte gis:","page":466},{"file":"p0467.txt","language":"de","ocr_de":"Harmonisirung der verschiedenen Tongeschlechter. 467\nAehnliche Beispiele finden sich noch viele ; er geht offenbar einem regelm\u00e4ssigen Schl\u00fcsse aus dem Wege.\nDie neueren Gomponisten, wenn sie ein zwischen Dur und Moll liegendes Tongeschlecht, wenigstens f\u00fcr einzelne melodische Phrasen oder Cadenzen, brauchen wollen, haben es meist vorgezogen, den einen Mollaccord des Geschlechts nicht der Tonica, sondern der Subdominante zu gehen. Haupt mann nennt dieses die Moll-Durtonart ; ihre Accordkette ist folgende :\nF \u2014 as \u2014 G \u2014 e \u2014 G \u2014 h \u2014 I)\n^ ^ \u2022\u2014 ->\nHier haben wir einen Leitton im Dominantenaccorde, einen voll ausklingenden Schluss im Duraccorde der Tonica, und der Anklang nach Moll hin kann im Suhdominantenaccorde ungest\u00f6rt stehen bleiben. F\u00fcr die Harmonisirung ist dieses Moll-Durgeschlecht jedenfalls viel geschickter als das alte Septimengeschlecht. Aber f\u00fcr den homophonen Gesang passt es wieder nicht, ohne in aufsteigender Leiter as in a zu verwandeln, weil-sonst der com-plicirte Sprung as \u2014 h zu machen ist. Die alten Geschlechter sind aus dem homophonen Ges\u00e4nge hergeleitet, f\u00fcr welchen das Septimengeschlecht vollkommen gut passt, wie es ja auch jetzt noch unsere aufsteigende Molltonleiter bildet.\nW\u00e4hrend also das Septimengeschlecht in unbestimmter Weise zwischen Dur und Moll einherschwankt, ohne eine cons\u00e9quente Durchf\u00fchrung zu erlauben, hat das Sextengeschlecht (Dorisch der Griechen, Phrygische Kirchentonart) mittelst seiner kleinen Secunde eine viel eigenth\u00fcmlichere Charakteristik, die es von allen anderen Geschlechtern unterscheidet. Diese kleine Secunde steht in derselben melodischen Beziehung zur Tonica, wie ein Leitton; nur erfordert sie absteigende Bewegung. F\u00fcr absteigende Bewegung ist dieses Geschlecht melodisch ebenso g\u00fcnstig gebaut, wie das Durgeschlecht f\u00fcr aufsteigende Bewegung. Die kleine Secunde ist die schw\u00e4chste Verwandte der Tonica. Ihre Verwandtschaft zur Tonica wird vermittelt durch die Subdominante; einen Dominantenaccord kann das Geschlecht gar nicht bilden, ohne \u00fcber seine Grenzen hinaus zu gehen. Nennen wir die Tonica e, so ist die Accordkette\nd \u2014 F \u2014 a \u2014 C\u2014e\u2014G \u2014 h\u2014.D\nhierin sind aber die Accorde d \u2014 F \u2014 a und F \u2014 a \u2014 G nicht direct verwandt mit dem tonischen, und der Ton F kann in gar\n30*","page":467},{"file":"p0468.txt","language":"de","ocr_de":"468 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\nkeinen consonanten Accord eintreten, der dem tonischen direct verwandt w\u00e4re. Da F nun gerade die charakteristische kleine Secunde der Tonart ist, so k\u00f6nnen die genannten Accorde nicht wohl ausbleiben, nicht einmal in der Cadenz. W\u00e4hrend also zwischen den auf einander folgenden Gliedern der Accordkette eine enge Verwandtschaft besteht, sind doch unentbehrliche Glieder derselben nur entfernt mit dem Accorde der- Tonica verwandt. Ferner wird es im Verlaufe eines Satzes in dieser Tonart immer n\u00f6thig werden, den Dominantenaccord h \u2014 Dis \u2014 fis zu bilden, wenn derselbe auch zwei der Tonleiter urspr\u00fcnglich fremde T\u00f6ne enth\u00e4lt, um nicht den Eindruck herrschend werden zu lassen, dass a die Tonica und a \u2014 C \u2014 e der tonische Accord sei. Es geht daraus hervor, dass das Sextengeschlecht noch inconsequenter in seiner Harmonisirung, noch loser gebunden sein muss als das Mollgeschlecht, w\u00e4hrend es in melodischer Beziehung grosse Gonsequenz zul\u00e4sst. Es enth\u00e4lt drei wesentliche Mollaccorde, n\u00e4mlich den der Tonica e \u2014 G \u2014 h, den der Subdominante a \u2014 G \u2014 e und denjenigen Accord, welcher die beiden schwach verwandten T\u00f6ne der Tonica enth\u00e4lt d \u2014 F \u2014 a. Es ist das gerade Gegenbild des Durgeschlechts; wie dieses sich nach der Dominantseite aufbaut, thut es jenes nach der Unterdominantseite.\nDur:\tF \u2014 a \u2014 G \u2014 e \u2014 G \u2014 h \u2014 D\nI I I\nDorisch: b \u2014 Des \u2014 /\u2019 \u2014 As \u2014 c \u2014 Es \u2014 g\nF\u00fcr die Harmonisirung beruht der Unterschied auf dem Umstande, dass die Verwandten, welche die Unterdominante / in die Tonleiter einf\u00fchrt, n\u00e4mlich b und Des; nicht zum Klange der Unterdominante geh\u00f6ren, wie es h und D, welche die Dominante in die Tonart einf\u00fchrt, in Beziehung auf diese thun, und dass der tonische Accord immer auf der Dominantseite der Tonica liegt. Daher sind in der harmonischen Verbindung die T\u00f6ne b und Des nicht so eng, weder mit der Tonica noch mit dem tonischen Accorde, zu verkn\u00fcpfen, wie es mit den der Dominante verwandten Ausf\u00fcllungst\u00f6nen der Fall ist. Das Sextengeschlecht bietet deshalb bei harmonischer Bearbeitung den Charakter der Molltonart gleichsam in gesteigertem Maasse. Seine T\u00f6ne und Accorde sind allerdings verbunden, aber viel weniger deutlich und erkennbar als die des Mollsystems. Die Accorde, welche in demselben neben einander zu stehen kommen k\u00f6nnen, ohne dass wir die Beziehung","page":468},{"file":"p0469.txt","language":"de","ocr_de":"Harmonisirung der verschiedenen Tongeschlechter. 469\nzur Tonica e verlassen, sind d-Moll und i^-Dur einerseits, \u00c4-Dur andererseits, Accorde, die im Dursysteme nur durch auffallende modulatorische Wendungen zusammen zu bringen w\u00e4ren. Der \u00e4sthetische Charakter des Sextengeschlechts entspricht dem; es passt wunderbar gut f\u00fcr das Geheimnissvolle, Mystische, oder f\u00fcr den Ausdruck tiefster Niedergedr\u00fccktheit, in welchem keine Sammlung der Gedanken mehr m\u00f6glich scheint, tiefstes Versinken in Schmerzgef\u00fchl. Da es andererseits durch seinen absteigenden Leitton eine gewisse Energie in seiner absteigenden Bewegung hat, so kann es auch eine ernste und m\u00e4chtige Erhabenheit aus-dr\u00fccken, die durch die fremdartig zusammengestellten Duraccorde, welohe das System enth\u00e4lt, sogar eine Art von eigenth\u00fcmlicher Pracht und wunderbarem Farbenreichthum annimmt.\nTrotzdem das Sextengeschlecht in der gew\u00f6hnlichen theoretischen Musiklehre gestrichen ist, haben sich von ihm doch viel deutlichere Spuren in der musikalischen Praxis erhalten, als von den anderen alten Geschlechtern, von denen das Quartengeschlecht mit der Durtonart, das Septimengeschlecht dagegen mit dem Terzengeschlecht zur Molltonart verschmolzen sind. Freilich passt ein Geschlecht, wie das beschriebene, nicht zu h\u00e4ufiger Anwendung ; f\u00fcr lange S\u00e4tze ist es nicht fest genug zusammengeschlossen, aber sein eigenth\u00fcmlicher Ausdruck kann, wo er hingeh\u00f6rt, durch kein anderes ersetzt werden. Es k\u00fcndigt sich, wo es vorkommt, meist durch seine eigenthiimliche Schlusscadenz, die von der kleinen Secunde in den Grund ton \u00fcbergeht, deutlich an. Bei H\u00e4ndel findet sich noch die nat\u00fcrliche Cadenz des Systems mit grosser Wirksamkeit angewendet. So in der grossartigen Fuge im Messias: \u201eAnd with his stripes we are healed\u201c, welche die Vorzeichnung von A'-Moll tr\u00e4gt, aber durch h\u00e4ufigen Gebrauch der Septi-menharmonie auf G auf den Grundton (7 hin weist. Die rein dorische Cadenz ist folgende :\nH\u00e4ndel, Messias.","page":469},{"file":"p0470.txt","language":"de","ocr_de":"470 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\nEbenso im Samson, der Chor \u201eH\u00f6r Jacob\u2019s Gott\u201c, welcher in dorischer Tonart von E das Flehen der ge\u00e4ngsteten Israeliten im Gegens\u00e4tze zu den unmittelbar darauf folgenden rauschenden Opferges\u00e4ngen der Philister in G-Dur sehr sch\u00f6n charakterisirt. Auch hier ist die Cadenz rein dorisch :\n\t\td \u00ab\t-i r\t\"\u25a0jss \u2022d\t\t\t\t\t\t\t\tr\t\tss>\u2014rr\n\u00a3-r\t-\t\tm J T9\t\t\t\t\t\t\nKQ.\t\t* \u2022 ^\t\tRi\u201c S\t\t\t\t\n\t\t\t\t\t\t\t\t\n\ti i\tr *\u2022 \u25a0* \u25a0 ? J.\tj\t\t\u2713 1 t\t\"i\tr i=r ir -5\t: t-\t\t\t\t\"\u01525-\n\t\t r\tm - -5*\t\t\t\t\t\t\n\t\t\u00c9\tL S>\t\t\u2014I* \"\t\tt~\t\t\n\t\t-J\u2014k\u2014J-\u2014\t\t\u00b1\tFz;\t\tb=i\t\t\nEr - l\u00f6s', er- los\u2019, er - l\u00f6s\u2019 o Herr dein Volk.\nDer Israeliten Chor, welcher den dritten Theil einleitet : \u201eIm Donner komm o Gott herab\u201c, und haupts\u00e4chlich in A-Moll sich bewegt, hat ebenfalls einen dorischen Zwischensatz.\nAuch Sebastian Bach hat in den von ihm harmonisirten Chor\u00e4len, deren Melodie dem Sextengeschlecht angeh\u00f6rt, die Har-monisirung in diesem Geschlecht belassen, so oft der Text einen tief schmerzlichen Ausdruck erfordert, z. B. in dem Be profundis oder \u201eAus tiefer Noth schrei ich zu Dir\u201c, ferner in dem Liede von Paul Gerhardt: \u201eWenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir\u201c, w\u00e4hrend er dieselbe Melodie zu anderen Texten, z. P. \u201eBefiel Du deine Wege\u201c, \u201e0 Haupt voll Blut und Wunden\u201c u. s. w. in Dur oder Moll harmonisirt, wo dann die Melodie in der Terz oder Quinte der Tonart endet, statt auf der dorischen Tonica.\nDass Mozart in der Arie der Pamina im zweiten Acte der Zauberfl\u00f6te dorisches Tongeschlecht angewendet hat, bemerkte schon Fortlage*). Eines der sch\u00f6nsten Beispiele f\u00fcr den Gegensatz dieses Geschlechts und der Durtonart findet sich bei demselben Meister im Sextett im zweiten Acte des Don Giovanni, wo Ottavio und Donna Anna eintreten. Ottavio singt tr\u00f6stende Worte\nTergi il ciglio, o vita mia E d\u00e0 calma al tuo dolore\n*) Beispiele aus den Instrumentals\u00e4tzen erw\u00e4hnt Ekert in seiner Habilitationsschrift: \u201eDie Principien der Modulation und musikalischen Idee.\u201c Heidelberg 1860. S. 12.","page":470},{"file":"p0471.txt","language":"de","ocr_de":"Harmonisirung der verschiedenen Tongeschlechter. 471\nin D-Dur, welches aber eigenth\u00fcmlich gef\u00e4rbt wird, dadurch, dass die Hinwendung zur Subdominante \u00fcberwiegt, wie im Quartengeschlecht, wenn auch dieses nicht deutlich heraustritt. Dann folgt in ganz \u00e4hnlichen melodi\u00f6sen Wendungen und mit ebenso fortgesetzter Begleitung die in Schmerz aufgel\u00f6ste Anna, deren Gesang nach einer kurzen Modulation durch D-Moll sich im Sextengeschlecht von C feststellt:\nSola morte, o mio tesoro,\n11 mio pianto pu\u00f6 finir.\nEs ist hier der Gegensatz zwischen weicher R\u00fchrung und vernichtendem Schmerze haupts\u00e4chlich durch den Wechsel des Tongeschlechts in der wunderbarsten Sch\u00f6nheit dargestellt. Auch der sterbende Comthur am Ende der Introduction des Don Giovanni endigt in dorischer Cadenz. Ebenso das Agnus Bei des Requiem von Mozart, bei welchem letzteren freilich zweifelhaft bleibt, wie viel er selbst dazu gethan hat.\nUnter den Compositionen von Beethoven k\u00f6nnte man den ersten Satz der Claviersonate, Op. 90 in D-Moll, als einen solchen bezeichnen, der durch \u00f6fter wiederholte dorische Cadenzen einen eigenth\u00fcmlich gedr\u00fcckten Charakter erh\u00e4lt, zu dem als Gegensatz der zweite Theil, ein Dursatz, von desto s\u00fcsserem Ausdruck erscheint.\nDie neueren Componisten bilden eine Cadenz, die dem Sextengeschlecht angeh\u00f6rt, oft mit der kleinen Secunde und grossen Septime, in dem sogenannten \u00fcberm\u00e4ssigen Sextenaccorde: F \u2014 a \u2014 Dis, wo sowohl F wie Dis einen halben Tonschritt zur Tonica e zu machen haben. Dieser Accord ist aus dem Dur-und Mollgeschlecht nicht abzuleiten, daher auch vielen neueren Theoretikern sehr r\u00e4thselhaft und unerkl\u00e4rlich erschienen. Er erkl\u00e4rt sich aber leicht als ein Rest des alten Sextengeschlechts, indem man die dem Dominantenaccorde h \u2014 Dis \u2014 fis angeh\u00f6-rige grosse Septime Dis mit den T\u00f6nen F \u2014 a von der Unterdominantseite vereinigt hat.\nDiese Beispiele m\u00f6gen.hinreichen, um nachzuweisen, dass sich Reste des Sextengeschlechts auch in der neueren Musik erhalten haben. Es werden sich leicht noch viel mehr Beispiele finden lassen, wenn man danach sucht. Die Accordverbindungen dieses Geschlechts sind nicht fest und deutlich genug, um weitl\u00e4ufige S\u00e4tze darauf bauen zu k\u00f6nnen; in kurzen S\u00e4tzen aber, Chor\u00e4len, oder k\u00fcrzeren Zwischens\u00e4tzen und melodischen Perio-","page":471},{"file":"p0472.txt","language":"de","ocr_de":"472 Dritte Abtheilung. F\u00fcnfzehnter Abschnitt.\nden gr\u00f6sserer musikalischer Werke ist es von einer so wirksamen Ausdrucksweise, dass man es in der modernen Theorie nicht h\u00e4tte vergessen sollen, um so mehr, da es von H\u00e4ndel, Bach, Mozart noch an so hervorragenden Punkten ihrer Werke gebraucht worden ist.\nAehnlich verh\u00e4lt es sich \u00fcbrigens auch mit dem Quartengeschlecht und Septimengeschlecht, obgleich diese beiden weniger specifisch verschieden sind, jenes von Dur, dieses von Moll. Sie sind doch immer im Stande, gewissen musikalischen Perioden einen eigenth\u00fcmlichen Ausdruck zu geben, wenn es auch Schwierigkeiten haben w\u00fcrde, ihre Eigenth\u00fcmlichkeiten in l\u00e4ngeren S\u00e4tzen consequent f\u00fchlen zu lassen. Die harmonischen Wendungen, welche den beiden letztgenannten Geschlechtern zukommen, k\u00f6nnen allerdings auch innerhalb der Grenzen des gew\u00f6hnlichen Dur- und Mollsystems ausgef\u00fchrt werden. Es w\u00e4re aber doch vielleicht eine Erleichterung f\u00fcr die theoretische Auffassung gewisser Modulationen, wenn man den Begriff dieser Geschlechter und ihrer Harmonisirung festgehalten h\u00e4tte.\t\u25a0\nDer Vorzug der modernen Tonarten besteht also, wie die geschichtliche Entwickelung und die physiologische Theorie \u00fcbereinstimmend zeigen, nur f\u00fcr die harmonische Musik. Ihre Bildung ist hervorgerufen durch das \u00e4sthetische Princip der modernen Musik, dass der tonische Accord in der Reihe der Accorde nach demselben Gesetze der Verwandtschaft herrschen muss, wie die Tonica in der Tonleiter. Zur factischen Herrschaft ist dieses Princip erst seit dem Anf\u00e4nge des vorigen Jahrhunderts gekommen, seit man die Nothwendigkeit f\u00fchlte, auch den tonischen Moll-accord der Regel nach in der Schlusscadenz zu bewahren.\nDas physiologische Ph\u00e4nomen, welches unter diesem \u00e4sthetischen Principe zur Wirksamkeit kam, ist, dass musikalische Kl\u00e4nge an sich schon Accorde von Partialt\u00f6nen sind, und daher umgekehrt Accorde unter gewissen Umst\u00e4nden auch Kl\u00e4nge vertreten k\u00f6nnen. Dieses Umstandes wegen spielt in jedem Dreiklange einer seiner T\u00f6ne eine Hauptrolle, derjenige n\u00e4mlich, als dessen Klang der Accord angesehen werden kann. Praktisch hatte dies Princip l\u00e4ngst Anerkennung erhalten, sobald man anfing, die Schl\u00fcsse der Tons\u00e4tze aus mehrstimmigen Accorden zu bilden. Man f\u00fchlte hierbei sogleich, dass man \u00fcber dem Schlusstone des Basses eine Octave, eine Quinte, endlich eine grosse Terz hinzuf\u00fcgen durfte, aber man durfte keine Quarte, keine Sexte hinzu-","page":472},{"file":"p0473.txt","language":"de","ocr_de":"Harmotiisirung der verschiedenen Tongeschlechter. 473\nf\u00fcgen, und lange genug scheute man auch die kleine Terz. Jene ersten drei Intervalle liegen eben im Klange der im Basse liegenden Tonica, die letzteren nicht.\nIhre theoretische Anerkennung erhielt die verschiedene Geltung der T\u00f6ne in einem Accorde erst durch Rameau in seiner Lehre vom Fundamentalbasse, obgleich Rameau den von uns nachgewiesenen Grund dieser verschiedenen Geltung noch nicht kannte-Derjenige Ton, dessen Klang der Accord nach unserer Erkl\u00e4rung dar stellt, wird seinFundamentalbass,seinGrundton genannt, zum Unterschiede von dem gew\u00f6hnlich so genannten Basstone, d. h. dem Tone seiner tiefsten Stimme. Der Durdreiklang hat in jeder Umlagerung immer denselben Fundamentalbass. In den Accorden C \u2014 e \u2014 G, e \u2014 G \u2014 C oder G \u2014 C \u2014 e ist es immer nur C. Der Mollaccord d \u2014 F \u2014 a hat ebenso in seinen verschiedenen Umlagerungen in der Regel nur d als Grundton, aber im grossen Sextenaccorde F\u2014 a \u2014 d kann er auch F als Grundton haben; in diesem Sinne kommt er in der Cadenz von C-Dur vor. Diesen letzteren Unterschied haben Rameau\u2019s Nachfolger zum Theil aufgegeben; es ist aber hierin Rameau\u2019s k\u00fcnstlerisches Gef\u00fchl der Natur der Sache ganz entsprechend gewesen. Der Mollaccord l\u00e4sst in der That diese zweifache Deutung zu, wie wir oben gezeigt haben.\nDer wesentliche Unterschied der alten und neuen Tonarten liegt darin, dass jene ihre Mollaccorde auf die Seite der Dominante, diese auf die der Subdominante stellen :\n\t\tAccord der\t\n\tSubdomi-\t\t\n\tnante\tTonica\tDominante\n\t\t\t\n(Terzengeschlecht\t\tMoll\tMoll\tMoll\nAlt (Septimengeschlecht\t\tDur\tMoll\tMoll\n'Quartengeschlecht\t\tDur\tDur\tMoll\nDurgeschleeht\t\tDur\tDur\tDur\nl Moll-Durgeschlecht\t\tMoll\tDur\tDur\n(Mollgeschlecht\t\tMoll\tMoll\tDur\nDie Gr\u00fcnde dieser Construction sind vorher schon er\u00f6rtert,","page":473},{"file":"p0474.txt","language":"de","ocr_de":"Sechzehnter Abschnitt.\nDas System der Tonarten.\nDie H\u00f6he der Tonica einer musikalischen Composition ist zun\u00e4chst durch nichts fixirt. Hat man nun musikalische Instrumente oder Gesangstimmen von bestimmt begrenztem Umfange, von welchen verschiedene Melodien und Musikst\u00fccke ausgef\u00fchrt werden sollen, so wird man die Tonioa verschieden hoch w\u00e4hlen m\u00fcssen, je nachdem die Melodie hoch \u00fcber die Tonica hinaufgeht, oder tief unter sie hinab. Die Tonica muss ihrer H\u00f6he nach so gelegt werden, dass der Umfang der T\u00f6ne des Musikst\u00fccks in den Umfang der Stimme oder desjenigen Instruments hineinpasst, durch das es ausgef\u00fchrt werden soll. Diese unausweichbare praktische R\u00fccksicht fordert die M\u00f6glichkeit, den Grundton jedes Musikst\u00fccks in beliebiger H\u00f6he w\u00e4hlen zu k\u00f6nnen.\nFerner tritt bei l\u00e4ngeren Musikst\u00fccken das Bed\u00fcrfniss ein, die Tonica zeitweise zu ver\u00e4ndern, d. h. zu moduliren, um Einf\u00f6rmigkeit zu vermeiden, und um die musikalischen Wirkungen der Ver\u00e4nderung und des Wiederfindens der urspr\u00fcnglichen Tonart zu benutzen. Wie die Consonanzen durch die Dissonanzen hervorgehoben und wirksamer gemacht wrerden, so wird das Gef\u00fchl der herrschenden Tonalit\u00e4t und die Befriedigung in ihr durch vorausgehende Abweichungen nach nahe gelegenen Tonarten verst\u00e4rkt. Die durch modulatorische Ver\u00e4nderungen bedingte Man-","page":474},{"file":"p0475.txt","language":"de","ocr_de":"Notwendigkeit verschiedener Tonarten. 475\nnigfaltigkeit musikalischer Wendungen ist f\u00fcr die neuere Musik um so nothwendiger geworden, als sie das altePrincip der Ab\u00e4nderung des Ausdrucks mittelst der verschiedenen Tongeschlechter hat aufgeben oder wenigstens auf ein sehr enges Maass zur\u00fcckf\u00fchren m\u00fcssen. Den Griechen standen sieben verschiedene Tongeschlechter zur Wahl frei, dem Mittelalter f\u00fcnf oder sechs, uns nur zwei, Dur und Moll. Jene alten Tongeschlechter boten eine Reihe verschiedener Abstufungen des Toncharakters dar, von denen in der harmonischen Musik nur noch zwei brauchbar geblieben sind. Bei dem deutlicheren und festeren Bau eines harmonischen Satzes k\u00f6nnen sich dagegen die Neueren gr\u00f6ssere Freiheit in modulatorischen Abweichungen von der urspr\u00fcnglichen Tonica erlauben, und dadurch ein neues Gebiet musikalischen Reichthums betreten, welches den Alten jedenfalls nur sehr wenig zug\u00e4nglich war.\nEndlich muss ich noch die viel besprochene Frage erw\u00e4hnen, ob die verschiedenen Tonarten an sich einen verschiedenen Charakter haben.\nDass innerhalb eines Tonst\u00fccks modulatorische Ausweichungen in die verschiedenen mehr oder weniger entfernten Tonarten der Ober- oder Unterdominantseite einen sehr verschiedenen Effect machen, ist klar. Dies ist aber nur im Gegensatz gegen die zuerst festgestellte Haupttonart der Fall. Dies w\u00e4re nur ein relativer Charakter. Die hier aufzuwerfende Frage w\u00e4re, oh ihnen unabh\u00e4ngig von ihrem Verhalten zu einer anderen Tonart ein besonderer absoluter Charakter zukommt.\nEs ist dies oft behauptet worden, aber schwer zu. entscheiden, wie viel daran wahr sei, und was eigentlich darunter verstanden werde, weil vielleicht vielerlei sehr Verschiedenes unter diesem Namen zusammengefasst wird, und namentlich nicht unterschieden worden ist, wieviel den einzelnen Instrumenten dabei zukommt. Wenn ein Instrument mit festen T\u00f6nen durchg\u00e4ngig gleichm\u00e4ssig nach der gleichschwebenden Temperatur gestimmt ist, also alle halben T\u00f6ne durch die ganze Scala hindurch gleiche Gr\u00f6sse haben, und auch die Klangfarbe aller T\u00f6ne dieselbe ist, so ist kein Grund einzusehen, warum St\u00fccke in verschiedenen Tonarten verschiedenen Charakter haben sollen, und es wurde mir auch von urteilsf\u00e4higen Musikern zugegeben, dass ein verschiedener Charakter der Tonarten auf der Orgel zum Beispiel nicht zu bemerken sei.","page":475},{"file":"p0476.txt","language":"de","ocr_de":"476 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\nDasselbe, glaubeich, behauptet Hauptmann *) Hecht vom Ges\u00e4nge mit Orgelbegleitung oder ohne Begleitung. H\u00f6chstens kann eine st\u00e4rkere Ver\u00e4nderung in der H\u00f6he der Tonica bewirken, dass s\u00e4mmtliche hohen T\u00f6ne zu angestrengt, oder s\u00e4mmtliche tiefe zu matt werden.\nDagegen ist auf den Clavieren und bei den Streichinstrumenten entschieden ein verschiedener Charakter der Tonarten vorhanden. C-Dur und das benachbarte Des-Dur klingen verschieden. Dass nun dieser Unterschied nicht von der absoluten Tonh\u00f6he abh\u00e4ngt, kann man leicht erkennen, wenn man zwei verschiedene Instrumente von verschiedener Stimmung vergleicht. Es kann das Des des tieferen Instruments gleich hoch sein mit dem C des h\u00f6heren, und doch beh\u00e4lt auf beiden C-Dur seinen kr\u00e4ftigen klaren Charakter und Des-Dur seinen weichen wie verschleierten Wohlklang. Man kann hier kaiun an etwas anderes denken, als dass der Anschlag der k\u00fcrzeren und schmalen Obertasten des Claviers eine etwas andere Klangfarbe giebt als der Anschlag der Untertasten, und je nachdem der kr\u00e4ftigere oder weichere Klang sich auf die verschiedenen Stufen der Tonart vertheilt, ein anderer Charakter eintritt. Ob dazu etwa regelm\u00e4ssige Unterschiede der Stimmung derjenigen Quinten, welche die Cla-vierstimmer zuletzt stimmen, und auf welche sich die Fehler der \u00fcbrigen Quinten des Quintencirkels zusammendr\u00e4ngen, beitragen, wage ich nicht aus Erfahrung zu entscheiden.-\nBei den Streichinstrumenten sind es die l\u00e8eren Saiten, welche durch ihre kr\u00e4ftigere Klangfarbe hervortreten, und auch vielleicht Unterschiede im Klange der stark verk\u00fcrzten und wenig verk\u00fcrzten Saiten, welche den Charakter der Tonarten \u00e4ndern k\u00f6nnen, je nachdem sie auf diese oder jene Stufe der Leiter fallen. Diese Annahme wurde mir best\u00e4tigt durch Fragen, die ich an Musiker richtete, woran sie in bestimmten F\u00e4llen die Tonart erkennen? Dazu kommen auch wohl Ungleichm\u00e4ssigkeiten der Stimmung. Die Quinten der leeren Saiten sind reine Quinten. Daneben k\u00f6nnen nicht alle anderen Quinten rein sein, wenn wirklich beim Spielen in verschiedenen Tonarten allen T\u00f6nen immer derselbe Werth gegeben wird, wie es wenigstens die Absicht beim Unterricht im Violinspiele meist zu sein pflegt. Somit werden sich also die Leitern in den verschiedenen Tonarten auch in der Stimmung\n*) Harmonik und Metrik, S. 188.","page":476},{"file":"p0477.txt","language":"de","ocr_de":"Verschiedener Charakter der Tonarten. 477\nunterscheiden k\u00f6nnen, was nat\u00fcrlich einen noch viel wesentlicheren Einfluss auf den Charakter der Melodie haben w\u00fcrde.\nNoch gr\u00f6sser sind die Unterschiede in der Klangfarbe verschiedener Noten bei den meisten Blasinstrumenten.\nWenn diese Ansicht der Sache richtig ist, w\u00fcrde sich der Charakter der Tonarten nach den verschiedenen Instrumenten sehr verschieden verhalten m\u00fcssen, was, wie ich glaube, auch der Fall ist. Indessen ist dies doch ein Punkt, der nur von einem sehr fein h\u00f6renden Musiker entschieden werden kann, wenn er auf die hier sich aufdr\u00e4ngenden Fragen sein Augenmerk richtet.\nEs w\u00e4re \u00fcbrigens nicht unm\u00f6glich, dass durch eine Eigen-th\u00fcmlichkeit des menschlichen Ohres, die ich schon oben S. 176 ber\u00fchrt habe, auch gewisse gemeinsame Z\u00fcge in dem Charakter der Tonarten eintreten, die von der Verschiedenheit der Instrumente unabh\u00e4ngig sind, und nur von der absoluten Tonh\u00f6he der Tonica abh\u00e4ngen. Das gIV ist n\u00e4mlich ein Eigenton des menschlichen Ohres, und klingt daher dem unbewaffneten Ohre besonders schrill; etwas von dieser Sch\u00e4rfe kommt auch noch dem fis!Vund aslr zu. In geringerem Maasse zeigen diejenigen Kl\u00e4nge, in denen jenes gIV als Oherton vorkommt, einen etwas helleren und sch\u00e4rferen Klang als ihre Nachbarn, n\u00e4mlich das g\"\\ d\" und g\". Es mag nun f\u00fcr St\u00fccke in C-Dur nicht gleichg\u00fcltig sein, wenn ihre h\u00f6he Quinte g\" und Tonica d\" diesen scharfen Klang vor den anderen T\u00f6nen zeigen, aber jedenfalls sind diese Unterschiede nur schwach, und ich muss es vorl\u00e4ufig dahin gestellt sein lassen, ob sie in das Gewicht fallen. ,\nAlle oder einige dieser Gr\u00fcnde machten es nun f\u00fcr die Musiker n\u00f6thig, frei \u00fcber die H\u00f6he der zu w\u00e4hlenden Tonica schalten zu k\u00f6nnen, daher denn auch schon die sp\u00e4teren Griechen ihre Tonleitern auf alle Stufen der chromatischen Scala transponirten. F\u00fcr die S\u00e4nger haben nun solche Transpositionen gar keine Schwierigkeit, sie k\u00f6nnen eben mit jedem Grundtone anfangen, und finden \u00fcberall in ihrer Stimme die Tonstufen, die dann folgen. Aber schwieriger war die Sache f\u00fcr die musikalischen Instrumente, namentlich f\u00fcr diejenigen, welche \u00fcberhaupt nur gewisse feste Tonstufen besitzen. Die Schwierigkeit f\u00e4llt aber auch selbst f\u00fcr diejenigen Instrumente nicht ganz fort, welche, wie die Streichinstrumente, zwar jede Tonstufe hervorhringen k\u00f6nnen, bei denen aber der Lernende zun\u00e4chst auf die mechanische Ein\u00fcbung der Finger angewiesen ist, um die Tonstufen richtig zu treffen, und","page":477},{"file":"p0478.txt","language":"de","ocr_de":"478 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\nerst durch eine vollendete Uebung des Spieles die F\u00e4higkeit erlangt, jeden Ton sicher spielen .zu k\u00f6nnen, wie ihn das Ohr fordert.\nIndessen auch f\u00fcr die Instrumente war das griechische System noch nicht mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, so lange man keine Ausweichungen in entferntere Tonarten ausf\u00fchrte, und sich mit wenigen Versetzungszeichen begn\u00fcgte. Bis zum Anf\u00e4nge des 17. Jahrhunderts begn\u00fcgte man sich mit zwei Erniedrigungszeichen, um die Noten B und Es zu gewinnen, und dem Zeichen ^ f\u00fcr Fis, Cis, Gis, um die Leitt\u00f6ne f\u00fcr die Tonica G, D und A zu haben. Man vermied aber die enharmonisch \u00e4hnlichen T\u00f6ne Dis, Ais, As, Des, Ges anzuwenden. Mit Hilfe des B statt H konnte man jedes Tongeschlecht nach seiner Subdominante transponiren; andere Transpositionen machte man nicht.\nIm Pythagor\u00e4ischen Systeme, welches bisZarlino im 16.Jahrhundert seine Herrschaft \u00fcber die Theorie behielt, stimmte man nur nach Quinten, also von C in Quinten aufw\u00e4rts gehend:\nC G D A E H Fis Cis Gis Dis Ais Fis His.\nWenn wir immer um zwei Quinten aufw\u00e4rts und um eine Octave zur\u00fcckgehen, so ist ein solcher Schritt j \u2022 f- \u2022 j = j gleich einer grossen Secunde. Das giebt die Noten\nCDE Fis Gis Ais His\ni 4 (4)2 (4)8 (4)4 (4)5 (4)6-\nGehen wir von C aus abw\u00e4rts in Quinten, so erhalten wir die Tonreihe\nC F B Es As Des Ges Ces Fes Bb Eses Ases Deses.\nOder wenn wir immer um zwei Quinten abw\u00e4rts und dann um eine Octave hinaufgehen, erhalten wir die T\u00f6ne C B As Ges Fes Eses Deses\ni 4 (4)2 (4)8 (4)4\t(I)5\t(4)6-\nNun ist das Intervall (-|)# = ~~ =\toder abgek\u00fcrzt:\n8\\6 _1 # 73\n9/\t2 * 74\nEs ist also der Ton His um das kleine Intervall \u2022- h\u00f6her als","page":478},{"file":"p0479.txt","language":"de","ocr_de":"Temperirte Stimmung.\t479\ndie Octave von C, und der Ton Deses ist um eben so viel niedriger als die untere Octave von C. Wenn wir nun von G und Deses in reinen Quinten aufw\u00e4rts schreiten, findet sich derselbe constante Unterschied zwischen\nG\tund\tDeses\nG\t\u00ab\tAses\nD\t\tEses\nA\t\u00bb\tBb\nE\t\u00ab\tFes\nS\t\u00ee\u00ee\tGes\nFis\t??\tSes\nCis\t)\u25a0>\tDes\nS^\t\u00bb\tAs\nDis\t\u00bb\tEs\nAis\t\u00bb\tB\nEis\t\u00ab\tF\nSis\t\tc -\nDie links stehenden T\u00f6ne sind alle um U h\u00f6her als die rechts stehenden. Unsere Notenschrift, deren Principien sich noch vor der Feststellung des modernen Tonsystems entwickelt haben, hat die Unterschiede der rechts und links stehenden T\u00f6ne festgehalten. F\u00fcr die Praxis auf Instrumenten mit festen Tonstufen wurde aber die Unterscheidung so nahe liegender Tonstufen unbequem und man suchte sie zu verschmelzen. Dies f\u00fchrte nach mancherlei unvollkommeneren Versuchen, bei denen man einzelne Intervalle mehr oder weniger ver\u00e4nderte, um die anderen rein zu erhalten, sogenannte ungleichschwebende Temperaturen, endlich zu dem System der gleichschwebenden Temperatur, bei welcher man die Octave in 12 ganz gleich grosse Tonstufen eintheilte. Wir haben gesehen, dass man vom C durch 12 reine Quinten zum Sis kommt, welches sich von dem C nur um etwa \u2014 einer halben Tonstufe, n\u00e4mlich das Intervall ^ unterscheidet. Ebenso gelangt man von G durch 12 Quinten abw\u00e4rtsgehend zum Deses, welches um eben so viel tiefer als C ist, wie Sis h\u00f6her ist. Setzt man also C = Sis \u2014 Deses, und vertheilt die kleine Abweichung von U auf alle 12 Quinten jedes Zirkels gleichm\u00e4ssig, so wird jede Quinte um etwa ^ einer halben Tonstufe unrein, eine Abweichung, die allerdings sehr klein ist. Dadurch ist alle Ver-","page":479},{"file":"p0480.txt","language":"de","ocr_de":"480 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\nschiedenheit der Tonstufen innerhalb^ einer Octave auf die zw\u00f6lf Stufen zur\u00fcckgef\u00fchrt, wie wir sie in unseren modernen Tastaturinstrumenten haben.\nDie Quinte des gleichschwebenden Syst\u00e8mes ist in m\u00f6glichst kleinen ganzen Zahlen ann\u00e4hernd ausgedr\u00fcckt gleich 4 \u2022 f|r Ihre Anwendung statt der reinen Quinte wird in der That in den seltensten F\u00e4llen einen Anstand erleiden k\u00f6nnen. Der Grundton mit seiner temperirten Quinte zusammen angeschlagen, giebt eine Schwebung in der Zeit, wo die Quinte 442|- Schwingungen macht. Da das eingestrichene ax 440 Schwingungen in derSecunde macht, so muss die temperirte Quinte dx \u2014 \u00ab^ziemlich genau eine Schwebung in der Secunde gehen. Das w\u00fcrde bei lang ausgehaltenen T\u00f6nen allerdings schon bemerkt werden k\u00f6nnen, ist aber nicht gerade st\u00f6rend, bei schneller Bewegung haben solche Schwebungen gar nicht Zeit zu Stande zu kommen. Noch weniger st\u00f6ren sie in tieferen Lagen, wo die Schwebungen in dem Verh\u00e4ltniss langsamer werden als die absoluten Schwingungszahlen abnehmen. In den h\u00f6heren Lagen aber werden sie allerdings auff\u00e4lliger ; d\"' \u2014 a\"' giebt 4 Schwebungen, a!\" \u2014 e'\" 6 Schwebungen in der Secunde; indessen so hohe Accordlagen werden selten in langsamen Noten Vorkommen, meist nur in schneller Bewegung. Die Quarten des gleichschwebend temperirten Systems sind j \u25a0 ||-. Eine Schwebung geschieht in der Zeit, wo der tiefere Ton der Quarte 221 y4 Schwingungen macht. Die Quarte a \u2014 dl macht also eine Schwebung in derSecunde, wie die Quarte dx\u2014\u00abj. Die reinen Consonanzen also, welche das Pythagor\u00e4isclie System beibeh\u00e4lt, werden in der gleichschwebenden Temperatur nicht in einer wesentlich in Betracht kommenden Weise verschlechtert. Und in der melodischen Folge der T\u00f6ne ist das Intervall 5* nahe an der\nooo\nGrenze der \u00fcberhaupt unterscheidbaren Unterschiede der Tonh\u00f6he. Nach Weber\u2019s Versuchen ist die Grenze bei ge\u00fcbten Violinspielern das Intervall 44' Be\u2122 Zusammenklingen aber kann man freilich durch die Schwebungen noch feinere Unterschiede erkennen.\nDie Terzen und Sexten der gleichschwebenden Temperatur liegen der reinen n\u00e4her als die Pythagor\u00e4ischen.","page":480},{"file":"p0481.txt","language":"de","ocr_de":"Temperirte Stimmung.\n481\n\tRein\tGleichschwebend\t\t\t\tPythagor\u00e4isch\t\nGrosse Terz . . .\t5\t\t5\t127\t\t_\u00d6\t81\n\t4 _\t\t4\t126\t\t4\t80\nKleine Sexte . . .\t_8\t\t8\t126\t\t_8_\t80\n\t5\t\t5\t127\t\t5\t81\nKleine Terz . . .\t6\t\t6\t121\t\t\t80\n\t5\t\t5\t122\t\t5\t81\nGrosse Sexte . . .\t5\t\t5\t122\t\t5\t81\n\t3\t\t3\t121\t\t3\t80\nHalber Ton . . .\t16 15\t18 17\toder\t16 . 15 *\t147 148\t21 , 16 80 20 0C*er 15* 81\t\nDie durch die Obert\u00f6ne bewirkte Dissonanz f\u00e4llt deshalb bei den gleichschwebenden Terzen etwas milder aus als bei den Py-thagor\u00e4ischen, aber ihre Combinationst\u00f6ne sind wohl noch unangenehmer. F\u00fcr die Pythagor\u00e4ischen Terzen c' \u2014 e' und e' \u2014 g' sind die Combinationst\u00f6ne . Cis und H, beide um einen halben Ton verschieden von dem Combinationst\u00f6ne C, der bei reiner Stimmung von beiden Terzen hervorgebracht wird. Im Mollaccord e' \u2014 (j \u2014 h' sind die Combinationst\u00f6ne der Pythagor\u00e4ischen Terzen Hi und Gis ; der erste passt gut, sogar besser als der Com-binationston C, der bei reiner Stimmung hervortritt. Der zweite Combinationston Gis dagegen geh\u00f6rt nicht dem Mollaccorde von E, sondern dem Duraccorde an. Da aber von den beiden Com-binationst\u00f6nen der reinen Stimmung C und G auch einer falsch ist, so ist in dieser Beziehung die Pythagor\u00e4ische Stimmung nicht gerade im Nachtheil. Die Combinationst\u00f6ne der gleichschwebenden Terzen liegen nun zwischen denen der reinen und denen der Pythagor\u00e4ischen Terzen um weniger als einen halben Ton von denen der reinen Temperatur entfernt; sie entsprechen also keiner m\u00f6glichen Modulation, keinem Tone der chromatischen Scala, keiner Dissonanz, die durch irgend eine Melodief\u00fchrung eintreten k\u00f6nnte, sie klingen eben einfach verstimmt und falsch.\nDiese schlechten Combinationst\u00f6ne sind mir immer das Qu\u00e4lendste gewesen in der Harmonie der gleichschwebenden Temperatur; namentlich wenn in hoher Lage nicht zu schnelle Terzeng\u00e4nge gespielt werden, bilden sie eine abscheuliche Art Grundbass dazu, der um so unangenehmer ist, als er dem richtigen Grund-\nH e 1 m h o 11 z , phys. Theorie der Musik,\tg j","page":481},{"file":"p0482.txt","language":"de","ocr_de":"482 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\nbass ziemlich nahe kommt und so klingt, als w\u00fcrde dieser von einem ganz verstimmten Instrumente ausgef\u00fchrt. Am deutlichsten h\u00f6rt man sie an der Physharmonica und an Violinen. Hier bemerkt sie auch jeder Musiker und jeder ge\u00fcbte musikalische Dilettant sogleich, wenn man ihn darauf aufmerksam macht. Wenn man sich aber erst gew\u00f6hnt hat sie zu h\u00f6ren, treten sie auch auf dem Clavier hervor. In der griechischen Stimmung fallen die Combi-nationst\u00f6ne mehr so, als wenn jemand absichtlich Dissonanzen dazu spielte. Was von diesen beiden Ueheln das geringere sei, wage ich nicht zu entscheiden. In tieferer Lage, wo man die zu tief hegenden Combinationst\u00f6ne schwer oder gar nicht h\u00f6rt, verdienen jedenfalls die gleichschwebenden Terzen den Vorzug vor den griechischen, weil sie weniger rauh sind, weniger Schwebungen geben. In hoher Lage dagegen wird ihr Vorzug durch die Combinationst\u00f6ne vielleicht wieder aufgehoben. Jedenfalls ist aber das gleichschwebende System alles zu leisten im Stande, was das Py-thagor\u00e4ische leistete, und zwar mit Weniger Mitteln.\nC. E. Naumann*), der neuerlich das Pythagor\u00e4ische System dem gleichschwebenden gegen\u00fcber vertheidigt hat, legt das Hauptgewicht seiner Gr\u00fcnde darauf, dass die halben T\u00f6ne, welche den aufw\u00e4rts steigenden Leitton von der Tonica trennen und die absteigende kleine Septime von der Terz des Aufl\u00f6sungsdreiklangs, im Pythagor\u00e4ischen System kleiner sind, n\u00e4mlich JJ, als im gleichschwebenden, wo sie betragen; am gr\u00f6ssten sind sie in der reinen Stimmung, n\u00e4mlich W\u00e4hrend nun in der gleichschwebenden Temperatur zwischen / und g ein einziger Ton liegt, der bald als fis Leitton f\u00fcr g, bald als ges eine nach / sich aufl\u00f6sende Septime darstellt, so wird in der Pythagor\u00e4ischen Stimmung ges etwas tiefer als fis; es n\u00e4hert sich also der Halbton derjenigen Seite, nach welcher er sich in regelm\u00e4ssiger Fortschreitung aufzul\u00f6sen hat, und die Tonh\u00f6he w\u00fcrde f\u00fcr die Richtung der Aufl\u00f6sung bezeichnend sein. Aber wenn auch der Leitton eine wichtige Rolle in den Modulationen spielt, so ist es doch wohl klar, dass wir nicht berechtigt sind, bloss um ihn seiner Aufl\u00f6sung n\u00e4her zu r\u00fccken, die betreffende Tonstufe willk\u00fcrlich zu ver\u00e4ndern. Wir w\u00fcrden sonst keine Grenze finden ihn dem Aufl\u00f6sungston immer\n*) Ueber die verschiedenen Bestimmungen der Tonverh\u00e4ltnisse. Leipzig 1858.","page":482},{"file":"p0483.txt","language":"de","ocr_de":"Temperirte Stimmung.\t483\nnoch n\u00e4her und n\u00e4her zu r\u00fccken, wie im enharmonischen Ge-schlechte der Griechen. Wenn man aber wirklich von demPytha-gor\u00e4ischen halben Ton, der etwa A des nat\u00fcrlichen betr\u00e4gt, auf einen noch kleineren von j etwa (yf * |f * ff) herabgeht, so klingt ein solcher Leitton schon ganz unnat\u00fcrlich. Wir haben schon fr\u00fcher gesehen, wie der Charakter des Leittons wesentlich davon abh\u00e4ngt, dass es derjenige Ton der Scala ist, der die schw\u00e4chste Verwandtschaft zur Tonica hat,-dessen Stimmung deshalb am unsichersten ist, und am ehesten etwas ver\u00e4ndert werden kann. Wir d\u00fcrfen also gerade von einem solchen Ton am allerwenigsten das Princip f\u00fcr die Einrichtung unserer Tonleiter hernehmen.\nDer Hauptfehler unserer gegenw\u00e4rtigen temperirten Stimmung liegt also nicht in den Quinten ; denn deren Unreinheit ist wirklich nicht der \u00dfede werth, und macht sich auch in Accorden kaum bemerklich. Der Fehler liegt vielmehr in den Terzen, und zwar ist er nicht veranlasst dadurch, dass man die Terzen durch eine Folge unreiner Quinten bestimmt hat, sondern es ist der alte Fehler des Pythagor\u00e4ischen Systems, dass man \u00fcberhaupt die Terzen mittels einer aufsteigenden Folge von vier Quinten bestimmt. Die reinen Quinten sind hier sogar noch schlimmer als die unreinen. Die nat\u00fcrliche Verwandtschaft der Terz zur Tonica beruht in dem Schwingungsverh\u00e4ltniss i, sowohl melodisch als harmonisch. Jede andere Terz kann nur ein mehr oder weniger ungen\u00fcgendes Surrogat f\u00fcr die nat\u00fcrliche Terz sein. Das einzige richtige Tonsystem ist dasjenige, welches in der von Hauptmann vorgeschlagenen Weise die durch Quinten hervorgebrachten T\u00f6ne von den durch Terzen hervorgebrachten unterscheidet. Da es nun f\u00fcr eine grosse Zahl von theoretischen Fragen von Wichtigkeit ist, Beobachtungen anstellen zu k\u00f6nnen an T\u00f6nen, welche wirklich die theoretisch geforderten nat\u00fcrlichen Intervalle mit einander bilden, um nicht get\u00e4uscht zu werden durch die Unvollkommenheiten der gleichschwebenden Temperatur, so habe ich versucht, ein Instrument herstellen zu lassen, welches im Stande ist, durch alle Tonarten in reinen Intervallen moduliren zu k\u00f6nnen.\nM\u00fcssten wir wirklich das System der T\u00f6ne, wie es Haupt-mann unterscheidet, in ganzer Vollst\u00e4ndigkeit hersteilen, um reine Intervalle in allen Tonarten zu haben, so w\u00fcrde es freilich kaum m\u00f6glich sein, die Schwierigkeit der Aufgabe zu bew\u00e4ltigen. Gl\u00fccklicher Weise l\u00e4sst sich eine sehr grosse und wesentliche Vereinfachung\n81*","page":483},{"file":"p0484.txt","language":"de","ocr_de":"484 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\ndarin erzielen mittels des Kunstgriffs, den urspr\u00fcnglich die arabisch - persischen Musiker erfunden haben, und den wir oben S. 433 schon erw\u00e4hnten.\nWir haben gesehen, dass die durch Quinten erzeugten und mit grossen Buchstaben C \u2014 G \u2014 D \u2014 A u. s. w. bezeichneten T\u00f6ne des Hauptmann\u2019sehen Systems um das Intervall|1 oder ein Pythagor\u00e4isches Komma h\u00f6her sind, als die durch Terzen erzeugten gleichnamigen T\u00f6ne c \u2014 g \u2014 d \u2014 a. Wir haben ferner gesehen, dass, wenn wir von H durch eine Reihe von 12 Quinten herabgehen bis Des, der letztere Ton, in die richtige Octave verlegt, um das Intervall tiefer ist als II. Es ist also H : h = 81 : 80 H : Ges \u2014 74 : 73.\nDiese beiden Intervalle sind nahehin gleich; 7ust etwas h\u00f6her als Ces, aber nur im Verh\u00e4ltniss\nCes : h = 5913 : 5920\noder angen\u00e4hert nach der Reduction durch Kettenhr\u00fcche :\nCes : h = 845 : 846.\nDer Unterschied zwischen Ces und h ist also etwa so gross, wie zwischen der reinen und temperirten Quinte desselben Tons.\nNun ist h die reine Terz von G; gehen wir von G durch Quinten r\u00fcckw\u00e4rts bis Ces\nG \u2014 0 \u2014 F \u2014 B \u2014 Es \u2014 As \u2014 Bes \u2014 Ges \u2014 Ces so m\u00fcssen wir dazu 8 Quintenschritte machen. Machen wir diese Quinten alle etwas zu gross, n\u00e4mlich um A des sehr kleinen Intervalls so wird Ces = h werden. Da nun das Intervall Ulan der Grenze der wahrnehmbaren Tonunterschiede liegt, so wird der achte Theil dieses Intervalls gar nicht mehr in Betracht kommen, und wir k\u00f6nnen also folgende T\u00f6ne des Hauptmann\u2019schen Systems identificiren, indem wir von Ces \u2014 h in Quinten fortschreiten :\nFes \u2014 e Ces \u2014 h Ges = fis Bes = cis As = gis Es \u2014 dis B \u2014 ais.","page":484},{"file":"p0485.txt","language":"de","ocr_de":"Harmonium mit nat\u00fcrlicher Stimmung.. 485\nUnter den musikalischen Instrumenten ist die Physharmonica wegen ihrer gleichm\u00e4ssig anhaltenden T\u00f6ne, wegen der Sch\u00e4rfe ihrer Klangfarbe, und wegen der ziemlich deutlichen Combina-tionst\u00f6ne besonders empfindlich gegen Ungenauigkeiten der Stimmung. Dieselbe l\u00e4sst aber eine sehr feine und dauerhafte Stimmung ihrer Zungen zu, so dass sie mir besonders g\u00fcnstig erschien zu den Versuchen \u00fcber ein reineres Tonsystem. Ich habe deshalb an einer Physharmonica der gr\u00f6sseren Art*) mit zwei Manualen ein ^Register Zungen, welches dem unteren Manuale, und eines, welches dem oberen angeh\u00f6rt, in der Weise stimmen lassen, dass ich mit Benutzung der T\u00f6ne beider Manuale die Duraccorde von Ahs-Dur bis A\u00efs-I)ur rein herstellen konnte. Die Vertheilung der T\u00f6ne ist folgende:\nFes\u2014as\u2014Ces\u2014es\u2014Ges\u2014b\u2014Des\u2014f\u2014As\u2014c\u2014Es\u2014g\u2014B\u2014d\u2014F\u2014a\u2014G Unteres\" Manual.\tOberes Manual.\na\u2014C\u2014e\u2014 G\u2014h\u2014D \u2014fis\u2014A\u2014 cis \u2014E\u2014 gis\u2014H\u2014dis\u2014Fis\u2014ais\u2014 Gis\u2014 eis Unteres Manual.\tOberes Manual.\nDas Instrument giebt also 15 Duraccorde und ebenso viele Moll-accorde, in denen die grossen Terzen ganz rein, die Quinten aber um V8 desjenigen Intervalls zu hoch sind, um welches sie in der gleichschwebenden Temperatur zu niedrig sind. Man hat im unteren Manuale die ganze Tonleiter von G'es-Dur und Cr-Dur vollst\u00e4ndig, im oberen die ganze Leiter von .As-Dur und AADur. Es sind \u00fcberhaupt alle Durtonarten zwischen C'es-Dur und AZ-Dur vollst\u00e4ndig vorhanden, und man kann sie alle rein in der nat\u00fcrlichen Tonleiter ausf\u00fchren; will man aber einerseits \u00fcber AA-Dur, andererseits \u00fcber C'es-Dur hinaus moduliren, so muss man eine wirkliche enharmonische Verwechselung zwischen H und Ces ausf\u00fchren, wobei sich die Tonh\u00f6he merklich \u00e4ndert (um ein Komma gl). Von Molltonarten ist auf dem unteren Manual h- oder Ces-Moll vollst\u00e4ndig, auf dem oberen dis- oder i?s-Moll **).\n*) Von den Herren J. und P. Schiedmayer in Stuttgart.\n**) Die Einstimmung des Instrumentes hat sich als sehr leicht ergeben. Herr Schiedmayer kam gleich beim ersten Versuch nach folgender Vorschrift damit zu Stande: Von A ausgehend wurden auf dem unteren Manuale die Quinten D \u2014 A, G \u2014 D, C\u2014 G ganz rein gestimmt, wodurch","page":485},{"file":"p0486.txt","language":"de","ocr_de":"486 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\nF\u00fcr die Molltonarten ist die Reihe dieser T\u00f6ne nicht ganz so gen\u00fcgend, wie f\u00fcr die Durtonarten. Da n\u00e4mlich die Dominante der Molltonarten Quinte eines Mollaccordes und Grundton eines Duraccordes ist, die Mollaccorde aber der Regel nach zu schreiben sind wie: a \u2014 G \u2014 e, dieDuraccorde wie: Fes \u2014 as \u2014 Ces, so muss die betreffende Dominante im ersten Accorde mit einem kleinen, im zweiten mit einem grossen Buchstaben geschrieben werden k\u00f6nnen, d. h. sie muss einer von den enharmonisch zu verwechselnden T\u00f6nen sein, wie in dem gegebenen Beispiele, wo e mit Fes identisch ist. Also haben wir auf dem Instrumente vollst\u00e4ndig rein die Molltonarten:\n1)\ta- oder D\u00f6-Moll:\td~F\u2014a\u2014C\u2014e\nFes \u2014 as \u2014 Ces ;\n2)\te-- oder .Fes-Moll: a\u2014C\u2014e\u2014G \u2014 h\nCes \u2014 es \u2014 Ges ;\n3)\th- oder Ges-Moll: e\u2014 G\u2014h \u2014 D\u2014fis\nGes \u2014 b \u2014 Des ;\n4)\tfis- oder 6res-Moll: h \u2014 D\u2014fis \u2014 A \u2014 cis\nBes\u2014/\u2014As;\n5)\tcis- oder Des-Moll: fis \u2014 A \u2014 cis \u2014 E\u2014gis\nAs \u2014 c\u2014 Ds;\n6)\tgis- oder As-Moll: cis \u2014E \u2014gis \u2014H\u2014dis\nEs\u2014g \u2014 B\\\n7)\tdis- oder Ds-Moll: gis \u2014 H\u2014dis \u2014 Fis \u2014 ais\nB-d \u2014 F;\n8)\tais- oder D-Moll: dis \u2014 Fis \u2014 ais \u2014 Cis \u2014 eis\nF-a-C.\nman die T\u00f6ne C, ff, I) erhielt. Dann die Duraccorde C \u2014 e \u2014 ff, ff \u2014 h, D, D\u2014\u00dfs \u2014 A, was die drei T\u00f6ne e, h, fis ergab, endlich die Quinte fis \u2014 cis, um cis zu erhalten. Indem man nun e \u2014Fes, h = Ces, fis= Ges, cis=Des setzt, stimmt man die Duraccorde Fes \u2014 as \u2014 Ces, Ces \u2014 es\u2014Ges, Ges \u2014 6\u2014 Des mit reinen Terzen, bis man keine Schwebungen mehr h\u00f6rt, endlich die Quinte b \u2014 f. Dann sind alle T\u00f6ne des unteren Manuals bestimmt. Im oberen stimmt man zun\u00e4chst E, die Quinte des unteren A, und die drei Duraccorde E\u2014gis \u2014 H, H\u2014dis\u2014Fis, Fis \u2014ais \u2014Cis, und die Quinte ais\u2014eis. Dann indem man gis = As, dis = Es, ais=B, eis = F setzt, noch die Terzen in den Duraccorden: As\u2014c\u2014Es, Es\u2014g\u2014B, B\u2014d\u2014Fy und die Quinte d \u2014 a. Dann sind alle T\u00f6ne bestimmt. Dies Stimmen ist viel leichter, als wenn man eine Reihe gleich temperirt\u00ear T\u00f6ne herstellen soll.","page":486},{"file":"p0487.txt","language":"de","ocr_de":"Harmonium mit nat\u00fcrlicher Stimmung. 487\nYon diesen sind die sechs letzten Grundt\u00f6ne Ges bis B auch gleichzeitig mit der Durtonleiter versehen. Vollst\u00e4ndige Molltonleitern finden wir also auf allen Stufen der /i-Durtonleiter und e-Durtonleiter ; vollst\u00e4ndige Moll- und Durscalen auf allen Stufen der \u00c4-Durtonleiter, mit Ausnahme von e.\nIch hatte bei vorl\u00e4ufigen Versuchen an einer anderen Phys-harmonica, wo mir nur innerhalb einer zwei Registern gemeinsamen Octave die doppelten T\u00f6ne zu Gebote standen, erwartet, dass man es sehr wenig merken w\u00fcrde, wenn die \u00fcbrigen Molltonarten entweder mit einer etwas zu hohen pythagor\u00e4ischen Septime versehen w\u00fcrden, oder vielleicht selbst die an sich schon etwas getr\u00fcbten Mollaccorde in pythagor\u00e4ischer Stimjnung ausgef\u00fchrt w\u00fcrden. Wenn man vereinzelte Mollaccorde anschl\u00e4gt, merkt man den Unterschied auch nur wenig. Aber wenn man sich durch l\u00e4ngere Reihen rein gestimmter Accorde bewegt, und das Ohr an deren Klang gew\u00f6hnt hat, so wird man gegen einzelne eingemischte unreinere so empfindlich, dass sie eine recht merkliche St\u00f6rung hervorbringen.\nAm wenigsten st\u00f6rt es noch, wenn wir die Septime, den Leitton, in pythagor\u00e4ischer Stimmung nehmen, da diese, wenigstens in neueren Compositionen, fast nur im Dominantseptimenaccorde oder anderen dissonanten Accorden vorkommt. In einem reinen Duraccorde freilich klingt sie sehr hart. In einem dissonanten Accorde st\u00f6rt sie weniger, namentlich da durch die etwas h\u00f6here Lage ihre Natur als Leitton der Tonart mehr hervorgehoben wird. Dagegen habe ich Mollaccorde mit pythagor\u00e4ischen Terzen entschieden unertr\u00e4glich gefunden, wenn sie zwischen rein gestimmte Dur- und Mollaccorde eingemischt werden. L\u00e4sst man also die hohe Septime im Dominantseptimenaccorde zu, so lassen sich noch folgende Molltonarten bilden :\n9) d-Moll: g\u2014'B \u2014d\u2014F \u2014 a\u2014cis\u2014e-,\n-10) 0-Moll:\tc \u2014\tEs \u2014\tg\t\u2014\tB\t\u2014 d\t\u2014fis\u2014\ta;\n11)\tc-Moll:\t/ \u2014\tAs \u2014\tc\t\u2014\tEs\t\u2014 g\t\u2014\th\t\u2014\td\\\n12)\t/-Moll:\tb \u2014\tDes\u2014\tf\t\u2014\tAs\t\u2014 c\t\u2014\te\t\u2014\tg\\\n13)\t6-Moll:\tes\u2014\tGes\u2014\tb\t\u2014\tBes \u2014 f\t\u2014\ta\t\u2014\tc\\\n14)\tes-M oll: as\u2014 Ges \u2014 es\u2014 Ges\u2014 b \u2014 d \u2014 /.\nIn der vorigen Reihe hatten wir schon B- und j&\u2019s-Moll. So schliesst sich die Reihe der Molltonarten auch wieder zusammen,","page":487},{"file":"p0488.txt","language":"de","ocr_de":"488 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\ndass bei enharmonischer Verwechselung ihre Enden in einander \u00fcbergehen.\t'\nIn den meisten F\u00e4llen lassen sich musikalische S\u00e4tze, welche man in diesem Stimmungssystem auszuf\u00fchren w\u00fcnscht, so trans-poniren, dass man nicht gezwungen ist, enharmonische Verwechselungen zu machen, wenn die Breite ihrer Modulationen zwischen verschiedenen Tonarten nicht zu gross ist. Kann man enharmonische Verwechselungen nicht vermeiden, so muss man sie an solche Stellen zu bringen suchen, wo zwei nicht verwandte Accorde auf einander folgen. Am besten sind sie zwischen dissonanten Accorden zu machen. Nat\u00fcrlich muss mindestens eine enharmonische Verwechselung jedes Mal gemacht werden, wo ein Satz durch den ganzen Quintenkreis herumgeht, von C-Dur also etwa bis /As-Dur. Aber Hauptmann hat wohl recht, wenn er einen solchen Kreislauf der Modulation als eine unnat\u00fcrliche K\u00fcnstelei betrachtet, die nur durch die Ungenauigkeit unseres Tonsystems mit temperirter Stimmung \u00fcberhaupt m\u00f6glich ist. ' Ein solches Verfahren muss jedenfalls im H\u00f6rer das Gef\u00fchl f\u00fcr die Einheit derTonica zerst\u00f6ren; denn wenn auch Ilis der Tonh\u00f6he nach dem C sehr nahe liegt, oder ihm unrechtm\u00e4ssiger Weise sogar ganz gleich gemacht wird, so kann im H\u00f6rer doch das Gef\u00fchl f\u00fcr die vorige Tonica nur dadurch wieder hergestellt werden, dass er die Modulationsschritte wieder zur\u00fcck macht, die er anfangs vorw\u00e4rts gemacht hatte. Die Erinnerung an die absolute Tonh\u00f6he der ersten Tonica C kann er nach l\u00e4ngeren Modulationen, wenn er in His angekommen ist, unm\u00f6glich noch so genau bewahren-, dass er beide als gleich anerkennen k\u00f6nnte. F\u00fcr ein feines k\u00fcnstlerisches Gef\u00fchl muss doch JElis immer eine Tonica sein, die fern ab von C auf dessen Dominantseite liegt; oder, was wahrscheinlicher ist, es wird bei einer so weiten Modulation g\u00e4nzliche Verwirrung des Gef\u00fchls f\u00fcr die Tonalit\u00e4t eingetreten sein, und es wird nachher ganz gleichg\u00fcltig sein, in welcher Tonart das St\u00fcck endet. Ueherhaupt ist der \u00fcberm\u00e4ssige Gebrauch frappanter Modulationen ein billiges und leicht zu handhabendes Mittel der neueren Tonsetzer, um ihre S\u00e4tze pikant und farbenreich zu machen. Aber von Gew\u00fcrz kann man nicht leben, und die Folge des unruhigen Modulirens ist fast immer, dass der k\u00fcnstlerische Zusammenhang des Satzes aufgehoben wird. Man darf nicht vergessen, dass die Modulationen nur ein Mittel sein d\u00fcrfen, um durch den Gegensatz das Beharren in der Tonica und die R\u00fcck-","page":488},{"file":"p0489.txt","language":"de","ocr_de":"Harmonium mit nat\u00fcrlicher Stimmung. 489\nkehr in diese hervorzuheben, oder um einzelne besondere Ausdruckseffecte zu erreichen.\nDa die Instrumente mit zwei Manualen zu jedem Manual zwei besondere Zungenreihen zu haben pflegen, von denen f\u00fcr die bisher beschriebene Stimmung nur je eine in Anspruch genommen war, so babe ich die beiden anderen (ein 8f\u00fcssiges und ein 16f\u00fcs-siges Register) auf die gew\u00f6hnliche Weise in gleichschwebender Temperatur stimmen lassen, wodurch die Vergleichung der Wirkungen dieser Stimmung und der reinen sehr leicht wird, indem man nur die Registerz\u00fcge umzustellen hat, um denselben Accord in der einen oder anderen zu h\u00f6ren*).\nWas nun die musikalischen Wirkungen der reinen Stimmung betrifft, so ist der Unterschied zwischen dieser und der gleichschwebenden oder der griechischen Stimmung nach reinen Quinten doch sehr bemerklich. Die reinen Accorde, namentlich die Duraccorde in ihren g\u00fcnstigen Lagen, haben trotz der ziemlich scharfen Klangfarbe der Zungent\u00f6ne einen sehr vollen und gleichsam ges\u00e4ttigten Wohlklang; sie fliessen in vollem Strome ganz ruhig hin, ohne zu zittern und zu schweben. Setzt man gleichschwebende oder pythagor\u00e4ische Accorde daneben, so erscheinen diese rauh, tr\u00fcbe, zitternd und unruhig. Der Unterschied ist gross genug, dass Jeder, er mag musikalisch gebildet sein oder nicht, ihn gleich bemerkt. Septimenaccorde in reiner Stimmung ausgef\u00fchrt, haben ungef\u00e4hr denselben Grad von Rauhigkeit, wie ein gew\u00f6hnlicher Duraccord in gleicher Tonh\u00f6he und temperirter Stimmung. Am gr\u00f6ssten und unangenehmsten ist die Differenz zwischen nat\u00fcrlichen und temperirten Accorden in den h\u00f6heren Octaven der Scala, weil hier die falschen Combinationst\u00f6ne der temperirten Stimmung sich merklicher machen, und weil die Zahl der Schwebungen bei gleicher Tondiffarenz gr\u00f6sser wird, und die Rauhigkeit sich viel mehr verst\u00e4rkt, als in tieferer Lage.\nEin zweiter Umstand von wesentlicher Wichtigkeit ist, dass die Unterschiede des Klanges zwischen Duraccorden und Moll-accorden, zwischen verschiedenen Umlagerungen der Accorde gleicher Art, zwischen Oonsonanzen und Dissonanzen viel ent-\n*) Vorschl\u00e4ge zu Anordnungen, welche die Tonreihe dieses Stimmungssystems vollst\u00e4ndiger machen, und die Spielart wesentlich erleichtern, indem sie nur ein Manual n\u00f6thig machen, sind in Beilage Nro. XIII gegeben.","page":489},{"file":"p0490.txt","language":"de","ocr_de":"490 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\nschiedener und deutlicher hervortreten, als in der gleichschwebenden Stimmung. Die Modulationen werden deshalb viel ausdrucksvoller, als sie es gew\u00f6hnlich sind. Manche feine Schatti-rungen werden f\u00fchlbar, die sonst fast verschwinden, namentlich die auf den Umlagerungen der Duraccorde beruhenden, w\u00e4hrend andererseits die Intensit\u00e4t der sch\u00e4rferen Dissonanzen durch den Contrast mit den reinen Accorden viel mehr gesteigert wird. Der verminderte Septimenaccord z. B., der in der neuesten Musik so viel gebraucht wird, streift hei reiner Stimmung der \u00fcbrigen Accorde fast an die Grenze des Unertr\u00e4glichen.\nDie modernen Musiker, welche mit seltenen Ausnahmen niemals andere Musik geh\u00f6rt haben als solche, die in temperirter Stimmung ausgef\u00fchrt ist, gehen meist sehr leicht \u00fcber die Ungenauigkeiten der temperirten Stimmung hinweg. Die Ungenauigkeiten der Quinten sind sehr klein, das ist ganz richtig, und von den Terzen pflegt man zu sagen, dass sie eine weniger vollkommene Consonanz sind, als die Quinte, und deshalb weniger empfindlich gegen Verstimmung, als die Quinten. Das Letztere ist wieder richtig, so lange es auf einstimmige Musik beschr\u00e4nkt wird, in welcher die Terzen nur als melodische Intervalle Vorkommen, nicht als harmonische. In einem consonirenden Dreiklange aber ist jeder Ton gleich empfindlich gegen Verstimmung, wie Theorie und Erfahrung \u00fcbereinstimmend zeigen, und der schlechte Klang der temperirten Dreikl\u00e4nge beruht wesentlich auf den unreinen Terzen.\nDar\u00fcber kann keine Frage sein, dass das System der temperirten Stimmung durch seine Einfachheit ganz ausserordentliche Vorz\u00fcge f\u00fcr die Instrumentalmusik hat, dass jedes andere System einen ausserordentlich viel complicirteren Mechanismus der Instrumente bedingen und ihre Handhabung betr\u00e4chtlich erschweren w\u00fcrde, und dass daher die hohe Ausbildung der modernen Instrumentalmusik nur unter der Herrschaft des temperirten Stimmungssystems m\u00f6glich geworden ist. Aber man muss nicht glauben, dass der Unterschied zwischen dem temperirten und dem nat\u00fcrlichen System eine mathematische Spitzfindigkeit sei, die keinen praktischen Werth habe. Dass dieser Unterschied auch f\u00fcr die Ohren selbst wenig musikalischer Leute auffallend-genug ist, zeigt die wirkliche Beobachtung an einem passend gestimmten Instrumente augenblicklich. Dass \u00fcbrigens die \u00e4lteren Musiker, welche noch an die reinen Intervalle des damals sehr sorgf\u00e4ltig","page":490},{"file":"p0491.txt","language":"de","ocr_de":"Nachtheile der temperirten Stimmung. 491\neinge\u00fcbten Gesanges gew\u00f6hnt waren, ebenso f\u00fchlten, sieht man sogleich, wenn man einen Blick auf musikalische Schriften aus der zweiten H\u00e4lfte des 17. und der ersten des 18. Jahrhunderts wirft, in welcher Zeit \u00fcber die Einf\u00fchrung der temperirten Stimmungen verschiedener Art hin und her gestritten wurde, wo man Methoden \u00fcber Methoden ausdachte und wieder verwarf, um der Schwierigkeit zu entgehen, und die k\u00fcnstlichsten Formen f\u00fcr Instrumente ersann, um die enharmonischen Unterschiede der Tonstufen praktisch ausf\u00fchren zu k\u00f6nnen. Praetorius*) berichtet von einem Universalclavicymbel, welches er bei Kaiser Rudolph\u2019s II. Hoforganisten in Prag sah, und das in 4 Octaven 77 Claves hatte, also 19 in der Octave, indem nicht nur die Ohertasten alle verdoppelt waren, sondern auch noch zwischen e und/, sowie zwischen h und c T\u00f6ne eingeschoben waren. In den \u00e4lteren Stimmungsvorschriften wurde eine Anzahl T\u00f6ne gew\u00f6hnlich nach Quinten gestimmt, die etwas unter sich schwebten, dazwischen andere als reine grosse Terzen. Die Intervalle, auf welche die Fehler sich zusammenh\u00e4uften, hiessen die W\u00f6lfe. Praetorius sagt: \u201ees ist zum Besten, dass der Wolf mit seinem widrigen Heulen im Walde bleibe und unsere harmonicas concordantias nicht intertur-bire.\u201c Auch Rameau, der sp\u00e4ter am meisten zur Einf\u00fchrung der gleichschwebenden Temperatur beigetragen hat, vertheidigte im Jahre 1726**) noch eine andere Art der Stimmung, bei welcher die Terzen der gebr\u00e4uchlicheren Tonarten auf Kosten der Quinten und auf Kosten der ungebr\u00e4uchlicheren Tonarten rein gehalten wurden. Man stimmte n\u00e4mlich von G aus in Quinten aufw\u00e4rts, die man aber zu klein machte, so dass die vierte Quinte, statt E zu sein, die reine Terz von G, n\u00e4mlich e \u2014 Fes wurde. Dann ebenso weiter bis die vierte Quinte statt auf As auf as, die reine Terz des Ees fiel. Die vier Quinten zwischen diesem as und G musste man aber nothwendig zu gross machen, weil nicht as, sondern As um vier reine Quintenstufen von C entfernt ist. Diese Stimmung giebt rein die Terzen C \u2014 e, G \u2014 h, D\u2014fis, E\u2014gis, wenn man aber von E nach der Oberdominantseite weiter geht, oder von C nach der Unterdominantseite, findet man Terzen, die immer schlechter und schlechter werden; der Fehler der Quinten ist etwa drei Mal so gross als in der temperirten Stimmung.\n*) Syntagma musicum, II, Cap. XI, p. 63.\n**) Nouveau Syst\u00e8me de Musique, Chap. XXIV.","page":491},{"file":"p0492.txt","language":"de","ocr_de":"492 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\nDieses System konnte d\u2019Alembert noch 1762 als das gew\u00f6hnlich in Frankreich gebrauchte bezeichnen gegen\u00fcber dem gleichschwebenden, welches Rameau sp\u00e4ter vorgeschlagen hatte. Eine lange Reihe anderer Stimmungssysteme findet manbeiMarpurg *)aufge-z\u00e4hlt. Da m$n sich nun einmalbeim Gebrauche solcher Instrumente, die nur 12 T\u00f6ne in der Octave haben, dazu gen\u00f6thigt sah, eine Reihe falscher Intervalle zu ertragen, und sich an diese gew\u00f6hnen musste, so war es freilich besser, wenn man sich entschloss, die wenigen reinen Terzen, die man noch in der Scala hatte, ganz aufzugeben, und alle Intervalle gleicher Art gleich unrein zu machen. Nat\u00fcrlich st\u00f6rt es viel mehr, wenn man neben reinen Intervallen sehr verstimmte zu h\u00f6ren bekommt, als wenn alle mittelm\u00e4ssig verstimmt sind, und der Contrast der reinen Intervalle ganz fortf\u00e4llt. Ueber den Vorzug der gleichschwebenden Temperatur vor den anderen sogenannten ungleichschwebenden Temperaturen kann also kein Zweifel sein, sobald man sich praktisch auf 12 Tonstufen innerhalb der Octave beschr\u00e4nken muss, und so ist diese Stimmungsweise schliesslich auch die allein herrschende geworden. Nur die Streichinstrumente mit ihren vier reinen Quinten G\u2014G\u2014D\u2014A\u2014E weichen noch davon ab.\nIn Deutschland fing man noch fr\u00fcher als in Frankreich an, die gleichschwebende Temperatur zu gebrauchen. Mathe son in dem 1725 erschienenen zweiten Bande seiner Critica Musica nennt Neidhard und Werckmeister als die Erfinder dieser Temperatur**). Sebastian Bach hat sie f\u00fcr das Clavier schon angewendet, wie man aus einer von Marpurg berichteten Aeusserung Kirnberger\u2019s schliessen muss, welcher sagt, als Sch\u00fcler vom \u00e4lteren Bach habe er dessen Clavier stimmen m\u00fcssen, und habe s\u00e4mmtliche Terzen etwas zu hoch machen m\u00fcssen. Sebastian\u2019s Sohn Emanuel, der als Clavierspieler ber\u00fchmt war und 1753 ein seiner Zeit massgebendes Werk \u201e\u00fcber die wahre Art das Clavier zu spielen\u201c herausgegeben hat, verlangt f\u00fcr dieses Instrument durchaus die gleichschwebende Temperatur.\n*) Versuch \u00fcber die musikalische Temperatur. Breslau 1776.\n**) Seite 162 des angef\u00fchrten Werkes. Ich finde bei Forkel folgende Werke beider Autoren angef\u00fchrt: Neidhard, K\u00f6nigl. Preu\u00dfischer Capell-meister, die beste und leichteste Temperatur des Monochordi. Jena 1706. Sectio canonis harmonici. K\u00f6nigsberg 1721. Werckmeister, Organist zu Quedlinburg, geb. 1645. Musikalische Temperatur. Frankfurt und Leipzig 1691.","page":492},{"file":"p0493.txt","language":"de","ocr_de":"Nachtheile der temperirten Stimmung. 493\nDie \u00e4lteren Versuche, mehr als 12 Tonstufen in die Scala einzuf\u00fchren, haben nichts Brauchbares ergehen, weil sie von keinem richtigen Principe ausgingen. Sie schlossen sich immer an das griechische System des Pythagoras an, und glaubten, es komme nur darauf an, zwischen cis und des, zwischen fis und ges u. s. w. einen Unterschied zu machen. Das gen\u00fcgt aber keineswegs und- ist auch nicht immer richtig. Nach unserer Bezeichnungsweise l\u00e4sst sich cis dem Bes gleich setzen, aber wir m\u00fcssen das durch Quinten gefundene Cis von dem durch ein Terzverh\u00e4lt-niss gefundenen cis unterscheiden. Deshalb haben jene Versuche mit Instrumenten von zusammengesetzteren Tastaturen bisher kein Resultat erzielt, welches der darauf verwendeten M\u00fche und der Erschwerung des Spieles entsprochen h\u00e4tte. Das einzige derartige Instrument, welches jetzt noch gebraucht wird, ist die Pedalharfe \u00e0 double mouvement, an der man durch Fusstritte die Stimmung \u00e4ndern kann.\nAusser der Gew\u00f6hnung und dem Mangel eines Vergleiches mit reineren Intervallen kommen dem Gebrauche der gleichschwebenden Temperatur noch einige andere Umst\u00e4nde zu Hilfe.\nZun\u00e4chst ist n\u00e4mlich zu bemerken, dass die St\u00f6rungen in der temperirten Scala, welche von Schwebungen abh\u00e4ngen, desto weniger merklich sind, je schneller die Bewegung und je k\u00fcrzer die Dauer der einzelnen Noten ist. Wenn die Note so kurz ist, dass nur einige wenige Schwebungen w\u00e4hrend ihrer Dauer zu Stande kommen k\u00f6nnen, so hat das Ohr nicht Zeit, deren Anwesenheit zu bemerken. Die Schwebungen, welche ein tempe-rirter Durdreiklang hervorruft, sind folgende :\n1.\tSchwebungen der temperirten Quinte. Setzen wir die Schwingungszahl von a! \u2014 440, demgem\u00e4ss die von e' = 264, so giebt die temperirte Quinte c' \u2014 g' in der Secunde iy9 Schwebung, theils mittels der Obert\u00f6ne, theils mittels der Combina-tionst\u00f6ne. Diese Schwebungen, sind in allen F\u00e4llen gut h\u00f6rbar.\n2.\tSchwebungen der beiden ersten Combinationst\u00f6ne von c' \u2014 e' und e' \u2014 <j bei temperirter Stimmung 52/3 Schwebungen in der Secunde. Diese sind bei allen Klangfarben deutlich h\u00f6rbar, wenn die Tonst\u00e4rke nicht zu klein ist.\n3.\tSchwebungen der grossen Terz d \u2014 e' allein 101/2 in der Secunde, aber nur bei scharfen Klangfarben mit starken Obert\u00f6nen deutlich h\u00f6rbar.\n4.\tSchwebungen der kleinen Terz e \u2014 g 17 in der Secunde,","page":493},{"file":"p0494.txt","language":"de","ocr_de":"494 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\ndie aber meist viel schw\u00e4cher, als die der grossen Terz, sein werden, ebenfalls nur in scharfen Klangfarben deutlich.\nAlle diese Schwebungen werden doppelt so schnell, wenn man den Accord eine Octave h\u00f6her legt, halb so schnell, wenn man ihn eine Octave tiefer legt.\nYon diesen Schwebungen haben die ersten, die der tempe-rirten Quinte, am wenigsten nachtheiligen Einfluss auf den Wohlklang. Sie sind so langsam, dass man sie in den mittleren Theilen der Scala nur bei lang aushallenden Noten \u00fcberhaupt h\u00f6ren kann; dann bringen sie das langsame Wogen des Accordes hervor, welches unter Umst\u00e4nden sich sehr gut machen kann. Am auffallendsten ist bei den milderen Klangfarben die zweite Art der Schwebungen. Nun kommen im Allegro 4/4 Takt etwa 2 Takte auf 3 Secunden. Wird der Dreiklang c' \u2014 e' \u2014 g' temperirt gestimmt als Viertelnote in diesem Takte angegeben, so kann man von den genannten Schwebungen 2% h\u00f6ren, also wenn der Ton schwach anf\u00e4ngt, wird er schwellen, wieder abnehmen, noch einmal schwellen, abnehmen, und dann zu Ende sein. Das wird in einem schnellen, unruhigen Tempo kaum eine St\u00f6rung machen. Schlimmer wird es freilich, wenn ein solcher Accord ein oder zwei Octaven h\u00f6her angegeben wird, und auf dieselbe Dauer der Note nun 4y4 oder 8y2 Schwebungen kommen, welche das Ohr dann schon als eine scharfe Rauhigkeit aufzufassen Zeit hat.\nAus demselben Grunde sind nun die Schwebungen dritter und vierter Art, die der Terzen, wo sie in scharfen Klangfarben deutlich hervortreten, auch in mittlerer Lage und in schnellem Tempo ziemlich st\u00f6rend und beeintr\u00e4chtigen die Ruhe des Wohlklangs sehr wesentlich, da ihre Zahl zweimal und dreimal gr\u00f6sser ist, als die der vorigen. Nur in weichen Klangfarben bemerkt man sie wenig, oder wenn man sie bemerkt, so sind sie \u00fcberdeckt von viel st\u00e4rkeren, ruhig fortklingenden T\u00f6nen, so dass sie dann nur wenig hervortreten.\nBei schnell wechselnden Noten, weicher Klangfarbe, m\u00e4ssiger Intensit\u00e4t des Tons kommen also allerdings die Uebelst\u00e4nde der temperirten Stimmung wenig zum Vorschein. Nun ist aber fast alle Instrumentalmusik auf schnelle Bewegung berechnet ; dass ihr diese m\u00f6glich ist, darin liegt ihr wesentlicher Werth der Vocal-musik gegen\u00fcber. Man k\u00f6nnte freilich auch die Frage aufwerfen, ob die Instrumentalmusik in diese Richtung auf schnelle Bewegung nicht auch einseitig dadurch hineingedr\u00e4ngt ist, dass sie bei ihrer","page":494},{"file":"p0495.txt","language":"de","ocr_de":"Nachtheile der temperirten Stimmung. 495\ntemperirten Stimmung den vollen Wohlklang getragener Accorde nicht in solchem Maasse erreichen kann, wie gut geschulte S\u00e4nger, und sie deshalb auf diese Seite der Musik verzichten musste.\nDie temperirte Stimmung hat sich zuerst und vorzugsweise an den Clavieren entwickelt, erst von da ist sie allm\u00e4lig auf die \u00fcbrigen Instrumente \u00fcbertragen worden. Am Clavier sind nun in der That die Verh\u00e4ltnisse besonders g\u00fcnstig, um ihre M\u00e4ngel zu \u00fcberdecken. Die Claviert\u00f6ne haben n\u00e4mlich nur im ersten Augenblicke, unmittelbar nach dem Anschl\u00e4ge, eine grosse St\u00e4rke, die aber schnell sich vermindert. Ich habe schon fr\u00fcher erw\u00e4hnt, dass deshalb auch ihre Combinationst\u00f6ne nur im ersten Augenblicke vorhanden und sehr schwer zu h\u00f6ren sind. Die Schwebungen, welche von den Combinationst\u00f6nen abh\u00e4ngen, fallen deshalb ganz weg. Die Schwebungen d\u00e4gegen, welche von den Obert\u00f6nen abh\u00e4ngen, hat man auf den neueren Clavieren gerade in den h\u00f6heren Octaven, wo sie am leichtesten nachtheilig werden, dadurch beseitigt, dass man die Obert\u00f6ne der Saiten durch die Art des Anschlags sehr abgeschw\u00e4cht, und die Klangfarbe sehr weich gemacht hat, wie ich das in dem f\u00fcnften Abschnitte auseinander gesetzt habe. Daher sind auf dem Claviere die M\u00e4ngel der Stimmung viel weniger zu bemerken, als auf irgend einem anderen Instrumente mit ausgehaltenen T\u00f6nen, und doch fehlen sie nicht. Wenn ich von meiner rein gestimmten Physharmonica zu einem Fl\u00fcgel hin\u00fcber gehe, klingt auf dem letzteren alles falsch und beunruhigend, namentlich, wenn ich einzelne Accordfolgen anschlage. In schnell bewegten melodischen Figuren und harpeg-girten Accor den ist es weniger unangenehm. Die \u00e4lteren Musiker empfahlen daher die gleichschwebende Temperatur haupts\u00e4chlich nur f\u00fcr das Clavier. Matheson, indem er dies thut, erkennt f\u00fcr Orgeln die Vorz\u00fcge der Silbermann\u2019schen ungleichschwebenden Temperatur an, in welcher die gew\u00f6hnlich gebrauchten Tonarten reiner gehalten sind. Emanuel Bach sagt, dass ein richtig gestimmtes Clavier das reinste unter allen Instrumenten sei, was in dem angef\u00fchrten Sinne ganz richtig ist. Durch die grosse Verbreitung und Bequemlichkeit des Claviers ist es sp\u00e4ter das Hauptinstrument f\u00fcr das Studium der Musik geworden, und seine Stimmung das Muster f\u00fcr die \u00fcbrigen Instrumente.\nDagegen sind bei den scharfen Orgelregistern, namentlich bei den Mixturen und Zungenwerken, die M\u00e4ngel der temperirten Stimmung ausserordentlich auffallend. Man h\u00e4lt es gegenw\u00e4rtig f\u00fcr unver-","page":495},{"file":"p0496.txt","language":"de","ocr_de":"496 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\nmeidlich, dass die Mixturregister, vollstimmig gespielt, einen H\u00f6llenl\u00e4rm machen, und die Orgelspieler haben sich in ihr Schicksal gef\u00fcgt. Das ist aber der Hauptsache nach nur durch die gleich-schwebende Temperatur bedingt, weil man die Quinten und Terzen zwischen den Pfeifen, die derselben Taste angeh\u00f6ren, noth wendig rein stimmen muss, sonst gieht jede einzelne Note des Registers schon Schwebungen. Wenn nun die Quinten und Terzen zwischen den Noten der verschiedenen Tasten gleichschwehend gestimmt sind, so kommen in jedem Accord reine Quinten und Terzen mit gleichschwebenden gleichzeitig vor, wodurch ein ganz unruhiger und schwirrender Zusammenklang entsteht. Und gerade hei der Orgel w\u00e4re es so sehr leicht, durch wenige Registerz\u00fcge das Werk f\u00fcr jede Tonart einzustimmen, um volle wohlklingende Consonan-zen zu erhalten. *)\nWer nur einmal den Unterschied zwischen rein gestimmten und temperirten Accorden geh\u00f6rt hat, wird nicht zweifeln, dass es f\u00fcr eine grosse Orgel der gr\u00f6sste \"Gewinn w\u00e4re, wenn man die H\u00e4lfte ihrer Register, deren Unterschiede oft genug auf eine Spielerei hinauslaufen, striche, und daf\u00fcr die Zahl der T\u00f6ne innerhalb der Octave verdoppelte, um mit Hilfe passender Registerz\u00fcge in jeder Tonart rein spielen zu k\u00f6nnen.\t\u2022\nAehnlich wie auf der Orgel, verh\u00e4lt es sich auf der Physhar-monica. Die falschen Combinationst\u00f6ne der temperirten Stimmung und die zitternden Accorde sind jedenfalls der Grund, weshalb viele Musiker diese Instrumente als falsch klingend und nerv\u00f6s aufregend von der Hand weisen.\nDie Orchesterinstrumente k\u00f6nnen ihre Tonh\u00f6he meist ein wenig ver\u00e4ndern. Die Streichinstrumente sind ganz frei in ihrer Intonation, die Blaseinstrumente k\u00f6nnen durch sch\u00e4rferes oder schw\u00e4cheres Blasen den Ton ein wenig in die H\u00f6he treiben oder sinken lassen. Sie sind zwar alle auf temperirte Stimmung berechnet, aber gute Spieler haben die Mittel, den Forderungen dps Ohres einigermassen nachzugeben. Daher klingen Terzeng\u00e4nge auf Blaseinstrumenten, von mittelm\u00e4ssigen Musikern ausgef\u00fchrt, oft genug verzweifelt falsch, w\u00e4hrend sie von gut gebildeten Spielern mit feinem Ohr ausgef\u00fchrt, vollkommen gut klingen k\u00f6nnen.\n*) Aus Zamminer\u2019s Buch ersehe ich, dass in Silliman\u2019s American Journal of Science 1850 die Beschreibung einer Orgel von Poole gegeben ist, welche durch Registerz\u00fcge f\u00fcr alle Tonarten rein gestimmt werden konnte.","page":496},{"file":"p0497.txt","language":"de","ocr_de":"Nachtheile der temperirten Stimmung. 497\nEine eigenth\u00fcmliche Sache ist es mit den Streichinstrumenten. Diese haben seit alter Zeit noch die Stimmung ihrer Saiten nach reinen Quinten beibehalten. Die Violine allein hat die reinen Quinten G \u2014 D \u2014 A \u2014 JE. Bratsche und Cello geben noch die Quinte C \u2014 G daz\u00fc. Nun hat jede Tonleiter auch ihren besonderen Fingersatz, und es k\u00f6nnte daher wohl jeder Sch\u00fcler sich so ein\u00fcben, dass er jeder Tonart ihre eigene Leiter g\u00e4be, wobei allerdings die gleichnamigen T\u00f6ne verschiedener Leitern nicht gleich gegriffen werden d\u00fcrften, und auch die Terz der C-Dur-leiter, wenn man die leere (7-Saite der Bratsche als Grundton n\u00e4hme, nicht auf der leeren jB-Saite der Violine gespielt werden d\u00fcrfte, weil diese JE giebt, nicht e. Indessen gehen die neueren Violinschulen seit Spohr meist darauf aus, die Stufen der gleichschwebenden Temperatur hervorzubringen, obgleich dies vollst\u00e4ndig schon wegen der reinen Quinten der leeren Saiten gar nicht m\u00f6glich ist. Jedenfalls aber ist die bewusste Absicht der meisten gegenw\u00e4rtig lebenden Violinspieler die, nur 12 Tonstufen in der Octave zu unterscheiden. Eine einzige Ausnahme geben sie zu, dass man n\u00e4mlich hei Doppelgriffen die T\u00f6ne h\u00e4ufig etwas anders greifen m\u00fcsse, als wenn man sie einzeln an giebt. Aber diese Ausnahme ist entscheidend. Bei Doppelgriffen f\u00fchlt sich der einzelne Spieler verantwortlich f\u00fcr den Wohlklang des Intervalls, und hat es vollkommen in seiner eigenen Gewalt, die Consonanz gut oder schlecht zu machen. Da zieht er es vor, sie rein zu machen. Jeder Violinspieler wird sich leicht von folgenden Thatsachen \u00fcberzeugen k\u00f6nnen. Nachdem die Saiten einer Violine in reinen Quinten G \u2014 JD \u2014 A \u2014 E gestimmt sind, suche er auf der A- Saite die Stelle, wo der Finger aufgesetzt werden muss, um dasjenige H zu erhalten, welches die reine Quartencon-sonanz H \u2014 E giebt. Nur streiche er bei unver\u00e4ndertem Fingersatz dieses selbe H mit der D-Saite zusammen an. Das Intervall J) \u2014 H w\u00e4re nach gew\u00f6hnlicher Betrachtungsweise eine grosse Sexte, aber eine Pythagor\u00e4ische. Um die consonante Sexte D \u2014 h zu erhalten, muss der Spieler mit seinem Finger um eine Strecke von 1 s/5 Pariser Linien zur\u00fcckgehen, eine Distanz, die man beim Fingers\u00e4tze sehr wohl ber\u00fccksichtigen kann, und die die Tonh\u00f6he sowohl als namentlich die Sch\u00f6nheit der Consonanz sehr merklich ver\u00e4ndert.\nEs ist aber klar, dass, wenn sich der einzelne Spieler verpflichtet f\u00fchlt, die verschiedenen Werthe der Noten in den ver-\nHelmholtz, phys. \u00bbTheorie der Musik.\t32","page":497},{"file":"p0498.txt","language":"de","ocr_de":"498 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\nschiedenen Consonanzen zu unterscheiden, gar kein Grund dazu da ist, im Quartettspiel die schlechten Terzen der Pythagor\u00e4ischen Quintenfolge beibehalten zu wollen. Der Unterschied zwischen reinen und falschen Intervallen ist gerade so gross, wenn die beiden Noten von zwei Instrumenten, als wenn sie von einem geliefert werden.\nNun klingen in der That mehrstimmige Accorde von mehreren Spielern im Quartett ausgef\u00fchrt, oft genug merkw\u00fcrdig schlecht, w\u00e4hrend jeder einzelne von diesen Spielern Solosachen ganz h\u00fcbsch und angenehm vorzutragen im Stande ist; und doch kann man andererseits in den Quartetts, welche von sehr fein ausgebildeten Spielern vorgetragen werden, in der Regel nicht behaupten, dass falsche Consonanzen vork\u00e4men. Ich meine nun, die einzige Erkl\u00e4rung davon ist die, dass ge\u00fcbte Spieler von feinem musikalischen Sinne auf der Violine diejenigen T\u00f6ne zu greifen wissen, die sie h\u00f6ren wollen, und dabei nicht an die Regeln einer unvollkommenen Schule gebunden sind. Unge\u00fcbtere Spieler dagegen, welche sich von den Regeln der Schule nicht frei gemacht haben, bringen unvollkommene Consonanzen hervor, und s\u00fcndigen, so, ohne selbst daran Schuld zu haben. Es ist aber klar, dass wenn auch am Spiele von Virtuosen, welche die gespielten St\u00fccke genau kennen, dadurch nichts gebessert werden kann, es doch Talenten zweiten Ranges erleichtert werden k\u00f6nnte, zu einem vollendeten Zusammenspiele zu gelangen, wenn man sie von Anfang an gew\u00f6hnte, die Tonleitern nach reinen Intervallen zu spielen , und auch im Zusammenspiel auf die Reinheit der Consonanzen zu achten. Letzteres ist \u00fcbrigens viel leichter, als man denkt, so wie man sich einmal an den Klang der reinen Consonanzen gew\u00f6hnt hat. An meiner Physharmonica f\u00e4llt mir jede Verwechselung des A mit dem a ebenso schnell und sicher in einem Accorde auf, als auf dem Fortepiano etwa eine Verwechselung von A mit As. Freilich w\u00fcrde es dann auch nothwendig werden, wenn neue St\u00fccke vom Blatte gespielt werden sollen, in der Notenschrift zu bezeichnen, ob der h\u00f6here oder tiefere Ton gemeint sein solle. Dazu giebt es aber ein einfaches Mittel, welches ich anwende,\nwenn ich f\u00fcr meine Physharmonica Noten schreibe:\tist das\nh\u00f6here A\\\nist das tiefere a. Geht der Kopf der Note ihrem\nSchw\u00e4nze voraus, so ist sie h\u00f6her, folgt er nach, so ist sie tiefer!","page":498},{"file":"p0499.txt","language":"de","ocr_de":"Nachtheile der temperirten Stimmung. 499\nIch kenne allerdings die Technik des Yiolinspiels zu -wenig, als dass ich es wagen k\u00f6nnte, hier Vorschl\u00e4ge zu einer definitiven Regelung des Tonsystems f\u00fcr die Streichinstrumente zu gehen. Das muss Meistern dieser Instrumente, die gleichzeitig die F\u00e4higkeiten eines Componisten haben, \u00fcberlassen bleiben. Solche werden sich auch durch das Zeugniss ihrer Ohren leicht von der Richtigkeit der angegebenen Thatsachen \u00fcberzeugen k\u00f6nnen, und einsehen, dass es sich hier .nicht um unn\u00fctze mathematische Spe-culationen, sondern um praktisch sehr wichtige Fragen handelt.\nAehnlich verh\u00e4lt es sich mit den jetzigen S\u00e4ngern. Im Ges\u00e4nge ist die Intonation vollkommen frei, w\u00e4hrend auf den Streichinstrumenten wenigstens die f\u00fcnf T\u00f6ne der leeren Saiten eine unver\u00e4nderliche Tonh\u00f6he haben. Im Ges\u00e4nge kann die Tonh\u00f6he am allerleichtesten und vollkommensten den W\u00fcnschen eines feinen musikalischen Geh\u00f6rs folgen. Deshalb ist auch alle Musik vom Ges\u00e4nge ausgegangen, und der Gesang wird auch immer die wahre und nat\u00fcrliche Schule aller Musik bleiben m\u00fcssen. Der S\u00e4nger kann nur solche Tonverh\u00e4ltnisse rein und sicher treffen, die das Ohr rein und sicher auffasst, und was der S\u00e4nger daher leicht und nat\u00fcrlich singt, wird auch der H\u00f6rer leicht und nat\u00fcrlich zu verstehen finden.\nBis zum 17. Jahrhundert wurden die S\u00e4nger nach dem Monochorde einge\u00fcbt, f\u00fcr welchen Zarlino in der Mitte des 16. Jahrhunderts die richtige nat\u00fcrliche Stimmung wieder einf\u00fchrte. Die Ein\u00fcbung der S\u00e4nger geschah in jener Zeit mit einer Sorgfalt, von der wir gegenw\u00e4rtig freilich keine Idee haben. Auch kann man es noch jetzt der italienischen Kirchenmusik des 15. und 16. Jahrhunderts ansehen, dass sie auf den reinsten Wohlklang der Con-sonanzen berechnet ist, und dass ihre ganze Wirkung zerst\u00f6rt wird, sobald diese in ungen\u00fcgender Reinheit ausgef\u00fchrt werden.\nMan kann nun nicht verkennen, dass gegenw\u00e4rtig selbst von unseren Operns\u00e4ngern nur wenige im Stande sind, einen kleinen mehrstimmigen Satz, der entweder gar keine Begleitung hat oder nur sparsam durch wenige Accorde begleitet ist, wie z. B. das Maskenterzett in Mozart\u2019s Don Giovanni, so zu singen, dass der H\u00f6rer die volle Freude an dem reinen Wohlklange haben k\u00f6nnte. Die Accorde klingen fast immer ein wenig scharf und unsicher, so dass sie einen musikalischen H\u00f6rer beunruhigen. Wo sollen aber auch unsere S\u00e4nger lernen rein zu singen, und ihr Ohr f\u00fcr den Wohlklang reiner Accorde empfindlich zu machen. Sie werden\n32*","page":499},{"file":"p0500.txt","language":"de","ocr_de":"500 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\nvon Anfang an ge\u00fcbt an dem gleichschwebend gestimmten Claviere zu singen. Wird ihnen als Begleitung ein Duraccord angegeben, so k\u00f6nnen sie sich entweder mit dessen Grundton, oder mit dessen Quinte, oder mit dessen Terz in Consonanz setzen. Es bleibt ihnen dabei ein Spielraum von fast einem F\u00fcnftheil eines Halbtons, innerhalb dessen ihre Stimme herumirren kann, ohne gerade entschieden die Harmonie zu verlassen, und selbst wenn sie noch ein wenig h\u00f6her geht, als die Consonanz mit der zu hohen Terz verlangt, oder ein wenig tiefer, als die Consonanz mit der zu tiefen Quinte verlangt, so wird der Wohlklang des Accordes noch nicht gerade viel schlechter werden. Der S\u00e4nger, welcher sich an einem temperirten Instrumente ein\u00fcbt, hat gar kein Princip, nach welchem er die Tonh\u00f6he seiner Stimme sicher und genau abmessen k\u00f6nnte.\nAndererseits h\u00f6rt man oft, dass vier musikalische Dilettanten, die sich viel mit einander einge\u00fcbt haben, vollkommen rein klingende Quartetts singen. Ja ich m\u00f6chte nach meiner eigenen Erfahrung fast behaupten, dass man Quartetts \u00f6fter vollkommen rein von jungen M\u00e4nnern h\u00f6rt, welche wenig oder gar nichts anderes singen, als diese ihre vierstimmigen Lieder, sich aber darin oft und regelm\u00e4ssig \u00fcben, als wenn man sie von geschulten Solos\u00e4ngern h\u00f6rt, welche an die Begleitung des Claviers oder des Orchesters gew\u00f6hnt sind. Reinheit des Gesanges ist aber so sehr die allererste und oberste Bedingung seiner Sch\u00f6nheit, dass ein rein ausgef\u00fchrter Gesang selbst von einer schwachen und wenig gel\u00e4ufigen Stimme immer angenehm klingt, w\u00e4hrend die klangvollste und ge\u00fcbteste Stimme den H\u00f6rer beleidigt, wenn sie detonirt oder in die H\u00f6he treibt.\nEs verh\u00e4lt sich hier gerade so, wie mit den Streichinstrumenten. Die Schulung unserer jetzigen S\u00e4nger nach der Begleitung temperirter Instrumente ist ungen\u00fcgend, aber gute musikalische Talente k\u00f6nnen sich schliesslich durch Uebung selbst auf die rechte Bahn helfen, und die Fehler der Schule \u00fcberwinden; ja, es gelingt ihnen dies vielleicht um so eher, je weniger sie in diese Schule gegangen sind, obgleich ich nat\u00fcrlich andererseits nicht l\u00e4ugnen will, dass die Gel\u00e4ufigkeit des Gesanges und die Beseitigung von allerlei nat\u00fcrlichen Unarten nur in der Schule gewonnen werden kann.\nOffenbar ist es aber gar nicht n\u00f6thig, diejenigen Instrumente, an denen der S\u00e4nger seine Uebungen durchmacht, temperirt zu","page":500},{"file":"p0501.txt","language":"de","ocr_de":"Nachtheile der temp erirten Stimmung. 501\nstimmen. F\u00fcr solche Uebungen gen\u00fcgt eine einzige Tonart, die richtig gestimmt ist. Man braucht nicht auf demselben Claviere, welches f\u00fcr den Gesangunterricht gebraucht wird, auch noch Sonaten spielen zu wollen. Besser wird es freilich sein, den S\u00e4nger an einer rein gestimmten Orgel oder Phjsharmonica sich \u00fcben zu lassen, wo man dann mit Hilfe zweier Tastaturen auch alle Tonarten benutzen kann. Getragene T\u00f6ne als Begleitung sind deswegen namentlich vorzuziehen, weil der S\u00e4nger selbst, so wie er die richtige Tonh\u00f6he auch nur wenig ver\u00e4ndert, sogleich Schwebungen zwischen den T\u00f6nen seiner Stimme und denen des Instruments h\u00f6rt. Man mache ihn auf diese Schwebungen aufmerksam, und er wird darin ein Mittel haben, um selbst auf das allersch\u00e4rfste seine eigene Stimme controliren zu k\u00f6nnen. Es ist dies an der rein gestimmten Physharmonika, wie ich mich durch den Versuch \u00fcberzeugt habe, ganz leicht. Nur wenn der S\u00e4nger selbst jede kleinste Abweichung von der richtigen Tonh\u00f6he sogleich durch ein auffallendes Ph\u00e4nomen angek\u00fcndigt h\u00f6rt, wird es ihm m\u00f6glich sein, die Bewegungen seines Kehlkopfs und die Spannungen seiner Stimmb\u00e4nder so fein einzu\u00fcben, dass er nun auch mit voller Sicherheit den Ton hervorbringt, den sein Ohr verlangt. Wenn man eine feine Ein\u00fcbung von den Muskeln des menschlichen K\u00f6rpers, hier also von denen des Kehlkopfs, verlangt, muss man eben auch sichere Mittel haben, um wahrzuneh men, ob das Ziel richtig erreicht ist. Und ein solches Mittel geben die Schwebungen f\u00fcr die Stimme ab, wenn man in getragenen reinen Accorden begleitet. Temperirte Accorde aber, die selbst Schwebungen geben, sind dazu g\u00e4nzlich unbrauchbar.\nEndlich ist, wie ich glaube, ein Einfluss der temperirten Stimmung auf die Compositionsweise nicht zu verkennen. Zun\u00e4chst ist dieser Einfluss g\u00fcnstig gewesen; er hat bewirkt, dass die Componisten wie die Spieler sich mit der gr\u00f6ssten Leichtigkeit in den verschiedensten Tonarten bewegen k\u00f6nnen, dass ein Reichthum der Modulationen m\u00f6glich wurde, der fr\u00fcher nicht existirt hat. Andererseits aber ist nicht zu verkennen, dass die ver\u00e4nderte Stimmung zu einem solchen Reichthume von Modulationen auch zwang. Denn da der Wohlklang der consonanten Accorde nicht mehr ganz rein war, die Unterschiede zwischen ihren verschiedenen Umlagerungen verwischt wurden, musste man durch st\u00e4rkere Mittel, durch reichlichen Gebrauch scharfer Dissonanzen, durch ungew\u00f6hnlichere Modulationep zu ersetzen suchen, was die der","page":501},{"file":"p0502.txt","language":"de","ocr_de":"502 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\nTonart selbst angeh\u00f6rigen Harmonien an charakteristischem Ausdruck verloren hatten. Daher bilden in manchen neueren Com-positionen dissonante Septimenaccorde schon die Mehrzahl der Accorde, und consonante Accorde die Ausnahme, w\u00e4hrend Niemand zweifeln wird, dass es umgekehrt sein sollte, und die fortdauernden k\u00fchnen Modulationsspr\u00fcnge drohen das Gef\u00fchl f\u00fcr die Tonalit\u00e4t ganz zu zerst\u00f6ren. Es sind dies missliche Symptome f\u00fcr die weitere Entwickelung der Kunst.- Der Mechanismus der Instrumente und die R\u00fccksicht auf seine Bequemlichkeit droht Herr zu werden \u00fcber das nat\u00fcrliche Bed\u00fcrfniss des Ohres, und droht das Stilprincip der neueren Kunst, die feste Herrschaft der Tonica und des tonischen Accordes wieder zu zerst\u00f6ren. Unsere letzten grossen Componisten Mozart und Beethoven stehen noch am Anfang derjenigen Periode, wo die Herrschaft der gleichschwebenden Temperatur beginnt. Mozart hat noch Gelegenheit gehabt, reiche Studien in Gesangscompositionen zu machen. Er ist Meister des s\u00fcssesten Wohllauts, wo er ihn haben will, aber er ist darin auch fast der Letzte. Beethoven hat mit k\u00fchner Gewalt Besitz ergriffen von dem Reichthum, den die ausgebildete Instrumentalmusik hervorbringen konnte, seinem'gewaltigen Willen war sie das gef\u00fcgsame und zu Allem bereite Werkzeug, in welches er eine Gewalt der Bewegung zu legen wusste,- wie vor ihm Keiner. Die menschliche Stimme aber hat er als dienende Magd behandelt, und deshalb hat sie ihm auch nicht mehr die h\u00f6chsten Zauber ihres Wohlklangs gespendet. Und kann eine so \u00fcberm\u00e4chtige und melancholische Natur, einem tief verstimmten Zeitalter entsprossen, die Norm f\u00fcr die weitere Entwickelung der Kunst abgeben ?\nUnd bei alle dem weiss ich nicht, ob es denn so nothwendig gewesen ist, der Bequemlichkeit der Instrumentalmusik die Reinheit der Stimmung zu opfern. Sobald die Violinisten ihre Tonleitern nach richtiger Stimmung der jedesmaligen Leiter zu spielen sich entschliessen, was kaum erhebliche Schwierigkeiten machen kann, werden auch die \u00fcbrigen Orchesterinstrumente so viel nachgeben k\u00f6nnen, dass sie sich der richtigeren Stimmung der Violinen anschliessen. Ueberdies haben unter diesen die H\u00f6rner und Trompeten schon die nat\u00fcrliche Stimmung.\nUebrigens ist hier noch zu bemerken, dass, wenn man bei Modulationen das nat\u00fcrliche System zu Grunde legt, auch schon bei verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig einfachen modulatorischen Wendungen en-","page":502},{"file":"p0503.txt","language":"de","ocr_de":"Regeln der Modulation.\t508\nharmonische Verwechselungen eintreten m\u00fcssen, welche im temperirten System nicht als solche erscheinen.\nEs scheint mir nothwendig, dass die neueTonica, zu der man \u00fcbergehen will, derTonica, in welcher man sich befindet, verwandt sein muss; je n\u00e4her, desto weniger auffallend ist der Uebergang. Ferner wird es nicht rathsam sein, lange in einer Tonart zu ver-verweilen, deren Tonica nicht nahe verwandt ist mit der Haupt-tonica des Satzes. Damit stimmen auch im Ganzen die gew\u00f6hnlich gegebenen Regeln der Modulation \u00fcberein. Die leichtesten und gew\u00f6hnlichsten Ueberg\u00e4nge geschehen bekanntlich in die Tonart der Dominante und Subdominante, welche beide T\u00f6ne in der That die n\u00e4chsten Verwandten der ersten Tonica sind. Wenn also C die Haupttonart ist, so kann man unmittelbar in G-Bur \u00fcbergehen, wobei die T\u00f6ne F und a der C-Durleiter in fis und A verwandelt werden. Oder man kann in F-Dur \u00fcbergehen, indem man h und D mit B und d vertauscht. Nachdem dieser Schritt gemacht ist, wird h\u00e4ufig zu einer Tonart \u00fcbergegangen, deren Tonica mit C nur im zweiten Grade verwandt ist, also von G nach D, oder von F nach B. Wenn man aber weiter in dieser Weise fortmoduliren wollte, w\u00fcrde man zu Tonarten kommen, A und Es, deren Zusammenhang mit der urspr\u00fcnglichen Tonica C nur noch sehr undeutlich w\u00e4re, und in denen es jedenfalls nicht rathsam sein m\u00f6chte, lange zu verweilen, wenn man nicht das Gef\u00fchl f\u00fcr die Haupttonart zu sehr schw\u00e4chen will.\nAndererseits kann man von der Haupttonica C aus auch zu ihren Terzen und Sexten fortschreiten, nach e und a, oder es und as. In der temperirten Stimmung erscheinen diese Schritte identisch mit dem Uebergang durch G und JD nach A und E, oder durch F und B nach Es und As. Sie unterscheiden sich aber in der Tonh\u00f6he, wie die verschiedenen Tonzeichen A und a u. s. w. schon anzeigen. In der temperirten Stimmung erscheint es erlaubt, von C durch einen Sextenschritt nach der Tonart von a zu gehen, dann durch Quinten zur\u00fcck, nach d, g, endlich c. Aber in Wahrheit kommt man hierbei auf ein anderes c, als von dem man ausgegangen ist. Bei einem solchen Ueberg\u00e4nge, der jedenfalls nicht ganz nat\u00fcrlich ist, w\u00fcrde man in reiner Stimmung eine enharmo-nische Vertauschung vornehmen m\u00fcssen, am besten, w\u00e4hrend man in der Tonart von d verweilt, da sowohl d wie D mit C im zweiten Grade verwandt sind. Bei den verwickelteren Modulationen neuerer Componisten w\u00fcrden solche enharmonische Verwechse-","page":503},{"file":"p0504.txt","language":"de","ocr_de":"504 Dritte Abtheilung. Sechzehnter Abschnitt.\nlungen nat\u00fcrlich oft zu machen sein. Wo sie anzubringen sind, wird eben ein gebildeter Geschmack in den einzelnen F\u00e4llen entscheiden m\u00fcssen, doch glaube ich, wird es im Ganzen rathsam sein, die schon erw\u00e4hnte Regel festzuhalten, die Stimmung der modulatorisch eintretenden neuen Toniken so zu w\u00e4hlen, dass sie m\u00f6glichst enge Verwandtschaft mit der Haupttonica behalten. Die enharmonischen Verwechselungen werden am wenigsten bemerkt, wenn sie vor oder nach scharf dissonirenden Accorden, z. B. verminderten Septimenaccorden, ausgef\u00fchrt werden. Solche enharmonische Verr\u00fcckungen der Tonh\u00f6he werden \u00fcbrigens jetzt schon von den Violinisten zuweilen deutlich und absichtlich ausgef\u00fchrt, und wo sie hinpassen, machen sie sogar eine sehr gute Wirkung*).\n*) Beispiele bei C. E. Naumann, Bestimmungen der Tonverh\u00e4ltnisse. Leipzig 1858. S. 48 fl'. -","page":504},{"file":"p0505.txt","language":"de","ocr_de":"Siebzehnter Abschnitt.\nVon den dissonanten Accorden.\nWenn in mehrstimmigen S\u00e4tzen mehrere Stimmen neben einander und zugleich melodisch sich bewegen sollen, so wird im Allgemeinen die Regel festgehalten werden m\u00fcssen, dass dieselben Consonanzen mit einander bilden m\u00fcssen. Denn nur wenn sie consonant sind, findet eine ungest\u00f6rte Mischung der ihnen entsprechenden Geh\u00f6rempfindungen statt; sobald sie dissonant werden, st\u00f6ren sich die einzelnen Kl\u00e4nge gegenseitig und hemmen jeder den ungest\u00f6rten Abfluss des anderen. Zu diesem mehr \u00e4sthetischen Motiv kommt noch das andere rein sinnliche, dass die consonanten Zusammenkl\u00e4nge eine angenehme Art sanfter und gleichm\u00e4ssiger Erregung der Geh\u00f6rnerven geben, welche durch gr\u00f6ssere Mannigfaltigkeit sich von der eines einzelnen Klanges auszeichnet, w\u00e4hrend die Dissonanzen durch ihre Intermittenzen eine den Geh\u00f6rnerven qu\u00e4lende und ersch\u00f6pfende Art der Erregung zu Wege bringen.\nIndessen die Regel, dass die verschiedenen Stimmen eines mehrstimmigen Satzes mit einander Consonanzen zu bilden haben, ist nicht ohne Ausnahme. Das \u00e4sthetische Motiv f\u00fcr diese Regel kann nicht dagegen sprechen, dass unter gewissen Bedingungen und f\u00fcr kurze Zeit die verschiedenen Stimmen dissonirend werden, wenn nur \u00fcbrigens durch die Art der Stimmf\u00fchrung daf\u00fcr gesorgt","page":505},{"file":"p0506.txt","language":"de","ocr_de":"506 Dritte Abth'\u00e8ilung. Siebzehnter Abschnitt.\nist, dass die F\u00fchrung der neben einander hergehenden Stimmen durchaus klar bleibe. Es kommen also dann zu dem allgemeinen Gesetze der Tonleiter und Tonart, dem die F\u00fchrung jeder Stimme unterworfen ist, noch besondere Gesetze f\u00fcr die F\u00fchrung der Stimmen in dissonanten Accord en. Ferner kann auch das sinnliche Motiv der gr\u00f6sseren Annehmlichkeit der Consonanzen die Dissonanzen nicht ganz ausschliessen. 'Denn wenn auch das sinnlich Angenehme ein gichtiges Unterst\u00fctzungsmittel der \u00e4sthetb sehen Sch\u00f6nheit ist, so ist es damit doch nicht identisch. Im Gegentheil brauchen wir in allen K\u00fcnsten seinen Gegensatz, das sinnlich Unangenehme, vielfach, theils um durch den Contrast die Lieblichkeit des ersteren heller hervorzuheben, theils um einen kr\u00e4ftigeren leidenschaftlichen Ausdruck zu erreichen. In demselben Sinne werden die Dissonanzen in der Musik gebraucht. Theils sind sie Mittel des Contrastes, um den Eindruck der Consonanzen hervorzuheben, theils Mittel des Ausdrucks, und zwar nicht bloss f\u00fcr besondere und einzelne Gem\u00fcthsbewegungen, sondern sie dienen ganz allgemein dazu, den Eindruck des Forttreibens und Vorw\u00e4rtsdr\u00e4ngens in der musikalischen Bewegung zu verst\u00e4rken, indem das von,Dissonanzen gequ\u00e4lte Ohr sich nach dem ruhigen Dahinfliessen des Stromes der T\u00f6ne in reinen Consonanzen zur\u00fccksehnt. In diesem letzteren Sinne finden sie namentlich unmittelbar vor dem Schl\u00fcsse eine hervortretende Art der Anwendung, und hier sind sie auch von den alten Meistern der polyphonen Musik des Mittelalters schon regelm\u00e4ssig gebraucht worden. Aber auch dieser Zweck ihres Gebrauchs fordert, dass die Stimmbewegung so eingeleitet sei, dass der H\u00f6rer von vorn herein bemerke, wie die Stimmen einem consonanten Schl\u00fcsse zudr\u00e4ngen , der zwar verz\u00f6gert oder auch vereitelt werden kann, dessen Vorgef\u00fchl aber doch das einzige rechtfertigende Motiv f\u00fcr die Existenz der Dissonanzen ist.\nDie Zahl der m\u00f6glichen dissonanten Accorde w\u00e4re unendlich gross, weil alle m\u00f6glichen irrationalen Tonverh\u00e4ltnisse dissonant sind, und nur die Zahl der Consonanzen beschr\u00e4nkt ist, wenn nicht die einzelnen Stimmen,, welche einen dissonanten Accord zusammensetzen, aus den angef\u00fchrten R\u00fccksichten dem-Gesetze der melodi\u00f6sen Bewegung folgen, d. h. sich innerhalb der Tonleiter bewegen m\u00fcssten. Consonanzen haben ein selbst\u00e4ndiges Recht zu existiren, nach ihnen haben sich unsere modernen Tonleitern gebildet. Dissonanzen aber sind nur als Durchgangspunkte f\u00fcr","page":506},{"file":"p0507.txt","language":"de","ocr_de":"Dissonante Intervalle.\t507\nConsonanzen erlaubt. Sie haben kein selbst\u00e4ndiges Recht der Existenz, und die Stimmen in ihnen bleiben deshalb demselben Gesetze des Fortschritts in den Stufen der Tonleiter unterworfen, welches zu Gunsten der Consonanzen festgestellt ist.\nIndem wir zur Aufz\u00e4hlung der einzelnen dissonanten Intervalle \u00fcbergehen, bemerke ich, dass man in der theoretischen Musik gew\u00f6hnlich diejenige Lage der dissonanten Accorde als die normale betrachtet, in welcher ihre einzelnen T\u00f6ne eine Reihe von Terzen mit einander bilden. Namentlich ist dies die Regel bei den Septimenaccorden, welche aus dem Grundton, dessen Terz, dessen Quinte und dessen Septime bestehen. Die Quinte bildet mit der Terz, die Septime mit der Quinte wiederum ein Terzihter-vall. So k\u00f6nnen wir uns die Quinten aus zwei Terzen, die Septimen aus drei Terzen zusammengesetzt denken. Durch Umkehrung der Terzen erhalten wir die Sexten, durch Umkehrung der Quinten die Quarten, durch Umkehrung der Septimen die Secun-den. Wir finden also auf diesem Wege alle in der Tonleiter vorkommenden Intervalle.-\t\u2022 \u25ba\t\u2022\nWenn wir die von uns modificirte Hauptmann\u2019sehe Bezeichnungsweise der T\u00f6ne anwenden, ergiebt sich auch leicht, wie die verschiedenen Intervalle gleiches Namens sich in der Gr\u00f6sse unterscheiden. Wir m\u00fcssen nur beachten, dass Cum ein Komma h\u00f6her ist als c, C um zwei Kommata tiefer als C, um eines tiefer als c, endlich c um zwei Kommata h\u00f6her ist als c, um eines h\u00f6her als C. Ein Komma aber ist etwa der f\u00fcnfte Theil eines halben Tons.\nUm gleichzeitig eine anschauliche Uebersicht zu geben, theils \u00fcber die Gr\u00f6sse, theils \u00fcber dieRauhigkeit der einzelnen dissonanten Intervalle, habe ich die Fig. 53 (a. f. S.) construirt, in welcher die Curve der Rauhigkeit aus Fig. 52 A copirt ist. Die Grundlinie XYbedeutet das Intervall einer Octave, in welches die einzelnen consonanten und dissonanten Intervalle nach ihrer Breite in der Scala eingetragen sind. Auf der unteren Seite der Grundlinie sind die zw\u00f6lf gleichen Halbt\u00f6ne der temperirten Scala abgetheilt, auf der oberen die consonanten und dissonanten Intervalle, welche in den nat\u00fcrlichen Tonleitern Vorkommen. Die Breite dieser Intervalle ist immer von dem Punkte X bis zu der betreffenden senkrechten Linie hin zu nehmen. Die Lothe, welche den Consonanzen entsprechen, sind bis zum oberen Rande der Zeichnung verl\u00e4ngert, die der Dissonanzen dagegen k\u00fcrzer gehalten. Die H\u00f6he dieser Lothe bis zu","page":507},{"file":"p0508.txt","language":"de","ocr_de":"508 Dritte Abtheilung. Siebzehnter Abschnitt.\ndem Punkte hin, wo sie die Rauhigkeitscurve schneiden, entspricht der Rauhigkeit, welche der betreffende Zusammenklang, in der Klangfarbe der Violinen ausgef\u00fchrt, etwa erzeugen w\u00fcrde.\nDie verschiedenen Terzen, Quinten und Septimen der Tonart finden wir, wenn wir die T\u00f6ne der Leiter nach Terzen ordnen.\nFig. 53.\nGleiehscliwebend.\nA. T\u00f6ne der Durleiter:\nh \u2014 D | F \u2014 a \u2014 G \u2014 e \u2014 G - h \u2014 D\\F \u2014 a\n0\t32 S_C\t5 Ji_\tJS. 32 li_\nT 27 T 5\t75\t4\t5\t274\nB. T\u00f6ne der Molltonleiter:\nh \u2014 D \\ F \u2014 as \u2014 G \u2014 es \u2014 G \u2014 h \u2014 D \\ F \u2014 as _6\t32\t6 AjLi_iL_L2HiL\n5\t27\t7\t4\t5\t4\t4\t5\t27\t5\nF\u00fcr die Molltonleiter ist die gew\u00f6hnliche Form mit grosser Septime genommen worden, weil die Leiter mit kleiner Septime keine anderen Intervalle giebt als die Durtonleiter,","page":508},{"file":"p0509.txt","language":"de","ocr_de":"Dissonante Intervalle.\nI. Terzen und Sexten.\nIn der nat\u00fcrlichen Dur- und Molltonleiter kommen, wie man in der obigen Aufstellung sieht, dreierlei Arten von Terzen vor, welche umgekehrt eben so viele Arten von Sexten geben, n\u00e4mlich:\n1)\tDie nat\u00fcrliche grosse Terz A und ihre Umkehrung die kleine Sexte beide consonant.\n2)\tDie nat\u00fcrliche kleine Terz J- und ihre Umkehrung die grosse Sexte j, ebenfalls beide consonant.\n3)\tDie Pytha,gor\u00e4ische kleine Terz || zwischen den Grenzt\u00f6nen der Tonart D und F. F\u00fchrte man die Stimmung d statt B ein, so w\u00fcrde dasselbe Intervall sich zwischen h und d zeigen. Vergleicht man diese dissonante Terz B \u2014 F mit der consonanten kleinen Terz d \u2014 F der Gr\u00f6sse nach, so ist erstere um ein Komma enger als letztere, da D um ein Komma h\u00f6her als d ist. Die Pythagor\u00e4ische kleine Terz steht der nat\u00fcrlichen kleinen Terz an Wohlklang etwas nach, aber ihr Unterschied in dieser Beziehung ist nicht so gross, wie der der entsprechenden beiden grossen Terzen. Der Unterschied beruht einmal darin, dass die grosse Terz eine vollkommenere Consonanz ist als die kleine Terz, und jener Verstimmung daher mehr schadet, als dieser. Dann findet sich aber auch in den Combinationst\u00f6nen ein Unterschied. Die reine kleine Terz d'\" \u2014 F'\" bildet den Combinationston B, erg\u00e4nzt sich also zum reinen 2?-Dur-Dreiklange. Die Pythagor\u00e4ische Terz B'\" \u2014 F\" giebt den Combinationston a, erg\u00e4nzt sich also zu dem Accorde D \u2014 F \u2014 a, der kein ganz richtiger Mollaccord ist. Da aber die unrichtige Quinte a nur schwach in den tiefen Combinationst\u00f6nen liegt, merkt man den Unterschied kaum. Ausserdem ist es auch praktisch fast unm\u00f6glich, das Intervall so genau zu stimmen, dass der Combinationston a und nicht A wird. Bei der Pythagor\u00e4ischen grossen Terz c\" \u2014 e\" ist aber der Combinationston cis, was nat\u00fcrlich viel st\u00f6render ist, als die nicht ganz reine Quinte a bei dem Zusammenklange B \u2014 F.\nDie Pythagor\u00e4ische grosse Terz kommt in den von der harmonischen Musik geforderten Stimmungen der Tonleitern nicht vor. Wenn man in der Molltonleiter die kleine Septime B statt b benutzen wollte, w\u00fcrde B \u2014 B eine solche Terz sein,","page":509},{"file":"p0510.txt","language":"de","ocr_de":"510 Dritte Abtheilung. Siebzehnter Abschnitt.\nDie Umkehrung der Terz D \u2014 F ist die Pythagor \u00e4ische grosse Sexte F \u2014 D, um ein Komma gr\u00f6sser als die nat\u00fcrliche grosse Sexte, der sie an Wohlklang sehr bedeutend nachsteht, wie Fig. 53 deutlich zeigt.\nII. Quinten und Quarten.\nDie Quinten setzen sich einfach aus je 2 Terzen zusammen; je nach der Art der Terzen, welche wir zusammensetzen, erhalten wir die verschiedenen Arten der Quinten.\n4)\tDie reine Quinte bestehend aus einer nat\u00fcrlichen grossen und einer eben solchen kleinen Terz! Ihre Umkehrung ist die reine Quarte A, beide sind consonant. Beispiele in der Durtonleiter: F \u2014 C, a \u2014 e, C \u2014 G, e \u2014 h, G \u2014 D.\n5)\tDie unreine Quinte D \u2014 a, um ein Komma kleiner als die reine Quinte D \u2014 A, besteht aus der grossen und der Pythagor\u00e4ischen kleinen Terz. Sie klingt wie eine schlecht gestimmte Quinte, ,und macht deutlich zu unterscheidende Schl\u00e4ge. In der eingestrichenen Octave ist die Zahl dieser Schl\u00e4ge 11 in der Secunde. Ihre Umkehrung ist die unreine Quarte a \u2014 \u00fc, -, welche ebenfalls entschieden dissonant ist. Die Quarte a \u2014 D macht eben so viel Schl\u00e4ge wie die Quinte D \u2014 a', wenn in beiden der Ton D der gleiche ist.\n6)\tDie falsche Quinte h \u2014- F, besteht aus einer nat\u00fcrlichen und einer Pythagor\u00e4ischen kleinen Terz h \u2014 I) und I) \u2014 F, und ist deshalb, wie die Notenschrift schon andeutet, um etwa einen halben Ton kleiner als die reine Quinte. . Sie ist eine ziemlich rauhe Dissonanz, an Rauhigkeit etwa der grossen Secunde gleichstehend. Ihre Umkehrung die falsche Quarte oder der Tritonus, F \u2014 h (drei Ganzt\u00f6ne umfassend F \u2014- G, G \u2014 a, a \u2014 h), ||, ist ihr an Rauhigkeit nahe gleich, und etwa um eie Komma kleiner. N\u00e4mlich nahehin ist die falsche Quinte h \u2014 F gleich Ces \u2014 F, und wenn man dieses Intervall um ein Komma kleiner macht, erh\u00e4lt man Ces \u2014 /, welches eine falsche Quarte ist. Genau genommen, da Ces nicht vollkommen gleich ist mit h, ist der Unterschied zwischen beiden Intervallen etwas kleiner als","page":510},{"file":"p0511.txt","language":"de","ocr_de":"Dissonante Intervalle;\t511\nein Komma, n\u00e4mlich 2~ \u00f6der abgek\u00fcrzt ~ Auf den Tasteninstrumenten fallen beide zusammen.\n7) Die \u00fcberm\u00e4ssige Quinte der Molltonart es \u2014 h, fj,besteht aus zwei grossen Terzen es\u2014 G und G \u2014 h. Sie ist nahe-hin um zwei Kommata kleiner als die kleine Sexte, wie man sieht, wenn man statt h das nahehin gleich hohe Ces setzt. Es ist es \u2014 h also gleich es\u2014 Ges, die consonante kleine Sexte ist aber es \u2014 Ces und es ist um zwei Kommata h\u00f6her als es. Die \u00fcberm\u00e4ssige Quinte ist merklich rauher als die nat\u00fcrliche kleine Sexte, mit der sie auf den Tasteninstrumenten zusammenf\u00e4llt. Das umgekehrte Intervall, die verminderte Quarte Ti \u2014 es, ||, ist dem entsprechend um zwei Kommata h\u00f6her als die nat\u00fcrliche grosse Terz, und betr\u00e4chtlich rauher als diese, f\u00e4llt aber auf den Tasteninstrumenten mit ihr zusammen.\nZwei nat\u00fcrliche kleine Terzen oder zwei Pythagor\u00e4ische kommen in der nat\u00fcrlichen Terzenfolge der Dur- und Molltonleiter nicht neben einander zu stehen. Im Septimen- und Quartengeschlecht k\u00f6nnen allerdings die Intervalle a \u2014 es und e \u2014 b, ||> sich bilden, aus je zwei nat\u00fcrlichen kleinen Terzen zusammengesetzt; diese sind um ein Komma gr\u00f6sser als die gew\u00f6hnlichen falschen Quinten h \u2014 F (oder u \u2014 Es in .B-Dur, e \u2014 B in B-Dur) und sind merklich rauher als diese.\nIII. Septimen und Seeunden.\nJe drei Terzen zusammengefasst geben Septimen; von den kleinsten anfangend, erhalten wir folgende verschiedene Gr\u00f6ssen derselben:\n8) Die verminderte Septime der Molltonart h \u2014 \u00e4s = (h \u25a0\u2014 D) -f- (D \u2014 F) -f- (F\u2014 \u00e4s), zwei nat\u00fcrliche und eine Pythagor\u00e4ische kleine Terz umfassend. Ihr Zahlenverh\u00e4ltniss ist sie ist um etwa zwei Kommata gr\u00f6sser als die grosse Sexte, wie man sieht, wenn man setzt h \u2014 \u00e4s = Ces \u2014 \u00e4s. Das Intervall Ces \u2014 as, welches um zwei Kommata enger ist, w\u00fcrde eine reine grosse Sexte sein. Ihre Dissonanz ist ziemlich scharf und rauh, \u00e4hnlich der der Pythagor\u00e4ischen grossen Sexte, welche um ein Komma kleiner ist. Ihre Umkehrung dagegen,*\u25a0 die \u00fcberm\u00e4ssige Secunde\u00e4s \u2014 h, ist nicht viel rauher als die nat\u00fcr-","page":511},{"file":"p0512.txt","language":"de","ocr_de":"512 Dritte Abtheilung. Siebzehnter Abschnitt.\nliehe kleine Terz. Ihr Zahlenverh\u00e4ltniss ist sehr nahe dem Yerh\u00e4ltniss y gleich (|| \u2014 y \u2022 -||)- Erweitert man diese Secunde zur None y, so wird sie ziemlich wohlklingend, ungef\u00e4hr so wie die allerdings recht unvollkommene Consonanz der kleinen De-cime y-\n9)\tDie engere kleine Septime Q-^\u2014F, h \u2014 a oder D\u2014 C, y, besteht aus einer grossen, einer nat\u00fcrlichen und einer Pythagor\u00e4ischen kleinen Terz. G \u2014 F \u2014 (G \u2014 h) -f- (h \u2014 I)) + (D\u2014F). Sie ist eine verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig milde Dissonanz, milder als die verminderte Septime, was f\u00fcr die Wijkung des Domi-nantseptimenaccordes, in welchem diese Septime vorkommt, von Wichtigkeit ist. Es ist diese engere kleine Septime von allen Septimenintervallen der nat\u00fcrlichen Septime y am n\u00e4chsten, doch nicht so nahe, wie das sp\u00e4ter zu erw\u00e4hnende Intervall der \u00fcberm\u00e4ssigen Sexte. Dass sich die nat\u00fcrliche Septime im Wohlklang den Consonanzen anschliesst, habe ich schon fr\u00fcher er\u00f6rtert. Die Umkehrung dieser Septime ist der grosse Ganz ton C\u2014D, a \u2014 h, F \u2014 G, j, der eine kr\u00e4ftige Dissonanz bildet.\n10)\tDie weitere kleine Septime e \u2014 D, a \u2014 G, f-, um ein Komma gr\u00f6sser als die vorige, klingt merklich sch\u00e4rfer , weil sie sich der Octave mehr n\u00e4hert; sie ist der verminderten Septime an Rauhigkeit fast gleich. Sie besteht aus einer grossen und zwei nat\u00fcrlichen kleinen Terzen; e \u2014 D = (e \u2014 G) -(- (G \u2014 h) -f- (h \u2014 JD). Die vorher genannte engere kleine Septime muss ihren Grundton auf der Oberdominantseite, ihre Septime auf der Unterdominantseite der Tonart haben, weil sie diePythagor\u00e4ische Terz JD \u2014 F in ihre Grenzen einfasst. Die weitere kleine Septime hat umgekehrt ihre Septime auf der Oberdominantseite. Ihre Umkehrung, der kleine Ganzton, y, D \u2014 e, G \u2014 a, ist etwas sch\u00e4rfer im Zusammenklange, als der grosse Ganzton.\n11)\tDie grosse Septime F\u2014e, G \u2014 ly, besteht aus zwei grossen und einer kleinen nat\u00fcrlichen Terz C\u2014 h = (C\u2014e) + (e \u2014 G) -f- (G \u2014 h). Sie ist eine scharfe Dissonanz, etwa eben so scharf, wie der kleinere Ganzton. Ihre Umkehrung, die kleine Secunde oder der Halbton jf ist von allen Dissonanzen der Tonleiter die sch\u00e4rfste.\nEine etwas abweichende grosse Septime k\u00f6nnte im Quarten-","page":512},{"file":"p0513.txt","language":"de","ocr_de":"Dissonante Intervalle.\t513\noder Septiinengeschle\u00e9ht entstehen, b \u2014 a; welche unr ein Komma kleiner w\u00e4re als die gew\u00f6hnliche grosse Septime, und deshalb im Klange etwas milder.\nZu erw\u00e4hnen ist endlich noch ein eigent\u00fcmliches Intervall des dorischen Sextengeschlecktsv! n\u00e4mlich\n12. Die \u00fcberm\u00e4ssige Sexte Ses h, welche durch Verbindung der diesem Geschlechte eigenth\u00fcmlichen kleinen Secunde des mit clem Leittone h entsteht. Der Werth des Intervalls ist es ist um etwa ein Komma kleiner als die kleine Septime des Dominants\u00ebptiinen\u00e2ccordes, wie man sieht, wenn man setzt des \u2014 h \u2014 des \u2014 Ges ; eine engere kleine Septime w\u00fcrde Des\u2014Ces sein; Sei 'ist aber ein Komma h\u00f6her als D\u00e9s. Man kann die \u00fcberm\u00e4ssige Sexte zusammengesetzt denken aus zwei grossen Terzen und einem ganzen Ton:\t:\n(des \u2014 F) -f- (F\u2014 Cr) -j- (\u00c7r \u2014 h) \u2014 (des \u2014 h).\nIhr Wohlklang ist dem der kleinen Sexte gleich, weil sie n\u00e4mlich fast genau dem nat\u00fcrlichen Intervalle T entspricht. Es ist n\u00e4mlich |g| = -p. \u2022 ^ Sie kann also allein genommen nicht als Dissonanz betracht\u00e9t werden, 'aber' sie l\u00e4sst keine anderen consonanten Verbindungen zu, und kann also nicht consonante Accorde bilden. Wenn sie fimgekehrt Kvird; in die verminderte Terz oder ann\u00e4hernd\u00ae, so verschlechtert sie sich bedeutend,\n2 2o\t7 1\t7\nwie sch\u00f6n fr\u00fcher bemerkt wurde, dagegen verbessert sie sich, wenn der h\u00f6here Ton h eine Octave h\u00f6her gelegt wird, wo sie nahehin das Intervall \\ darstellt. Die nahe \u00dcebereinstimmung mit der nat\u00fcrlichen Septime und der verb\u00e4ltnissm\u00e4ssige Wohlklang scheint es zu sein, der dieses sonderbare und unserem jetzigen Tonsystem, widersprechende Intervall, in den Cadenzen erhalten hat, und charakteristisch ist es hierf\u00fcr, dass seine Umkehrung in die verminderte Ter?:, welche den Wohlklang vermindert, verboten ist, wohl a,ber die ^p^eiter ung ; in die entsprechende Terzdecime erlaubt ist,, Auf den Tastaturinstrumenten. f\u00e4llt dieses Intervall mit der kleinen Septime zusammen..\nUeberhaupt: wird ein Ulipk, apf : die Fig. 53 lehren, wie ausserordentlich verschiedene .Interyalle ! den Tastaturinstrumenten verschmolzen werden. > Anf der 'unteren Seite der Grundlinie x \u2014 y sind die Orte der T\u00f6ne der gleichschwebenden Temperatur angegeben, und die kleinen Klammern l\u00e4ngs der Linie xy\nHelmholtz, phys. Theotie der Musik.\t33","page":513},{"file":"p0514.txt","language":"de","ocr_de":"514 Dritte Abtheilang. Siebzehnter Abschnitt.\numfassen diejenigen Tonstufen, welche durch den entsprechenden Ton der temperirten Scala ausgedr\u00fcckt zu werden pflegen. Das Intervall h \u2014 as wird auf dem Claviere ebenso gegriffen wie eine grosse Sexte Ces \u2014 as, das Intervall des \u2014 h dagegen wird um einen halben Ton weiter gegriffen, und doch ist das letztere vom ersten kaum mehr unterschieden, als das erste von der grossen Sexte. Und namentlich zeigt die Figur auch sehr gut, welcher grosse Unterschied in dem Wohlklange zwischen dem Intervalle C\u2014\u00abund dem F\u2014D oder h \u2014 as bestehen sollte, w\u00e4hrend diese alle durch den ziemlich scharfen Klang des temperirten Intervalls c \u2014 a ausgedr\u00fcckt werden. Die Physharmonica mit doppelter Tonreihe erlaubt dagegen, alle diese Intervalle rein zu greifen.\nDissonante Dreikl\u00e4nge.\nDissonante Dreikl\u00e4nge mit je einer Dissonanz erhalten wir, wenn wir zu demselben Grundtone je zwei Consonanzen hinzusetzen, die mit einander aber dissonant sind. Also\n1)\tQuinte und Quarte: C\u2014 F\u2014 G.\n2)\tTerz und Quarte: G \u2014 e \u2014 F oder G \u2014 es \u2014 F.\n3)\tQuinte und Sexte: C \u2014 G \u2014 a oder G \u2014 G \u2014 as.\n4)\tUngleichartige Terz und Sexte: G \u2014 es \u2014 a oder C \u2014 e \u2014 as.\nIn allen diesen ist G zu beiden anderen T\u00f6nen consonant. Nur der erstgenannte Accord spielt namentlich in der \u00e4lteren polyphonen Musik als sogenannter Yorhaltsaccord eine wichtige Holle. Die \u00fcbrigen werden wir sp\u00e4ter als Theile von Septimen-accorden wiederfinden.\nWichtiger sind in der neueren Musik die Dreikl\u00e4nge mit zwei Dissonanzen, welche die Grenzt\u00f6ne der Tonart zusammenfassen.\nIn dem Accordsystem der Tonart folgen sich wechselnd grosse und kleine Terzen, von denen zwei benachbarte zusammengefasst consonante Dreikl\u00e4nge geben. Zwischen den Grenzt\u00f6nen aber B und F betr\u00e4gt das Intervall eine Pythagor\u00e4ische kleine Terz, und wenn diese mit einer der n\u00e4chstanschliessenden Terzen zu einem Dreiklange vereinigt wird, wird dieser dissonant:\ne. \u00ab_ s_ \u00ab_\t\u00e6 ^\tf s_ (\n4545\t27 4\t545","page":514},{"file":"p0515.txt","language":"de","ocr_de":"Dissonante Dreikl\u00e4nge.\t515\niL JL JL JL \u2014 JL JL JL JL\n5445\t27\t5\t45\t4\nDas Dursystem giebt zwei Dreikl\u00e4nge der Art : h \u2014 B \u2014 F und B \u2014 F\u2014a\n632\t32 h_\n5\t27\t27\t4 \u2019\ndas Mollsystem:\nA \u2014 D \u2014 .F und B\u2014 F \u2014 as\n32\t32\t6\nfi\t27\t27\tF\nIn den beiden Accorden A \u2014 D \u2014 F und B \u2014 F\u2014as, welche die Pythagor\u00e4ische mit der kleinen Terz vereinigen, entstehen als zweite Dissonanzen auch noch die falschen Quinten A \u2014 F und D \u2014 as, welche die Accorde st\u00e4rker dissonant machen, als es die Terz p thun w\u00fcrde, man nennt sie-die verminderten Dreikl\u00e4nge. Der Accord D \u2014 F\u2014 a, obgleich er in Notenschrift wie der Mollaccord d \u2014 F \u2014 a aussieht, und deshalb auch der falsche Molldreiklang heissen mag, ist,wie Hauptmann mit Recht er\u00f6rtert hat, dissonant, und er klingt, auf rein gestimmten Instrumenten ausgef\u00fchrt, auch ganz entschieden so. Er klingt kaum weniger rauh als der Accord A B F. Macht man in Q-Dur, ohne D mit d zu verwechseln, die Cadenz 1 oder 2:\nso treten die Accorde a \u2014 D \u2014 F und F \u2014 a \u2014 D \u2014 F ganz ebenso als dissonante Accorde auf wie die folgenden A\u2014B \u2014 F und Gr \u2014 A \u2014 D \u2014 F. In der ungenauen Stimmung unserer musikalischen Instrumente erreicht man dieselbe Wirkung nur, indem man mit der Subdominante in der Cadenz einen umgelegten Septimenaccord F \u2014 a \u2014 G \u2014 D verbindet. Hauptmann zweifelt, dass der falsche Molldreiklang von Q-Dur in der Anwendung von dem D-Mollaccorde unterschieden werden k\u00f6nne. Ich finde, dass dies auf meiner rein gestimmten Physharmonica ganz entschieden und unzweifelhaft geschieht, gebe aber zu, dass es misslich sein w\u00fcrde, von S\u00e4ngern die richtige Intonation zu erwarten. Sie werden unwillk\u00fcrlich in einen reinen Mollaccord\n33*","page":515},{"file":"p0516.txt","language":"de","ocr_de":"516 Dritte Abtheilung. Siebzehnter Abschnitt.\n\u00fcbergehen, wenn nicht in der F\u00fchrung der Stimme, welche das B \u00fcbernimmt, die Verwandtschaft mit der Dominante G stark hervorgehoben ist.\nDiese Accorde, und zwar am entschiedensten und; deutlichsten der Accord h \u2014 B \u2014 F, haben nun noch f\u00fcr die Musik die besondere Wichtigkeit, dass sie die Grenzt\u00f6ne der Tonart, durch welche diese von den n\u00e4chstverwandten geschieden ist, zusammenfassen, und somit sehr bestimmt die Tonart bezeichnen, in welcher sich die Harmonie zur Zeit bewegt. Schritte sie nach G-Dur oder G-Moll fort, so w\u00fcrde statt des F ein fis eintreten m\u00fcssen. Schritte sie nach F'-Dur fort, so w\u00fcrde statt 1) ein d oder in F\u2019-Moll ein des eintreten. Ausserdem w\u00fcrde sich in dem h enthaltenden Accorde ein B einstellen. Also :\nin\tG-Dur:\th \u2014\t1) \u2014\tfis\tD\tfis\tA\nin\tG-Dur:\th -\tD _\tF\tB\tF\ta\nin\tF\u2019-Dur :\tB\td\tF\td\tF\ta\nin\tG-Moll:\tb\tI)\tfis\tD\tfis\tA\nin\tG-Moll :\th\tD\tF\tB\tF\tas\nin\tJF-Moll:\tB\tdes\tF\tdes\tF\tas.\nMan sieht, dass diese Accorde in den n\u00e4chstverwandten Tonarten deutlich unterschieden sind, mit Ausnahme des B F a und d F a, dessen Unterscheidung auf praktische Schwierigkeiten stossen w\u00fcrde. \\Die beiden anderen sind deutlicher von denen der n\u00e4chstbenachbarten Tonarten unterschieden., Dagegen w\u00fcrden auch\nh-\u2014D \u2014 F und d\u2014/\u2014As\ne_\t32\t33\t6_\n%5\t27\t27 . 5\nleicht verwechselt werden mit\nh \u2014 d \u2014 F\nund d F As\n\u25a0 JL 2H\n5\t27\nvon denen der erstere zu a-Moll und der letztere zu 2?s-Dur oder jUs-Moll geh\u00f6rt. A-Moll ist die dem G-Dur n\u00e4chstverwandte Mo ID tonart, F's-Dur die dem G-Moll n\u00e4chstverwandte Durtonart.\nUnd endlich, wenn man ber\u00fccksichtigt, dass die kleine Pytha-gor\u00e4ische Terz p noch weniger von der \u00fcberm\u00e4ssigen Secunde;||\ngeschieden ist, als von der normalen kleinen Terz (p = ~ \u25a0 p und","page":516},{"file":"p0517.txt","language":"de","ocr_de":"Septimenaccorde.\t517\n1=1 :,i\u00fc! oder nahehin | = g . ||), so kann der Dreiklang h \u2014 D \u2014 F durch verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig kleine Aenderungen der Intonation \u00fcbergehen in\nh \u2014 D \u2014 Eis und ces \u2014 d \u2014 F\n5\t64\t64\t5\ndie zu j\u00ees-Moll und E's-Moll geh\u00f6ren. Es kann also der verminderte Dreiklang h \u2014 D \u2014 F bei Aenderungen seiner In-\ntonation um nur zu den Tonarten\nC-Dur, C-Moll,' a-Mol'l, ^s-Moll und i?s-Moll\nbezogen werden. Wenn durch Gebrauch des Dreiklangs Ji \u2014 D \u2014 F auch die n\u00e4chst verwandten Tonarten von ''C ausgeschlossen sind, so kann doch eine Verwechselung mit entfernteren noch eintreten, und wenn wir den Zweck, durch diese Dreikmnge die Tonart vollst\u00e4ndig zu bezeichnen,' erreichen wollen, m\u00fcssen wir noch einen vierten Ton hinzunehmen, also den Accord vierstimmig machen, wodurch wir zu den Septimenaccorden gelangen.\nSeptimenaccorde.\na. Gebildet aus zwei consonanten Dreikl\u00e4ngen.\nConsonante vierstimmige Accorde lassen sich nicht bauen, wie fr\u00fcher gezeigt ist, ohne einen der T\u00f6ne in der Octave zu verdoppeln, aber dissonante Accorde lassen sich vierstimmig bauen. Die am wenigsten dissonante Art dieser Accorde ist diejenige, wo nur ein einziges Intervall dissonant ist, alle \u00fcbrigen consonant. Man bildet sie am einfachsten, wenn man zwei consonante Dreikl\u00e4nge vereinigt, die je zwei gemeinsame T\u00f6ne enthalten. Bei der Vereinigung sind dann die nicht gemeinsamen T\u00f6ne dissonant, alles Uebrige ist consonant, so dass die Dissonanz zwischen der Menge der \u00fcbrigen consonanten T\u00f6ne sich verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig wenig bemerkbar, macht. Also die Accorde\nC\u2014 e - a e \u2014 G \u2014\nvereinigt, geben den vierstimmigen Accord G \u2014 e \u2014 G \u2014 h,\nin welchem nur die grosse Septime C \u2014 h ein dissonantes Inter-","page":517},{"file":"p0518.txt","language":"de","ocr_de":"518 Dritte Abtheilung. Siebzehnter Abschnitt.\nvall ist, alle \u00fcbrigen consonant, wie folgende Uebersicht der Intervalle zeigt:\nDiese aus der engsten Lage der Dreikl\u00e4nge abgeleitete Lage des Septimenaccords wird als die fundamentale Lage desselben betrachtet. Die Intervalle zwischen den einzelnen T\u00f6nen erscheinen als Terzen, und wenn wir die Septimenaccorde aus den con-sonanten Dreikl\u00e4ngen der Tonleiter bilden, m\u00fcssen diese Terzen abwechselnd grosse und kleine sein, weil in den consonanten Dreikl\u00e4ngen immer eine grosse Terz mit einer kleinen vereinigt ist. Hauptmann nennt diese Septimenaccorde, welche in der nat\u00fcrlichen Terzenfolge der Tonart\nF \u2014 a \u2014 G \u2014 e - G \u2014 h \u2014 D schon fertig gebildet Vorkommen, Accorde des unverwende-ten Systems. Ein Unterschied in diesen Dreikl\u00e4ngen entsteht daher nur dadurch, dass entweder eine kleine Terz in der Mitte steht und zwei grosse seitlich, wie in dem eben angef\u00fchrten Dreiklange G \u2014 e \u2014 G \u2014 h und dem \u00e4hnlichen F \u2014 a \u2014 G \u2014 e aus der C'-Durleiter und As\u2014 c \u2014 Es \u2014 G aus <7-Moll, oder aber eine grosse Terz in der Mitte mit zwei kleinen an den Seiten vereinigt ist, wie in\na \u2014-G \u2014 e \u2014 G\nund dem \u00e4hnlichen Dreiklange e \u2014 G \u2014 h \u2014 T> aus der C'-Durleiter und / \u2014 As \u2014 c \u2014 Es aus (7-Moll. Diese letzteren haben als Dissonanz die kleine Septime, welche viel milder ist als die Dissonanz der grossen Septime.","page":518},{"file":"p0519.txt","language":"de","ocr_de":"Septimen\u00e2ccorde.\n519\nb. Septimen\u00e2ccorde, gebildet mit dissonanten Dreikl\u00e4ngen.\nWeitere Septimen\u00e2ccorde sind zu bilden aus den dissonanten Grenzdreikl\u00e4ngen der Tonart, vereinigt mit je einem der conso-nanten Dreikl\u00e4nge, und aus den beiden dissonanten Dreikl\u00e4ngen selbst. So geben uns die vereinigten Grenzen der Accordkette der Tonart\nC \u2014 e \u2014 Gr \u2014 h \u2014 D \\ F \u2014 a \u2014 0\nund\nC \u2014 es \u2014 G \u2014 h \u2014 D | F \u2014 as \u2014 C folgende Reihe von Septimenaccorden des verwendeten Systems:\n1)\n2)\n3)\n1) \u2014 F \u2014 as \u2014 O\n4)\nB \u2014F\u2014a\n32\n5","page":519},{"file":"p0520.txt","language":"de","ocr_de":"520\nDritte Abtheilung. Siebzehnter Abschnitt.\n5)\nh-D-F\n6_\t32\t_6_\n5\t27\t5\n328 75.*\nOte Septimen in diesen Accorden, welche alle der nat\u00fcrlichen Septime ~ ziemlich nahe kommen,, sind s\u00e4mmtlich kleiner als die der aus consonanten Accorden zusammengesetzten Septimpn-r accorde, ine Hauptdissonanzen dieser Accorde sind die falschen und ui Ir inen Quinten h \u2014 F, D \u2014 a und J) \u2014 as, also die Intervalle und \u2014\u25a0 Die drei ersten Septimenaccorde G -\u2014 h \u2014-D \u2014 F, D \u2014 F \u2014 a \u2014 C und D \u2014 F \u2014 as \u2014 C, welche nur jo eine dieser unreinen Quinten enthalten, sind deshalb milder dissonant als die beiden letzten mit je zwei unreinen Quinten. Unter diesen Accorden stehen die, welche einen Duraccord enthalten, n\u00e4mlich\nG \u2014 h \u2014 D \u2014 F und D \u2014 F \u2014 a \u2014 C,\nin der Sch\u00e4rfe der Dissonanz ungef\u00e4hr gleich den milderen Septi-menaccorden des unverwendeten Systems, welche die gr\u00f6ssere und rauhere Art der kleinen Septime enthalten, daneben aber lauter reine Quinten :\na \u2014 C \u2014 e \u2014 G und e \u2014 G \u2014 h \u2014 D.\nDer Dominantseptimenaccord G \u2014 h \u2014 D \u2014 F kann sogar noch viel milder gemacht werden, wenn man das F zu / erniedrigt. Das Intervall G \u2014 / entspricht dem Yerh\u00e4ltniss welches sehr nahe gleich ist dem Yerh\u00e4ltniss ~ Es ist n\u00e4mlich angen\u00e4hert \u2014\tDer Accord G \u2014 h \u2014 D \u2014 / steht an der\nGrenze der consonanten Accorde.\nDer Septimenaccord dagegen, welcher eine falsche Quinte und einen Mollaccord enth\u00e4lt,\nD \u2014 F \u2014 as \u2014 C\nschliesst sich in der Rauhigkeit den Accorden des unverwendeten Systems mit grosser Septime an :\nF \u2014 a \u2014 C \u2014 e und C \u2014 e \u2014 G \u2014 h.","page":520},{"file":"p0521.txt","language":"de","ocr_de":"Septimenaccord\u00e8.\t521\nDabei ist auffallend, dass dieser letztere Accord genau dieselben Intervalle nur in umgekehrter Lage hat wie G \u2014 h \u2014 B \u2014 F, denn\nDadurch, dass der consona\u00fcte Theil des ersteren Accordes ein Mollacc\u00f6rd ist, im zweiten dagegen ein Duraccord, f\u00e4llt dererstere entschieden rauher aus als der letztere.\nAuch hier ist der Grund wieder in den Combinationst\u00f6nen zu suchen, von denen die tiefliegenden der engeren Intervalle am deutlichsten sind. Di\u00e8se sind f\u00fcr\nG -h -D-F G G a\nund f\u00fcr\nF - F-_as C a des as\nDer erstere enth\u00e4lt unter den angegebenen Combinationst\u00f6nen nur einen, der zum Accord\u00e9 nicht passt, der zweite zwei.\nDie rauhesten sind die Septimenaccorde mit je zwei falschen Quinten, h \u2014 D \u2014 F\u2014 \u00bb und Ti \u2014 B \u2014 F\u2014 as, von denen der erstere aber wieder mittels einer kleinen Aenderung seiner Stimmung ziemlich weich gemacht werden kann. Wenn man n\u00e4mlich angiebt h \u2014 B \u2014 / \u2014 A, so enth\u00e4lt der Accord lauter T\u00f6ne des Gr-Klanges, und diese klingen ziemlich gut zu einander.\nDie Accorde des verwendeten Systems spielen nun eine wichtige Rolle in modulatorischen Bewegungen, um die Tonart fortdauernd genau zu bezeichnen. Am entschiedensten wirkt in dieser Beziehung der Septimenaccord auf der Dominante der Tonart, also f\u00fcr die Tonic\u00e4 C der Accord G \u2014 h \u2014 B \u2014 F, Wir sahen, dass der verminderte Dreiklang h \u2014 B \u2014 F durch kleine Aen-derungen der Intonation angepa\u00e0st werden kann den Tonarten C-Dur, C-Moll, \u00ab-Moll, /\u00ces-Moll und A's-Moll.\nVon diesen enthalten aber nur die beiden ersten noch den Ton G, so dass der Accord G \u2014 h \u2014 B \u2014 IP nur der Tonica C angeh\u00f6rt.\nDer unreine Molldreiklang B \u2014 F \u2014 \u00ab, welcher bei genauer Intonation nur der O-Durleiter angeh\u00f6rt, liess die Verwechselung","page":521},{"file":"p0522.txt","language":"de","ocr_de":"522 Dritte Abtheilung. Siebzehnter Abschnitt.\nmit d \u2014 F \u2014 a zu, welcher zu a-Moll, A-Dur und J3-Dur geh\u00f6ren kann. Durch die Hinzuf\u00fcgung des Tones G wird diesen Verwechselungen nicht vorgeheugt, so dass der Septimenaccord I) \u2014 F \u2014 a \u2014 G nur in Abwechselung mit dem Dominantsepti-menaccorde in der Cadenz gebraucht zu werden pflegt, wo er dann C-Dur von A-Moll unterscheidet. Wohl aber ist die Hinzuf\u00fcgung des Tones h zu dem Dreiklange D \u2014 F \u2014 a charakteristisch, weil dieser h\u00f6chstens noch die Verwechselung mit dem Accorde h \u2014 d \u2014 F \u2014 a, der zu a-Moll geh\u00f6rt, zul\u00e4sst. Der Accord h \u2014 D-^F\u2014a, zwischen Duraccorden gebraucht, klingt aber verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig rauh, namentlich in jeder Umlagerung, in der a nicht der oberste Ton bleibt, und findet deshalb nur eine beschr\u00e4nkte Anwendung. Oft wird er mit dem Dominantsepti-menaccorde vereinigt, als' Nonenaccord G \u2014 h \u2014 D \u2014 F \u2014 a, wo aber G und a seine \u00e4ussersten T\u00f6ne bleiben m\u00fcssen. Dar\u00fcber unten mehr.\nIn der C-Molltonart kann der Dreiklang D \u2014 F \u2014 \u00e4s, der in seiner reinen Intonation an sich charakteristisch w\u00e4re, auch mit anderen leicht vertauscht werden. Es geh\u00f6rt:\nD \u2014\tF \u2014 as\tzu\tC'-Moll\n32\t6\n27\t6\nd \u2014 F \u2014 As zu As-Dur und As-Moll\n\u00a3\t32\n5 ___ 27\nD \u2014\t/ \u2014 gis\tzu A-Moll\n\u00a3\t75\n__\t5\t64\n\u00e4 \u2014 eis \u2014 Gis zu As-Moll\n75\t\u00a3\n64\t5\nDer Zusatz des Tones G im Septimenaccorde D\u2014F\u2014as \u2014 G w\u00fcrde nur die Tonart As-Moll entschieden ausschliessen, und der Zusatz des Tones h, der mit H oder ces zu verwechseln w\u00e4re, w\u00fcrde zu allen den oben aufgef\u00fchrten Tonarten passen. Dieser letztere Accord, der sogenannte verminderte Septimenaccord, erscheint auf den Tasteninstrumenten als eine Kette kleiner Terzen. In Wahrheit steht aber zwischen je zwei kleinen Terzen eine Pythagor\u00e4ische kleine Terz oder eine \u00fcberm\u00e4ssige Secunde:\nh \u2014 D\u2014F\u2014as\u2014h\u2014D\u2014F\u2014as \u2014 h","page":522},{"file":"p0523.txt","language":"de","ocr_de":"Die dissonante Note der Septimenaccorde. 523\nDa die drei Intervalle |-i p und ^ nur sehr wenig verschieden sind, so k\u00f6nnen sie leicht mit einander verwechselt werden, und wir erhalten folgende Tonreihen, die nahe gleich sind:\nh\u2014D\u2014F\u2014as\u2014h\nH\u2014B \u2014/\u2014gis\u2014H\nH\u2014~d\u2014eis\u2014 Gis\u2014H\n6\t76\t32\nT 64\tS 27 \nccs\u2014d \u2014 F\u2014As\u2014ces\nin C-Moll\nin .4-Moll\nin .Fis-Moll\nin Fs-Moll.\nDiese verminderten Septimenaccorde stechen in der Molltonart nicht so scharf gegen die consonanten Accorde ab, wie der entsprechende Accord in der Durtonart, obgleich sie hei reiner Stimmung immereine sehr einschneidende Dissonanz geben. Wenn sie gefolgt werden von dem Dreiklange der Tonica, so enthalten diese beiden Accorde zusammen s\u00e4mmtliche T\u00f6ne der Tonart, bezeichnen diese also sehr vollst\u00e4ndig. Die Hauptverwendung findet \u00fcbrigens der verminderte Septimenaccord durch seine Ver\u00e4nderlichkeit, um schnell in eine neue entferntere Tonart \u00fcberzuleiten. Durch blosse Hinzuf\u00fcgung des Molldreiklanges von Fis-, A-, C-oder Fs-Moll wi*d dann diese neue Tonart selbst ganz vollst\u00e4ndig festgestellt. Man bemerkt leicht, dass die Reihe dieser Tonarten selbst einen verminderten Septimenaccord bildet, dessen T\u00f6ne um einen halben Ton h\u00f6her liegen als die des angegebenen Accordes. Dadurch sind die Tonarten, zu denen er geh\u00f6rt, leicht zu merken.\nDas Zusammenschliessen der Tonart durch diese Accorde ist besonders wichtig in der Cadenz am Schl\u00fcsse einer Composition, oder einer Hauptperiode derselben. Dazu m\u00fcssen wir nun noch feststellen, welche Grundkl\u00e4nge durch die hierher geh\u00f6rigen Septimenaccorde repr\u00e4sentirt werden k\u00f6nnen.\nIn dieser Beziehung ist aber zu bemerken, dass die T\u00f6ne eines dissonanten Accordes nie alle, oder dann wenigstens nur unvollkommen, einen einzigen Klang repr\u00e4sentiren ; einige von ihnen kann man aber in der Regel als Bestandtheile eines Klan-","page":523},{"file":"p0524.txt","language":"de","ocr_de":"524 Dritte Abtheilung. Siebzehnter Abschnitt.\nges auffassen.Dadurch entsteht ein praktisch wichtiger Unterschied zwischen den verschiedenen T\u00f6nen eines solchen Accordes. Diejenigen T\u00f6ne n\u00e4mlich, welche als Bestandtheile eines Klanges zusammengefasst werden k\u00f6nnen, bilden mit einander eine in sich geschlossene und zusammengeh\u00f6rige Klangmasse. Ein oder zwei andere T\u00f6ne des Accordes dagegen, welche in diese Klangmasse nicht hineingeh\u00f6ren, erscheinen als vereinzelte und zuf\u00e4llig nebenher laufende T\u00f6ne. Dicso letzteren werden von den Musikern die Dissonanzen oder die dissonanten Noten des Accordes genannt. An und f\u00fcr sich ist in einem dissonanten Intervall der eine Ton nat\u00fcrlich ebenso gut dissonant gegen den anderen, wie der zweite gegen den ersten, und wenn keine anderen hinzukommen, hat es keinen Sinn, nur einen von ihnen allein f\u00fcr die dissonante Note erkl\u00e4r\u00f6ii zu Vollen. In der Septime G \u2014 h z. B. ist C gegen h und h gegen G dissonant, jedes nur in Beziehung auf das andere. In dem Accorde G \u2014 e \u2014 G\u2014 h dagegen bildet,; G t-t:c \u2014 6reineeinzigeKlangmasse,die dem Klange des C entspricht, und h ist ein, vereinzelt nebenher gehender Ton. Die drei T\u00f6ne G \u2014 e \u2014 G treten deshalb mit selbst\u00e4ndiger Sicherheit auf, sich gegenseitig unterst\u00fctzend und haltend. Die vereinzelte Septime h dagegen muss sich ohne Unterst\u00fctzung gegen die Uebermacht der anderen halten, was sie sowohl in der Ausf\u00fchrung durch, den S\u00e4nger, wie im Yerst\u00e4ndniss des H\u00f6rers, nur kann,- wenn ihr melodi\u00f6ser Fortschritt sehr einfach und leicht verst\u00e4ndlich gehalten ist. Deshalb sind f\u00fcr diese eine Note besondere Regeln,der Stimmf\u00fchrung z\u00fc beobachten, w\u00e4hrend der Einsatz des G, welches seine hinreichende Sicherheit in dem Accorde selbst findet, ganz frei und ungehindert erfolgt. Dieser praktische, .Unterschied in den Gesetzen der Stimmf\u00fchrung wird von den Musikern, dadurch ausgedr\u00fcckt, dass sie in diesem Falle h allein als den dissonanten Ton des Accordes bezeichnen. Wenn auch diese Bezeichnung ; nicht gerade sehr passend gew\u00e4hlt ist, so k\u00f6nnen wir sie doch ferner unbedenklich gebrauchen, nachdem wir hier auseinandergesetzt haben, was ihr eigentlicher Sinn ist.\nWir gehen nun dazu \u00fcber, f\u00fcr die einzelnen von uns gefundenen Septimenaccorde festzustellen, welchen Klang sie vertreten, und welches ihre dissonanten T\u00f6ne sind.\n1. Der Dominantseptimenaccord G \u2014 h \u2014 D \u2014 F enth\u00e4lt drei T\u00f6ne, welche dem Klange G angeh\u00f6ren, n\u00e4mlich Gu","page":524},{"file":"p0525.txt","language":"de","ocr_de":"Die dissonante Note der Septimetraccorde. 525\nh und D, w\u00e4hrend die Septime /\u2022' der dissonante Tonl ist. Indessen ist zu bemerken, dass diese kleine Septime G \u2014 IF dem Ver-h\u00e4ltniss 4:7, welches; fast genau durch das Intervall G \u2014 /hergestellt w\u00e4re, schon sq nahe liegt, dass der Ton F allenfalls als siebenter Partialton des Klanges G gelten kann. Genauer w\u00e4re dieser Klang darzustellen durch \u2014 ,7r.\u2014 D \u2014 /. S\u00e4nger wandeln auch wohl leicht das F des ; Septimenaccordes in / um, theils weil es in der Regel nach unten ; auf e fortschreitet, theils weil sie durch diese Umwandlung einen; milder klingenden Accord erzielen. Das wird namentlich ; leicht geschehen * wenn in dem vorausgegangenen Accorde der Klang des F nicht mittelst einer nahen Verwandtschaft festgestellt ist. I Also z. B. wenn zu dem schon liegenden eonsonanten Accorde G \u2014 h \u2014 B sp\u00e4ter noch ein F hinzutreten soll, wird dieses leicht: ein / werden, weil F mit keinem der T\u00f6ne G, h oderD nahe verwandt ist. Trotzdem, also der Dominantseptimenaccord ein dissonanter Accord ist,,so\\liegt doch selbst sein dissonanter Ton dem entsprechenden Partialton im Klange der Dominante so nahe, dass der ganze Accord sehr wohl als Vertreter des Klanges der Dominante angesehen Iwerden kann. Eben deshalb ist denn auch die Septime dieses Accordes von manchen Beschr\u00e4nkungen der Stimmf\u00fchrung befreit, denen man die dissonanten Septimen ; sonst unterwirft. Man erlaubt namentlich, dass sie frei und sprungweise einsetzen darf, was in anderen F\u00e4llen nicht erlaubt ist.\nDer Dominantseptimenaccord spielt in der neueren Musik deshalb n\u00e4chst dem tonischen Accorde die wichtigste Rolle; Er bezeichnet genau die Tonart, genauer als der einfaohe Dreiklang der Dominante G\u2014 h \u2014 D und genauer, als der i verminderte Dreiklang h \u2014 I) \u2014 F. Als Dissonanzaccord dr\u00e4ngt I er zur Aufl\u00f6sung in den tonischen Accord,) was der einfache Dreiklang der Dominante nicht thut. Dazu kommt endlich noch, dass sein Wohlklang ausserordentlich wenig getr\u00fcbt ist, so dass er der mildeste aller dissonanten Accorde ist, : Wir sind deshalb in der neueren Musik kaum noch im Stande ihn zu entbehren. Erfunden ist er imAnfange des 17.Jahrhunderts durch Monteverde, wie es scheint.\n2. Der Septimenaccord auf der Secunde der Durtonart, D \u2014 F \u2014 a \u2014 C, enth\u00e4lt drei T\u00f6ne, welche dem Klange F angeh\u00f6ren, n\u00e4mlich F, a und G. > D ist bei genauer Intonation dissonant zu allen drei T\u00f6nen des Accordes, und als die dissonante","page":525},{"file":"p0526.txt","language":"de","ocr_de":"526 Dritte Abtheilung. Siebzehnter Abschnitt.\nNote desselben zu betrachten. Die fundamentale Lage dieses Accordes ist also die, welche schon Rameau als solche aufgefasst hat, und worin F als Grundton erscheint: F \u2014 a\u2014 C \u2014 D, also die Quintsextenlage, oder wie Rameau sie nennt, der Accord der grossen Sexte. In dieser Lage pflegt der Accord auch in der Cadenz der C-Durtonart zu erscheinen. Seine Deutung und Beziehung zur Tonart ist wiederum sicherer, als die des fr\u00fcher besprochenen falschen Mollaccordes F \u2014 F \u2014 a, welcher in der Ausf\u00fchrung durch den S\u00e4nger und in der Auffassung des H\u00f6rers der Verwechselung mit d \u2014 F \u2014 a aus der \u00ab-Molltonart unterworfen ist. Wenn wirD\u2014F\u2014 am d \u2014 F\u2014 a verwandeln, gelangen wir in einen consonanten Accord, dazu wird die Neigung sehr gross sein, wenn in der melodischen Fortschrei-tung die Verwandtschaft des F zum Gr nicht sehr stark hervorgehoben ist. Wenn wir aber auch in dem Accorde F\u2014 F\u2014a\u2014G das D in d verwandeln wollten, so w\u00fcrden wir es dadurch zwar gegen F und a consonant machen, aber nicht gegen C, im Gegen-theile ist die Dissonanz d \u2014 C sch\u00e4rfer als D \u2014 (7, und es w\u00fcrde immer nur der Ton a in den Klang des d eintreten, so dass trotz dieser Aenderung F, welches drei T\u00f6ne des Accordes in seinen Klang vereinigt, das Uebergewicht als Grundton behalten w\u00fcrde \u00fcber d, welches nur zwei vereinigt. Ich finde dem entsprechend, dass auf der nat\u00fcrlich gestimmten Physharmoniea der Accord F \u2014 a \u2014 G \u2014 F, als Subdominantenaccord von (7-Dur, eine bessere Wirkung macht, als F \u2014 a \u2014 G \u2014 d.\n3.\tDer entsprechendeSeptimenaccord auf der Secunde der Molltonart F \u2014 F \u2014 as \u2014 C enth\u00e4lt nur den Ton 0, welcher als Bestandtheil entweder des Klanges F oder des Klanges \u00d6s betrachtet werden kann. Da aber C der dritte Partialton von F und erst der f\u00fcnfte von ~\u00e4s ist, so hat auch hier in der Regel F das Uebergewicht als Grundton, und der Accord ist zu betrachten als Subdominantenaccord F \u2014 as \u2014 O mit Zusatz des dissonanten Tones D. Zur Ver\u00e4nderung des 1) in d ist hier noch weniger Veranlassung als in dem entsprechenden Duraccorde.\n4.\tDer Septimenaccord auf der Septime der Durtonart h \u2014 D \u2014 F \u2014 a enth\u00e4lt zwei T\u00f6ne h und F, welche dem Klange der Dominante G angeh\u00f6ren, und zwei, n\u00e4mlich F und a, welche in den Klang F geh\u00f6ren. Der Accord zerf\u00e4llt also in zwei gleich gewichtige H\u00e4lften. Indessen ist zu bemerken, dass die beiden T\u00f6ne F und a den beiden n\u00e4chsten Partialt\u00f6nen des","page":526},{"file":"p0527.txt","language":"de","ocr_de":"Die dissonante Note der Septimenaccorde. 527\n(r-Klanges ausserordentlich nahe kommen. Die T\u00f6ne des 6r-Klan-ges vom vierten ab k\u00f6nnen n\u00e4mlich geschrieben werden: a-h-D\u2014f\u2014a\u2014A 4\t5\t6\t7\t8\t9.\nSo kann denn auch in der That der Nonenaccord G\u2014h\u2014I)\u2014F\u2014a den Klang der Dominante G vertreten, vorausgesetzt, dass man die Aehnlichkeit noch durch die Stellung der T\u00f6ne deutlich erh\u00e4lt; G muss tiefster Ton und a h\u00f6chster bleiben, auch wird es gut sein, wenn F nicht zu tief liegt. Da das A der neunte Partialton des Klanges G ist, welcher in allen gebr\u00e4uchlichen Klangfarben sehr schwach ist, oft fehlt, ausserdem sowohl zwischen/ und F, wie zwischen A und a der Unterschied eines Komma\u2019s bleibt, muss man eben in solcher Weise die Aehnlichkeit des Nonenaccordes mit dem Cr-Klange so gross wie m\u00f6glich machen. Es wird dann die Abweichung zwischen / und F, A und a nicht sehr auff\u00e4llig. Es sind in diesem Falle F und a als die dissonanten Noten des Nonenaccordes G \u2014 h \u2014 D \u2014 F \u2014 a zu betrachten, weil sie sich zwar nahehin, aber doch nicht genau dem Cr-Klange einf\u00fcgen. Die Eintrittsweise des a ist aus demselben Grunde wie die des F im Dominantseptimenaccorde G \u2014 h \u2014 D \u2014 F unbehindert. Nun kann man endlich einzelne T\u00f6ne des f\u00fcnfstimmigen Nonenaccordes weglassen, um ihn vierstimmig zu machen, z. B. seine Quinte oder auch seinen Grundton G \u2014 h \u2014 F \u2014 a oder h \u2014 D \u2014 F \u2014 a. Vorausgesetzt, dass man die Ordnung der T\u00f6ne m\u00f6glichst bewahrt, namentlich a als h\u00f6chsten Ton erh\u00e4lt, wird der Accord immer noch als Cr-Klang wiedererkannt werden k\u00f6nnen, und diesen vertreten.\nHierin scheint mir einfach der Grund zu liegen, warum die Musiker es w\u00fcnschenswerth finden, das a des Accordes h \u2014 I) \u2014 F\u2014 a den obersten Ton bilden zu lassen. Hauptmann stellt dies sogar unbedingt als Regel auf, indem er eine ziemlich k\u00fcnstliche Begr\u00fcndung dieser Regel giebt. Es wird dadurch die Zweiheit dieses Accordes, so weit es m\u00f6glich ist, aufgehoben, und er bekommt eine deutlich verst\u00e4ndliche Beziehung zur Dominante der C-Durtonart, w\u00e4hrend bei anderen Lagen desselben Accordes die Verwechselung mit dem Subdominantenaccord von a-Moll nahe liegen wird. Uebrigens klingt nun auch bei reiner Stimmung der aus den Partialt\u00f6nen des Cr-Klanges zusammengestellte Accord G \u2014 h \u2014 D\u2014/\u2014A sehr weich und wenig dissonant, der Nonen-","page":527},{"file":"p0528.txt","language":"de","ocr_de":"528 Dritte Abtheilung. Siebzehnter; Abschnitt.!\naccord der C-Durtonart G \u2014 h \u2014 I) F -- a und der Sepi timenaccord, in der Lage h -r- D \u2014 F \u2014 a klingen etwas rauher, wiegen der Pythagoreischen Terz D \u2014 F, und der unreinen Quinte F \u2014 a, aber sie-sind nicht sehr scharf. Dagegen werden sie sehr rauh, wenn man das a tiefer legt.\nDer Septimenaccord h\u2014 1) \u2014 F \u2014 a mit dem darauf folgenden Dreiklange C \u2014 e \u2014 G enth\u00e4lt, wie schon vorher bemerkt ist, s\u00e4mmtliche T\u00f6ne der G'-Durt\u00f6nleiter, so dass diese Accordverbindung die Tonart sehr kurz und vollst\u00e4ndig feststellt.\n5.\tDer verminderte Septimenaccord h \u2014 D \u2014 F\u2014~\u00e4s theilt die letztere Eigenschaft mit dem entsprechenden Accorde der Durtonart, er wird deshalb und .wegen seiner grossen Ver\u00e4nderlichkeit in der neueren Musik ausserordentlich viel, vielleicht \u00fcberm\u00e4ssig viel zu Modulationen benutzt. Er enth\u00e4lt kei-i nen Ton, der zu dem Klange irgend einer anderen Note des Accordes geh\u00f6rte,('wohl aber kann man die drei T\u00f6ne h \u2014 I) \u2014 F als dem Klange der Dominante G angeh\u00f6rig betrachten, daher er auch als Nonenaccord in der Zusammensetzung\nQ----h - D \u2014 F \u2014 \u00d6F\nvorkommt. Er vertritt deshalb unvollkommen den Klang der Dominante mit Einf\u00fcgung des fremden Tones \u00abs, und man kann F und as als die dissonanten T\u00f6ne dieses Accordes anseben. Der Zusammenhang der drei T\u00f6ne h \u2014 D \u2014 F im G-Klange ist aber nicht so hervortretend, dass die T\u00f6ne F und aF in ihrer Bei wegung den T\u00f6nen h und D entschieden untergeordnet w\u00e4ren. Man l\u00e4sst sie wenigstens frei einsetzen, und l\u00f6st den Accord durch Fortgang aller seiner T\u00f6ne in m\u00f6glichst kleinen Schritten auf, da er in sich nicht einen so festen Zusammenhang hat, dass er grosse Schritte erlauben w\u00fcrde.\n6.\tDie Septimenaccorde mit grosser Septime im unverwendeten Accordsysteme der Tonart F\u2014 a \u2014 G \u2014 e und G \u2014 e \u2014 G \u2014- h in (7-Dur, As \u2014 c \u2014 Fs \u2014 g in c-Moll, r\u00eb-\u00bb pr\u00e4sentiren, wie schon fr\u00fcher bemerkt wurde, haupts\u00e4chlich einen Duraccord mit der grossen Septime als dissonantem Tone. Die grosse Septime bildet eine ziemlich harte Dissonanz, und steht in sehr entschiedenem Widerspruche' mit dem unterliegenden Klange, in welchen sie ganz entschieden nicht hineinpasst. :: 11\n7.\tDie Septimenaccorde mit kleiner Septime im unverwendeten Systeme,\u00ab^- C\u2014e\u2014 G und e\u2014 G\u2014h\u2014B)","page":528},{"file":"p0529.txt","language":"de","ocr_de":"Die dissonante Note der Septimenaccorde. 529\nlassen allerdings den Klang ihrer Terz am meisten hervortreten, dem ihr Grundton als beigef\u00fcgt erscheint. C \u2014 e \u2014 G \u2014 a ist der fAKlang mit zugef\u00fcgtem a, G \u2014 h \u2014 D \u2014 e der fr-Klang mit zugef\u00fcgtem e. Da aber C \u2014 e \u2014 G und G \u2014 h \u2014 D die oft wiederkehrenden Hauptaccorde der Tonart sind, so macht die Anf\u00fcgung des a oder e in jenen Septimenaccorden durch den Contrast einen verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig stark hervortretenden Eindruck ; ausserdem sind die Grundt\u00f6ne jener Septimenaccorde nicht so isolirt, wie der des Accordes D \u2014 F \u2014 a \u2014 C, welcher keine reine Quinte im Accorde hat. Das am a \u2014 C \u2014 e \u2014 G hat die Quinte e und allenfalls auch die Septime G, die seinem Klange angeh\u00f6ren; ebenso kann man in e \u2014 G \u2014 h \u2014 D das h und D dem Klange e zurechnen. Daher sind die T\u00f6ne a im ersten und e im zweiten auch nicht nothwendig den Stimmf\u00fchrungsgesetzen der Dissonanzen unterworfen.\nDie Harmoniker pflegen als normale Lage aller dieser Accorde immer die des Septimenaccordes zu betrachten, und dessen Grundton als Hauptton des Accordes. Vielleicht w\u00e4re es nat\u00fcrlicher, C\u2014e\u2014 fr \u2014 a als Hauptlage des Accordes a\u2014G\u2014e\u2014G zu betrachten, und C als Fundamentalton. Letzterer Accord ist aber ein (7-Klang mit Hinneigung zum a, und in den Modulationen wird gerade diese Einmischung des a-Klanges benutzt, um nach denVerwandten von a, die nicht mit dem Accorde C\u2014e\u2014G verwandt sind, hinzuschreiten, n\u00e4mlich nach d \u2014 F \u2014 a. Ebenso kann man von G \u2014 h \u2014 D \u2014 e nach a \u2014 C \u2014 e schreiten, was von G \u2014 h \u2014 D aus immer ein Sprung w\u00e4re. F\u00fcr die Modulation sind also allerdings a und e wesentliche Bestandtheile des Accordes, und in dieser praktischen R\u00fccksicht kann man ihnen auch wohl den Namen der Fundamentalt\u00f6ne der betreffenden Accorde lassen.\n8. Der Septimenaccord auf der Tonica der Molltonart G \u2014 es \u2014 G \u2014 h wird selten gebraucht, weil das h wesentlich der aufw\u00e4rtsschreitenden Bewegung in der Molltonart angeh\u00f6rt, die regelm\u00e4ssig sich aufl\u00f6sende Septime aber sinken muss. So w\u00fcrde es immer besser sein, den Accord C \u2014 ei- \u2014 G \u2014 & zu bilden, der dann den unter 7. genannten Accorden \u00e4hnlich ist.\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\n34","page":529},{"file":"p0530.txt","language":"de","ocr_de":"Achtz\u00e8hnter Abschnitt.\nGesetze der Stimmf\u00fchrung.\nWir haben bisher immer nur die Beziehungen der T\u00f6ne eines Musikst\u00fcckes mit der Tonica, seiner Accorde mit dem tonischen Accorde betrachtet. Auf diesen Beziehungen beruht die Verbindung der Klangmasse zu einem zusammenh\u00e4ngenden Ganzen. Abgesehen davon besteht aber auch das Bed\u00fcrfniss, die unmittelbar auf einander folgenden T\u00f6ne und Accorde durch nat\u00fcrliche Beziehungen 'mit einander verbunden zu sehen. Dadurch wird die k\u00fcnstlerische Verbindung der Klangmasse eine noch innigere, und im Allgemeinen wird immer eine solche Verbindung erstrebt werden m\u00fcssen, wenn auch ausnahmsweise f\u00fcr besondere Zwecke des Ausdrucks eine heftigere und weniger verbundene Art der Fortschreitung gew\u00e4hlt werden kann. Wir haben schon bei der Entwickelung der Tonleiter gesehen, dass das Gef\u00fchl f\u00fcr die Verbindung des Ganzen durch die Verwandtschaft zur Tonica anfangs gar nicht oder undeutlich entwickelt war, dass vielmehr an Stelle eines solchen Zusammenhanges nur die kettenweise Verbindung einer Quintenreihe bestand, dass wenigstens nur diese so entwickelt war, um sich in den theoretischen Betrachtungen \u00fcber den Bau des Tonsystems bis zur bewussten Anerkennung durchzuarbeiten. Aber auch neben dem stark entwickelten Gef\u00fchle f\u00fcr die Tonica, wie es in der neueren harmonischen Musik herrscht, ist das Be-","page":530},{"file":"p0531.txt","language":"de","ocr_de":"531\nKettenweise Verbindung der T\u00f6ne.\nd\u00fcrfniss kettenweiser Verbindung der einzelnen T\u00f6ne und Accorde nicht verloren gegangen, wenn auch in die Quintenkette, welche urspr\u00fcnglich die T\u00f6ne der Tonart verband, z. B.\nF \u2014 C\u2014 G \u2014 I) \u2014 A \u2014 F \u2014 H, durch die Einf\u00fchrung der richtigen Terzen eine Unterbrechung gekommen ist, indem wir jetzt haben\nF \u2014 C \u2014 G \u2014 D | d \u2014 a \u2014 e \u2014 h.\nDie musikalische Verbindung zwischen zwei auf einander folgenden Noten kann hergestellt sein:\n1. Durch Verwandtschaft der Kl\u00e4nge. Diese ist entweder :\na.\tDirect, wo zwischen den auf einander folgenden T\u00f6nen ein reines consonantes Intervall besteht; dann ist n\u00e4mlich, wie wir fr\u00fcher gesehen haben, stets einer der deutlich vernehmbaren Partialt\u00f6ne des ersten Klanges gleich einem solchen des zweiten. Dadurch ist die Tonh\u00f6he des folgenden Klanges f\u00fcr das Gef\u00fchl sicher festgestellt. Dies ist die beste und sicherste Art der Verbindung. Die engste Verwandtschaft dieser Art besteht beim Sprung um eine Octave, der aber melodisch nur in der Bassstimme h\u00e4ufiger gebraucht wird, in der Oberstimme selten, weil er eine zu pl\u00f6tzliche Aenderung in der Tonh\u00f6he verlangt. Daran schliesst sich der Sprung in die Quinte und Quarte, welche beide noch sehr bestimmt und klar sind; dann folgen die Schritte um grosse Sexten und Terzen, welche noch leicht und bestimmt getroffen werden, w\u00e4hrend die Schritte \u00fcber kleine Sexten und Terzen schon anfangen etwas Unsicheres zu bekommen. Es ist in \u00e4sthetischer Beziehung zu bemerken, dass die Fortschritte um grosse Sexten und Terzen, ich m\u00f6chte sagen, den gr\u00f6ssten Grad ges\u00e4ttigter Sch\u00f6nheit unter den genannten melodischen Schritten haben, was vielleicht damit zusammenh\u00e4ngt, dass sie an der Grenze der deutlich verst\u00e4ndlichen Schritte liegen. Die Schritte in Quinten und Quarten sind zu klar, sie klingen deshalb gleichsam trocken verst\u00e4ndig; die in kleinen Terzen und namentlich in kleinen Sexten fangen an unbestimmt zu klingen. Unter ihnen haben die grossen Terzen und grossen Sexten das richtige Gleichgewicht zwischen Licht und Dunkel. Aehnlich scheint sich auch in der Harmonie die grosse Sexte und Terz den \u00fcbrigen Conso-nanzen gegen\u00fcber zu verhalten.\nb.\tOder die Verwandtschaft ist indirect und nur von\n34*","page":531},{"file":"p0532.txt","language":"de","ocr_de":"532 Dritte Abtheilung. Achtzehnter Abschnitt.\nzweitem Grade. Eine solche findet sich bei allen stufenweisen Fortschritten innerhalb der Scala um halbe oder ganze T\u00f6ne vor. Also zum Beispiel\nG \u2014 B D \u2014 e e \u2014 F\na G C\nDer grosse ganze Ton C \u2014 D schreitet von der Quarte zur Quinte des subintendirten Tones 6r, welchen Rameau als Fundamentalbass zu dem genannten melodischen Fortschritt hinzuge-fiigt dachte. Der kleine ganze Ton I) \u2014 e schreitet von der Quinte zur grossen'Sexte des Hilfstones Cr, der halbe Ton e \u2014 F von der grossen Terz zur Quarte des Hilfstones C. Wenn der Hilfston dem S\u00e4nger und dem H\u00f6rer aber leicht zur Hand sein soll, muss er einer der Hauptt\u00f6ne der Tonart sein. So erregt der Schritt a \u2014 h in der C-Durtonleiter den S\u00e4ngern einen kleinen Anstoss, obgleich es ein Fortschritt um einen grossen ganzen Ton ist, der an dem Hilfston e leicht gemacht werden kann. Aber der Klang des e liegt nicht so fest und bereit in der Erinnerung, wie der von C und seinen Quinten G und F. Daher brach das Hexa-chord des Guido von Arezzo, welches w\u00e4hrend des ganzen Mittelalters die normale S\u00e4ngerscala war, mit der Sexte ab *)\u2022 Hies Hex a chord wurde von verschiedenen Grundt\u00f6nen ausgehend gesungen, aber dieselbe Melodie bildend:\n\tDt\tBe\tMi\tFa\tSol\tLa\nentweder\tG\tA\tH\tC\tB\tE\noder\tG\tD\tE\tF\tG\tA\noder\tF\tG\tA\tB\tC\tD\nDarin bildet das Intervall Mi \u2014 Fa immer den Halbton.\nEben deshalb zog Rameau es vor, in der Molltonart die Schritte D \u2014 es und es \u2014 F lieber am G und C, als Hilfst\u00f6nen, sich bilden zu lassen, als am B, der Septime der absteigenden Leiter, welche keine gen\u00fcgend starke Verwandtschaft zur Tonica hat, und deshalb als Hilfston nicht fest genug im Sinne des S\u00e4ngers liegt. Nimmt man f\u00fcr D \u2014 es das n\u00e4chst h\u00f6here G als Hilfston, so ist der Schritt von seiner Unterquarte zur grossen\n*) Alembert erkl\u00e4rt aus demselben Grunde die Begrenzung des altgriechischen Heptachords aus zwei verbundenen Tetrachorden:\nh \u2014 c \u2014 d \u2014 e \u2014 / \u2014 g \u2014 a,\nin welchem der Schritt a \u2014 h vermieden ist. Aber die Erkl\u00e4rung w\u00fcrde nur f\u00fcr eine solche Tonart passen, in welcher c die Tonica bildet, was in der altgriechischen Leiter wohl nicht der Fall war.","page":532},{"file":"p0533.txt","language":"de","ocr_de":"Ketten weise Verbindung 'der T\u00f6ne.\t533\nUnterteil, und es \u2014-Fist der Schritt von der grossen Untersexte zur Unterquinte des n\u00e4chst h\u00f6heren G. Dagegen kann der Schritt \u00e4s \u2014 h in der Molltonleiter in keiner Weise auf eine Verwandtschaft zweiten Grades zur\u00fcckf\u00fchren. Er ist deshalb auch entschieden unmelodisch, und musste in der alten homophonen Musik ganz vermieden werden, ebenso wie die Schritte in falschen Quinten und Quarten, z. B. h \u2014 F oder F \u2014 h. Daher denn die schon oben besprochenen Aenderungen der aufsteigenden und absteigenden Molltonleiter.\nIn der neueren 'harmonischen Musik sind nun viele dieser Schwierigkeiten weggefallen oder weniger f\u00fchlbar geworden, -weil eine richtig gef\u00fchrte Harmonisirung diejenigen Verbindungen lier-stellen kann, welche dem melodischen Fortschritte der einzelnen Stimme fehlen. Es ist deshalb auch viel leichter, eine unbekannte Stimme eines mehrstimmigen Satzes aus einem Clavierauszuge, der die Harmonie angiebt, zu singen, als aus einer einzelnen ausgeschriebenen Stimme. Aus jenem erkennt man das Verh\u00e4ltniss des zu singenden Tones zur ganzen Harmonie, aus letzterer nur zu den n\u00e4chstbenachbarten T\u00f6nen der eigenen Stimme.\n2. T\u00f6ne k\u00f6nnen in musikalische Verbindung treten durch ihre Nachbarschaft in der Tonh\u00f6he. Wir haben dieses Verh\u00e4ltniss schon besprochen in Beziehung auf den Leitton. Es gilt dasselbe auch f\u00fcr die Ausf\u00fcllungst\u00f6ne in chromatischen G\u00e4ngen ; wenn wir z. B. in G-Dur statt G \u2014 I) singen C \u2014 Gis \u2014 I), so hat das Cis gar keine Verwandtschaft ersten oder zweiten Grades zur Tonica G, es hat auch keine harmonische oder modu-latorischeBedeutung; es ist nichts als eine zwischen beide T\u00f6ne eingeschobene Stufe, welche zur Tonleiter nicht geh\u00f6rt, und nur dazu dient, die stufenweise Bewegung in der Tonleiter der \u00fcber-sclileifenden Bewegung des nat\u00fcrlichen Sprechens, Weinens oder Heulens \u00e4hnlicher zu machen. Die Griechen haben diese Thei-lung in ihrem enharmonischen Systeme, wo sie eine Halbtonstufe in zwei Schritte theilten, noch weiter getrieben, als wir es jetzt thun. Ein chromatischer Fortschritt in halben T\u00f6nen geschieht eben trotz der Fremdartigkeit des zu erreichenden Tones mit hinreichender Sicherheit, dass er auch in modulatorischen Ueber-g\u00e4ngen gebraucht werden kann, um ganz fernliegende Tonarten pl\u00f6tzlich zu erreichen.\nAber auch Schritte in ganzen T\u00f6nen, wenn sie in der diatonischen Leiter gemacht werden, k\u00f6nnen in solcher Weise vorkom-","page":533},{"file":"p0534.txt","language":"de","ocr_de":"534 Dritte Abtheilung. Achtzehnter Abschnitt.\nmen, als Vermittelung zwischen zwei anderen, welche im Accorde liegen. Es sind dies die sogenannten Durchgangst\u00f6ne. Wenn also zum Beispiel zu dem fortklingenden C-Durdreiklange eine Stimme den Gang\nC-D-e \u2014 F\u2014 G\nausf\u00fchrt, so passen die T\u00f6ne D und F nicht in den Accord, haben auch gar keine Beziehung zu der Harmonie, sondern sind eben nur durch den melodischen Fortschritt der einzelnen Stimme begr\u00fcndet. Man l\u00e4sst diese Durchgangst\u00f6ne der Regel nach auf die nicht accentuirten Takttheile fallen und giebt ihnen eine kurze Dauer. In obigem Beispiele w\u00fcrde man also C, e und G auf die guten d. li. accentuirten Takttheile legen. D bildet dann den Durchgangston zwischen C und e, F den zwischen e und G. Wesentlich aber f\u00fcr ihre Verst\u00e4ndlichkeit ist es, dass sie nur in Stufen von halben oder ganzen T\u00f6nen eintreten; so geben sie eine leicht und ohne Widerstand fortgleitende melodische Bewegung, in der man die nicht accentuirten dissonanten T\u00f6ne fast \u00fcberh\u00f6rt.\nAuch in den wesentlich dissonanten Accorden muss der Regel nach f\u00fcr den dissonanten Ton, welcher vereinzelt der Masse der \u00fcbrigen T\u00f6ne entgegentritt, ein m\u00f6glichst leicht verst\u00e4ndlicher und leiclit zu treffender melodischer Fortschritt eingehalten werden. Und da das Gef\u00fchl f\u00fcr die nat\u00fcrlichen Verwandtschaften eines solchen vereinzelten Tones durch die gleichzeitig erklingenden anderen T\u00f6ne, die sich der Wahrnehmung viel m\u00e4chtiger aufdr\u00e4ngen, gleichsam \u00fcbert\u00e4ubt wird, so bleibt bloss der stufenweise diatonische Fortschritt \u00fcbrig, um f\u00fcr den S\u00e4nger und den H\u00f6rer die Tonh\u00f6he und die melodischen Beziehungen eines solchen dissonanten Tones festzustellen. Es wird deshalb der Regel nach verlangt werden m\u00fcssen, dass ein dissonanter Ton nur stufenweise eintrete, und sich auch nur stufenweise wieder weiterbewege.\nAls wesentlich dissonante Accorde sind solche zu betrachten, in denen die dissonanten Noten nicht bloss als durchgehende Noten \u00fcber einem liegenbleibenden Accorde eintreten, sondern entweder mit einem eigenen Accorde begleitet sind, der von den vorhergehenden und nachfolgenden verschieden ist, oder doch durch ihre Dauer und Accentuation sich so hervordr\u00e4ngen, dass sie der Aufmerksamkeit des H\u00f6rers sich nicht entziehen k\u00f6nnen. Es ist schon oben bemerkt worden, dass diese dissonanten Accorde nicht um ihrer selbst willen, sondern haupts\u00e4chlich als Mittel, das Gef\u00fchl des Vorw\u00e4rtsstrebens in dem Satze zu erh\u00f6hen, gebraucht","page":534},{"file":"p0535.txt","language":"de","ocr_de":"Aufl\u00f6sung der Dissonanzen.\t535\nwerden k\u00f6nnen. Daraus folgt denn f\u00fcr die Bewegung des dissonanten Tones, dass wenn derselbe in den Accord schrittweise ein-ti'itt und wieder aus ihm austritt, er entweder beide Male steigen oder beide Male fallen muss. Liesse man ihn dagegen in dem dissonanten Accorde seine Bewegung umkehren, so w\u00fcrde die Dissonanz unmotivirt erscheinen. Dann w\u00e4re es passender gewesen, den betreffenden Ton in seiner consonanten Lage liegen zu lassen, ohne dass er sich bewegte. Eine Bewegung, welche zu ihrem Ausgangspunkte gleich wieder zur\u00fcckkehrt, und dabei Dissonanz hervorbringt, unterbleibt besser; sie hat kein Ziel.\nZweitens kann man als Regel aufstellen, dass die Bewegung des dissonanten Tones nicht so gerichtet sein darf, dass sie die Dissonanz aufhebt, wenn die \u00fcbrigen Theile des Accordes liegen blieben. Denn eine Dissonanz,. die von selbst sich aufheben w\u00fcrde, wenn man nur wartet, bis ihr n\u00e4chster Schritt erfolgt ist, bringt eben keinen Antrieb zum Fortschritt der Harmonie hervor. Sie klingt deshalb matt und ungerechtfertigt. Dies ist der Hauptgrund, warum Septimenaccorde, wenn sie sich unter Fortschrei-tung der Septime aufl\u00f6sen sollen, nur die Fortschreitung der Septime nach unten zulassen. Denn wenn die Septime in der Tonleiter stiege, w\u00fcrde sie zur Octave\u2019des Grundtones werden, und die Dissonanz des Accordes aufgehoben sein. Es kommen bei Bach, Mozartund Anderen solche Fortschreitungen imDominant-septimenaccorde vor; dann klingt die Septime aber eben nur wie ein Durchgangston, und muss wie ein solcher behandelt werden. Dann ist sie f\u00fcr die Fortschreitung der Harmonie gleichg\u00fcltig.\nAm vollst\u00e4ndigsten gesichert ist die Tonh\u00f6he eines einzelnen dissonanten Tones einem mehrstimmigen Accorde gegen\u00fcber, wenn jener dissonante Ton schon vorher als Consonanz in dem vorausgehenden Accorde vorhanden gewesen war, und einfach festgehalten wird, w\u00e4hrend der neue Accord einsetzt. Wenn wir also folgen lassen die Accorde\nG \u2014 D \u2014 G \u2014 h C \u2014 e \u2014 G \u2014 A,\nso ist das h im ersten Accorde durch die Consonanz mit G festgestellt ; es bleibt einfach liegen, wenn nun die T\u00f6ne C und e ein-setzen, und es wird dadurch zur Dissonanz in dem Septimenaccorde C\u2014e\u2014 G \u2014 h. Eine solche Dissonanz nennt man vorbereitet. Es war dies die einzig erlaubte Art, Dissonanzen einzuf\u00fchren bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Die vorbereiteten","page":535},{"file":"p0536.txt","language":"de","ocr_de":"536 Dritte Abtheilung. Achtzehnter Abschnitt.\nDissonanzen machen eine besonders kr\u00e4ftige Wirkung; ein Theil des vorausgehenden Accordes z\u00f6gert zu weichen, und muss durch den folgenden erst gewaltsam aus seiner Stelle gedr\u00e4ngt werden. Es wird so das Dr\u00e4ngen zum Fortschritt trotz entgegenstehenden Widerstandes, der nur z\u00f6gernd weicht, sehr wirksam ausgedr\u00fcckt. Eben deshalb muss aber auch der neu einsetzende Accord (C \u2014 e \u2014 G im letzten Beispiele) auf einem kr\u00e4ftig accentuirten Takttheile einsetzen; sonst fehlt ihm der Ausdruck der Kraftanstrengung. Die L\u00f6sung der vorbereiteten Dissonanz dagegen f\u00e4llt nat\u00fcrlich auf einen nicht accentuirten Takttheil. Es klingt \u00fcberhaupt nichts schlechter, als wenn Dissonanzen zaghaft und unsicher gespielt oder gesungen werden. Dann sind sie einfach missklingend. Gerechtfertigt sind sie in der Regel nur, wenn sie Energie und kr\u00e4ftiges Vorw\u00e4rtstreiben ausdr\u00fccken.\nSolche vorbereitete Dissonanzen, sogenannte Vorhalte, k\u00f6nnen nun in mannigfachen anderen Accorden Vorkommen, als in Septimenaccorden, z. B.\nVorbereitung:\tG \u2014 C \u2014 e,\nVorhaltsaccord : G \u2014 C \u2014 D,\nAufl\u00f6sung:\tG \u2014 h \u2014 B.\nDer Ton C ist die vorbereitete Dissonanz im zweiten Accorde, welcher auf einen accentuirten Takttheil fallen muss, tritt B die Quinte von G ein, und erzeugt die Dissonanz C \u2014 D, nun muss C weichen, und zwar von B sich entfernend, nach dem zweiten oben aufgestellten Gesetze, wodurch die Aufl\u00f6sung G \u2014 h \u2014 I) entsteht. Man kann auf die Accorde in umgekehrter Ordnung sich folgen lassen, so dass B die vorbereitete Dissonanz ist, die von C aus der Stelle gedr\u00e4ngt wird. Dies ist aber weniger gut, weil dem weichenden Tone meistens die absteigende Bewegung besser ziemt, als die ansteigende. Gesteigerte Tonh\u00f6he macht uns unwillk\u00fcrlich immer den Eindruck gr\u00f6sserer Anstrengung, da wir unsere Stimme st\u00e4rker anstrengen m\u00fcssen, um hohe T\u00f6ne zu erreichen. Der dissonante Ton, welcher der gr\u00f6sseren Gewalt weichen muss, schreitet besser nach unten, als dass er durch eigene Anstrengung gleichsam sich erhebt. Doch kann auch das Letztere unter Umst\u00e4nden passen, und es kommen Beispiele genug davon vor.\nIm anderen Falle, fwenn dieVDissonanz nicht vorbereitet ist, sondern mit dem Accorde, in welchem sie Dissonanz ist, gleichzei-","page":536},{"file":"p0537.txt","language":"de","ocr_de":"Aufl\u00f6sung der Dissonanzen.\t537\ntig einsetzt, ein Fall, der haupts\u00e4chlich bei den Septimenaccorden h\u00e4ufig eiutritt, ist die Bedeutung der Dissonanz eine andere. Da die frei eintretenden Septimen der Regel nach absteigend eintreten m\u00fcssen, so kann man sie sich stets als aus der Octave des Grundtones ihres Accordes absteigend denken, indem man sich zwischen den vorausgehenden und dem Septimenaccord einen consonanten Dur - oder Mollaccord vom Grundtone des letzteren eingeschoben denkt. In diesem Falle k\u00fcndet also die eintretende Septime nur an, dass dieser consonante Accord gleich wieder im Zerfallen begriffen ist, und dass die Harmonie durch melodische Bewegung einem neuen Ziele zueilt. Dieses Ziel, der Aufl\u00f6sungsaccord, muss betont werden ; der Eintritt der Dissonanz f\u00e4llt deshalb nothwen-dig auf den vorhergehenden nicht accentuirten Takttheil.\nDer Eintritt eines vereinzelten dissonanten Tones kann eben der Regel nach einem mehrstimmigen Accorde gegen\u00fcber nicht als Ausdruck einer Kraftanstrengung benutzt werden, wohl aber der Eintritt eines Accordes einem einzelnen Tone gegen\u00fcber, vorausgesetzt, dass dem einzelnen dissonanten Tone nicht eine \u00fcberwiegende Tonst\u00e4rke gegeben wird. Deshalb liegt- es in der Natur der Sache, dass das Erstere auf nicht accentuirten Takttheilen, das Letztere auf accentuirten geschieht.\nVon der Befolgung dieser Regeln, welche den Eintritt der Dissonanzen betreffen, kann man vielf\u00e4ltig absehen bei den Septimenaccorden des verwendeten Systems, in denen- die Quarte und Secunde der Tonart Vorkommen, und T\u00f6ne der Unterdominantseite mit solchen der Oberdominantseite gemischt sind. Diese Accorde k\u00f6nnen noch zu einem anderen Zweck eingef\u00fchrt werden, als um den dynamischen Eindruck der fortschreitenden Harmonie zu steigern. Sie haben n\u00e4mlich auch den Zweck, den Umfang der Tonart dem Gef\u00fchle des H\u00f6rers fortdauernd gegenw\u00e4rtig zu erhalten, und ihre Existenz ist durch diesen Zweck gerechtfertigt.\nVom Accorde der Tonica C aus k\u00f6nnen sich einige Stimmen sehr wohl den T\u00f6nen der Oberdominantseite G \u2014 h \u2014 D zuwenden, andere denen der Unterdominantseite F\u2014 a \u2014 C oder F \u2014 as \u2014 U, und jede Stimme wird die Lage ihres Tones mit vollkommener Sicherheit finden k\u00f6nnen, auf das Gef\u00fchl einer nahen Verwandtschaft g\u00e9st\u00fctzt. Wenn dann freilich der dissonante Accord eingetreten ist, werden die dissonanten T\u00f6ne, bei denen das Gef\u00fchl f\u00fcr ihre ferneren nat\u00fcrlichen Verwandtschaften \u00fcber-t\u00e4ubt wird durch den gleichzeitig dazu erklingenden fremdartigen","page":537},{"file":"p0538.txt","language":"de","ocr_de":"538 Dritte Abtheilung. Achtzehnter Abschnitt.\nAccord, nach der Regel der sich aufl\u00f6senden Dissonanzen fort-schreiteri m\u00fcssen. Ein S\u00e4nger zum Beispiel, welcher in dem Accorde G \u2014 h \u2014 D \u2014 F das F singt, w\u00fcrde vergebens versuchen sich vorzustellen, wie das dem F verwandte a klingen muss, um etwa nach diesem herauf- oder herabzuspringen; wohl aber kann er den engen Halbton schritt nach e in den Accord G \u2014 C \u2014 e hinein sicher ausf\u00fchren. Dagegen kann sehr wohl das G, welches seinen eigenen Klang durch den Septimenaccord ann\u00e4hernd dargestellt findet, nach seinen verwandten T\u00f6nen, C zum Beispiel, springend sich fortbewegen, oder h nach G.\nIn den Accorden h \u2014 D \\ F \u2014 a und h \u2014 D \\ F \u2014 as, in denen weder die Dominantseite noch die Unterdominantseite \u00fcberwiegt, wird es \u00fcberhaupt nicht rathsam sein, einen der T\u00f6ne springend fortschreiten zu lassen.\nAuch wird es nicht rathsam sein, aus einem anderen Accorde als dem tonischen her, springend in die Accorde des verwendeten Systems \u00fcberzugehen, weil nur der tonische Accord die gleichzeitige Verwandtschaft zu dem Dominant- und dem Subdominant-accorde hat. .\nBei den Septimenaccorden des unverwendeten Systems ist ein Uebergang von einem, beiden Enden des Septimenaccordes verwandten, anderen Accorde nicht m\u00f6glich; daher bei diesen die Dissonanz nach den strengen Regeln eintreten muss.\nUeber die Behandlung des Subdominantenaccordes mit zugef\u00fcgter Sexte F \u2014a \u2014 C \u2014'Din C-Dur sind die Ansichten der Musiker getheilt. Am richtigsten ist wohl die Vorschrift von Rameau, D als den dissonanten Ton anzusehen, welches ansteigend nach e die Dissonanz aufl\u00f6sen muss. Auch ist dies entschieden die wohlklingendste Art der Aufl\u00f6sung. Die neueren Theoretiker betrachten diesen Accord dagegen als Septimenaccord von D, und sehen C als Dissonanz an, welche absteigend sich l\u00f6sen muss, w\u00e4hrend D, wenn C liegen, bleibt, sich ganz frei bewegt, also namentlich auch absteigend fortschreiten k\u00f6nnte.\nAccordfolgen: Ebenso wie die \u00e4ltere homophone Musik kettenweise Verwandtschaft der T\u00f6ne einer Melodie verlangte, strebt die neuere Musik nach kettenweiser Verbindung der Accorde eines Harmoniegewebes, wogegen sie sich in der melodischen Folge der einzelnen T\u00f6ne viel gr\u00f6ssere Freiheiten erlauben kann, da durch die Harmonie die nat\u00fcrlichen Verwandtschaften der T\u00f6ne viel entschiedener und eindringlicher bezeichnet werden als","page":538},{"file":"p0539.txt","language":"de","ocr_de":"Kettenweise Verwandtschaft der Accorde. 539\nin der homophonen Melodie. Das Verlangen nach kettenweiser Verwandtschaft der Accorde war im 16. Jahrhundert noch wenig entwickelt. Bei den grossen italienischen Meistern dieser Zeit folgen sich die der Tonart angeh\u00f6rigen Accorde oft in den auffallendsten Spr\u00fcngen, die wir gegenw\u00e4rtig nur in seltenen Ausnahmen zulassen w\u00fcrden. W\u00e4hrend des 17. Jahrhunderts dagegen entwickelte sich das Gef\u00fchl auch f\u00fcr diese Eigenth\u00fcmlich-lceit der Harmonie, daher wir denn die hierauf bez\u00fcglichen Regeln hei Rameau schon bestimmt ausgesprochen finden im Anf\u00e4nge des 18. Jahrhunderts. Mit Bezug auf den von ihm aufgestellten Begriff des Fundamentalbasses sprach Rameau diese Regel so aus: \u201eDer Fundamentalbass darf der Regel nach nur in reinen Quinten oder Terzen auf- oder abw\u00e4rtsschreiten.\u201c Nach unserer Darstellung ist der Fundamentalbass eines Accordes derjenige Klang, welcher entweder allein oder wenigstens vorzugsweise durch die T\u00f6ne des Accordes dargestellt wird. In diesem Sinne genommen f\u00e4llt Rameau\u2019s Regel mit der der melodischen Fortschreitung eines einzelnen Tones zu n\u00e4chstverwandten T\u00f6nen zusammen. Wie die Stimme einer Melodie darf auch der Accordklang nur zu n\u00e4chstverwandten Kl\u00e4ngen fortschreiten. Fortschreitung nach einer Verwandtschaft zweiten Grades ist aber bei Accorden viel schwerer zu motiviren, als bei einzelnen T\u00f6nen, und ebenso Fortschreitung in kleinen diatonischen Stufen ohne Verwandtschaft. Deshalb ist Rameau\u2019s Regel f\u00fcr die Fortschreitung des Fundamentalbasses im Ganzen strenger, als die Regeln f\u00fcr melodische Fortschreitung einer einzelnen Stimme.\nNehmen wir z. B. den Accord C\u2014e \u2014 6r, der dem C-Klange entspricht, so k\u00f6nnen wir von diesem in Quinten zum G-Klange G \u2014 h \u2014 D, oder zum JF-Klange fortschreiten, F \u2014\u00ab \u2014 G. Die beiden letzteren Accorde haben je einen Ton, beziehlich G und (7, mit dem Accorde G \u2014 e \u2014 G gemeinsam, Sind ihm also direct verwandt.\nWir k\u00f6nnen aber auch den Klang in Terzen fortschreiten lassen; dann bekommen wir Mollaccorde, wenn wir die Tonart nicht verlassen wollen. Der Uebergang vom Klange G zum Klange e wird ausgedr\u00fcckt durch die Folge der Accorde C\u2014e\u2014G und e \u2014 G \u2014 h. welche durch zwei T\u00f6ne verwandt sind. Aehn-lich ist die Folge C \u2014 e \u2022\u2014 G und \u00ab \u2014 C \u2014 e, vom G-Klange zum \u00ab-Klange. Die letztere ist sogar noch nat\u00fcrlicher als die","page":539},{"file":"p0540.txt","language":"de","ocr_de":"54-0 Dritte Abtheilung. Achtzehnter Abschnitt.\nerstere, weil der Accord \u00ab \u2014 D \u2014 e einen unreinen \u00ab-Klang mit eingemischtem D-Klange darstellt, der vorher bestehende D-Klang also auch mit zwei T\u00f6nen im folgenden Accorde erhalten bleibt, w\u00e4hrend diese Beziehung im ersten Falle nicht besteht.\nWir k\u00f6nnen aber, wenn wir die Tonart D-Dur verlassen wollen, auch den Schritt zu den reinen Terzkl\u00e4ngen machen, also von D \u2014 e \u2014 G zu e \u2014 Gis \u2014 h oder zu a \u2014 Cis \u2014 e, wie dies in modulatorischen G\u00e4ngen sehr gew\u00f6hnlich ist.\nNur in solchen F\u00e4llen l\u00e4sst Rameau hei consonanten Dreikl\u00e4ngen einen einfachen diatonischen Fortschritt des Fundamentalbasses zu, wo man zwischen einem Dur- und Mollaccorde wechselt, z. B. von G \u2014 h \u2014 F nach \u00ab \u2014 D \u2014 e, also vom G zum \u00ab-Klange ; nennt dies aber doch eine Licenz. In der That erkl\u00e4rt sich nach unserer Betrachtungsweise dies leicht, wenn wir den Mollaccord \u00ab \u2014 D \u2014 e als D-Klang mit eingemischtem \u00ab an-selien. Dann geschieht der Uebergang in enger Verwandtschaft vom G- zum D-Klange, und das \u00ab erscheint nur als Dependenz des letzteren. Jeder Mollaccord repr\u00e4sentirt eben in unvollkommener Weise einen doppelten Klang, und kann deshalb auch in doppeltem Sinne genommen werden. Systematisch formulirt hat Rameau diese doppelte Bedeutung (double emploi) erst f\u00fcr den mit der Septime versehenen Mollaccord, der in der Form d \u2014 F \u2014 \u00ab \u2014 D als \u00c6-Klang, in der Form F \u2014 \u00ab \u2014 D \u2014 D als F-Klang gelten kann, oder dessen Fundamentalbass nach Rameau\u2019s Ausdrucksweise d oder F sein kann. In diesem Sep-timenaccorde tritt die doppelte Bedeutung st\u00e4rker hervor, weil der iVKlang in ihm vollst\u00e4ndiger ist; aber sie kommt ebenso, wenn auch minder deutlich, dem einfachen Mollaccorde zu.\nZu dem Trugschl\u00fcsse\nG \u2014 h \u2014 D .... a \u2014 G \u2014 e\ngesellt sich der Cadenz in der Molltonart entsprechend der andere G \u2014 h \u2014 D .... as \u2014 D \u2014~es, wo der Accordas\u2014 D\u2014es statt der normalen L\u00f6sung C\u2014es\u2014G eintritt. Doch Wird hier von dem D-Klange nur eine einzige Note erhalten, weshalb dieser Trugschluss viel auffallender ist. Auch dieser wird gemildert, wenn man dem D-Accorde die Septime F beif\u00fcgt, welche mit as verwandt ist.\nWenn zwei Accorde neben einander gestellt werden, welche nur im zweiten Grade verwandt sind, wird dies im Allgemeinen als ein j\u00e4her Sprung empfunden werden. Wenn aber der Accord,","page":540},{"file":"p0541.txt","language":"de","ocr_de":"Ketten weise Verwandtschaft der Accorde. 541\nwelcher ihre Verbindung herstellt, ein Hauptaccord der Tonart ist, und daher schon h\u00e4ufig geh\u00f6rt wurde, ist die Wirkung nicht so auffallend. So sieht man in den Scblusscadenzen nicht ganz selten die Dreikl\u00e4nge F \u2014 a \u2014 G und G \u2014 h \u2014 D aufeinander folgen, welche mittelst des tonischen Accordes verwandt sind:\nF\u2014a\u2014C\tG\u2014h\u2014D\nC \u2014 e \u2014 G\nUeberhaupt ist bei allen diesen Regeln \u00fcber die Fortschrei-tung festzuhalten, dass sie vielen Ausnahmen unterworfen sind, theils weil der Ausdruck fordern kann, ausnahmsweise st\u00e4rkere Spr\u00fcnge in der Fortschreitung zu machen, theils weil die Erinnerung an die kurz zuvor geh\u00f6rten Accorde eine schwache Verwandtschaft gen\u00fcgend zu unterst\u00fctzen vermag, um sie deutlich f\u00fchlbar zu machen. Offenbar ist es ein falscher Standpunkt, auf den sich die Lehrer .der Harmonik gestellt haben, indem sie dies und jenes in der Musik f\u00fcr verboten erkl\u00e4rten. In der That ist nichts in der Musik absolut verboten, und man findet von s\u00e4mmtlichen Regeln der Stimmf\u00fchrung Ausnahmen gerade in den wirkungsreichsten S\u00e4tzen der gr\u00f6ssten Componisten. Man h\u00e4tte vielmehr darauf ausgehen sollen, zu sagen, dass dieser und jener Schritt, den man verbietet, irgend welche auffallende und ungew\u00f6hnliche Wirkung auf den H\u00f6rer macht, die eben, weil sie ungew\u00f6hnlich ist, nur hinpasst, wo Ungew\u00f6hnliches auszudr\u00fccken ist. Im Allgemeinen gehen die Vorschriften der Theoretiker darauf aus, einen leicht zu fassenden und wohl zusammenh\u00e4ngenden Fluss der Melodie und Harmonie zu erhalten. Verlangt man einen solchen, so thut man gut, ihre Verbote zu beachten. Aber es ist nicht zu l\u00e4ugnen, dass eine zu \u00e4ngstliche Vermeidung des Ungew\u00f6hnlichen eine gewisse Gefahr der Trivialit\u00e4t und Mattherzigkeit herbeif\u00fchrt, w\u00e4hrend andererseits zu r\u00fccksichtsloses und h\u00e4ufiges Ueberspringen der Regeln die S\u00e4tze barock und zusammenhanglos erscheinen l\u00e4sst.\nWo unzusammenh\u00e4ngende Dreikl\u00e4nge neben einander treten, ist ihre Umbildung in Septimenaccorde h\u00e4ufig vortheilhaft, um eine bessere Verbindung herzustellen. Statt der zuletzt erw\u00e4hnten Folge der Dreikl\u00e4nge von indirecter Verwandtschaft:\nF \u2014 a \u2014 C und G \u2014 h \u2014 D,\nkann man auf einander folgen lassen die Septimenaccorde, welche dieselben Kl\u00e4nge repr\u00e4sentiren :","page":541},{"file":"p0542.txt","language":"de","ocr_de":"542 Dritte Abtheilung. Achtzehnter Abschnitt.\nF \u2014 a \u2014 C \u2014 D und G -r- h \u2014 D \u2014 F.\nDann bleiben zwei T\u00f6ne von den vieren unver\u00e4ndert; in dem F-Accorde klingt noch das I) der Oberdominantsaite an, in dem Cr-Accorde das F.\nIn dieser Weise spielen die Septimenaccorde eine wichtige Rolle in der modernen Musik, um wohl verbundene und doch schnelle Fortschreitungen in den Accorden m\u00f6glich zu machen, deren forttreibende Kraft durch die Wirkung der Dissonanz noch gesteigert wird. Namentlich die Fortschreitungen nach der Unterdominantsaite lassen sich leicht so ausf\u00fchren.\nSo k\u00f6nnen wir z. B., von dem Dreiklange G \u2014 h \u2014 D ausgehend, nicht bloss zum (7-Accorde G \u2014 e \u2014 G, sondern, indem wir das G als Septime liegen lassen, gleich zum Septimenaccorde a \u2014 C \u2014 e \u2014 G \u00fcbergehen, der die beiden Dreikl\u00e4nge C\u2014e \u2014 G und a \u2014 C \u2014 e vereinigt, und dann sogleich zu dem Verwandten des letzteren Accordes, zu d \u2014 F \u2014 a fortschreiten, so dass wir mit dem zweiten Schritte an die andere \u00e4usserste Grenze des \u00fcbergreifenden \u00a37-Dursystems gelangen. Diese Fortschreitung giebt zugleich die beste Art der Bewegung f\u00fcr die Septime, indem die Septime (G des Beispiels) schon dem vorausgehenden Accorde angeh\u00f6rt, also vorbereitet eingef\u00fchrt wird, und absteigend (nach F) sich aufl\u00f6sen kann. Versuchten wir dieselbe Bewegung r\u00fcckw\u00e4rts auszuf\u00fchren, so m\u00fcssten wir die Septime G aus dem a des Accordes d \u2014F \u2014 a eintreten lassen, w\u00e4ren dann aber gezwungen, das C des .Septimenaccordes springend einzuf\u00fchren, weil wir eine verbotene Quintenparallele (d \u2014 a und G \u2014 G) erhalten w\u00fcrden, wollten wir es aus d absteigen lassen. Wir m\u00fcssen es vielmehr aus dem F springend eintreten lassen, da das a des ersten Dreiklanges schon das a und das G des Septimen-accordes liefern muss. So erhalten wir also keine leicht fliessende und nat\u00fcrliche Fortschreitung nach der Oberdominantseite hin; die Bewegung ist viel mehr gehindert, als wenn wir nach der Unterdominantseite fortschreiten. Demgem\u00e4ss ist denn auch die regelm\u00e4ssige und gew\u00f6hnliche Fortschreitung der Septimenaccorde die mit fallender Septime nach dem Dreiklange, dessen Quinte gleich dem Grundtone, des Septimenaccordes ist. Wir k\u00f6nnen, wenn wir den Grundton des Septimenaccordes mit I bezeichnen, seine Terz mit III u. s. w., mit absteigender Septime folgende beiden Dreikl\u00e4nge erreichen :","page":542},{"file":"p0543.txt","language":"de","ocr_de":"Ketten weise Verwandtschaft der Accorde 548\nI -\tIII \u2014 V\t\u2014 VII und\tI\t_ III\t- V \u2014 VII\nI\t\\ /\t/\tI I \\ /\nI \u2014 IV - VI\tI - III \u2014 VI\nVon diesen beiden Fortschreitungen ist die erstere in den Dreiklang, dessen Grundton IV ist, die lebhaftere, insofern sie zu einem Accorde mit zwei neuen T\u00f6nen f\u00fchrt. Die andere dagegen zum Dreiklange des Grundtones VI f\u00fchrt nur einen neuen Ton ein. Die erstere wird deshalb als die haupts\u00e4chlichste Aufl\u00f6sung der Septimenaccorde betrachtet, z. B.\na - h - d - F I \\ /\t/\nG---C - e\nG \u2014 e\u2014 G\u2014h I \\ /\t/\nC---F \u2014 a\ne \u2014 G \u2014 h \u2014 D I \\ / '/\ne------a \u2014 C\nh \u2014 D \u2014 F \u2014 a\nI \\ / /\nh------e \u2014 G\nDurch das Absteigen des Tones VII wird der Ton VI eingef\u00fchrt. Dieser ist im ersteren Falle Terz des neu eintretenden Dreiklanges, im zweiten Falle Grundton. Er kann auch Quinte sein. Das giebt die Fortschreitung:\nI _ III _ V \u2014 VII\n\\ \\ / /\nII_IV \u2014VI,\nwelche aber nur in den beiden Accorden\nh \u2014 I) \u2014 F \u2014 a und h \u2014 D \u2014 F \u2014 as . C \u2014 e - C\tC -es - G\nnat\u00fcrlich ist, weil die beiden Septimenaccorde den G-Klang vertreten, und der tonische Accord das Band der Verwandtschaft zwischen ihren beiden H\u00e4lften herstellt. In den anderen F\u00e4llen giebt unser letztes Schema sogenannte Trugfortschreitungen\nG \u2014 h - D - F oder G-- h - I) - F a \u2014 G \u2014 e\tas \u2014 C \u2014 es\nwelche dadurch gerechtfertigt sind, namentlich die erstere als die nat\u00fcrlichere, dass das C \u2014 e oder C \u2014 es des Aufl\u00f6sungsaccor-des der normalen Aufl\u00f6sung angeh\u00f6ren. Rameau bemerkt deshalb richtig, dass diese Art der Aufl\u00f6sung nur erlaubt ist, wenn","page":543},{"file":"p0544.txt","language":"de","ocr_de":"544 Dritte Abtheilung. Achtzehnter Abschnitt.\ndie IV des zweiten Accordes die normale Quarte der I im Sep-timenaccorde ist.\nDamit sind die L\u00f6sungen mit absteigender Septime ersch\u00f6pft. Die mit liegenbleibender geschehen nach folgenden Schematen:\nI _ in _ V \u2014 VII und I\nI \u2014 III \u2014 V \u2014 VII\n\\ /\nII-----V \u2014 VII\n\\ \\ /\nII IV VII\nIm ersten wird die Septime Grundton, im zweiten Terz des neuen Accordes. Wenn sie Quinte w\u00fcrde, fiele der neue Accord ganz mit einem Theile des Septimenaccordes zusammen:\nI _ III ~ V - VII VII _ III _ v \u2014 VII\nIn diesen Verbindungen geschieht die Aufl\u00f6sung nach der Oberdominantseite hin. Der Fortschritt ist am entschiedensten in der ersten von ihnen, wo die Septime Grundton wird. Diese Aufl\u00f6sungen sind im Ganzen ungew\u00f6hnlicher, weil man leichter und h\u00e4ufiger schon von Accorden der Oberdominantseite her in die Septimenaccorde des unverwendeten Systems einr\u00fcckt. Bei denen des verwendeten Systems kommen diese Fortschritte h\u00e4ufiger vor, weil deren Septimen auch aufsteigend eintreten k\u00f6nnen, und daher die Quintenfolgen wegfallen, welche den Uebergang von einem Dreiklange zu einem an seiner Oberdominantseite liegenden Septimenaccorde erschweren.\nWas endlich die Ueberg\u00e4nge von einem Septimenaccorde zu einem anderen, oder zu einem dissonanten Dreiklange des verwendeten Systems betrifft, welchen man als einen abgek\u00fcrzten Septimenaccord betrachten kann, so sind diese Sachen in den Lehrb\u00fcchern des Generalbasses gen\u00fcgend entwickelt, und bieten keine principiellen Schwierigkeiten dar, wegen deren wir bei ihnen verweilen m\u00fcssten.\nDagegen haben wir noch einige Regeln zu besprechen, welche sich auf die Bewegung der einzelnen Stimmen in polyphonen S\u00e4tzen beziehen. Urspr\u00fcnglich waren in solchen polyphonen S\u00e4tzen, wie wir oben auseinandergesetzt haben, alle Stimmen von gleicher Berechtigung, hatten auch gew\u00f6hnlich hach einander dieselben melodischen Figuren zu wiederholen. Die Harmonie war Nebensache, die melodische Bewegung der vereinzelten Stimmen Hauptsache. Es musste deshalb daf\u00fcr gesorgt werden, dass","page":544},{"file":"p0545.txt","language":"de","ocr_de":"Verbotene Octaven-und Quintenparallelen. 545\njede Stimme jeder anderen gegen\u00fcber selbst\u00e4ndig und deutlich von ihr getrennt blieb. Das Verh\u00e4ltniss zwischen der Bedeutung der Harmonie und Melodie ist zwar in der neueren Musik wesentlich ver\u00e4ndert worden; erstere hat eine viel h\u00f6here selbst\u00e4ndige Bedeutung erhalten. Aber die rechte Vollendung erh\u00e4lt sie doch immer erst, wenn sie aus dem Zusammenklang mehrerer Stimmen entsteht, die auch jede f\u00fcr sich ihre sch\u00f6ne und klare melodische Fortschreitun g haben, und deren Fortschreitung dem H\u00f6rer leicht verst\u00e4ndlich bleibt.\nDarauf beruht nun das Verbot der sogenannten Octaven-und Quintenparallelen. Ueber den Sinn dieser Verbote ist viel gestritten worden. Der Sinn des Octavenverbots hat sich durch die musikalische Praxis selbst klar gemacht. Man verbietet in polyphoner Musik zwei Stimmen, welche um eine oder zwei Octaven von einander entfernt sind, so fortschreiten zu lassen, dass ihre Distanz beim n\u00e4chsten Schritt dieselbe ist. Aber ebenso verbietet es sich in einem mehrstimmigen Satze, zwei Stimmen durch einige Noten im Einklang fortgehen zu lassen, dagegen nicht f\u00fcr ganze musikalische Abs\u00e4tze zwei Stimmen-, oder-auch alle Stimmen in Einkl\u00e4ngen und Octaven zu vereinigen, um einen melodischen Gang kr\u00e4ftiger herauszuheben. Offenbar ist der Grund dieser Regel nur darin zu suchen, dass der Reichthum der Stimmenf\u00fchrung durch die Einkl\u00e4nge und Octaven beschr\u00e4nkt wird. Das darf geschehen, wo es mit offener Absicht f\u00fcr eine melodische Phrase ausgef\u00fchrt wird, aber nicht im Laufe des St\u00fcckes f\u00fcr einige wenige Noten, wo es nur den Eindruck machen kann, als ob ein ungeschickter Zufall den Reichthum der Stimmf\u00fchrung beeintr\u00e4chtigt. Die Begleitung einer unteren Stimme in der h\u00f6heren Octave verst\u00e4rkt eben nur einen Theil des Klanges der unteren Stimme, und ist also, wo es auf die Mannigfaltigkeit der Stimmf\u00fchrung ankommt, von dem Einkl\u00e4nge nicht wesentlich verschieden.\nNun steht in dieser Beziehung der Octave die Duodecime am n\u00e4chsten und deren untere Octave die Quinte. An demselben Fehler der Octavenparallelen nehmen daher auch die Duodeci-menparallelen und Quintenparallelen Theil. Aber bei ihnen steht es noch schlimmer. W\u00e4hrend man n\u00e4mlich die Begleitung in Octaven, wo sie. dem Zwecke entspricht, durch eine ganze Melodie fortf\u00fchren kann, ohne einen Fehler zu begehen, l\u00e4sst sich dies f\u00fcr die Quinten und Duodecimen nicht durchf\u00fchren, ohne die Ton-\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\t35","page":545},{"file":"p0546.txt","language":"de","ocr_de":"546 Dritte Abtheilung. Achtzehnter Abschnitt.\nr\nart zu verlassen. Man kann n\u00e4mlich von der Tonica als Grundton mit Quintenbegleitung keinen einfachen Schritt machen, ohne die Tonart zu verlassen. In C-Dur w\u00fcrde man von der Quinte CG nach aufw\u00e4rts auf DA kommen; der Tonleiter geh\u00f6rt aber nicht A, sondern das tiefere a an. Abw\u00e4rts folgt h fis. Der Ton fis fehlt der Leiter ganz. Die \u00fcbrigen Schritte von D aufw\u00e4rts bis a kann man allerdings in reinen Quinten innerhalb der Tonart ausf\u00fchren. Es l\u00e4sst sich also die klangverst\u00e4rkende Begleitung in der Duodecime oder Quinte nicht consequent durchf\u00fchren. Andererseits aber erscheinen doch beide Intervalle, namentlich wenn sie um einige gleiche Schritte melodisch fortgehen, leicht nur als Klangverst\u00e4rkung des Grundtones. Bei der Duodecime liegt dies darin, dass sie einem der Obert\u00f6ne des Grundtones direct entspricht. Bei der Quinte C G erscheinen C und G als die beiden ersten Ohert\u00f6ne des Combinationstones C\u20143, der die Quinte begleitet. Die Quintenbegleitung theilt also, wo sie vereinzelt innerhalb eines mehrstimmigen Satzes vorkommt, den Vorwurf der Eint\u00f6nigkeit, und kann auch nicht consequent als Begleitung gebraucht werden, ist also in allen F\u00e4llen zu vermeiden.\nDass \u00fcbrigens die Quintenfolgen eben nur den Gesetzen der k\u00fcnstlerischen Composition widersprechen, und nicht dem nat\u00fcrlichen Ohre \u00fcbelklingend sind, geht einfach aus dem Factum hervor, dass eben alle T\u00f6ne unserer Stimme und der meisten Instrumente von Duodecimen begleitet sind, auf welcher Begleitung der ganze Bau unseres Tonsystems beruht. Sobald also die Quinten als mechanisch dem Klang zugeh\u00f6rige Bestandtheile erscheinen, haben sie ihre volle Berechtigung. So in den Mixturen der Orgel. In diesen Registern werden mit den Pfeifen, welche den Grundton des Klanges geben, auch immer andere angehlasen, welche die harmonischen Obert\u00f6ne dieses Grundtones, Octaven, Duodecimen, in mehrfacher Wiederholung, auch wohl hohe Terzen geben. Man setzt, wie schon fr\u00fcher erw\u00e4hnt wurde, auf diese Weise k\u00fcnstlich einen sch\u00e4rferen einschneidenderen Klang zusammen, als ihn die einfachen Orgelpfeifen mit ihren verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig schwachen Ohert\u00f6nen geben. Nur durch dieses Mittel wird der Klang der Orgel ausreichend, den Gesang einer gr\u00f6sseren Gemeinde zu beherrschen. Fast alle musikalischen Theoretiker haben sich gegen die Begleitung mit Quinten oder gar Terzen ereifert, aber gl\u00fccklicher Weise gegen die Praxis des Orgelbaues nichts ausrichten k\u00f6nnen. In der That geben die Mixturen der Orgel keine andere","page":546},{"file":"p0547.txt","language":"de","ocr_de":"Verbotene Octaven- und Quintenparallelen. 547\nKlangmasse, als Streichinstrumente oder Posaunen und Trompeten geben w\u00fcrden, wenn sie dieselbe Musik ausf\u00fchrten. Ganz andei\u2019s w\u00fcrde es sein, wenn wir selbst\u00e4ndige Stimmen hinstellen wollten, von denen wir dann auch eine selbst\u00e4ndige Fortschrei-tung nach den Gesetzen der melodischen Bewegung, die in der Tonleiter gegeben sind, erwarten m\u00fcssen. Solche selbst\u00e4ndige Stimmen k\u00f6nnen sich schon nie mit der genauen Pr\u00e4cision eines Mechanismus bewegen, sie werden durch kleine Fehler ihre Selbst\u00e4ndigkeit immer bald wieder verrathen, und dann werden wir sie dem Gesetze der Tonleiter unterwerfen m\u00fcssen, welches eine cons\u00e9quente Quintenbegleitung unm\u00f6glich macht.\nDas Verbot der Quinten und Octaven erstreckt sich, aber mit minderer Strenge, auch auf die n\u00e4chstfolgenden consonanten Intervalle, namentlich wenn zwei derselben so zusammengestellt werden, dass sie eine zusammenh\u00e4ngende Gruppe aus den Obert\u00f6nen eines Klanges bilden. So sind Folgen, wie\nD\u2014 Gr \u2014 h C\u2014F\u2014 a,\nnach der Feststellung der musikalischen Theoretiker weniger gut, als\nh \u2014 I) - G a \u2014 G \u2014 F.\nEs ist n\u00e4mlich D \u2014 Gr \u2014 h der dritte, vierte, f\u00fcnfte Oberton des Klanges Gr, dagegen k\u00f6nnen h \u2014 D \u2014 Gr nur als der f\u00fcnfte, sechste, achte angesehen werden. Es wird also die Eint\u00f6nigkeit bei der ersten Accordfolge viel entschiedener ausgesprochen sein, als bei der letzteren, welche man oft in langen G\u00e4ngen fortgehen l\u00e4sst, wobei sie denn freilich auch in verschiedenen Arten von Terzen und Quarten wechselt.\nDas Quintenverbot war in der Geschichte der Musik eine Reaction gegen die unvollkommenen ersten Versuche des mehrstimmigen Gesanges, der sich auf eine Begleitung in Quarten oder Quinten beschr\u00e4nkte, dann wurde es, wie jede Reaction, in einer unproductiven mechanischen Zeit \u00fcbertrieben, und die Reinheit von Quintenparallelen wurde zu einem Hauptkennzeichen einer guten Composition gemacht. Die neueren Harmoniker stimmen darin \u00fcberein, dass man andere Sch\u00f6nheiten der Stimmf\u00fchrung nicht zerst\u00f6ren solle, weil Quintenparallelen darin Vorkommen, wenn es auch r\u00e4thlich ist, sie zu vermeiden, so weit man nichts Anderes zu opfern braucht.\n35*","page":547},{"file":"p0548.txt","language":"de","ocr_de":"548 Dritte Abtheilung. Achtzehnter Abschnitt.\nDas Verbot der Quinten hat \u00fcbrigens noch eine andere Beziehung, auf welche Hauptmann aufmerksam gemacht hat. Man kommt n\u00e4mlich nicht leicht in Versuchung, Quintenfolgen zu machen, wenn man von einem consonanten Dreiklange zu einem nah verwandten \u00fcbergeht, weil sich da n\u00e4her liegende andere Fortschritte der Stimmen bieten. So zum Beispiel schreitet man vom (7-Durdreiklange nach den vier verwandten Dreikl\u00e4ngen folgen-dermassen, indem der Fundamentalbass um Terzen oder Quinten fortschreitet :\nC \u2014 e \u2014 G G \u2014 e \u2014 a\nC \u2014 e\u2014 G h \u2014 e \u2014 G\nC \u2014 e\u2014 G C \u2014 F\u2014a\nC \u2014 e\u2014 G h \u2014JD\u2014 G.\nWenn man aber den Fundamentalbass inSecunden fortschreiten l\u00e4sst, also zu einem nicht mehr unmittelbar verwandten Accorde fortgeht, ist allerdings die n\u00e4chste Lage des neuen Accordes eine solche, die eine Quintenfolge herbeif\u00fchrt. Zum Beispiel: G \u2014\th\t\u2014\tD\toder\tG\t\u2014 h\t\u2014\tD\na \u2014\tC\t\u2014\te\toder\tF\t\u2014 a\t\u2014\tC\nIn diesen F\u00e4llen muss man also schon andere Fortschrittsweisen mit gr\u00f6sseren Schritten suchen, wie :\nG \u2014\th\t\u2014\tD\toder\tG\t\u2014 h\t\u2014\tD\ne \u2014\ta\t\u2014\tC\toder\ta\t\u2014 C\t\u2014\tF,\nwenn man die Quinten vermeiden will.\nBei den durch nahe Verwandtschaft und geringsten Abstand in der Tonleiter eng verbundenen Accord en fallen also die Quintenparallelen von selbst aus, sie sind, wo sie Vorkommen, also immer ein Zeichen j\u00e4her Accord\u00fcberg\u00e4nge, und wenn man wirklich solche macht, ist es besser, die Fortschreitung der Stimmen derjenigen \u00e4hnlicher zu machen, welche im Uebergange zu verwandten Accorden von selbst entsteht.\nDieses von Hauptmann hervorgehobene Moment bei den Quintenfolgen erscheint allerdings geeignet, dem Gesetze noch einen weiteren Nachdruck zu leihen. Dass es nicht das einzige Motiv f\u00fcr das Quintenverbot ist, zeigt sich darin, dass die verbotene Folge\nG \u2014 h \u2014 jD________F \u2014 a \u2014 C\nerlaubt wird, wenn sie in der Accordlage","page":548},{"file":"p0549.txt","language":"de","ocr_de":"Verbotene Octaven- und Quintenparallelen. 549\nh \u2014 D \u2014 Q .... a - G \u2014 F geschieht, wobei der Sprung im Fundamentalbasse derselbe bleibt.\nMan hat hieran das Verbot der sogenannten verdeckten Quinten und Octaven wenigstens f\u00fcr die \u00e4usseren Stimmen eines mehrstimmigen Satzes geschlossen. Das Verbot sagt aus, dass die unterste und oberste Stimme eines Satzes nicht in gleichgerichteter Bewegung in die Consonanz einer Octave oder Quinte (Duodecime) \u00fcbergehen sollen. Sie sollen vielmehr in eine solche Consonanz nur in Gegenbewegung treten, die eine sinkend, die andere steigend. Dasselbe w\u00fcrde im zweistimmigen Satze f\u00fcr den Einklang gelten. Der Sinn dieses Gesetzes ist wohl nur der, dass jedesmal, wo die \u00e4usseren Stimmen sich in die T\u00f6ne eines Klanges zusammenschliessen, sie einen relativen Ruhezustand gegen einander erreichen. Wo dies der Fall ist, erh\u00e4lt die Bewegung allerdings besseres Gleichgewicht, wenn die die ganze Tonmasse umschliessen-den Stimmen von entgegengesetzten Seiten ihrem Zusammenschluss sich n\u00e4hern, als wenn der Schwerpunkt der Tonmasse durch gleichsinnige Bewegung der \u00e4usseren Stimmen verr\u00fcckt wird, und diese, in verschiedener Geschwindigkeit fortschreitend, sich einholen. Wo aber die Bewegung in gleichem Sinne weiter geht, und kein Ruhepunkt beabsichtigt ist, werden auch die verdeckten Quinten nicht vermieden, wie in der gew\u00f6hnlichen Formel:\nworin das GD durch verdeckte Quinteng\u00e4nge erreicht wird.\nEine andere Regel der Stimmf\u00fchrung, betreffend den sogenannten unharmonischen Quer stand, ergab sich wohl zun\u00e4chst aus dem Bed\u00fcrfniss der S\u00e4nger. Was aber f\u00fcr den S\u00e4nger schwer zu treffen ist, muss nat\u00fcrlich auch dem H\u00f6rer immer als ein ungew\u00f6hnlicher und gezwungener Schritt erscheinen. Unter Querstand versteht man den Fall, wo zwei T\u00f6ne zweier aufeinanderfolgenden Accorde, die verschiedenen Stimmen angeh\u00f6ren, falsche Octaven oder Quinten bilden : also wenn im ersten Accorde eine Stimme ein h hat, eine andere im zweiten ein b, oder die erste ein c, die andere ein cis. Der Quintenquerstand ist nur f\u00fcr die \u00e4usseren Stimmen verboten; er tritt z. B. ein, wenn im ersten Accorde der Bass ein h, im zweiten der Sopran ein /hat, oder","page":549},{"file":"p0550.txt","language":"de","ocr_de":"550 Dritte Abtheilung. Achtzehnter Abschnitt,\numgekehrt; hf ist eine falsche Quinte. Der Sinn der Regel f\u00fcr die falschen Octaven ist wohl der, dass es dem S\u00e4nger schwer wird, den neuen Ton zu treffen, der aus der Tonleiter heraustritt, wenn er vorher von einer anderen Stimme den in der Leiter liegenden n\u00e4chsten Ton ausf\u00fchren h\u00f6rt. Aehnlich wenn er zur falschen Quinte eines in der gegenw\u00e4rtigen Harmonie als oberster oder unterster stark heraustretenden Tones \u00fcbergehen soll. Es liegt also ein gewisser Sinn in der Sache, aber Ausnahmen kommen genug vor, da das Ohr der neueren Musiker, S\u00e4nger und H\u00f6rer sich an k\u00fchnere Comhinationen und lebhaftere Bewegung gew\u00f6hnt hat. Alle diese Regeln beziehen sich wesentlich auf solche Musik, welche, wie die alte Kirchenmusik, in einem m\u00f6glichst ruhigen sanften und \u00fcberall gut vermittelten, ohne absichtliche Kraftanstrengung im ebenm\u00e4ssigsten Gleichgewicht fortlaufenden Flusse dahingleiten soll. Wo die Musik heftigere Anstrengung und Aufregung ausdr\u00fccken soll, verlieren diese Regeln ihren Sinn. Auch findet man sowohl verdeckte Quinten und Octaven, als auch Querst\u00e4nde von falschen Quinten in Menge seihst bei dem als Harmoniker sonst so strengen Sebastian Bach in seinen Chor\u00e4len, in denen die Bewegung der Stimmung aber auch freilich viel kr\u00e4ftiger ausgedr\u00fcckt ist, als in der alten italienischen Kirchenmusik.","page":550},{"file":"p0551.txt","language":"de","ocr_de":"Neunzehnter Abschnitt.\nBeziehungen zur Aesthetik.\nIch habe mich bem\u00fcht, in der letzten Ahtheilung dieses Buches nachzuweisen, dass die Construction der Tonleitern und des Harmoniegewebes ein Product k\u00fcnstlerischer Erfindung, und keineswegs durch den nat\u00fcrlichen Bau oder die nat\u00fcrliche Th\u00e4tig-keit unseres Ohres unmittelbar gegeben sei, wie man es bisher wohl meist zu behaupten pflegte. Allerdings spielen die nat\u00fcrlichen Gesetze der Th\u00e4tigkeit unseres Ohres eine grosse und einflussreiche Rolle dabei; sie sind gleichsam die Bausteine, welche der Kunsttrieb des Menschen benutzt hat, um-das Geb\u00e4ude unseres musikalischen Syst\u00e8mes aufzuf\u00fchren, und dass man die Construction des Geb\u00e4udes nur verstehen kann, wenn man die Natur der St\u00fccke, aus denen es aufgef\u00fchrt ist, genau kennen gelernt hat, zeigt gerade im vorliegenden Falle der Verlauf unserer Untersuchung sehr deutlich. Aber ebenso gut, wie Leute von verschiedener Geschmacksrichtung aus denselben Steinen sehr verschiedenartige Geb\u00e4ude errichten, ebenso sehen wir auch in der Geschichte der Musik die gleichen Eigenth\u00fcmlichkeiten des menschlichen Ohres als Grundlage sehr verschiedener musikalischer Systeme dienen. Demgem\u00e4ss meine ich, k\u00f6nnen wir nicht zweifeln, dass nicht bloss die Composition vollendeter musikalischer Kunstwerke, sondern auch selbst die Construction unseres","page":551},{"file":"p0552.txt","language":"de","ocr_de":"552 Dritte Abtheilung. Neunzehnter Abschnitt.\nSystems der Tonleitern, Tonarten, Accorde, kurz alles dessen, was in der Lehre vom Generalbasse zusammengestellt zu werden pflegt, ein Werk k\u00fcnstlerischer Erfindung sei, und deshalb auch den Gesetzen der k\u00fcnstlerischen Sch\u00f6nheit unterworfen sein m\u00fcsse. In der That hat die Menschheit seit Ter pander und Pythagoras nun zwei ein halb Jahrtausende an dem diatonischen Systeme gearbeitet und ge\u00e4ndert, und es l\u00e4sst sich jetzt noch in vielen F\u00e4llen erkennen, dass gerade die ausgezeichneten Componisten es waren, welche theils durch selbstgemachte Erfindungen, theils durch die Sanction, welche sie fremden Erfindungen ertheilten, indem sie sie k\u00fcnstlerisch verwendeten, die fortschreitenden Aen-derungen des Tonsystems herbeigef\u00fchrt haben.\nDie \u00e4sthetische Zergliederung vollendeter musikalischer Kunstwerke und das Verst\u00e4ndniss der Gr\u00fcnde ihrer Sch\u00f6nheit st\u00f6sst fast \u00fcberall noch auf scheinbar un\u00fcberwindliche Hindernisse. Dagegen in dem besprochenen Gebiete der elementaren musikalischen Technik haben wir nun so viel Einsicht in den Zusammenhang gewonnen, dass wir die Ergebnisse unserer Untersuchung in Beziehung bringen k\u00f6nnen zu den Ansichten, welche \u00fcber den Grund und Charakter der k\u00fcnstlerischen Sch\u00f6nheit \u00fcberhaupt aufgestellt und in der neueren Zeit ziemlich allgemein angenommen worden sind. Es ist in der That nicht schwer, eine ehge Beziehung und Uebereinstimmung zwischen beiden zu entdecken; ja es m\u00f6chten sich wenig geeignetere Beispiele finden lassen, als die Theorie der Tonleitern und der Harmonie, um einige der dunkelsten und schwierigsten Punkte der allgemeinen Aesthetik zu erl\u00e4utern. Ich glaubte deshalb an diesen Betrachtungen nicht Vorbeigehen zu d\u00fcrfen, um so mehr, da sie mit der Lehre von den Sinneswahrnehmungen, und dadurch auch mit der Physiologie in engem Zusammenh\u00e4nge stehen.\nDass die Sch\u00f6nheit an Gesetze und Regeln gebunden sei, die von der Natur der menschlichen Vernunft abh\u00e4ngen, bezweifelt gegenw\u00e4rtig wohl Niemand mehr, welcher \u00fcber \u00e4sthetische Fragen selbst nachgedacht, oder neuere \u00e4sthetische Werke studirt hat. Die Schwierigkeit ist nur, dass diese Gesetze und Regeln, von deren Erf\u00fcllung die Sch\u00f6nheit abh\u00e4ngt und nach denen sie be-urtheilt werden muss, nicht vom bewussten Verst\u00e4nde gegeben sind, und auch weder dem K\u00fcnstler, w\u00e4hrend er das Werk hervorbringt, noch dem Beschauer oder H\u00f6rer, w\u00e4hrend er es ge-niesst, bewusst sind. Die Kunst handelt absichtsvoll, doch soll","page":552},{"file":"p0553.txt","language":"de","ocr_de":"Die unbewusste Gesetzm\u00e4ssigkeit der Kunstwerke. 553\ndas Kunstwerk als ein absichtsloses erscheinen und so beurtheilt werden. Sie soll schaffen wie die Einbildungskraft vorstellt, ge-setzm\u00e4ssig ohne bewusstes Gesetz, zweckm\u00e4ssig ohne bewussten Zweck. Ein Werk, von dem wir wissen und erkennen, dass es durch reine Verstandesth\u00e4tigkeit zustande gekommen ist, werden wir nie als ein Kunstwerk anerkennen, so vollkommen zweckentsprechend es auch sein mag. Wo wir in einem Kunstwerke bemerken, dass bewusste Reflexionen auf die Anordnung des Ganzen eingewirkt haben, finden wir es arm. \u201eMan f\u00fchlt die Absicht, und man wird verstimmt.\u201c Und doch verlangen wir' von jedem Kunstwerk Vernunftm\u00e4ssigkeit, wie wir dadurch zeigen, dass wir es einer kritischen Betrachtung unterwerfen, dass wir unseren Genuss und unser Interesse daran zu erh\u00f6hen suchen durch Aufsp\u00fcrung der Zweckm\u00e4ssigkeit, des Zusammenhanges und Gleichgewichts aller seiner einzelnen Theile. Wir finden es desto reicher, je mehr es uns gelingt, uns die Harmonie und Sch\u00f6nheit aller Einzelheiten klar zu machen, und wir betrachten es als das Hauptkennzeichen eines grossen Kunstwerkes, dass wir durch eingehendere Betrachtung immer mehr und mehr Vernunftm\u00e4ssig-keit im Einzelnen finden, je \u00f6fter wir es an uns vor\u00fcbergehen lassen, und je mehr wir dar\u00fcber nachdenken. Indem wir durch kritische Betrachtung die Sch\u00f6nheit eines solchen Werkes zu begreifen streben, was uns bis zu einem gewissen Grade auch gelingt, zeigen wir, dass wir eine Vernunftm\u00e4ssigkeit in dem Kunstwerke voraussetzen, die auch zum bewussten Yerst\u00e4ndniss erhoben werden kann, obgleich ein solches Verst\u00e4ndniss weder f\u00fcr die Erfindung, noch f\u00fcr das Gef\u00fchl.des Sch\u00f6nen n\u00f6thig ist. Denn in dem unmittelbaren Urtheil des k\u00fcnstlerisch gebildeten Geschmacks wird ohne alle kritische Ueberlegung das \u00e4sthetisch Sch\u00f6ne als solches anerkannt, es wird ausgesagt, dass es gefalle oder nicht gefalle, ohne es mit irgend einem Gesetze und Begriffe zu vergleichen.\nDass wir aber das Wohlgefallen am Sch\u00f6nen nicht als eine zuf\u00e4llige individuelle Beziehung auffassen, sondern als eine ge-setzm\u00e4ssige Uebereinstimmung mit der Natur unseres Geistes, zeigt sich eben darin, dass wir von jedem gesunden anderen menschlichen Geiste dieselbe Anerkennung des Sch\u00f6nen erwarten und verlangen, diewirihm selbst zollen. H\u00f6chstens geben wir zu, dass die nationalen oder individuellen Abweichungen des Geschmacks sich dem einen oder anderen k\u00fcnstlerischen Ideale mehr zuneigen,","page":553},{"file":"p0554.txt","language":"de","ocr_de":"554 Dritte Abtheilung.- Neunzehnter Abschnitt.\nund von ihm leichter erregt werden, so wie denn auch nicht zu leugnen ist, dass eine gewisse Erziehung und Uebung in der Anschauung sch\u00f6ner Kunstwerke n\u00f6thig sei, um in ihr tieferes Ver-st\u00e4ndniss einzudringen.\nDie Hauptschwierigkeit in diesem Gebiete ist nun, zu begreifen, wie Gesetzm\u00e4ssigkeit durch Anschauung wahrgenommen werden kann, ohne dass sie als solche zum wirklichen Bewusstsein kommt. Auch erscheint diese Bewusstlosigkeit des Gesetzm\u00e4ssi-gen nicht als eine Nebensache in der Wirkung des Sch\u00f6nen auf unseren Geist, welche sein kann oder auch nicht sein kann, sondern sie ist offenbar gerade die Hauptsache und der springende Punkt. Denn indem wir \u00fcberall die Spuren von Gesetzm\u00e4ssigkeit, Zusammenhang und Ordnung wahrnehmen, ohne doch das Gesetz und den Plan des Ganzen vollst\u00e4ndig \u00fcbersehen zu k\u00f6nnen, entsteht in uns das Gef\u00fchl einer Vernunftm\u00e4ssigkeit d\u00e9s Kunstwerks, die weit \u00fcber das hinausreicht, was wir f\u00fcr den Augenblick begreifen, und an der wir keine Grenzen und Schranken bemerken. Eingedenk des Dichterwortes:\n\u201eDu gleichst dem Geist, den Du begreifst\u201c, f\u00fchlen wir diejenigen Geisteskr\u00e4fte, welche in dem K\u00fcnstler gearbeitet haben, unserem bewussten verst\u00e4ndigen Denken bei weitem \u00fcberlegen, indem wir zugeben m\u00fcssen, dass mindestens, wenn es \u00fcberhaupt m\u00f6glich w\u00e4re, un\u00fcbersehbare Zeit, Ueberlegung und Arbeit dazu geh\u00f6rt haben w\u00fcrde, um durch bewusstes Denken denselben Grad von Ordnung, Zusammenhang und Gleichgewicht aller Theile und aller inneren Beziehungen zu erreichen, welchen der K\u00fcnstler, allein durch sein Taktgef\u00fchl und seinen Geschmack geleitet, hergestellt hat, und welchen wir wiederum mittelst unseres eigenen Taktgef\u00fchls und Geschmacks zu sch\u00e4tzen und zu fassen wissen, l\u00e4ngst ehe wir angefangen haben, das Kunstwerk kritisch zu analysiren.\nEs ist klar, dass wesentlich hierauf die Hochsch\u00e4tzung des K\u00fcnstlers und des Kunstwerkes liegt. Wir verehren in dem er-steren einen Genius, einen Funken g\u00f6ttlicher Sch\u00f6pferkraft, welcher \u00fcber die Grenzen unseres verst\u00e4ndig und selbstbewusst rechnenden Denkens hinausgeht. Und doch ist der K\u00fcnstler wieder ein Mensch wie wir, in welchem dieselben Geisteskr\u00e4fte wirken, wie in uns selbst, nur in ihrer eigenth\u00fcmlichen Richtung reiner, gekl\u00e4rter, in ungest\u00f6rterem Gleichgewichte, und indem wir selbst mehr oder weniger schnell und vollkommen die Sprache des","page":554},{"file":"p0555.txt","language":"de","ocr_de":"Die unbewusste Gesetzm\u00e4ssigkeit der Kunstwerke. 555\nK\u00fcnstlers verstehen, f\u00fchlen wir, dass wir seihst Theil haben an diesen Kr\u00e4ften, die so Wunderbares hervorhrachten.\nDarin liegt offenbar der Grund der moralischen Erhebung und des Gef\u00fchls seliger Befriedigung, welches die Versenkung in \u00e4chte und hohe Kunstwerke hervorruft. Wir lernen an ihnen f\u00fchlen, dass auch in den dunklen Tiefen eines gesund und harmonisch entfalteten menschlichen Geistes, welche der Zergliederung durch das bewusste Denken f\u00fcr jetzt wenigstens noch unzug\u00e4nglich sind, der Keim zu einer vern\u00fcnftigen und reicher Entwickelung f\u00e4higen Ordnung schlummert, und wir lernen, vorl\u00e4ufig zwar an gleichg\u00fcltigem Stoffe ausgef\u00fchrt, in dem Kunstwerk das Bild einer solchen Ordnung der Welt, welche durch Gesetz und Vernunft in allen ihren Theilen beherrscht wird, kennen und bewundern. Es ist wesentlich Vertrauen auf die gesunde Urnatur des menschlichen Geistes, wie sie ihm zukommt, wo er nicht geknickt, verk\u00fcmmert, getr\u00fcbt und verf\u00e4lscht worden ist, was die Anschauung des rechten Kunstwerks in uns erweckt.\nIn allen diesen Beziehungen aber ist es eine wesentliche Bedingung, dass der ganze Umfang der Gesetzm\u00e4ssigkeit und Zweckm\u00e4ssigkeit eines Kunstwerkes nicht durch bewusstes Verst\u00e4ndnis gefasst werden k\u00f6nne. Eben durch den Theil seiner Ver-nunftm\u00e4ssigkeit, welcher nicht Gegenstand bewussten Verst\u00e4ndnisses wird, beh\u00e4lt das Kunstwerk f\u00fcr uns das Erhebende und Befriedigende, von ihm h\u00e4ngen die h\u00f6chsten Wirkungen k\u00fcnstlerischer Sch\u00f6nheit ab, nicht von dem Theile, welchen wir vollst\u00e4ndig analysiren k\u00f6nnen.\nWenden wir nun diese Betrachtungen auf das System der musikalischen T\u00f6ne und der Harmonie an, so sind dies allerdings Gegenst\u00e4nde, die einem ganz untergeordneten und elementaren Gebiete angeh\u00f6ren, aber auch sie sind langsam reif gewordene Erfindungen des k\u00fcnstlerischen Geschmacks der Musiker, und auch sie m\u00fcssen sich daher den allgemeinen Regeln der k\u00fcnstlerischen Sch\u00f6nheit f\u00fcgen. Gerade weil wir hier noch in dem niederem Gebiete k\u00fcnstlerischer Technik verweilen, und nicht mit dem Ausdrucke tieferer psychologischer Probleme zu thun haben, stossen wir auf eine verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig einfache und durchsichtige L\u00f6sung jenes fundamentalen R\u00e4thsels der Aesthetik.\nDie ganze letzte Abtheilung dieses Buches hat auseinandergesetzt, wie die Musiker allm\u00e4lig die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den T\u00f6nen und Accorden aufgefunden haben,","page":555},{"file":"p0556.txt","language":"de","ocr_de":"556 Dritte Abtheilung. Neunzehnter Abschnitt.\nwie durch die Erfindung der harmonischen Musik diese Beziehungen enger, deutlicher und reicher geworden sind. Wir sind im Stande gewesen, das gesammte System von Regeln, die die Lehre vom Generalhasse bilden, herzuleiten aus dem Bestreben, eine deutlich zu empfindende Verbindung in die Reihe der T\u00f6ne, welche ein Musikst\u00fcck bilden, hineinzubringen.\nZuerst entwickelte sich das Gef\u00fchl f\u00fcr die melodische Verwandtschaft aufeinanderfolgender T\u00f6ne, und zwar anfangs f\u00fcr die Octave und Quinte, sp\u00e4ter f\u00fcr die Terz. Wir haben uns bem\u00fcht, nachzuweisen, dass dieses Gef\u00fchl der Verwandtschaft begr\u00fcndet war in der Empfindung gleicher Partialt\u00f6ne der betreffenden Kl\u00e4nge. Nun sind diese Partialt\u00f6ne allerdings vorhanden in der sinnlichen Empfindung des Geh\u00f6rnervenapparats, und doch werden sie als f\u00fcr sich bestehende Empfindungen f\u00fcr gew\u00f6hnlich nicht Gegenstand der bewussten Wahrnehmung. Die bewusste Wahrnehmung des gew\u00f6hnlichen Lebens beschr\u00e4nkt sich darauf, den Klang, dem sie angeh\u00f6ren, als Ganzes aufzufassen, etwa wie wir den Geschmack einer zusammengesetzten Speise als Ganzes auffassen, ohne uns klar zu machen, wie viel davon dem Salze, dem Pfeffer oder anderen Gew\u00fcrzen und Zuthaten angeh\u00f6rt. Es geh\u00f6rt erst eine kritische Untersuchung unserer Geh\u00f6rempfindungen als solcher dazu, damit wir die Existenz der Obert\u00f6ne herausfinden. Daher ist denn auch der eigentliche Grund der melodischen Verwandtschaft zweier Kl\u00e4nge bis auf mehr oder weniger deutlich ausgesprochene Vermuthungen, wie wir sie z. B. bei Rameau und d\u2019Alembert finden, so lange Zeit nicht entdeckt worden, \u00f6der wenigstens nicht bis zu einer ganz klaren und bestimmten Darstellung gekommen. Ich glaube nun im Stande gewesen zu sein, eine solche zu geben, und den ganzen Zusammenhang deutlich dargelegt zu haben. Das \u00e4sthetische Problem ist damit zur\u00fcckgef\u00fchrt worden auf die Eigenth\u00fcmlichkeit aller unserer sinnlichen Wahrnehmungen, verm\u00f6ge der wir zusammengesetzte Aggregate von Empfindungen als die weiter nicht zu zerlegenden sinnlichen Symbole einfacher \u00e4usserer Objecte behandeln, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf die Analyse unserer Sinnesempfindungen immer nur in dem Sinne und zu dem Zwecke richten, um richtige Vorstellungen von den Dingen der Aussenwelt zu erhalten, ohne uns zun\u00e4chst daf\u00fcr zu interessiren, wie wir zu diesen Vorstellungen kommen.\nNachdem die Musiker sich lange Zeit mit den melodischen","page":556},{"file":"p0557.txt","language":"de","ocr_de":"Unbewusster Grund der Tonverwandtschaft. 557\nVerwandtschaften der T\u00f6ne begn\u00fcgt hatten, fingen sie im Mittel-alter an, ihre harmonische Verwandtschaft, die sich in der Con-sonanz zeigt, zu benutzen. Die Wirkungen der verschiedenen Zusammenkl\u00e4nge beruhen wiederum zum Theil auf der Gleichheit oder Ungleichheit ihrer verschiedenen Partialt\u00f6ne, zum Theil auf den Comhinationst\u00f6nen. W\u00e4hrend aber in der melodischen Verwandtschaft die Gleichheit der Obert\u00f6ne nur mittelst der Erinnerung an den vorausgegangenen Klang empfunden wei\u2019den kann, wird sie in der Consonanz durch eine Erscheinung der gegenw\u00e4rtigen sinnlichen Empfindung festgestellt, n\u00e4mlich durch die Schwebungen. In dem harmonischen Zusammenklange wird also die Verwandtschaft der T\u00f6ne mit derjenigen gr\u00f6sseren Lebhaftigkeit hervortreten, welche eine gegenw\u00e4rtige Empfindung vor der dem Ged\u00e4chtnisse anvertrauten Erinnerung voraus hat. Gleichzeitig W\u00e4chst der Reichthum der deutlich wahrnehmbaren Beziehungen mit der Zahl der gleichzeitig erklingenden T\u00f6ne. Die Schwebungen nun sind zwar leicht als solche zu erkennen, wenn sie langsam gehen ; die f\u00fcr die Dissonanzen charakteristischen Schwebungen geh\u00f6ren aber fast ohne Ausnahme zu den sehr schnellen und sind zum Theil \u00fcberdeckt von anderen anhaltenden, nicht schwebenden T\u00f6nen, so dass eine sorgf\u00e4ltige Vergleichung langsamerer und schnellerer Schwebungen dazu geh\u00f6rte, um sich zu \u00fcberzeugen, dass das Wesen der Dissonanz eben in schnellen Schwebungen begr\u00fcndet sei. Langsame Schwebungen machen auch nicht den Eindruck der Dissonanz, sondern erst solche, denen das Ohr nicht mehr folgen kann und von denen es verwirrt wird. Auch hier also f\u00fchlt das Ohr den Unterschied zwischen dem ungest\u00f6rten Zusammenklange zweier consonanten T\u00f6ne, und dem gest\u00f6rten, rauhen Zusammenklange einer Dissonanz. Worin aber die St\u00f6rung im letzteren Falle besteht, bleibt dem H\u00f6rer f\u00fcr-gew\u00f6hnlich durchaus unbekannt.\nDie Entwickelung der Harmonie gab Gelegenheit zu einer viel reicheren Entfaltung der musikalischen Kunst, als sie vorher m\u00f6glich gewesen war, weil bei dem viel deutlicher ausgesprochenen verwandtschaftlichen Zusammenh\u00e4nge der T\u00f6ne in den Accorden und Accordfolgen auch viel entlegenere Verwandtschaften, namentlich Modulationen in andere Tonarten, benutzt werden konnten, als sonst. Es wuchs dadurch der Reichthum der Ausdrucksmittel ebenso gut, wie die Schnelligkeit der melodischen und","page":557},{"file":"p0558.txt","language":"de","ocr_de":"558 Dritte Abtheilung. Neunzehnter Abschnitt.\nharmonischen Ueherg\u00e4nge, die man eintreten lassen konnte, ohne den Zusammenhang zu zerreissen.\nAls man im 15. und 16. Jahrhundert die selbst\u00e4ndige Bedeutung der Accorde einsehen lernte, entwickelte sich das Gef\u00fchl f\u00fcr die Verwandtschaft der Accorde, theils unter einander, theils mit dem tonischen Accorde, ganz nach demselben Gesetze, wie es f\u00fcr die Verwandtschaft der Kl\u00e4nge l\u00e4ngst unbewusst ausgehildet war. Die Verwandtschaft der Kl\u00e4nge beruhte auf der Gleichheit eines oder mehrerer Partialt\u00f6ne, die der Accorde auf Gleichheit einer oder mehrerer ihrer Noten. F\u00fcr den Musiker freilich ist das Gesetz von der Verwandtschaft der Accorde und der Tonarten viel verst\u00e4ndlicher, als das f\u00fcr die Verwandtschaft der Kl\u00e4nge. Er h\u00f6rt die gleichen T\u00f6ne leicht heraus oder sieht sie in Noten verzeichnet vor sich. Der unbefangene H\u00f6rer aber macht sich den Grund des Zusammenhanges einer klar und wohlklingend hinflies-senden Accordreihe eben so wenig klar, als den einer wohlzusammenh\u00e4ngenden Melodie. Er wird aufgeschreckt, wenn ein Trugschluss kommt, er f\u00fchlt das Unerwartete desselben, ohne dass er nothwendiger Weise sich des Grundes bewusst wird.\nDann haben wir gesehen, dass der Grund, warum ein Accord in der Musik als Accord eines bestimmten Grundtones auftritt, wiederum auf der Zerlegung der Kl\u00e4nge in Partialt\u00f6ne beruht, also wiederum auf Elementen der Empfindung, die nicht leicht zu Objecten der bewussten Wahrnehmung werden. Diese Beziehung zwischen Accorden ist aber von einer grossen Bedeutung, sowohl in dem Verh\u00e4ltniss des tonischen Accordes zur Tonica, als in der Reihenfolge der Accorde.\nDie Anerkennung dieser Aehnlichkeiten zwischen den Kl\u00e4ngen und Accorden erinnert an andere ganz entsprechende Erfahrungen. Wir m\u00fcssen oft die Aehnlichkeit der Gesichter zweier naher Verwandten anerkennen, w\u00e4hrend wir selten genug im Stande sind anzugeben, worauf diese Aehnlichkeit beruht, namentlich wenn Alter und Geschlecht verschieden sind und die gr\u00f6beren Umrisse der Gesichtsz\u00fcge deshalb die auffallendsten Verschiedenheiten darbieten. Und doch kann trotz dieser Unterschiede und trotzdem wir keinen einzigen Theil des Gesichts zu bezeichnen wissen, der in beiden gleich sei, die Aehnlichkeit so ausserordentlich auffallend und \u00fcberzeugend sein, dass wir keinen Augenblick dar\u00fcber im Zweifel sind. Ganz \u00e4hnlich verh\u00e4lt es sich mit der Anerkennung der Verwandtschaft zweier Kl\u00e4nge.","page":558},{"file":"p0559.txt","language":"de","ocr_de":"Unbewusster Grund der Ton Verwandtschaft.\t559\nSo sind wir auch oft im Stande, mit voller Bestimmtheit anzugehen, dass ein von uns noch nie geh\u00f6rter Satz eines Schriftstellers oder Componisten, dessen andere Werke wir kennen, gerade diesem Autor angeh\u00f6ren m\u00fcsse. Zuweilen, aber bei weitem nicht immer, sind es einzelne zur Manier gewordene Redewendungen oder Tonf\u00e4lle, welche unser Urtheil bestimmen, aber auch hierbei werden wir in den meisten F\u00e4llen nicht im Stande sein anzugehen, worin die Aehnlichkeit mit den anderen bekannten Werken des Autors begr\u00fcndet ist.\nDie Analogie zwischen diesen verschiedenen F\u00e4llen geht sogar noch weiter. Wenn Vater und Tochter eine auffallende Aehnlichkeit in der gr\u00f6beren \u00e4usseren Form etwa der Nase oder der Stirn haben, so bemerken wir dies leicht, es besch\u00e4ftigt uns aber nicht weiter. Ist aber die Aehnlichkeit so r\u00e4thselhaft verborgen, dass wir sie nicht zu finden wissen, so fesselt uns dies, wir k\u00f6nnen nicht aufh\u00f6ren, diebetreffenden Gesichter zu vergleichen, und wenn uns ein Maler zwei solche K\u00f6pfe darstellt, die etwa noch verschiedenen Charakterausdruck haben, und in denen doch eine schlagende und undefinirbare Aehnlichkeit vorherrscht, so w\u00fcrden wir unzweifelhaft dies als eine der Hauptsch\u00f6nheiten seines Gem\u00e4ldes preisen. Auch w\u00fcrde diese unsere Bewunderung durchaus nicht bloss seiner technischen Fertigkeit gelten, wir w\u00fcrden in dieser Leistung nicht nur ein Kunstst\u00fcck sehen, sondern ein ungew\u00f6hnlich feines Gef\u00fchl f\u00fcr die Bedeutung der Gesichtsz\u00fcge, und darin w\u00fcrde die k\u00fcnstlerische Berechtigung eines solchen Werkes liegen.\nAehnlich verh\u00e4lt es sich nun wiederum bei den musikalischen Intervallen. Die Aehnlichkeit der Octave mit ihrem Grundtone ist so gross und auffallend, dass sie auch dem stumpfesten Geh\u00f6r auff\u00e4llt; die Octave erscheint daher fast als eine reine Wiederholung des Grundtones, wie sie ja denn auch in der That einen Theil vom Klange ihres Grundtones wiederholt, ohne etwas Neues hin-zuzuthun. Die Octave ist daher in ihrer \u00e4sthetischen Wirkung ein vollkommen klares, aber wenig anziehendes Intervall. Die anziehendsten unter den Intervallen, sowohl in melodischer als harmonischer Anwendung, sind offenbar die Terzen und Sexten, und gerade diese stehen an der Grenze der dem Ohre noch verst\u00e4ndlichen Intervalle. Die grosse Terz und grosse Sexte erfordern f\u00fcr ihre Verst\u00e4ndlichkeit die H\u00f6rbarkeit der ersten f\u00fcnf Partialt\u00f6ne. Diese sind auch in guten musikalischen Klangfarben vorhanden. Die kleine Terz und kleine Sexte haben meist nur","page":559},{"file":"p0560.txt","language":"de","ocr_de":"560 Dritte Abtheilung. Neunzehnter Abschnitt.\nnoch als Umkehrungen der vorigen Intervalle ihre Berechtigung. Die complicirteren Intervalle der Tonleiter haben keine directe und leicht verst\u00e4ndliche Verwandtschaft mehr. Ihnen kommt auch nicht mehr der Reiz zu, den die Terzen haben.\nIch schliesse hiermit meine Arbeit. So viel ich \u00fcbersehe, habe ich sie so weit fortgef\u00fchrt, als die physiologischen Eigent\u00fcmlichkeiten der Geh\u00f6rempfindung einen directen Einfluss auf die Construction des musikalischen Systems aus\u00fcben, so weit als die Arbeit haupts\u00e4chlich einem Naturforscher zufallen musste. Denn wenn sich auch naturwissenschaftliche Fragen mit \u00e4sthetischen mischten, so waren die letzteren doch von verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig einfacher Art, die ersteren jedenfalls viel verwickelter. Dies Ver-h\u00e4ltniss muss sich nothwendig umkehren, wenn man versuchen wollte, in der Aesthetik der Musik weiter vorzuschreiten, wenn man zur Lehre vom Rhythmus, von den Compositionsformen, von den Mitteln des musikalischen Ausdrucks \u00fcbergehen wollte. In allen diesen Gebieten werden die Eigenth\u00fcmlichkeiten der sinnlichen Empfindung noch hin und wieder einen Einfluss haben, aber doch wohl nur in sehr untergeordneter Weise. Die eigentliche Schwierigkeit wird in der Verwickelung der psychischen Motive liegen, die sich hier geltend machen. Freilich beginnt auch hier erst der interessantere Theil der musikalischen Aesthetik \u2014 handelt es sich doch darum, schliesslich die Wunder der grossen Kunstwerke zu erkl\u00e4ren, die Aeusserungen und Bewegungen der verschiedenen Seelenstimmungen kennen zu lernen. So lockend aber auch das Ziel sein m\u00f6ge, ziehe ich es doch vor, diese Untersuchungen, in denen ich mich zu sehr als Dilettant f\u00fchlen w\u00fcrde, Anderen zu \u00fcberlassen, und selbst auf dem Boden der Naturforschung, an den ich gew\u00f6hnt bin, stehen zu bleiben.","page":560},{"file":"p0561.txt","language":"de","ocr_de":"Beilage I.\nMaasse und Verfertigung von Resonatoren.\nZu Seite 75.\nAm wirksamsten sind die Resonatoren von kugelf\u00f6rmiger Gestalt mit kurzem trichterf\u00f6rmigen Halse, den man in das Ohr einsetzt, wie Fig. 16 a S. 74. Der Vorzug dieser Resonatoren beruht theils darauf, dass ihre \u00fcbrigen eigenen T\u00f6ne sehr weit entfernt vom Grundton sind, und nur eine geringe Verst\u00e4rkung empfangen, theils darauf, dass die Kugelform die kr\u00e4ftigste Resonanz giebt. Aber die Wandungen der Kugel m\u00fcssen fest und glatt sein, um den kr\u00e4ftigen Luftschwingungen im Innern den n\u00f6thigeu Widerstand leisten zu k\u00f6nnen, und um die Bewegung der Luft so wenig wie m\u00f6glich durch Reibung zu st\u00f6ren. Anfangs benutzte ich kugelf\u00f6rmige Glasgefasse wie ich sie eben vorfand, Retortenvorlagen zum Beispiel, in deren eine M\u00fcndung ich ein der Ohr\u00f6ffnung angepasstes Glasrohr einsetzte. Sp\u00e4ter hat mir Herr R. Koenig (Verfertiger akustischer Instrumente, Paris, Place du Lyc\u00e9e Louis le Grand 5) eine abgestimmte Reihe solcher Glaskugeln verfertigt. Ich gebe hier ein Verzeichniss der Maasse einiger solcher Kugeln.\nTonh\u00f6he\tDurchmesser der Kugel in Millimetern\tDurchmesser der Oeffnung in Millimetern\tVolumen des Hohlraumes in Cubik-centimetern\tBemerkungen\ni) g\t154\t35,5\t1773\t\n2) b\t131\t28,5\t1092\t1\n3) c'\t130\t30,2\t1053\t[\n4) e'\t115\t30\t546\tV\tHals j\ttrichterf\u00f6rmig\n5) g'\t79\t18,5\t235\tl\n6) V\t76\t22\t214\t\\\n7) c\"\t70\t20,5\t162\tJ\n8) V\t53,5\t8\t74\tHals cylindrisch\n9) b\"\t46\t15\t49\tEbenso; Oeffnung\n\t\t\t\tseitlich\n10) \u00e4'\"\t43\t15\t37\tHals cylindrisch\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\tg\u00df","page":561},{"file":"p0562.txt","language":"de","ocr_de":"562\tBeilage T. Zu Seite 75.\nKleinere Kugeln fand ich nicht mehr gut anwendbar. Vielleicht wird ea vortheilhafter sein, die gr\u00f6sseren Kugeln k\u00fcnftig von starkem Metallblech zu machen. Zwei Kugeln, welche zwischen e' und b\" lagen, waren mir zerbrochen. Diese habe ich durch cylindrische R\u00f6hren zu ersetzen gesucht, \u00e4hnlich wie Fig. 16b. Deren Dimensionen waren folgende:\nNro.\tTonh\u00f6he\tL\u00e4nge in Millimetern\tWeite in Millimetern\tInhalt in Cubik-centimetern\tBemerkungen\n1\td\"\t133\t25\t56\thalbgedeckt\n2\tf\"\t123\t21\t30\tebenso\n3\tges\"\t114\t24\t50\tebenso\n4\tas\"\t125\t20\t39\toffen\nF\u00fcr die ganz tiefen T\u00f6ne brauchte ich R\u00f6hren von Pappe, deren eines Ende eine kreisf\u00f6rmige Oeffnung hatte, w\u00e4hrend in das andere geschlossene Ende ein dem Geh\u00f6rgange angepasstes Glasrohr eingesetzt war. Solche brauchte ich zwei von folgenden Dimensionen:\nNro.\tTonh\u00f6he\tL\u00e4nge der R\u00f6hre\tWeite der R\u00f6hre\tWeite der Oeffnung\n5\tB\t690\t96\t73\n6\tdes\t480\t60\t23\nBei den r\u00f6hrenf\u00f6rmigen Resonatoren kann aber auch der zweite eigene Ton, der nahehin der Duodecime ihres Grundtones entspricht, merklich zum Vorschein kommen.\nDie Resonatoren, deren Oeffnung sehr eng ist, geben im Allgemeinen eine viel bedeutendere Verst\u00e4rkung des Tones, aber es wird auch eine desto genauere Uebereinstimmung der Tonh\u00f6he des zu h\u00f6renden Tones mit dem Eigenton des Resonators nothwendig. Es ist wie bei den Mikroskopen; je st\u00e4rker die Vergr\u00f6sserung, desto kleiner das Gesichtsfeld. Durch Verengerung der Oeffnung macht man die Resonatoren gleichzeitig tiefer, und es ist dies ein leichtes Mittel, um sie auf die verlangte Tonh\u00f6he zu bringen. Aber aus dem angegebenen Grunde darf man die Oeffnung nicht zu sehr verengern.","page":562},{"file":"p0563.txt","language":"de","ocr_de":"Beilage II. Zu Seite 90.\n563\nBeilage II.\nDie Bewegung gezupfter Saiten.\nZu Seite 90.\nEs sei x die Entfernung eines Punktes einer Saite von ihrem einen Endpunkte, l die L\u00e4nge der Saite, so dass f\u00fcr ihren einen Endpunkt x = 0, f\u00fcr den anderen x = l. Es gen\u00fcgt, den Fall zu untersuchen, wo die Saite in einer einzigen durch ihre Gleichgewichtslage gelegten Ebene hin und her schwingt. Es sei y die Entfernung des Punktes x aus der Gleichgewichtslage zur Zeit t; ferner sei fi das Gewicht der L\u00e4ngeneinheit und S die Spannung der Saite, so sind die Bedingungen ihrer Bewegung\n** s S........................................(l)\nund da die Enden der Saite als unbeweglich angenommen werden, muss sein\nV = 0,\nwenn\tx = 0 oder x = l.............*................(la)\nDas allgemeinste Integral der Gleichung (1), welches die Bedingungen (la) erf\u00fcllt, und einer periodischen Bewegung der Saite entspricht, ist folgendes :\n\u2022 <2\u2018nx\nit\ti\ny = A1 sin -j- cos 2 n\nl\ncos innt\n+ A\n3nx\ng sin \u2014\u2014 cos 6 nnt -j- etc.\n-(- Bf sin\nn x l\nsin 2 nnt -)- B2 sin\n3nx l\n2nx\n(lb)\nsin 4 nn t\nBa sin \u2014=\u2014 sin \u00dfnnt -1- etc.\nn2 =\nworin\nS\nifll2\nund Alt A2, A3 so wie Blt B2, Bs etc. beliebige constante Coefficienten sind. Deren Gr\u00f6sse kann bestimmt werden, wenn f\u00fcr einen bestimmten Werth von t Form und Geschwindigkeit der Saite bekannt sind.\nF\u00fcr den Zeitpunkt t = 0, wird die Form der Saite folgende:\nnx \u25a0\ny\nAx sin \u2014:\u2014f- A2 sin\nl\n+ A\n3 7IX .\t,\n\u2014 +etc'\n.(lc)\ndy\nctj\n2nx\nund deren Geschwindigkeit:\n2nn |Bx sin -j- 2B2 sin\t(- 3Bs sin ^\ndie Saite sei mit einem spitzen Stift zur Seite\n\u00dc7IX .\t,\t)\n+ etc.\u00ce\n(Id)\nDenken wir uns nun, gezogen worden, und zur Zeit t = 0 habe man den Stift turtgezogen, so dass in diesem Augenblick die Schwingungen begonnen haben, dann hat die Saite zur Zeit t = 0 keine Geschwindigkeit, und es ist f\u00fcr jeden\n36*","page":563},{"file":"p0564.txt","language":"de","ocr_de":"il\ndt\nBeilage II. Zu Seite 90.\n= 0; dies kann aber nur der Fall sein, wenn in Gl ei\u00ab\n564\nWerth von x chung (ld)\n0 = B1 = B% = Bs ete.\nDie Co\u00ebfficienten A h\u00e4ngen yon der Gestalt der Saite zur Zeit t \u2014 0 ab. Die Saite musste in dem Augenblick, wo der Stift sie losliess, die auf Seite 93 in Fig. 18A dargestellte Form zweier gerader Linien haben, die von der Spitze des Stifts nach den beiden Befestigungspunkten der Saite gezogen sind. Nennen wir die Werthe von x und y f\u00fcr den Saitenpunkt, an dem der Stift angriff, beziehlich a und 6, so waren zur Zeit t = 0 die Werthe von y\nwenn\ta > x > 0\nb x\nwenn\ny = \u2014--\nl > x > a . I \u2014 x\ny \u2014 b\n(2)\n(2 a)'\nl \u2014 a\nund es m\u00fcssen die Werthe von y aus (lc) und (2) oder beziehlich (2 a) identisch werden.\nUm den Co\u00ebfficienten Am zu finden verf\u00e4hrt man bekanntlich so, dass\nman beide Seiten der Gleichung (lc) mit sin von x\nmnx\nl\u2014 dx multiplicirt, und 0 bis x \u2014 l integrirt. Dann reducirt sich die Gleichung (1 c) auf i\tl\n. r \u25a0 ^mnx , n\t. mnx ,\nAm j stn2\u2014|\u2014ax= j y sin \u2014^\u2014dx....................(2b)\no\to\t.\nworin f\u00fcr y die Werthe aus (2) und (2 a) zu setzen sind. Wenn in (2b)\ndie Integrationen ausgef\u00fchrt werden, erh\u00e4lt man:\n\u00c4m =\n26 P\nstn\n(3)\nEs wird also wegfallen, wenn\nm2n2a(l \u2014 a) l Am gleich Null werden, und somit der wte Ton der Saite\nstn\nina\nd. h. wenn \u00ab =\n= 0 oder =\n31\netc. Denkt man also die\nl\nl\t,\t21\n\u2014 oder = \u2014. m\tm\tm\nSaite in m gleiche Theile getheilt, und in einem der Theilpunkte angeschlagen, so f\u00e4llt ihr mter Ton weg, dessen Knotenpunkte auf die genannten Theilpunkte fallen.\nJeder Knotenpunkt f\u00fcr den \u00bb\u00bbten Ton ist auch Knotenpunkt f\u00fcr den 2 \u00bb\u00bbten, 3 \u00bb\u00bbten, 4\u00bb\u00bbten u. s. w., es fallen also auch alle die letzteren T\u00f6ne gleichzeitig fort.\nMan kann das Integral der Gleichung (1) bekanntlich auch in folgender Form darstellen:\nV\t\u2014at) 4\"\t+\t...................W","page":564},{"file":"p0565.txt","language":"de","ocr_de":"565\nBeilage U. Zu Seite 90.\ns\nwo a1 = \u2014\u2014, cp und \\p aber willk\u00fcrliche Functionen sind. Die Function fp(x_a() bedeutet eine beliebige Form der Saite, welche mit der Geschwindigkeit a, sonst aber ohne Ver\u00e4nderung, in Richtung der positiven x fortr\u00fcckt, die andere Function x+at) \u00ae*ne \u00ael)en solche, die mit gleicher Geschwindigkeit in Richtung der negativen x fortr\u00fcckt Beide Functionen muss man von x \u25a0= \u2014 oo bis x = + oo gegeben denken f\u00fcr einen bestimmten Werth der Zeit, dann ist die Bewegung der Saite bestimmt.\nUnsere Aufgabe, die Bewegung der gezupften Saite zu bestimmen, wird in dieser zweiten Form gel\u00f6st sein, wenn wir die Functionen <p und ip so bestimmen k\u00f6nnen, dass\n1)\tf\u00fcr die Werthe x \u2014 0 und x \u2014 l der Werth von y f\u00fcr jeden Werth von t constant gleich 0 wird. Dies geschieht, wenn f\u00fcr jeden Werth von t\n<P(-at) = - ^+\u201e0...................... .(4a)\nVQ\u2014at) \u2014 \u2014' V(l + at).....................\nSetzen wir in der ersten Gleichung at = \u2014 v, in der zweiten l at = \u2014 \u00bb, so erhalten wir\n9>,=~\nVyi + v) ~ ~\nalso\n9>(il+ \u201e) = <Pv...........................(5)\nDie Function cp ist also periodisch; sobald ihr Argument um 21 w\u00e4chst, erh\u00e4lt sie wieder denselben Werth. Das Gleiche l\u00e4sst sich ebenso f\u00fcr \\p finden.\n2)\tF\u00fcr t = 0 muss sein \u2014 0 zwischen denWerthen x\u20140 bis x=l.\nDaraus folgt, wenn wir mit tp' bezeichnen, indem wir den Werth von dv\naus Gleichung (4) gleich Null setzen:\nr) = f W\nWenn wir dies nach x integriren:\n<Px \u2014\t+ C\nUnd da sich weder y noch\ndy\ndt\n\u00e4ndert, wenn wir zu cp dieselbe Con-\nstante addiren und von ip abziehen, so ist die Constante C vollkommen willk\u00fcrlich, und wir k\u00f6nnen sie gleich Null setzen, also schreiben:\n3V) =\t......................................<5a)\n3)\tDa endlich zur Zeit f = 0 innerhalb x =s0 bis x = l die Gr\u00f6sse\ny = Ve*) + Vte =\nden in Fig. 18A dargestellten Werth haben soll, so geben die Ordinaten dieser Figur auch gleich den Werth von 2 <p(x) und von 2 xp(x) gem\u00e4ss Gleichung (5):","page":565},{"file":"p0566.txt","language":"de","ocr_de":"566\nBeilage III. Zu Seite 94 und 95.\nzwischen x = 0 und x = l zwischen x = 21 und x = 31 zwischen x = il und x = 61 u. s. w.\nDa dagegen aus (4a), (4h) und (5) folgt\t= \u2014 q;(v) und\n= \u2014 ip(l + v), so ist der Werth von 2 ip^xj gegeben durch die Curve Fig. 18 G :\nzwischen x = \u2014 l und x = 0 zwischen x \u2014 \u2014 31 und x = \u2014 21 und ebenso zwischen x = l und x \u2014 21 zwischen x = 31 und x = 4Z u. s. w.\nSo sind die Functionen q> und \\p vollst\u00e4ndig bestimmt, und indem man die durch beide dargestellte Wellenlinien mit der Geschwindigkeit a nach entgegengesetzten Richtungen fortschreiten l\u00e4sst, erh\u00e4lt man die Saitenformen, welche in Fig. 18 dargestellt sind, und welche die Ver\u00e4nderungen der Saite nach je ein Zw\u00f6lftheil ihrer Schwingungsdauer darstellen.\nBeilage III.\nHerstellung einfacher T\u00f6ne durch Resonanz.\nZu Seite 94 und 95.\nDie Theorie der Resonanz lufthaltiger R\u00f6hren und Hohlr\u00e4ume, so weit sie bisher mathematisch sich ausf\u00fchren l\u00e4sst, habe ich gegeben in meinem Aufsatze: Theorie der Luftschwingungen in R\u00f6hren mit offenen Enden, in Crelle\u2019s Journal f\u00fcr Mathematik Bd. LVII. Eine Vergleichung der Obert\u00f6ne von Stimmgabeln und dazu geh\u00f6rigen Resonanzr\u00f6hren findet sich in meinem Aufsatze: Ueber Combinationst\u00f6ne in Poggendorff\u2019s Annalen Bd. XCIX, S. 509 und 510.\nIch f\u00fcge hier gleich hinzu die Maasse der S. 94 erw\u00e4hnten Resonanzr\u00f6hren, welche f\u00fcr mich von Herrn Fessel in C\u00f6ln in Verbindung mit den sp\u00e4ter zu beschreibenden elektromagnetisch bewegten Stimmgabeln verfertigt waren. Dies waren cylindrische R\u00f6hren von Pappe; die Grundfl\u00e4chen des Cylinders waren aus Scheiben von Zinkblech gemacht, die eine ganz verschlossen, die andere mit einer runden Oeffnung versehen. Diese R\u00f6hren hatten also \u00fcberhaupt nur eine Oeffnung, nicht zwei, wie die Resonatoren, welche bestimmt sind an das Ohr gesetzt zu werden. Eine fertige Resonanzr\u00f6hre solcher Art kann man tiefer machen, wenn man ihre Oeffnung verengert. Um sie, wo es n\u00f6thig war, h\u00f6her zu machen, habe ich etwas Wachs hineingeworfen, und ihre geschlossene Grundfl\u00e4che auf einen heissen Ofen gestellt, bis das Wachs geschmolzen war und sich \u00fcber den Boden gleichm\u00e4ssig ausgebreitet hatte. Man l\u00e4sst es dann in derselben Stellung der R\u00f6hre erkalten. Ob eine R\u00f6hre etwas zu hoch oder zu tief f\u00fcr ihre Stimmgabel ist, pr\u00fcft man, indem man ihre Oeffnung ein wenig verdeckt, w\u00e4hrend die schwingende Stimmgabel vor ihr steht. Wird die Resonanz st\u00e4rker durch Zudecken, so ist die R\u00f6hre zu hoch gestimmt.","page":566},{"file":"p0567.txt","language":"de","ocr_de":"567\nBeilage III. Zu Seite 94 und 95.\nF\u00e4ngt dagegen gleich vom Beginn des Zudeckens die Resonanz an sehr entschieden abzunehmen, so ist die R\u00f6hre meist etwas zu tief gestimmt. Die Maasse in Millimetern sind folgende:\nNro.\tTonh\u00f6he\tL\u00e4nge der R\u00f6hre\tDurchmesser der R\u00f6hre\tDurchmesser der Oeffnung\n1\tB\t425\t138\t31,5\n2\tb\t210\t82\t23,5\n3\tf\t117\t65\t16\n4\tb\u2019\t88\t55\t14,3\n5\td\"\t58\t55\t14\n6\tf\"\t53\t44\t12,5\n7\tas\"\t50\t39\t11,2\n8\tb\"\t40\t39\t11,5\n9\td'\"\t35\t30,5\t10,3\n10\t/\"'\t26\t26\t8,5\nDie Theorie des Mitschwingens der Saiten l\u00e4sst sich am besten an dem Seite 95 besprochenen Versuche entwickeln. Wir behalten die in Beilage II gew\u00e4hlten Bezeichnungen bei, und nehmen an, dass das Ende der Saite, f\u00fcr welches x = 0, mit dem Stiel der Stimmgabel verbunden sei, und dessen Bewegung mitmachen m\u00fcsse, welche gegeben sei durch die Gleichung\ny \u2014 A sinmt f\u00fcr x = 0.......................(6)\nDas andere Ende sei auf den Steg gest\u00fctzt, der auf dem Resonanzboden ruht. Auf den Steg wirken folgende Kr\u00e4fte:\n1)\tDer Druck der Saite, welcher bald gr\u00f6sser, bald kleiner wird, je nach dem Winkel unter welchem das Endst\u00fcck der Saite gegen den Steg gerichtet ist. Die Tangente des Winkels, welcher zwischen der ver\u00e4nderlichen Richtung der Saite und ihrer Gleichgewichtslage eingeschlossen ist,\nist 4^, und wir k\u00f6nnen deshalb den ver\u00e4nderlichen Theil des Druckes dx\nsetzen gleich\n-sp-\nax\nf\u00fcr den Werth x = l, wenn der Steg auf Seite der negativen y liegt.\n2)\tDie elastische Kraft des Resonanzbodens, welche den Steg in seine Gleichgewichtslage zur\u00fcckzuf\u00fchren strebt, k\u00f6nnen wir setzen gleich \u2014 f2 3y-\n3)\tDer Resonanzboden, der sich mit dem Stege bewegt, erleidet Widerstand von der Luft, an die er einen Theil seiner Bewegung abgiebt; wir","page":567},{"file":"p0568.txt","language":"de","ocr_de":"568\tBeilage III. Zu Seite 94 und 95.\nk\u00f6nnen ann\u00e4hernd den Luftwiderstand der Geschwindigkeit seiner Bewegung proportional setzen, also gleich \u2014 g2\nDadurch erhalten wir f\u00fcr die Bewegung des Steges, dessen Masse M sein mag, und f\u00fcr die entsprechende des darauf ruhenden Endes der Saite:\nM % = -s ff - -g* %f\u00fcr * =1........................<6a)\nF\u00fcr die Bewegung der \u00fcbrigen Punkte der Saite haben wir, wie in Beilage II, die Bedingung:\na d2l _ g &3L\n9 dt2 ~ \u00fc dx2\n(1)\nDa jede Bewegung einer solchen Saite fortdauernd theilweis an die Luft im Resonanzkasten abgegeben wird, so muss sie erl\u00f6schen, wenn sie nicht durch eine dauernde Ursache dauernd unterhalten wird. Wir k\u00f6nnen also von dem ver\u00e4nderlichen Anfangszustande der Bewegung absehen, und gleich diejenige periodische Bewegung suchen, welche schliesslich bestehen bleibt unter dem Einfl\u00fcsse der periodischen Ersch\u00fctterung des einen Endes der Saite durch die Stimmgabel. Dass die Periode der Saitenbewegung der Periode der Schwingungen der Gabel gleich sein muss, ist leicht ersichtlich. Das Integral der Gleichung (1), welches wir suchen, wird also von der Form sein m\u00fcssen:\ny \u2014 D cos (px) sin (mt) + Ecos (px) cos (mt) )\n+ F sin {px) sin (mt)\tG sin (px) cos (mt) j\t' '\nUm die Gleichung (1) zu erf\u00fcllen muss hierin sein:\npm2 = Sp2............................................(7 a)\nAus der Gleichung (7) ergiebt sich f\u00fcr x = 0 folgender Werth von y : y \u2014 D sin (mt) -f- Ecos (mt),\ndurch Vergleichung mit der Gleichung (6) erhalten wir hieraus\nD = A E = 0............................................ (8)\nDie beiden anderen Co\u00ebfficienten der Gleichung (7), n\u00e4mlich F und G m\u00fcssen vermittelst der Gleichung (6 a) bestimmt werden. Diese zerf\u00e4llt bei Substitution der Werthe von y aus (7) in zwei Gleichungen, indem man die Summe der mit sin (mt) multiplicirten Glieder f\u00fcr sich gleich Null setzen muss, und ebenso die Summe der mit cos (mt) multiplicirten Glieder. Diese beiden Gleichungen sind:\nF\\(P \u2014 Mm2) sinpl + p Scospl]\u2014G mg2 sinpl\t)\n= \u2014A[(f2 \u2014 Mm2) cospl\u2014pSsinpl]\t|. (8a)\nF m g2 sin p l +\u2022 G [(/2 \u2014 Mm2) sin p l -j- p S cos p 2] =\u2014A g2m cos p l J Setzt man zur Abk\u00fcrzung\nP - Mm2 = tan9lc\t) ......................(8 b)\n(P \u2014 Mm2)2 + p2 S* = C\u00bb)\nso erh\u00e4lt man die Werthe von F und G wie folgt:\np _ A C2sin2(pl-\\-Jc)-\\-gim2 sin 2 (p l)\n2 C2 sin2 (p l + le) + gl ma sin2 (p l)\n__\t.\tCmg2sink\nC2 sin2 (pl +- k)\tm2 gi sin2 (p I)\nWenn man die Amplit\u00fcde der Schwingung des Endpunktes der Saite,","page":568},{"file":"p0569.txt","language":"de","ocr_de":"Beilage III. Zu Seite 94 und 95.\t569\nwelcher auf dem Stege liegt, und den Resonanzboden ersch\u00fcttert, mit I bezeichnet, so ist nach Gleichung (7)\n12 = [Fsin (pl) + Acos(pl))2 -f- G2sin2(pl),\nund wenn man die Werthe f\u00fcr F und G aus (8 c) hierein setzt, so erh\u00e4lt man\nI \u2014\nA C sin k\n(9)\nVC2 sin2 (pl-\\-k)-\\-m2gi sin2 (pl)\\\nDer Z\u00e4hler dieses Ausdrucks ist unabh\u00e4ngig von der L\u00e4nge der Saite. Aendert man diese L\u00e4nge, so kann sich nur der Nenner ver\u00e4ndern. Unter dem Wurzelzeichen steht hier die Summe zweier Quadrate, welche nicht Null werden kann, da die Gr\u00f6ssen m,g,p,S und daher auch k nicht Null werden k\u00f6nnen. Der Coefficient g des Luftwiderstandes ist jedenfalls als eine verschwindend kleine Gr\u00f6sse zu betrachten. Es erreicht also der Nenner seinen kleinsten und I seinen gr\u00f6ssten Werth, wenn sin (pl k) = 0\noder wenn\npl = an \u2014 k . ...............................(9a)\nworin a eine beliebige ganze Zahl bedeutet. Der Werth des Maximum von I ist\nAC\n\u2014\nmg1\nEr ist also unter \u00fcbrigens gleichen Umst\u00e4nden um so gr\u00f6sser, je kleiner g, der Co\u00ebfficient des Luftwiderstandes, ist, und je gr\u00f6sser C ist. Um \u00fcbersehen zu k\u00f6nnen, von welchen Umst\u00e4nden die Gr\u00f6sse von C abh\u00e4ngt, setzen wir in die zweite der Gleichungen (8b), wo der Werth von C defi-nirt ist, den Werth von p2 aus (7 a), und setzen ausserdem\nW2-il\nn \u2014 M\u2019\nso ist\nC2 = M2 (n2 \u2014 m2)2 + S/um2.\nDie Gr\u00f6sse n ist die Zahl der Schwingungen, welche der Steg in 2n Secunden unter dem Einfluss des elastischen Resonanzbodens allein machen w\u00fcrde, wenn die Saite und der Luftwiderstand wegfiele; m bedeutet dieselbe Zahl von Schwingungen f\u00fcr die Stimmgabel. So kann man den Maximalwerth von I nun schreiben:\n\n9\nworin alles auf die Gewichte M, S, u und die Gr\u00f6sse des Intervalls\n1 \u2014 \u2014\u25a0 zur\u00fcckgef\u00fchrt ist.\nEs ist also vortheilhaft, das Gewicht des Steges M hierbei ziemlich gross zu machen. Ich habe ihn deshalb aus Kupferblech verfertigt. Wenn M sehr gross ist, wird k [nach (8b)] sehr klein, und die Gleichung (9a) ergiebt dann, dass die verschiedenen T\u00f6ne st\u00e4rkster Resonanz sich denjenigen Werthen desto mehr n\u00e4hern, welche der Reihe der einfachen ganzen Zahlen entsprechen. Je schwerer der Steg, desto besser ist die Saite abgegrenzt.","page":569},{"file":"p0570.txt","language":"de","ocr_de":"570\nBeilage IV. Zu Seite 12-8 bis 136.\nDie hier gegebenen Regeln \u00fcber den Einfluss des Steges gelten aber zun\u00e4chst nur f\u00fcr die angegebene Art der Ersch\u00fctterung durch eine Stimmgabel, nicht f\u00fcr andere Arten, die Saite zu erregen.\nBeilage IV.\nSchwingungsform der Claviersaiten.\nZu Seite 128 bis 136.\nWenn eine gespannte Saite mit einem ganz harten, schmalen Metallstifte angeschlagen wird, der augenblicklich wieder zur\u00fcckspringt, so \u00fcbertr\u00e4gt der Stoss eine gewisse Geschwindigkeit auf die getroffene Stelle der Saite, w\u00e4hrend die ganze \u00fcbrige Saite noch in Ruhe ist. Setzen wir f\u00fcr den Zeitmoment des Stosses t = 0, so k\u00f6nnen wir die Bewegung der Saite durch die Bedingung bestimmen, dass im Augenblicke des Anschlages die Saite sich noch in ihrer Gleichgewichtslage befindet, und nur der getroffene Punkt eine gewisse Geschwindigkeit hat. Man setze also in den Gleichungen (Tc) und (ld) Beilage II f\u00fcr t = 0 auch y = 0 und p = 0, letzteres'\nmit Ausnahme des geschlagenen Punktes, dessen Coordinate a sei.\nDaraus folgt\n0 \u2014 Al = A2 \u2014 As etc.\nund die Werthe der B werden durch eine \u00e4hnliche Integration gefunden wie in (2 b):\n2 nnmBm fein\u00bb\tdx = /||. sin \u201cp dx\nnn mlBm = c sin\nmn a l\nwo e das Produkt aus der Geschwindigkeit des gestossenen Theils der Saite und seiner verschwindend kleinen L\u00e4nge bezeichnet. Also wird:\nc /sinnasimix . \u201e\t. ,\t1\ny =---; l\u20145-----7\u2014 sminnt -J- \u2014\n* nnl \\ l l\t1 2\nsin2na . 2nx\nl\nl\nsin in nt\n,\t1\t. Sna . 3nx , \u201e\n-g- sm \u2014j\u2014 sm \u2014Sln o7i nt\nB.\u201e\nTinlm\nSin\n(10)\nDer mte Oberton der Saite f\u00e4llt also auch hier fort, so oft in einem Knotenpunkte dieses Tones angeschlagen wird. Uebrigens fallen die Obert\u00f6ne verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig noch st\u00e4rker gegen den Grundton aus als beim Reissen der Saite, da der Werth von Am in Gleichung (3) mit m2, der Werth von Bm aber in Gleichung (10) nur mit m dividirt ist. Das zeigt sich \u00fcbrigens auch beim Versuche sogleich, wenn man die Saiten mit der scharfen Kante eines metallenen St\u00e4bchens schl\u00e4gt.","page":570},{"file":"p0571.txt","language":"de","ocr_de":"Beilage IV. Zu Seite 128 bis 136.\t571\nIm Pianoforte wird die Discontinuit\u00e4t der Bewegung der Saite dadurch vermindert, dass die H\u00e4mmer mit elastischen Polstern \u00fcberzogen sind. Dadurch werden die h\u00f6heren Obert\u00f6ne merklich geschw\u00e4cht, weil die Bewegung nun nicht mehr einem einzelnen Punkte, sondern einem breiteren St\u00fcck der Saite mitgetheilt wird, und auch diesem nicht in einem untheil-barcn Augenblicke, wie es beim Stosse mit einem harten K\u00f6rper sein w\u00fcrde. Vielmehr giebt das elastische Polster dem ersten Stosse nach, und dehnt sich dann wieder, so dass w\u00e4hrend der Zeit, wo der Hammer der Saite anliegt, sich die Bewegung schon \u00fcber eine l\u00e4ngere Strecke derselben ausdehnen kann. Eine genaue Analyse der Bewegung der Saite nach dem Anschl\u00e4ge eines Clavierhammers w\u00fcrde ziemlich verwickelt sein. Wenn wir aber beachten, dass die Saiten dabei verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig wenig aus der Stelle r\u00fccken, w\u00e4hrend das weiche elastische Polster der H\u00e4mmer sehr nachgiebig ist, und bedeutend zusammengepresst werden kann, so k\u00f6nnen wir uns f\u00fcr die mathematische Theorie die Vereinfachung erlauben, den Druck des Hammers, welchen er gegen die Saite w\u00e4hrend des Stosses aus\u00fcbt, so gross zu setzen, als er sein w\u00fcrde, wenn der Hammer gegen einen ganz festen und vollkommen unnachgiebigen K\u00f6rper schl\u00fcge. Demnach setzen wir den Druck des Hammers gleich\nF = Asinmt\nf\u00fcr diejenigen Werthe der Zeit, wo 0 < t < \u2014 \u2022 Die letztere Gr\u00f6sse \u2014 ist\nm\tm\ndie L\u00e4nge der Zeit, w\u00e4hrend welcher der Hammer der Saite anliegt. Nachher springt er wieder ab, und l\u00e4sst die Saite frei schwingen. Die Gr\u00f6sse m muss desto gr\u00f6sser sein, je gr\u00f6sser die elastische Kraft des Hammers und je geringer sein Gewicht ist.\nWir m\u00fcssen nun zun\u00e4chst die Bewegung der Saite bestimmen w\u00e4hrend\ndieses Zeitabschnittes, wo der Hammer ihr anliegt, von t \u2014 0 bis t = \u2014 \u2022\nm\nDie Saite wird w\u00e4hrend dieser Zeit von'dem anliegenden Hammer in zwei Theile getheilt, deren Bewegung einzeln bestimmt werden muss. Der Werth von x f\u00fcr die Anschlagsstelle mag x0 heissen. Die Werthe von y f\u00fcr diejenigen Theile der Saite, in denen x < x0, bezeichnen wir mit ylt und wo x> x0 mit y1. Im geschlagenen Punkte selbst muss der Druck der Saite gegen den Hammer gleich dem Drucke F sein, den dieser aus\u00fcbt. Der Druck der Saite ist wie in der Gleichung (6a) Beilage ni zu berechnen, und wir erhalten daher die Gleichung:\nF = Asinmt = \u00bb (^ \u201c\t)............' \u2022 (n>\nVon der geschlagenen Stelle gehen nach beiden Saiten Wellen aus. Es wird also y1 die Form haben m\u00fcssen\n2/l\t^(x\u2014 Xq -f- at)\t^\nf\u00fcr Werthe von t, f\u00fcr welche 0 < t < \u2014 und x0 > x > x0 \u2014 at, und\ny\t^(xq \u2014 x-\\-at)\nf\u00fcr dieselben Werthe von t und Werthe von x, f\u00fcr die x0 < x < x0 -f- at. Wenn wir mit rp' den Differenzialquotienten der Function <p bezeichnen, folgt aus Gleichung (11)\nF = Asinmt = 2 S>p'(al)\n(11a)","page":571},{"file":"p0572.txt","language":"de","ocr_de":"572\nBeilage IV. Zu Seite 128 bis 136.\nDies nach t integrirt giebt\n\u201e A ,2 8\nV------cos mt = \u2014\t,,\nm\ta 'at>\nund daraus folgt, indem wir die Constante so bestimmen, dass f\u00fcr x \u2014 Xq \u00b1 at y1 und beziehlich yl gleich Null werden:\n* = f\u00e9s I1 ~ cosIt {x ~ ^ + mt\\l> yl = 2l\u00c4 f1 - eos& ^ ~ + mt]l\nDamit ist die Bewegung der Saite bestimmt f\u00fcr die Zeit, wo 0<<< \u2014\nund f\u00fcr den Fall, dass die beiden vorschreitenden Wellen nicht gegen eines der Enden der Saite gestossen sind. W\u00e4re letzteres der Fall gewesen, so w\u00fcrden sie dort reflectirt worden sein.\nWenn at gr\u00f6sser als geworden ist, wird F gleich Null, und es folgt dann aus Gleichung (11a), dass von da ab\nV'(ut) \u2014 \u00b0i also g> = Const, f\u00fcr at >\nEs bleibt also sowohl yj wie y1 f\u00fcr diejenigen Theile der Saite, \u00fcber\nci A\nwelche die Welle schon fortgeschritten ist, gleich Bis Theile der Wel*\nlen, welche von den Enden reflectirt sind, an die betreffenden Punkte der Saite gelangen.\nUm den Einfluss der Enden der Saite in passender Weise in Rechnung zu ziehen, denke man sich die Saite unendlich lang, und in allen Punkten, welche um Multipla von 21 vom Anschlagspunkte x0 abstehen, einen eben solchen Anschlag gleichzeitig mit dem von x0 etattfindend, so dass von allen diesen Punkten eben solche Wellen wie von x0 auslaufen. Fernerdenke man sich in denjenigen Punkten, in welchen x \u2014 \u2014 x0 \u00b1 2a?, gleichzeitig mit dem Anschlag von x0 einen gleichen Anschlag, aber in entgegengesetzter Richtung, erfolgend, so dass von diesen letzteren Punkten Wellen gleicher Form, aber von negativer H\u00f6he, wie von x0, auslaufen. Dann werden in den Endpunkten der Saite stets gleiche aber entgegengesetzte Werthe der positiven und negativen Wellen Zusammentreffen, diese Endpunkte also vollkommen in Ruhe bleiben, und f\u00fcr das wirklich existi-rende St\u00fcck der unendlich gedachten Saite zwischen ihren beiden Enden werden alle Bedingungen erf\u00fcllt sein, welche zu erf\u00fcllen sind.\nVon dem Augenblick an, wo der Hammer die Saite verl\u00e4sst, kann die Bewegung der Saite betrachtet werden als ein Ablaufen der beiden vorw\u00e4rts (d. h. in Richtung der positiven x) und r\u00fcckw\u00e4rts (d. h. in Richtung der negativen x) fortschreitenden Wellensysteme. Von diesen Wellensystemen haben wir aber zun\u00e4chst nur einzelne abgerissene St\u00fccke gefunden, n\u00e4mlich f\u00fcr die zun\u00e4chst den Anschlagspunkten gelegenen St\u00fccke der Saite, wir m\u00fcssen die Wellen noch passend erg\u00e4nzen, um ein zusammenh\u00e4ngendes vorw\u00e4rtsschreitendes, und ein ebensolches r\u00fcckw\u00e4rtsschreitendes System zu erhalten.\nWenn man in Richtung der positiven x auf der Saite forts ehr eitet, so","page":572},{"file":"p0573.txt","language":"de","ocr_de":"Beilage TV. Zu Seite 128 bis 136.\t573\nist der Werth von y = 0, ehe man an eine positive r\u00fcekw\u00e4rtsschreitende\nCL /I\t\u00ab\nWelle st\u00f6sst, dann steigt er auf \u2014x, welchen Werth er in den positiven\nAnschlagspunkten hat. Geht man \u00fcber den Anschlagspunkt hinaus und \u00fcber die von dort aus vorw\u00e4rtsschreitende Welle, so findet man wieder\nQj yl\nWerthe von y, die gleich Null sind, und welche bis auf \u2014 sinken, so-\nbald man die erste negative r\u00fcckw\u00e4rtsschreitende Welle \u00fcberschreitet. Den genannten Werth hat y im ersten negativen Anschlagspunkte. Um nun die positiven und negativen r\u00fcckw\u00e4rtsschreitenden Wellen mit einander zu verbinden, muss man sich zwischen jedem positiven und dem n\u00e4chst fol-\nGj -Al\ngenden negativen Anschlagspunkte die Gr\u00f6sse -f- zu denWerthen von\ny1 hinzuaddirt denken, so dass die Wellenh\u00f6he diesen Werth, den sie in x0 schon hat, beh\u00e4lt bis zu der Stelle hin, wo die entsprechende negative\nG A\nWelle beginnt. Hier wird also die Wellenh\u00f6he g ^ \u2014 yt und sinkt bis\nNull. Ebenso denke man sich zwischen den negativen Anschlagspunkten\nund jedem n\u00e4chst darauf folgenden positiven Anschlagspunkte \u2014 zur\nWellenh\u00f6he der vorw\u00e4rtsschreitenden Wellen addirt. Dann sind die r\u00fcckw\u00e4rtsschreitenden Wellen \u00fcberall positiv, die vorw\u00e4rtsschreitenden \u00fcberall negativ, und die Wellen sind gleichzeitig so beschaffen, dass sie bei ihrer Fortbewegung diejenige Art der Bewegung erzeugen, welche wir f\u00fcr die Saite gefunden haben, nachdem der Hammer sie verlassen hat.\nWir haben jetzt die Form dieser Wellensysteme als eine Summe einfacher Wellen auszudr\u00fccken. Die Wellenl\u00e4nge ist 21, weil sich die gleichartigen Anschlagspunkte in Abst\u00e4nden von 21 wiederholen. Nehmen wir\n71\ndie positiven r\u00fcckw\u00e4rtsschreitenden Wellen zur Zeit t = \u2014, so ist:\n1)\tvon x = 0 bis x = x0 \u2014 \u2014,\n'\t\u00fc m \u2019\n3/i = 0;\na n , .\n2)\tvon x = x0------\u2014 bis x = \u00e60,\n*=2lh f1 + C0S [? (* -\n3)\tvon x = x\u00fc bis x = 21 a A\na n m \u2019\nVi =\nm S\n4)\tvon x = 2 l \u2014 x0 \u2014 bis x \u2014 21 \u2014 x0,\nvi\t- cos [f (2\u00ef\n2m S l\n6) von x = 2 l \u2014 x0 bis x = 21, y1 = 0.\nx0\n-","page":573},{"file":"p0574.txt","language":"de","ocr_de":"574 Beilage IV. Zu Seite 128 bis 136.\nSetzen wir demnach\nVi\u2014 A0-\\-A1cosy\tA% cos \u2014 (x4-c)-\\-A3cos+\tetc.\n\u00ab*\u00ab j (*+<0 +-B2 **\u00bb. ^ (\u00e6 \u25a0+ c) + A3 cos\t(x-\\-c)etc. (12)\nso ist\t\u00bb\n22\n/\u00ab7T .\t,\t,\t,\ny cos \u2014r (\u00e6-|-c) dx = Aal,\no\tf\n, 2 2\nf y sin \u2014\u25a0 (x-\\-c) da; = Ztnt.\nWenn man c = macht, so werden alle B = 0, weil y f\u00fcr \u20144-* zm\t\u00bb\t2\u00bbt\nund 2m ~ ? S\u20191610116 Werthe hat, und man die Grenzen der Integration\nbeliebig w\u00e4hlen kann, wenn sie nur um 21 von einander entfernt sind. Dagegen wird\nDiese Gleichung giebt die Amplit\u00fcden An der einzelnen Partialt\u00f6ne des Klanges der geschlagenen Saite. Wenn der Anschlagspunkt ein Knotenpunkt des raten Tones ist, so wird der Factor sin \u2014\u25a0 x0 = 0, und es\nl\nfallen also die T\u00f6ne aus, in deren einem Knotenpunkt der Anschlag erfolgt ist. Nach dieser Gleichung ist die auf Seite 135 gegebene Tabelle berechnet.\nWill man die Bewegung der Saite vollst\u00e4ndig bestimmen, so ist in der Gleichung (2) f\u00fcr yx noch zu setzen x -f- at f\u00fcr a;. Der entsprechende Ausdruck f\u00fcr y1 wird dann\ny1 = \u2014 A0 \u2014 A1cosj(x-{-at \u2014 c) \u2014 A2cos^~-(x \u2014 ai \u2014 c)~^ etc. und schliesslich\ny = Vi + y1 = 2 Atcos j x C0Sj(at+c) + 2A2 cos x\n2 71\ncos \u2014 (a t + c) + etc. womit die Aufgabe gel\u00f6st ist.\nWenn man m unendlich gross werden l\u00e4sst, d. h. den Hammer vollkommen hart, so geht der Ausdruck f\u00fcr An der Gleichung (12 a) \u00fcber in den von Bm in Gleichung (10). [Das m in (10) ist identisch mit dem n in (12 a)].\nWenn m nicht unendlich ist, so nehmen bei steigender Gr\u00f6sse von n die Co\u00ebfficienten A, ab wie \u2014=, bei unendlichem m wie \u2014; bei der ereris-\n\u25a0b\tna\tni\tD\nsenen Saite nahmen sie ab wie Es entspricht dies den Theoremen, welche Stokes*) \u00fcber den Einfluss der Discontinuit\u00e4t einer Function,\nCam ridge Transactions VIII, 533 \u2014 584.","page":574},{"file":"p0575.txt","language":"de","ocr_de":"Beilag\u00ab V. Zu Seite 142.\t575\ndie nach einer Fourier\u2019schen Reihe entwickelt wird, auf die Gr\u00f6sse der Glieder mit hoher Stellenzahl erwiesen hat. Wenn y die Function ist, welche entwickelt werden soll in eine Reihe\nV = At + A sin (m x -f- Cj) -f- As sin (2 m x -f- c2) etc., so ist n\u00e4mlich der Coefficient An f\u00fcr sehr grosse Werthe von n:\n1)\tvon der Ordnung f^-, wenn y selbst einen pl\u00f6tzlichen Sprung macht;\n2)\tvon der Ordnung\twenn der Differentialquotient ~~ einen Sprung\nmacht;\n3)\tvon der Ordnung wenn erst <~rK discontinuirlich ist;\n\u00ab3\tdxl\n4)\th\u00f6chstens von der Ordnung e~\", wenn alle Differentialquotienten der Function und diese selbst continuirlich sind.\nDaraus folgt denn f\u00fcr die musikalischen Kl\u00e4nge das im Texte mehrfach erw\u00e4hnte Gesetz, dass sie im Allgemeinen desto st\u00e4rkere hohe Obert\u00f6ne' haben, je discontinuirlicher die entsprechende Bewegung des t\u00f6nenden K\u00f6rpers ist.\nBeilage V.\nAnalyse der Bewegung von Violinsaiten.\nZu Seite 142.\nWir wollen annehmen, dass die Linse des Vibrationsmikroskops horizontale Schwingungen ausf\u00fchre, und der beobachtete Punkt verticale, so beobachtet man Schwingungscurven, wie sie in Fig. 23, S. 140, dargestellt sind. Nennen wir die verticalen Ordinaten y, die horizontalen x, so ist y direct proportional den Elongationen des schwingenden Punktes, x denen der schwingenden Linse. Letztere macht eine einfache pendelartige Bewegung; ist die Zahl ihrer Schwingungen also n und t die Zeit, so ist im Allgemeinen\nx = A sin (2nnt -j- c), wo A und c Constanten sind.\nWenn nun y auch \u00bbSchwingungen macht, so sind x und y beide periodisch, und haben dieselbe Dauer der Periode; nach Ablauf jeder einzelnen solchen Periode haben alsdann x und y wieder die gleichen Werthe, und der beobachtete Punkt befindet sieh alsdann wieder genau an demselben Orte, wo er im Anfang der Periode war. Dies gilt f\u00fcr jeden Punkt der Curve und f\u00fcr jede neue Wiederholung der schwingenden Bewegung, so dass die Curve feststehend erscheint.\nDenkt man eine Schwingungseurve von der Art, wie sie in den fr\u00fche-","page":575},{"file":"p0576.txt","language":"de","ocr_de":"576\nBeilage V. Zu Seite 142.\nren Figuren 5, 6, 7, 8, 9, 10 S. 33 bis 38 dargestellt sind, und deren horizontale Absoissen der Zeit direct proportional sind, um einen Cylinder gewickelt, dessen Dmfang gleich der L\u00e4nge einer Periode jener Curven ist, so dass nun die Zeit t l\u00e4ngs des Cylinderumfanges zu messen ist, und nennt man x die Entfernungen von einer durch die Axe des Cylinders gelegten Ebene, so ist auch hier\nx = A sin (2n nt + c),\n\u00bb\nworin A sine den Werth von x f\u00fcr t = 0 bedeutet, und A den Radius des Cylinders. Wenn also die auf den Cylinder gezeichnete Curve von einem unendlich entfernten Auge angesehen wird, welches in der Linie x \u2014 \u00dc,y=.0 sich befindet, so erscheint die Curve gerade wie im Vibrationsmikroskop.\nHaben x und y nicht genau dieselbe Periode, macht z. B. y \u00abSchwingungen, x aber \u00ab -f- An, wo unter An eine sehr kleine Gr\u00f6sse verstanden ist, so kann man den Ausdruck f\u00fcr x schreiben:\nx \u2014 A sin [2 n nt + (c -j- 2 nt An)].\nDie fr\u00fcher constante Gr\u00f6sse C w\u00e4chst in diesem Falle langsam. Es bezeichnet aber e den Winkel, welcher zwischen der Ebene x \u2014 0 und dem Punkte der Zeichnung liegt, wo t = 0 ist. In diesem Falle dreht sich also scheinbar der eingebildete Cylinder, auf den die Zeichnung aufgewickelt ist, um seine Axe.\nDa eine Gr\u00f6sse, welche nach der Periode n periodisch ist, auch betrachtet werden kann als periodisch nach 2n oder 3n oder an, wenn a eine beliebige ganze Zahl ist, so passen diese Betrachtungen auch f\u00fcr den Fall, wo die Periode von y ein aliquoter Theil der Periode von x ist, oder umgekehrt, oder beide aliquote Theile derselben dritten Periode, d. h. f\u00fcr den Fall, wenn die T\u00f6ne der Stimmgabel und des beobachteten K\u00f6rpers in irgend einem consonanten Verh\u00e4ltnisse stehen, nur muss die gemeinsame Schwingungsperiode nicht so lang sein, dass w\u00e4hrend derselben der Lichteindruck im Auge erl\u00f6schen k\u00f6nnte.\nAus den Beobachtungen folgt zun\u00e4chst, dass die Hauptbewegung aller Saitenpunkte abwechselnd auf- und absteigend ist in der Weise, dass das Aufsteigen mit constanter Geschwindigkeit geschieht, und das Absteigen ebenso mit einer constanten Geschwindigkeit, deren Werth aber von der Geschwindigkeit des Aufsteigens verschieden sein kann. Wenn der Bogen in einem Knotenpunkte eines der h\u00f6heren Obert\u00f6ne die Saite angreift, so geht in allen Knotenpunkten desselben Tones die Bewegung ganz rein in Fig. 54.\tder beschriebenen Weise vor sich. In\nA\tanderen Punkten der Saite sind noch\nkleine Kr\u00e4uselungen der Schwingungs-x \\\t\\ figur erkennbar, die aber doch das\nBild der beschriebenen Hauptbewegung deutlich erkennen lassen.\nRechnen wir die Zeit in Fig. 54 von der Abscisse des Punktes \u00ab ab, so dass f\u00fcr \u00ab t \u2014 0, setzen wir ferner f\u00fcr den Punkt \u00df t = X, und f\u00fcr den Punkt y t \u2014 T, so dass letzteres die Dauer einer ganzen Periode bezeichnet, dann ist der Werth von y zu setzen:\nvon t = 0 bis t = $ y \u2014 ft h\t;\nvon t =: !\u00a3 bis t := 21 y = g (T \u2014 t) h (\n(1)","page":576},{"file":"p0577.txt","language":"de","ocr_de":"577\nBeilage V. Zu Seite 142.\nwobei f\u00fcr t = X sich ergiebt, dass\nf% = g (T - X).\nWenn wir nun y entwickelt denken in eine Fourier\u2019sche Reihe:\n.\t\u25a0\t2 71 t\t4:71 t\ny \u2014 -^\u00ee+ a2\t\u2014jT\nA3 sm \u2014jT etc.\nI T> % 71 t \\\t-r,\t4:71t\t,\t^\t6nt ,\n+ B1 cos + B2 cos -jt -f Bs cos -jr etc.,\nso ergiebt sich durch Integration:\nT\nAnfS\n2 W 7T t\nT\n2nn t\ndt \u2014 J'y sir,\ndt=fy\ncos\n2 rin t\nT~\n2nnt\nd t\nT\ndt\nund dies giebt folgende Werthe von An und Bn-An =\nn 2 n2,7i2\tT\nli\nund y bekommt die Form\n__ iff +f)T U 2 n2 7i2\t|\n2 nn%\\\nV \u2014\n(g + /) 7\nV J-\n\u201e2\nn=l\nTr n% . 2n n , sin \u2014=\u2014 sin \u2014=\u2014 n* T\tT\n(\u2022 ^ I)\n(2)\nIn der Gleichung (2) bedeutet y nur die Entfernung eines bestimmten Saitenpunktes von der Gleichgewichtslage. Wenn a; die Entfernung dieses Punktes vom Anfang der Saite bezeichnet, und L die L\u00e4nge der Saite, so ist die allgemeine Form des Werthes von y, wie in Beilage II, Gleichung (lb):\ny\nII MI\t| C\u201e sin\t\t.\t2nn ( sm -\u00ff- (\t\u2018-f)|\nn=1\t\t\t\t\n+ S;\tj Dn sin\t/nnx\\ \\ L )\t27in (, cos\t(i\t-f)|\n(3)\nalle\nDie Vergleichung der Gleichungen (2) und (3) zeigt unmittelbar, dass\nn . (nnx\\ sm Jr)\nDn = 0 und\ng-\\-f T . nnX \u2014TT- \u25a0 -3 sm \u2014=---.\n(3a)\nHierin sind g -f- / und X abh\u00e4ngig von x aber nicht von n. Nimmt man die Gleichungen f\u00fcr n \u2014 1 und n \u2014 2 und dividirt sie durch einander, so giebt es:\nC'a nx 1 nX\ncf cos 17 = I cos ~Tm\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\n37","page":577},{"file":"p0578.txt","language":"de","ocr_de":"578\nBeilage V. Zu Seite 142.\nL\t.\tT\nDaraus folgt f\u00fcr x = -x-, wie auch die Beobachtung lehrt, % \u2014\n2 2\nWenn aber x = 0, so wird nach den Beobachtungen auch 5. = 0; es folgt also\n= ~ Ci\nx\n1\nX\nT '\n(3b)\nund daraus, dass g f unabh\u00e4ngig von x sei. Nennen wir p die Amplitude der Schwingung des Saitenpunktes x, so ist fX = g(T- X) = 2p\ng+f^\u00a5 +\n2 p\t_\t2 pT\t_\t2 pllfi\nX \u2018 T\u2014 X X (T \u2014 X) Tx (I Und da g -f- / von x unabh\u00e4ngig ist, muss sein _ 4p x (I - x)\nx)\nP\nI\u00df\nwo P die Amplitude in der Mitte der Saite bezeichnet. Aus der Gleichung (3b) folgt, dass die Abschnitte a\u00df und \u00dfy der Schwingungsfigur, Fig. 24 A, sich verhalten m\u00fcssen wie die entsprechenden Theile der Saite auf beiden Seiten des beobachteten Punktes. Daraus folgt schliesslich, dass\n8P '\\P\u00ee 1\t. nnsc\ny ~ A/h \u201cw \u2014\nx .\t2 7i n\nsin \u2014y~\n0-1)\n(3c)\nals vollst\u00e4ndiger Ausdruck f\u00fcr die Bewegung der Saite.\n$\nSetzt man t------\u2014 = 0, so wird y f\u00fcr jeden Werth von x gleich Null,\nalso gehen alle Theile der Saite gleichzeitig durch die Gleichgewichtslage der Saite. Von da ab ist die Geschwindigkeit / des Punktes x j. _ 2p 8 P (L \u2014 x)\n1 ~ X ~ IT\nDiese Geschwindigkeit bleibt aber nur w\u00e4hrend der Zeit X\nX = T 4\nbestehen. Nach der Zeit t ist also\n8 P\ny = ft =\nIT\n(I \u2014 x) t.\n(4)\nso lange\nund also\nt<T?L\n8 P\ny <U x (i \u2014 x).\nVon da ab geht y mit der Geschwindigkeit g \u2014 r\u00fcck. Es ist also y nach der Zeit t = X -f- tt:\n8 Px\nT \u2014 %\n8 Px\nIT\ny\n8P / t\nJ\u00df X (I - x)\nIT","page":578},{"file":"p0579.txt","language":"de","ocr_de":"579\nBeilage Y. Zu Seite 142.\nUnd da so ist:\nL -\n- % T\n~ LT l1\n(\u00cf + h) j\n= *>\n(4 a)\nAuf dem einen Theile der Saite ist also die Ablenkung gegeben durch die Gleichung (4), auf dem anderen durch (4 a). Beide Gleichungen geben f\u00fcr die Gestalt der Saite eine gerade Linie, welche entweder (4) durch den Punkt x = X, oder (4 a) durch den Punkt x = 0 geht. Es sind dies die beiden Endpunkte der Saite. Ihr Schneidepunkt ist gegeben durch die Bedingung\ny\t- x) t = x (T - t)-\nEs muss also sein\n(X \u2014 x) t = x (T \u2014 t),\nLt = x T.\nDie Abscisse * des Schnittpunktes w\u00e4chst also proportional der Zeit. Der Schnittpunkt, welcher zugleich der am meisten aus der Gleichgewichtslage entfernte Punkt der Saite ist, r\u00fcckt also mit constanter Geschwindigkeit von einem Ende der Saite zum anderen, und w\u00e4hrend dieser Zeit liegt der Schnittpunkt selbst auf einem parabolischen Bogen, da f\u00fcr ihn\n8P ,T . y = p = jj x (L \u2014 xy\nDie Bewegung der Saite l\u00e4sst sich also kurz so beschreiben, dass in Fig. 55 der Fusspunkt d der Abscisse ihres Gipfels, mit constanter Geschwin-\nFig. 55.\nCl\nb\nc*\nso oft beobachtet werden, ergeben sich wohl meist daraus, dass diejenigen T\u00f6ne, welche an der gestrichenen Stelle oder in deren n\u00e4chster N\u00e4he Knotenpunkte haben, und deshalb vom Bogen gar nicht oder nur schwach angeregt werden k\u00f6nnen, ged\u00e4mpft werden und wegfallen. Wenn der Bogen in einem dem Stege benachbarten Knotenpunkte des mten Obertones streicht, so haben die Schwingungen dieses mten, ferner des 2 roten, omten u. s. w. Tones gar keinen Einfluss auf die Bewegung des vom Bogen ber\u00fchrten Punktes der Saite, und sie k\u00f6nnen deshalb wegfallen, ohne dass die Wirkung des Bogens auf die Saite ge\u00e4ndert wird, und in der That erkl\u00e4ren sich daraus die beobachteten Kr\u00e4uselungen der Schwingungsflgur. Was in dem Falle geschieht, wo der Bogen die Saite zwischen je zwei Knotenpunkten angreift, habe ich nicht durch Beobachtung ermitteln k\u00f6nnen.\ndigkeit auf der Linie ab hin-und hereilt, w\u00e4hrend der Gipfelpunkt selbst die beiden parabolischen B\u00f6gen a c1b und b c2 \u00ab , nach einander durchl\u00e4uft, und die Saite selbst in den beiden geraden Linien a e1 und b ct oder a e2 und b c2 ausgespannt ist.\nDie kleinen Kr\u00e4uselungen der Schwingungsfiguren, welche\n37*","page":579},{"file":"p0580.txt","language":"de","ocr_de":"580\nBeilage VI.\nZu Seite 161.\nBeilage VI.\nEinfluss der Resonanz in den Zungenpfeifen.\nZu Seite 1(51.\nF\u00fcr oylindrische R\u00f6hren habe ich die Gesetze der Resonanz in meiner \u201eTheorie der Luftschwingungen in R\u00f6hren mit offenen Enden\u201c*) mathematisch entwickelt. Auf die Zungenpfeifen ist namentlich das dort in \u00a7. 7 behandelte Beispiel anwendbar, wo die Bewegung im Grunde der R\u00f6hre als gegeben vorausgesetzt wird. Es sei V dt das Luftvolumen, welches im Zeittheilchen dt in die Zungenpfeife einstr\u00f6mt, so kann diese Gr\u00f6sse, da sie periodisch ist, dargestellt werden durch eine Fourier\u2019sche Reihe:\nVdt = C0 + Cj cos (2 Tint -f- Tx) -j- C2 cos (innt -f 2$) + etc. . . (1) Die Resonanz ist f\u00fcr die einzelnen Glieder einzeln zu bestimmen, da die den einzelnen Obert\u00f6nen entsprechenden Schwingungsbewegungen sich ungest\u00f6rt einander superponiren. Die dort entwickelten Gleichungen (15) und (12b) ergeben nun, wenn wir unter l die L\u00e4nge der R\u00f6hre, unter Q ihren Querschnitt, unter l -)- a die reducirte L\u00e4nge der R\u00f6hre (die Differenz a ist bei cylindrischen R\u00f6hren gleich dem Radius, multiplicirt mit j'j,\n2 71\nunter k die Gr\u00f6sse y (X die Wellenl\u00e4nge) verstehen, und das Potential der\nWellen im freien Raume f\u00fcr den Ton von der Schwingungszahl an setzen gleich\nM,\ny cos (alcr \u2014 2nant -f- c),\nwo r die Entfernung vom Mittelpunkt der M\u00fcndung bezeichnet,, dass\nC\u201e\nM. =\nV\u00e9 n2 cos2 ak (l -f- ce) -f- a4 k4 Q2 sin2 akl\nDa die Gr\u00f6sse k2 Q immer als sehr klein vorausgesetzt werden muss, wenn unsere Theorie anwendbar sein soll, so wird diese Gleichung f\u00fcr solche F\u00e4lle, wo l -f- \u00ab nicht ein ungerades Multiplum einer Viertelwellenl\u00e4nge ist, nahehin\n<7\nM =____________2________\n11 2n cos ak (i -f- u)\nDie Resonanz ist also am schw\u00e4chsten, wenn die reducirte L\u00e4nge der R\u00f6hre ein gerades Vielfaches einer Viertelwellenl\u00e4nge ist, und wird desto st\u00e4rker, je mehr sie sich einem ungeraden Vielfachen derselben L\u00e4nge n\u00e4hert. Wenn sie dieses erreicht, ergiebt die vollst\u00e4ndige Formel\nM,\na2 k2 Q\nDas Maximum der Resonanz ist also desto gr\u00f6sser, je gr\u00f6sser die Wellenl\u00e4nge des betreffenden Tones und je kleiner der Querschnitt ist. Je\n\u2019) Journal f\u00fcr reine und angewandte Mathematik, Bd. LVII.","page":580},{"file":"p0581.txt","language":"de","ocr_de":"Beilage VT. Zu Seite 161.\t581\nkleiner der Querschnitt ist, desto enger ist auch die Tonh\u00f6he abgegrenzt, welche starke Resonanz zeigt, w\u00e4hrend bei gr\u00f6sserem Querschnitt die starke Resonanz sich auf einen breiteren Theil der Scala erstreckt.\nF\u00fcr anders geformte Hohlk\u00f6rper mit engen M\u00fcndungen lassen sich \u00e4hnliche Gleichungen mittels der in \u00a7. 10 derselben Abhandlung aufgestellten S\u00e4tze gewinnen.\nDa die Bedingung starker Resonanz ist, dass cos a ft (l -j- r<) = 0 sei, so werden mit dem Grundtone gleichzeitig in cylindrischen R\u00f6hren (Clarinette) nur die ungeraden Obert\u00f6ne. verst\u00e4rkt werden.\nIm Innern von kegelf\u00f6rmigen R\u00f6hren k\u00f6nnen wir das Potential der Luftbewegung f\u00fcr den Ton n setzen gleich\nV \u2014 \u2014 sin (ikr + c) cos 2nnt,\nwo r die Entfernung von der Spitze des Kegels bezeichnet. Ist eine Zunge in der Entfernung a von der Spitze angebracht, und die L\u00e4nge der R\u00f6hre l, also f\u00fcr das offene Ende r = l -)- a, so k\u00f6nnen wir als Grenzbedingung f\u00fcr das freie Ende als wenigstens ann\u00e4hernd richtig festsetzen, dass dort der Druck gleich Null sein m\u00fcsse; dies ist der Fall, wenn\n= \u2014 2nn i ^ \u2014 sin [ft (l -J- a) c] sin (2nnt) = 0,\nalso\nsin [ft (l -j- a) -)- c] = 0\nund wir k\u00f6nnen setzen:\nc = \u2014 ft (l + a)\nA\nV = \u2014 sin ft (r \u2014 l \u2014 a) cos (2nnt).\nDie st\u00e4rkste Resonanz findet nun hier, wie bei den ..cylindrischen R\u00f6hren, f\u00fcr diejenigen T\u00f6ne statt, welche an der Stelle der Zunge das Minimum der Geschwindigkeit haben. Da n\u00e4mlich bei der Entwickelung der Geschwindigkeit im Mundst\u00fcck in Gleichung (1) die Co\u00ebfficienten Ca einen bestimmten Werth haben, der nur von der Bewegung der Zunge und den davon veranlassten Luftst\u00f6ssen abh\u00e4ngt, so muss der Coefficient A der letzten Gleichung desto gr\u00f6sser werden, eine je kleinere Geschwindigkeit der entsprechende Wellenzug im Mundst\u00fccke des Rohres hervorbringt. Um so gr\u00f6sser wird dann die Geschwindigkeit in den anderen Theilen des Rohres. Die Geschwindigkeit der Lufttheilchen ist aber:\n^ cos 2nnt |ftr cos Je (r \u2014 l \u2014 a) \u2014 sin ft (r \u2014 l \u2014 o)| \u2022\nF\u00fcr das Maximum der Resonanz ist also Bedingung, dass f\u00fcr r = a hr = tang ft (r\u2014l\u2014a) oder ha \u25a0= \u2014 tang (hl).\nWenn nun die Gr\u00f6sse a, d. h. die Entfernung der Zunge von der Spitze des Kegels, sehr klein ist, so ist ha, also auch tang hl, sehr klein, und es muss (hl \u2014 an) sehr klein sein, wenn a eine gewisse ganze Zahl bedeutet. Dann k\u00f6nnen wir die Tangente nach Potenzen ihres Bogens entwickeln und erhalten, indem wdr uns auf das. erste Glied dieser Entwickelung beschr\u00e4nken:","page":581},{"file":"p0582.txt","language":"de","ocr_de":"582\nBeilage VII. Zu Seite 187.\nlea \u2014 a n \u2014 hl k (a -j- l) = n 7\u00ee\noder indem wir k \u2014 \u2014r~ setzen:\na + 1 = -JA.\nworaus sich ergiebt, dass kegelf\u00f6rmige R\u00f6hren alle diejenigen T\u00f6ne verst\u00e4rken , f\u00fcr welche die ganze L\u00e4nge des Kegels, bis zu seiner imagin\u00e4ren Spitze gerechnet, ein Vielfaches der Wellenl\u00e4nge A ist; vorausgesetzt, dass die Entfernung der Zunge von dieser imagin\u00e4ren Spitze des Kegels gegen die Wellenl\u00e4nge verschwindet. Wenn also der Grundton des Klanges durch das Rohr verst\u00e4rkt wird, werden auch alle seine Obert\u00f6ne, gerade und ungerade, verst\u00e4rkt werden bis zu einer H\u00f6he hin, wo die Wellenl\u00e4ngen der Obert\u00f6ne nicht mehr sehr gross gegen die Entfernung a sind.\nBeilage VII.\nPraktische Anweisungen f\u00fcr die Versuche \u00fcber Zusammensetzung der Vocale.\nZu Seite 187.\nUm starke Schwingungen der Gabeln zu erhalten, ist es nothwendig, dass die Schwingungszahlen mit der gr\u00f6ssten Genauigkeit den einfachen arithmetischen Verh\u00e4ltnissen entsprechen. Nachdem die Gabeln zuerst vom Verfertiger nach dem Geh\u00f6r und einem Claviere so genau gestimmt worden sind, als es auf diesem Wege zu erreichen ist, erreicht man die erforderliche gr\u00f6ssere Genauigkeit mittelst der elektrischen Str\u00f6me selbst. Man verbindet zuerst die Unterbrechungsgabel (Fig. 83, S. 186) mit der dem Grundtone entsprechenden, und verschiebt an ersterer die bewegliche Klemme, bis man zwischen beiden genauen Einklang hergestellt hat, wobei die St\u00e4rke des Grundtones ein Maximum erreicht, dessen Existenz sich sowohl f\u00fcr das Auge wie f\u00fcr das Ohr leicht zu erkennen giebt. Die Schwingungen dieser tiefsten Gabel sind n\u00e4mlich so stark, dass ihre Breite am Ende der Zinken unter g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden 2 bis 3 Millimeter betr\u00e4gt. Auch ist zu bemerken, dass, wenn der Einklang nahehin aber nicht vollkommen liergestellt ist, und man die elektrischen Str\u00f6me zuerst anfangen l\u00e4sst auf die Gabel zu wirken, man einige Schwebungen der letzteren h\u00f6rt und sieht, die freilich verschwinden, wenn sie in vollen Gang gekommen ist.\nNachdem zwischen der Unterbrechungsgabel und der des Grundtones Einklang hergestellt ist, schaltet man die \u00fcbrigen Gabeln mit ge\u00f6ffneten Resonanzr\u00f6hren nach einander in die Leitung ein, und stimmt sie ab, bis sie unter dem Einfluss der intermittirenden Str\u00f6me das Maximum der Tonst\u00e4rke geben. Das Stimmen geschieht erst durch die Feile. H\u00f6her macht man die Gabeln bekanntlich dadurch, dass man von den Enden der Zinken","page":582},{"file":"p0583.txt","language":"de","ocr_de":"Beilage VII. Zu Seite 187.\t583\netwas abnimmt, tiefer, indem man die Wurzel der Zinken d\u00fcnner macht. Beides muss aber an beiden Zinken m\u00f6glichst gleichm\u00e4ssig geschehen. Um zu ermitteln, ob die Gabel zu hoch oder zu tief ist, klebt man an die Enden der Zinken ein wenig Wachs, wodurch die Gabel tiefer wird, und beobachtet, ob dadurch der Ton schw\u00e4cher oder st\u00e4rker wird. Im ersteren Falle ist sie zu'tief, im zweiten Falle zu hoch. Da Aenderungen der Temperatur und vielleicht auch andere Umst\u00e4nde einen kleinen Einfluss auf die Stimmung der Gabeln haben, so habe ich vorgezogen, die h\u00f6heren Gabeln alle durch Feilen ein weniges zu hoch zu machen, und durch kleine Mengen von Wachs, die auf die Enden der Zinken geklebt werden, die richtige Stimmung herzustellen. Die Menge des Wachses kann leicht beliebig ge\u00e4ndert werden, und dadurch werden kleine zuf\u00e4llige Ver\u00e4nderungen der Stimmung ausgeglichen.\t*\nF\u00fcr die Resonanzr\u00f6hren ist eine so genaue Stimmung nicht n\u00f6thig; wenn sie angeblasen denselben Ton geben, wie die Gabeln, ist die Stimmung gen\u00fcgend. Sind sie zu tief, so kann man geschmolzenes Wachs hin-eifigiessen, und sie dadurch h\u00f6her machen. Sind sie zu hoch, so muss man die Oeffnung etwas kleiner machen.\nEinige M\u00fche hat es mir gemacht, das Ger\u00e4usch des Funkens an der Unterbrechungsstelle zu beseitigen. Zun\u00e4chst schaltete ich einen grossen Condensator aus Stanniolplatten ein, wie solche bei den grossen elektromagnetischen Inductionsapparaten gebraucht werden. Dadurch wird der Funken aber immer nur bis auf ein gewisses Maass verringert. Vergr\u00f6sse-rung des Condensators zeigte sich nicht mehr von Nutzen. Die Platten des Condensators sind durch Bl\u00e4tter von d\u00fcnnem gefirnissten Papier getrennt, die eine mit der Unterbrechungsgabel verbunden, die andere mit dem Quecksilbern\u00e4pfchen, in welches deren Ende eintaucht. Nach manchen- vergeblichen Versuchen fand ich endlich, dass Einschaltung eines sehr langen und sehr d\u00fcnnen Drahtes zwischen den beiden Enden der Leitung an der Unterbrechungsstelle das Ger\u00e4usch des Funkens fast ganz beseitigt, ohne doch der Wirkung des Stromes auf die Gabeln zu schaden. Der so eingeschaltete Draht muss einen so grossen Widerstand haben, dass er den der Drahtwindungen in s\u00e4mmtlichen Elektromagneten zusammengenommen bei Weitem \u00fcbertrifft. Dann geht kein in Betracht kommender Theil des Stromes durch diesen Draht. Erst wenn die Leitung ge\u00f6ffnet wird, und der d\u00fcnne Draht die einzige Schliessung f\u00fcr den Extracurrent der Elektromagnete bildet, entladet sich dieser durch ihn. Damit nun aber der d\u00fcnne Draht selbst keinen Extracurrent erzeugt, darf er nicht in Win. d\u00fcngen um eine Rolle gelegt sein, sondern muss auf einem Brette hin-und hergehend ausgespannt sein, so dass zwei zun\u00e4chst benachbarte Strecken des Drahtes von entgegengesetzt gerichteten Str\u00f6men durchlaufen werden. Zu dem Ende habe ich an die beiden Enden eines Brettchens (1 Fuss lang) zwei K\u00e4mme von harter Kautschukmasse angeschraubt, und einen d\u00fcnnen versilberten Kupferdraht, wie er zum Ueberspinnen seidener F\u00e4den gebraucht wird, zwischen den Z\u00e4hnen dieser K\u00e4mme hin- und hergezogen (90 Mal). Dadurch bringt man eine lange Strecke (900 Fuss) dieses Drahtes gut isolirt in einen verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig engen Raum zusammen, und so, dass er keinen in Betracht kommenden Extracurrent giebt. Wenn in dem Drahte n\u00e4mlich bei der Unterbrechung des Stromes ein Extracurrent gebildet w\u00fcrde, so w\u00fcrde dieser in dem aus den Elektromagneten und dem","page":583},{"file":"p0584.txt","language":"de","ocr_de":"584\nBeilage VII. Zu Seite 187.\nd\u00fcnnen Drahte gebildeten Kreise die entgegengesetzte Richtung haben, als der Extracurrent in den Elektromagneten, und letzterer w\u00fcrde ganz oder theilweise verhindert werden, sich durch den d\u00fcnnen Draht zu entladen.\nZur Bewegung der Gabeln brauchte ich zwei bis drei Grove\u2019sche Elemente. Die Elektromagnete waren in zwei Reihen neben einander gestellt. Die ganze Anordnung ist in Fig. 56 schematisch 'dargestellt. Die Ziffern 1 bis 8 bezeichnen die Resonanzr\u00f6hren der Stimmgabeln, die gestrichelten Linien, welche nach Wj bis ma hingehen, die F\u00e4den, welche die\nFig. 56.\nDeckel von der Oeffnung der Resonanzr\u00f6hren hinwegziehen. a1 bis n8 sind die Elektromagnete, welche die zwischen ihren Schenkeln stehenden Stimmgabeln in Bewegung setzen; b ist die Unterbrechungsgabel, / der zugeh\u00f6rige Elektromagnet. Die Lage von beiden ist etwas ver\u00e4ndert, um den Zusammenhang der Stromleitungen deutlicher zu machen. Die Elemente der galvanischen Batterie sind mit r: und e2 bezeichnet, der grosse Drahtwiderstand mit del, der Condonsator, dessen spiralig aufgerollte Platten nur im Querschnitt gesehen werden, mit c.\nDie Leitung des elektrischen Stromes geht von e2 der Reihe nach durch s\u00e4mmtliche Elektromagnete der Stimmgabeln bis zum Stiel der Unterbrechungsgabel g. Zuweilen ist es vortheilhafter, diesen Theil der Leitung so anzuordnen, dass er in zwei parallele Zweige getheilt wird, und","page":584},{"file":"p0585.txt","language":"de","ocr_de":"Beilage VII. Zu Seite 187.\t585\ndie drei h\u00f6heren, schwer zu bewegenden Gabeln in den einen Zweig eingeschaltetwerden, die f\u00fcnf tieferen in den anderen, so dass die drei h\u00f6heren von einem st\u00e4rkeren Strom durchflossen werden, als die tieferen.\nDer Rest der Leitung von g bis zum zweiten Pole der Batterie in e1 enth\u00e4lt den Unterbrechungsapparat, welcher hier so angeordnet ist, dass jede Schwingung der Gabel zwei Mal den Strom herstellt, indem ein Mal die obere Zinke in das Quecksilber des N\u00e4pfchens h einschl\u00e4gt, das andere Mal die untere Zinke in das N\u00e4pfchen i. Wird bei h geschlossen, so geht der Strom von g durch die obere Zinke der Gabel nach h, dann durch den Elektromagneten der Gabel / nach k und ev Zwischen h und k ist es meist n\u00f6thig .noch einen Seitenzweig hl k einzuschalten, von massigem Widerstande, um den Strom im Elektromagneten / so zu schw\u00e4chen, dass die Gabel h nicht zu heftige Schwingungen macht. Die Zickzackbiegungen bei l stellen diesen Zweig dar.\nSchlagen die Zinken der Gabel-auseinander, so wird der Strom bei h ge\u00f6ffnet, und nach kurzer Unterbrechung wieder bei i geschlossen, so dass er nun von g durch die untere Zinke der Gabel nach i, von da \u00fcber k zur Batterie e1 gelangt. Im Momente der Unterbrechung des Stromes bei h oder bei i entstehen durch die Induction in den 8 Elektromagneten der Stimmgabel kr\u00e4ftige Extracurrents, welche gl\u00e4nzende und l\u00e4rmende Funken an den Unterbrechungsstellen geben w\u00fcrden, wenn nicht die herandr\u00e4ngenden Elektricit\u00e4tsmassen sich zum Theil in den Condensator c f\u00fcr den Moment aufspeichern, zum Theil durch den sehr grossen Widerstand d d entladen k\u00f6nnten.\nDer letztere stellt, wie man sieht, eine dauernde Verbindung zwischen g und der Batterie her, aber er leitet so schlecht, dass kein namhafter Theil des Stromes durch ihn gehen kann, ausgenommen, wenn im Moment der Stromes\u00f6ffnung die grosse elektromotorische Kraft der Extracurrents entsteht.\nDie hier beschriebene Anordnung ist zu w\u00e4hlen, wenn die Gabel 1 die h\u00f6here Octave der Gabel b ist. Macht dagegen erstere nur ebensoviel Schwingungen wie 6, so nimmt man den Draht ik fort, und leitet die beiden anderen in i endenden Dr\u00e4hte nach h.\nSollen einzelne Gabeln aus der Leitung ausgeschaltet werden, so werden zu dem Ende kurze Nebenschliessungen der Drahtrollen ihrer Elektromagnete geschlossen. In Fig. 32, S. 184, ist die Einrichtung dazu gezeichnet. Die Metallkn\u00f6pfe hh sind leitend mit den Schraubenklemmen g verbunden, in denen der Draht des Elektromagneten endigt. Wird der Hebel i herabbewegt, so schiebt er sich mit einiger Reibung auf den vorderen Knopf h, und stellt so eine gut leitende Nebenschliessung f\u00fcr den Draht des Elektromagneten her, was zur Folge hat, dass der elektrische Strom haupts\u00e4chlich \u00fcber hh sich entladet, und nur ein verschwindend kleiner Theil durch den viel l\u00e4ngeren Weg um den Elektromagneten herum kreist.\nWas die Theorie der Bewegung der Gabeln betrifft, so ist zun\u00e4chst klar, dass die St\u00e4rke des Stromes in den Elektromagneten eine periodische Function derZeit sein muss. Die Dauer der Periode ist gleich der Periode einer Schwingung der Unterbrechungsgabel b. Die Zahl der Unterbrechungen in der Secunde sei n. Dann wird die St\u00e4rke des Stromes in den Elektromagneten, und somit auch die Gr\u00f6sse der Kraft, welche die Elektromagnete auf die Gabeln aus\u00fcben, von der Form sein:","page":585},{"file":"p0586.txt","language":"de","ocr_de":"586\nBeilage VIII. Zu Seite 190.\nA0 + -^1 cos (2 7i n t -|- Cj) -f- A2 cos (\u00b1nnt-\\- c2) As cos (6 n n t -f- c3) -J- etc.\nDas allgemeine Glied dieser Reihe, Am cos (2nmnt-\\- cm), wird geeignet sein, die Gabel von mnSchwingungen in der Secunde in Bewegung zu setzen, w\u00e4hrend es auf Gabeln von anderer Stimmung wenig einwirkt.\nBeilage VIII.\nPhasen der durch Resonanz entstandenen Wellen.\nZu Seite 190.\nEs sei eine Stimmgabel der M\u00fcndung einer Resonanzr\u00f6hre gen\u00e4hert, und das Ohr des H\u00f6renden befinde sich in einer gegen die Dimensionen der Oeffnung sehr grossen Entfernung von der R\u00f6hre. Ich habe bewiesen*), dass wenn ein t\u00f6nender Punkt sich im Punkte B eines theilweis von festen W\u00e4nden begrenzten, theilweis unbegrenzten Raumes befindet, die Schallbewegung in einem anderen Punkte A desselben Raumes der Intensit\u00e4t und Phase nach dieselbe ist, als sie in B sein w\u00fcrde, wenn sich der t\u00f6nende Punkt in A bef\u00e4nde. B sei der Ort der Stimmgabel (oder genauer des Endes einer ihrer Zinken), A der des Ohres. Die Bewegung der Luft, welche eintritt, wenn sich die Stimmgabel nahe vor der Oeffnung befindet, l\u00e4sst sich nicht wohl bestimmen, wohl aber habe ich (S. 47 und 48 der citirten Abhandlung) die Bewegung bestimmt f\u00fcr den Fall, wo die Stimmgabel in grosser Entfernung ist. Denken wir uns also die Gabel an den Ort des Ohres nach A gebracht, so haben wir die Schallbewegung an dem Punkte B nahe der M\u00fcndung zu bestimmen. Diese Schallbewegung ist aus zwei Thei-len zusammengesetzt, der eine Theil, dessen Potential dort mit r/> bezeichnet ist, entspricht der Bewegung, welche auch bei geschlossener M\u00fcndung der Resonanzr\u00f6hre vorhanden sein w\u00fcrde, und ist in dem vorliegenden Falle zu klein, um wahrgenommen zu werden, der andere Theil, mit W bezeichnet, hat nach den dort angewendeten Bezeichnungen im freien Raume und in einiger Entfernung von der Oeffnung den Werth [S. 38 Gleichung (12 h)]:\n(1)\n(Q der Querschnitt der R\u00f6hre, q die Entfernung vom Mittelpunkt [ihrer\n2 7T\nOeffnung, n die Schwingungszahl, -j\u2014 die Wellenl\u00e4nge). Die Bewegung in\nunendlich kleiner Entfernung r vom t\u00f6nenden Punkte A ist gegeben durch die Gleichung :\n(2)\nund es ist, wenn wir unter rx die Entfernung des imagin\u00e4ren t\u00f6nenden\n*) Journal f\u00fcr reine und angewandte Mathematik, Bd. LVII, S. 1 bis 72. Theorie der Luftschwingungen in K\u00f6hren mit offenen Enden.","page":586},{"file":"p0587.txt","language":"de","ocr_de":"Beilage VIII. Zu Seite 190.\n587\nnach (16 c\n. (2 a)\nPunktes A vom Mittelpunkt der R\u00f6hrenm\u00fcndung verstehen und (13a) der citirten Abhandlung:\nn i\ti\tk% Q sin kl cos ka\\\n~ tang (k r' + C) = kmg -T*=-\t2 nr cos k (1 + \u00ab) 1 *\n(l L\u00e4nge der R\u00f6hre, \u00ab eine Constante, die von der Form ihrer M\u00fcndung abh\u00e4ngt) und endlich ist (16c, 13a) die dort I genannte Gr\u00f6sse:\n2 k sin (kl)\tk2 sin (k l)\n* i JA. w \u2014x--:----\nrx\t2nsinT2\n4 n sin t, }\t^\ni=n\nworaus folgt\nA = \u00b1 H \u25a0\nl2 I\nk Qr\u00b1\nDas \u00b1_ Zeichen werde so bestimmt, dass die Constanten A und II gleiches Zeichen bekommen, dann muss z2 zwischen 0 und n liegen.\nHier ist die St\u00e4rke der Resonanz A ausgedr\u00fcckt durch die Intensit\u00e4t des t\u00f6nenden Punktes H, Querschnitt der Resonanzr\u00f6hre Q, Entfernung r1 des t\u00f6nenden Punktes von deren M\u00fcndung und der Gr\u00f6sse z2. Der Phasenunterschied zwischen den Punkten A und B ist nach Gleichung (1), (2) und (2 a):\n7i \u2014 Tcq c Ti \u2014 kg \u2014 kr1 \u2014 z2.\nDie Gr\u00f6sse 7c o kann aber bei den Entfernungen des Punktes B von der Mitte der Oeffnung, die wir mwenden k\u00f6nnen, als verschwindend klein betrachtet werden, so dass bei der Schw\u00e4chung des Tons, die wir durch Entfernung der Stimmgabel von der M\u00fcndung der R\u00f6hre erreichen, die Phase nicht merklich ge\u00e4ndert wird. Wenn wir dagegen die Stimmung der R\u00f6hre ver\u00e4ndern, so wird in dem Ausdruck f\u00fcr die Phase nur die Gr\u00f6sse t2, welche von k l nach Gleichung (2 a) abh\u00e4ngig ist, ge\u00e4ndert, und dem entspricht immer auch eine Aenderung in der St\u00e4rke der Resonanz, da in deren Aus-T0 als\ndruck in Gleichung (3) tritt ein, wenn si Resonanz 91, so ist\n<-2\n1,\nFactor vorkommt. Die st\u00e4rkste Resonanz\nalso z, = % \u2022 Nennen wir dies Maximum der i 4\n4 7i LT\n91\nk Qr i \u2019\nund f\u00fcr andere Abstimmungen der R\u00f6hre, falls deren Querschnitt nicht ge\u00e4ndert wird\nA\nsin x2 \u2014 - \u2022\nOb der Winkel z2 kleiner oder gr\u00f6sser als ein Rechter zu nehmen ist, bestimmt sich darnach, ob in Gleichung (2 a) der Werth von ,\t7c2 Q sin k l cos k a\nang z2\t2 7Z cos k (l + \u00ab)\npositiv oder negativ ist. Da nun k, Q und cos. ka stets positiv sind, so\n\u201e\tsift Je 1/\ntang z2 ab von dem Factor , \u201e ,\u2014- \u2022 Wenn\ncos k (l ~\\-\nh\u00e4ngt der Werth\t----,\t-\ncos\tet)\n= 0, findet Maximum der Resonanz statt, wenn sin kl = 0, ein Minimum. Es ist also z2 < \u2014 , wenn man durch Verl\u00e4ngerung der\nR\u00f6hre sich einem Minimum der Resonanz n\u00e4hert, dagegen z2\nwenn","page":587},{"file":"p0588.txt","language":"de","ocr_de":"588\tBeilage VIII. Zu Seite 190.\nman sich einem Maximum n\u00e4hert. Bei den Anwendungen ist die R\u00f6hre immer nahe einem Maximum der Resonanz, und also z2 <%-, wenn die\nR\u00f6hre zu tief und r2 > \u2014, wenn die R\u00f6hre zu hoch gestimmt ist.\nMacht man durch Verstimmung der R\u00f6hre A2 \u2014 l/2 9(2, so ist die Ver\u00e4nderung der Schwingungsphase = ~ So kann man also die eingetretene\nVer\u00e4nderung der Phase immer nach der Ver\u00e4nderung in der St\u00e4rke der Resonanz wenigstens absch\u00e4tzen.\nEin \u00e4hnliches Gesetz findet statt f\u00fcr die Phasen der schwingenden Stimmgabeln verglichen mit denen des erregenden Stromes. Um die Betrachtung zu vereinfachen, will ich hier nur einen einzelnen schwingenden Massenpunkt betrachten, der durch eine elastische Kraft immer wieder in seine Gleichgewichtslage zur\u00fcckgef\u00fchrt wird. Wenn x die Entfernung des Massenpunktes aus seiner Gleichgewichtslage ist, sei \u2014 a2 x die elastische Kraft. Es wirke ferner eine periodische Kraft ein, wie sie in unseren Versuchen durch die elektrischen Str\u00f6me hervorgebracht wird, deren Gr\u00f6sse sei A sinnt, und eine die Schwingungen d\u00e4mpfende Kraft, deren Gr\u00f6sse der\nGeschwindigkeit proportional ist, also gleich \u2014 b2\t\u25a0 Eine solche entsteht\nbei unseren Versuchen theils durch die Reibung und den Luftwiderstand, namentlich aber durch die von der bewegten Stimmgabel inducirten Str\u00f6me, welche am meisten dazu beitragen die Schwingungen zu d\u00e4mpfen. Ist m die Masse des schwingenden Punktes, so ist also\nd2x . \u201e\tdx ,\t. .\t.)\t...\nm -5\u2014j- = \u2014 a2x \u2014 62 -n + Asm nt1, ........................(4)\ndt2\tdt 1\t]\tw\nDas vollst\u00e4ndige Integral dieser Gleichung ist\nx =\tsin (nt \u2014 e) -(- Be sin\tV\" a2m \u2014 1/i b2 -(- cj . . . . (4a)\nworin\ntang e = -j-\nb2n l\na2 \u2014 m n2>\n(4b)\n\u2022 Das mit B multiplicirte Glied in der Gleichung (4a) ist nur im Anf\u00e4nge\nb* t\nder Bewegung von Einfluss; wegen des Factors e \u2014 2m wird es bei wachsender Zeit t immer kleiner und kleiner, so dass es schliesslich verschwindet. Seine Existenz im Anf\u00e4nge der Bewegung ist aber Schuld daran, dass die in Beilage VII erw\u00e4hnten vor\u00fcbergehenden Schwebungen entstehen, wenn die Gr\u00f6sse n wenig verschieden ist von\n\u2014 Va2 m \u2014 V, &2-\nvn\t1 *\nDas mit A multiplicirte Glied der Gleichung (4 a) entspricht dagegen der dauernden Schwingung des Massenpunktes. Die lebendige Kraft i2 dieser","page":588},{"file":"p0589.txt","language":"de","ocr_de":"589\nBeilage VIII. Zu Seite 190.\n(d\n~dt )\nn\u00e4mlich:\nm A2 sin2 e\n(5)\n2 64 /.........................\nWenn man nun die Tonh\u00f6he des erregenden Tones d. h. n sich ver\u00e4ndern l\u00e4sst, so erreicht i2 seinen Maximalwerth, den wir mit J2 bezeichnen wollen, wenn\nsin2 e - 1 oder tangs = \u00b1 co,\nwobei\nm A2\nJ2 =\n2 64\nWir k\u00f6nnen deshalb auch schreiben:\n4 2 = J2 sin2 s.............................(5 a)\nDieselbe Gr\u00f6sse e bestimmt also in Gleichung (4 a) den Phasenunterschied zwischen den periodisch wechselnden Elongationen x der Masse und den wechselnden Werthen der Kraft, sowie in Gleichung (5a) die St\u00e4rke der Resonanz.\nDie Bedingung, dass tang e = + oo sei, wird nach (4b) erf\u00fcllt, wenn\na2 = mn2.\nBezeichnen wir also den Werth von n, welcher dem Maximum des Mitschwingens entspricht, mit N, so ist\nN2\n_ *2|\nmy\n(5 b)\nDieser Ton st\u00e4rkster Resonanz ist gleich dem Tone, welchen der betreffende Massenpunkt geben' w\u00fcrde, wenn er nur unter dem Einfluss der elastischen Kraft ohne Reibung und ohne fremde Erregung in Schwingung gesetzt w\u00e4re. Davon ist etwas verschieden der Eigenton des K\u00f6rpers, den er unter Einfluss der Reibung und des Luftwiderstandes giebt, dessen Tonh\u00f6he v in dem zweiten Gliede der Gleichung (4a) gegeben ist:\n1\n= \u2014 Va2\nm\n\u25a0y*&2-\nErst wenn b = 0 gesetzt wird, d. h. Reibung und Luftwiderstand verschwinden, wird\nv2 = \u2014 = N2-m\nNun ist in allen praktischen F\u00e4llen, wo wir das Ph\u00e4nomen des Mitschwingens beobachten, b verschwindend klein, so dass der Unterschied zwischen dem Tone st\u00e4rkster Resonanz und dem Eigentone der schwingenden K\u00f6rper vernachl\u00e4ssigt werden kann, wie dies auch im Texte geschehen ist. Es wird unter Einf\u00fchrung der Gr\u00f6sse N die Gleichung (4b)\nb2 n >","page":589},{"file":"p0590.txt","language":"de","ocr_de":"590\nBeilage IX. Zu Seite 213.\nBeilage IX.\nBeziehung zwischen der St\u00e4rke des Mitschwingens und der Dauer des Ausschwingens.\nZu Seite 213.\nWir k\u00f6nnen die in der Beilage VIII gebrauchten Bezeichnungen f\u00fcr die Bewegung einer Masse, die durch eine elastische Kraft in ihre Gleichgewichtslage zur\u00fcckgef\u00fchrt wird, beibehalten. Wenn eine solche Masse durch eine \u00e4ussere periodische Kraft ersch\u00fcttert wird, ist ihre Bewegung in Gleichung (4 a) gegeben. Setzen wir die Intensit\u00e4t A dieser Kraft gleich Null, so redu-cirt sich die Gleichung (4 a) auf\n_b*t\n-y-,\t2m .\nstn (v.t c),\nworin\nv \u2014 \u2014 l^a2 m \u2014 V, b2. m\nDer Werth f\u00fcr x wird wegen des Factors, welcher t im Exponenten enth\u00e4lt, immer kleiner und kleiner. Messen wir t, wie es im Texte geschehen ist, nach der Zahl der Schwingungen des Tones st\u00e4rkster Resonanz, und setzen wir zu dem Ende\n\u2014 2n\nnb2\t/N\tn\\\n\u00df = W^ = 7l{n-F)tangi\n;\n(6)\nWenn wir die lebendige Kraft der Schwingungen zur Zeit t \u2014 0 mit L bezeichnen, und zur Zeit t mit l, so ist\nL = B2,\n2 \u00dfT\nl = B2 v2 e\n; -*\u00dfr\n- \u2014 e\tund\nalso\n1\n2\u00df\nlog nat\nm-\n(6 a)\nIn der Tabelle auf S. 214 ist L : l = 10 : 1 gesetzt worden, und daraus der Werth von T berechnet, nachdem vorher vermittelst der Gleichung (6) der Werth von \u00df bestimmt war. In Gleichung (6) aber ist sin2 s = yi0 gesetzt worden, entsprechend der Bedingung, dass die Tonst\u00e4rke des mitschwingenden K\u00f6rpers yi0 ihres Maximums betragen solle, und f\u00fcr das Ver-h\u00e4ltniss N : n sind die Zahlenverh\u00e4ltnisse gesetzt worden, welche den in der ersten Spalte der Tabelle angegebenen Intervallen entsprechen. So ist der Werth von \u00df berechnet worden.\nDie Gleichung (4b) der Beilage VIII k\u00f6nnen wir schreiben :\n/\t62\t\u00df\ntang s \u2014 ------------------------------\nmN (\u25a0\n\\n\ni)\n\u2019 \u25a0\n,N\nIV n \\\n7i~ N)","page":590},{"file":"p0591.txt","language":"de","ocr_de":"591\nBeilage X. Zu Seite 241.\nIn dieser Gleichung k\u00f6nnen N, welches die Tonh\u00f6he der st\u00e4rksten Re-sonanz angiebt, 52, welches die St\u00e4rke der Reibung bestimmt, und die Masse m f\u00fcr verschiedene Corti\u2019scheFasern verschieden sein. Man muss also bei der Anwendung auf das Ohr b2 und m als Functionen von N betrachten. Da nun der Grad der Rauhigkeit der engeren dissonirenden Zusammenkl\u00e4nge bei gleichen Intervallen durch die ganze Scala hin ziemlich derselbe ist, so\nN\nmuss die Gr\u00f6sse tang e f\u00fcr gleiche Werthe von \u2014 nahehin dieselben Werthe\n12 \u00df\nannehmen, und daher die Gr\u00f6sse \u2014\u2014 = \u2014 ziemlich unabh\u00e4ngig- vom Werthe \u2019\tmN n\t\u00b0 6\nvon N sein; Genaueres l\u00e4sst sich dar\u00fcber freilich nicht bestimmen. Es ist deshalb auch in den sp\u00e4ter folgenden Rechnungen \u00df als unabh\u00e4ngig von N betrachtet worden.\nBeilage X.\nBeschreibung des Mechanismus f\u00fcr die OefFnung einzelner L\u00f6eherreihen in der mehrstimmigen Sirene.\nZu Seite 241.\nIn Fig. 57 ist ein Querschnitt des oberen Kastens der Doppelsirene dargestellt, um dessen innere Construction zu zeigen. E ist das Windrohr, welches sich in das Innere des Kastens hinein verl\u00e4ngert, und fest eingef\u00fcgt\nFig. 57.\nE","page":591},{"file":"p0592.txt","language":"de","ocr_de":"592 Beilage XI. Zu Seite 285 und 291.\nist in den oberen Querbalken des Gestelles AA. Die in den Kasten B hineinragende Verl\u00e4ngerung des Windrohres hat am oberen und unteren Ende kegelf\u00f6rmige Fl\u00e4chen, auf denen entsprechende Aush\u00f6hlungen im Boden und Deckel des Kastens gleiten, so dass letztem sich frei um das Windrohr als Axe drehen kann. Bei \u00ab sieht man den Querschnitt des Zahnrades, welches am Boden des Kastens festsitzt. Bei \u00df das Getriebe, welches mittels der Kurbel y gedreht wird; d ist der Zeiger, der nach der Theilung am Rande der Scheibe es hingerichtet ist.\nD ist das obere Ende von der Axe der beweglichen Scheiben, von denen man die obere C C hier sieht. Die Axe l\u00e4uft auf feinen Spitzen, in kegelf\u00f6rmigen Pfannen. Die obere Pfanne befindet sich im unteren Ende der Schraube \u00bbj, welche durch einen von oben her eingef\u00fchrten Schraubenzieher mehr oder weniger angezogen werden kann, so dass man den w\u00fcn-schenswertlien Grad von Leichtigkeit und Sicherheit der Bewegung der Axe erreicht.\nIm Innern des Kastens sieht man die Querschnitte von vier durchl\u00f6cherten Ringen x.X, Xjj, fxv und ro, welche mit schr\u00e4g geschnittenen R\u00e4ndern dachziegelf\u00f6rmig \u00fcber einander greifen und sich so gegenseitig festhalten. Jeder dieser Ringe liegt unter einer der L\u00f6cherreihen des Deckels, und enth\u00e4lt genau ebenso viel L\u00f6cher, wie die entsprechende Reihe des Deckels und der rotirenden Scheibe. Mittels der Stiftchen ii, welche man in der Seite 242 gegebenen Fig. 49 sieht, k\u00f6nnen die vier genannten Ringe etwas verschoben werden, so dass entweder die L\u00f6cher des Ringes mit den L\u00f6chern des Kastens zusammenfallen, die Luft freien Ausgang erh\u00e4lt und der entsprechende Ton zu Stande kommt. Oder der Ring stellt sich so, dass die Zwischenr\u00e4ume seiner L\u00f6cher die L\u00f6cher des Deckels schliessen, dann ist die entsprechende L\u00f6cherreihe gesperrt und ihr Ton bleibt nat\u00fcrlich aus.\nAuf diese Weise kann man nach einander oder neben einander die verschiedenen T\u00f6ne einer solchen Sirene nach Belieben einzeln oder combinirt angeben.\nB e i 1 a g e XL\nBerechnung der Intensit\u00e4t der Schwebungen verschiedener\nIntervalle.\nZu Seite 285 und 291.\nWir benutzen wieder die in der Beilage VIII unter (4 a), (4 b), (5) und (5 a) entwickelten Formeln f\u00fcr die St\u00e4rke des Mitschwingens. Es sei f\u00fcr den Ton st\u00e4rkster Resonanz eines Corti\u2019schen Elementarorgans n die Anzahl der Schwingungen in 2^Secunden, nx und n2 seien die entsprechenden Schwingungszahlen f\u00fcr zwei geh\u00f6rte T\u00f6ne und sowie 932 die Geschwin-digkeitsmaxima der Schwingungen, welche sie in den gleichgestimmten Corti\u2019schen Organen hervorbringen, so sind die GeschwindigkeitsmaximaBj und B,2, welche beide in dem Gebilde von der Schwingungszahl n hervorbringen, nach Gleichung (5 a) Beilage VIII:","page":592},{"file":"p0593.txt","language":"de","ocr_de":"593\nBeilage XL Zu Seite 285 und 291.\n*1 = \u00ae 1 \u2022Bn = 33\u00bb\n' 62\nn tang % =\nund n tang t2 =\n\n_ 21\nnx n\tn3n\nDarin ist /3 eine Gr\u00f6sse, welche wir als unabh\u00e4ngig von \u00ab betrachten k\u00f6nnen. Die Intensit\u00e4t der Schwingungen des Organs von der Schwin-gungszahl n schwankt demnach, wenn beide T\u00f6ne nl und n3 Zusammenwirken, zwischen den Werthen:\n(B1 + B2)2 und (Bl - BJK\nDer Unterschied beider Gr\u00f6ssen, welcher die St\u00e4rke der Schwebungen misst, ist:\n\"'\u00e9 Bx B2 = 4 53] S32 sin % sin t2.................(7)\nBei gleichen Unterschieden in der Stimmung ist die St\u00e4rke der Schwebungen also abh\u00e4ngig von dem Producte S3] \u00a92. F\u00fcr den \u00bb\u00bbten Oberton\n2l2\neines Yiolinklanges k\u00f6nnen wir S32 = setzen, nach Beilage V, und wenn\nalso der \u00bb\u00bbjte und m2te Oberton zweier Violinkl\u00e4nge Schwebungen geben, setzen wir die Intensit\u00e4t ihrer Schwebungen bei gleichen Intervalldifferenzen gleich\n3l2\nDieser Ausdruck ist der Berechnung der letzten Spalte der Tabelle auf S. 286 zu Grunde gelegt worden.\nF\u00fcr die auf Seite 291 und 292 besprochene Berechnung der Rauhigkeit verschiedener Intervalle f\u00fchren wir noch folgende abk\u00fcrzende Bezeichnungen ein:\n\u00bb!\t\u00bb2\t= 2 N,\n\u00abi = N (1 + d), n2 \u2014 N (1 \u2014 d), n = N (1\tr).\nDann ist\nn tang % =\n\u00df\nn tang t2 :\n1+r\n1 \u2014 d\n1 -J- v\nlfy 1 + d\u2019\n1 -{\u2014 d\t1 n\nDa kr\u00e4ftiges Mitschwingen nur stattfindet, wenn v und d sehr klein sind, so kann man ann\u00e4hernd setzen:\ntang = ------\u2014\n(7 a)\nM(v-d)\u2019\t\"\u00bb \u201c 2\u00bb(^fd)'\nDiese Werthe in Gleichung (7) gesetzt ergeben:\n4 JS] B% = 4 SB] 332\nV\u00df- + 4 712 (r \u2014 d)2 Y\u00df* + 4 ;7 - (>' -f 9 )2 \u2019\nWenn wir nun v, d. h. die Tonh\u00f6he des mitschwingenden Corti\u2019schen Organs, als ver\u00e4nderlich betrachten, erreicht der Werth von 4 Bx B2 sein Maximum, wenn v = 0, also n = N = % (\u00abj -J- ns) und der Werth dieses Maximum selbst, den wir mit s bezeichnen wollen, ist:\n* \u2014\t\u00df2 4w2(f2\nHelmholtz, phys. Theorie der Musik.\n(7b)\n38","page":593},{"file":"p0594.txt","language":"de","ocr_de":"594\nBeilage XI. Zu Seite 285 und 291.\nIch habe mich bei Berechnung des Grades der Rauhigkeit, welche der Zusammenklang zweier T\u00f6ne giebt, die um das Intervall 2d von einander entfernt sind,' damit begn\u00fcgt, den hier gefundenen Maximalwerth der Schwebungen zu ber\u00fccksichtigen, welcher in dem am g\u00fcnstigsten gelegenen Cor-ti\u2019schen Organe stattfindet. Allerdings werden schw\u00e4chere Schwebungen auch noch in den benachbarten Faserb\u00f6gen erzeugt, aber in schnell abnehmender Intensit\u00e4t. Es k\u00f6nnte deshalb vielleicht als ein genaueres Verfahren erscheinen, wenn man den Werth von 4 B1B2 in Gleichung (7a) nach v integrirte, um die Summe der Schwebungen in allen Corti\u2019schen Organen zu erhalten. Dann m\u00fcsste man aber noch irgend eine wenigstens ann\u00e4hernde Kenntniss von der Dichtigkeit der Corti\u2019schenOrgane f\u00fcr verschiedene Werthe von v, d. h. f\u00fcr verschiedene Theile der Scala haben, welche uns abgeht. In der Empfindung kommt es jedenfalls mehr auf den st\u00e4rksten Grad der Rauhigkeit an, als auf die Ausbreitung schw\u00e4cherer Rauhigkeit \u00fcber viele empfindende Organe. Ich habe deshalb vorgezogen, nur das in (7 b) gegebene Maximum der Schwebungen zu ber\u00fccksichtigen.\nSchliesslich muss noch beachtet werden, dass sehr langsame Schwebungen keine Rauhigkeit geben, dass diese bei gleicher Intensit\u00e4t der Schwebungen und steigender Zahl ein Maximum erreicht, und dann wieder abnimmt. Um dies auszudr\u00fccken, muss der Werth von s noch mit einem Factor multiplicirt werden, welcher gleich Rull wird, wenn die Zahl der Schwebungen sehr klein ist, welcher bei etwa 30 Schwebungen sein Maximum erreicht, und dann wieder abnimmt, um f\u00fcr unendlich viel Schwebungen wieder gleich Null zu werden. Wir setzen also die Rauhigkeit r, welche vom flten Oberton herr\u00fchrt:\n4 d2 d2 a2\n\u2014 (d2 + ct2 d2)2 V\nDer Factor von s erreicht den Maximalwerth 1, wenn ad' = d, wird 0, wenn d, welches den halben Abstand der beiden T\u00f6ne in der Scala bezeichnet, gleich 0 oder gleich go wird. Da es gleichg\u00fcltig ist, ob d positiv oder negativ ist, musste der Ausdruck zu einer geraden Function von d gemacht werden. Es ist der einfachste Ausdruck, der den gegebenen Bedingungen gen\u00fcgt, er ist aber nat\u00fcrlich bis zu einem gewissen Grade willk\u00fcrlich.\nF\u00fcr d ist die halbe Breite desjenigen Intervalls zu setzen, welches in der H\u00f6he des tieferen Grundtones 30 Schwebungen in der Secunde giebt.\nDa wir e' mit 264 Schwingungen als Grundton genommen haben , ist 15\ngesetzt worden d = \u2014. Es wird also schliesslich :\n264\nr -i\u00dfiSB\t^2J2\u00b02\n\u201c\t1\t2 (jS2 + 4 7\u00ce2 d2) (d2 -f a2 d2) \u2019\nNach dieser Formel sind nun in den Diagrammen Fig. 52 A und B, Seite 292, die Rauhigkeiten der Intervalle berechnet worden, welche von den einzelnen Obert\u00f6nen herr\u00fchren, und einzeln \u00fcber einander in die Zeichnung eingetragen.\nWenn auch die Genauigkeit der Theorie noch manches zu w\u00fcnschen \u00fcbrig l\u00e4sst, so leistet dieselbe doch soviel, zu zeigen, dass die von uns aufgestellte theoretische Ansicht eine solche Vertheilung der Dissonanzen und Consonanzen, wie sie in der Natur vorkommt, wirklich erkl\u00e4ren kann.","page":594},{"file":"p0595.txt","language":"de","ocr_de":"Beilage XII. Zu Seite 30.0.\t595\nBeilage XII.\nSchwebungen der Combinationst\u00f6ne.\nZu Seite 300.\nEs seien a,b,e, d, e,f, g, h ganze Zahlen. Die Sehwingungszahlen zweier zugleich angegebener Kl\u00e4nge seien an und bn -j- cf, wo cf als sehr klein gegen n vorausgesetzt wird, und a und b die kleinsten ganzen Zahlen sind, in denen das Yerh\u00e4ltniss a:b ausgedr\u00fcckt werden kann. Die Schwingungszahlen je zweier Obert\u00f6ne dieser Kl\u00e4nge werden sein:\nacn und b dn + dcf.\nDiese werden mit einander Schwebungen geben, deren Anzahl \u00e4 \u00e2 ist, wenn:\noder\nac \u2014 b d a _ d b c\nDa das Verh\u00e4ltniss \u2014 in kleinsten Zahlen ausgedr\u00fcckt sein soll, werden d und c keine kleineren Werthe haben k\u00f6nnen, als:\nd = a c = b,\ndie \u00fcbrigen Werthe sind:\nd = h a c = hb.\nNun bedeuteten c und d die Ordnungszahlen der Theilt\u00f6ne, welche Schwebungen mit einander geben ; die niedrigsten Theilt\u00f6ne dieser Art werden also sein der 6te Ton des Klanges an, und der ate Ton des Klanges (bn -j- cf). Die Zahl der. Schwebungen, welche diese beiden geben, ist ad.\nEbenso geben der 2bte Theilton des ersten und der 2cite des zweiten Klanges 2\u00abcf Schwebungen u. s. w.\nDie beiden Obert\u00f6ne\nacn und b dn -f- d cf geben den Combinationston (ersten Differenzton)\n\u00b1 [(& d \u2014 a c) n -f- d cf)\nwobei das Vorzeichen so zu w\u00e4hlen ist, dass der Werth des ganzen Ausdrucks positiv wird.\nZwei andere Obert\u00f6ne (fan) und (g b n + gd) geben den Combinationston\n\u00b1[(gb \u2014 af) n -\\- g d).\nBeide zusammenklingend werden (g + d) cf Schwebungen geben, wenn\nb\u00e4 \u2014 ac = \u00b1[gb \u2014 af]\n,\ta\td +\noder\t-r \u2014 ---\no\n\u00c4\nf + e\"\nWie vorher folgt, dass der kleinste Werth von g + d \u2014 a ist, die \u00fcbrigen gr\u00f6sseren = ha, also die kleinste Anzahl der Schwebungen a cf.\nUm die niedrigsten Werthe der Obert\u00f6ne zu finden, welche vorhanden sein m\u00fcssen, um mit H\u00fclfe der ersten Differenzt\u00f6ne Schwebungen zu geben, w\u00e4hlen wir f\u00fcr c und d das untere Zeichen, wir erhalten dann;","page":595},{"file":"p0596.txt","language":"de","ocr_de":"596\nBeilage XIT. Zu Seite 300.\n\u201e _ -j\to>\t-,\tct-f-l\ta \u2014 1\ng \u2014\td\t=\t\u2014\toder\tg\t=\t\u2014-\u2014\tund\td\t=\t\u2014-\u2014\n/*\t\u00f6i-\tb \u2014j\u2014 1 n\tb \u2014 1\n/ =\te\t=\t-\toder\t/\t=\t-\tund\tc\t=\t\u2014-\u2014\nje nachdem a und 6 gerade oder ungerade Zahlen sind. Ist 6 die gr\u00f6ssere\nZahl, so ist\tdie gr\u00f6sste Anzahl von Theilt\u00f6nen, welche jeder Klang\nhaben muss, um die Schwebungen des Intervalls zu geben, w\u00e4hrend ohne Ber\u00fccksichtigung der Combinationst\u00f6ne beinahe die doppelte Anzahl, n\u00e4mlich 6, n\u00f6thig ist.\nWenn einfache T\u00f6ne Zusammenkommen, r\u00fchren die Schwebungen von den Combinationst\u00f6nen h\u00f6herer Ordnung her. Der allgemeine Ausdruck f\u00fcr einen Differenzton h\u00f6herer Ordnung zweier T\u00f6ne von den Schwingungszahlen n und m ist + [an\u2014 6m], und zwar ist dieser Ton-dann von der (a + 6 \u2014 l)sten Ordnung. Die Schwingungszahl eines CombinationBtones (c 4' \u00e4 \u2014 l)ter Ordnung der T\u00f6ne an und [bn 4\" d'] sei:\ni [6 d \u2014 c a 4- d d'J und eines anderen von (/ 4\" 9 \u2014 l)ter Ordnung:\n, ^\t_\t\u00b1 la'b - /\u00ab + g A\nbeide geben (g + d) \u00e4 Schwebungen, wenn\nb\u00e4 \u2014 ac = + [b g \u2014 \u00ab/] oder \u00ab _ ff + d b f + c'\nDie niedrigste Anzahl der Schwebungen ist also wieder \u00abd, die niedrigsten Werthe von c,d,f,g finden sich wie im vorigen Falle, so dass die Ordnungszahlen der Combinationst\u00f6ne nicht gr\u00f6sser zu werden brauchen als\n\u00ab + 6 \u2014 2\t, ,\t.... \u00ab4-6 \u2014 1\n----\u00f6----, wenn \u00ab und 6 ungerade sind, oder \u2014i\u2014\u2014--, wenn eines von\nihnen gerade ist.\nUeber die Entstehungsweise der Combinationst\u00f6ne will ich hier zu dem im siebenten Abschnitte Bemerkten noch Folgendes hinzuf\u00fcgen:\nCombinationst\u00f6ne m\u00fcssen erstens entstehen \u00fcberall, wo die Entfernung der schwingenden Theile aus ihrer Gleichgewichtslage so gross wird, dass die Kraft, welche sie zur\u00fcckzuf\u00fchren strebt, nicht mehr einfach jener Entfernung proportional ist. Die mathematische Theorie dieses Falles f\u00fcr einen schwingenden Massenpunkt habe ich in Poggd. Ann. Bd. XCIX, S. 497 gegeben. Dasselbe ist der Fall f\u00fcr Luftschwingungen von endlicher Gr\u00f6sse ; die Grundz\u00fcge der Theorie sind angegeben in meinem Aufsatze \u00fcber Theorie der Luftschwingungen in R\u00f6hren mit offenen Enden, Crelle\u2019s Journal f\u00fcr Mathematik, Bd. LVII, S. 14. Ich will hier aber noch auf einen dritten Fall aufmerksam machen, wo Combinationst\u00f6ne auch bei unendlich kleinen Schwingungen entstehen k\u00f6nnen, was oben S. 233 und 234 schon erw\u00e4hnt ist. Es ist das der Fall der Sirenen und der Physharmonika. \"Wir haben hier Oeffnungen, deren Weite periodisch wechselt, und auf der einen Seite Luft unter gr\u00f6sserem Druck als auf der anderen. Da es sich hier immer nur um sehr kleine Druckunterschiede handelt, werden wir annehmen d\u00fcrfen, dass die Masse q der entweichenden Luft proportional sei der Gr\u00f6sse der Oeffnung tu und dem Druckunterschiede p, also\ng = c <up,","page":596},{"file":"p0597.txt","language":"de","ocr_de":"Beilage XII. Zu jSeite 300.\t597\nwo c eine Constante. Setzen wir nun f\u00fcr o> die einfachste periodische Function, welche einen wechselnden Schluss und Oeffnung ausdr\u00fcckt, n\u00e4mlich: u) \u2014 A [1 \u2014 sin 2 7int]\nund setzen p als constant, indem wir annehmen, dass o> so klein und der Luftzufluss so reichlich sei, dass der periodische Verlust durch die Oeffnung den Druck nicht wesentlich \u00e4ndert, so wird q von der Form q \u2014 B [1 \u2014 sin 2 n n f]\nB \u2014 cAp.\nDann wird auch die Geschwindigkeit der Schallbewegung an einer beliebigen Stelle des Luftraumes von \u00e4hnlicher Form sein m\u00fcssen, so dass nur ein Ton von der Schwingungszahl n entsteht. Wenn nun aber eine zweite gr\u00f6ssere Oeffnung von wechselnder Weite vorhanden ist, durch welche ein hinreichender Verlust an Luft stattfindet, dass der Druck p selbst nicht mehr constant ist, sondern periodisch wechselt, in dem Maasse als durch die andere Oeffnung Luft ausfliesst, also von der Form ist:\np = P [1 \u2014 sin 2 n ni t],\nso wird q werden:\nq = c A P [1 \u2014 sin 2 n nt] [1 \u2014 sin 2n mf]\n= c A P [1 \u2014 sin 2n nt \u2014 sin in mt \u2014 */2 cos in (m -{\u25a0 n)t -f- y2 cos 2 n (m \u2014 n) t] ;\nes werden also ausser den prim\u00e4ren T\u00f6nen n und m auch noch die T\u00f6ne m n und m \u2014 n, d. h. die beiden Combinationst\u00f6ne erster Ordnung existiren.\nffln Wirklichkeit werden nun die Gleichungen immer viel complicirter werden, als ich sie hier hingestellt habe, um den Vorgang in seiner einfachsten Gestalt darzustellen. Es wird der Ton n ebenso gut Einfluss auf den Druck p haben wie m, ja sogar die Combinationst\u00f6ne werden p ver\u00e4ndern, endlich wird meistens die Gr\u00f6sse der Oeffnung nicht durch eine so einfache periodische Function, wie wir f\u00fcr tu angenommen haben, ausgedr\u00fcckt werden k\u00f6nnen. Dadurch muss denn bewirkt werden, dass ausser den T\u00f6nen m, n, m - n, m \u2014 n auch ihre Obert\u00f6ne und die Combinationst\u00f6ne ihrer Obert\u00f6ne zum Vorschein kommen , wie es bei den Versuchen auch beobachtet werden kann. Die vollst\u00e4ndige Theorie eines solchen Falles wird ausserordentlich complicirt, es m\u00f6ge daher die des genannten einfachen Falles gen\u00fcgen , an dem das Wesen des Vorganges wenigstens klar wird.\nEinen anderen Versuch, dessen Erkl\u00e4rung \u00e4hnlich ist, will ich hier noch erw\u00e4hnen. Der untere Kasten meiner Doppelsirene klingt stark mit, wenn die Gabel\u00ab' vor seine untere Oeffnung gehalten wird, und die L\u00f6cher alle gedeckt sind, nicht aber, wenn die L\u00f6cher einer Reihe offen sind. L\u00e4sst man nun die Sirenenscheibe rotiren, so dass die L\u00f6cher abwechselnd offen und gedeckt sind, so erh\u00e4lt man eine Resonanz der Stimmgabel von periodisch wechselnder St\u00e4rke. Ist n die Schwingungszahl der Gabel, m die Zahl, welche angiebt, wie oft ein einzelnes Loch des Kastens ge\u00f6ffnet wird, so ist die St\u00e4rke der Resonanz eine periodische Function der Zeit, also im einfachsten Falle zu setzen gleich\n1 \u2014 sin 2 n m t.\nDie Schwingungsbewegung der Luft wird also dann von der Form","page":597},{"file":"p0598.txt","language":"de","ocr_de":"598\nBeilage XIII. Zu Seite 489.\n(1 \u2014 sin 2 71 mt) sin 2nnt = sin 2n nt -f- y2 cos 2 n (m -\\- n)t\n\u2014 % cos 2 n (m -j- w) t\nund man h\u00f6rt deshalb ausser dem Tone n auch noch die T\u00f6ne m + n und n m. Dreht sich die Sirenenscheibe langsam, so ist m sehr klein, und die genannten T\u00f6ne sind einander sehr nahe, so dass sie Schwebungen geben. Bei rascher Drehung dagegen trennt sie das Ohr.\nBeilage XIII.\nPlan f\u00fcr rein gestimmte Instrumente mit einem Manual.\nZu Seite 489.\nWenn man eine Orgel* oder Physharmonica mit 24 T\u00f6nen auf die Octave so anordnen will, dass man mit einem Manuale in allen Tonarten rein spielen kann , muss man die T\u00f6ne des Instruments in vier Paare von Gruppen sondern, etwa in folgender Weise:\n1 a)\tF\ta\tCts\tib)\t/\tA\tcis\n2 a)\tG\te\tas\t2b)'\tc\tE\tAs\n3 a)\tG\th\tes\t3 b)\t9\tH\tEs\n4 a)\tD\tfis\tb\t4 b)\td\tFis\tB.\nJede dieser Gruppen muss einen abgesonderten Windcanal vom Blasebalge aus erhalten, und es m\u00fcssen Yentile angebracht werden in der Weise, dass je nach ihrer Stellung der Wind entweder der rechten oder linken Gruppe der einzelnen Horizontalreihen zugeleitet wird. Bei den Orgeln ist dies ohne Schwierigkeit auszuf\u00fchren; bei der Physharmonica w\u00fcrden aber allerdings die Tasten in einer anderen Keihe stehen m\u00fcssen als die Zungen, und es w\u00fcrde, wie an der Orgel, eine complicirtere Uebertragung der Bewegung von der Taste auf die Ventile n\u00f6thig werden.\nEs sind also vier Ventile durch Registerz\u00fcge oder Pedale zu stellen, f\u00fcr jede Tonart anders. Folgendes ist die Uebersicht der Stellungen f\u00fcr die vier Horizontalreihen der oben angegebenen T\u00f6ne:","page":598},{"file":"p0599.txt","language":"de","ocr_de":"Beilage XTTT. Zu Seite 489.\n599\nDurtonarten\tReihe\t\t\t\tMolltonarten\n\t1\t2\t3\t4\t\nCes*\tb\ta\ta\ta\t(es)\nGes*\tb\tb\ta\ta\t(b)\nDes*\tb\tb\tb\ta\t(/)\nAs*\tb\tb\tb\tb\t(c)\nEs*\ta\tb\tb\tb\t(9)\nB*\ta\ta\tb\tb\t(d)\nF\ta\ta\ta\tb\ta\nG\ta\ta\ta\ta\te\nG\tb\ta\ta\ta\th* oder Ces\nD\tb\tb\ta\ta\tfis* oder Ges\nA\tb\tb\tb\ta\tcis * oder Des\nE\tb\tb\tb\tb\tgis* oder As\nII\ta\tb\tb\tb\tdis* oder Es\n\ta\ta\tb\tb\tais* oder B\nDie eingeklammerten Molltonarten haben eine richtige kleine Septime, aber einen zu hohen Leitton; f\u00fcr die f\u00fcnf mit einem Sternchen versehenen Tonarten bleibt die Stellung der Registerz\u00fcge in Dur und Moll dieselbe.\nWird verlangt ein voller Umlauf von Toniken, die ganz reine Dur-und Molltonarten gleichzeitig haben, so m\u00fcssen noch die T\u00f6ne as, es, b, f, c und y von den \u00fcbrigen abgesondert werden, so dass durch Ziehung eines f\u00fcnften besonderen Registerzuges diese vertauscht werden mit den T\u00f6nen Gis, Dis, Ais, Eis, His und Fisis, wobei also 31 T\u00f6ne auf die Octaven kommen w\u00fcrden. Durch Ziehung dieses einen Zuges erhielten wir dann folgendes System von Tonarten:","page":599},{"file":"p0600.txt","language":"de","ocr_de":"600\nBeilage XIII. Zu \u00bbSeite 489.\nDurtonarten\tReihe\t\t\t\tMolltonarten\n\t1\t2\t3\t4\t\nF\ta\ta\ta\tb\tF\nC\ta\ta\ta\ta\tC\nG\tb\ta\ta\ta\tG\nD\tb\tb\ta\ta\tB\nA\tb\tb\tb\ta\tA\nE\tb\tb\tb\tb\tE\nH\ta\tb\tb\tb\tdis\nFis\ta\ta\tb\tb\tais\nGis\ta\ta\ta\tb\teis\nGis\ta\ta\ta\ta\this\nDis\tb\ta\ta\ta\tfi sis\nAis\tb\tb\ta\ta\tcisis\nEis\tb\tb\tb\ta\tgists\nWollte man verlangen, dass nur ein vollst\u00e4ndiger Umlauf von Molltonarten da sei, so w\u00fcrden nicht 31, sondern nur 28 T\u00f6ne f\u00fcr die Octave n\u00f6thig sein, welche f\u00fcr die 12 Molltonarten von a, e, h,fis oder Ges, eis oder Bes, gis oder As, dis oder Es, B, F, C, G und D und f\u00fcr 17 Dur-ton arten von Oes-Dur bis Gis-Dur gen\u00fcgen w\u00fcrden.","page":600}],"identifier":"lit3483","issued":"1863","language":"de","pages":"600","startpages":"600","title":"Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage f\u00fcr die Theorie der Musik","type":"Book"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:04:11.246946+00:00"}