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Zur Theorie der Farbenempfindungen

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{"created":"2022-01-31T15:15:02.111763+00:00","id":"lit35911","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Schjelderup, Harald K.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 51: 19-45","fulltext":[{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"19\nZur Theorie der Farbenempfindungen.\nVon\nHarald K. Schjelderup (Kristiania).\n1. Einleitung.\nZur Aufgabe einer Theorie der Farbenempfindungen kann es nicht geh\u00f6ren, das Entstehen der Farbenempfindungen im eigentlichen Sinne zu erkl\u00e4ren. Sie mufs vielmehr eine bestimmte Korrespondenz, zwischen dem Physischen und Psychischen, voraussetzen, und eine Erkl\u00e4rung dieser Korrespondenz zu geben, liegt aufserhalb des Gebietes der Psychophysiologie. Geb\u00fchrt der Frage \u00fcberhaupt ein berechtigter Platz in der Wissenschaft, so ist sie der Erkenntnistheorie und Metaphysik zuzuweisen.\nBest\u00e4nden einfache, eindeutige Beziehungen zwischen Wellenl\u00e4nge, Reinheit und Intensit\u00e4t der Lichtwellen einerseits und Farbenton, S\u00e4ttigung und Helligkeit der Farbenempfindungen anderseits, so w\u00fcrde daher eine Theorie der Farbenempfindungen \u00fcberhaupt \u00fcberfl\u00fcssig sein. Aber die Sache verh\u00e4lt sich ja keineswegs in dieser Weise. Die Beziehungen zwischen Reiz und Empfindung sind nicht fester und einfacher Art. Es kann z. B. ein und derselbe Farbenton auf die verschiedenste Weise entstehen , so dafs sich durchaus nicht von einem bestimmten Farbenton auf eine bestimmte, ihn erzeugende Wellenl\u00e4nge schliefsen l\u00e4fst. Und umgekehrt ist diejenige Farbenempfindung, die durch die Einwirkung eines und desselben objektiven Lichtes erzeugt wird, eine ganz verschiedene, je nach der Dauer der Einwirkung, den gleichzeitigen und vorhergegangenen Einwirkungen auf die \u00fcbrigen Teile des Sehorganes, je nach dem betroffenen Teil der Netzhaut, ob das betroffene Sehorgan \u201enormal\u201c, ob farbenblind ist usw. usw.\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nHarald K. S chj elder up.\nDie Erfahrung zeigt uns demnach starke und auffallende Abweichungen von bestimmten, eindeutigen Beziehungen zwischen den Reizen und den Farbenempfindungen. Aber die wissenschaftliche Erkenntnis sucht \u00fcberall nach einem einfachen, gesetz-m\u00e4fsigen Zusammenhang. Soll die Psychophysiologie nicht die Grundlage alles wissenschaftlichen Forschens aufgeben, so kann sie in der Korrelation zwischen den physiologischen Vorg\u00e4ngen und den an sie \u201egekn\u00fcpften\u201c psychischen Zust\u00e4nden nichts Unbestimmtes und Zuf\u00e4lliges anerkennen. Einem bestimmten psychophysischen Vorgang mufs eine eindeutig bestimmte Empfindung entsprechen.\nHiermit ist die Aufgabe einer Theorie der Farbenempfindungen gegeben: Sie mufs mit Bezug auf die zwischen den \u00e4ufseren Reizen und den Farbenempfindungen \u201eeingeschobenen\u201c physiologischen Vorg\u00e4ngen derartige Annahmen aufstellen, dafs es erkl\u00e4rlich wird, wie die von bestimmten Reizen ausgel\u00f6sten Empfindungen, je nach den vorhergehenden und den sonstigen gleichzeitigen Reizen, je nach dem betroffenen Teil des Sehorgans usw. modifiziert werden, ohne dafs wir gen\u00f6tigt w\u00e4ren, irgendwelche Zuf\u00e4lligkeiten und Unbestimmtheiten in den Beziehungen zwischen den Farbenempfindungen und den ihnen unmittelbar entsprechenden physiologischen Vorg\u00e4ngen an-zunehmen.\n\u2022 \u2022\nSueben wir nun eine n\u00e4here \u00dcbersicht zu gewinnen \u00fcber die Eigent\u00fcmlichkeiten der Farbenauffassung, die in der angedeuteten Weise einer physiologischen Erkl\u00e4rung bed\u00fcrfen, so l\u00e4fst sich der Stoff am besten in folgende Gruppen ordnen: 1. Die Farbenmischungserscheinungen; 2. die verschiedenen Formen der Farbenblindheit; o. Umstimmungserscheinungen; 4. Kontrasterscheinungen ; 5. das An- und Abklingen der Farbenempfindungen und die damit in Verbindung stehenden Erscheinungen; 6. Erscheinungen des D\u00e4mmerungssehens.\nUnter diesen erlangen insbesondere die verschiedenen Formen der Farbenblindheit grofse Bedeutung f\u00fcr das Verst\u00e4ndnis der Wirkungsweise und Zusammensetzung des Sehorganes. Einer der wichtigsten Pr\u00fcfsteine jeder Theorie der Farbenempfindungen ist es, eine Erkl\u00e4rung der verschiedenen Typen der Farbenblindheit zu geben. Um diesen Punkt werden sich daher die folgenden Erw\u00e4gungen besonders sammeln. \u2014 Was die Erscheinungen des D\u00e4mmerungssehens betrifft, so scheinen sie in","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der Farbenempfindungen.\n21\nden wesentlichsten Punkten durch die von M. Schultze (1866) aufgestellte und sp\u00e4ter besonders von Parinaud und y. Kries weiter entwickelte \u201eDuplizit\u00e4tstheorie\u201c erkl\u00e4rt zu sein. Ich werde daher in der folgenden, allein den \u201eHellapparat\u201c betreffenden Darstellung nur gelegentlich auf diese Gruppe von Erscheinungen zu sprechen kommen.\n2. GescMchtlich-kritische \u00dcbersicht \u00fcber fr\u00fchere Theorien.\nDie beiden Farbentheorien, die bisher im Vordergrund der Diskussion gestanden haben, sind bekanntlich die Young-Helm-HOLTzsche und die HERiNGsche. Von diesen geniefst die Hering-sche das gr\u00f6fsere Ansehen unter den Psychologen und den Ophthalmologen, w\u00e4hrend die Physiologen im allgemeinen der YouNG-HELMHOLTZschen den Vorzug zu geben scheinen.\nDie Grundannahme der YouNG-HELMHOLTZschen Theorie besteht in der Annahme einer dreikomponentigen Zusammensetzung des Sehorganes. Th. Young selbst1 nahm bekanntlich an, dafs das Auge drei verschiedene Arten von Nervenfasern besitze : die Rot-, Gr\u00fcn- und Violettnerven. Diese spezielle anatomische Annahme ist jedoch nicht das Wesentliche der Theorie. Wie Helmholtz, welcher der Theorie ihre weitere Ausgestaltung und Begr\u00fcndung verliehen hat, hervorhebt, liegt das Wesentliche darin, \u201edafs die Farbenempfindungen vorgestellt werden als zusammengesetzt aus drei voneinander vollst\u00e4ndig unabh\u00e4ngigen Vorg\u00e4ngen in der Nervensubstanz. \u2014 Es w\u00fcrde nicht gerade n\u00f6tig sein, verschiedene Nervenfasern f\u00fcr diese verschiedenen Empfindungen anzunehmen. Man w\u00fcrde dieselben Vorteile, welche die Hypothese von Young f\u00fcr die Erkl\u00e4rung bietet, gewinnen, wenn man die Annahme machte, dafs innerhalb jeder einzelnen Faser dreierlei voneinander verschiedene und voneinander unabh\u00e4ngige T\u00e4tigkeiten auftreten k\u00f6nnten\u201c.2\nDie YouNG-HELMHOLTzsche Dreikomponententheorie konnte sich auf eine Reihe bedeutungsvoller Eigent\u00fcmlichkeiten unserer Farbenauffassung berufen, darunter vor allen Dingen auf die Farbenmischungsgesetze. Sie bringt in n\u00e4chstliegender und unmittelbarer Weise die Tatsache zu theoretischem Ausdruck,\n1\tTh. Young, Lectures on Natural Philosophy. London 1807.\n2\tH. y. Helmholtz, Handbuch der Physiologischen Optik. 3. AufL Bd. II. S. 120.","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nHarald K. Schjelderup.\ndafs alle Farben \u2014 abgesehen von der S\u00e4ttigung \u2014 durch die Mischung nur drei homogener Lichter hergestellt werden k\u00f6nnen. \u2014 Dafs aber auch schwerwiegende Einw\u00e4nde gegen die Theorie erhoben werden k\u00f6nnen, ist wohlbekannt:\nErstens scheint ihr eine prinzipielle Schwierigkeit anzuhaften : Die Empfindung von grau (weifs) soll der Theorie nach durch gleichzeitige Erregung der Rot-, Gr\u00fcn- und Violett-(Blau-) Komponente entstehen. Ein solches Entstehen der Weifsempfindung scheint jedoch ganz unverst\u00e4ndlich zu sein. Man sollte das Entstehen einer Rot-Gr\u00fcn-Blau-Empfindung erwarten, aber weifs ist qualitativ weder rot noch gr\u00fcn noch blau verwandt. Und ebenso sollte man durch gleichzeitige Erregung der Rot- und Gr\u00fcnkomponente das Entstehen einer Rot-Gr\u00fcnempfindung in \u00e4hnlicher Weise erwarten, wie die gleichzeitige Erregung der Gr\u00fcn- oder Blaukomponente gr\u00fcn-blaue Farbent\u00f6ne, die sowohl an gr\u00fcn wie blau \u201eerinnern\u201c, ergibt. Aber gelb \u201eerinnert\u201c weder an rot noch gr\u00fcn.\nAuf diese Schwierigkeit haben die Gegner der Young-HELMHOLTzsehen Theorie starkes Gewicht gelegt. \u201eThe main objection to the theory of Thomas Young\u201c \u2014 sagt Mrs. Ladd-Franklin1 \u2014 \u201ean objection which is insuperable, and which lies upon the threshold, is that it takes no account of the fact, patent to the most cursory observation, that, while a mixture of the causes of red, green and blue is sufficient to occasion the sensation grey, grey is nevertheless not a red-green-blue sensation\u201c. \u2014 Und dieselbe Schwierigkeit wird es wohl auch sein, die G. E. M\u00fcller zu der Erkl\u00e4rung veranlafst hat, dafs die YouNG-HELMHOLTzsche Theorie wegen ihrer groben Widerspr\u00fcche zu den psychophysischen Axiomen \u00fcberhaupt nicht in Betracht komme.2\nGegen diese Betrachtungsweise hat nun allerdings v. Kries geltend gemacht3, \u201edafs Helmholtz, wenn er einen Aufbau des Sehorgans aus drei Bestandteilen annehme, damit nicht eine Zusammensetzung der Empfindung aus drei Elementen (\u00e4hnlich den drei T\u00f6nen in einem Dreiklang) behaupten wollte. Er war\n1\tCh. Ladd - Franklin, \u201eVision^, Baldwins Dictionary of Philos, and Psychol. Vol. II, p. 784. 1902.\n2\tG. E. M\u00fcller, Zeitschr. f. Psychol. Bd. X. S. 325.\n3\tJ. y. Kries, Helmholtz\u2019 Handbuch d. Physiologischen Optik. 3. Aufl. Bd. II. S. 358.","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der Farhenempfindungen.\n23\nvielmehr der Meinung, dafs trotz einer Zusammensetzung des physiologischen Prozesses aus drei unabh\u00e4ngigen Bestandteilen, die Empfindung sehr wohl etwas vollkommen Einheitliches sein k\u00f6nne, was irgendeine Zerlegung in psychologische Elemente nicht gestatte\u201c. Empfindungen von komplizierter physiologischer Grundlage k\u00f6nnen unter Umst\u00e4nden den Eindruck von etwas v\u00f6llig Einheitlichem und typisch Festgelegtem erhalten. Dafs diese Auffassung die Schwierigkeit ganz beseitige, l\u00e4fst sich aber kaum behaupten. Denn von einer rein empirischen Betrachtung aus stehen z. B. die blau-gr\u00fcnen Farbent\u00f6ne in einem anderen Verh\u00e4ltnis zu blau und gr\u00fcn als gelb zu rot und gr\u00fcn steht, oder weifs zu rot, gr\u00fcn und blau. Es mufs deshalb den \u201eMischfarben\u201c ein empirisch bestehender Charakterunterschied zuerkannt werden, je nachdem sich von der Mischfarbe sagen l\u00e4fst, sie \u201eerinnere\u201c an die Komponenten oder nicht. F\u00fcr diesen Unterschied hat die YouNG-HELMHOLTZsche Theorie gar keine Erkl\u00e4rung.\nDemn\u00e4chst lassen sich noch eine Reihe spezieller Einw\u00e4nde von grofser Bedeutung gegen die Theorie erheben. Sie steht bez\u00fcglich mehrerer Punkte in Streit zu den Erfahrungstatsachen :\nVor allen Dingen m\u00fcssen hier die verschiedenen Formen der Farbenblindheit erw\u00e4hnt werden. Gewifs haben die neueren Untersuchungen dargetan, dafs es sich bei der fr\u00fcher sog. Rotblindheit und Gr\u00fcnblindheit in Wirklichkeit um zwei typisch verschiedene dichromatische Farbensysteme handelt, die beide Reduktionsformen des normalen trichromatischen Systems sind. Insofern k\u00f6nnte die HELMHOLTZsche Annahme \u2014 dafs es sich in den beiden F\u00e4llen um den Ausfall bzw. der Rotkomponente und Gr\u00fcnkomponente handele \u2014 durchaus best\u00e4tigt erscheinen.1 Die Schwierigkeiten melden sich jedoch, sobald man die Frage nach den Qualit\u00e4ten der Empfindungen, welche die Dichromaten haben, aufwirft. Gem\u00e4fs der HELMHOLTZschen Theorie liefse sich ja erwarten, dafs die Farbenqualit\u00e4ten des Protanopen auf violett, gr\u00fcn und ihre Mischung blau beschr\u00e4nkt seien, die des Deuteranopen auf rot, violett und purpur.2 Die Verh\u00e4ltnisse beim D\u00e4mmerungssehen und die beobachteten F\u00e4lle\n1\tVgl. besonders A. K\u00f6nig und Dieterici, \u201eDie Grundempfindungen\nin normalen und anomalen Farbensystemen.\u201c Zeitschr. f. Psychol. Bd. 4, S. 241 ff. 1893; J. v. Kries, \u201e\u00dcber Farbensysteme.\u201c a. a. 0. Bd. 13.\t1897.\n2\tVgl. H. v. Helmholtz, Handbuch der Physiologischen Optik. 3. Aufl. Bd. II. S. 126.","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nHarald K. Schjelderup.\nvon erworbener und einseitiger Farbenblindheit, machen es aber h\u00f6chstwahrscheinlich, dafs der Dichromat weifs in gleicher Weise wie der Normale sieht, und dafs seine \u00fcbrigen Farbenqualit\u00e4ten gelb und blau sind. (\u00dcber Abweichungen hiervon mit Bezug auf die Protanopen vgl. weiter unten.) \u2014 Allerdings hat v. Kries-betont, dafs man, auf Grundlage der Dreikomponententheorie keine berechtigten Schlufsfolgerungen bez\u00fcglich der Farbenqualit\u00e4ten der Dichromaten machen k\u00f6nne: \u201eDenn es versteht sich nicht von selbst, dafs das F eh len einer Komponente ebenso-wirken m\u00fcsse, wie ihre Nichterregung.\u201c 1 Aber in dem Falle hefse sich wohl eher erwarten, dafs die Farbenqualit\u00e4ten der Dichromaten ganz verschieden seien von denen der normalen Trichromaten. Dafs es gerade die Qualit\u00e4ten sind, die auch der Normale sieht, weifs, gelb und blau, bleibt ganz unerkl\u00e4rt.\nUnd selbst wenn man versuchen wollte, die angedeutete Schwierigkeit mit der Bemerkung abzufertigen, dafs man \u00fcberhaupt niemals zu einem sicheren Wissen \u00fcber die Farben-qualit\u00e4ten anderer Menschen kommen k\u00f6nne, so melden sich die Schwierigkeiten von neuem und aufdringlicher, wenn die Erkl\u00e4rung der Farbenblindheit der exzentrischen Netzhautteile gegeben werden soll. Der YouNGschen Theorie gem\u00e4fs hat die totale Farbenblindheit ihre Ursache in der Funktionsunt\u00fcchtigkeit oder dem Ausfall von zwei der drei Arten Nervenfasern. Helmholtz \u00fcbertrug diese Auffassung auch auf die periphere Farbenblindheit des normalen Auges; diese solle auf dem Ausfall der Kot- und Violettnervenfasern beruhen. Dafs diese Erkl\u00e4rung nicht Stich hielt, mufsten aber selbst eifrige Anh\u00e4nger der HELMHOLTzschen Theorie bald zugeben. Mit Recht machten die Gegner de:- Theorie geltend, dafs weifse oder farbige, peripher gesehene Objekte durchaus nicht gr\u00fcn, sondern farblos erscheinen, und dafs bei erworbener Farbenblindheit alles nicht etwa gr\u00fcn, sondern farblos gesehen werde.\nWeitere Schwierigkeiten der Young-H er.MHOLTzschen Theorie stellen sich bei der Erkl\u00e4rung der Umstimmungserscheinungen ein. Es sei z. B. folgender, von Hering beschriebener Versuch genannt, der durchaus im Widerspruch steht zu der HELMHOLTzschen Erkl\u00e4rung der Umstimmung als einer Erm\u00fcdungserscheinung: Steht man in hellem Licht vor einem.\nJ. y. Kries, Nagels Handbuch der Physiol. Bd. III. S. 165.","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der Farbenempfindungen.\n2fr\nFenster und fixiert eine Weile ein farbiges Objekt, z. B. rot, so gen\u00fcgt es, die Gardine herabzuziehen oder in einen dunkleren Teil des Zimmers zu gehen, um die rote Farbe ins Blau-Gr\u00fcne \u00fcbergehen zu sehen. \u2014 Und eine vielleicht noch gr\u00f6fsere Schwierigkeit tritt in einem Umstand hervor, auf den schon Helmholtz selbst hingewiesen hat1, dafs n\u00e4mlich auch spektrale Farben eine starke S\u00e4ttigungszunahme erfahren, wenn die Netzhaut zuvor mit der Komplement\u00e4r f\u00e4rbe erm\u00fcdet wird. Auch hier hat es sich gezeigt, dafs die HELMHOLTzsche Erkl\u00e4rung nicht stichhaltig ist.2 3\nDie urspr\u00fcngliche YouxG-HELMHOLTzsche Theorie widerspricht also einer Reihe von Erfahrungstatsachen. Es kann mithin kein Zweifel dar\u00fcber walten, dafs dieselbe, falls sie \u00fcberhaupt auf der jetzigen Stufe unseres Wissens in Betracht kommen soll, einer Modifikation bedarf. \u2014 Von Versuchen in dieser Richtung liegen auch schon eine ganze Reihe vor.\nWas zun\u00e4chst die Notwendigkeit einer Umformung oder einer Erg\u00e4nzung der HELMHOLTzschen Theorie offenbarte, war die Unzul\u00e4nglichkeit in der Erkl\u00e4rung der Farbenblindheit der exzentrischen Netzhautteile. Unabh\u00e4ngig voneinander suchten 1873 Th. Leber 3 und A. Fick4 dieser Schwierigkeit durch die Annahme beizukommen, dafs die Valenzkurven der drei Komponenten sich allm\u00e4hlich \u00e4ndern und einander n\u00e4hern, wenn man von der Mitte der Netzhaut der Peripherie zugeht. Die exzentrische Rot-Gr\u00fcnblindheit sollte auf einem Zusammenfallen der Rot- und Gr\u00fcn valenzkurven beruhen, die totale Farbenblindheit auf einem Zusammenfallen aller drei Valenzkurven. Dafs die Hypothese \u2014 zum mindesten in dieser Form \u2014 befriedigend w\u00e4re, kann man aber nicht sauen ; daf\u00fcr tr\u00e4gt sie zu sehr das Gepr\u00e4ge einer Nothypothese, einer ganz willk\u00fcrlichen Annahme, der eine chemisch-physikalische Deutung zu geben, nicht einmal der Versuch gemacht ist. In sehr scharfer Weise hat G. E. M\u00fcller\n1\tH. v. Helmholtz, Physiol. Optik. 3. Aufl. Bd. II. S. 207.\n2\tJ. v. Kries, Nagels Handbuch. Bd. III. S. 220.\n3\tTh. Leber, Uber die Theorie der Farbenblindheit. Sitzungsbericht der Ophthalm. Gesellschaft. Heidelberg 1873. Klin. Monatsbl. f. Augenheilkunde. Bd. XI. S. 467. 1873.\n4\tA. Fick, Verhandl. d. physikal.-med. Gesellschaft zu W\u00fcrzburg. N. F. Bd. V. 1873. Vgl. Pfl\u00fcgers Archiv. Bd. 47. S. 274 ; Bd. 64. S. 313.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nHarald K. Schjelderup.\nin seiner Abhandlung \u201eZur Psychophysik der Gesichtsempfin-dungen\u201c diese Schw\u00e4che hervorgehoben.1\nFerner st\u00f6fst der Versuch, die periphere Farbenblindheit durch Ab\u00e4nderungen der Valenzkurven zu erkl\u00e4ren, noch auf die Schwierigkeit, dafs man durch Ver\u00e4nderungen der Valenzkurven im allgemeinen nicht erwarten sollte, Farbensysteme zu erhalten, die als Reduktionsformen des Normalen betrachtet werden k\u00f6nnen. Ebenso wie bei den anomalen tri chromatischen Systemen sollte man auf der Grundlage des allgemeinen Gedankens einer Ab\u00e4nderung der Valenzkurven erwarten, auch mit Bezug auf die exzentrischen Netzhautteile Abweichungen bez\u00fcglich der RAYLEiGH-Gleichung zu finden. Dergleichen Abweichungen sind aber nicht festgestellt worden. Im Gegenteil, wir k\u00f6nnen auf der Grundlage der vorgenommenen Untersuchungen davon ausgehen, dafs die zentral g\u00fcltigen Farbengleichungen (abgesehen vom Einflufs des Macula-Pigmentes) auch f\u00fcr die Peripherie zutreffen.\nNur durch ganz spezielle Ausgestaltung der Ficxschen und LEBERschen Hypothese lassen sich diese Schwierigkeiten beseitigen.\n\u25a0\u2014 Einen solchen Versuch hat Ebbinghaus gemacht2, ohne \u00fcbrigens selbst befriedigt davon zu sein. Ihm zufolge sollten die verschiedenen Valenzkurven der drei Komponenten auf verschiedenen Sensibilisatoren beruhen. Haben die Rot-, Gr\u00fcn-und Violettkomponenten drei verschiedene Sensibilisatoren, erhalten wir ein trichromatisches Farbensystem. Fehlt aber einer der Sensibilisatoren, wird das System dichromatisch. Die Gr\u00fcnblindheit (Deuteranopie) w\u00fcrde z. B. darauf beruhen, dafs sowohl die Rot-wie die Gr\u00fcnkomponente mit dem Rotsensibilisator versehen w\u00e4re, w\u00e4hrend umgekehrt bei Rotblindheit (Protanopie) der Rot-\n1\tG. E. M\u00fcller, Zeitschr. f. Psychol Bd. XIV. S. 193: \u201eAuf jeden Fall wird es nachgerade Zeit, dafs man dazu \u00fcbergehe, diejenigen Tatsachen der Psychophysik der Gesichtsempfindungen, welche auf physikalischchemischem Wege zu erkl\u00e4ren sind, auf solchem Wege zu erkl\u00e4ren, statt z. B. der Einbildung zu leben, dafs es eine wissenschaftliche Erkl\u00e4rung sei, wenn man die Rotgr\u00fcnblindheit auf ein Zusammenfallen der spektralen Kurven der Rot- und der Gr\u00fcnvalenz zur\u00fcckf\u00fchre, ohne auch nur die Spur eines Bed\u00fcrfnisses erkennen zu lassen, das v\u00f6llige Zusammenfallen dieser Kurven physikalisch-chemisch begreiflich zu machen. Ein Versuch zu letzterem d\u00fcrfte freilich auch nie gelingen.\u201c\n2\tH. Ebbinghaus, \u201eTheorie des Farbensehens.\u201c S. 150ff. Zeitschr. f. Psychologie. Bd. 5. 1893.","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der Farbenempfindungen.\n27\nSensibilisator fehlte und sowohl die Rot- wie die Gr\u00fcnkomponente mit dem Gr\u00fcnsensibilisator versehen w\u00e4re. \u2014 Da indes schon Ebbinghaus selbst1 auf verschiedene, mit diesem Erkl\u00e4rungsversuch verbundene Schwierigkeiten hingewiesen hat, werde ich nicht erst n\u00e4her darauf eingehen.\nDer von Ebbinghaus angedeuteten Theorie sehr nahe steht diejenige, welche F. Schenck 2, ebenfalls in Anlehnung an Fick entwickelt hat. Aber auch die ScHENCKsche Theorie befriedigt nicht. Sie operiert erstens mit so vielen Variabein, dafs es kein Beweis f\u00fcr die Theorie ist, wenn man mit ihrer Hilfe den Anomalien des Farbensehens gerecht werden kann. Die Theorie gibt Raum f\u00fcr sehr viele M\u00f6glichkeiten, aber nur einige der theoretisch zu erwartenden Formen sind wirklich zur Beobachtung gekommen. Und zweitens bietet die ScHENCKsche Theorie keine L\u00f6sung der Schwierigkeiten, die \u00bbbei der Erkl\u00e4rung der Umstimmungserscheinungen als Folge der Erm\u00fcdung entstehen.3\nDie ScHENCKsche Theorie st\u00fctzt sich auf bestimmte Vorstellungen \u00fcber die Entwicklung des Sehorganes: Durch Teilung einer urspr\u00fcnglichen Weifssubstanz denkt er sich, dafs zun\u00e4chst eine Gelb- und Blausubstanz gebildet wurde. Bei fortgesetzter Differenzierung spaltete sich die Gelbsubstanz weiter in eine Rotund Gr\u00fcnsubstanz. \u2014 Eine \u00e4hnliche Auffassung war schon fr\u00fcher von Mrs. Ladd-Fkanklin geltend gemacht worden. 4 Die Theorie dieser letzteren, die \u00fcbrigens mit viel zu hypothetischen chemischen Spekulationen arbeitet, trifft aber bei der Erkl\u00e4rung der verschiedenen Typen der Farbenblindheit auf Schwierigkeiten entscheidender Art. \u2014\nW\u00e4hrend sich die YouNG-HELMHOLTZsche Theorie vor allen Dingen auf die Gesetze der Far b en misch ung gr\u00fcndet, nimmt die HEEiNosche Theorie ihren Ausgangspunkt in der psychologischen Analyse der Farbenempfindungen.5\n1\ta. a. O. S. 153 ff.\n2\tF. Schenck, Pfl\u00fcgers Archiv. Bd. 118. 1907 und Zuntz und Loewys Lehrbuch d. Physiol. 2. Aufl. S. 261 ff. 1913.\n3\tVgl. F. Schenck, Zuntz und Loewys Lehrbuch. S. 265 f.\n4\tCh. Ladd-Franklin, Zeitschr. f. Psychol. Bd. 4. 1893; \u201eVision\u201c, Baldwins Dictionary. Vol. II. 1902.\n5\tE. Hering, Zur Lehre vom Lichtsinne. VI. Mitteil. Sitzungsbericht d. Wiener Akademie. Bd. LXX. III. Abt. S. 180. 1874.","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nHarald, K. Schjelderup.\nDiese f\u00fchrt bekanntlich 1 auf sechs, zu drei Paaren sich ordnenden \u201eHauptfarben\u201c oder \u201eUrfarben\u201c: schwarz und weifs, blau und gelb, gr\u00fcn und rot. Indem Hering nun annimmt, dafs die Farbenempfindungen das psychische Korrelat des Stoffwechsels der Sehsubstcinz sind und den Antagonismus der Komplement\u00e4rfarben mit dem physiologischen Gegensatz zwischen Assimilation und Dissimilation in Zusammenhang bringt, kommt er zu der Auffassung, dafs jedem dieser drei Paare ein Dissimilierungs-und Assimilierungsvorgang besonderer Qualit\u00e4t entspreche. Am einfachsten ist es daher, sich die Sehsubstanz \u2014 d. h. das materielle Substrat, an dessen Ver\u00e4nderung oder Bewegung die Farbenempfindungen \u201egekn\u00fcpft\u201c sind \u2014 als eine Mischung drei chemisch verschiedener Substanzen zu denken: einer schwarz-\nweifsen Substanz, einer blau-gelben Substanz und einer rot-gr\u00fcnen Substanz.2\nIndem die HERiNGsche Theorie also allen sechs psychologisch ausgezeichneten \u201eHauptfarben\u201c besondere physiologische Grundvorg\u00e4nge unterlegt, scheint sie in weit befriedigenderer Weise als die YouNG-HELMHOLTzsche Theorie den subjektiven Eigent\u00fcmlichkeiten der Farbenauffassung gerecht zu werden. Eben durch diese Betonung der rein psychologischen Momente ist wohl auch die HERiNGsche Theorie den Psychologen besonders ansprechend geworden, die geneigt sind, in der Young-Helmholtz-schen Theorie nur einen \u201etr\u00fcgerischen Analogieschlufs von der Addition der physikalischen Peize auf die Zusammensetzung der physiolog sehen Reaktion, des psychischen Endeffektes, speziell der Weifsempfindung\u201c* zu sehen. \u2014 Aber auch sonst hat die Theorie aufserordentlich grofse Vorteile. Sie erkl\u00e4rt in einfachster und genehmster Weise eine Reihe f\u00fcr die Farbenauffassung und zwar in Sonderheit f\u00fcr das Sehen mit den exzentrischen Netzhautteilen , die Umstimmung und die negativen Nachbilder charakteristischer Eigent\u00fcmlichkeiten. Hierauf n\u00e4her einzugehen,\n1\tVgl. schon H. Aubert, Physiologie der Netzhaut. 1864 und E. Mach, Wiener Akad. Berichte. Math.-nat. Cl. LII. 2. Abt. 1865. S. 321. \u2014 Die Aufstellung von Rot, Gelb, Gr\u00fcn und Blau als \u201eeinfache Farben\u201c geht \u00fcbrigens schon zur\u00fcck bis auf Leonardo da Vincis \u201eTrattato della Pittura\u201c\n1519 (siehe F. C. Donders, \u00dcber Farbensysteme. Archiv f. Ophthalm. Bd. 27 I. S. 157).\n2\tE. Hering a. a. O. S. 181.\nA. Tschermak, zit. nach C. v. Hess, \u201eGesichtssinn\u201c. Handw\u00f6rterbuch d. Naturwiss. Bd. 4. S. 1058. 1913.","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie her Farbenempfindungen.\n29\nist jedoch \u00fcberfl\u00fcssig; es w\u00fcrde dies nur eine Wiederholung dessen sein, was in jedem gr\u00f6fseren modernen Lehrbuch der Physiologie und Psychologie zu finden ist.\nEbenso wie gegen die YouNG-HELMHOLTzsche lassen sich aber auch gegen die HERiNGsche Theorie entscheidende Ein w\u00e4nde erheben :\nVor allen Dingen mufs der Umstand hervorgehoben werden, dafs die Theorie keine Erkl\u00e4rung des Unterschiedes zwischen den beiden Arten der \u201eRot-Gr\u00fcnblindheit\u201c (Deuteranopie und Protanopie, v. Kries) gibt. Hering meinte anf\u00e4nglich, der Unterschied zwischen den beiden Typen liefse sich auf physikalische Verh\u00e4ltnisse (Absorption des Lichtes im Macula-Pigment) zur\u00fcckf\u00fchren. Dafs de se Erkl\u00e4rung aber nicht stichhaltig ist, haben die sp\u00e4teren Untersuchungen bewiesen1.\nUnd auch bei anderen Formen der Farbenblindheit st\u00f6fst die HERiNGsche Theorie auf Schwierigkeiten. So k\u00f6nnen z. \u00df. die von K\u00f6nig 2 * beschriebenen F\u00e4lle erworbener \u201eBlau-Blindheit\u201c von der Hering sehen Theorie aus n cht durch den Ausfall der Gelb-Blausubstanz erkl\u00e4rt werden. Die beiden zur\u00fcckgebliebenen Farben waren n\u00e4mlich kein \u201ereines\u201c rot und \u201ereines\u201c gr\u00fcn (urrot und urgr\u00fcn), sondern ein der HERiNGschen Auffassung gem\u00e4fs gelbliches rot und ein mehr oder weniger bl\u00e4uliches gr\u00fcn.\n\u2014\tFerner: In dem einzigen bekannten, von Hippel 3 und von Holmgren4 beschriebenen Fall einseitiger Protanopie, waren die Farben (neben grau) auf ein etwas gr\u00fcnliches gelb und ein etwas r\u00f6tliches blau beschr\u00e4nkt, nicht wie man nach der HERiNGschen Theorie erwarten sollte, auf \u201eUrgelb\u201c und \u201eUrblau\u201c.\n\u2014\tOhne Erkl\u00e4rung steht die Theorie schliefslich auch vor den F\u00e4llen von Farbenblindheit, wo nur eine (oder auch drei) \u201eHauptfarben\u201c ausfallen5, oder vor einem wie von Kirschmann\n1\tF. C. Donders, Archiv f. Anatomie u. Physiologie. 1884; v. Kries, Zen-tralbl. f. Physiologie. Bd. l\u00fc. 1896.\n2\tA. K\u00f6nig, Sitzungsbericht d. preufs. Akademie d. Wissenschaften zu Berlin. Bd. XXXIV. 1897.\ns A. v. Hippel, Archiv f. Ophthalm. Bd. 18. 1880.\n4\tF. Holmgren, Zentralbl. f. d. med. Wissenschaften 1880. S. 916.\n5\tsiehe F. Schumann, \u201eEin ungew\u00f6hnlicher Fall von Farbenblindheit.\u201c Bericht \u00fcber den I. Kongrefs f. experim. Psychologie. S. 10ff. 1904, und C. E. Ferree and G. Rand, \u201eSome Areas of Colour Blindness of an Unusual Type in the Peripheral Retina. Journal of Exp. Psychol. Vol. II. 1917. S. 295 ff.","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\ni\n1\nI\nHarald K. Schjelderup.\nbeschriebenen Falle1, wo die Farben des Spektrums (neben grau) auf das spektrale (gelbliche) Rot und das spektrale Blau,\ndie sich wie Komplement\u00e4rfarben zueinander verhielten, be-schr\u00e4nkt war.\nWeiter hat die HE\u00dfiNGsche Theorie mit Schwierigkeiten bei der Erkl\u00e4rung der Umstimmungserscheinungen zu tun. Allerdings wird einer ganzen Reihe dieser Erscheinungen durch die HERiNosche Theorie eine aufs er ordentlich einfache und einleuchtende Erkl\u00e4rung zuteil, andererseits scheint es aber jeder Erfahrung zu widersprechen, dafs die Empfindung sich bei der Anpassung an eine einwirkende Lichtintensit\u00e4t in allen F\u00e4llen \u2014 unabh\u00e4ngig von der Intensit\u00e4t des einwirkenden Lichtes \u2014 auf dasselbe neutrale Grau einstellen sollte.2\nMit Bezug auf eine ganze Reihe von Punkten erweist sich also auch die \u00dcERiNGsche Theorie als unzureichend, auch sie bedarf daher zum wenigsten einer Umgestaltung und Erg\u00e4nzung. Unter den Versuchen dieser Art mufs unzweifelhaft der von G. E. M\u00fcller als der bedeutsamste angesehen werden. Schon m der Abhandlung \u201eZur Psychophysik der Gesichtsempfindungen\u201c 3\n1\tA. Kieschmann, Philos. Studien. Bd. 8. 1892. S. 196ff.\n2\tVgl. y. Kkies, Nagels Handbuch. Bd. III. S. 275. - Eine weitere Schwierigkeit der HEKiNGschen Erkl\u00e4rung der Umstimmung hat v. Kkies gemeint darin zu finden, dafs durch Erm\u00fcdung des Sehorgans mit weifsem Licht auch die Bef\u00e4higung des Auges f\u00fcr die Farbenbestimmungen geschw\u00e4cht wird (vgl. a. a. O., S. 219 und Helmholtz\u2019 Handbuch d. physiol. Optik. \u2022 3. Aufl. Bd. IL S. 367). Sp\u00e4ter haben aber die von Dittlek und Rtciiter gemachten Untersuchungen (Zeitsckr. f. Sinnesphysiol. Bd. 45. 1910) zu entgegengesetzten Ergebnissen gef\u00fchrt. Der Widerspruch zwischen den v. KRiEsschen und WiBTHschen Ergebnissen einerseits und den DiTTLERSchen\nund RiCHTEKschen andererseits ist \u2014 soweit mir bekannt \u2014 nicht aufgekl\u00e4rt worden.\nAuf eine Reihe anderer Schwierigkeiten der urspr\u00fcnglichen Heeing-schen Theorie lasse ich mich hier nicht weiter ein, weil dieselben durch verhaltmsm\u00e4fsig einfache Zus\u00e4tze zur Theorie oder Modifikationen derselben gel\u00f6st werden k\u00f6nnen. So kann ja die HERiNosche Theorie ebensowohl wie die YouNa-HELMHOLTzsche durch die Annahmen der \u201eDuplizit\u00e4tstheorie\u201c erg\u00e4nzt werden, wobei gewisse Schwierigkeiten bei der urspr\u00fcnglichen HEBiNoschen Erkl\u00e4rung der totalen Farbenblindheit und in der Lehre von \u201eder spezifischen Helligkeit der Farben\u201c fortfallen. (Vgl. G. E. M\u00fclleb,\nBd S\"' f mn ionaBd' 14' S' 164 ff' 1897 : K' Gr\u00fcnbrt> *\"**> f- Ophthalm.. Sd3646 1911)\u00b0\u2019 19031 V\u2019 K'EIES\u2019 Helmholiz\u2019 Handbuch. 3. Aufl. Bd. II.\n3\tZeitschr. f. Psychol Bd. 10 und 14.","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der Farbenempfindungen.\nhat M\u00fcller mit grofsem Scharfsinn die \u201eGegenfarbentheorie\u201c so entwickelt, dafs es ihm gl\u00fcckte, eine Reihe der an der urspr\u00fcnglichen Hering sehen Theorie haftenden Schwierigkeiten zu vermeiden. Daf\u00fcr ist allerdings die Theorie sehr kompliziert geworden. Hierzu kommt noch, dafs das Ergebnis sp\u00e4terer Untersuchungen \u00fcber die verschiedene Helligkeitsverteilung im Spektrum f\u00fcr Deuteranopen und Protanopen und die entsprechende Ungleichheit der \u201ePeripheriewerte\u201c keine Erkl\u00e4rung in der M\u00fcLLERschen Theorie, so wie die erw\u00e4hnte Abhandlung sie darstellt, findet.\nAber auch dieser Schwierigkeit kann durch eine Modifikation der Theorie begegnet werden, wobei den chromatischen Netzhautvorg\u00e4ngen auch \u201einnere\u201c Whifs- (bzw. Schwarz-)Werte zugeschrieben werden. Eine nach dieser Richtung hin modifizierte und gleichzeitig vereinfachte Ausgestaltung seiner Theorie hat M\u00fcller in einem auf dem ersten Kongrefs f\u00fcr experimentelle Psychologie in Giefsen 1904 gehaltenen Voitrag. \u201eDie Theoiie der Gegenfarben und die Farbenblindheit\u201c gegeben1.\nWas die M\u00dcLLERsche Theorie insbesonders auszeichnet, ist die scharfe Unterscheidung zwischen den photochemischen Netzhautprozessen und den durch sie erzeugten Sehnervenerregungen und dementsprechend zwischen \u00e4ufseren (Netzhaut-) und inneren (Nerven-)Erregbarkeiten. Der Antagonismus der \u201eGegenfarben\u201c hat der Theorie gem\u00e4fs seinen Grund in den photochemischen Netzhautvorg\u00e4ngen. Hiermit \u00fcbereinstimmend nimmt M\u00fcller an, dafs sich diese letzteren aus drei Paar antagonistischen Prozessen zusammensetzen. Die \u201e\u00e4ufseren Erregbarkeiten k\u00f6nnen daher nur paarweise ausfallen. Hingegen k\u00f6nnen die \u201einneren Erregbarkeiten\u201c einzeln ausfallen2. \u2014 Voraussetzungsweise hat jeder der vier chromatischen Netzhautprozesse drei \u201einnere Reizwerte\u201c : Der photochemische Rotprozefs ruft im Sehnerven nicht nur eine Roterregung, sondern auch eine Gelbund Weifserregung hervor usw.\nAuf Grundlage dieser Annahmen kann nun die M\u00dcLLERsche Theorie in weit vollkommnerem Mafse als die HERiNGsche die verschiedenen Formen der Farbenblindheit erkl\u00e4ren. So kann z. B. der Unterschied zwischen Deuteranopen und Protanopem\n1\tBericht \u00fcber den I. Kongrefs f. experim. Psychol, in Giefsen. S. 6\u201410..\n2\ta. a. O. S. 7.","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"*32\nHarald K. Schj\u00e9lderup.\nin der Weise erkl\u00e4rt werden, dafs bei den Deuteranopen nur die \u201einneren\u201c Rot- und Gr\u00fcnerregbarkeiten ausfallen, w\u00e4hrend bei\nden Protanopen auch die \u201e\u00e4ufseren\u201c Rot- und Gr\u00fcnerregbar-keiten fehlen.1\nAber auch M\u00fcllers Theorie ist nicht einwandfrei. Es kann z. B. die Farbenblindheit der exzentrischen Netzhautteile nicht mehr wie nach der HEEiNoschen Theorie durch den Ausfall zuerst der Rot-Gr\u00fcnsubstanz und sp\u00e4ter der Gelb-Blausubstanz erkl\u00e4rt werden, sondern sie m\u00fcfste nunmehr nur auf dem Ausfall der \u201einneren\u201c Rot- und Gr\u00fcn- und sp\u00e4ter Gelb- und Blauwerte beruhen. Aber da, wie schon hervorgehoben, nach der M\u00dcLLERschen Theorie die allgemeine Regel gilt, dafs die \u201einneren Erregbarkeiten\u201c einzeln ausfallen k\u00f6nnen und nur die \u00e4ufseren notwendigerweise paarweise zusammengeh\u00f6ren, so fehlt uns die Erkl\u00e4rung gerade des beim peripheren Sehen paar weisen Ausfalls von Rot und Gr\u00fcn und von Blau und Gelb.\nHiermit nahe verkn\u00fcpft ist noch eine andere Schwierigkeit der Theorie: \u00dcbereinstimmend mit der Annahme, dafs \u2022 die \u201einneren Erregbarkeiten\u201c einzeln ausfallen k\u00f6nnen \u2014 und diese Annahme ist notwendig, um eine Farbenblindheit des von Sch\u00fcmann beobachteten Typus, wo nur eine Hauptfarbe ausf\u00e4llt, zu erkl\u00e4ren ist die M\u00dcLLERsche Theorie gen\u00f6tigt, die Grundlage des Antagonismus und Kontrastes in den photochemischen NetzhautVorg\u00e4ngen zu suchen. Damit kommt aber die Theorie m Widerstreit zu den Ergebnissen der Untersuchungen \u00fcber die Lokalisation des Simultankontrastes. Schon 1903 kam A. Tschermak auf Grundlage einer Diskussion des damals vorliegenden Materials zu der Schlussfolgerung, dafs der Kontrast weder an das Endglied der Sehbahn gekn\u00fcpft, noch auf ihr Anfangsglied begrenzt sei: \u201eVielmehr sind Kontrast \u00fcnd Komponentenantagonismus pr\u00e4terminal und zwar vorwiegend, aber nicht ausschliefslich in das Gebiet mit Sonderung der beiden Sehorganh\u00e4lften zu lokalisieren\u201c.2 \u2014 Und auch sp\u00e4tere Untersuchungen,\n1\ta. a. O. S. 8. Vgl. \u00fcbrigens auch die klare und \u00fcbersichtliche Darstellung der M\u00fcll machen Farbentheorie und ihre Erkl\u00e4rung der verschiedenen Typen von Farbenblindheit bei J. Fe\u00f6bes, Lehrbuch d. experim\nfoTh01,' Bd' L 1917\u2018 FK\u00d6BES St\u00dctzt sich auch auf Vorlesungen, die M\u00fcller 1903 gehalten hat.\n2\tA. Tschebmak, \u00dcber Kontrast und Irradiation. Ergebnisse der Phv-.Biologie. 2. Bd. II. S. 778.","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der Farbenempfindungen.\n33\nwie die von H. K\u00f6llner 1j H. Hartridge 2 und A. Br\u00fcckner * * 3 \u2014 zeugen entschieden gegen eine Begrenzung von Kontrast und Komponentenantagonismus auf die Netzhaut.\nAuch die M\u00dcLLERsche Farbentheorie kann darum nicht f\u00fcr v\u00f6llig befriedigend angesehen werden. Sie bedarf zum mindesten einer Erg\u00e4nzung und Erweiterung.\nSowohl die Young - HELMHOLTzsche als auch die \u00dcERiNGsche Theorie und die verschiedenartig versuchten Modifikationen derselben erweisen sich also als unzul\u00e4nglich und stofsen auf mehr oder weniger ausschlaggebende Schwierigkeiten.\nAls ein naheliegender Versuch, diese Schwierigkeiten zu beseitigen, solle es wohl erscheinen, die Grundgedanken beider Theorien miteinander zu verbinden. Ein solcher Versuch liegt auch in der schon 1876 von Aubert4 5 angedeuteten und sp\u00e4ter von v. Kries 5 geltend gemachten Zonen-theorie vor. Dieser zufolge sollte die HELMHOi/rzsche Dreikomponententheorie nur den peripheren Teilen des Sehorganes (den Netzhautvorg\u00e4ngen) gelten, w\u00e4hrend der Aufbau der zentralen Teile mehr den Vorstellungen der \u00dcERiNGschen Theorie entsprechend gedacht wird. Eine wirklich durchgef\u00fchrte Theorie hat v. Kries jedoch nicht gegeben (ebensowenig wie Aubert). Seine Darstellung der Zonentheorie beschr\u00e4nkt sich auf ganz allgemeine Erw\u00e4gungen, und scheint weniger eine eigentliche Theorie als der Ausdruck seiner Ansicht zu sein, dafs gegenw\u00e4rtig keine befriedigende Erkl\u00e4rung gegeben werden k\u00f6nne. \u201eMan wird vielfach wohl sagen\u201c \u2014 bemerkt v. Kries selbst6 \u2014 \u201edie hier entwickelte Anschauung sei gar keine Theorie, sondern nur eine zusammenfassende Darstellung der Tatsachen. Dies ist\nH. K\u00f6llner, \u00dcber die Lokalisation des Simultankontrastes innerhalb der Sehbahn. Archiv f. Augenheilk. Bd. LXXX.\nH. Hartridge, Interest as a factor in antagonism and simultaneous contrast. Journ. of Physiol. Vol. L. 1915\u201416.\nA. Br\u00fcckner, Zur Frage der Lokalisation des Kontrastes. Zeitschr /. Augenheilk. Bd. 38. 1917.\n4\tH. Aubert, Physiologische Optik. 1876. Graefe-Saemisch, Handbuch d. ges. Augenheilk. Bd. II. S. 519.\n5\tVgl. insbesondere Nagels Handbuch. Bd. III. S. 269 ff. \u2014 In seinen \u201eZus\u00e4tzen\u201c zur dritten Auflage von Helmholtz\u2019 Physiol. Optik \u00e4ufsert v. Kries sich viel vorsichtiger. Vgl. Bd. II. S. 359.\n6\tNagels Handbuch. Bd. III. S. 280.\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 51.\n3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nHarald K. Schjelderup.\nvollkommen richtig, entspricht aber meines Erachtens durchaus der gegenw\u00e4rtigen Aufgabe.\u201c\nTrotzdem ist aber der allgemeine Grundgedanke der Zonentheorie: die Unterscheidung zwischen verschiedenen Stadien der physiologischen Vorg\u00e4nge im Sehorgan, Stadien, die einander nicht genau zu entsprechen brauchen, ein sehr fruchtbarer. \u2014 Dieser Grundgedanke geh\u00f6rt jedoch nicht eigens der v. Keies-sehen Zonentheorie an, wenn auch die Ehre, ihn in seiner prinzipiellen Bedeutung zuerst erkannt zu haben, v. Keies zuzuschreiben ist.1 Tats\u00e4chlich spielt er in den meisten modernen Farbentheorien eine entscheidende Bolle. So ist er, wie wir schon? gesehen haben, in der Theorie G. E. M\u00fcllees von grundlegender Bedeutung. Und eigentlich stellt sich auch Heeing selbst auf einen gleichen Standpunkt, wenn er betont, dafs seine Theorie-nur den Vorg\u00e4ngen in der eigentlichen Sehsubstanz g\u00e4lte,, und dafs diese scharf von den Empfangsstoffen der Netzhaut unterschieden werden m\u00fcsse.2 Hering hat aber diesen Gedanken nicht weiter gef\u00fchrt und ihn in seinen theoretischen Erkl\u00e4rungen fruchtbar gemacht. \u2014 Eine Andeutung des allgemeinen Grundgedankens der Zonentheorie findet sich \u00fcbrigens schon bei Helmholtz in der ersten Ausgabe seiner \u201ePhysiologischen Optik\u201c, wo unterschieden wird zwischen der Erregbarkeit der die Empfindungsqualit\u00e4t bestimmenden Nervenfasern und derjenigen der als Lichtempf\u00e4nger wirkenden Endorgane (Netzhautzapfen).0 Und dieser selbe Gedanke hat auch grundlegende\nBedeutung in den Theorien Picks, Lebees und Schencks.\n\u2022 \u2022\n\u00dcberhaupt scheint sich die Erkenntnis der Unm\u00f6glichkeit,, alle die beobachteten Tatsachen durch eine einfache, gleichartige\n1\tVgl. schon J. y. Kries, Die Gesichtsempfindungen und ihre Analyse. 1882. S. 161 ff. \u2014 Neben v. Kries sei F. C. Donders genannt; vgl. \u201e\u00dcber Farbensysteme.\u201c Archiv f. Ophthalm. Bd. 27. I. S. 155 ff. 1881.\n2\tVgl. E. Hering, Grundz\u00fcge der Lehre vom Lichtsinne (in Graefe-Saemisch Handbuch d. ges. Augenheilk. 2. Aufl.). S. 112 f. 1907.\nH. Helmholtz, Physiol. Optik. 1. Aufl. S. 848. \u2014 Der Erste \u00fcbrigens,, der das Prinzip der Zonentheorie klar ausgesprochen hat, ist \u2014 soweit ich ersehen kann \u2014 Mach. Schon 1865 schreibt er \u00fcber Weifs: \u201eWenn demselben auch in der Netzhaut mehrere Erregungen entsprechen, der letzte Vorgang in der physiologischen Kette, welcher den einfachen psychischen Prozefs der Empfindung Weifs bedingt, mufs einfach gedacht werden/ wie dieser\u201c. (Sitzungsbericht d. Wiener Akad. Mathemat. Naturw. OL LIL 2. Abt. 1865. S. 321.)","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der JFarbenempfindungen.\n35\nAuffassung des gesamten Sehorgans deuten zu wollen, jedem aufn\u00f6tigen zu m\u00fcssen, der eine \u00dcbersicht \u00fcber die neueren Fortschritte der Psychophysiologie der Farbenempfindungen hat. Die Erfahrungstatsachen selbst \u2014 und zwar vor allen Dingen die pathologischen \u2014 zwingen uns, verschiedene Stadien der physiologischen Vorg\u00e4nge zu unterscheiden, deren jeder wiederum die Entwicklung besonderer theoretischer Vorstellungen verlangt. Erst dann wird eine vollst\u00e4ndige Theorie der Farbenempfindungen zur M\u00f6glichkeit.\nVerh\u00e4lt sich aber die Sache in dieser Weise, so erhebt sich sofort die f\u00fcr die Farbentheorie grundlegende Frage: Wie viele verschiedene Stadien m\u00fcssen unterschieden werden, um zu einer befriedigenden Theorie zu gelangen?\nv. Kries unterscheidet periphere und zentrale Vorg\u00e4nge, G. E. M\u00fcller Netzhautvorg\u00e4nge und Sehnervenerregungen. Beide arbeiten also mit einer Zwei-Stadien-Theorie. Wie wir aber schon gesehen haben, ist es keinem von ihnen gelungen, auf dieser Grundlage eine ganz befriedigend durchgef\u00fchrte Theorie zu schaffen. Der Grund hierf\u00fcr ist, wie ich im n\u00e4chsten Abschnitt zeigen werde \u2014 dafs sie in ihrer Analyse nicht weit genug gehen. Erst wenn man noch einen Schritt weiter macht und drei verschiedene Stadien unterscheidet, k\u00f6nnen die Schwierigkeiten vermieden und eine durchaus befriedigende Theorie entwickelt werden. \u2014 Die Grundz\u00fcge einer solchen Drei-Stadien-Theorie sollen im folgenden dargelegt werden.1\n1 Ich habe gemeint, in der obigen geschichtlichen \u00dcbersicht die Farbentheorie Wundts beiseite lassen zu k\u00f6nnen. Wundts Auffassung gem\u00e4fs\nbesteht \u201edie chromatische Erregung-----in einem multiformen\nphotochemischen Vorgang, der mit der Wellenl\u00e4nge stufenweise ver\u00e4nderlich ist, indem er eine ann\u00e4hernd periodische Funktion derselben darstellt, deren \u00e4ufserste Unterschiede einander \u00e4hnliche Wirkungen hervorbringen, w\u00e4hrend die Wirkungen gewisser zwischenliegender Wellenl\u00e4ngen in der Weise entgegengesetzt sind, dafs sie sich, analog wie entgegengesetzte Phasen einer Schwingungsbewegung, vollst\u00e4ndig kompensieren k\u00f6nnen. Die achromatische Erregung besteht in einem uniformen photochemischen Vorgang, der sich bei wechselnder Wellenl\u00e4nge in seiner Intensit\u00e4t, nicht aber in seiner sonstigen Beschaffenheit \u00e4ndert, und der in seinen Abstufungen \u00fcberall den Ver\u00e4nderungen der Lichtst\u00e4rke parallel geht\u201c. (Physiol. Psychol. 6. Aufl. Bd. II. S. 254. 1910.) \u2014 Ich kann nicht ersehen, dafs eine derartige Auffassung einen Beitrag zu einer wirklichen Erkl\u00e4rung der Eigent\u00fcmlichkeiten der Farbenauffassung liefern k\u00f6nnte. Besonders steht die Theorie den Beziehungen der verschiedenen Farbensysteme aneinander ganz hilflos gegen\u00fcber.\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nHarald K. Schjelderup.\n3. Crrundz\u00fcge einer Drei-Stadien-Theorie. Erkl\u00e4rung der\nFarbenblindheiten.\nDie psychologische Analyse unserer Farbenempfindungen f\u00fchrt \u2014 woran schon oben erinnert \u2014 zu sechs \u201eHauptfarben\u201c, schwarz, weifs, rot, gelb, gr\u00fcn, blau.1 Im Einklang mit den psychophysischen Axiomen2 m\u00fcssen wir annehmen, dafs die psychologisch ausgezeichnete Stellung dieser sechs Hauptfarben ihre Grundlage in den entsprechenden physiologischen Vorg\u00e4ngen hat. Wir kommen damit zu der Annahme von sechs qualitativ verschiedenen physiologischen Prozessen im kortikalen Sehzentrum : einem Schwarzprozefs, einem Weifsprozefs, einem Rotprozefs usw.\nDie sechs \u201eHauptfarben\u201c ordnen sich in nat\u00fcrlicherweise zu drei Paaren: schwarz-weifs, rot-gr\u00fcn, gelb-blau. Zwischen den beiden Gliedern jedes Paares besteht ein gegens\u00e4tzliches Verh\u00e4ltnis. Die Empfindungen von R\u00f6tlichkeit und Gr\u00fcnlichkeit schliefsen einander aus, ebenso von Gelblichkeit und Bl\u00e4ulichkeit. Rot und Gr\u00fcn, Gelb und Blau k\u00f6nnen daher mit Herings Ausdruck als Gegenfarben bezeichnet werden.\nEine f\u00fcr die Farbentheorie grundlegende Frage ist nunmehr: Ist der Antagonismus zwischen den Gegenfarben schon bedingt in den psychophysischen Vorg\u00e4ngen, den Vorg\u00e4ngen im kortikalen Sehzentrum, an welche die Farbenempfindungen unmittelbar \u201egekn\u00fcpft\u201c sind? Die HERiNGsche Theorie antwortet bejahend auf diese Frage. Hering betont ausdr\u00fccklich, dafs er unter Sehsubstanz die Teile des inneren Auges verstehe, an deren Zust\u00e4nde die F arbenempfindungen unmittelbar gekn\u00fcpft seien 3, und er nimmt bekanntlich an, dafs der Antagonismus der Gegenfarben bedingt sei durch den Gegensatz zwischen Dissimilation und Assimilation der Sehsubstanz. Aber gerade bez\u00fcglich dieses Punktes hat Hering zweifelsohne fehl gesehen: Wenn z. B. die\nder Rot- und Gr\u00fcnempfindung zugrunde liegenden Vorg\u00e4nge\n*\n1\tVgl. besonders E. Hering: Zur Lehre vom Lichtsinne. VI. Mitteil. Sitzungsberichte der Wiener Akademie. LXX. III. Abt. 1874; und G. E. M\u00fcller, Zur Psychophy^ik der Gesichtsempfindungen, Zeitschr. f. Psychol. Bd. 10, S. 53 ff. ; ferner die allgemeinen Lehr- und Handb\u00fccher f\u00fcr experimentelle Psychologie, besonders die von Ebbinghaus und Fr\u00f6bes.\n2\tG. E. M\u00fcller, Zeitschr. f. Psychol. Bd. 10, S. Iff.\n3\tVgl. E. Hering, Sitzungsberichte der Wiener Akademie. LXIX. III. Abt. S. 181, und \u201eGrundz\u00fcge der Lehre vom Lichtsinne\u201c, S. 100.","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der Farbenempfindungen.\n37\nantagonistisch in dem Sinne w\u00e4ren wie Hering meint, so k\u00f6nnten sie nur zusammen, nicht einzeln ausfallen. Eine Farbenblindheit aber der Art, wie Sch\u00fcmann zuerst beschrieben hat, zeigt zweifelsohne, dafs eine Farbe ausfallen kann, ohne die Gegenfarbe mitzuziehen. Die Gegenfarben k\u00f6nnen mithin nicht an antagonistische psychophysische, an demselben Material sich abspielende Vorg\u00e4nge gekn\u00fcpft sein. Wir m\u00fcssen vielmehr annehmen, dafs im kortikalen Sehzentrum als \u201eGrundlage\u201c der Farbenempfindungen sechs voneinander unabh\u00e4ngige physiologische Prozesse sich abspielen, die nicht paarwreise zusammengeh\u00f6ren und darum einzeln ausfallen k\u00f6nnen.\nDer Antagonismus der Gegenfarben mufs daher durch Vorg\u00e4nge , die peripher von den psychophysischen Prozessen im kortikalen Sehzentrum stattfinden, bedingt sein. Die Untersuchungen \u00fcber die Lokalisation des Simultankontrastes zeigen, dafs Kontrast und Komponentenantagonismus im wesentlichen an die Teile der Sehbahn gekn\u00fcpft sein m\u00fcssen, die zwischen der Netzhaut und der psychophysischen Sehsph\u00e4re liegen.1 Der K\u00fcrze halber k\u00f6nnen wir die nerv\u00f6sen Vorg\u00e4nge in diesen Teilen der Sehbahn als Zwischenprozesse bezeichnen. Die einfachste und mit der Erfahrung am besten im Einklang stehende Erkl\u00e4rung des Antagonismus und Kontrastes wird uns nun zweifellos durch die in der HERiNGschen Theorie entwickelten Vorstellungen gegeben. Wir d\u00fcrfen daher annehmen, dafs diese Vorstellungen f\u00fcr die Zwischenprozesse zutreffend sind.\nBezeichnen wir die sechs kortikalen Grundprozesse als W-Prozefs, S-, R-, Gr-, Gl-, B-Prozefs und die entsprechenden Zwischenprozesse als w-, s-, r-, gr-, gl-, b-Prozefs, so besteht also ein antagonistisches Verh\u00e4ltnis zwischen z. B. dem gl- und b-Prozefs, aber nicht zwischen dem Gl- und B-Prozefs. Gl und B k\u00f6nnen daher einzelweise ausfallen, gl und b dagegen nur zusammen.\nNun werden die nerv\u00f6sen Zwischenprozesse nicht direkt durch die Einwirkung des Lichtes hervorgerufen, sondern erst indirekt durch photochemische Vorg\u00e4nge in der Netzhaut. Eine vollst\u00e4ndige Theorie der Farbenempfindungen mufs demnach auch mit der Erfahrung in Einklang stehende Vorstellungen entwickeln\n1 Vgl. oben S. 32 f.","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nHarald K. Schjelderup.\n\u00fcber diese photochemischen Netzhautvorg\u00e4nge und ihre Abh\u00e4ngigkeit vom einwirkenden Licht, sowie \u00fcber die Beziehungen zwischen Netzhautprozessen und Zwischenprozessen.\nMan k\u00f6nnte versucht sein, mit der v. KniEsschen Zonentheorie den Grundgedanken der YouNG-HELMHOLTzschen Theorie auf die Vorg\u00e4nge in der Netzhaut anzuwenden und demzufolge nur drei verschiedene photochemische Prozesse anzunehmen. Auf der Grundlage dieser Annahme w\u00fcrde es auch sicher m\u00f6glich sein, eine Theorie zu entwickeln, mit deren Hilfe die verschiedenen Formen der Farbenblindheit erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnten. Eine solche Erkl\u00e4rung m\u00fcfste sich entweder auf \u00e4hnliche Vorstellungen wie die von Ebbinghaus, oder auch auf solche wie die von Schenck entwickelten st\u00fctzen.1 In keinem Falle w\u00e4re es aber m\u00f6glich, die Reduktionsfarbensysteme (z.B. das protanopische) durch den einfachen Ausfall einer (oder mehrerer) Komponenten zu erkl\u00e4ren. Es w\u00fcrde tats\u00e4chlich auch eine Verdoppelung in der Anzahl der Variabein eingef\u00fchrt.2 Hie Theorie w\u00fcrde aufser-dem eine so komplizierte und gek\u00fcnstelte werden, dafs sie schon deswegen Bedenken erwecken m\u00fcfste.\nAber Bedenken dieser Art m\u00fcfsten nat\u00fcrlich weichen, wenn die f\u00fcr eine dreikomponentige Zusammensetzung des Sehorgans angef\u00fchrten Gr\u00fcnde zwingender Art w\u00e4ren. Dies ist aber nicht der Fall. Als f\u00fcr eine Hreikomponententheorie zeugend werden vor allen Dingen die dichromatischen Farbensysteme und ihre Beziehungen zu dem normalen trichromatischenSystem angef\u00fchrt.3 Die drei verschiedenen Formen der dichromatischen Systeme (Protanopie, Deuteranopie und Tritanopie) sind alle als Reduktionsformen des normalen trichromatischen anzusehen. Hierzu mufs indes bemerkt werden, dafs man in Wirklichkeit vier verschiedene dichromatische Reduktionssysteme unterscheiden kann, da es nicht allein zwei verschiedene Typen \u201eRot-Gr\u00fcnblindheit1\u201c, sondern auch zwei verschiedene Arten \u201eGelb-Blaublindheit\u201c gibt. 4 In der Zusammenfassung der \u201eGelb-Blaublindheit\u201c zu einem einzigen tritanopischen Typus liegt eine Willk\u00fcrlichkeit. \u2014 Was demn\u00e4chst die ebenfalls zugunsten einer Dreikomponententheorie\n1\tVgl. oben S. 27.\n2\tVgl. H. Ebbinghaus, Zeitschr. /'. Psychol. Bd. 5, S. 153.\n3\tVgl. J. y. Kries, Nagels Handbuch. Bd. Ill, S. 268.\n4\tVgl. G. E. M\u00fcller, Zeitschr. f. Psychol. Bd. 14, S. 192.","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der Farbenempfindungen.\n39\n^angef\u00fchrten anomalen trichromatischen Systeme betrifft *, so vergesse man nicht, dafs es sich hier ja nicht um drei, sondern nur um zwei typisch verschiedene Anomalien handelt, und dafs die von v. Kries hervorgehobenen Beziehungen zwischen diesen Anomalien und den dichromatischen Farbensystemen sich auch \u2014 wie aus dem folgenden ersichtlich ist \u2014 in anderer Weise als von der Annahme einer Dreikomponententheorie aus erkl\u00e4ren lassen. \u2014 Und was endlich die Farbenmischungsgesetze betrifft, so k\u00f6nnen diese ja ebensogut von der HerinGschen wie von der YouNG-HELMHOLTzschen Theorie aus erkl\u00e4rt werden.\nAllerdings scheint die Dreikomponententheorie eine sehr wesentliche St\u00fctze in den bekannten, von K\u00f6nig und Dieterici ausgef\u00fchrten Untersuchungen zu erhalten.1 2 3 4 Aber schon Ebbinghaus 3 hat in seiner Abhandlung \u201eTheorie des Farbensehens\u201c auf Schwierigkeiten der K\u00f6nig und DiETERicischen Ergebnisse hingewiesen , und sp\u00e4ter hat in Sonderheit v. Kries 4 auf nicht unbedeutende Fehlerquellen ihrer Untersuchungen aufmerksam gemacht.\nEs liegen somit gar keine zwingende Gr\u00fcnde vor, den Grundgedanken der Dreikomponententheorie auf die photochemischen Vorg\u00e4nge der Netzhaut zur Anwendung zu bringen. Vielmehr kommen wir, wenn wir nach einer, den experimentellen Ergebnissen in einfachster Weise entsprechenden Auffassung suchen, zu folgenden Annahmen:\nEs finden sich in den Zapfen der Netzhaut drei verschiedene photochemisch wirksame Substanzen I, II und III. Von diesen wird die eine (III) von allem sichtbaren Licht in gleicher Richtung beeinflufst (z. B. photochemisch oxydiert), w\u00e4hrend die beiden anderen je zug\u00e4nglich sind f\u00fcr zwei verschiedene photochemische Prozesse, indem sie durch Licht bestimmter Wellenl\u00e4nge z. B. .photochemisch reduziert, und durch Licht anderer Wellenl\u00e4nge photochemisch oxydiert werden.5 6 Die. Beziehungen zwischen\n1\tJ. v. Kries, a. a. O. S. 268.\n2\tA. K\u00f6nig u. Dieterici, Die Grundempfindungen in normalen und anomalen Farbensystemen usw. Zeitschr. f. Psychol. Bd. 4, S. 241 ff. 1893.\n3\tH. Ebbinghaus, Zeitschr. f. Psychol. Bd. 5, S. 157 ff. 1893.\n4\tJ. v. Kries, \u00dcber Farbensysteme. Zeitschr. f. Psychol. Bd. 13. 1897 ;\nygl. auch Nagels Handbuch. Bd. Ill, S. 152.\n6 Ein solches Verh\u00e4ltnis w\u00fcrde keineswegs einzig in seiner Art sein, sondern v\u00f6llig mit unseren gew\u00f6hnlichen physikalisch-chemischen Vorstellungen \u00fcbereinstimmen. Chastaing meinte sogar die allgemeine Regel","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nHarald K. Schjelder up.\ndiesen verschiedenen photochemischen Vorg\u00e4ngen und den Wellenl\u00e4ngen des einwirkenden Lichtes, k\u00f6nnen wir uns etwa so denken, wie in Figur 1 graphisch dargestellt (I0 bedeutet chemische Oxydation der Substanz I, IE photochemische Reduktion von I, usw.).\nW\u00e8VlenlSngert\nFst/cAt/fiJiysiscTie Prozesse\nAM 1\nViolett\nAbb 2\nNehmen wir nunmehr an, der photochemische Netzhaut-prozefs III o rufe den nerv\u00f6sen Zwischenprozefs w hervor (subkortikalen Weifsprozefs) und ferner, dafs\nV\nn\nV)\nIo\tsowohl\tden\tw-Prozefs wie\tden r-Prozefs und\tgl-Prozefs,\n*R\t\u201d\t\u201d\ts\u2018\t\u201d\t\u00bb\t\u00ab\tgr-\t\u201e\t\u201e\tb-\nr,0\t-\tgr\u2018\t*\t\u00bb\t\u00bb\tgl-\n1e\t\u00bb\tr-\t\u201e\th-\nhervorrufe.\nEingedenk des Antagonismus zwischen dem w- und s-Prozefs zwischen dem r- und gr-Prozefs und zwischen dem gl- und b-Prozefs, erhalten wir im Einklang hiermit das folgende Schema (Fig. 2) fur die Beziehungen zwischen einwirkender Wellenl\u00e4nge, photochemischem Netzhautprozefs, nerv\u00f6sem Zwischenprozefs\u2019 kortikalem psychophysischen Prozefs und Farbenempfindung.1\u2019 Alles was senkrecht untereinander steht, geh\u00f6rt zusammen. Der besseren \u00dcbersicht halber sind die weifs-schwarz-Empfindungen\nau stellen zu k\u00f6nnen, dafs die chemische Wirkung des Spektrums auf bin\u00e4re\nVerbindungen und auf Salze im Violett reduzierend, im Rot aber oxydierend\nf ' 0sTVALD- Lehrbuch d. allgem. Chemie. Bd. II, 1. 2. Aufl. o. lUoo.j\n1 Vgl. die graphische Darstellung der M\u00fcLLEBSchen Farbentheorie in b robes, Lehrbuch d. experim. Psychol. Bd. I, S. 87.","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der Farbenempfindungen.\n41\nund die dazu geh\u00f6rigen Vorg\u00e4nge ausgelassen. Aus demselben Grund sind auch die Figuren f\u00fcr die verschiedenen Valenzen fl\u00e4chengleich dargestellt, was dem wirklichen Sachverhalt nat\u00fcrlich nicht entspricht.\nAuf der Grundlage dieses Schemas lassen sich nun alle die erfahrungsgem\u00e4fs vorkommenden \u00dfe-duktionsf ormen des normalen trichrom atischen Farbensyems erkl\u00e4ren durch einf a ch en Ausfall eines\noder mehrerer der Bestandteile des normalen farbent\u00fcchtigen Sehorgans.\nI.\tKortikaler Ausfall einer der vier psychophysischen Grundprozesse. \u2014 Hierhin geh\u00f6rt die Farbenblindheit des von Schumann 1 und sp\u00e4ter von Ferree und Band 2 beschriebenen Typus. Im Falle Schumanns handelte es sich um den Ausfall des Gr-Prozesses. Da die \u201erot-gr\u00fcne Zwischensubstanz\u201c nicht fehlt, ruft gr\u00fcnes Licht, obwohl es nicht zum Bewufstsein gelangt, immer noch Botempfindung durch Kontrast oder Nachbildwirkung hervor.\nII.\tAusfall der Zwischenprozesse. \u2014 Diese k\u00f6nnen, nach dem obig Entwickelten, nur paarweise ausfallen. Wir haben also entweder a) den Ausfall von r und gr \u2014 oder auch b) von gl und b.\nDer Fall a) entspricht der Deuteranopie. Die Farben des Spektrums sind in diesem Falle wie aus Figur 2 ersichtlich \u2014 indem der Ausfall von r und gr den kortikalen Ausfall von B und Gr veranlafst \u2014 beschr\u00e4nkt auf gelb und blau mit einer neutralen Zone in dem sonst gr\u00fcnen Teil des Spektrums. \u2014 Dafs der Deuteranop auch wirklich gelb und blau sieht, zeigt der von Nagel3 beschriebene Fall, wo das Netzhautzentrum deuteranopisch, die Netzhautperipherie hingegen trichromatisch war.\nDer Fall b) entspricht dem einen Typus der Gelb-Blaublindheit. Aus Figur 2 ist ersichtlich \u2014 da die kortikalen Prozesse Gl und B ausgefallen sind \u2014 dafs sich in diesem Falle im Spektrum zwTei neutrale Stellen befinden m\u00fcssen, die eine im Gelben, die andere im Blauen. Zwischen ihnen wird gr\u00fcn gesehen, w\u00e4hrend beide Enden des Spektrums rot erscheinen. Ein Fall\n1\tF. Schumann, Bericht \u00fcber den I. Kongrefs f. experim. Psychologie. S. 10. 1904.\n2\tC. E. Ferree and G. Rand, Journ. of Exp. Psychol. Vol. II, S. 295. 1917.\n8 W. Nagel, Zeitschr. f. Psychol. Bd. 39, S. 100. 1905.","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"\u202242\nHarald K. Sehjelderup.\ndieser Art ist von Hering 1 und von v. ViNTSCHoau1 2 beschrieben worden. In diesem Falle war aber auch der Rot-Gr\u00fcnsinn so stark geschw\u00e4cht, dafs die Rotvalenz des kurzwelligen Spektrumendes nur indirekt durch Kontrastwirkung und Mischungsgleichungen nachgewiesen werden konnte.\nBei der Farbenblindheit der exzentrischen Netzhautteile handelt es sich ebenfalls um den Ausfall zuerst von r-gr, und dann von gl-b. Beim Peripheriesehen haben wir also eine totale Farbenblindheit, die nur auf dem Ausfall der Zwischenprozesse beruht, w\u00e4hrend die photochemischen Substanzen der Netzhaut unver\u00e4ndert bleiben. Darum ver\u00e4ndern sich nicht die Weifswerte: Die Helligkeitsverteilung im Spektrum verbleibt dieselbe wie bei dem normalen trichromatischen Sehen. \u2014 Auch \u00fcber die ganze Netzhaut gehende totale Farbenblindheiten dieser Art sind beobachtet worden \u2014 zwar nur selten als angeborene, verh\u00e4ltnism\u00e4fsig \u00f6fter als erworbene Anomalien.\nIII. Ausfall der photochemischen Substanzen in der Netzhaut (peripherer Ausfall). \u2014 Fallen I oder II aus, so erhalten wir in beiden F\u00e4llen dichromatische Farbensysteme.\nDer Ausfall von I entspricht der Protanopie. Die Farben des Spektrums beschr\u00e4nken sich, wie das Schema (Fig. 2) zeigt, auf gr\u00fcnlich-gelb und r\u00f6tlich-blau mit einer neutralen Stelle in Blau-Gr\u00fcn. \u2014 Eben diese \u2014 theoretisch zu erwartenden \u2014 Farbenqualit\u00e4ten zeigte der einzige zur Beschreibung gekommene Fall einseitiger \u201eRotblindheit\u201c.3 \u2014 Da die I entsprechenden photochemischen Vorg\u00e4nge auch den w- bzw. s-Prozefs hervorrufen, so mufs bei der Protanopie die Helligkeitsver-teilungim Spektrum verschieden von der normalen sein. Das rote Ende des Spektrums mufs verk\u00fcrzt erscheinen.\nDer Wegfall von II entspricht der von K\u00f6nig4 beschriebenen Form von Tritanopie. Wie ebenfalls aus Figur 2 zu ersehen, m\u00fcssen die Farbenqualit\u00e4ten der Theorie nach auf gelblichrot und bl\u00e4u lieh-gr\u00fcn beschr\u00e4nkt sein mit einer neutralen Zone im Gr\u00fcngelben. Das violette Ende des Spektrums mufs\n1\tE. Hering, Pfl\u00fcgers Archiv. Bd. 57, S. 308. 1894.\n2\tM. v. Vintschgau, Pfl\u00fcgers Archiv. Bd. 57, S. 191.\n3\tF. Holmgren, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1880. S. 897 ff.\n4\tA. K\u00f6nig, Sitzungsbericht d. Kgl. Preufs. Akad. d. Wiss. zu Berlin. 1897. II, S. 718 ff.","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der Farbenempfindungen.\n43\nfarblos erscheinen. Eben diese Eigent\u00fcmlichkeiten stimmen mit den von K\u00f6nig angegebenen. Sp\u00e4tere F\u00e4lle von erworbener Tri-tanopie sind von Collin und Nagel* 1 beschrieben.\nFallen sowohl I wde II aus, entsteht eine totale Farbenblindheit mit einer der Kurve III o entsprechenden spektralen Helligkeitsverteilung (Fig. I). Ein Fall dieser Art, entstanden durch Netzhautabl\u00f6sung (Ablatio retinae) auf einem \u201erotblinden\u201c (protanopischen) Auge, ist von K\u00f6nig beschrieben.2\nDas Entstehen eigent\u00fcmlicher Formen von Farbenblindheit liefse sich durch kombinierten Ausfall denken:\nDurch den gleichzeitigen peripheren Ausfall von II und den kortikalen Ausfall von Gr, w\u00fcrde der Fall entstehen, dafs die Farben des Spektrums auf spektral (gelblich) rot und reines blau beschr\u00e4nkt w\u00e4ren. Diese Farben w\u00fcrden sich wie Komplement\u00e4rfarben verhalten und sich gegenseitig durch Kontrast und Nachbildwirkung hervor-rufen. \u2014 Eben diese Form von Farbenblindheit ist nun \u2014 wie schon oben erw\u00e4hnt \u2014 von Kibschmann 3 beobachtet und beschrieben worden. Der Fall erweckte, wie bekannt, Aufsehen, weil er im Widerstreit stand sowohl zur HELMHOLTZschen wie zur HEEiNGschen Farbentheorie.\nPeripherer Ausfall von I und gleichzeitiger Ausfall der Zwischenprozesse, r-gr und gl-b, bedingen eine totale Farbenblindheit, wie sie dem Peripheriesehen der Protanopen entspricht.\nDurch den Ausfall der Zwischenprozesse r-gr (oder gl-b) und dem gleichzeitigen kortikalen Ausfall von Gl oder B (R oder Gr) entsteht ein Farbensystem, wo drei der vier \u201eHauptfarben\u201c ausgefallen sind. \u2014 F\u00e4lle auch dieser Art von Farbenblindheit sind beobachtet worden. \u2014\nWie der obigen kurzen Darstellung zu entnehmen ist, lassen sich alle bekannten Reduktionsformen des normalen trichroma-tischen Farbensystems von der in Figur 2 schematisch dargestellten Theorie aus einfach deduzieren, indem man annimmt, dafs ein oder mehrere der Bestandteile des normalen Sehorgans ausfallen. Und umgekehrt sind alle die typischen\n1 V. Collin und W. Nagel, Zeitschr. f. Sinnesphys. Bd. 41, S. 74ff. 1907.\n1 A. K\u00f6nig, Sitzungsbericht d. Akad. d. Wiss. zu Berlin. 1897. II, S. 730; Helmholtz-Festschrift. 1891. S. 383 ff.\n* A. Kirschmann, Philosophische Studien. Bd. 8, S. 196ff. 1892.\n(","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nHarald K. Schjelderup.\nFormen der Farbenblindheit, die sich von dieser Theorie ans deduzieren lassen, auch zur Beobachtung gekommen.\nDie vorgef\u00fchrte Theorie gibt somit die einfachste und vollst\u00e4ndigste Erkl\u00e4rung der h\u00f6chst komplizierten Verh\u00e4ltnisse bei den verschiedenen Farbenblindheiten. Ihre \u00dcbereinstimmung mit der Erfahrung ist so durchgreifender Art, dafs sich kaum anzweifeln l\u00e4fst, sie treffe ja im wesentlichen das Richtige. \u2014\nKenner der G. E. M\u00dcLLEEschen Theorie werden sehen, dafs die hier entwickelte Auffassung in weitem Umfang auf der M\u00dcLLEaschen baut und mit ihr im Einklang steht. An einem entscheidenden Punkte geht sie jedoch \u00fcber die M\u00dcLLEEsche Theorie hinaus. W\u00e4hrend M\u00fcllee nur Netzhautprozefs und Nervenerregung unterscheidet, ist im Vorgehenden eine Theorie entwickelt, die mit drei verschiedenen Stadien der physiologischen Vorg\u00e4nge im Sehorgan arbeitet. Auf Grundlage dieser Erweiterung sind die in; Obigen vorgef\u00fchrten Schwierigkeiten der M\u00dcLLEEschen Theorie vermieden worden. Erst auf der Grundlage einer D r e i - S t a d i e n t h e o r i e scheint es \u00fcberhaupt m\u00f6glich, eine befriedigende Erkl\u00e4rung der verschiedenen Typen von Farbenblindheit zu geben. Die vorgef\u00fchrte Theorie ist jedoch nicht nur eine Erweiterung der M\u00dcLLEEschen. Die Anwendung der Drei-Stadiengedanken bedingt hinsichtlich der Auffassung des Antagonismus der Gegenfarben einen be-deutungsvollen Gegensatz zwischen der M\u00dcLLEEschen und meiner Theorie. W\u00e4hrend M\u00fcllee sich denselben an die photo-chemischen Vorg\u00e4nge der Netzhaut gekn\u00fcpft denkt, ist er nach der obig entwickelten Theorie an die Zwischenprozesse gekn\u00fcpft. Erst durch diese Auffassung gelangt man in \u00dcbereinstimmung mit den experimentellen Ergebnissen. Auch wird es dadurch m\u00f6glich, gegen\u00fcber der Frage nach der eigentlichen iNatur des Antagonismus eine viel freiere Haltung einzunehmen.\nWenn im Vorgehenden mit bestimmten Vorstellungen (photochemischer Reduktion und Oxydation usw.) gearbeitet worden ist, so ist dies vor allen Dingen geschehen, um die Darstellung anschaulicher zu machen. Der Grundgedanke der vorgef\u00fchrten Theorie selbst ist unabh\u00e4ngig von allen solchen Sonderannahmen und kann in folgender Weise zusammengefafst werden (mit Bezug auf die \u201echromatischen Prozesse\u201c):\n1. F\u00fcr die Vorg\u00e4nge im kortikalen Sehzentrum (die psychophysischen Prozesse) gilt eine einfache Vier-Komponenten-","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der F\u00e4rb enempfIndung en.\n45\nth\u00e9orie \u2014 nicht die \u00dcERiNGsche Gegenfarbentheorie. Man mnfs vier selbst\u00e4ndige physiologische \u201eGrundprozesse\u201c : R, Gr, Gl, B annehrnen.\n2.\tF\u00fcr die Zwischenprozesse (die Vorg\u00e4nge in den subkortikalen Zentren?) gilt: Man mnfs vier paarweise einander entgegengesetzte Prozesse annehmen: r-gr und gl-b. Jeder Zwischenprozefs ruft einen der psychophysischen Grundprozesse hervor.\n3.\tIn den Zapfen der Netzhaut befinden sich zwei verschiedene Substanzen (I und II), die jef\u00fcrzwei photochemische Prozesse zug\u00e4nglich sind. Jeder dieser vier Prozesse wirkt auf beide \u201eZwischenmateriale\u201c und erzeugt demnach'Zwei Zwischenprozesse. \u2014\nWie aufserordentlich einfach sich die verschiedenen Typen der Farbenblindheit von diesen Annahmen aus erkl\u00e4ren lassen, geht vielleicht noch klarer als aus der Figur 2, aus dem Schema der Figur 3 hervor. Auch hier sind der besseren \u00dcbersicht halber, nur die \u201echromatischen Prozesse\u201c nicht die \u201eSchwarz-Weifs-Prozesse\u201c mitgenommen.\nAusfall\nr\nn\nv\n\u00bb\nV\nn\n\nvon R (Gr, Gl, B) \u00ab r'gr\n\u201e I \u00bb gl-b\n\u00bb\nII\n== Farbenblindheit des ScHUMANNSchen Typus. = Deuteranopie.\n= Protanopie.\n= \u201eGelb-Blaublindheit\u201c 1. Typus (Hering und\nVlNTSCHGA\u00fc).\n= \u201eGelb-Blaublindheit\u201c 2. Typus (K\u00f6nig).\nIX -f Gr\t== Kirschmanns Fall.\nr_gr _j_ gi-b\t= Totale Farbenblindheit mit normaler Hellig-\nkeitsverteilung.\nI + r-gr + gl-b =\t\u201e\t\u201emit protanopischer\nHelligkeitsverteilung.\nIm Schema der Figur 3 tritt auch deutlich die Eigenart der hier entwickelten Theorie im Vergleich zu der Herds. Gschen und der M\u00dcLLERschen hervor.","page":45}],"identifier":"lit35911","issued":"1920","language":"de","pages":"19-45","startpages":"19","title":"Zur Theorie der Farbenempfindungen","type":"Journal Article","volume":"51"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:15:02.111769+00:00"}

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