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Zur Phänomenologie der Kernfläche des Sehraums

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{"created":"2022-01-31T16:16:13.810690+00:00","id":"lit35931","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Kr\u00f6ncke, Karl","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 52: 217-228","fulltext":[{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"217\n(Aus dem Psychologischen Institut der Universit\u00e4t Marburg.)\nZur Ph\u00e4nomenologie der Kernfl\u00e4che des Sehraums.\nVon\nKael Kr\u00f6ncke.\n1. Problemstellung: Vergleich der nach genetischer und nach ph\u00e4nomenologischer Methode\ngewonnenen Resultate.\nIn der Arbeit von E. R. Jaensch und F. Reich (Zeitschr. f. Psychologie 1921) ist die Kernfl\u00e4che des Sehraums unter genetischem Gesichtswinkel untersucht worden; jetzt soll das Ph\u00e4nomen auf der H\u00f6he der ontogenetischen Entwicklung, d. h. an normalen, nichteidetischen Erwachsenen gepr\u00fcft werden. Die Untersuchung macht an dem wichtigen Beispiel der Kernfl\u00e4che die Probe darauf, ob der eben beschrittene genetische und der ph\u00e4nomenologische Weg in der Lehre von der Raumwahrnehmung zu einstimmigen Ergebnissen f\u00fchren.\nDie grundlegenden Versuche \u00fcber die Kemfl\u00e4che von Hering, Helmholtz und anderen wurden am Faden tripel vorgenommen, d. h. an drei objektiv in einer Ebene h\u00e4ngenden F\u00e4den (sog. Grund versuch). Es liegt aber kein Grund vor, sich auf drei F\u00e4den zu beschr\u00e4nken. Deshalb wurde unseren Vpn. eine gr\u00f6fsere Anzahl von F\u00e4den (4\u20147), gleichsam ein \u201eFadengitter\u201c, dargeboten. Die Vpn. (ingesamt 19), meist Studenten, waren von Anschauungsbildern frei.1\nUnsere Ergebnisse stehen in einigem Gegensatz zu der verbreitetsten Theorie, die die r\u00e4umlichen Tiefenwahrnehmungen auf die Raumwerte des ruhenden Auges zur\u00fcckf\u00fchrt. Unsere\n1 Der gr\u00f6fste Teil der Vpn. hatte v\u00f6llig normale Augen, nur wenige eine geringe Myopie, die durch Gl\u00e4ser korrigiert war. 5 Vpn. ehemalige F\u00e4hnriche der Kriegsmarine \u2014 hatten besonders hohe Sehsch\u00e4rfe.","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218\nKarl Kr\u00f6ncke.\nabweichende Erkl\u00e4rung mit Hilfe der Aufmerksamkeitswanderungen wird sich u. a. dadurch rechtfertigen, dafs die Erscheinungen bei wanderndem Blick am deutlichsten sind und sich bei einer Anzahl von Personen \u00fcberhaupt erst unter dem Einflufs der Blick- und Aufmerksamkeitswanderung allm\u00e4hlich entwickeln. Im Einklang hiermit sind die Erscheinungen bei wanderndem Blick auch am unkompliziertesten und am leichtesten zu erkl\u00e4ren. Darum wollen wir in unserer Schilderung von dem Falle der Beobachtung mit wanderndem Blick ausgehen.\n2. Die Erscheinungen der Fadenlote bei Blickwanderung.\na) Bei langsamer Durchwanderung der F\u00e4den.\nDie von uns benutzte Anordnung war \u00e4hnlich wie bei E. R. Jaensch und F. Reich. An einem mit Millimetereinteilung versehenen Rahmen wurden im seitlichen Abstande von je 4 cm 4 7 Lote aus schwarzem Zwirn objektiv genau in einer Ebene aufgeh\u00e4ngt. Die F\u00e4den waren 0,4 mm dick und unten mit Eisenkernen beschwert, die zur D\u00e4mpfung der Schwingungen in eine Wanne mit z\u00e4her Schmierseifenl\u00f6sung tauchten. Oben hatten die Fadenlote Haken, die \u00fcber die Lineale des Rahmens griffen. An der Vorderkante des die Anordnung tragenden Tisches war ein schwarzer Vorsatzschirm (62 : 76 cm) befestigt, der in Augenh\u00f6he der Vp. einen Ausschnitt (5 : 28 cm) trug; 15 cm hinter diesem, in der \u201eNullage\u201c, waren die F\u00e4den aufgeh\u00e4ngt. Der hellgraue, v\u00f6llig homogene und ebene Hintergrund hatte eine solche Gr\u00f6fse, dafs er selbst bei nahem Beobachtungsstandort der Vp., direkt vor dem Ausschnitt, das Gesichtsfeld vollkommen ausf\u00fcllte. Sollten die feinen Tiefenwirkungen, die hier untersucht werden, ungest\u00f6rt zur Geltung kommen, so mufste der Hintergrund nicht nur homogen und eben, sondern auch v\u00f6llig gleichf\u00f6rmig beleuchtet sein unter Vermeidung st\u00f6render Schatten und Lichtreflexe. Darum stand die Anordnung so, dafs das Licht von der Seite, in der Richtung der Fadenebene einfiel; ein mit Florpapier bespannter Rahmen erm\u00f6glichte Abd\u00e4mpfung und Konstanthaltung des Lichtes bei den Versuchen. Die Beobachtung erfolgte aus 25, 50, 100, 150, 200 und teilweise noch 250 cm Abstand. Die Kopfhaltung war in der H\u00f6he und vor der Mitte des Ausschnittes durch eine Kinnst\u00fctze fixiert, die an einem","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Ph\u00e4nomenologie der Kernfl\u00e4che des Sehraums.\nverschiebbaren Tischchen befestigt war. Die F\u00e4den wurden durchnumeriert; der f\u00fcr die Vp. jeweils am weitesten links h\u00e4ngende Faden war mit \u201e1\u201c bezeichnet Je nach der Stellennummer reden wir von \u201egeraden\u201c oder \u201eungeraden\u201c F\u00e4den. In den graphischen Darstellungen der Resultate sind die Schnittpunkte der Fadenlote mit der Papierebene als Punkte gezeichnet, die horizontalen durchgehenden Linien bedeuten die abathische Fl\u00e4che (Kernfl\u00e4che), d. h. die scheinbar frontalparallele Ebene bei den einzelnen Beobachtungsabst\u00e4nden, deren Zahlenangabe seitlich vermerkt ist. Die fixierten F\u00e4den sind in die Kernfl\u00e4chenebene gezeichnet. Zur deutlicheren Wiedergabe der Erscheinungsform der F\u00e4den sind die Lotpunkte durch Linien verbunden ; fehlt bei einem Lotpunkt diese Verbindung mit den Nachbarn, so bedeutet dies, dafs der Faden unbestimmt lokalisiert wurde. Die Ziffern oben am Kopf der Figuren geben die Stellennummern der F\u00e4den an, die eingeklammerte Zahl neben dem Namen der Vp. den mittleren Abstand, bei dem der Vp. alle F\u00e4den in der Kernfl\u00e4che (\u201eabathisch\u201c) erschienen.\nAlle folgenden Versuche sind erst mit 5, dann mit 7 F\u00e4den angestellt worden; die Instruktion forderte \u201elangsame Durchwanderung\u201c des Fadengitters. Die Fixation wurde zuerst dem Faden 1 zugewandt, dann ebenso 2 usf., am Schlufs wurde die Erscheinungsweise in jeder Phase beschrieben oder auf gezeichnet. Von den 19 Vpn. beobachteten 16 in den einzelnen Phasen \u00fcbereinstimmend (vgl. die graphische Darstellung der Beispiele 1 Abbildung 1\u20145), und zwar folgendermafsen (s. S. 220/1).\nI. Beobachtungsabstand 25 cm.\na)\tIn der Phase der Fixation von 1: Faden 2 erscheint hinter 1, und 3 wieder in derselben Tiefe wie 1. Die \u00fcbrigen F\u00e4den sind undeutlich und nicht genau zu lokalisieren (Abb. 1).\nb)\tFaden 2 fixiert: 1 und 3 gleich weit hinter 2; 4 in gleicher Tiefe wie 2, die \u00fcbrigen undeutlich und unbestimmt lokalisiert (Abb. 2).\nc)\tFaden 3 fixiert: 2 und 4 gleich weit hinter 3; 1 und 5\nin gleicher Tiefe wie 3 (Abb. 3).\nd)\tFaden 4 fixiert: 1, 3 und 5 gleich weit hinter 4; 2 in\ngleicher Tiefe wie 4 (Abb. 4).\n1 Die Tiefendifferenzen sind in den Zeichnungen im Interesse der Deutlichkeit \u00fcbertrieben. Im H\u00f6chstmals betrugen sie 3\u20145 mm.","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"L3.(tt\u00bbc*).YD.(%m). v.5t\\\u00ee.^0imlL\u00fc.^5cm). Heiligem.). Lea{M-\u00abHi4Da.(5MHi\u00bb,lKt.(l00iml\nt- $.. &\t\u00ab4 4 Q 1 i* \u2022\u00ab\t\u2022 o ..\t.\t\u00ab%\tr* \\\tI\n220\nKarl Kr\u00f6ncke\nGraphische Darstellung der Beispiele,","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"E.1UtU\u00ab0.W.l (illun). V.Scb.(75m). UUlMcm). Hc.(lOOcm ). Leu.(Mim). %Au8m). Kr. (95cm). K\u00d6.(*\u00bbtm.).Ko\\).(jl#c\u00abv). E D. (ABOttn. ). V.D.\t.\nZtir Ph\u00e4nomenologie der Kernfl\u00e4che des Sehraums\n221\nGraphische Darsteilung der\nBeispiele.\ncp J-","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222\nKarl Kr\u00f6ncke.\nWanderte die Fixation zu den n\u00e4chstfolgenden F\u00e4den weiter, so ergaben sich entsprechende Resultate, nur nahm die Lokalisationsm\u00f6glichkeit der ersten F\u00e4den jetzt immer mehr ab.\nII.\tAbstand 50 cm: Alles ist wie bei 25 cm, nur ist der Tiefeneindruck der zur\u00fccktretenden F\u00e4den quantitativ etwas geringer (Abb. 1-\u20144).\nIII.\tAbstand 150 cm.\na)\tFaden 1 fixiert: 2 erscheint vor 1, und 3 wieder in derselben Tiefe wie 1. Die \u00fcbrigen F\u00e4den sind undeutlich und unbestimmt lokalisiert (Abb. 1).\nb)\tFaden 2 fixiert: 1 und 3 gleich weit vor 2; 4 in gleicher Tiefe wie 2, die \u00fcbrigen undeutlich und unbestimmt lokalisiert (Abb. 2).\nc)\tFaden 3 fixiert: 2 und 4 gleich weit vor 3; 1 und 5 in gleicher Tiefe wie 3 (Abb. 3).\nd)\tFaden 4 fixiert: 1, 3 und 5 gleich weit vor 4; 2 in gleicher Tiefe wie 4 (Abb. 4).\nIV.\tAbstand 200 cm: Dieselben Erscheinungen wie bei 150 cm, nur ist der Tiefeneindruck der zur\u00fccktretenden F\u00e4den quantitativ etwas st\u00e4rker (Abb. 1\u20144).\nDie graphische Darstellung der Resultate ergibt somit immer eine zickzackf\u00f6rmige Kurve. Je nachdem die Fixation soeben auf einem geradzahligen oder ungeradzahligen Faden weilt, stehen die geradzahligen oder ungeradzahligen bei den kleinen Beobachtungsabst\u00e4nden (25 und 50 cm) vor, bei den grofsen (150 und 200 cm) zur\u00fcck (vgl. Abb. 1\u20145).\nb) Bei schneller Durchwanderung der F\u00e4den.\nNunmehr forderte die Instruktion, mit Blick und Aufmerksamkeit schneller und kontinuierlich \u00fcber die F\u00e4den von links nach rechts hin\u00fcberzugleiten, ohne bei den einzelnen F\u00e4den mit dem Blick zu verweilen. Hier ergaben sich zwei Typen. Bei einer grofsen Zahl von Vpn., dem ersten Typus, zeigte sich wieder ganz dieselbe Zickzackkurve wie bei langsamer Durchwanderung der F\u00e4den. Der zweite, ebenfalls h\u00e4ufige Typus verh\u00e4lt sich in einer Hinsicht ganz wie der erste: wieder stehen, wenn der Blick z. B. einen ungeraden Faden streift, alle ungeraden bei den nahen Beobachtungsstellungen vor, bei den fernen zur\u00fcck. Das Besondere des zweiten Typus","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Ph\u00e4nomenologie der Kernfl\u00e4che des Sehraums,\n223\nbesteht nur in dem Auftreten einer dauernden schwingenden Bewegung der F\u00e4den. Wenn bei naher Stellung der Blick einen ungeraden Faden streift, pendeln alle ungeraden vor* alle geraden zur\u00fcck; gelangt der Blick zum n\u00e4chsten Faden, so pendeln umgekehrt die geraden vor, die ungeraden zur\u00fcck. Bei fernen Beobachtungsstellungen verh\u00e4lt sich alles entsprechend, nur ist die Schwingungsrichtung stets Umgekehrt ; die vom Blick getroffenen F\u00e4den und die, welche ihnen in der Bewegung folgen, pendeln zur\u00fcck, die anderen vor. Gerade wie ungerade F\u00e4den bleiben, w\u00e4hrend sie schwingen, je in einer Ebene; somit zeigt sich im zweiten Typus eine stehende Schwingung, \u00e4hnlich derjenigen, die man an der MACHschen Wellenmaschine zeigen kann.\n3. Die Erscheinungen der Fadenlote bei station\u00e4rer\nFixation,\nBeobachtet wurden zun\u00e4chst 4 F\u00e4den mit der Instruktion, die Aufmerksamkeit auf Faden 2 und 3 zu heften und diese m\u00f6glichst kollektiv aufzufassen. Bei der \u00fcberwiegenden Mehrheit (16 von 19 Ypn.) erschienen dann 2 und 3 in den nahen Beobachtungsstellungen vor, in den fernen zur\u00fcck, bei einer gewissen dazwischenliegenden Stellung in einer Ebene also \u201eaba-thisch\u201c (Abb. 6\u201412). Das mittlere Paar verh\u00e4lt sich also hier so wie beim Grundversuch am Fadentripel der mittlere Einzelfaden im Normalfall (I. Typus von Jaensch und Reich). Bei 3 Vpn. kam auch Umkehr der Erscheinung vor, indem bei einzelnen Beobachtungen 2 und 3 aus der N\u00e4he zur\u00fcck-, aus der Ferne vorzustehen schienen, entsprechend dem III. Typus von Jaensch und Reich beim Grundversuch (Abb. 13\u201415). Wie dort, lag die abathische Region bei den einzelnen Vpn. und bei derselben Vp. zu verschiedener Zeit an etwas ungleichem Ort, immer aber in den mittleren Entfernungen; sie ist im allgemeinen schmal, nur bei wenigen Vpn. breiter (bei 2 Vpn. um 50\u2014100, sonst nur um 100 cm herum gelegen).1\n1 Jaensch und Reichs II. Typus ist dadurch definiert, dafs statt des normalen Vor- oder Zur\u00fccktretens gelegentlich auch der abathische Eindruck auftritt. Nur sehr oft wiederholte Versuche k\u00f6nnten entscheiden, ob manche der hier zum I. Typus gerechneten Vpn. nicht doch zum II. geh\u00f6ren (z. B. Abb. 11 und 12, 21 und 22).","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224\nKarl Kr\u00d6ncke.\nBei 6 F\u00e4den wurden 3 und 4 beachtet und kollektiv auf* gefafst. Die Ergebnisse waren entsprechend, die Typen die* selben und auf die gleichen Vpn. verteilt (16 Vpn. vom Typus I, 3 vom Typus III, Abb. 16\u201422 bzw. 23\u201425).\nBei ungerader Fadenzahl (5 und 7) wurde der mittelste Faden fixiert. Wieder waren die Ergebnisse entsprechend, indem der mittlere diesseits der abathischen Region vor-, jenseits zur\u00fccktrat (17 von 19 Vpn.). Nur bei 2 Vpn. kam Umkehr vor (III. Typus). Wenn sich der Mittelfaden im Sinne des normalen I. Typus verh\u00e4lt und ihm entsprechend vor- oder zur\u00fccktritt, k\u00f6nnen die auftretenden Kurvenformen im \u00fcbrigen immer noch mannigfach sein (vgl. die Abb. 26\u201432, 36\u201442).\n4. Die Erscheinungsweise des leeren Zwischenraums.\nDer leere Zwischenraum bietet bei vielen Vpn. keine besonderen Ph\u00e4nomene. Die F\u00e4den stehen dann in der glasklar, allseitig optisch homogen erscheinenden Luft. Zahlreiche Vpn. dagegen sahen bei denVersuchen mit Dauerfixation die F\u00e4den durch Ebenen verbunden, die entweder \u201emattglasartig\u201c oder \u201eglasklar\u201c erschienen und dann gelegentlich mit \u201eSeifenblasenlamellen\u201c verglichen wurden. Die matten Ebenen zeigen eine Schattierung, die der Form und Beleuchtung angepafst ist; sie erscheinen hell, dunkel oder mittelhell, je nachdem die Ebenen dem einfallenden\nTageslicht zu- oder abgekehrt sind oder parallel zu ihm stehen.\n\u2022 \u2022\n\u00c4ndert sich beim Wechsel der Beobachtungsentfernung die Gestalt der Erscheinung, erscheint darum dieselbe Ebene dem Lichte bald zu-, bald abgekehrt, so \u00e4ndert sich entsprechend ihre scheinbare Helligkeit. Hieraus folgt, dafs im allgemeinen die Gestalt die scheinbare Helligkeitsverteilung bedingt, nicht umgekehrt zuf\u00e4llige Helligkeitsunterschiede die Gestalt.\nBesonders bei gerader Fadenzahl wurden die F\u00e4den gelegentlich paarweise kollektiv aufgefafst ; hier erschienen dann zuweilen nur die kollektiv aufgefafsten F\u00e4den durch Ebenen verbunden.\nInfolge der verbindenden Ebenen erschienen die Fadenkomplexe zuweilen wie Gegenst\u00e4nde, die Zickzackkurve \u201ewie ein gefaltetes Papierblatt\u201c, die 4 F\u00e4den mit vortretendem Mittelpaar (Abb. 6) erschienen einmal \u201ewie eine Art Krawatte\u201c.\nWenn auch die Schattierungen und subjektiven Verbindungsfl\u00e4chen in den reizbestimmten Gestalten gr\u00fcnden, so k\u00f6nnen sie umgekehrt auf die letzteren eine gewisse modifizierende R\u00fcck-","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Ph\u00e4nomenologie der KernfUiche des Sehraums.\n225\nWirkung aus\u00fcben. So erschien einer Vp. der Beobachtungsschlitz ganz so geknickt wie die dahinter gesehene Zickzackfl\u00e4che. Ein anderer Beobachter sah die Verbindungsfl\u00e4chen noch \u00fcber die F\u00e4den hinaus, bis an den Schirmausschnitt verl\u00e4ngert. Dies offenbar veranlafste bei ihm die eigenartige Kurvenform der Abb. 42 bei 100 cm, also in der N\u00e4he der abathischen Region, wo ja das Lokalisationsmotiv der Aufmerksamkeitswanderung weniger ausgepr\u00e4gt ist. Dieses bewirkt eben gerade noch, dafs der Mittelfaden, \u00e4hnlich wie in den n\u00e4heren Stellungen, vor seinem Nachbar erscheint, hindert aber nicht mehr, dafs die Nachbarn mit dem Ausschnitt durch eine subjektive Fl\u00e4che verbunden werden, die nun ihrerseits die Lage der seitlichen F\u00e4den in ungew\u00f6hnlicher Weise bestimmt und zudem durch ihre Erstreckung in die Tiefe bewirkt, dafs die Nachbarn des Mittelfadens paradoxerweise hinter diesen weiter zur\u00fccktreten als es bei den n\u00e4heren Standorten der Fall ist.\n5. Erkl\u00e4rung der Erscheinungsformen.\nUnsere Ergebnisse stehen mit der Deutung, die das Ph\u00e4nomen der Kernfl\u00e4che auf die Raumwerte gewisser Netzhautstellen zur\u00fcckf\u00fchrt, nicht in Einklang. Vorgelegt sei ein Fadentripel mit bestimmten, nicht zu kleinem Seitenabstand d der F\u00e4den voneinander. Beim Grundversuch am Fadentripel erscheinen dann in einer Nahestellung N die F\u00e4den 1 und 3 hinter 2. Nun gestalten wir, bei unver\u00e4ndertem N, das Tripel im Sinne unserer Versuche zu einem Fadengitter aus, indem wir zwischen 2 und 3 und zwischen 2 und 1 noch je einen weiteren Faden einschalten, \u00abo dafs der bisherige 3. jetzt zum 5. Faden wird und im einfachsten Falle die Zickzackkurve von Abb. 3 auftritt. Obwohl sich 5 infolge seines unver\u00e4nderten Abstandes vom Mittelfaden auf genau denselben Netzhautstellen abbildet wie zuvor, erscheint er jetzt nicht mehr hinter der durch den Mittelfaden gehenden Kernfl\u00e4che, sondern in ihr; m. a. W. die scheinbare Raumlage eines Fadens im Gitter h\u00e4ngt nicht nur von seinem Ortswert auf der Netzhaut ab, sondern gleichzeitig von seiner, vom Mittelfaden aus gerechneten Stellenzahl.\nUmgekehrt stehen unsere Ergebnisse in bestem Einklang mit der Deutung, die sich bei den Versuchen am eidetischen Sehtypus (Jaensch und Reich) zwingend ergab. \u2014 Die Erkl\u00e4rung","page":225},{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"226\nKarl Kr\u00f6ncke.\neiner Klasse zusammengeh\u00f6riger Versuche mufs im allgemeinen von deren eindeutigstem und regul\u00e4rstem Fall ausgehen, weil hier die wirksamen Faktoren am reinsten und am wenigsten gest\u00f6rt durch interkurrente Einfl\u00fcsse t\u00e4tig sind. Auszugehen ist also von der Zickzackkurve. Das Zickzack mit seinem Vorn,, Hinten, Vorn usf. ist ein sprechender Beweis f\u00fcr die .Richtigkeit der Anschauung, dafs auf eine Vornstellung der Aufmerksamkeit eine Wanderung derselben nach hinten folgt, dann wieder eine solche nach vorn usf. und dafs diese abwechselnd entgegengesetzt gerichteten Wanderungen die Lokalisation bestimmen (Jaensch und Reich a. a. 0.). Nur wie man sich den Vorgang n\u00e4her im einzelnen zu denken hat, ist die Frage. Betrachtet man die Versuche, in denen die F\u00e4den nacheinander kurz fixiert wurden und das ruhende Zickzack auftrat, so wird man wohl zun\u00e4chst auf die Annahme verfallen, dafs die Aufmerksamkeit w\u00e4hrend des Momentes der kurzen Fixation alle diese abwechselnd vorw\u00e4rts- und r\u00fcckw\u00e4rtsgerichteten Aufmerksamkeitswanderungen ausf\u00fchrt. Aber wenn wir auch nicht dar\u00fcber unterrichtet sind, wie rasch solche Wanderungen in diesem g\u00fcnstigen, wohleinge\u00fcbten Fall des normalen Tiefensehens erfolgen k\u00f6nnen, so ist es jedenfalls bedenklich, in dem kurzen Augenblick der Fixation einen mehrfachen oder gar vielfachen Richtungsumschlag der Wanderung anzunehmen, wie dies bei Gittern mit h\u00f6herer Faden* zahl erforderlich w\u00e4re. Die Versuche mit \u201eschneller Durch* Wanderung\u201c entheben uns dieser Schwierigkeit und lassen zugleich den tats\u00e4chlichen Sachverhalt erkennen. W\u00e4hrend der hier auftretenden stehenden Schwingungen bleiben sowohl die ungeraden wie die geraden F\u00e4den je in einer Ebene. In jeder Schwingungsphase haben also die ungeraden \u00fcbereinstimmenden Tiefenwert, ebenso die geraden; somit haben wir es auch bei vielgliederigen Gittern in jedem Moment immer nur mit zwei verschiedenen Tiefenwerten und einer Aufmerksamkeitswanderung zu tun. Betrachten wir etwa den in Abb. \u00f6, Nahestellung 25 cm, festgehaltenen Moment, wo der Blick eben \u00fcber 4 hingleitet. Wegen des nahen Beobachtungsstandsorts ist mit der Beachtung von 4 eine Nahestellung, also ein Naheimpuls der Aufmerksamkeit verbunden. In dem Moment, wo sie sich anschickt, den Nachbar 5 zu erfassen, geschieht dies mit dem kompensierenden antagonistischen, dem Fernimpuls der Auf-","page":226},{"file":"p0227.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Ph\u00e4nomenologie der Kernfl\u00e4che des Sehraums\n227\nmerksamkeit.1 Die ungeraden F\u00e4den werden nun mit ; 5, die geraden mit 4 kollektiv aufgefafst und darum hinsichtlich der Tiefe \u00fcbereinstimmend lokalisiert, also insgesamt in zwei Ebenen mit nur zwei verschiedenen Tiefenwerten. Der Grund f\u00fcr diese kollektive Auffassung ist wohl in erster Linie die Unm\u00f6glichkeit,:, in einem Moment mehr als eine Aufmerksamkeitswahderung vorzunehmen; daneben wahrscheinlich eine durch solche Situationen erworbene Ge wohn h eit der kollektiven Auffassung und rhythmischen Gliederung, wie denn Rhythmik ja auch auf anderen Gebieten der subjektiven Optik beobachtet wird.2 Die Zickzackkurve bei \u201elangsamer\u201c und die Schwingung bei \u201eschneller Durchwanderung\u201c stehen in Einklang. Erstere entspricht genau den Phasen der letzteren.\nIn dieser Weise erkl\u00e4rt sich nicht nur der qualitative, sondern auch der quantitative Charakter der Erscheinungen. Um bei unserem Beispiel zu bleiben, so mufs der kompensierende Fernimpuls um so st\u00e4rker sein, die mit Fernimpuls gesehenen F\u00e4den m\u00fcssen um so weiter zur\u00fccktreten, je st\u00e4rker der urspr\u00fcngliche Naheimpuls war, d. h. je n\u00e4her der Beobachtungsstandort ist* Auch hier sei auf die Analogie der antagonistischen farbigen Prozesse im Auge hingewiesen (vgl. Jaensch und Reich); in den antagonistischen farbigen wie den antagonistischen Aufmerksamkeitsprozessen verr\u00e4t sich \u201edie Selbststeuerung der lebenden Substanz\u201c (Hering).\nRechnet man zu den Zickzackkurven als deren einfachsten Fall (1 Zacke: \u201eEinzack\u201c) auch das Ergebnis des Grundversuchs am Fadentripel, so ist zusammenfassend zu sagen, dafs auch bei ruhender Fixation bei 3\u20147 (und wohl auch mehr) F\u00e4den die \u00fcber^ wiegende Zahl der F\u00e4lle das Zickzack darbietet und darum sowie oben zu erkl\u00e4ren ist. Nur werden jetzt sehr oft zwei Nachbarf\u00e4den in \u00fcbereinstimmende Tiefe lokalisiert, so dafs dann eine \u201eZacke\u201c von 2 F\u00e4den gebildet wird statt von einem (z. B* Abb. 16\u201418, 20\u201422). Der Grund wird wieder kollektive Auf-\n1\t\u00dcber den Antagonismus des Nahe- und Fernimpulses vgl. Jaensch und Reich a. a. 0.\n2\tDie primitivsten Ornamente zeigen nicht nur Rhythmik, sondern geradezu unser Zickzack-, hier auch Dreieckmotiv genannt (Wundt, \u00bbElemente der V\u00f6lkerpsychologie\u201c, 1912, S. 100; Gbosse, \u201eDie Anf\u00e4nge der Kunst\u201c, 1894, S. 113. \u2014 Experimentell handelt \u201e\u00dcber optische Rhythmik\u201c Heinz Werner im Arch. f. d. ges. Psychol. 88. 1908.","page":227},{"file":"p0228.txt","language":"de","ocr_de":"228\nKarl Kr\u00f6ncke.\nfassung dieses Paares sein. Auch bei gr\u00f6fserer Fadenzahl kommen ausnahmsweise \u201eEinzacks\u201c vor (z. B. Abb. 31 und 41); offenbar wanderte hier die Aufmerksamkeit von dem fixierten Faden aus nach hinten bzw. vorn in schr\u00e4ger Richtung und lokalisierte die passierten F\u00e4den l\u00e4ngs ihres Weges. Wo diese \u201eEinzacks\u201c bogenf\u00f6rmig gekr\u00fcmmt sind, dort wanderte offenbar die Aufmerksamkeit nach hinten bzw. vorn in gekr\u00fcmmter Bahn (z. B. Abb. 39 und 42). Es ist ganz verst\u00e4ndlich, dafs die Ph\u00e4nomene bei fixiertem Blick weniger eindeutig sind als bei bewegtem; w\u00e4hrend des hier l\u00e4ngeren Verweilens der Fixation k\u00f6nnen sich mannigfachere Verhaltungsweisen der Aufmerksamkeit ausbilden und auch sekund\u00e4re Faktoren Einflufs gewinnen, wie z. B. die oben erw\u00e4hnte R\u00fcckwirkung der subjektiven Verbindungsfl\u00e4chen auf die Kurvenform.1\n6. Umkehrung des Ph\u00e4nomens beim Grundversuch\nam F ad en trip el.\nDie ph\u00e4nomenologische und genetische Untersuchung der Kernfl\u00e4che f\u00fchrt somit zu \u00fcbereinstimmenden Ergebnissen. Eine weitere Best\u00e4tigung hierf\u00fcr ist, dafs sich das Ergebnis des Grundversuchs am Fadentripel auf beiden Untersuchungswegen unter denselben Versuchsbedingungen umkehrt. Gaben wir unseren Vpn. am Fadentripel die Instruktion, die F\u00e4den 1 und 3 kollektiv aufzufassen und ihnen die Aufmerksamkeit zuzuwenden, 2 dagegen nur nebenher zu beachten, so trat bei allen unseren Beobachtern vom regul\u00e4ren, d. h. I. Typus (16 Vpn.) diesseits der abathischen Region Faden 1 und 3 vor 2; jenseits dieser Region 2 vor 1 und 3 (vgl. Abb. 46). Die Erscheinung des Grundversuchs hatte sich also umgekehrt. Unter denselben Bedingungen war dies ja erfolgt bei den Versuchen mit Eidetikern, sowohl bei eidetischer wie hemieidetischer Anstellung des Grundversuchs (Jaensch und Reich a. a. 0.).\n1 Die von den \u00fcbrigen Ergebnissen abweichende Form in Abb. 40, diesseits 100 cm, k\u00f6nnte hierauf beruhen, aber auch auf einem ungew\u00f6hnlichen Aufmerksamkeitsverhaltens irgend anderen Ursprungs.","page":228}],"identifier":"lit35931","issued":"1921","language":"de","pages":"217-228","startpages":"217","title":"Zur Ph\u00e4nomenologie der Kernfl\u00e4che des Sehraums","type":"Journal Article","volume":"52"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:16:13.810695+00:00"}

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