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{"created":"2022-01-31T16:46:49.521202+00:00","id":"lit35938","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Hillebrand, Fr.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 53: 129-133","fulltext":[{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"129\n'Grunds\u00e4tzliches zur Theorie der Farbenempfindungen.\nVon\nFe. Hillebeand.\nIn einer k\u00fcrzlich erschienenen Arbeit \u201eP\u00fcEKixjEsches Ph\u00e4nomen und Eigenhelligkeit\u201c (diese Zeitschrift 51, S.46ff.) habe ich zwei Abhandlungen F. Exnees, die \u00fcber denselben Gegenstand handeln *, einer eingehenden Kritik unterzogen. Es war mir darum zu tun, wenigstens dasjenige Mats von Klarheit wieder herzustellen, das vorher bestanden hatte. In einem soeben erschienenen Aufsatz (diese , Zeitschrift 52 S. 157 ff) nimmt Exnee mit einigen allgemeinen Bemerkungen \u00fcber die Verschiedenheit der beiden \u201eStandpunkte\u201c auf meine Kritik Bezug, um die un\u00fcberwindlichen Schwierigkeiten aufzuzeigen, die seiner Meinung nach einer Verst\u00e4ndigung im Wege stehen. An die M\u00f6glichkeit einer solchen glaubt Exxek nicht und unterl\u00e4fst es daher auf die \u201eDetails\u201c einzugehen, d. h. sich mit meinen Einw\u00e4nden irgendwie auseinanderzusetzen ; er begn\u00fcgt sich ihnen summarisch jede Berechtigung abzusprechen. Ich bin also nicht in der Lage, auf eine Gegenkritik zu antworten, da eine solche gar nicht versucht wurde. Hinsichtlich der sog. \u201eStandpunkte\u201c jedoch bin ich nicht der Meinung, dafs man sie wie Geschmackssachen behandeln darf, die man mit einem \u201enon est disputandum\u201c erledigt: sie scheinen mir einer fruchtbaren Diskussion sehr wohl zug\u00e4nglich, ja einer solchen um so bed\u00fcrftiger, je weiter sie voneinander abweichen. Die \u201eStandpunkte\u201c enthalten ebensogut S\u00e4tze, die beweisbar oder widerlegbar sind, wie irgendwelche spezielle Theorien; nur f\u00fchren sie zu Betrachtungen, die wegen\n1 \u201eEinige Versuche und Bemerkungen zur Farbenlehre.\u201c Wiener Sitz.-Ber. Mathem. naturw. Kl. 127 (9) (1918) und \u201eZur Kenntnis des Purkinje-\u2022schen Ph\u00e4nomens.\u201c Ebenda 128 (1) (1919).","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nFr. miltbrand.\nihrer gr\u00f6fseren Allgemeinheit noch schwieriger und logischen Entgleisungen noch leichter ausgesetzt sind. In der Tat enth\u00e4lt ja auch Exners neuester Aufsatz Er\u00f6rterungen dieser Art, die sich von Unklarheiten nicht frei gehalten haben. Die letzteren sind es, die in Wahrheit die Verst\u00e4ndigung so sehr erschweren, nicht die Verschiedenheit der \u201eStandpunkte\u201c.\nDie wenigen Bemerkungen, auf die ich mich in diesem Sehlufswort beschr\u00e4nken will, sollen eben das leisten, was ich bei Exner vermisse : die Kl\u00e4rung einiger f\u00fcr die vorliegende Diskussion wesentlicher Grundbegriffe und damit die Entfernung gewisser fundamentaler Mifsverst\u00e4ndnisse.\nDer sog. \u201eph\u00e4nomenologische Standpunkt\u201c gilt nur f\u00fcr die Beschreibung der Farbenempfindungen; hier bedeutet er eine Selbstverst\u00e4ndlichkeit. Dafs er auch f\u00fcr die E n t s t e h u n g s -gesetze Geltung habe, ist von keinem Ph\u00e4nomenologen je behauptet worden.\nEs ist daher falsch, wenn Exner (S. 164) meint, die Ph\u00e4nomenologen m\u00fcfsten, wenn sie \u00fcber die blofse Beschreibung hinausgingen, \u201evon der Forderung Herings abweichen\u201c. Wo hat Hering je diese Forderung erhoben?\nBeschrieben werden die Farbenempfindungen mittels gewisser Merkmale, die qualitativ \u00fcberhaupt nicht weiter definierbar sind, falls man \u201eDefinieren\u201c im strengen Sinne versteht. Diese letzten Variablen sind quantitativ abstuf bar, aber nur im Sinne von intensiven Gr\u00f6fsen; sie setzen sich nicht aus Teilen und daher auch nicht aus gleichen Teilen zusammen und haben somit nicht die f\u00fcr additive Gr\u00f6fsen charakteristische Eigenschaft, dafs, wenn a^>b, sich eine Gr\u00f6fse c finden lassen mufs derart, dafs b-j-c = a.\nWas man im engeren Sinne \u201eIntensit\u00e4t\u201c nennt, ist nur eine bestimmte Art der intensiven Gr\u00f6fsen, dadurch gekennzeichnet, dafs sie ihrer Natur nach gegen 0 limitiert. Diese Sachlage hat Exner mifsverstanden, wenn er meiner Behauptung, die Helligkeit sei nicht Intensit\u00e4t, den Sinn unterlegt, sie sei \u00fcberhaupt keine intensive Gr\u00f6fse (S. 160).\nHingegen sind Abst\u00e4nde mefsbar, weil sie Teile enthalten, die, miteinander verglichen, zu den Urteilen \u201egr\u00f6fser\u201c, \u201ekleiner\u201c und daher auch \u201egleich\u201c f\u00fchren. Damit ist sofort auch die M\u00f6glichkeit von Mafseinheiten gegeben. Mit den Mafsein-heiten sind selbstverst\u00e4ndlich auch die Mafszahlen gegeben, die\nja nur aussagen, wie oft die Mafseinheit in dem zu Messenden enthalten ist.","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Grunds\u00e4tzliches zur Theorie der Farbenempfindungen.\n131\nEs ist mir daher unverst\u00e4ndlich, wie Exner (S. 159, Eufsnote) sagen konnte, die Abst\u00e4nde h\u00e4tten keine Mafszahlen. Vermutlich sind ihm dabei die Bedenken vorgeschwebt, die man gegen Fechners Versuch, den eben-merklichen Unterschied zur Mafseinheit zu machen, vorgebracht hat. Allein hier ist von ebenmerklichen Unterschieden \u00fcberhaupt nicht die Rede.\nAuch \u00fcber die Verwendung der ebenmerklichen Unterschiede als Ma\u00dfeinheiten ist Exner nicht gen\u00fcgend orientiert. Dafs aus der Ebenmerk-lichkeit die Gleichheit nicht schon begrifflich hervorgeht (wie Fechner meinte) ist l\u00e4ngst bekannt. Dafs sie aber \u201eweder bewiesen noch \u00fcberhaupt beweisbar\u201c sei (S. 158) ist bestenfalls nur zur ersten H\u00e4lfte richtig. Die Zerlegung zweier gleich erscheinender \u00fcbermerklicher Abst\u00e4nde in ihre ebenmerklichen Elemente mufs prinzipiell diese Frage zur Entscheidung bringen k\u00f6nnen. Tats\u00e4chlich hat W. Ament nach dieser Methode untersucht und zwar mit dem negativen Ergebnis, dafs die e. m. Unterschiede nicht gleich sind. Sp\u00e4ter sind durch Fr\u00f6bes und Jacobsohn mancherlei Momente aufgedeckt worden, die sich in die Vergleichung von Abst\u00e4nden st\u00f6rend einmischen, so dafs die Ergebnisse Aments nicht mehr als entscheidend gelten k\u00f6nnen. Nach dem heutigen Stand spricht sogar vieles daf\u00fcr, dafs sich die urspr\u00fcngliche Annahme Fechners doch bew\u00e4hren wird. Von einer unbeweisbaren Annahme kann also nicht die Rede sein.\nOb eine Messung auf dieser Basis mit hinreichender Genauigkeit durchgef\u00fchrt werden kann, ist eine Frage f\u00fcr sich. Aber dar\u00fcber mufs man sich klar sein, dafs nur, wenn sie wenigstens prinzipiell m\u00f6glich ist, an eine Messung mit indirekten Mafsmitteln (n\u00e4mlich mit physikalischen Mafsen, mit denen ja nur die \u00e4ufseren Reizvorg\u00e4nge direkt gemessen werden) gedacht werden kann : k\u00f6nnte man nicht von gleichen Empfindungsabst\u00e4nden reden, so w\u00fcrde selbst eine feste Zuordnung zwischen Empfindung und physikalischem Vorgang (die in Wahrheit gar nicht besteht) niemals zu einer Messung f\u00fchren k\u00f6nnen, sondern nur dazu, eine bestimmte Empfindung nach Belieben immer wieder herzustellen, bezw. eine sp\u00e4tere als dieselbe wiederzuerkennen wie eine fr\u00fchere. Es w\u00fcrde sich hier nicht anders verhalten, als mit den thermoskopischen Anzeigen relativ zu den Temperaturen, wo ja auch von einer Messung nicht gesprochen werden kann. Hier sei das Kapitel \u201eKritik des Temperaturbegriffs\u201c aus Machs \u201ePrinzipien der W\u00e4rmelehre\u201c zum eingehenden Studium empfohlen. \u2014 Soviel \u00fcber die deskriptive Seite.\nHinsichtlich der Entstehungsbedingungen sind wir, da der Einblick in die physiologischen Vorg\u00e4nge zum gr\u00f6fsten Teil fehlt, auf Hypothesen angewiesen. Das Bed\u00fcrfnis nach solchen entspringt aus der St\u00f6rung in der wechselseitig eindeutigen Zu-","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nFr. Rillebrand.\nOrdnung zwischen \u00e4ufserem Vorgang und Empfindung, also zwischen Licht und Farbe1 \u2014 also gerade aus der Tatsache, auf der die Unm\u00f6glichkeit beruht die Empfindungen durch die \u00e4ufseren Reizvorg\u00e4nge vertreten zu lassen und in diesem Sinn zu \u201edefinieren\u201c.\nImmer aufs neue wiederholt Exner die Behauptung, dafs \u201ejede Farbe sich nach Angabe ihrer Wellenl\u00e4nge wieder herstellen l\u00e4fst. Wie oft soll man noch auf die zahlreichen Tatsachen hinweisen, die dem widersprechen?\nDiese hypothetischen Vorg\u00e4nge sind im strengen Sinne additive Gr\u00f6fsen, aber man kann sie nat\u00fcrlich nicht unmittelbar messen, da sie gar nicht beobachtbar sind. Hierher geh\u00f6ren z. B. die Assimilations- und Dissimilationsgr\u00f6fsen Herings, ebenso aber auch die Erregbarkeitskurven, die Helmholtz f\u00fcr die drei Faserarten angenommen hat.\nWenn Exner die ersteren \u201esymbolisch\u201c nennt, so kann damit nur ihr hypothetischer Charakter gemeint sein; im selben Sinne sind dann aber auch die HELMHOLTZschen Kurven \u201esymbolisch\u201c.\nEbenso wie die Qualit\u00e4t dieser Prozesse eine hypothetische ist, ist es auch ihre Quantit\u00e4t. Und was \u00fcber die letztere gesagt wird, h\u00e4ngt ebenso ausschliefslich von dem Erkl\u00e4rungswert ab wie die Annahme \u00fcber ihre Qualit\u00e4t. Denken wir uns diese Annahmen so vollkommen durchgef\u00fchrt als nur m\u00f6glich, so w\u00fcrde damit das Ziel einer eindeutigen Beziehung zwischen den Reizvorg\u00e4ngen und den Empfindungen erreicht sein und dann erst k\u00f6nnte man die letzteren durch die ersteren ersetzen und mit diesen rechnen. Diese Beziehung gestaltet sich in der Theorie Herings komplizierter als in der Dreifasertheorie, aber nur, weil eben die Tatsachen verwickelter sind als die Helm-HOLTZsche Theorie sie sich denkt, die mancherlei Unbequemlichkeiten in das Gebiet der Urteilst\u00e4uschungen abschiebt. Zu diesen komplizierenden Umst\u00e4nden geh\u00f6rt z. B. die simultane und die sukzessive Anpassung. Denken wir uns alle diese Umst\u00e4nde quantitativ bestimmt (wovon wir heute noch weit entfernt sind), dann wird man die Empfindungen als Funktionen der (gleichzeitigen und vorangehenden) Reizvorg\u00e4nge darstellen und die letzteren zwar nicht als Mafseinheiten, aber doch als Mafsmittel (Fechner) benutzen k\u00f6nnen. Es w\u00e4re dann\n1 Vgl. Hillebrand, \u201eEwald Hering, ein Gedenkwort der Psychophysik\u201c. \u2022Berlin 1918. S. 90 ff.","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"Grunds\u00e4tzliches zur Theorie der Farbenempfindungen.\t133\njenes Ziel wirklich erreicht, das Fechner vorschwebte ; aber auch dies w\u00fcrde, wie immer wieder betont werden mufs, voraussetzen, dafs auf dem Gebiet der Empfindungen ein Messen durch interne Mafseinheiten prinzipiell m\u00f6glich ist. Wer, wie Exner, dies letztere leugnet, gibt sich einer T\u00e4uschung bin, wenn er gleichzeitig eine Messung durch indirekte (hier physikalische) Mafsmittel f\u00fcr m\u00f6glich h\u00e4lt.","page":133}],"identifier":"lit35938","issued":"1922","language":"de","pages":"129-133","startpages":"129","title":"Grunds\u00e4tzliches zur Theorie der Farbenempfindungen","type":"Journal Article","volume":"53"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:46:49.521207+00:00"}