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{"created":"2022-01-31T16:48:36.588392+00:00","id":"lit35941","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Gehrcke, E.","role":"author"},{"name":"E. Lau","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 53: 174-178","fulltext":[{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"(Mitteilung aus der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt.)\n\u2022 \u2022\nUber Erscheinungen beim Sehen kontinuierlicher\nHelligkeitsv erteilun gen.\nVon\nE. Gehecke und E. Lau.\nMit 1 Tafel.\n\u00a7 1. Den bekannten Kontrasterscheinungen beim Sehen einzelner oder mehrerer, verschieden heller Fl\u00e4chen stellen sich nicht minder eigenartige Beobachtungen an die Seite, wenn man statt diskontinuierlicher Helligkeitsunterschiede kontinuierliche Helligkeitsverteilungen betrachtet. Wir sind hierauf durch eine physikalische Aufgabe gestofsen: es handelte sich darum, auf einer unregelm\u00e4fsigen, aber kontinuierlichen Helligkeitsverteilung einer photographischen Aufnahme von Interferenzstreifen eine Linie gleicher Helligkeit zu finden.\nDie hierbei auftretenden Erscheinungen sollen durch die Bilder der Tafel 1 deutlich gemacht wrerden. Abb. 2 ist die Photographie, wie sie sich aus einer physikalischen Versuchsanordnung1 ergab; sie stellt eine unregelm\u00e4fsige, aber stetige Helligkeitsverteilung dar. Versucht man eine Kurve gleicher Helligkeit in Abb. 2 zu zeichnen, so findet man etwa Linien wie die in Abb. 3 angegebenen. Diese sind jedoch objektiv unrichtig. Denn die objektiv richtigen Linien zeigen eine andere Gestalt; sie lassen sich durch mehrfaches Umkopieren auf hart arbeitenden Platten (Graphosplatten der Firma GEBHAEDT-Berlin-Niedersch\u00f6nhausen) gewinnen. Abb. 1 zeigt ein solches, durch 4 maliges Umkopieren von Abb. 2 erhaltenes Bild : hier erkennt man leicht eine ziemlich scharfe Umgrenzungskurve, die als Kurve gleicher Helligkeit anzusprechen ist. Sie ist gegen\u00fcber Abb. 3 dadurch\n1 N\u00e4heres \u00fcber diese ygl. Annalen der Physik 65, 564\u2014576. 1921.","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"Erscheinungen beim Sehen kontinuierlicher Helligkeitsverteilungen. 175\ngekennzeichnet, dafs die Kr\u00fcmmungen der Helligkeitskurve viel geringer sind als sie in Abb. 2, gem\u00e4fs Abb. 3, erscheinen. Also die objektive Kurve konstanter Helligkeit der Abb. 1 verl\u00e4uft wesentlich glatter als die subjektive Kurve konstanter Helligkeit der Abb. 3.\nUm die Richtigkeit des Ergebnisses zu pr\u00fcfen, konnten wir Aufnahmen von Interferenzstreifen der in Abb. 2 dargestellten Art zum Vergleich beranziehen, die mittels Registrier-Mikrophoto-meters von Koch ausphotometriert waren : es zeigten auch diese *, v\u00f6lllig einwandfreien und objektiven \u201eSchw\u00e4rzungskurven\u201c, \u00fcbereinstimmend mit dem in Abb. 1 dargestellten Ergebnis, weit geringere Kr\u00fcmmungen der HelligkeitsVerteilung als sie subjektiv beim Betrachten der Originalplatten vorhanden erschienen. Die ausphotometrierten Platten waren direkte Originalaufnahmen der zu untersuchenden Lichtverteilung ohne jede Verst\u00e4rkung oder Einschaltung einer Zwischenkopie.\n\u00a7 2. Zum bequemen Studium von Kontrasterscheinungen an kontinuierlichen Helligkeitsverteilungen haben wir folgenden einfachen Apparat hergestellt:\nEin an der Drehbank sauber gedrehter Kegel aus Holz (Winkel an der Spitze etwa 135\u00b0, Durchmesser der Grundfl\u00e4che 13 cm) wurde auf seiner Mantelfl\u00e4che mit weifser Leimfarbe1 2 gleichm\u00e4fsig weifs angestrichen. Beleuchtet man ihn dann so, dafs etwa die H\u00e4lfte des Kegelmantels beschattet erscheint, die andere H\u00e4lfte hell, so bieten sich auf der Mantelfl\u00e4che zwei symmetrische Helligkeits Verteilungen mit kontinuierlicher Folge der Helligkeitswerte dar. In Abb. 4 und 5 der Tafel ist dieser Kegel unter verschiedener Beleuchtung photographiert, mit der Visierrichtung in der Kegelachse, und man erkennt hier die Helligkeitsverteilung des Kegelmantels : auf jedem Kreise um die Kegelspitze als Mittelpunkt erscheint eine kontinuierliche Helligkeitsskala, und es ist der \u00dcbergang von hell nach dunkel\n1\tDen Herren Koch und Goos von der Universit\u00e4t Hamburg, sowie Herrn Moll von der Universit\u00e4t Utrecht, die mit den Einrichtungen ihrer Institute uns die Registrieraufnahmen hergestellt haben, m\u00f6chten wir auch an dieser Stelle unseren verbindlichsten Dank f\u00fcr ihre M\u00fchewaltung aussprechen.\n2\tEinen noch gleichm\u00e4fsigeren, sehr feinen \u00dcberzug erh\u00e4lt man, wenn man den Kegel mit der Flamme brennenden Magnesiumbandes \u201eweifs berufst\u201c.","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176\nE. 6-ehrcke und E. Lau.\num so allm\u00e4hlicher, je gr\u00f6fser der Radius. Dicht am Mittelpunkt liegen die Bereiche grofser Helligkeit neben solchen von geringer Helligkeit. Dieser Kegel, bzw. die Abb. 4 und 5 der Tafel l\u00e4fst folgendes erkennen :1\n1.\tDie \u201eKurven gleicher Helligkeit\u201c sind objektiv die erzeugenden Geraden des Kegelmantels, also die Radien der Abb. 4 und 5 auf der Tafel. Subjektiv sind aber die Kurven gleicher Helligkeit gekr\u00fcmmt, und zwar um so mehr, je n\u00e4her dem Mittelpunkt.\n2.\tDie Reihe der Helligkeiten wird als aus zwei Farben, Schwarz und Weifs, bestehend aufgefafst. Die Umgrenzungskurve des hellsten Weifs erscheint im umgekehrten Sinn gekr\u00fcmmt als diejenige des dunkelsten Schwarz. Diese beiden Umgrenzungskurven sind ann\u00e4hernd symmetrisch. Also wird durch Kontrastwirkung das Schwarz ann\u00e4hernd in demselben Mafse schw\u00e4rzer wie das Weifs weifser wird.\n3.\tZwischen der schwarzen und der weifsen Zone lagert die verschieden breite graue Zone; dort heben sich kaum irgendwelche Kurven gleicher Helligkeit heraus.\n4.\tDas Bild der Helligkeitsverteilung des Kegels auf der Netzhaut bleibt objektiv dasselbe, sei es, dafs man den Kegel aus der N\u00e4he, sei es, dafs man ihn aus der Ferne betrachtet. Dicht am Mittelpunkt liegt Schwarz und Weifs unmittelbar benachbart, hier hat man die gew\u00f6hnliche, typische Kontrasterscheinung. Bei Betrachtung aus verschiedenen Entfernungen, etwa 2, 6, 10 m vom Auge, nimmt diese Kontrasterscheinung verschieden grofse Teile des Kegels in Anspruch. Dies erweckt den Eindruck, als ob in kleinem Abstande vom Auge der Kegel in der Mitte eine kleine Erhebung h\u00e4tte, und als ob in grofsem Abstande vom Auge diese Erhebung den ganzen Kegel bedeckt. Die Erhebung erf\u00fcllt etwa den gleichen Sehwinkel bei verschiedenen Abst\u00e4nden vom Auge. Die Kontrasterscheinung bedeckt somit immer nahezu den gleichen Fl\u00e4cheninhalt auf der Netzhaut.\nDie Originalphotographie Abb. 4 der Tafel l\u00e4fst bei genaueren Hinsehen ganz dicht am Mittelpunkt eine objektiv vorhandene Aufhellung des Weifs erkennen. Diese \u201eobjektive Kontrasterscheinung\u201c erkl\u00e4rt sich als photographischer Effekt; beim Entwickeln der\n1 Der Originalkegel liefe die Erscheinung deutlicher hervortreten.","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Erscheinungen beim Sehen kontinuierlicher Helligkeitsverteilungen. 177\nFlatte wird Entwicklungsfl\u00fcssigkeit, die in die Gelatine hinein-differendiert, an der Grenzlinie hell-dunkel ein starkes Konzentrationsgef\u00e4lle haben, so dafs die hellen Stellen zu wenig, die dunklen zu stark entwickelt werden. Dies ist eine bekannte photographische Erscheinung, welche also mit der Kontrasterscheinung beim Sehen parallel geht. Man wird angesichts dieser Tatsachen geneigt sein, auf die G. E. M\u00dcLLERsche Theorie des Kontrastes1 2 zur\u00fcckz\u00fcgreifen : der Kontrast soll hiernach in den Elementen der Netzhaut zustande kommen. Also kann man sich vorstellen, dais der Verbrauch von irgendeiner Substanz bei der Belichtung der Netzhaut dem Verbrauch von Entwickler beim photographischen Prozefs entspricht, so dafs in beiden F\u00e4llen Kontrasterscheinungen zustande kommen.\n\u00a7 3. Der in \u00a7 2 beschriebene Kegel zeigt die Kontrast Erscheinung in der Mitte am besten bei starker und mittlerer Beleuchtung. Beim \u00dcbergang von starker zu schwacher Beleuchtung zeigte sich, dafs die Skala der Helligkeiten von Schwaiz bis Weifs sich insofern \u00e4nderte, als die graue Zone f\u00fcr breiter erkl\u00e4rt wurde, schliefslich so breit, dafs die Enden der Helligkeitsskala nicht mehr Schwarz und Weifs, sondern ein dunkles und helles Grau waren. Dies ist besonders auf den \u00e4ufseren Teilen des Kegelmantels der Fall; Bereiche, die bei starker Beleuchtung als schwarz angesprochen werden, fafste man bei schw\u00e4cherer Beleuchtung als grau auf, trotzdem ihre objektive Helligkeit im letzteren Fall geringer als vorher war; es wird also unter diesen Umst\u00e4nden eine dunkle Farbe dadurch heller, dafs man sie weniger stark beleuchtet.\nBei sehr schwacher Beleuchtung (St\u00e4bchensehen) fehlt die Kontrasterscheinung in der Mitte und auch die ganze Grauskala, statt dessen erscheint der Kegelmantel als eine Art gleichm\u00e4fsig milchiger, matter Scheibe. Hieraus wird man schliefsen wollen, dafs es die Zapfenelemente der Netzhaut sind, die die Kontrasterscheinung bedingen und nicht die St\u00e4bchen. Ferner zeigt dieser Versuch, dafs die St\u00e4bchen Unterschiede der Helligkeit nur in erheblich geringerem Mafse als die Zapfen wahrnehmen lassen. Sobald man das dunkel adaptierte Auge sehr nahe an\n1\tVgl. J. Fr\u00f6bes, Lehrbuch der experimentellen Psychologie. S. 73. 1917.\n2\tEs kann sich allerdings hierbei nur um die Zapfen, nicht um die St\u00e4bchen handeln. Vgl. \u00a7 3.","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178\nE. Gehrcke uud E. Lau.\nden Kegel heranbringt (z. B. bis auf etwa 10 cm), nimmt man auch bei schwacher absoluter Helligkeit, wo man im Bereich der St\u00e4bchen ist, Helligkeitsunterschiede und die Kontrasterscheinung, wenn auch schwach, wieder wahr; eine Erkl\u00e4rung hierf\u00fcr m\u00f6chten wir dahingestellt sein lassen.\n\u00a7 4. Bei Beleuchtung aus der Verl\u00e4ngerung der Kegelachse oder bei allseitig symmetrischer Beleuchtung erscheint der Kegelmantel \u00fcberall gleichm\u00e4fsig hell, sowohl bei grofser wie bei geringer absoluter Beleuchtungsst\u00f6cke; und auch die Spitze wird nicht mehr gesehen. In diesen Zustand konstanter Helligkeitsverteilung ist der Kegel geeignet, eine psychologische Tendenz, die auch sonst beim Sehen gleichm\u00e4fsig beleuchtet erscheinender K\u00f6rper auftritt, deutlich zu machen und selbst im Auditorium zu demonstrieren: n\u00e4mlich die bei den meisten Menschen vorhandene Tendenz, eine ebene Fl\u00e4che zu sehen bzw. mit Bestimmtheit als gesehen zu bezeichnen, sobald der fixierte Gegenstand (Kegelmantel) infolge seiner gleichm\u00e4fsigen Beleuchtung dem Auge keinerlei Einzelheiten darbietet. Eine Kugel ist wegen der viel schwierigeren Herstellung der gleichm\u00e4fsigen Beleuchtung als Demonstrationsobjekt f\u00fcr diesen Zweck weniger geeignet als ein Kegel. Der letztere wurde \u00fcbereinstimmend von den von uns herangezogenen, vorurteilsfreien Versuchspersonen aus einer Entfernung von etwa 12 m f\u00fcr eine weifse Kreisscheibe gehalten. Die Tendenz, Fl\u00e4chen statt K\u00f6rper zu sehen, ist sehr eigenartig \u2022 sie besteht, wie gesagt, bei v\u00f6lliger Abwesenheit irgendeiner sichtbaren Einzelheit oder eines Schattens auf dem weifsen Gegenst\u00e4nde, z. B. dem obigen Kegelmantel. Wenn Einzelheiten oder Schatten auf einem weifsen Objekt erkennbar sind, so tritt, auch wenn durch die Versuchsanordnung die Querdisparation ausgeschaltet ist, die Tendenz auf, k\u00f6rperliche Objekte (Kugeln, gew\u00f6lbte Fl\u00e4chen usw.) statt ebener Fl\u00e4chen als bestimmt vorhandene zu sehen. So konnten wir es erzielen, dafs eme weifse Papierscheibe von 17 cm Durchmesser, die mit einigen groben Schatten bemalt war, von vielen Versuchspersonen aus einer Entfernung von etwa 13 m als Kugel angesehen wurde, wahrend der dicht bei ihr stehende, gleichm\u00e4fsig erleuchtete\nwei se Kegelmantel mit Bestimmtheit als Kreisscheibe angesprochen wurde.","page":178},{"file":"p0178table1.txt","language":"de","ocr_de":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie, Band 53 (zu E. Gehrcke und E. Lau). Tafel 1\nFig. 1\nFig. 2\nFig'. 4\nFig. 5\nVerlag von Johann Ambrosius Barth in Leipzig.","page":0}],"identifier":"lit35941","issued":"1922","language":"de","pages":"174-178","startpages":"174","title":"\u00dcber Erscheinungen beim Sehen kontinuierlicher Helligkeitsverteilungen","type":"Journal Article","volume":"53"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:48:36.588398+00:00"}