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{"created":"2022-01-31T16:49:55.585686+00:00","id":"lit35945","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Ewald, J. Rich.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 53: 213-217","fulltext":[{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"(Ans dem physiologischen Institut der Universit\u00e4t Stralsburg.)\nSchallbildertheorie und Erkenntnistheorie.\nVon\nJ. Rich. Ewald f.\nDa bei der Schallbildertheorie 1 die Wahrnehmung eines einzelnen Tons durch eine Reihe gleichzeitiger Nervenerregungen vermittelt wird, bei denen der anatomische Abstand der Endfasern, die gereizt werden, das Charakteristikum f\u00fcr die Tonh\u00f6he sein soll, so haben wir es hier mit einer Sinneserregung zu tun, deren Zustandekommen von dem f\u00fcr die anderen Sinnesorgane angenommenen Erkl\u00e4rungsprinzip nicht unwesentlich abweicht. Dies ist besonders der Fall in bezug auf die uns durch die Resonatorentheorie in Fleisch und Blut \u00fcbergegangene Voraussetzung, nach der jeder Ton nur eine einzelne Akustikusfaser oder h\u00f6chstens eine kleine Gruppe benachbarter Fasern in Erregung versetzen soll. Ich habe schon in meiner ersten Mitteilung \u00fcber die Schallbildertheorie diese Verh\u00e4ltnisse mit wenigen Worten erw\u00e4hnt und komme jetzt etwas ausf\u00fchrlicher darauf zur\u00fcck.\nWenn es sich um das Zustandekommen von Sinnesempfindungen handelt, mufs man Subjekt und Objekt und ebenso subjektive und objektive Vorg\u00e4nge in richtigerWeise unterscheiden. Unser eigener K\u00f6rper mit seinen Sinnesorganen, Nervenbahnen und dem Zentralnervensystem ist f\u00fcr uns Objekt. Wie durch objektive Vorg\u00e4nge ein subjektiver entstehen kann oder mit\n1 Zur Physiologie des Labyrinths VI. Mitteilung. Eine neue H\u00f6rtheorie. Pfl\u00fcgers Arch. 76, S. 147.\t1899. Gesondert erschienen bei Emil Straufs,\nBonn 1899.","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214\nJ. Richard Ewald f.\nanderen Worten, wie ein im Gehirn vorhandener materieller Zustand oder eine sich dort vollziehende Ver\u00e4nderung dieses Zustandes ein Bewufstsein erzeugen kann, ist unerkl\u00e4rbar, transzendent. Es ist dies das ber\u00fchmte \u201eIgnorabimus\u201c du Bois-Reymonds.\nUnsere Wahrnehmungen sind Teilerscheinungen unseres Be-wufstseins, also subjektiv und als solche k\u00f6nnen sie daher auch nicht durch materielle Vorg\u00e4nge erkl\u00e4rt werden. Doch gibt es gewisse Beziehungen, freilich nur sehr wenige, zwischen dem subjektiven Vorgang der Wahrnehmung und dem objektiven Vorgang, der den ersteren veranlafst. Die Grundlagen dieser Beziehungen lassen sich in wenigen Worten ausdr\u00fccken.\n1.\tJeder subjektive Prozefs, daher auch jede Wahrnehmung wird durch einen objektiven Vorgang veranlafst.\n2.\tZwei verschiedene Wahrnehmungen k\u00f6nnen nicht den gleichen Anlafs haben.\nDurch diese beiden Haupts\u00e4tze werden die Beziehungen zwischen subjektiven und objektiven Vorg\u00e4ngen vollst\u00e4ndig definiert, so weit sie a priori ohne Einmischung von empirischen Erfahrungen, also rein erkenntnistheoretisch festgestellt werden k\u00f6nnen.\nAus dem zweiten der obigen Haupts\u00e4tze geht dann eine F\u00fclle von weiteren, direkten und indirekten Schlufsfolgerungen positiver und negativer Form hervor, von denen die wichtigsten erw\u00e4hnt werden m\u00f6gen.\na)\tEs ist nicht ausgeschlossen, dafs dieselbe Wahrnehmung durch verschiedene Anl\u00e4sse bewirkt werden kann, so dafs also das eine Mal der eine Anlafs, das andere Mal ein anderer die gleiche Wahrnehmung zur Folge hat.\nb)\tDer Anlafs kann sich aus einer beliebigen Anzahl von Komponenten zusammensetzen, von denen jede, wenn sie gesondert wirksam ist, auch eine Wahrnehmung veranlassen kann, die dann aber nicht der durch den Komplex hervorgerufenen qualitativ \u00e4hnlich zu sein braucht. Die einzelnen Komponenten k\u00f6nnen aber auch f\u00fcr sich allein wirkungslos sein.\nc)\tDie Ver\u00e4nderung des Anlasses, welche n\u00f6tig ist, um eine\nandere Wahrnehmung hervorzurufen, kann ganz beliebiger Art\n* \u2022\nsein. Jede denkbare \u00c4nderung in bezug auf Qualit\u00e4t und\nQuantit\u00e4t des Anlasses kann eine beliebige \u00c4nderung der Wahr-\n\u2022 \u2022\nnehmung zur Folge haben. \u00c4hnlichen Ver\u00e4nderungen der An-","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"Schallbildertheorie und Erkenntnistheorie.\n215\nlasse brauchen daher auch nicht \u00e4hnliche Ver\u00e4nderungen der Wahrnehmungen zu entsprechen.\nDiese S\u00e4tze scheinen mir unumst\u00f6fslich richtig zu sein, sie sind es a priori und haben nur das Kausalgesetz zur Grundlage.\nBei der Schallbildertheorie ist nun zun\u00e4chst das Besondere gegen\u00fcber der Resonatorentheorie darin gelegen, dafs, wenn wir die einzelnen erregten Endigungen der Oktavusfasern mit Buchstaben bezeichnen, a -f- b + c +...... eine Tonempfindung von\nanderer Tonh\u00f6he veranlassen soll als a -f- b' -f- c' -j-., wobei\nzwar a, b, c..... und ebenso a, b', c'...... unter sich gleiche\nr\u00e4umliche Abst\u00e4nde haben, die Abst\u00e4nde der ersten Reihe aber nicht gleich denen der zweiten Reihe sind. Offenbar kommt es dabei auf die Zahl der Glieder der beiden Reihen nicht an und wir k\u00f6nnen das Problem auf den einfachsten Fall zur\u00fcckf\u00fchren. Dann lautet es : a -f- b und a -f- b' werden als zwei verschieden hohe T\u00f6ne wahrgenommen.1\nDa nun a -f- b und a -f- b' verschiedene Reize sind, indem zu a das eine Mal b, das andere Mal b' hinzugekommen ist, so k\u00f6nnen auch verschiedene Empfindungsqualit\u00e4ten den beiden Reizen entsprechen. Das Analoge wird ja auch bei der Young-HELMHOLTzschen Farbentheorie angenommen. Auch bei ihr wird durch Ver\u00e4nderung einer Komponente des Gesamtreizes die Qualit\u00e4t der Empfindung modifiziert. Die gleichzeitige Erregung einer rotempfindenden Faser und einer gr\u00fcnempfindenden gibt eine andere Farbenempfindung als wenn sich mit der rotempfindenden Faser eine violettempfindende gesellt.2\nEs besteht aber zwischen der Schallbildertheorie und der Dreifarbentheorie der grofse Unterschied, dafs sich bei der letzteren die verschiedenen Qualit\u00e4ten aus Komponenten zusammensetzen, die einzeln ebenfalls eine besondere Qualit\u00e4t innerhalb des gleichen Empfindungsgebietes besitzen. Es kombinieren sich hier Farbenempfindungen zu Farbenempfindungen. Das ist nun freilich bei der Schallbildertheorie ganz anders. Die Verbindung a -f- b gibt\n1\tWenn im folgenden immer nur von zwei Gliedern der Reihe gesprochen wird, so m\u00f6ge man nicht vergessen, dafs es sich in Wirklichkeit um zahlreiche Glieder handelt, abgesehen vielleicht von den tiefsten noch h\u00f6rbaren T\u00f6nen.\n2\tDafs es sich bei dieser Theorie immer um 3 Komponenten und nicht nur um 2 handelt, macht im Prinzip keinen Unterschied,","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216\nJ. Richard Ewald f.\neine Tonempfindung yon besonderer Qualit\u00e4t, aber a und b einzeln geben keine Tonempfindung. Ob und wie sie einzeln wirken, wissen wir weder, noch k\u00f6nnen wir es vermuten. Denn durch Schalleinwirkung irgendwelcher Art kann niemals eine einzelne Faser gereizt werden. Entweder es entstehen stehende Wellen auf der Basilarmembran, bei denen die Erregung gleichzeitig an vielen Punkten stattfindet (T\u00f6ne) oder es handelt sich um laufende Wellen (Ger\u00e4usche), wobei dann auch die einzelne Faser nicht zur Wirkung kommt. Die bestimmte Qualit\u00e4t der Empfindung von a-f-b entsteht also nicht aus der Verbindung von zwei anderen Empfindungen \u00e4hnlicher Qualit\u00e4ten.\nAber auch hierin liegt f\u00fcr uns nichts Fremdartiges, da wir ja das Analoge bei jeder H\u00f6rtheorie annehmen m\u00fcssen. Ein einzelner Schallstofs kann theoretisch unter keinen Umst\u00e4nden einen Toncharakter haben, w\u00e4hrend durch zwei sich folgende Schallst\u00f6fse eine bestimmte Tonh\u00f6he stets gegeben ist, ob wir sie nun als solche h\u00f6ren k\u00f6nnen oder nicht. Freilich erkl\u00e4rt die Resonatorentheorie diese Wirkung von zwei sich folgenden Schall-st\u00f6fsen durch einen besonderen Mechanismus (Resonanz), aber die Tatsache, dafs 2 Reize zusammen eine bestimmte Qualit\u00e4t der Empfindung erzeugen, w\u00e4hrend keiner der Reize einzeln eine \u00e4hnliche Qualit\u00e4t besitzt, liegt auch bei dieser Theorie vor.\nDas ganz Besondere bei der Schallbildertheorie besteht in dem Umstand, dafs nicht die erregten Fasern an sich, sondern nur ihre gegenseitige r\u00e4umliche Lage f\u00fcr die Tonempfindung mafs-gebend sein soll. In meiner ersten Publikation \u00fcber die Schallbildertheorie habe ich freilich gezeigt, dafs man unter der Annahme, der gleiche Ton errege immer die gleichen in einem bestimmten Abstand voneinander befindlichen Fasern, an der Vorstellung festhalten k\u00f6nne, jeder Ton wirke auf eine bestimmte\nimmer gleiche Stelle im Zentralorgan. Ich verglich die unter\n\u2022 \u2022\ndiesen Umst\u00e4nden m\u00f6gliche \u00dcbertragung der Schallbilder auf das Gehirn mit einer Anlage von elektrischen Klingeln, die durch eine Reihe von Kontaktkn\u00f6pfen bet\u00e4tigt werden k\u00f6nnen. Wird dann \u2014 die geeigneten elektrischen Verbindungen vorausgesetzt \u2014 gleichzeitig auf Kn\u00f6pfe gedr\u00fcckt, die unter sich einen bestimmten gleichen Abstand haben, so kann dadurch eine bestimmte Klingel in T\u00e4tigkeit versetzt werden. Aber man braucht gar nicht f\u00fcr die Ausl\u00f6sung einer Tonempfindung im Gehirn einen einzelnen und bestimmten Zentralpunkt anzunehmen. Es-","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"Schallbildertheorie und Erkenntnistheorie.\n217\nkann der gleiche Ton entweder a -f- b oder auch a-\\- \u00df erregen, vorausgesetzt, dafs \u00ab und \u00df den gleichen Abstand voneinander haben wie a und b. Dann kommt es nur noch auf die relative Lage der beiden erregten Fasern an und dies ist auch nach meinen Erfahrungen mit der Kamera akustika das Wahrscheinlichere und ist auch das biologisch Einfachere. F\u00fcr diese Funktionsweise eines Sinnesorgans kenne ich allerdings kein\ngutes Analogon, aber man kann unter Heranziehung des Tast-\n* \u2022\ngef\u00fchls zur Veranschaulichung der Verh\u00e4ltnisse folgende \u00dcberlegung anstellen.\nWenn man mit entbl\u00f6fsten F\u00fcfsen auf Strohmatten geht, die sich durch gr\u00f6beres oder feineres Geflecht unterscheiden, so kann man diese Unterschiede leicht f\u00fchlen. Die einzelnen dabei erregten Tastfasern der Fufssohle spielen dabei gar keine Rolle, wir sind auch nicht imstande die einzelnen Erregungen wahr zu-nehmen. Wir k\u00f6nnen ferner mit vorderen Teilen der Sohle auf-treten oder mit weiter hinten befindlichen, ohne dafs dies einen wesentlichen Unterschied der Empfindung herbeif\u00fchrte. Es kommt eben einzig auf die relativen Abst\u00e4nde der erregten Tastfasern an. Stellen wir uns nun einmal vor, diese Tastfasern f\u00fchrten zu akustischen Zentralteilen, so k\u00f6nnte sehr wohl die Empfindung eines Tons dadurch veranlagt werden und Unterschiede in der Feinheit des Geflechts der Matte k\u00f6nnten Unterschiede der Tonh\u00f6he veranlassen.\nNat\u00fcrlich pafst dieses Gleichnis nur sehr unvollkommen. Aber das Geh\u00f6r ist auch ein Sinn sui generis und braucht kein Anologon im K\u00f6rper zu haben. Nur zwei Forderungen m\u00fcssen gestellt werden : Die Schallbildertheorie darf mit ihren Annahmen und Voraussetzungen in keinem Widerspruch mit den oben angef\u00fchrten S\u00e4tzen der Erkenntnistheorie stehen und sie mufs die Erfahrungstatsachen der physikalischen und physiologischen Akustik in m\u00f6glichst einfacher Weise erkl\u00e4ren. Beides scheint sie\n\u2022 \u2022\nmir zu tun. Wenn die Vorstellungen, die wir uns von der \u00dcbertragung der Schallbilder auf das Gehirn machen m\u00fcssen, nicht denen gleichen, die wir uns bei anderen Sinnesorganen zu bilden pflegen, so sind sie doch unter Ber\u00fccksichtigung des Umstandes, dafs der Schall die Schallbilder tats\u00e4chlich erzeugt, nicht weniger berechtigt.","page":217}],"identifier":"lit35945","issued":"1922","language":"de","pages":"213-217","startpages":"213","title":"Schallbildertheorie und Erkenntnistheorie","type":"Journal Article","volume":"53"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:49:55.585691+00:00"}