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{"created":"2022-01-31T16:44:49.282561+00:00","id":"lit35969","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie","contributors":[{"name":"Lorenz, Gustav Friedrich","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Sinnesphysiologie 56: 1-21","fulltext":[{"file":"p0001.txt","language":"de","ocr_de":"1\n(Aus dem physiologischen Institut der Universit\u00e4t M\u00fcnster.)\nUntersuchungen \u00fcber willk\u00fcrliche rhythmische\nBewegungen.\nVon\nGustav Friedeich Lorenz.\n\u201eIm Anfang war der Rhythmus!\u201c Dieses bekannte Wort Hans von B\u00fclows, des ber\u00fchmten WAGNER-Dirigenten, l\u00e4fst sich mit vollem Rechte auch auf biologische Verh\u00e4ltnisse anwenden. So zeigt sich schon als allererste Lebens\u00e4ufserung des werdenden Organismus am befruchteten H\u00fchnerei eine rhythmisch pulsierende Stelle, das punctum saliens der Alten, die erste Anlage des sp\u00e4teren Herzens. Der Anblick dieser Bewegung erweckt durchaus den Eindruck des Primitiven infolge ihrer absoluten Gleich-m\u00e4fsigkeit. W\u00fcrde die Bewegung auch nur einmal von dem Rhythmus ein wenig ab weichen, so wirkte sie sofort als gewollt und wir h\u00e4tten den Eindruck eines h\u00f6her entwickelten Organismus. Absolut rhythmische Empfindungen rufen dagegen immer einen primitiven Eindruck hervor. Unser Zeitsinn reagiert eben in eigenartiger Weise auf Empfindungen rhythmischer Natur. Es mag dies wohl daran liegen, dafs ein Bewufstseinsinhalt durch die rhythmische Gliederung in gleiche Abschnitte zerlegt wird und dadurch leichter zu \u00fcbersehen ist. Eine Melodie mit markantem Rhythmus ist leichter zu behalten als eine ohne Rhythmus. So l\u00e4fst sich vielleicht erkl\u00e4ren, wie irgendeine Operettenmelodie mit einfachem, leicht sich einpr\u00e4gendem Rhythmus zum Gassenhauer wird. Musik mit sehr differenziertem Rhythmus ist dagegen schwer. Richard Wagner hat in seinen Sch\u00f6pfungen den Rhythmus stark in den Plintergrund gedr\u00e4ngt. Deshalb wirken gerade hier die Stellen mit einfacher, rhythmischer Gliederung\nZeitschr. f. Sinnesphysiol. 56.\t1","page":1},{"file":"p0002.txt","language":"de","ocr_de":"2\nGustav Friedrich Lorenz.\nso herzerfrischend, da sich der H\u00f6rer bei der besseren \u00dcbersicht erholen kann von der angestrengten Aufmerksamkeit, die zum Erfassen der \u201eendlosen\u201c, rhythmuslosen Melodie notwendig war. Auch wendet Wagner mit Vorliebe einen markanten Rhythmus dann an, wenn er etwas Primitives schildern will. Es sei hier nur das Riesenmotiv im Rheingold erw\u00e4hnt. Ein gutes Beispiel f\u00fcr die Unterst\u00fctzung psychischer T\u00e4tigkeit durch Leistungen von seiten unseres Zeitsinns ist auch das leichtere Auswendiglernen von gebundener, rhythmischer Rede im Vergleiche zur Prosa.\nBeim Zeitsinn mufs man zwei Arten seiner Bet\u00e4tigung unterscheiden. v. Kries 1 hat sie die rezeptorische und die aktive Seite des Zeitsinns genannt. Die vorigen Beispiele bezogen sich haupts\u00e4chlich auf das Verhalten des rezeptorischen Zeitsinns bei rhythmischen Eindr\u00fccken. Auch der aktive Zeitsinn bevorzugt rhythmische Bewegungen vor allen anderen. Es ist in diesem Zusammenh\u00e4nge noch einmal das punctum saliens zu erw\u00e4hnen, denn es ist bemerkenswert, dafs die erste Bewegung als die primitivste eine rhythmische ist. Aber auch beim Erwachsenen bleibt die Gleichm\u00e4fsigkeit der Herzbewegung gewahrt, wie \u00fcberhaupt fast alle unwillk\u00fcrlichen Bewegungen, wie z. B. die Atmung, einen durchaus rhythmischen Charakter haben. Weiterhin ist der Umstand zu erw\u00e4hnen, dafs aller Wahrscheinlichkeit nach die motorischen Impulse von seiten des Zentralnervensystems f\u00fcr die Kontraktion von Muskeln aus einzelnen rhythmischen Impulsen zusammengesetzt sind. M\u00fcnzer 2 spricht daher dem motorischen Apparat die F\u00e4higkeit der Rhythmisierung zu.\nAber auch bei der Ausf\u00fchrung willk\u00fcrlicher Bewegungen bevorzugt das Individuum solche mit rhythmischem Ablaufe. Das beste Beispiel ist das Gehen, das zweifellos eine gewollte Bewegung ist. Dabei ist jedoch zu beachten, dafs die Ausl\u00f6sung wahrscheinlich nur eines einzigen Willensimpulses bedarf und dafs der weitere Ablauf zum gr\u00f6fsten Teil durch einen automatisch arbeitenden Reflexmechanismus zustande kommt. Zentripetale Reize von seiten des Haut- und Muskelsinns l\u00f6sen reflektorisch wieder die n\u00f6tigen motorischen Reize f\u00fcr die folgende Bewegung\n1\tJoh. v. Kbies, Allgemeine Sinnesphysiologie. Leipzig 1923.\n2\tFb. Th. M\u00fcnzeb, Rhythmus und Rhythmisierung. Zentralblatt Physiol 33, 353. 1919.","page":2},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber willk\u00fcrliche rhythmische Bewegungen.\n3\naus. Also auch hier haben wir es eigentlich mit einer wenigstens vorwiegend automatischen Bewegung zu tun, bei der nur Anfang und Ende durch den Willen gegeben wird. In dieser \u00dcberlegung liegt vielleicht der Schl\u00fcssel zur Erkl\u00e4rung f\u00fcr den Umstand, dafs wir so gerne rhythmische Bewegungen ausf\u00fchren. Denn rhythmische Bewegungen regulieren sich von selbst. Sie bed\u00fcrfen nicht dauernder Willensimpulse und verlangen daher auch keine stete Aufmerksamkeit. Sie sind also leichter auszuf\u00fchren und werden daher bevorzugt. Man kann sich eine gleichf\u00f6rmige K\u00f6rperarbeit, wie Rudern, Holzhacken, M\u00e4hen usw. aufserordentlieh erleichtern, indem man sie rhythmisch ausf\u00fchrt.1 * 3 Es kommt auch noch die Tatsache hinzu, dafs der rezeptorische Zeitsinn kontrollierend eingreift und so in dem Reflexmechanismus eine regulierende Rolle spielt. Eine willk\u00fcrliche rhythmische Klopf bewegung z. B. steht unter dauernder Kontrolle des rezeptori-schen Zeitsinns, dem die Empfindungen auf dem Wege des Geh\u00f6rs vermittelt werden. Auf dieser Tatsache beruht es, dafs nach sehr starker Erm\u00fcdung das Marschieren nach Musik beinahe von selbst geht. Viele primitiven V\u00f6lker pflegen ihre gemeinsamen gleichm\u00e4fsigen Arbeiten, wie Rudern, Feldbestellen u. a. nach Musik zu machen.1 Auch die Tanzbewegungen unterliegen dem regulierenden Einflufs durch den rezeptorischen Zeitsinn. Durch den markanten Rhythmus der Tanzmusik sind sie besonders leicht auszuf\u00fchren, ein Umstand, der wohl viel beitr\u00e4gt zur Freude an der Ausf\u00fchrung solcher Bewegungen. Alle diese Tatsachen berechtigen zu dem Schl\u00fcsse, dafs der Sinn f\u00fcr Rhythmus unserem Wesen durchaus eingepflanzt ist.\nTrotz der grofsen Bedeutung des Zeitsinns ist noch sehr wenig \u00fcber ihn gearbeitet worden. Die meisten bisherigen Untersuchungen auf diesem Gebiete bezogen sich auf das Verhalten des rezeptorischen Zeitsinns. Es handelte sich dabei in der Hauptsache um die Wahrnehmung zeitlicher Ordnungen, die Gr\u00d6fsenVergleichung von Zeitstrecken und die Unterschieds-empfindlichkeit f\u00fcr Zeitgr\u00f6fsen.2 3 \u00dcber den aktiven Zeitsinn und \u00fcber rhythmische Bewegungen liegen nur ganz wenige Untersuchungen vor.\n1 Kabl B\u00fccheb, Arbeit und Rhythmus. Leipzig 1919.\n* K. Vibbobdt, Der Zeitsinn. T\u00fcbingen 1868.\n3 Joh. v. Kbies, Allgemeine Sinnesphysiologie. Leipzig 1923.\n1\u00bb","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"4\nGustav Friedrich Lorenz.\nSo beobachtete Freusberg 1 bei Hunden mit durchtrenntem R\u00fcckenmarke rhythmische Bewegungen der hinteren Extremit\u00e4ten, wenn man sie frei herunterh\u00e4ngen liefs. Die Impulse dazu wurden nicht etwa automatisch vom R\u00fcckenmarke aus gegeben. Vielmehr waren gewisse Zust\u00e4nde der Muskeln und Eingeweide die veranlassenden Reize. Es handelte sich also hier um reine Reflexbewegungen.\nv. Kries1 2 3 untersuchte die schnellst m\u00f6gliche Wiederholung rhythmischer Bewegungen und fand, dafs Hand und Finger die h\u00f6chste Beweglichkeit zeigen. Gewisse Klaviervirtuosen haben es bis auf 11 pro Sekunde gebracht. Da wir aber auch langsamere Bewegungen ausf\u00fchren k\u00f6nnen, ist die Periodik der Innervation variabel, v. Kries untersuchte neben dem Rhythmus der Bewegung auch noch die Vorg\u00e4nge im.Muskel, indem er Federn auf den Muskel legte, dessen Vibration er dadurch registrieren konnte. Er fand dabei aufser der mit dem Rhythmus der Bewegung \u00fcbereinstimmenden Periode der einzelnen Gesamtkontraktionen des Muskels auch noch den schnelleren Rhythmus der Innervationsst\u00f6fse. Jede einzelne Bewegung wird also auch bei schnell wiederkehrenden Rhythmen durch tetanische Reize hervorgerufen. Zur Erkl\u00e4rung sagt v. Kries w\u00f6rtlich: \u201eUnser Wille verf\u00fcgt \u00fcber Reizkombinationen, in denen Einzelst\u00f6fse sehr schnell folgen und einer jedesmal an St\u00e4rke \u00fcberwiegt. Diese zusammengesetzten Reize k\u00f6nnen wir in einem willk\u00fcrlich zu bestimmenden Rhythmus aufeinander folgen lassen.\u201c\nSch\u00f6nig 3 stellte Untersuchungen an \u00fcber den Einflufs der peripheren Sensibilit\u00e4t auf die Muskelinnervation. Er untersuchte Flexions- und Extensionsbewegungen des Mittelfingers bei fixierter Hand, indem er diese Bewegungen durch einen am Finger befestigten doppelarmigen Hebel registrierte. Er ber\u00fccksichtigte dabei nur die r\u00e4umlichen Verh\u00e4ltnisse dieser Bewegungen und stellte zun\u00e4chst fest, dafs zu diesen Versuchen eine gewisse \u00dcbung notwendig ist. Weiterhin bewirkte Erm\u00fcdung eine Vergr\u00f6fserung der Bewegung, ebenso Belastung des Fingers. Sch\u00f6nig erkl\u00e4rt diese Erscheinung mit einer \u00dcberkompensierung. In derselben Weise wurde die Exkursion der Bewegung bei abgestumpfter Gelenksensibilit\u00e4t vergr\u00f6fsert, was er damit erkl\u00e4rt, dafs das Zentralnervensystem infolge der schlechteren zentripetalen Reize schlechter informiert wird und nun st\u00e4rkere Innervationsimpulse sendet.\nYas-Kuno4 hat die im Sitzen ausl\u00f6sbare Zitterbewegung eines Beines untersucht. Wird n\u00e4mlich durch schwache willk\u00fcrliche Kontraktionen des Musculus Gastrocnemius der Unterschenkel mehrmals gehoben, dann verf\u00e4llt die Extremit\u00e4t von selbst in eine Zitterbewegung, die durch willk\u00fcrliche\n1 A. Freusberg, Reflexbewegungen beim Hunde. Pfl\u00fcgers Arch. 9,\n358. 1874.\n3 Joh. v. Kries, Zur Kenntnis der willk\u00fcrlichen Muskelt\u00e4tigkeit. Archiv f\u00fcr Anatomie und Physiologie. Physiol. Abteilung 1886. Suppl.-Bd. 1.\n3\tSch\u00f6nig, Lehre von der Regulierung willk\u00fcrlicher Bewegungen. B\u00fchl 1892.\n4\tYas-Kuno, \u00dcber das im Sitzen willk\u00fcrlich ausl\u00f6sbare Zittern eines Beines. Pfl\u00fcgers Archiv 157, B37. 1914.","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber willk\u00fcrliche rhgthniische Bewegungen.\n5\nImpulse wieder aufgehoben wird. Er verfolgte dabei die Muskelerregungen mit dem Saitengalvanometer und stellte w\u00e4hrend des Zitterns rhythmisch tetanische Kontraktion des Muskels fest. Er f\u00fchrt die Bewegung auf eine rasche Folge von Achillessehnenreflexen zur\u00fcck, von denen jeder durch das pl\u00f6tzliche Hinabsinken des durch die Gastrocnemiuskontraktion gehobenen Beines hervorgerufen wird.\nHerr Prof. Dr. Rosemann yeranlafste mich, Untersuchungen \u00fcber den aktiven Zeitsinn anzustellen. Dabei erschien es zweck-, m\u00e4fsig, von m\u00f6glichst einfachen willk\u00fcrlich ausgef\u00fchrten rhythmischen Bewegungen auszugehen. Es war selbstverst\u00e4ndlich nicht m\u00f6glich, das Gebiet ersch\u00f6pfend zu behandeln. Denn dazu sind aufserordentlich viel mehr Versuche erforderlich, als ich anzustellen Gelegenheit hatte. Das durch meine Untersuchungen gewonnene Zahlenmaterial kann lediglich dazu dienen, einen ersten Einblick in das fremde Gebiet zu gew\u00e4hren, neue Fragestellungen aufzuwerfen und Anregung zu weiteren Untersuchungen zu geben.\nJch w\u00e4hlte als Gegenstand meiner Untersuchungen zun\u00e4chst die Bewegungen, die entstehen, wTenn man sich bem\u00fcht, bei aufgelegter Hand mit dem Zeigefinger mit m\u00f6glichster Gleichm\u00e4fsig-keit auf die Unterlage zu klopfen. Weiterhin untersuchte ich entsprechende Bewegungen, die mit der ganzen Hand bei aufgelegtem Unterarm und schliefslich solche, die bei aufgest\u00fctztem Ellbogengelenk mit dem Unterarm ausgef\u00fchrt wurden. Die \u00e4ufseren Bedingungen suchte ich bei den einzelnen Versuchen m\u00f6glichst zu variieren. Ferner wurden die meisten Versuche aufser an mir selbst auch noch an f\u00fcnf anderen Versuchspersonen ausgef\u00fchrt.\nIch registrierte die Bewegungen in der Weise, dafs ich im Augenblicke des Auftreffens des Fingers auf die Unterlage einen Stromkreis schlofs. In ihm war ein Markiermagnet eingeschaltet, dessen Ausschl\u00e4ge auf der Trommel eines Kymographions aufgeschrieben wurden. Das Schliefsen des Stromkreises versuchte ich zuerst dadurch zu erreichen, dafs ich auf einen Morsetaster klopfte. Es stellte sich aber heraus, dafs das Herunterdr\u00fccken des Tasters eine Kraftanstrengung verlangte, die die Ausf\u00fchrung der Bewegungen st\u00f6rte und sehr bald starke Erm\u00fcdung hervorrief. Ich machte mir daher aus ganz d\u00fcnnem Drahte ein K\u00f6rbchen, das ich auf die Fingerkuppe setzte und das durch einen Draht mit dem einen Pole eines Akkumulators verbunden war. Mit diesem K\u00f6rbchen klopfte ich auf ein ebenfalls mit dem Akkumulator verbundenes Zinkpl\u00e4ttchen als Unterlage, so dafs im Augenblicke des Auftreffens des Fingers der Strom geschlossen wurde. Das Gef\u00fchl des Fingers wurde durch das Drahtk\u00f6rbchen nicht im mindesten beeinflufst. Die Leitung vom Finger zur Stromquelle mufste","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"6\nGustav Friedrich Lorenz.\nnat\u00fcrlich ebenfalls aus ganz d\u00fcnnem Drahte bestehen, um die Bewegung nicht zu hindern. Die linke Hand hielt w\u00e4hrend des Versuches den Draht mit so viel Spielraum \u00fcber dem Finger fest, dafs er nicht st\u00f6rte. Die Vp. befand sich in einem anderen Raume, als der Registrierapparat und der Versuchsleiter, damit sie nicht durch das Ger\u00e4usch des Markiermagneten beeinflufst werden konnte. Gleichzeitig mit den Ausschl\u00e4gen des Markiermagneten wurden die Schwingungen einer elektromagnetischen Stimmgabel mit der Schwingungszahl 100 auf der Trommel des Kymographions aufgezeichnet und so in bekannter Weise die Zeitdauer jeder einzelnen Bewegung gemessen.\nDie Zeitdauer wurde in a = Tausendstel Sekunden ausgedr\u00fcckt und dabei auf f\u00fcnf abgerundet. Die ersten f\u00fcnf bis zehn Bewegungen bei jedem Versuche liefs ich unber\u00fccksichtigt, da sich die Versuchsperson immer erst auf den Versuch einstellen mufste. Von den folgenden Bewegungen ber\u00fccksichtigte ich nur die n\u00e4chsten 50, da bei den sp\u00e4teren die zunehmende Erm\u00fcdung das Ergebnis beeintr\u00e4chtigt. Das arithmetische Mittel dieser Zeiten zeigte mir die mittlere Zeitdauer der Bewegung. Ebenso brauchte ich bei jedem Versuche eine Zahl, die \u00fcber den Rhythmus der Bewegung Auskunft gibt, und die sich mit der entsprechenden Zahl eines anderen Versuches ohne weiteres vergleichen l\u00e4fst. Diese Zahl erhielt ich folgendermafsen: Zun\u00e4chst stellte ich in einer Tabelle von jedem einzelnen Versuche die vorgekommenen Zeiten mit der Zahl ihres Vorkommens zusammen. Dazu gab ich noch die positive oder negative Abweichung vom Mittel an (siehe Tab. II). Aus dieser Tabelle ergibt sich als mittlere Zeitdauer 290 g. Aus den Abweichungen wurde ebenfalls das arithmetische Mittel errechnet. Es ergab die absolute mittlere Abweichung. Sie betr\u00e4gt in unserem Beispiele 8,7 o. Sie eignet sich jedoch noch nicht zum Vergleichen mit der analogen Zahl eines anderen Versuches, da dieselbe absolute mittlere Abweichung von 8,7 bei einer Bewegung mit der mittleren Zeitdauer 600, d. h. einer sehr langsamen Bewegung lange nicht so ins Gewicht f\u00e4llt, wie bei einer Bewegung von der Zeitdauer 100, also einer sehr schnellen Bewegung. Ich rechnete daher jedesmal die absolute mittlere Abweichung auf eine mittlere Zeitdauer von 100 a um. F\u00fcr unser Beispiel betr\u00e4gt sie 3,0. Diese relative mittlere Abweichung l\u00e4fst sich nun bequem mit der analogen Zahl eines anderen Versuches vergleichen. Sie zeigt uns, bei welchem Versuche die Bewegung gleichm\u00e4fsiger und bei welchem sie ungleiehm\u00e4fsiger war. Im","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber willk\u00fcrliche rhythmische Bewegungen.\n7\nersteren Fall ist die relative mittlere Abweichung kleiner, im letzteren gr\u00f6fser.\nTabelle I.\nZeitdauer in a\tZahl der F\u00e4lle\tAbweichung\n275\t2\t\u2014 15\n280\t11\t\u2014 10\n285\t4\t\u2014 5\n290\th\t0\n295\ti\t4- 5\n300\t8\t4-10\n305\t5\t-f- 15\n310\t5\t4- 20\nTabelle II.\nVersuchs- person\tMittlere Zeitdauer der Bewegungen der Einzelversuche in 6\t\t\t\t\t\t\t\t\t\n\t245\t260\t265\t270\t280\t345\t310\t310\t320\t300\nL\t335\t320\t305\t305\t305\t290\t300\t290\t290\t275\nB\t300\t240\t225\t215\t210\t235\t220\t230\t210\t230\nG\t330\t325\t300\t280\t300\t\t\t\t\t\nT\t460\t460\t405\t350\t295\t355\t370\t370\t320\t385\nO\to CO\t650\t650\t520\t510\t480\t510\t530\t510\t510\nH\t560\t555\t625\t655\t660\t600\t630\t655\t615\t620\nIch begann meine Untersuchungen mit der ganz einfachen Klopfbewegung des Zeigefingers ohne jegliche Modifikation. Im ganzen stellte ich an mir selbst an verschiedenen Tagen 20 Versuche dieser Art an, ebenso je 10 Versuche an meinen f\u00fcnf anderen Versuchspersonen. Es wurde dabei der Versuchsperson anheimgestellt, das Tempo der Bewegung selbst zu w\u00e4hlen, so wie es f\u00fcr eine m\u00f6glichst gleichm\u00e4fsige Ausf\u00fchrung der Bewegungen am bequemsten erschien. Tabelle II gibt eine Zusammenstellung der jeweiligen mittleren Zeitdauer der Zeigefingerbewegung in den von mir und den anderen Versuchspersonen ausgef\u00fchrten Versuchen. Die betreffenden Buchstaben bezeichnen die Versuchsperson. L bin ich selbst, B und T zwei","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"8\nGustav Friedrich Lorenz.\nKommilitonen, H eine Studentin der Zahnheilkunde, G der Mechaniker des Instituts und O ein zw\u00f6lfj\u00e4hriger Knabe, Aua der Tabelle ergibt sich, dafs es zur Ausf\u00fchrung dieser Bewegungen einer gewissen \u00dcbung bedarf. Bei L und H nimmt die mittlere Zeitdauer von Versuch zu Versuch zuerst zu, um schliefslich um ein gewisses Mittel zu schwanken, das dann auch ziemlich konstant beibehalten wird. Bei B, T und 0 nimmt die mittlere Zeitdauer zuerst ab, um sich dann auf ein bestimmtes Mittel einzustellen, das ebenfalls konstant bleibt. Bei G ist eine Einstellung auf ein bestimmtes Tempo nicht zu bemerken ; vielmehr schwankt die mittlere Zeitdauer hier schon von Anfang an um ein bestimmtes Mittel. Daher wurden hier nur f\u00fcnf Versuche gemacht. Es zeigt sich also bei s\u00e4mtlichen Versuchspersonen, dafs nach erfolgter Einstellung des Tempos der Bewegung dieses auch ziemlich konstant beibehalten wird. Die Versuche wurden alle an verschiedenen Tagen, zu verschiedener Tageszeit und in verschiedener Stimmung der einzelnen Versuchspersonen angestellt. Das Ergebnis wurde durch alle diese Umst\u00e4nde nicht beeinflufst. Diese Tatsache legt den Schlufs nahe, dafs jedes Individuum einen ihm zukommenden Rhythmus f\u00fcr diese Bewegungen besitzt. Wahrscheinlich spielt das Temperament dabei eine grofse Rolle. Es hat ja auch jeder Mensch eine bestimmte Gehgeschwindigkeit unter normalen Umst\u00e4nden. Ebenso zeigen sich bei allen Verrichtungen individuelle Unterschiede in bezug auf ihr Tempo. Danach bezeichnen wir den einen Menschen als flink, den anderen als langsam. Coleman 1 hat mit der Uhr in der Hand Beobachtungen an Tieren in zoologischen G\u00e4rten gemacht und dabei festgestellt, dafs aller Wahrscheinlichkeit nach Proportionalit\u00e4t zwischen Schrittzahl, Atmung und Herzfrequenz besteht. Ebenso stellte Goudriaan 2 Parallelismus zwischen Spontanrhythmus und Pulsfrequens fest. Diese Be^ hauptungen bed\u00fcrfen jedoch noch weiterer experimenteller Best\u00e4tigung. Bewahrheiteten sie sich, so w\u00e4re damit die Existenz\n1\tW. M. Coleman, The physiological significance of bodily rhythms. Journal of comp, psychol. 1, Nr. 3, 213. 1921, zitiert nach: Berichte \u00fcber die gesamte Physiologie X, 280. 1922.\n2\tJ. C. Goudbiaan, Le rhythme psychique dans ses rapports avec les fr\u00e9quences cardiaque et r\u00e9spiratoire. Arch. N\u00e9erland. de Physiol, de Vhomme et des anim. 6, Lief. 1, 77. 1921, zitiert nach: Berichte \u00fcber die gesamte Physiologie XI, 115. 1922.","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00dcber willk\u00fcrliche rhythmische Bewegungen.\n9\neines individuellen Rhythmus als einer gemeinsamen Funktion des aktiven Zeitsinns sowohl f\u00fcr unwillk\u00fcrliche, als auch f\u00fcr willk\u00fcrliche Bewegungen erwiesen, der weitgehend in die Verrichtungen des Individuums eingreift und das Tempo seiner gesamten Leistungen beherrscht. Versuchsperson B, die die schnellste Bewegung aufweist, ist auch bei anderen Bewegungen, wie z. B. beim Gehen immer sehr rasch und hastig, w\u00e4hrend die Versuchspersonen 0 und H, die ein auffallend langsames Tempo zeigen, auch ihre sonstigen willk\u00fcrlichen rhythmischen Bewegungen sehr ruhig und langsam ausf\u00fchren. Vielleicht spielt bei der Zeitdauer der Bewegung auch die Ubertragungszeit von der zentripetalen auf die zentrifugale Leitung im Zentralnervensystem, die sogenannte Reflexzeit, eine gewisse Rolle. Allein ausschlaggebend kann jedoch die Reflexzeit nicht sein, denn wir haben es bei unseren Bewegungen durchaus nicht mit reinen Reflexbewegungen zu tun. Vielmehr ist die Bewegung zum Teil jedenfalls willk\u00fcrlich. Ferner hat man den Eindruck einer gewissen Automatie, die vielleicht durch den im Individuum begr\u00fcndeten Rhythmus beherrscht wird. Allen diesen Faktoren stehen noch unterst\u00fctzend zur Seite die regulierenden Reflexe, die gewissermafsen eine \u00dcberwachung des Ablaufes der Bewegungen aus\u00fcben.\nWenden wir uns nun zur Betrachtung des Rhythmus bei diesen Versuchen. Die Reihe der nach der oben angegebenen Methode berechneten relativen mittleren Abweichungen bei den letzten 10 Versuchen an mir selbst ist folgende: 1,3 1,4 2,2 1,5-2,6 2,2 2,9 3,0 2,7 3,7. Der Rhythmus war also an verschiedenen Tagen verschieden regelm\u00e4fsig. Hier wird wohl die Stimmung und Aufmerksamkeit der Versuchsperson eine grofse Rolle spielen. Es w\u00e4re interessant, einmal festzustellen, welchen Einflufs irgendwelche psychischen Eindr\u00fccke, wie z. B. das Anh\u00f6ren von Musik oder irgendeines rhythmischen Ger\u00e4usches auf den Rhythmus der Bewegung aus\u00fcben. Tabelle III gibt eine \u00dcbersicht aller absoluten Abweichungen von der mittleren Zeitdauer ausgedr\u00fcckt in Prozent aller F\u00e4lle. Es wurden zu dieser Zusammenstellung nur die letzten 10 Versuche von mir und die letzten 5 Versuche der anderen Versuchspersonen verwertet, da vorher die Einstellung des Tempos noch nicht erfolgt war. Da bei jedem Versuche 50 Bewegungen ber\u00fccksichtigt wurden, sind in der Tabelle die Ergebnisse von 500 F\u00e4llen bei mir und von 250 F\u00e4llen bei","page":9},{"file":"p0010.txt","language":"de","ocr_de":"10\nGustav Friedrich Lorenz.\njeder anderen Versuchsperson angegeben. Aufserdem ist in der Tabelle die relative mittlere Abweichung und die mittlere Zeitdauer der Bewegung aufgef\u00fchrt. Es ergibt sich, dafs mit Ausnahme von G und H in durchschnittlich einem F\u00fcnftel aller F\u00e4lle gar keine Abweichung besteht und mit Ausnahme von 0 in der H\u00e4lfte der F\u00e4lle eine Abweichung von nicht mehr als Vioo sec- Die \u00fcbrigen 30% fallen auf gr\u00f6fsere Abweichungen, die aber schon von 25 o an in der Regel nur vereinzelt auf-treten. Es ist bemerkenswert, dafs bei der Versuchsperson mit der langsamsten Bewegung der Rhythmus am regelm\u00e4fsigsten, w\u00e4hrend er bei der mit der schnellsten Bewegung am unregel-m\u00e4fsigsten war. Letztere Erscheinung ist vielleicht auf die aufser-ordentliche Nervosit\u00e4t der Versuchsperson B zur\u00fcckzuf\u00fchren. Versuchsperson H zeigte dagegen nicht das geringste Anzeichen nerv\u00f6ser Beschwerden. Die verschiedenen Zahlen f\u00fcr die relative mittlere Abweichung zeigen uns, dafs die F\u00e4higkeit, das Tempo gleichm\u00e4fsig einzuhalten, individuell verschieden ist.\nTabelle III.\nVersuchsperson\tL\tB\tG\tT\tO\tH\nZahl der F\u00e4lle\t500\t250\t250\t250\t250\t250\nAbweichung\t0\t22,0\t18,4\t12,4\t17,2\t17,2\t6,0\n\u201e\tbis 5\t36,2\t23,2\t26,8\t9,6\t8,0\t32,0\nn\tn 10\t24,2\t28,4\t11,2\t30,4\t16,8\t5,2\nn\tr> 1**\t10,6\t11,2\t25,2\t6,4\t20,8\t23,6\n\u201e \u201e 20\t5,8\t16,0\t15,2\t20,8\t12,4\t8,8\n\u00ab\t\u00bb 25\t1,2\t2,8\t7,2\t6,0\t5,6\t18,8\n\u201e \u00fcber 30\t\t\t2,0\t9,6\t19,2\t5,6\nRel. mittl. Abw.\t2,4\t4,2\t3,8\t3,8\t3,1\t2,2\nMittl. Zeitdauer\t300\t220\t305\t339\t507\t636\nS\u00e4mtliche Versuchspersonen erkl\u00e4rten, dafs ihnen selbst ihre Bewegungen durchaus nicht rhythmisch vorgekommen seien. Vielmehr hatten sie alle deutliche Schwankungen im Tempo bemerkt, aber nur dann, wenn sie mit dem Geh\u00f6rsinn kontrollierten. Diese Schwankungen stellten sich bei einigen Versuchen als ganz unbedeutend heraus. Bei einem meiner eigenen Versuche war","page":10},{"file":"p0011.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber willk\u00fcrliche rhythmische Beilegungen.\n11\ndie gr\u00f6fste Abweichung nur 15 o. Trotzdem hatte ich sie mit dem Ohre deutlich wahrgenommen. Wir sind jedoch nicht imstande, eine rhythmische Bewegung ohne Abweichungen auszuf\u00fchren. Unser receptorischer Zeitsinn ist also auf bedeutend feinere Zeitgr\u00f6fsen eingestellt, als unser aktiver Zeitsinn. Wir k\u00f6nnen nur bis zu einer gewissen Grenze rhythmische Bewegungen ausf\u00fchren, empfinden dagegen selbst ganz geringe Abweichungen einer rhythmischen Empfindung als deutliche Schwankungen.\nTabelle IV.\n\tVersuch\tL\tB\tG\tT\tO\tH\nMittlere\tnormal\t300\t220\t305\t339\t507\t636\nZeitdauer\tlangsamer\t1024\t1023\t1025\t1036\t1396\t1740\nin 6\tschneller\t202\t183\t180\t180\t220\t190\nRelative\tnormal\t2,4\t4,2\t3,8\t3,8\t3,1\t2,2\nmittlere\tlangsamer\t3,2\t4,7\t4,5\t3,7\t7,2\t3,7\nAbweichung !\tschneller\tl 3,8\t3,1\t3,0\t5,3\t4,8\t4,8\nUm nun zu untersuchen, wie es sich mit dem Rhythmus einer Bewegung verh\u00e4lt, die nicht in dem von der Versuchsperson gew\u00e4hlten ihr am bequemsten erscheinenden Tempo ausgef\u00fchrt wird, liefs ich Bewegungen ausf\u00fchren, die im Tempo bedeutend verlangsamt und solche, die im Tempo beschleunigt waren. Ich schrieb dabei wieder kein bestimmtes Tempo vor, sondern verlangte nur ein langsameres resp. schnelleres als das der fr\u00fcheren Versuche. Tabelle IV gibt eine \u00dcbersicht \u00fcber die mittlere Zeitdauer und die relative mittlere Abweichung bei diesen Versuchen. Zum Vergleich ist noch einmal das Verhalten bei der normalen Bewegung mit angegeben worden. Bei den Bewegungen mit willk\u00fcrlich verlangsamtem Tempo w\u00e4hlten alle Versuchspersonen eine Bewegung, deren Zeitdauer etwa um ein Drittel vergr\u00f6fsert war, mit Ausnahme von B, die ein F\u00fcnftel langsamer klopfte. F\u00fcr die beschleunigte Bewegung w\u00e4hlten alle Versuchspersonen ein Tempo, das an der Grenze einer gerade noch bequem ausf\u00fchrbaren Bewegung steht. Die Zeitdauer dieser Bewegung betr\u00e4gt 180\u2014220 a Eine Vergleichung mit der Zeit der vorhergehenden Versuche mit beliebigem Tempo zeigt, dafs dieses beliebige Tempo nahe an der Grenze der schnellen Bewegungen liegt. Eine Beschleunigung ist also nur in bedeutend","page":11},{"file":"p0012.txt","language":"de","ocr_de":"12\nGustav Friedrich Lorenz.\ngeringerem Maf\u00eae m\u00f6glich, als eine Verlangsamung. Es beruht dieser Umstand wohl auf einer durch den Innervationsmechanismus bedingten Ursache. Es ist eben nur eine bestimmte Frequenz von Innervationsimpulsen m\u00f6glich. Ferner hat auch die Schnelligkeit, mit der ein Finger bewegt werden kann, schon aus mechanischen Gr\u00fcnden eine obere Grenze.\nWas nun den Rhythmus bei diesen Versuchen anbelangt, so zeigt sich im allgemeinen, n\u00e4mlich bei den Versuchspersonen L, O und H eine Verschlechterung desselben sowohl bei den langsameren, als auch bei den schnelleren Bewegungen gegen\u00fcber den normalen. Bei B und G ist nur die langsamere, bei T nur die schnellere Bewegung im Rhythmus verschlechtert. Es scheint also berechtigt, dafs man dem Individuum einen ihm zukommenden Rhythmus zuspricht, der eben bei dem als bequem empfundenen Tempo die f\u00fchrende Rolle spielt. Dieses Tempo ist das f\u00fcr das Individuum ad\u00e4quate. Bei dem Verhalten des Rhythmus bei Bewegungen in nicht ad\u00e4quatem Tempo scheinen individuelle Verschiedenheiten vorhanden zu sein.\nBei einfachen willk\u00fcrlichen rhythmischen Bewegungen mufs man Vorg\u00e4nge unterscheiden, die im Nervensystem, und solche, die im Muskel bedingt sind. Um nun einmal zun\u00e4chst die Vorg\u00e4nge im Muskel zu beeinflussen, setzte ich auf den bewegten Finger Gewichte von zunehmender Gr\u00f6fse. Dadurch wird der Muskel in seiner Spannung und in seinen Stoffwechselvorg\u00e4ngen, da er mehr Arbeit leisten mufs, zweifellos stark beeinflufst. Aufserdem ist die Tr\u00e4gheit des bewegten Gliedes gr\u00f6fser, da \u00dfeine Masse zugenommen hat. Wir haben es also mit einer mechanischen Einwirkung von aufsen her zu tun. Das Gewicht wurde mittels eines Drahtes auf dem ersten Interphanlangeal-gelenke des Fingers befestigt. Es wurden wieder an jeder Versuchsperson mit Ausnahme von O von jedem dieser Versuche an verschiedenen Tagen je f\u00fcnf angestellt. Es wurde erst mit 20 g, dann mit 50 g belastet. Das Tempo der Bewegung wurde der Versuchsperson wiederum anheimgestellt. Die Hubh\u00f6he des Fingers sollte m\u00f6glichst dieselbe sein, wie bei den Versuchen mit unbelastetem Finger. Tabelle V gibt eine \u00dcbersicht \u00fcber die mittlere Zeitdauer und die relative mittlere Abweichung bei diesen Versuchen. Es zeigte sich, dafs das Tempo bei s\u00e4mtlichen Versuchspersonen mit zunehmender Belastung verlangsamt war. Als Erkl\u00e4rung f\u00fcr diese Erscheinung kommt zun\u00e4chst der Umstand","page":12},{"file":"p0013.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber willk\u00fcrliche rhythmische Bewegungen.\n13\nTabelle V.\n'\tVersuch\tL\tB\tG\tT\tH\nMittlere\tohne Belastung\t300\t220\t305\t339\t636\nZeitdauer\t20 g\t381\t268\t327\t367\t676\nin 6\t50 g\t422\t313\t362\t402\t711\nRelative\tohne Belastung\t2,4\t4,2\t3,8\t3,8\t2,2\nmittlere\t20 g\t2,1\t4,7\t4,2\t4,1\t2,5\nAbweichung\t50 g\t2,7\t5,1\t2,9\t3,5\t2,1\nin Betracht, dafs infolge der grofseren Tr\u00e4gheit der bewegten Masse bei vermehrtem Gewichte die Latenzzeit des Muskels gr\u00f6fser wird.1 2 Es ist weiterhin noch die Tatsache von Wichtigkeit, dafs ein Muskel bei vermehrter Belastung die Hubh\u00f6he bei seiner Kontraktion vermindert. Da nun aber die Hubh\u00f6he bei unseren Versuchen ann\u00e4hernd die gleiche war wie beim unbelasteten Finger, w\u00e4re der Muskel gezwungen gewesen, bei gleichbleibendem Tempo eine bedeutend gr\u00f6fsere Leistung zu vollbringen. Man kann daher den Schlufs ziehen, dafs es sich bei der Verlangsamung des Tempos um eine Art von Kompensierung handelt. Die Gr\u00f6fse der Zunahme der mittleren Zeitdauer bei zunehmender Belastung zeigt bei den einzelnen Versuchspersonen keine zahlenm\u00e4fsige Gesetzm\u00e4fsigkeit. Vielleicht beruht dies darauf, dafs die Hubh\u00f6he eben doch nicht bei jedem Versuche dieselbe war. Vielleicht sind aber auch hier individuelle Unterschiede mafsgebend. Betrachten wir den Rhythmus der Bewegung, so finden wir, dafs er weder eine Verschlechterung noch eine Verbesserung bei zunehmendem Gewichte erf\u00e4hrt. Die Schwankungen entsprechen durchaus den Schwankungen an verschiedenen Tagen. Sie sind eben durch Stimmung und Aufmerksamkeit der Versuchsperson bedingt. Die rein mechanische Einwirkung von aufgesetzten Gewichten beeinflufst also bei rhythmischen Bewegungen nur das Verhalten der Muskulatur. Yas-Kuno 2 gibt an, dafs bei der willk\u00fcrlich ausl\u00f6sbaren klonischen Zitterbewegung des Beines ein gr\u00f6fseres Gewicht keinen Einflufs auf das Tempo austibt. Diese Behauptung bedarf jedoch\n1\tG. F. Yeo, Journal of Physiologie 9, 396. 1888.\n2\tYas-Kuno, \u00dcber das im Sitzen willk\u00fcrlich ausl\u00f6sbare Zittern eines Beines. Pfl\u00fcgers Archiv 157, 387. 1914.","page":13},{"file":"p0014.txt","language":"de","ocr_de":"14\nGustav Friedrich Lorenz.\nnoch einer genauen experimentellen Untersuchung, da Yas-Kuno die Gewichte nicht variierte, sondern lediglich sein Bein, welches frei war, \u00fcber das Versuchsbein schlug und so die Bewegung ausf\u00fchrte. Vielleicht half dabei eine unwillk\u00fcrliche Mitbewegung des ruhenden Beines bei der Ausf\u00fchrung des Versuches. Vielleicht sind aber auch die Verh\u00e4ltnisse bei einer solchen klonischen, mehr automatischen Bewegung andere als bei einer willk\u00fcrlichen. Es w\u00e4re einmal ganz interessant, das Tempo dieser Zitterbewegung mit dem Tempo einer willk\u00fcrlichen Fingerbewegung zu vergleichen. Vielleicht liefse sich ein Einflufs des individuellen Rhythmus feststellen.\nTabelle VI.\n\tVersuch\tL\tB\tG\tT\tO\tH\n\tFinger\t300\t! 220\t! 305\t339\t507\t636\nMittlere\tHand\t305\t253\t363\t343\t523\t658\nZeitdauer\tHand 50 g\t438\t293\t405\t400\t\u2014\t\u2014\nin 6\tHand 100 g\t514\t356\t478\t470\t\u2014\t\u2014\n\tUnterarm\t373\t278\t408\t436\t596\t\u2014\n\tFinger\t2,4\t4,2\t3,8\t3,8\t3,1\t2,2\nMittlere\tHand\t3,2\t2,7\t2,5\t4,9\t3,0\t2,8\nrelative Ab-\tHand 50 g\t2,1\t4,1\t3,5\t3,5\t\u2014\u00bb\t\u2014\nweichung\tHand 100 g\t3,3\t3,1\t1,9\t2,9\t\u2014\t\u2014\n\tUnterarm\t1,9 i\t3,5\t2,4\t2,1 !\t3,4\t\u2014\nWeiterhin liefs ich, um zu untersuchen, wie die Verh\u00e4ltnisse bei einer anderen Bewegung, als bei der einfachen Fingerbewegung liegen, Versuche anstellen, indem ich bei aufgelegtem Unterarm mit der Hand und bei aufgelegtem Ellbogengelenk mit dem Unterarm auf die Unterlage klopfte. Um auch hierbei das Verhalten der Belastung zu studieren, legte ich bei der Handbewegung abwechselnd 50 und 100 g auf, wobei die Hubh\u00f6he auch hier m\u00f6glichst gleich bleiben sollte. Von jedem Versuche wurden wieder je f\u00fcnf an jeder Versuchsperson angestellt. Der Kontakt wurde hierbei nicht durch den Zeigefinger, sondern durch den Mittelfinger geschlossen. Auch wurde das Gewicht in H\u00f6he des Metacarpo-Phalangealgelenkes des Mittelfingers befestigt. Tabelle VI gibt wieder eine \u00dcbersicht \u00fcber die mittlere Zeitdauer und die relative mittlere Abweichung bei diesen Ver-","page":14},{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber willk\u00fcrliche rhythmische Bewegungen.\t15\nsuchen. Bei s\u00e4mtlichen Versuchspersonen zeigt sich eine unerhebliche Verlangsamung des Tempos der Handbewegung gegen das der Fingerbewegung und eine etwas erheblichere Verlangsamung der Bewegung des Unterarms gegen die der Hand. Eine der Ursachen dieser Erscheinung mag vielleicht die gr\u00f6fsere bewegte Masse und die dadurch bedingte vermehrte Tr\u00e4gheit der Hand gegen den Finger und des Unterarms gegen die Hand sein. Mit zunehmender Belastung zeigt sich auch bei der Handbewegung eine Verlangsamung des Tempos. Auch hier l\u00e4fst sich eine zahlenm\u00e4fsige Gesetzm\u00e4fsigkeit nicht feststellen, was wohl dieselben Ursachen, wie bei den Belastungsversuchen des Fingers hat. Der Rhythmus bleibt auch bei diesen Versuchen ungef\u00e4hr derselbe. Die relativen mittleren Abweichungen zeigen wieder die durch Stimmung und Aufmerksamkeit bedingten Schwankungen. Wir haben es also auch hier nur mit mechanischen Einwirkungen zu tun, die sich auf Beeinflussung des Muskels beschr\u00e4nken.\nBei der Ausf\u00fchrung der Klopfbewegungen des Fingers in dem willk\u00fcrlich als bequem gew\u00e4hlten Tempo kann man sich dem Eindr\u00fccke nicht entziehen, als ob es sich um eine gewisse Automatie handle. Diese Automatie kann direkt im Zentralnervensystem begr\u00fcndet sein, wobei der individuelle Rhythmus von gr\u00f6fster Bedeutung sein d\u00fcrfte. Andererseits greifen hier Reflexe unterst\u00fctzend ein und \u00fcberwachen sozusagen die Bewegung. Durch zentripetale Reize wird das betreffende Zentrum dauernd auf dem Laufenden \u00fcber die Bewegung gehalten. Es richtet danach seine Innervationsimpulse ein. \u00c4hnliche Verh\u00e4ltnisse kommen ja h\u00e4ufig im K\u00f6rper vor. Es ist hier noch einmal das Gehen zu erw\u00e4hnen, das so einen komplizierten Reflexmechanismus darstellt. Allen diesen durch Reflexe regulierten Bewegungen ist nun die eine Eigenschaft gemeinsam, dafs es erst einer gewissen Einschleifung der betreffenden zentripetalen und zentrifugalen Nervenbahnen bedarf, einer gewissen \u00dcbung, bis eine solche Bewegung wirklich maschinenm\u00e4fsig genau vor sieh gehen kann. Zu erw\u00e4hnen ist hier das Gehenlernen des Kindes. Wenn dabei auch zun\u00e4chst die Aufrechterhaltung des K\u00f6rpergleichgewichtes die wichtigste Aufgabe ist, so kommt doch in zweiter Linie auch die \u00dcbung des Reflexmechanismus f\u00fcr die Gehbewegung in Frage. Jedenfalls handelt es sich bei allen beiden Aufgaben um eine Einschleifung von Reflexbahnen.","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16\nGustav Friedrich Lorenz.\nFerner ist ein sehr gutes Beispiel daf\u00fcr das Klavierspiel eines\n\u2022 \u2022\nVirtuosen, der durch viele \u00dcbung ein Werk sich so zu eigen\n\u2022 \u2022\ngemacht hat, dafs er es ohne viel \u00dcberlegung fast automatisch spielen kann, Die Fingerhaltung des einen Akkordes bewirkt infolge der eigenartigen Spannung der Muskeln einen ganz besonderen zentripetalen Reiz, der reflektorisch die Innervationsimpulse f\u00fcr die Fingerstellung des n\u00e4chsten Akkordes hervorruft. Es ist ganz klar, dafs dieser Reflex ein erworbener ist, der nicht schon von der Natur gegeben war, der vielmehr erst dadurch zum Reflex wurde, dafs durch die viele \u00dcbung die entsprechenden Bahnen eingeschliffen wurden. Das K\u00fcnstlerische kommt in einem so bis zur Reflext\u00e4tigkeit einge\u00fcbten Werke durch Reflexhemmungen und Beschleunigungen an geeigneter Stelle zur Geltung. Leute ohne k\u00fcnstlerisches Gef\u00fchl sind wohl imstande, sich ein Klavierst\u00fcck fliefsend einzu\u00fcben. Dann kommt uns gerade durch das primitive, masehinenm\u00e4fsige Spiel solcher unmusikalischer Leute das Unk\u00fcnstlerische so recht zum Be-wufstsein.\nAller Wahrscheinlichkeit nach spielen auch bei den Bewegungen unserer Versuche solche den automatischen Mechanismus regulierenden Reflexe eine nicht zu untersch\u00e4tzende Rolle. F\u00fcr die Aufnahme zentripetaler Reize kommen hier haupts\u00e4chlich in Betracht der Haut- und Muskelsinn und das Geh\u00f6r. Nach v. Kries 1 ist der Geh\u00f6rsinn f\u00fcr die Aufnahme von zeitlichen Eindr\u00fccken allen anderen weit \u00fcberlegen. Er wird daher f\u00fcr die Regulierung der Klopfbewegungen von allergr\u00f6fster Bedeutung sein.\nUm die Wirkung von Reflexen, also einen im nerv\u00f6sen Apparat begr\u00fcndeten Einflufs, zu untersuchen, schaltete ich abwechselnd die verschiedenen Sinne nach M\u00f6glichkeit aus, um die entsprechenden zentripetalen Reize in Wegfall zu bringen. Als Gegenstand dieser Untersuchungen diente wieder die einfache rhythmische Klopf be wegung des Zeigefingers auf die Unterlage mit m\u00f6glichst bequemem, beliebigem Tempo.\nIn dem gesamten Mechanismus der Bewegung kommt nach dem Empfinden aller Versuchspersonen dem Moment, in dem der Finger die Unterlage ber\u00fchrt, eine besondere Bedeutung zu. Es wird ja auch in diesem Augenblicke der Hautsinn ganz be-\n. - *\n1 Joh. v. Kries, Allgemeine Sinnesphysiologie. Leipzig 1923.","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber willk\u00fcrliche rhythmische Bewegungen.\n17\nsonders stark erregt. Ebenso entsteht durch den Widerstand, auf den der Muskel bei dem pl\u00f6tzlichen Aufstofsen des Fingers und dem damit verbundenen Aufh\u00f6ren der Bewegung st\u00f6fst, ein zentripetaler Reiz von seiten des Muskelsinns. Aufserdem wird auch noch im Augenblicke des Auftreffens des Fingers auf die Unterlage der Geh\u00f6rsinn erregt. Um nun alle diese zentripetalen Reize nach M\u00f6glichkeit, wenn nicht ganz auszuschalten, so doch stark abzuschw\u00e4chen, stellte ich eine Reihe von Versuchen an, in denen der Finger die Bewegung in der Luft frei ausf\u00fchrte, ohne also auf Widerstand zu stofsen. Um nun eine solche Bewegung zu registrieren, verfuhr ich in folgender Weise: Einen langen, ganz d\u00fcnnen Strohhalm, der an seinem einen Ende drehbar um eine Achse befestigt war, legte ich mit seinem freien Ende auf das Mittelglied des Zeigefingers. An seinem befestigten Ende war er mit einem ganz d\u00fcnnen Drahte umwickelt, der mit dem einen Pole des Akkumulators verbunden war. Dieser Draht stiefs bei der Aufw\u00e4rtsbewegung des Fingers an ein mit dem anderen Pole des Akkumulators verbundenes Metallkl\u00f6tzchen an, wodurch der Stromkreis geschlossen wurde. Der Strohhalm war so leicht, dafs er fast als gewichtslos gelten konnte. Bei der Ausf\u00fchrung des Versuches war darauf zu achten, dafs der Strohhalm in dem h\u00f6chsten Punkte der Aufw\u00e4rtsbewegung des Fingers gerade eben noch das Kl\u00f6tzchen ber\u00fchrte. Die Hand wurde in solcher H\u00f6he in der Luft gehalten, dafs dieser Effekt erzielt wurde. Infolge seiner Elastizit\u00e4t bog sich der Halm in diesem Augenblicke ein wenig durch, so dafs der Stofs federnd aufgefangen wurde. Dabei entstand wenn auch nicht gerade \u00fcberhaupt keiner, so doch nur ein sehr geringer Reiz in Muskel- und Hautsinn. Um alle Einfl\u00fcsse zu vermeiden, die durch die Erm\u00fcdung des frei in der Luft gehaltenen Armes h\u00e4tten entstehen k\u00f6nnen, hielt die andere Hand die Versuchshand am Handgelenk fest. Von diesen Versuchen machte ich an mir selbst f\u00fcnf und an den anderen Versuchspersonen je drei (nat\u00fcrlich wieder jeden einzelnen Versuch zu 50 Fingerbewegungen). Tabelle VII gibt ihre mittlere Zeitdauer und relative mittlere Abweichung an. Bei s\u00e4mtlichen Versuchspersonen zeigt sich eine bedeutende Verlangsamung der Bewegung und ebenso eine starke Verschlechterung des Rhythmus. Die Verlangsamung der Bewegung l\u00e4fst sich damit erkl\u00e4ren, dafs der Finger seine Flexion\nZeitschrift f. Sinnesphysiol. 56.\t2","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18\nGustav Friedrich Lorenz.\nganz ausf\u00fchrt, die beim Auftreffen auf die Unterlage unterbrochen wird. Er hat also einen bedeutend gr\u00f6fseren Weg zur\u00fcckzulegen, was nat\u00fcrlich auch mehr Zeit beansprucht. Durch den Wegfall des Fingeraufschlages sind die zentripetalen Reize mehr oder minder abgeschw\u00e4cht worden. Das Zentrum war also gezwungen, seine Impulse f\u00fcr die Einzelbewegung aus eigenen St\u00fccken ohne die markante Benachrichtigung zu geben. Es wurde lediglich durch Reize, die von Spannungszust\u00e4nden der Muskeln und durch die Gelenksensibilit\u00e4t entstanden sind, in Kenntnis gesetzt. Dadurch wurde die Regelm\u00e4fsigkeit des Rhythmus stark beeinflufst.\nTabelle VII.\n\tVersuch\tL\tB\tG\tT\tH\nMittlere\tnormal\t300\t220\t305\t339\t636\nZeitdauer\tin der Luft\t387\t330\t453\t470\t696\nRelative mittlere Ab-\tnormal\t2,4\t4,2\t3,8\t3,8\t2,2\nweiehung\tin der Luft\t7,4\t8,8\t4,5\t5,7\t4,0\nNachdem ich zun\u00e4chst die erw\u00e4hnten zentripetalen Reize auf einmal abgeschw\u00e4cht hatte, untersuchte ich sie einzeln, indem ich jeden f\u00fcr sich zu unterdr\u00fccken versuchte. So schaltete ich zun\u00e4chst den Geh\u00f6rsinn aus, indem ich die Ohren der Versuchsperson mit angefeuchteter Watte verstopfte und noch einen Wattebausch mittels eines um den Kopf gelegten Riemens auf jedem Ohre festband. W\u00e4hrend des Versuchs mufste die Versuchsperson mit den Fingern\u00e4geln der linken Hand an dem Riemen aufsen kratzen, wodurch ein Ger\u00e4usch entstand, welches das Aufschlagen des Fingers vollst\u00e4ndig \u00fcbert\u00f6nte. Der Geh\u00f6rsinn ist auf diese Art vollkommen ausgeschaltet als Entstehungsort f\u00fcr regulierende zentripetale Reize. Auch von diesen Versuchen wurden je drei an den anderen Versuchspersonen und f\u00fcnf an mir selbst ausgef\u00fchrt. Tabelle VIII orientiert uns \u00fcber die Verh\u00e4ltnisse des Tempos und Rhythmus bei dieser Bewegung. Es blieb das Tempo hier so gut wie gleich dem Tempo des Normalversuchs. Nur der Rhythmus hat eine bedeutende Verschlechterung erfahren. Der Geh\u00f6rsinn spielt also doch wohl bei der Regulierung rhythmischer Klopfbewegungen eine sehr grofse Rolle. Dafs der Rhythmus hier bei manchen Versuchs-","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber willk\u00fcrliche rhythmische Bewegungen.\t19\np\u00e9rsonen noch schlechter war, als bei dem Versuche in der Luft, liegt wohl daran, dafs das Geh\u00f6r bei dem Versuche mit der Fingerbewegung in der Luft eben nicht ganz ausgeschaltet war. Das Schliefsen des Kontaktes mit dem Strohhalm war, wenn auch nur schwach, so doch immerhin zu vernehmen. Bei dem Versuche mit den verstopften Ohren fiel der Geh\u00f6rsinn dagegen ganz weg. Wie wichtig das Ohr f\u00fcr die Regulierung ist, zeigen die doch recht bedeutenden Werte f\u00fcr die relative mittlere Abweichung.\nTabelle VIII.\n\tVersuch\tL\t\u00df\tG\tT\tH\nMittlere Zeitdauer\tnormal\t300\t220\t305\t339\t636\nin 6\tAussch. v. Ohr\t303\t240\t288\t263\t613\nRelative mittlere Ab-\tnormal\t2,4\t4,2\t3,8\t3,8\t2,2\nweichung\tAussch. v. Ohr!\t6,3\t7,8\t7,7\t8,6\t3,0\nUm nun diejenigen zentripetalen Reize auszuschalten, die durch Erregung der Hautsinnesorgane entstehen, ist es am besten, in den Finger eine Lokalan\u00e4sthesie zu machen. Herr Prof. Dr. Ramstedt hatte die Liebensw\u00fcrdigkeit, mir in den rechten Zeigefinger eine Leitungsan\u00e4sthesie nach Obebst 1 mit Novokain zu machen. Ich m\u00f6chte ihm f\u00fcr seine Bem\u00fchung an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank aussprechen. Diese Versuche konnte ich selbstverst\u00e4ndlich nur an mir allein ausf\u00fchren, da ich meinen Versuchspersonen die kleine Operation, die nicht ganz schmerzlos ist, nat\u00fcrlich nicht zumuten konnte. Die volle Wirkung trat nach 1/4 Stunde ein und zwar ging ganz zuletzt erst der K\u00e4ltesinn verloren. Nachdem die An\u00e4sthesie auf dem H\u00f6hepunkte angelangt war, machte ich je drei Versuche in Abst\u00e4nden von f\u00fcnf Minuten und schaltete dabei auch noch das Geh\u00f6r nach der oben beschriebenen Methode aus. Ferner machte ich drei weitere Versuche ebenfalls in Abst\u00e4nden von f\u00fcnf Minuten ohne Ausschaltung des Geh\u00f6rs. Die Ergebnisse sind in Tabelle IX angegeben. Gleichzeitig damit sind nochmals die Versuche mit dem Finger in der Luft und die bei Ausschaltung des Geh\u00f6rs zum Vergleiche angef\u00fchrt. Es zeigt sich eine erhebliche Ver-\n1 E. Lexer, Allgemeine Chirurgie 1, 118. Stuttgart 1916.\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nGustav Friedrich Lorenz.\nschlechterung des Rhythmus bei Ausschaltung von Hautsinn und Geh\u00f6r, w\u00e4hrend bei alleiniger Ausschaltung des Hautsinns keine Verschlechterung zu verzeichnen ist. Dafs die Verschlechterung bei Ausschaltung von Hautsinn und Geh\u00f6r geringer ist als bei alleiniger Ausschaltung des Geh\u00f6rs, ist wohl darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, dafs die Versuche mit dem an\u00e4sthetischen Finger alle an einem Tage in einem Zeitr\u00e4ume von 40 Minuten hintereinander ausgef\u00fchrt werden mufsten. Ich war an diesem Tage in sehr guter Stimmung und konnte mich auch sch\u00f6n auf die Versuche konzentrieren, worauf wohl auch die sehr guten Ergebnisse hinsichtlich des Rhythmus zur\u00fcckzuf\u00fchren sind. Die relative mittlere Abweichung von 6,3 bei der Ausschaltung des Geh\u00f6rs stellt einen Mittelwert dar von f\u00fcnf an verschiedenen Tagen in verschiedener Stimmung ausgef\u00fchrten Versuchen, w\u00e4hrend die relative mittlere Abweichung von 4,9 beim An\u00e4sthesie versuch unter gleichzeitiger Ausschaltung von Geh\u00f6r einen Mittelwert von drei am gleichen Tage innerhalb einer Stunde in gleicher Stimmung ausgef\u00fchrten Versuchen darstellt. Beide Zahlen lassen sich also nicht direkt miteinander vergleichen. Die Versuche mit dem an\u00e4sthetischen Finger ohne Ausschaltung des Geh\u00f6rs zeigen ein dem normalen Versuche fast gleiches Verhalten. Es scheint also der Hautsinn bei der Regulierung rhythmischer Bewegungen nur eine untergeordnete Rolle zu spielen.\nTabelle IX.\nVersuch\tMittl. Zeitdauer\tRel. mittl. Abw.\nNormal\t300\t2,4\nFinger in der Luft\t387\t7,4\nAusschaltung vom Geh\u00f6rsinn\t303\t6,3\nAn\u00e4sthetisch mit Ausschaltung v. Ohr\t318 i\t4,9\n\u201e\tohne\t\u201e\t\u00bb\t\u00bb\t297\t1,9\nVon weit gr\u00f6fserer Bedeutung ist zweifellos das Geh\u00f6r. Der Muskelsinn l\u00e4fst sich direkt nicht untersuchen, da er nicht auszuschalten ist. Aus dem oben erw\u00e4hnten Beispiele des bis zur Reflext\u00e4tigkeit einge\u00fcbten Klavierspiels d\u00fcrfte aber hervorgehen, dafs gerade diejenigen zentripetalen Reize, die durch die verschiedene Spannung der Muskulatur hervorgerufen werden, von \u00fcberaus grofser Bedeutung f\u00fcr die Regulierung rhythmischer Be-","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber ivillk\u00fcrliche rhythmische Bewegungen.\n21\nwegungen sind. Es zeigt dies ja auch der Versuch, in dem durch das Wegfallen des Fingeraufschlages auf die Unterlage der markante hierbei im Muskelsinn durch die pl\u00f6tzliche Hemmung der Bewegung entstehende Reiz nur sehr abgeschw\u00e4cht in Erscheinung treten konnte, was ja deutlich den Rhythmus in ung\u00fcnstigem Sinne beeinflufste (siehe Tab. IX!).\nZusammenfassung.\nDie Ergebnisse meiner Untersuchungen fasse ich in folgenden Punkten zusammen:\n1.\tWahrscheinlich kommt jedem Individuum ein ihm eigener Rhythmus zu ; denn seine gesamten willk\u00fcrlichen Bewegungen werden von einem bestimmten Tempo beherrscht. Eine willk\u00fcrliche rhythmische Klopfbewegung eines Fingers wird in einem anderen, als dem ad\u00e4quaten Tempo, unregelm\u00e4fsiger.\n2.\tWir sind nicht imstande, absolut rhythmische Bewegungen auszuf\u00fchren, empfinden aber mit dem Geh\u00f6re noch deutlich ganz geringe Schwankungen einer rhythmischen Empfindung als solche. Unser rezeptorischer Zeitsinn ist auf bedeutend feinere Zeitunterschiede eingestellt, als unser aktiver Zeitsinn.\n3.\tDas Tempo einer Bewegung ist zu beeinflussen durch mechanische Einwirkung auf den Muskel. Belastung des bewegten Gliedes bedingt Verlangsamung des Tempos infolge der vergr\u00f6fserten Masse und der dadurch bedingten vermehrten Tr\u00e4gheit des Muskels. Die Hand bewegt sich langsamer als der Finger, der Unterarm langsamer als die Hand.\n4.\tDie Gleichm\u00e4fsigkeit der Bewegung ist eine Funktion des Nervensystems. Ver\u00e4nderung der nerv\u00f6sen Bedingungen, wie z. B. irgendwelche Eingriffe in den Regulationsmechanismus, also das Ausschalten irgendwelcher zentripetaler Reize bewirkt eine mehr oder weniger starke Verschlechterung des Rhythmus. Von sehr grofsem Einfl\u00fcsse scheinen die zentripetalen Reize von seiten des Geh\u00f6rs und des Muskelsinns zu sein, w\u00e4hrend die von seiten des Hautsinns von geringerer Bedeutung sind.","page":21}],"identifier":"lit35969","issued":"1925","language":"de","pages":"1-21","startpages":"1","title":"Untersuchungen \u00fcber willk\u00fcrliche rhythmische Bewegungen","type":"Journal Article","volume":"56"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:44:49.282567+00:00"}